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Allmählich wird's heftig, Heiko: Ein Dithmarschen-Krimi
Allmählich wird's heftig, Heiko: Ein Dithmarschen-Krimi
Allmählich wird's heftig, Heiko: Ein Dithmarschen-Krimi
eBook516 Seiten6 Stunden

Allmählich wird's heftig, Heiko: Ein Dithmarschen-Krimi

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Über dieses E-Book

Eigentlich sollte es nur ein Routine-Job für den jungen Zeitungs-Volontär Heiko Timmermann werden, aber bei einem Brandexperiment in einem Steinzeitpark in Dithmarschen wird die verkohlte Leiche einer Frau gefunden. Wer war diese Frau, vielleicht eine Landstreicherin? Die Ermittlungen der Polizei laufen zunächst ins Leere, aber der Fall lässt Heiko keine Ruhe. Als dann ausgerechnet der Leiter des Experiments, ein Kieler Archäologe, bei einem sehr merkwürdigen Autounfall ums Leben kommt, steht für ihn fest: Hier muss es einen Zusammenhang geben. Heiko Timmermann stellt auf eigene Faust Nachforschungen an und entdeckt auch bald Indizien für seine Theorie. Es bleibt jedoch nicht bei zwei Todesfällen, ein Landtagsabgeordneter der dänischen Minderheitspartei wird auf der Fahrt über den Eiderdamm erschossen. Kaum vorstellbar, dass derselbe Täter für alle drei Todesfälle verantwortlich ist? Für Heiko Timmermann steht bald fest, dass die Lösung in Wesselburen zu finden sein könnte, einem kleinen Ort in Dithmarschen. Während er auf der Suche nach weiteren Hinweisen ist, die auch die Polizei überzeugen könnten, wird er selbst beinahe Opfer eines Mordanschlags.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum14. Nov. 2014
ISBN9783738664102
Allmählich wird's heftig, Heiko: Ein Dithmarschen-Krimi
Autor

Niels Philippsen

Niels Philippsen, Jahrgang 1952, ist gebürtiger Flensburger und lebt seit 1983 in Lohe-Rickelshof im Kreis Dithmarschen. Sein erster Kriminalroman, "Kaffee und Mittwochspfeife", erschien 2005. Nach weiteren Büchern wandte er sich der Landschaft Dithmarschen als Hintergrund für seinen ersten regionalen Krimi, "Heiko racing" (2013), zu. In der Figur des Heiko Timmermann aus Wesselburener Deichhausen wird der jugendliche Ich-Erzähler mit dem Ermittler des klassischen Krimis kombiniert. 2014 folgte "Allmählich wird's heftig, Heiko," 2015 "Jetzt ist aber langsam mal gut, Heiko" und 2016 "Hahnemord". Mit "Einer geht noch, Heiko" lag 2020 der fünfte Band der Heiko-Reihe vor. 2021 erschien die fiktive Autobiographie "Nikolaus Friedrichsens Flensburger Erinnerungen", dann folgte 2022 mit "Nikolaus Friedrichsens Flensburger Studentenjahre" die Beschreibung von Nikolaus' Studienzeit an der Pädagogischen Hochschule Flensburg in den Jahren 1971 bis 1975.

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    Buchvorschau

    Allmählich wird's heftig, Heiko - Niels Philippsen

    Ihr werdet euch vielleicht fragen, was mich jetzt schon wieder umtreibt. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich euch etwas über diesen merkwürdigen Todesfall in Lohe-Rickelshof erzählt habe. Danach dachte ich eigentlich: So, Heiko, entspann dich erstmal, jetzt hast du deine Ruhe in jeder Hinsicht, lass mal alles auf dich zukommen. Konzentriere dich auf deinen Job bei der Zeitung, mach dir keinen Stress mit der Damenwelt und so weiter. Aber es ist dann doch wieder ganz anders gekommen.

    Für alle, die mich noch nicht kennen sollten, ein paar Infos im Schnelldurchlauf:

    Ich bin Heiko Timmermann aus Wesselburener Deichhausen, das liegt in der Nähe von Heide in Schleswig-Holstein. Also in der Nähe der Westküste oder besser gesagt der Nordseeküste. Büsum ist nicht weit von hier. Ich bin 19 Jahre alt und seit August Volontär beim Dithmarscher Landboten, der größten und eigentlich auch einzigen Zeitung in Dithmarschen. Meinen Job bei der Zeitung in Heide finde ich soweit ganz okay, aber ich werde mir später mal Gedanken machen müssen, wie es beruflich mit mir weitergehen soll. Wie gesagt, später.

    Ich wohne noch zu Hause in Wesselburener Deichhausen bei meinen Eltern und meinen Geschwistern Linda und Lasse. Linda ist 15, wird aber demnächst 16, sie ist also schon ein bisschen in meiner Altersklasse. Mein jüngerer Bruder Lasse ist erst 8, mit dem kann man noch nicht wirklich viel anfangen. Mein Vater ist Lohnunternehmer, das muss ich jetzt hoffentlich nicht genau erklären, sagen wir mal, wir haben eben so eine Firma mit einigen Landmaschinen, Lkws, Unimogs und so weiter. Mutter ist nicht nur Mutter, sondern mischt auch kräftig in der Firma mit.

    Es gibt auch so einen kleinen Haufen von Freunden, Bekannten und Kollegen von der Zeitung, die muss ich jetzt wohl nicht alle vorstellen, sie kommen im Laufe der Zeit schon von selber dran. Eventuell werde ich dann noch das eine oder andere Wort über sie sagen. Aber falls ihr Fragen habt oder es euch zu schnell geht, unterbrecht mich ruhig einmal.

