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Sterben wie im Märchen: Ethik zwischen Embryos und Einäscherung. Essays aus zehn Jahren
Sterben wie im Märchen: Ethik zwischen Embryos und Einäscherung. Essays aus zehn Jahren
Sterben wie im Märchen: Ethik zwischen Embryos und Einäscherung. Essays aus zehn Jahren
eBook157 Seiten1 Stunde

Sterben wie im Märchen: Ethik zwischen Embryos und Einäscherung. Essays aus zehn Jahren

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Über dieses E-Book

Aus dem "Nachwort" von Prof. Dr. Peter Porsch:
"Mit diesem Buch hat Ilja Seifert das verwirklicht, was er vor allem von Politik erwartet: Klare Ansagen, kluge Forderungen, durchdachte Vorschläge."

Aus dem Geleitwort des Autors:
"Hier versammle ich etliche Essays und – leicht überarbeitete – Bundestagsreden aus den letzten zehn Jahren, mit denen ich mich der öffentlichen Debatte stelle. Sie läuft ja seit Jahren. Manchmal heißt sie Sterbehilfe, manchmal Stammzellenforschung, ein andermal Bioethik oder Pränatal- bzw. Präimplantationsdiagnostik. Sie heißt auch Organtransplantation oder Menschenrecht auf Teilhabe. Dann auch wieder Euthanasie. Immer aber geht es um das Menschenbild, von dem wir unsere Gesellschaftskonzeption ableiten. Es geht also um das Große und Ganze."


Inhaltsverzeichnis:

Geleitwort
Die Welt steht auf der Kippe ...
Kein Gentest ohne umfassende Aufklärung
Ethik und Verantwortung
Sterben wie im Märchen
Nachteilsausgleichsgesetz
UN-Konvention
Organspenden
Teilhabe ermöglichen statt Heime zu füllen
Adoption keine zweite Wahl
Kultur für alle Herausforderung – auch für DIE LINKE
Menschen mit Behinderungen in der Entwicklungszusammenarbeit
Teilhabe ermöglichen, auch wenn man pflegebedürftig ist!
Ein falsches Ziel
Gute Arbeit – unbehindert
Assistenzpflege in Krankenhäusern und Vorsorgeeinrichtungen
Große Lebensfreude, enorme Lebenskraft
"Social Freezing" – "Selbstbestimmung" à la Kapital
Es geht um Menschenrechte, nicht um soziale Kosmetik
Warum ich mir weder Eiswasser über den Kopf schütte noch für die ALS-Forschung spende
"Euthanasie" – ein guter Tod?
Unterschiedliche Fähigkeiten und Voraussetzungen – gleiche Rechte (und Pflichten)
Frühe Denkschrift, spätes Gedenken
"Lieber tot als behindert"?
Menschenkette mit Euro-Schlüssel
Klassenbefreiung gegen Minderheitenschutz?
Lebensrecht ist nie "verhandelbar"

Viola Schuber-Lehnhardt: Der Praena-Test. Möglichkeiten
und Problemstellungen vorgeburtlicher Diagnostik

Nachwort von Peter Porsch
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum14. Juni 2019
ISBN9783842283831
Sterben wie im Märchen: Ethik zwischen Embryos und Einäscherung. Essays aus zehn Jahren

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    Buchvorschau

    Sterben wie im Märchen - Ilja Seifert

    Porsch

    Geleitwort

    Ethik gilt gelegentlich als Hobbyraum für Philosophen und sonntags für Kirchenfürsten. Ich gehöre weder der einen noch der anderen Zunft an. Trotzdem wage ich es, mich zu ethischen Themen zu äußern. Überschreite ich damit meine Kompetenzen? Manchmal höre ich auch: »Der Beginn und das Ende menschlichen Lebens sowie alle gesundheitlichen Probleme dazwischen gehören in ärztliche Hand.« Und obwohl ich keine medizinische Ausbildung genoß, äußere ich mich seit Jahrzehnten auch öffentlich zu diesen Themen. Bin ich größenwahnsinnig? »Euthanasie war zwar etwas Schlimmes, aber das ist Vergangenheit.« Ich aber warne immer wieder vor der Gefahr, daß rein betriebswirtschaftliches Kosten-Nutzen-Denken und der Wahnglaube an den »perfekten Menschen« erneut zu Internierung und ggf. auch Vernichtung von Menschen führen kann, deren Leben als »unwert« abqualifiziert wird. Bin ich ein schwarzsehender Panikmacher?

