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PLACEBO: Charme und Horror der Lügen: Übersetzt von Edis Ðerlek & Bisera Boskailo
PLACEBO: Charme und Horror der Lügen: Übersetzt von Edis Ðerlek & Bisera Boskailo
PLACEBO: Charme und Horror der Lügen: Übersetzt von Edis Ðerlek & Bisera Boskailo
eBook121 Seiten1 Stunde

PLACEBO: Charme und Horror der Lügen: Übersetzt von Edis Ðerlek & Bisera Boskailo

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Über dieses E-Book

»Placebo - Charme und Horror der Lügen« ist ein Roman voller Satire und Grotesken und gleichzeitig das bekannteste Werk von Sead Mahmutefendić, das nunmehr von Edis Ðerlek und Bisera Boskailo ins Deutsche übersetzt wurde. Der Roman ist nicht nur interessant sondern auch umstritten und provokativ. Es ist ein Roman über den Charakter des Gojko R., dessen Meta-Fiktion und Pseudo-Realität mit einem Rhythmus, einer Dynamik und einer raffinierten Umgebung die Leser in Bann nimmt. In seiner Frustration und mit dem Gefühl der Einsamkeit und ständigen rebellischen Unterdrückung findet Gojko R. Zuflucht in fantastische und surreale Geschichten und Monologe über seine erfundenen Errungenschaften. Er formt eine Vision der Realität neu, die das Bild seines Lebens und Charakters schärft. Die Grundfrage des Romans könnte lauten: »Ist nicht unser mehrdimensionales, lautstarkes Lachen das eigentliche Allheilmittel für unermesslichen Erfolg und Überlebensmöglichkeiten in unserem System?«
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum17. Dez. 2019
ISBN9783961458448
PLACEBO: Charme und Horror der Lügen: Übersetzt von Edis Ðerlek & Bisera Boskailo

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    Buchvorschau

    PLACEBO - Sead Mahmutefendić

    Mahmutefendić

    1.

    Jugend

    1.Der Boxer

    Bei Gojko wusste man nie, ob er schauspielerte, bluffte oder ob er nur ein Verrückter war. Was war er nicht alles? Einfach ausgedrückt: er war weltweit der Beste, und daher nannte man ihn auch „Der Allerbeste"! Als er gerade seine Boxerphase hatte, konnte man ihn tagsüber in Konjic fast nie sehen, und am Abend, wenn viele Leute am Bürgersteig und auf der Hauptstraße spazieren gingen, tauchte er aus irgendeiner Richtung auf: Am häufigsten aber aus Richtung des Bahnhofs, was bedeuten sollte, dass er gerade aus einem Zug gestiegen war. Aus welchem? Aus dem von Sarajevo oder Mostar? Das hätte selbst der liebe Gott nicht sagen können.

    Die erste Frage, die man ihm dann stellte, war, ob er gerade aus dem Süden kam, also aus Mostar, Jablanica, Čapljina, vielleicht auch aus Stolac oder Dubrovnik. So konnte er dann den ersten neugierigen Seelen auf die Frage, wo er den ganzen Tag gewesen war, auch antworten - selbstverständlich nur dann, wenn er es für besser hielt, dass er gerade aus Sarajevo, Zenica oder Doboj gekommen war. Wenn aber die wahrscheinlichere Frage kam, weshalb sein Kinn und sein Gesicht mit Pflastern übersät waren, würde er überrascht den Finger nach einem detailliert geplanten Szenario auf das erste Pflaster legen, als ob er es schon vergessen hätte, und erst dann, genau dann, würde er sich daran erinnern, dass er sich am Nachmittag in einer großen Schlägerei am Bahnhof in Sarajevo oder Mostar befunden hätte, und in dieser Schlägerei, ja in dieser Massenprügelei, hatte ihn jemand mit dem Fingernagel im Gesicht erwischt wie ein Kätzchen mit der kleinen Pfote. Er hätte die zehn Leute um ihn herum nicht kontrollieren können, und dieses kleine Kätzchen wäre irgendwie hinter ihm hervorgekommen. Das hatte ihn so in Rage versetzt, dass er dem berühmten Drago Maca, der vor ihn stand und sich darauf vorbereitete, ihn in den Himmel zu schicken, so dermaßen aufs Maul gehauen hätte, dass ihn dessen eigene Mutter nicht erkennen würde. „Ich glaube, so er, „ich habe ihn an Ort und Stelle getötet und bin dann mit dem ersten Lastzug nach Konjic verschwunden. Die anderen waren flennend weggerannt.