    Ihr werdet auf jeden Fall merken, dass meine Geschichte eigentlich ganz entspannt und harmlos anfängt, aber später wird es dann sogar den einen oder anderen ziemlich fiesen Mord geben. Ja, ihr habt richtig gehört, Mord. Passt eigentlich gar nicht zu unserer Gegend. Manche meinen, in Dithmarschen könnte man nur vor Langeweile sterben, das halte ich aber für übertrieben. Kriminelle Sachen gibt es überall, sogar bei uns. In Gedanken habe ich auch schon einige Untaten verübt, sogar ein paar Morde im Affekt waren dabei. Aber, wie gesagt, nur in Gedanken.

    Ich bin an und für sich eher der harmlose Typ, der mit Gewalttätigkeiten nicht viel am Hut hat. Aber ich kann schon irgendwie nachvollziehen, dass es Situationen geben kann, in denen die Leute echt austicken und Dinge tun, die sie bei näherer Überlegung eigentlich gar nicht auf dem Zettel hatten. Ich glaube, das hat dann viel mit Gefühlen zu tun. Die beherrschen uns wohl manchmal mehr, als wir es wahrhaben wollen.

    Doch zurück zu meiner Geschichte. Wie bereits gesagt, es fängt ganz harmlos an.

    Wenn ich morgens zur Zeitung nach Heide fahre, nehme ich entweder den schon etwas älteren Polo oder das Fahrrad. Mit dem Rad dauert es natürlich erheblich länger, sagen wir mal deutlich mehr als eine halbe Stunde, aber auch noch nicht unbedingt eine ganze Stunde. Ich fahre dann seit einigen Wochen gerne über Lohe-Rickelshof und hole mir bei der Filiale von Bäcker Scharbau ein paar Brötchen.

    Der Grund ist – tatütata – es hat mich erwischt. Wie ich das jetzt meine? Ich habe mich schlicht und ergreifend in die Bäckerei-Fachverkäuferin verguckt, die da morgens hinter dem Tresen steht. Wie soll ich es euch erklären, sie ist einfach be-zau-bernd. Nicht ganz so groß, kurzes, schwarzes Haar, dunkle Augen und ein Lächeln, das mir durch und durch geht. Und eine angenehme Stimme, die sich durch meine Gehörgänge direkt in meine Hirnrinde hineinsäuselt. Wie alt sie ist, ist schwer zu sagen, so zwischen 20 und 25 vielleicht. Ich kaufe mir da also ab und zu meine Brötchen und himmele sie etwas an und versuche auch das eine oder andere unverbindliche Gespräch anzuknüpfen.

    Zum Beispiel, dass bei uns in Wesselburener Deichhausen das Internet ausgefallen war und ob es hier in Lohe auch so war.

    Das weiß ich nicht, ich wohne ja in Heide und um das Internet und so kümmert sich eher mein Mann.

    Peng. Aus.

    Muss sie denn auch noch verheiratet sein? In ihrem Alter, das müsste doch verboten werden.

    Jetzt bin ich also nicht nur verliebt, sondern auch noch unglücklich verliebt. Ich hätte es doch wissen können, warum habe ich nicht vorher bemerkt, dass ihr rechter Ringfinger von einem überdimensionalen Ehering geziert wird.

    Das sind so Momente, wo meine Phantasie gewalttätig wird: Ich bringe ihren Mann heimlich um und verscharre ihn stilvoll in einem Kohlfeld.

    Nein, tue ich natürlich nicht, ich bin ja eher der harmlose Heiko. Aber trotzdem muss ich einfach bei Scharbau weiter meine Brötchen holen und ihr dabei tief in die Augen schauen. Ich kann’s halt nicht lassen.

    Vielleicht liegt es ja daran, dass bei mir damenmäßig gerade nicht viel läuft.

    Immerhin bin ich jetzt ja keine männliche Jungfrau mehr. Vor kurzem, besser gesagt vor ein paar Monaten, war ich das noch. Für meine Entjungferung zuständig war Maja Schulzik, ebenfalls Volontärin beim Dithmarscher Landboten. Im Nachhinein könnte man es als One-Night-Stand betrachten, denn danach lief zwischen uns eigentlich nichts mehr. Jetzt sind wir so eher Freunde-bleiben-Freunde. Und sie ist auch so eine Art beste Freundin von meiner Schwester Linda geworden.

    Dann gab es noch Gwyneth aus Bad Hersfeld, schon fast zehn Jahre älter als ich, die hat sozusagen meine Entjungferung noch etwas verfeinert. Aber mit Gwyneth habe ich im Moment eher wenig Kontakt.

    Ich hatte gerade gesagt, dass zurzeit bei mir damen- bzw. mädchenmäßig nicht viel läuft. Auch das muss ich zumindest etwas relativieren. Ich habe, vielleicht sollte ich besser sagen wir haben, gerade Besuch von Bente Kristensen aus Dänemark. Studiert Kunstgeschichte an der Universität Aarhus, ist von uns ungefähr drei Autostunden entfernt. Bente ist ein paar Jahre älter als ich, vielleicht aber auch nur zwei oder drei Jahre. Ich habe sie noch gar nicht danach gefragt.

    Kurze Erklärung gewünscht, warum ich sie überhaupt kenne? Okay: Ich hatte sie in der Jugendherberge Bad Hersfeld kennengelernt, da hatte sie aus Versehen in meinem Zimmer übernachtet, es war übrigens nicht ihr oder mein Versehen, sondern das der Heimleitung. Es lag eben an ihrem Vornamen. Wir haben uns aber ganz nett unterhalten beim Frühstück und dann die Adressen ausgetauscht. Bente war auf Erkundungstrip nach interessanten Bauwerken in Deutschland unterwegs, und ich war ja in Bad Hersfeld auf den Spuren von einem gewissen Herrn Dau, sozusagen auf Recherche-Tour.

    Bente hat dann irgendwann mal eine Ansichtskarte geschrieben und später sogar einen Brief. Sie hätte ja auch gut mailen können, aber das erschien ihr wohl etwas unpassend. Sie hatte nämlich ein bestimmtes Anliegen.