    Hier versammle ich etliche Essays und – leicht überarbeitete – Bundestagsreden aus den letzten zehn Jahren, mit denen ich mich der öffentlichen Debatte stelle. Sie läuft ja seit Jahren. Manchmal heißt sie »Sterbehilfe«, manchmal »Stammzellenforschung«, ein andermal »Bioethik« oder »Pränatal- bzw. Präimplantationsdiagnostik«. Sie heißt auch »Organtransplantation« oder »Menschenrecht auf Teilhabe«. Dann auch wieder »Euthanasie«. Immer aber geht es um das Menschenbild, von dem wir unsere Gesellschaftskonzeption ableiten. Es geht also um das Große und Ganze.

    Obwohl verschiedene Personen dieselben oder sehr ähnliche Wortfarben verwenden – Menschenbild, Freiheit, Selbstbestimmung, Teilhabe, Inklusion, Werte usw. –, ist doch unübersehbar, daß sie damit sehr unterschiedliche Bilder malen. Ich also zeichne aus der Perspektive eines politisch engagierten, männlichen Rollstuhlfahrers, der inzwischen in Rente ist und Angst davor hat, ins Heim zu müssen, sobald das Ersparte aufgebraucht ist. Weil individuelle Ansprüche auf gesellschaftliche Teilhabeermöglichung durch persönliche Assistenz zwar auf manchen Papieren postuliert, in der Verwaltungspraxis aber gern unterlaufen werden. Weil es »eben so ist«. Weil es eben »leider nicht anders geht«. Derartige Sprüche übertünchen die neoliberalen Gewinnversprechungen privater (oder auch gemeinnützlicher) Heimbetreiber nur bläßlich. In viel kräftigeren Farben werden Heilsversprechen von »ewiger Gesundheit« oder »modernen Senioren-›Residenzen‹« in den Wind gemalt. All das mit der karitativen Attitüde, doch niemandem »zur Last fallen« zu müssen.

    Diese Sammlung ist eine Einladung zur (weiteren) Diskussion. Einige Essays reflektieren bestimmte Entwicklungen der Argumentation in den letzten Jahren. Andere nehmen aktuelle Ereignisse – zum Beispiel Gesetzesvorhaben – zum Anlaß für weiterreichende Konzepte. Viola Lehnhardt-Schubert bietet ein erstes Angebot zu weiterführenden Debatten. Ich danke ihr dafür ebenso herzlich wie Peter Porsch, der mit seinem Nachwort laut und öffentlich darüber nachdenkt, wie er – und mit ihm Sie/Ihr, die Leser*innen – mit meinen Vorschlägen umgehen könnte. Er begreift die Widersprüchlichkeit meiner Postulate und der Alltagswahrnehmung als produktive Herausforderung. Für sich. Für mich. Für alle. Und damit meinen wir jede und jeden.