    Ein Arbeiter der Eisenbahngesellschaft erzählte dann im Zug herum, dass er am Kiosk in der Zeitung eine große Überschrift gesehen hatte, wie in einer Massenschlägerei am Bahnhof ein Mann, der von einem unbekannten Angreifer K.O. geschlagen wurde, wegen eines Hirnschlags gestorben war. Sieben Mal hatte man versucht, ihn in der Notklinik am Leben zu erhalten, aber erfolglos. Einer der anderen Arbeiter der Eisenbahngesellschaft bemerkte, dass Journalisten manchmal übertreiben und das Schlimmste schreiben, nur um die Zeitung besser zu verkaufen. Der andere aber hat es sich nicht nehmen lassen und fuhr fort, dass er persönlich die Zeitung gelesen hatte und in den Todesanzeigen gesehen, dass die Beerdigung des genannten Mannes mit demselben Vor- und Nachnamen morgen an der Bakija ist. Da stand’s, tragisch verunglückt, Beerdigung um dreizehn null, null. Fünf Brüder und drei Schwestern mit ihren Ehepartnern waren unter den ewig Trauernden genannt, für den niemals vergessenen Mumin.

    „War es ein kleines m oder ein großes M beim Namen der Leiche?", fragte man den Bahnwärter.

    „Hat das jetzt was mit dem Leben zu tun?", fragte ihn Kadrija.

    „Und ob! Wenn es ein großes M ist, dann hieß dieser Typ Mumin, und wenn es ein kleines m ist, dann heißt es, dass die Familie und die Nachbarschaft ihn für einen Heiligen halten. Das heißt nichts Gutes für dich, nur Ärger."

    „Was für Ärger?", erwiderte Gojko.

    „Na ja, Probleme! Diesen Boxer kann es den Kopf kosten. Mumins Familie wird ihn als laufende Zielscheibe betrachten. Sie werden nicht ruhen, bis ihn einer umbringt."

    Gojko war von den Drohungen keinesfalls beeindruckt. Ganz im Gegenteilt, seine Augen kochten vor Wut, weil er wusste, dass hinter den Pflastern nichts war, keine blauen Augen und keine Kratzer. Deshalb hatte er keine Angst vor einer Blutrache dieser Phantomfamilie. Das konnte einfach nicht sein, er war den ganzen Tag in seinem Zimmer gewesen und hatte überlegt, was er am Abend denjenigen sagen würde, die ihn frugen, was diese ganzen Pflaster und der Gips am Arm sollten.

    Dabei brachte er sich auch bei, nicht zu vergessen, auf ihre panischen Gesichter leichtsinnig mit einer Handbewegung zu antworten, als ob diese ganze Angelegenheit für ihn nichts bedeutete. Er löste dies mit einem präzisen, tödlichen Uppercut.

    Dann, auf einmal, fing er voll Freude an zu singen:

    Gib-Gas-Joe,

    Gib-Gas-Gee,

    La-la-la,

    La-li-la-le...

    2.Der Dichter und der Dramatiker

    Ich möchte ein Gedicht über die letzten vier Sekunden eines aus einem Flugzeug fallenden Menschen schreiben. Das wäre Literatur. Neofuturistische Dichtung.

    Hier ist der Tod. Das ganze menschliche Leben ist mit der Angst ausgefüllt. Dein ganzes Leben lang fürchtest dich. Du fürchtest dich, dass dich die vier Sekunden erwischen. Trotzdem glauben wir, oder denken nicht einmal daran, dass es uns einmal passieren wird. Vor der Angst ist die Maske. Die Liebe hat man schon lange vorher vergessen. Wir sehen sie als eine Krankheit.

    Die Maske und das Totenbrett. Wem soll man von dieser Symbolik erzählen?

    Gedicht 1

    Die Natur und der Tote

    Die Natur, in die Knie bezwungen,

    betet zu Gott.

    Der Tote reitet ein Pferd, zu Fuß gehend.

    Das ist ein europäisches Lied!