    Ich erzähle das vielleicht mal ein bisschen ausführlicher, obwohl das auch noch zum eher harmlosen Anfang meiner Geschichte gehört.

    Meine Mutter war ja schon mal etwas überrascht von Bentes Ansichtskarte, sie hielt sie wohl zunächst auch für einen jungen Mann. Dabei ist der Vorname Bente in unserer Gegend gar nicht so selten, auf meiner Schule gab es jedenfalls mindestens zwei Bentes, oder sagt man Benten. Egal.

    Ich komme also an einem Abend Ende September nach Hause, mal wieder mit dem Fahrrad, und bin ziemlich durchnässt. Hätte heute Morgen die Regenhose anziehen sollen. Ich schüttele mich im Flur wie ein nasser Hund, beispielsweise Stromer, das ist unser Hofhund, der macht das auch immer so, wenn er zu viel Feuchtigkeit abgekriegt hat.

    Hello everybody!, rufe ich in die Weiten des Hauses hinein.

    Hallo Heiko, höre ich Mutter in der Küche. Mein Gott, wie siehst du denn aus, raus aus den nassen Klamotten, am besten hängst du gleich alles in der Waschküche zum Trocknen auf.

    Ich folge Mutters Anweisungen, beim Thema Wäsche versteht sie keinen Spaß. Mit trockenen Sachen wage ich mich dann wieder in die Küche, wo Mutter gerade an den Vorbereitungen zum Abendessen ist.

    Kleine Zwischenbemerkung: Wir sagen zu unseren Eltern Mutter und Vater, also nicht Mutti und Vati oder Mum und Dad, schon gar nicht die Vornamen. Das würde ich auch echt seltsam finden.

    Hier, Heiko, da ist noch heißer Kaffee da.

    Ich setze mich und gieße mir einen wunderbar aromatisch riechenden Kaffee in meinen Lieblingsbecher.

    Ah, das tut gut!, lasse ich hören.

    Die Kommunikation wird etwas durch das Frikadellen-Bratgeräusch erschwert, das gerade um sich greift. Lecker.

    Da ist Post für dich, sagt sie, liegt auf dem Wohnzimmertisch.

    Post? Interessant. Sicher weiß Mutter auch schon, von wem. Ich trinke noch einen Schluck Kaffee und hole dann meinen Brief. Ich setze mich wieder an den Küchentisch und widme den Teelöffel in einen Brieföffner um. Der Brief ist aus Dänemark, von Bente Kristensen. Der Umschlag ist mit der Hand geschrieben, der Brief selber, bis auf die Unterschrift natürlich, mit dem Rechner getippt.

    Ich lese:

    Hej, Heiko,

    ich hoffe, du kannst dich noch an mich erinnern. Ich bin gerade wieder zu Hause angekommen, aber ich habe noch etwas Zeit, bis das nächste Semester anfängt. Ich würde aber gerne noch ein paar Kirchen und andere Bauwerke in Schleswig-Holstein und besonders in Dithmarschen besichtigen. Ich hoffe, du findest meine Bitte nicht aufdringlich: Wenn deine Familie die Möglichkeit hat, mich für ein paar Tage unterzubringen, wäre es sehr nett. Ich würde dann mit dem Auto von meinem Vater kommen. Du kannst mir gerne mailen, wenn es geht. Ich bin natürlich nicht böse, wenn es nicht geht.

    Viele Grüße von Bente

    P.S.: bente.kristensen@jubii.dk

    Nebenbei bemerkt, ich habe innerlich ein paar Rechtschreibfehler verbessert. Außerdem haben die Dänen ja kein ä oder ö oder ü, da hat Bente dann einfach ae oder oe oder ue genommen. Wie gesagt, nur nebenbei bemerkt. Ich höre aber ihre Stimme mit diesem unnachahmlichen Akzent. Das hat schon was.

    Diese News muss ich erst einmal verdauen. Ich brauche aber nur eine Kurzverdauung, denn mein Inneres sagt: Super, die Bente ist wirklich sehr nett und hübsch ist sie auch noch. Ich würde mich schon freuen, wenn es klappt.

    Ich erzähle meiner frikadellenwendenden Mutter vom Inhalt des Briefes.

    Nichts dagegen, Heiko. Vater ist bestimmt auch einverstanden. Schreib‘ ihr mal, dass sie natürlich gern bei uns willkommen ist. Aber wo soll sie schlafen? Bei dir?

    Äh, Mutter, wir haben doch das Gästezimmer…

    Gästezimmer? Ach so, du meinst das Bügelzimmer. Naja, das wird man wohl dann ein bisschen herrichten müssen. Onkel Norbert fand es ja ganz bequem und es ist ja sogar ein Fernseher drin.

    Ja, prima, sage ich, ich werde das Zimmer dann ein bisschen in Ordnung bringen, wenn es so weit ist.

    Mutter nickt meine Bemerkung ab. Übrigens ist es bei uns zu Hause so, dass jeder im Haushalt mit anpacken muss. Darauf sind wir trainiert.

    Abendbrot im Hause Timmermann. Es gibt häufig abends etwas Warmes, weil Vater den ganzen Tag unterwegs ist, irgendwo auf den Feldern in 50 Kilometer Umkreis.

    Alle an Bord: Mutter, Vater, Heiko, Linda, Lasse. Frikadellen, Kartoffeln, gemischtes Gemüse. Vater trinkt ein Dithmarscher Pils aus der Flasche, ich genehmige mir auch eins.

    Ich verkünde der anwesenden Familie den bevorstehenden Bente-Besuch. Dabei muss ich noch etwas Aufklärungsarbeit leisten, warum, wieso, weshalb und unter welchen Umständen ich Bente überhaupt kenne.

    Linda beobachtet mein gesamtes Verhältnis zum weiblichen Geschlecht allgemein mit einer gewissen schwesterlichen Skepsis. Sie geht davon aus, dass ich nur das Eine im Sinn habe. Stimmt meistens auch, aber sie ist da auch nicht anders.