    Die (wissenschaftliche) Entwicklung schreitet voran. Stillstand wäre unmenschlich. In China – so meldeten Agenturen vor wenigen Monaten – wären Zwillinge geboren worden, die immun gegen Aids seien. Ein Wissenschaftler habe – mehr oder weniger auf eigene Faust – genetisch in die Keimbahnen der Mädchen eingegriffen. Die Fachwelt schien einen Moment lang innezuhalten. Ein (weiteres) Tabu ist gebrochen. Wollen wir das? Unabhängig davon, ob sich die Verheißung bewahrheitet, steht die Frage im Raum: Können wir – die Menschheit, kleiner geht es nicht – derartiges wirklich wollen? Und wenn nicht: Können wir es überhaupt verhindern? Wenn ja: Wie? Sind wir – die Menschen – tatsächlich vernunftbegabt genug, nicht jeden Weg zu gehen? Sind ethische Grenzen haltbar genug, dem Machbarkeitswahn wirkungsvoll zu widerstehen? Ich weiß es nicht. Oder bin ich ein Fortschrittsverhinderer, wenn ich vor Möglichkeiten warne? Wenn ich an das Verantwortungsbewußtsein appelliere? Bin ich vielleicht ein hoffnungsloser Illusionist? Einer, der nur verlieren kann? Ein unverbesserlicher Pessimist? Einer, der Chancen ausschlägt, weil er nur Risiken sieht?

    Ich möchte aber ein Optimist bleiben. Ich möchte mich meines Lebens freuen können. Jeden Tag und bis zum letzten. Ich möchte diese Glücksgefühle, diese Zukunftsgewißheit für alle. Und für jede*n Einzelne*n. Ich möchte Zukunft gestalten können. Mit anderen. Mit Euch. Es geht mir nicht darum, Risiken zu verabsolutieren oder gar Widersprüche »abzuschaffen«. Nein. Ich betrachte Widersprüche nach wie vor als Triebkräfte von Entwicklung. Sie sind also etwas Positives. Aber ich will meinen Traum, der Vernunft dominierende Geltung zu verschaffen, näher kommen.

    Berlin, im Februar 2019

    Ilja Seifert

    Die Welt steht auf der Kippe,

    Ist nah dem Untergang.

    Der Tod winkt mit der Hippe,

    Kaum einem wird es bang.

    Verzweifelt mein Versuch,

    Zu retten diese Welt.

    Mit einem schmalen Buch,

    Das wenig nur enthält.

    Und doch kann ich’s nicht lassen,

    Zu hoffen immerdar.

    Will nicht die Menschen hassen.

    Für mich ist eben klar:

    Ich stütze mit der Hippe

    Die Welt, daß sie nicht kippe.

    Kein Gentest ohne umfassende Aufklärung

    Es ist einige Jahre her, da starb in meinem Wahlkreis eine Frau an der Huntington-Krankheit. Das ist wahrlich kein schöner Tod. Ihr Sohn, der damals Anfang zwanzig war, hatte eine gute Schulausbildung hinter sich, eine Wunsch-Lehre absolviert und fing an zu arbeiten. Weil seine Mutter an dieser Krankheit gestorben war, ließ er sich auf die Huntington-Krankheit testen. Da die entsprechende Disposition monogenetisch diagnostizierbar ist, erscheint das einfach. Solche Tests wurden damals ohne große Vorbereitung und ohne große Aufklärung durchgeführt. Der Test fiel positiv aus. Dies stürzte diesen Mann ins Unglück: Er empfand diese Diagnose als »sein Todesurteil«, wie er es bezeichnete.

    Positive Diagnose = negative Reaktion?

    Niemand weiß, wann diese Krankheit ausbricht. Man weiß nur, daß sie – mit hoher Wahrscheinlichkeit – ausbricht. Und man weiß, daß sie zum Tode führt. Zu einem – wie gesagt – sehr qualvollen Tod.

    Wie reagierte der junge Mann? Er hörte auf zu arbeiten. Tröstete sich mit Drogen. Er verlor seine Familie, fiel ins Bodenlose. Was will ich damit sagen? Es reicht nicht, solche Tests anzubieten, man muß auch darüber aufklären, wie man mit einem positiven Testergebnis umgehen kann. Heute haben wir eine Gelegenheit, darüber zu reden.

    Die Debatte ist – wie sich zeigte – von hoher Ernsthaftigkeit geprägt. Wir müssen also bedenken, daß es nicht nur um die Aufklärung derjenigen geht, die einen solchen Test machen wollen. Es geht auch um die Aufklärung der Angehörigen; es liegt ja auf der Hand, daß die Verwandten immer mit betroffen sind. Ich meine aber, wir brauchen darüber hinaus eine breite gesellschaftliche Aufklärung – im Vorfeld –, was die Ergebnisse solcher Tests sein können und wie wir damit umgehen sollen.

