Das ultimative Buch über Claude Monet
Von Natalia Brodskaïa und Nina Kalitina
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Das ultimative Buch über Claude Monet - Natalia Brodskaïa
Abbildungsverzeichnis
Vorwort
Der Titel eines Gemäldes von Claude Monet, das 1874 bei der ersten Ausstellung einer sich als „Société anonyme des artistes peintres, sculpteurs, graveurs etc." bezeichnenden Künstlergruppe gezeigt wurde, lautete Impression, Sonnenaufgang. Zuvor hatte Monet in Le Havre, der Stadt, in der er aufgewachsen war, eine Reihe von Landschaftsbildern und Seestücken gemalt, von denen er die besten für die Ausstellung auswählte. Die Gestaltung des Katalogs übernahm Edmond Renoir, ein Bruder des gleichnamigen Malers. Zu Recht warf er Monet die Eintönigkeit der gewählten Bildtitel vor – Originelleres als Blick auf Le Havre hatte der Maler sich nicht einfallen lassen.
Diesen Titel hatte er für die Darstellung eines Hafens im Morgengrauen vorgesehen: Ein bläulicher Nebeldunst hüllt die Umrisse von Segelschiffen ein, dunkle Bootssilhouetten gleiten gespenstisch dahin, über den Horizont steigt orangefarben die flache Scheibe der Sonne empor und wirft eine erste, rötliche Lichtspur auf die Wasserfläche. „Schreiben Sie doch: Impression", schlug Monet daher Edmond Renoir vor, und so begann die Geschichte des Impressionismus. Am 25. April 1874 veröffentlicht der Kritiker Louis Leroy in der Zeitschrift Le Charivari eine satirische Rezension dieser Ausstellung:
Ein bekannter Künstler verliert angesichts der ausgestellten Werke zunehmend den Verstand. Er hält das gepflügte Feld auf einem Gemälde von Camille Pissarro für Kratzer einer Palette auf einer schmutzigen Leinwand, er kann Oben und Unten, Rechts und Links nicht mehr auseinander halten. Claude Monets Bild Der Boulevard des Capucines entsetzt ihn, und sein Impression, Sonnenaufgang gibt ihm den Gnadenstoß. „Impression, dachte ich mir, murmelt der Künstler. „Impression ist da bestimmt drin. Und diese Freiheit, diese Flüchtigkeit in der Ausarbeitung! Eine Tapete im Urzustand ist ausgearbeiteter als dieses Gemälde!
Und er beginnt herumzutanzen und zu rufen: „Hough! Hough! Ich bin auf dem Pfad des Impressionismus, das Messer an der rächenden Palette!Leroy überschreibt seine Satire: „Ausstellung der Impressionisten
. Dank seiner Begriffsstutzigkeit steht der Bildtitel Monets am Ursprung eines neuen Begriffs, so geistreich und treffend, dass er für immer in den Wortschatz der Kunstgeschichte eingehen wird.
Jacques-Ernest Bulloz, Claude Monet, Giverny, 1905.
1. Monet – die Person
Impression, Sonnenaufgang, 1873. Öl auf Leinwand, 48 x 63 cm. Musée Marmottan Monet, Paris.
Nach den herrschenden ästhetischen Kriterien war das überhaupt kein Gemälde, sondern eher eine Art Skizze in Öl, rasch hingeworfen, um den flüchtigen Augenblick einzufangen, in dem ein neuer Tag anbricht. Offensichtlich war der Titel Blick auf Le Havre für dieses Bild denkbar ungeeignet, schon weil die Stadt Le Havre auf ihm gar nicht zu sehen war.
Gustave Geffroy, ein Freund und Biograf von Claude Monet, zeigt in seiner Monografie über den Künstler zwei darstellende Porträts von Monet.
Auf dem ersten, welches von einem unbedeutenden Maler angefertigt wurde, ist Monet 18 Jahre alt.
Ein schwarzhaariger junger Mann in gestreiftem Hemd sitzt rittlings auf einem Stuhl, auf dessen Lehne seine angewinkelten Arme ruhen.
Die Pose drückt Unbefangenheit und Lebendigkeit aus, sein Gesicht, das von bis an die Schultern reichenden Haaren umrahmt wird, ist von Wille (Mundlinie und Kinn) und Unruhe (in den Augen) gekennzeichnet.
Der zweite Teil des Buches von Geffroy wird mit dem Fotobildnis des 82-jährigen Monet eingeleitet.
Ein stämmiger Alter mit weißem Vollbart steht auf weit gespreizten Beinen sicher da.