    Was macht Mathe?, frage ich sie mit leicht provozierendem Unterton. Ach, geht so, will sie das Thema erledigen.

    Erklärung: Linda hat seit ein paar Wochen Mathe-Nachhilfe von einem Klassenkameraden. So einem richtigen Mathe-Nerd. Ich habe den nicht ganz unberechtigten Eindruck, dass sie ihm in gewisser Hinsicht auch etwas Nachhilfe erteilt. Nach Mathe auf die Matte sozusagen. Aber, wie gesagt, das ist nur mein Eindruck.

    Linda ist nicht so ganz zurückhaltend, wenn es um Jungs geht, man könnte sie zuweilen schon fast als läufig bezeichnen. Vielleicht könnte ich es aber auch etwas freundlicher ausdrücken: Linda verpasst ungern sich bietende Chancen.

    Was gibt’s Neues bei der Zeitung?, meldet sich Vater zu Wort.

    Ach, sage ich, eigentlich reine Routinearbeiten. Ich bin im Moment häufiger mal mit Rolf Teichgraeber unterwegs auf Recherche. Nichts wirklich Interessantes, meistens Lokalpolitik oder irgendwelche Vereine.

    Und die Schule so?, führt Vater seinen Familien-Erkundungs-Rundschlag eher in Richtung Linda und Lasse fort.

    Lasse ergreift demonstrativ seinen Milchbecher, damit er jetzt nicht antworten muss.

    Linda springt für ihn ein: Alles okay so weit. Wir schreiben vielleicht vor den Ferien noch Deutsch.

    Aufsatz?

    Nee, eher so Textarbeit mit vielen verschiedenen Aufgaben. Da muss man immer ganz genau lesen und dann dauernd hin- und herblättern. Kann einen ganz schön verrückt machen.

    Und Mathe?, frage ich nochmals scheinheilig.

    Linda gibt mir einen Tritt unterm Tisch und antwortet nicht.

    Zum Glück ist der Verhör-Teil des Abendbrots beendet, die Eltern unterhalten sich über irgendeine Geburtstagseinladung und was man denn schenken soll.

    Dann Mutters Schlusswort: Habt ihr eure Sachen gepackt?

    Ich brauche mich ja nicht mehr angesprochen zu fühlen. Bin ja sozusagen der dritte Erwachsene im Hause Timmermann.

    Linda und ich helfen in der Küche, Lasse muss noch mal seine Hausaufgabe sauber abschreiben, Vater zieht sich in Richtung Tagesschau und Wetterkarte in seinen Lieblingssessel zurück.

    Die Küche ist aufgeräumt, die Handtücher sind aufgehängt. Der Feierabend im Hause Timmermann ist offiziell eingeläutet.

    Ich verziehe mich nach oben und lasse den Rechner warmlaufen. E-Mail an Bente, dass es okay ist und wann sie kommen möchte und ob es etwas Besonderes zu beachten gibt, zum Beispiel ob sie vielleicht Vegetarierin ist oder Vampir und ob sie möglicherweise irgendeine Allergie gegen Mäuse oder sonstwas hat.

    Dann schreibe ich noch, dass ich leider kein Dänisch kann, ich hätte aber den Eindruck, dass sie sehr gut Deutsch spricht. Außerdem könnte sie mir, wenn sie hier ist, ja auch etwas Dänisch beibringen. So etwas kann ja nie schaden.

    Ich kürze jetzt mal etwas ab:

    Am nächsten Abend checke ich meine Mails, und da ist auch schon die Antwort von Bente. Sie würde gern am Samstag bei uns eintreffen und dann so ungefähr eine Woche bleiben, möglicherweise etwas länger. Und wir sollten sie so als eine Art Austauschschülerin betrachten. Nein, sie sei keine Vegetarierin oder dergleichen.

    Ich hole mir das Okay von Mutter und maile dann wieder zurück, dass sie gern Samstag kommen kann, für eine Woche oder länger, das wäre schon in Ordnung.

    Um es noch kürzer zu machen:

    Jetzt ist Bente also da, heute ist Samstag, der erste Oktober, falls ihr das genau wissen möchtet. Ich hatte ja mal ursprünglich auf dem Zettel, Gwyneth über das erste Oktober-Wochenende in Bad Hersfeld zu besuchen, aber das habe ich wegen Bente sausen lassen. Es war aber auch nicht voll durchgeplant, damit will ich nur sagen, dass Gwyneth mich auch gar nicht erwartet hätte.

    Damit genug an Gwyneth gedacht. Bente Kristensen aus Aarhus ist im Hause Timmermann, Wesselburener Deichhausen, anwesend. Und ich muss schon sagen: Toll.

    Groß und schlank, ein gewaltiger Haufen langes, blondes Haar, Augen von einem Blau, das man vielleicht als Meerblau bezeichnen könnte. Nur ihre Zähne sind ein kleines bisschen zu groß. So, als ob sie immer etwas zum Knabbern haben müsste. Aber das ist nur das fehlende i-Tüpfelchen ihrer ansonsten makellosen Erscheinung.

    Was das Wichtigste ist: Sie ist super-nett und man kommt gut mit ihr klar. Bente hat innerhalb kürzester Zeit die Herzen der gesamten Familie Timmermann erobert. Auch Vater Timmermanns, obwohl der bei Dänen immer etwas skeptisch ist.

    Aus historischen Gründen: 1559 haben sie unsere Dithmarscher Unabhängigkeit auf etwas uncharmante Weise beendet.

    Wie ich vielleicht schon mal erwähnt habe, Vater ist Hobby-Historiker, vor allem beschäftigt er sich gerne mit der Geschichte des Timmermann-Clans.

    Bente ist mit dem Auto gekommen. Sie betont aber, dass es nicht ihr Fahrzeug ist, sondern das Hobby-Auto von ihrem Vater.