    Ich nenne noch ein Beispiel: Selbst wenn sich eine junge Frau darüber aufklären läßt, was ein Gentest auf die Anlage für Brustkrebs aussagen kann und wie sie mit dem Fall, daß der Test positiv ausfällt, umgehen kann, bleibt die Frage, wie sich ihr Partner und die ganze Familie verhalten. Wie gehen sie damit um, wenn sie nicht mit aufgeklärt wurden? Und was tun Kolleginnen und Kollegen, wenn sie davon erfahren? Da können Dinge zerbrechen, die nicht kaputtgehen müßten.

    Aufklärung schon in der Schule

    Wenn wir also nicht eine breite öffentliche Aufklärung darüber haben, was solche Tests aussagen können – wie lange kann es dauern, bis die Vorhersagen eintreffen, falls sie überhaupt eintreffen, und mit welcher Härte treffen sie ein? –, dann richten wir mehr Schaden an, als wir Nutzen stiften können. Ich will noch eines hinzufügen: Wenn wir Aufklärung betreiben, müssen wir auch ernsthaft darüber reden, was es eigentlich bedeutet, mit einer genetischen Krankheit oder der daraus folgenden Behinderung zu leben.

    Wir müssen klarmachen, daß eine erbliche Krankheit zwar nicht wünschenswert ist, aber auch nicht das Todesurteil bedeutet. Wenn man von einer erblichen Krankheit betroffen ist, müssen schließlich Generationen vor einem ebenfalls damit gelebt haben. Wir müssen klarmachen, daß man auch mit solchen Krankheiten und den daraus folgenden Beeinträchtigungen und Behinderungen gut am familiären und gesellschaftlichen Leben teilhaben, jede Menge Freude empfinden und daß man auch unter diesen Vorzeichen ein erfülltes Leben führen kann. Wenn die Aufklärung nicht in dieser Form erfolgt, wird jeder Betroffene stigmatisiert sein. Das wäre eine Form von Selektion. Das wollen wir auf keinen Fall. Man muß auf die finstere Nazizeit hinweisen, in der mit Genetik furchtbare Verbrechen begründet wurden.

    Wenn wir in der breiten Öffentlichkeit – zum Beispiel in den Schulen – keine allgemeine Diskussion über Gentests führen, werden wir, wenn es um den konkreten Gentest und die individuelle Aufklärung geht, Schiffbruch erleiden. Dann werden positive Diagnosen weiterhin zu negativen – ja, sogar zu selbstzerstörerischen – Reaktionen führen.

    (Mai 2007)

    Ethik und Verantwortung

    Unser Alltag ist von praktischen Entscheidungen geprägt. Es geht dabei vorrangig um sehr materielle Dinge, um Essen und Trinken, um Kleidung, um angenehmes Wohnen, um Arbeit, um Partnerschaften. Hinzukommen Reisen, Kultur, für manche mehr Sport, für andere mehr Geselligkeit. Wenn gesetzgeberische Maßnahmen zur Sprache kommen, stehen eher materielle Auswirkungen im Mittelpunkt, die für jede und jeden sofort oder demnächst spürbare Veränderungen bringen. Breite philosophische Debatten sind eher selten. Heute haben wir wieder eine solche.

    Konkrete Ethik ist auch im Alltag relevat

    Der Bundestag setzte im Jahre 2000 eine erste Enquête-Kommission ein – ich war deren Mitglied –, die sich mit »Recht und Ethik der modernen Medizin« befaßte. Große Zeitungen füllten ihre Feuilletons mit umfangreichen Essays namhafter Autorinnen und Autoren, in denen Ethik, Stammzellen, Embryonen, Nidation und nicht zuletzt Menschenwürde zu den Schlüsselworten zählen.

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