    Das ist Weltliteratur!

    Das ist ein zeitloses Phänomen!!!

    Es lässt Zeit und Ereignisse erfrieren!!!!!!

    Ich sehe diese Überschriften mit großen Buchstaben in allen

    Zeitungen.

    Gedicht 2

    Pflaumenbäume

    Im Garten wachsen Pflaumenbäume

    und auf ihnen wachsen Pilze.

    Man hackte die Pflaumenbäume,

    mit ihnen starben auch die Pilze.

    „Bitte die anthologische Maske", riefen einige Stimmen.

    „Aber nur noch die Maske."

    „Nur noch die Maske... Wie bescheiden er nur ist."

    Maske

    Im Wasser schwimmt ein Brett

    auf dem Brett eine Maske.

    Das Brett versank

    und mit ihm die …... die....

    „Maske!", schrien alle im Einklang.

    „Nicht einmal Meša, oder Mak können ihm das Wasser reichen."

    „Das sind kleine Fische für ihn."

    „Vielen Dank, sagte Cele. „Wie wunderbar ist es doch, wenn man mit Liebhabern der Literatur zusammen ist.

    Gib-Gas-Joe,

    Gib-Gas-Gee,

    La-la-la,

    La-li-la-le...

    3.Der Wissenschaftler

    Auch das passierte plötzlich. Es erwischte ihn.

    Gojko war so besessen von Astronomie, dass man es von ihm satt hatte. Das waren ganz neue Theorien. Er gab an, dass die Erde eigentlich nicht rund, sondern dass sie wie ein Rugby-Ball geformt war. Auch das Anliegen der Gravitation war so fraglich, dass man jeden Tag mit einer Katastrophe rechnen konnte.

    An solchen Tagen sah man ihn mit Dreiecken, Winkelmessern, Schulzirkeln, wie er in der Luft Maß nahm und prüfte, ob der Zirkel wirklich einen Kreis machte, was er natürlich immer bestritten hatte. Wenn ihn ein Streber doch in die Ecke drängte, räumte er sein ganzes Werkzeug auf und sagte zu sich selbst, dass er ein noch größerer Idiot als sie sei, wenn er es zuließe, dass ihn jeder anspräche, ohne elementare Kenntnisse darüber zu haben, was er so starrköpfig und dauerhaft bewiese.

    „Ich bin ein Esel, wenn ich das zuließe", schrie er empört.

    Der Himmel – das war eine Karte Gottes. Dorthin konnte man gelangen, wenn der Geist und die Augen es mit äußerster Aufmerksamkeit betrachteten. Da konnte man mit Gewalt nicht weit kommen, wie diese Barbaren hier dachten. Die konnten sich nur über die Intelligenz und das Wissen anderer lustig machen. Am leichtesten war es, jemanden aus der zwanzigsten Etage zu werfen; am schwersten, zu Fuß zur zwanzigsten Etage zu gelangen.

    „Woher weißt du all das, Gojko?"

    „Es ist einfach. Jahrelange harte Arbeit, Selbstverleugnung, Formelschreiben, sich Gedanken über sie machen, ist doch so, Gojko? Wer kümmert sich um mein Dilemma? Die können doch nur sagen du spinnst, Gojko. Lass dich doch behandeln. Gehe zu Karabaić und läßt dich heilen.

    Das konnte man am besten bemerken, als mich Mušan, der Mathelehrer darum bat, die Wurzel aus 16 zu extrahieren. Er brauchte ja eine Ausrede, um mir eine vier zu geben, damit ich nicht sitzen blieb. Ich hatte meine eigene Methode, und Mušan war selbst schuld, wenn er so ein emotionales Wrack war.

    Ich sagte: ‘Wollen Sie mich endlich in Ruhe meine eigene Methode der substanziellen Differenzierung anwenden lassen, um zur gewünschten Zahl zu gelangen.’ Er aber, nervös wie er war, verlor seine Fassung und fuhr direkt in die Leitplanke auf meiner Autobahn. Mir blieb nichts anderes übrig, ich musste in ihn reinkrachen und einen Fleck auf der Straße hinterlassen. Weil man ja nicht gegen den Wind pinkeln sollte, schmiss er mich aus der Klasse. Danach habe ich gehört, wie die fette Duška eine eins bekommen

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