    Das Auto ist schon cool und erntet auch bewundernde Blicke von Vater. Es ist ein Saab 96, Baujahr 1980. Weiß lackiert, sehr gut gepflegt. Am liebsten hätte mein Vater noch ein schwarzes Nummernschild gehabt, aber dafür ist das Auto leider nicht alt genug, kommentiert Bente.

    Wie kommt es, dass du so gut Deutsch sprichst?, frage ich.

    Ach, meint sie, ich habe es in der Schule gelernt und dann war ich noch für ein Semester in Köln. Das war zu Anfang ganz schön schwer, bis ich mitgekriegt hatte, dass manche Leute auch Dialekt sprechen.

    Wir bringen Bentes Sachen im umgewidmeten Bügelzimmer unter. Ich habe es vorher aufgeräumt und versucht, es etwas gemütlich zu gestalten.

    Prima, Heiko, sagt Bente, das ist ja richtig hyggelig hier.

    Es gibt Abendbrot, aber vorher verteilt Bente noch ein paar Gastgeschenke, zum Beispiel einen Bildband über Aarhus für die Eltern und ein paar Süßigkeiten für Linda und Lasse. Mir überreicht sie eine kleine Holzkiste mit sechs verschiedenen dänischen Bierflaschen, unter anderem von Carlsberg, Tuborg und Ceres.

    Freundliche Gespräche beim Abendbrot, Vater schenkt Dithmarscher Pils aus. Bente lässt ein paar weitere Eckdaten von sich hören: Sie ist 22, sie wohnt mit zwei anderen Studentinnen in einer Wohngemeinschaft in Aarhus, ihre Eltern leben in Horsens, das ist gar nicht so weit von Aarhus.

    Sie sagt ohne Scheu du und ihr zu meinen Eltern, aber ich habe mal gehört, dass das in Dänemark so üblich ist. Da sagen alle du zueinander, nur die Königin wird noch gesiezt. Meine Eltern sind nach einer Schrecksekunde sofort bereit, ihre Vornamen zu offenbaren: Heinrich und Erika.

    Bente plaudert weiterhin frei von der Leber weg drauflos und berichtet ihr Vorhaben bei uns in einigen näheren Bestandteilen. Sie möchte einige Kirchen und andere historische Bauwerke besuchen, fotografieren und sich ein paar Einzelheiten notieren für irgendeine Semesterarbeit. Dabei hat sie nicht nur Dithmarschen im Auge, sondern sie möchte unter anderem auch mal nach Lübeck rüberfahren und nach Schleswig.

    Was gibt es denn bei uns in Dithmarschen so Interessantes, Bente?, fragt Mutter.

    Zum Beispiel eure Kirche in Wesselburen, die ist schon ungewöhnlich. Ursprünglich gotisch, dann aber im Barock-Stil wiederaufgebaut. Da würde ich schon gerne erfahren, wo man noch die gotischen Elemente finden kann. Oder der, wie sagt ihr, Meldorfer Dom. Ich weiß, das ist nicht wirklich ein Dom, aber schon eine sehr große Kirche.

    Aha, Bente ist bereits voll informiert und gut vorbereitet.

    Ich weiß nicht, ob ihr das jetzt verstehen werdet, aber ich fühle mich im Moment nicht wirklich wohl in meiner Haut. Vielleicht habe ich etwas zu viel von Bentes Auftauchen erwartet. So in etwa, dass es klick und boing macht beim Wiedersehen oder dass ich total aufgeregt bin. Ist aber nicht so. Während die anderen sich abendbrotlich weiter gut unterhalten und allgemein gute Stimmung in der Luft liegt, meldet sich kurz mein innerer Psychotherapeut, Dr. Timmermann, bei mir.

    Heiko, Sie wirken etwas bedrückt. Mir scheint, Sie haben etwas auf dem Herzen.

    Ja, das kann schon sein, Herr Dr. Timmermann. Wissen Sie, dieser Besuch von Bente Kristensen, irgendwie läuft das ganz anders ab, als ich es mir vorgestellt habe.

    Ich ahne es, Heiko. Sie möchten in Ihr weibliches Zielobjekt verliebt sein, sind es aber nicht. Keine Sorge, das ist ganz normal. Gefühle kann man nicht erzwingen. Außerdem trauern Sie Ihrer Bäckerin noch nach.

    Das muss ich leider zugeben, Herr Dr. Timmermann.

    Sehen Sie? Und im Bäckerei-Fall hat Ihre Vernunft über Ihre Gefühle gesiegt. Doch nun will Ihre Vernunft neue Gefühle hervorbringen, so funktioniert das aber nicht.

    Was soll ich tun?

    Gestehen Sie sich ein, dass Ihr Verhältnis zu Bente nichts mit Liebe zu tun hat. Bleiben Sie locker, machen Sie sich nicht so viele Gedanken. Lassen Sie sich vom Leben überraschen. Ansonsten empfehle ich Ihnen heute Abend noch zwei bis drei Dithmarscher Pils, das dürfte Sie etwas entspannen. Das wär’s für heute, Heiko, wir sehen uns dann bei Bedarf wieder.

    Ja, vielen Dank, Herr Dr. Timmermann.

    Die innere Auszeit hat mir gutgetan und mich sogar etwas beflügelt. Ich beteilige mich wieder am Gespräch und kläre Bente ein wenig über Wesselburener Deichhausen und Umgebung auf, flankiert von Vaters eher historischen Einwürfen.

    Nach dem Abendessen gehen Linda und ich noch eine Runde mit Bente durchs Dorf. Stromer ist dabei, er ist hocherfreut, denn so häufig wird er nicht ausgeführt. Die Stimmung ist gut, wir laufen und laufen und merken kaum, dass wir uns schon auf halbem Weg nach Reinsbüttel befinden. Wenn schon, dann können wir ja auch gleich weiter gehen. Allgemeiner unausgesprochener Entschluss: Wir kehren erst in Reinsbüttel wieder um.

    Falls das einer ganz genau nachmessen will, kann er sich ja mal die Kreiskarte von Dithmarschen vornehmen.

    Wir kommen am Haus von Maren Reimers vorbei, die war vor gar nicht allzu langer Zeit meine Freundin, obwohl sie erst 14 war und ich gut und gerne fünf Jahre älter. Solche Sachen gibt es halt, nicht nur auf dem Lande. Ich habe mal gelesen, dass der amerikanische Sänger Jerry Lee Lewis mit seiner dreizehnjährigen Kusine verheiratet gewesen sein soll. Ganz so weit ist es mit Maren und mir nicht gekommen, genauer gesagt, es kam ja nicht einmal annähernd so weit. Aber das ist eine andere Geschichte.

    In Höhe Gasthof Leesch kehren wir wieder um, unser Bier können wir ja auch zu Hause trinken.

    Da wir uns die ganze Zeit über so gut unterhalten, merken wir gar nicht, wie die Kilometer unter unseren Füßen dahingehen. Linda möchte von Bente gern jede Einzelheit aus der Studentinnen-Wohngemeinschaft erfahren, als ob es eine Doku-Soap wäre. Völlig freies Leben ohne elterliche Kontrolle, das könnte Linda wohl so passen. Allerdings lässt sie sich von den Eltern auch nicht wirklich viel sagen, sie ist da schon sehr selbstbewusst. Selbstbewusster als ich es mit 15 Jahren war. Aber als Zweitgeborene hat man es natürlich auch etwas leichter.

    Wir kommen schließlich wieder zu Hause an, es ist ein bisschen spät geworden, schon lange dunkel. Vater und Mutter genießen gerade Verstehen Sie Spaß? im Ersten. Es gibt zu ihrem Leidwesen heute leider keine Volksmusik-Sendung. Peinlich, aber wahr: Meine Eltern stehen auf sowas.

    Übrigens hat Bente erzählt, dass Hansi Hinterseer erstaunlicherweise in Dänemark sehr erfolgreich ist. Er sei sogar auf Platz eins der Album-Charts. Ausgerechnet in Bentes Heimatstadt Horsens gibt er im Dezember ein Konzert. Bentes Schilderung entnehme ich, dass sie nicht unbedingt zu seinen Fans gehört.

    Wir verzichten also auf den Spaß im Ersten und ziehen uns mit einigen Fläschchen Dithmarscher Pils in mein Zimmer zurück, wo wir bei guter Mucke von meinem Rechner noch ziemlich lange sitzen und quatschen.

    Ich habe ja beschlossen, mich nicht krampfhaft in Bente zu verlieben und versuche ihre Gegenwart eher vom lockeren Standpunkt her zu genießen.

    Am Sonntag und Montag (3. Oktober, Tag der Deutschen Einheit) machen wir noch ein paar Ausflüge mit Bente in die nähere Umgebung und zum Beispiel auch nach Heide. Ich will das jetzt nicht alles im Einzelnen erzählen, das würde euch wahrscheinlich eher langweilen.

    Ich höre schon die ersten Beschwerden: Heiko, wann geht das denn nun richtig los?

    Nur noch eine kleine Randbemerkung: Ein paar Fahrten machen wir mit Vaters altem Unimog, der gut und gerne 50 Jahre alt ist. Natürlich ist man dann nicht so schnell, aber man hat einen guten Überblick und bekommt ziemlich viel von der Gegend mit.

    Resümee: Es bringt Spaß mit Bente, aber ich habe auch nichts dagegen, dass das Alltagsleben wieder anfängt.

    Verlängertes Wochenende beendet.

    Dienstagmorgen in der Redaktion des Dithmarscher Landboten in Heide, Wulf-Isebrand-Platz.

    Ich breite mich an meinem Schreibtisch aus und verschaffe mir einen ersten Überblick über die anwesenden Kolleginnen und Kollegen. Herr Callsen, Herr Fuchs und Herr Harder sind schon heftig am Arbeiten und haben mein Guten Morgen allerseits kaum wahrgenommen. Frau Brüggmann, die kuschelig-muttimäßige, hat mir gerade eine neckische Kusshand zugeworfen. Sie steht irgendwie auf mich, aber ich könnte ihr Sohn oder sogar ihr Enkel sein, wenn sie früh angefangen hätte.

    Annika Piwek, die Miss Landbote mit der Fielmann-Brille, hat mich dagegen wieder gekonnt ignoriert. Wahrscheinlich hat sie ihre Tage. Rolf Teichgraeber, knapp über 30 und mir vom Fußballverein bekannt, kommt gerade herein. Wenigstens ein Lichtblick, von Frau Brüggmann einmal abgesehen.

    Moin, Heiko. Schönes Wochenende gehabt?

    Ja, Rolf, war prima. Wir haben gerade Besuch aus Dänemark.

    Dänemark?

    Ja.

    Ich habe nicht den Eindruck, dass ihn das besonders interessiert. Wahrscheinlich kommt jetzt ein ganz anderes Thema. Eventuell hat er sich auch mal wieder was Neues für mich ausgedacht.

    Stimmt, denn er sagt:

    Heiko, verstehst du was von der Steinzeit?

    Rolling Stones?, versuche ich scherzhaft einzuwerfen.

    Er ignoriert meinen Einwurf. War wahrscheinlich sowieso nur eine rhetorische Frage.

    Es geht um das AÖZA, doziert Rolf.

    A-Ötza?

    A, Ö, Z, A, buchstabiert Rolf. Archäologisch-Ökologisches Zentrum Albersdorf. Nennt sich aber auch Steinzeitpark Dithmarschen.

    AÖZA klingt irgendwie wie eine Sekte, finde ich. Das sage ich aber nicht laut. Ich nicke nur und lasse Rolf weiterreden:

    Beim AÖZA gibt es am nächsten Samstag so eine besondere Veranstaltung. Hat was mit Experimenten und Archäologie zu tun. Soll ganz interessant werden, sind auch Leute von der Kieler Uni dabei.

    Du bist dazu ausersehen worden, dahin zu fahren und darüber zu berichten. Kann eventuell eine Sonderseite werden. Du kriegst das schon hin.

    Aha, jetzt soll ich mich wohl freuen. Gut, tu ich auch teilweise. Ich finde das ja ganz schön, dass die Zeitung mir diese Sonderberichterstattung schon zutraut. Aber ausgerechnet Samstag. Na, ich muss wohl in den sauren Apfel beißen.

    Rolf scheint meine Gedankengänge irgendwie an meinem Gesichtsausdruck ablesen zu können.

    Ist zwar ‘ne Wochenend-Sache, aber dafür hast du ansonsten diese Woche freie Hand. Also, du kannst dich in aller Ruhe darauf vorbereiten, Heiko. Wie man das macht, das weißt du ja, du hast ja auch ganz erfolgreich mit dieser Serie über unsere Dörfer angefangen.

    Rolf weiß schon, wie man Leute motiviert. Wahrscheinlich hat er einen entsprechenden Lehrgang besucht.

    Ist eingeloggt, sage ich.

    Okay, heute ist Dienstag, da habe ich wirklich noch jede Menge Zeit zum Vorbereiten. Aber es ist wohl besser, ich fange sofort an, dann komme ich zum Schluss nicht in Stress und kann dann vielleicht doch noch den Freitag als freien Tag betrachten.

    Ich beginne meine Recherche. Keine Angst, ich werde euch jetzt nicht akribisch und in Echtzeit berichten, wie ich dabei vorgehe. Vielleicht nur am Anfang ein bisschen ausführlicher und den Rest dann nur als Ergebnis, wenn ihr damit leben könnt.

    Heiko, Alter, frage ich mich selbst, was weißt du von der Steinzeit?

    Ich antworte mir höflich, aber reichlich schimmerlos:

    Lieber Heiko, so viel weiß ich nicht darüber. Das ist wohl die Zeit, als die Menschen nur Werkzeuge aus Stein benutzten, also Faustkeile und solche Sachen. Es gab wohl auch Steinäxte, Feuersteine zum Feuermachen und so weiter. Aber das war wohl alles ziemlich unkomfortabel. Heute hat man das schon leichter, da geht man einfach zum Baumarkt.

    Fred Feuerstein fällt mir noch ein und dann noch, dass viele Leute glauben, dass es zu Zeiten der ersten Menschen noch Dinosaurier gab, was aber ein völliger Blödsinn ist.

    Lieber Heiko, sage ich mir, gib’s zu, du hast eigentlich gar keine Ahnung.

    Ich forsche im Internet auf meinen Lieblingsseiten (Wikipedia und so weiter) und bekomme ganz allmählich ein etwas klareres Bild:

    Der Mensch ist ein höheres Säugetier und gehört zur Unterordnung der Trockennasenaffen. Und wozu braucht man dann Taschentücher? Egal, weiter: Fossilien von Menschen sollen angeblich über 200.000 Jahre alt sein.

    Irgendwo anders habe ich mal gelesen, dass es den Menschen sogar schon seit einer Million Jahren gibt. Hängt wahrscheinlich davon ab, wie man Mensch definiert.

    Ab wann ist man kein Affe mehr und schon Mensch? Bei manchen Zeitgenossen sind die Grenzen wohl eher fließend. Okay, darauf scheint es keine wirkliche Antwort zu geben.

    Aber was ist nun mit der Steinzeit? Ich vermute mal, das ist die ganze Zeit vom ersten offiziellen Menschen an bis zu dem Zeitpunkt, wo man was Besseres entdeckt hat als Steine.

    Schauen wir mal: Hier steht, dass die Steinzeit vor 2,6 Millionen Jahren anfing, aha, dann muss es wohl auch schon Menschen gegeben haben oder so etwas Ähnliches.

    Ungefähr 7000 v. Chr. endete die Steinzeit, als die Menschen begannen, Werkzeuge aus Metall herzustellen.

    Es gab aber regionale Unterschiede. Gut, das erklärt wohl auch, dass es noch irgendwo auf der Welt versteckte Völkchen gibt, die noch mit Steinäxten hantieren, während die übrige Welt ihr Werkzeug im Internet bestellt.

    Also, Heiko, sage ich mir, diese Steinzeit ist schon eine verdammt lange Zeit gewesen. Aber die Leute waren schon damals nicht blöd, die wussten sich schon zu helfen. Die haben eben alles als Werkzeug benutzt, was so herumlag. Also jede Menge Steine in allen erdenklichen Größen.

    Ich stelle mir gerade vor, dass ich irgendwo auf einer einsamen Insel ausgesetzt werde, also nicht gerade Mallorca oder Sylt. Lieber Herr Timmermann, wir kommen dann in zwei Monaten und holen Sie wieder ab oder das, was noch von Ihnen übriggeblieben ist. Kein Handy, kein Feuerzeug, kein Schlafsack, keine Konservendosen. Kommt natürlich auf die Insel an und die Jahreszeit.

    Ich würde mir dann schon eine eher tropische Insel wünschen, damit ich nicht so friere. Aber dann wäre ich schon auf der gleichen Kulturstufe wie so ein Steinzeit-Heiko. Und der hätte mir bestimmt einiges an praktischem Wissen voraus. Der wüsste schon, mit welchen Steinen man Feuer schlagen kann oder wie man sich Waffen für die Jagd zusammenbaut. Respekt.

    Ich google dann mal nach dem AÖZA: Google, google, da ist es schon: Neues im Steinzeitpark ist die Überschrift der Seite. Dienstag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr geöffnet, Eintritt vier Euro. Geht ja noch. Es gibt auch Führungen und jede Menge Projekte und Rallyes und so weiter. Man kann dort auch Kindergeburtstage feiern. Vielleicht mit einer Steinofen-Pizza.

    Ich könnte da ja meinen 20. Geburtstag begehen.

    Es ist mehrfach von Jungsteinzeit die Rede. Ich lese nach, dass die Menschen vor ungefähr 12.000 Jahren begannen, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben und sich niederzulassen. Aber eher so im Nahen Osten, von Dithmarschen ist noch nicht die Rede.

    Vielleicht waren wir ja auch noch komplett von Eis bedeckt? Da muss ich noch mal nachschauen, wann war denn die letzte Eiszeit?

    Da haben wir’s: Vor etwa 12.000 Jahren endete die letzte Vergletscherungsphase. Pünktlich zur Einweihung der ersten bäuerlichen Betriebe. Da wird es bei uns in Dithmarschen wohl nicht so arg viele Menschen gegeben haben.

    Beim Thema Eiszeit wird mir immer kälter und ich hole mir erst einmal einen heißen Kaffee. Dann muss ich mir nochmals eingestehen, dass ich im Prinzip nur wenig Ahnung von unserer Vor- und Frühgeschichte habe und dass mich das gesamte Wissen über die Historie, das mir vom Flachbildschirm her entgegenschlägt, ziemlich fertigmacht.

    Während ich meinen Kaffee genieße, beschließe ich, mich nicht weiter fachwissenschaftlich zutexten zu lassen, sondern den Rechner herunterzufahren, mir ein paar einfache Fragen zu notieren und dann mal selbst zum AÖZA hinauszufahren.

    Heute bin ich mit dem Polo da, ist also kein Problem. Man kann übrigens auch mit der Bahn von Heide nach Albersdorf fahren, falls es jemanden interessiert. Und mit dem Bus natürlich auch, falls man das lieber mag.

    Nanu, wo ist Rolf denn, eben war er doch noch da. Jetzt ist er jedenfalls wie vom Erdboden verschluckt. Ich gehe rüber zu Frau Brüggmann und sage ihr, dass ich noch nach Albersdorf fahren will und dass ich vermutlich heute nicht mehr in die Redaktion zurückkehren werde.

    Ist in Ordnung, Heiko, ich sag‘ Herrn Teichgraeber dann Bescheid.

    Ich greife mir meine Sachen, nehme vorsichtshalber noch das Diktiergerät und die Kamera mit, auf geht’s.

    Auf dem Flur treffe ich Maja.

    Maja, die kleine Dunkelhaarige von der Gelehrtenschule Meldorf.

    Geschätzte Größe: 1,70 m, geschätztes Gewicht 66 kg, etwas näher am Normalgewicht als am Idealgewicht.

    Hier und da ein paar angenehme Rundungen, sie hat übrigens braune Augen.

    Ihr erinnert euch vielleicht, sie ist die andere Volontärin beim Dithmarscher Landboten und war vor gar nicht allzu langer Zeit für meine Entjungferung zuständig. Aber, wie schon erwähnt, wir sind jetzt eher Freunde-bleiben-Freunde.

    Hallo Heiko.

    Hallo Maja, auch unterwegs?

    Ja, ich soll mal rüber zur Volkshochschule. Recherche für einen kleinen Artikel. Was da so angeboten wird, wer die Angebote wahrnimmt und so weiter. Besondere Lust habe ich nicht gerade darauf.

    Wir gehen die Treppe herunter.

    Noch Zeit für einen kleinen Kaffee?, frage ich.

    Ja, klar.

    Meine Lust auf Albersdorf hält sich auch noch etwas in Grenzen. Außerdem ist es erst zehn Uhr, die machen ja erst um elf auf. Also Zeit genug für einen kleinen Kaffee und ein Schwätzchen.

    Wir holen uns unseren Kaffee bei der Back-Factory und klemmen uns in eine Ecke.

    Lange nicht gesehen, eröffne ich das Gespräch.

    So ganz stimmt das ja nicht. Maja war erst letzte Woche bei uns. Aber eher als Besuch für Linda. Seltsamerweise sind die beiden ziemlich gut befreundet, müssen wohl irgendwie auf einer Wellenlänge funken.

    Und was hast du so vor?, fragt Maja.

    Ich soll raus nach Albersdorf zum AÖZA.

    Das sagt mir schon was, Heiko. Was sollst du denn da machen?

    Vorbereitungen für einen Artikel. Ich soll da am Samstag zu so einer besonderen Veranstaltung hin, aber was es genau ist, weiß ich eigentlich auch noch nicht.

    Maja schaut aus dem Fenster auf die Friedrichstraße und scheint dabei meine Informationen abzuspeichern.

    Übrigens haben wir gerade Besuch aus Dänemark, sage ich.

    Ich habe wir gesagt, nicht ich.

    Dänemark?

    Ja, Bente Kristensen aus Aarhus. Die studiert Kunstgeschichte und will sich eine Woche lang in Dithmarschen umsehen. Aber wohl nicht nur Dithmarschen.

    Da Maja ja nicht wirklich meine Freundin ist oder mit mir geht oder wie man das sonst ausdrücken könnte, erzähle ich ihr, wie ich Bente kennengelernt habe. Auf meiner Recherche-Tour vor ein paar Monaten in Bad Hersfeld. Ich lasse aber auch vorsichtig durchblicken, dass ich nichts mit ihr habe, sonst könnte Maja vielleicht doch eifersüchtig werden. Man weiß ja nie. Und man soll sich ja alle Türen offenhalten. Du wirst sie ja noch sehen, wenn du mal wieder vorbeikommst, lasse ich verlauten.

    Maja kommt tatsächlich ab und zu bei uns vorbei. Das heißt natürlich nicht nur vorbei, sondern direkt zu uns.

    Ihre Besuche gelten dann dem, der gerade an

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