Monet ist ruhig und weise, er kennt den Wert der Dinge und glaubt an die unsterbliche Kraft der Kunst.
Nicht ohne Grund wünschte er, mit der Palette in der Hand vor einem Wandgemälde aus der Folge Seerosen im Hintergrund zu posieren.
Eine ganze Reihe von Porträtdarstellungen Monets ist bis heute erhalten geblieben: Selbstbildnisse, Werke von Freunden, unter anderem von Édouard Manet und Pierre-Auguste Renoir, und Fotoporträts von Étienne Carjat und Nadar, die die Gesichtszüge Monets in den verschiedensten Perioden seines Lebens festhalten.
Es sind ebenfalls unzählige Beschreibungen des Äußeren von Monet überliefert. Diese häuften sich besonders, nachdem der Künstler berühmt wurde und Schriftsteller und Journalisten Bekanntschaft mit ihm suchten.
Wie stellt sich uns Monet nun dar? Auf einer Fotografie aus den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts ist Monet schon kein Jüngling mehr, sondern ein reifer Mann mit dichtem schwarzem Schnurr- und Backenbart.
Die Stirn wird leicht von kurz geschnittenen Haaren bedeckt. Der Blick der kastanienbraunen Augen ist äußerst lebendig, sein Gesicht drückt Selbstsicherheit und Energie aus.
Das ist Monet zur Zeit des angespannten und kompromisslosen Kampfes um neue ästhetische Ideale.
Ein Selbstbildnis aus dem Jahr 1886 zeigt ihn mit Barett. Genau zu dieser Zeit lernte Geffroy den Künstler auf der Insel Belle-Île an der Südküste der Bretagne kennen.
„Auf den ersten Blick, so erinnert sich der Schriftsteller, „hätte ich ihn für einen Seemann halten können, Jacke, Stiefel und Hut hatte er fast dieselben an wie auch sie. Er zog sie an, um sich vor dem Küstenwind und dem Regen zu schützen.
Einige Zeilen weiter schreibt Geffroy: „Dies ist ein starker junger Mann mit Sweater, Barett, wirrem Bart und glänzenden Augen, die mich sofort durchdrangen."
Im Jahre 1919 wurde Monet, der fast wie ein Einsiedler in Giverny, nicht weit von Vernon an der Seine lebte, von Fernand Léger besucht.
Mit dabei war der Kritiker Ragnar Hoppe, der ihn dann so beschrieb: „ein mittelgroßer Herr mit Panamahut und in einem eleganten Anzug englischen Schnitts […]
Er hatte einen großen weißen Bart, ein rosafarbenes Gesicht und kleine Augen, die lustig und munter, mit einer Spur von Misstrauen, dreinschauten. […]"
Die literarischen und gemalten Porträts zeigen Monet als einen unbeständigen, veränderlichen und unruhigen Menschen.
Er konnte den Eindruck eines Mutigen und Verwegenen hervorrufen, konnte aber auch (besonders in der zweiten Lebenshälfte) selbstsicher und ruhig erscheinen.
Unbekannter Künstler (zunächst als Selbstporträt angesehen, später John Singer Sargent oder Berthe Morisot zugeschrieben), Monet in seinem Atelier, vor der Küstenstraße am Cap Martin, von Menton aus gesehen, wahrscheinlich 1884. Öl auf Leinwand, 61 x 50 cm. Musée Marmottan Monet, Paris.
Fischerboote, Teilstudie zu Der Hafen von Honfleur, 1866. Öl auf Leinwand, 45 x 55 cm. Privatsammlung, USA.
Doch die Ruhe und Selbstbeherrschung Monets waren nur äußere Eindrücke. Seine Jugendfreunde, Frédéric Bazille, Pierre-Auguste Renoir, Paul Cézanne und Édouard Manet sowie die ihn in Giverny besuchenden ihm nahestehenden Menschen, in erster Linie Gustave Geffroy, Octave Mirbeau und Georges Clemenceau, wussten sehr gut, welchen Anfällen quälender Unzufriedenheit und peinigender Zweifel Monet unterlag.
Diese ständig zunehmende Erregung und das Zerwürfnis mit sich selbst fanden dann ihren Durchbruch in unübersehbaren, spontanen Handlungen, wobei Monet Dutzende von Ölgemälden vernichtete, die Farbe abkratzte, Bilder in Stücke zerschnitt, sie manchmal sogar verbrannte.
Der Kunsthändler Paul Durand-Ruel, mit dem Monet durch einen Kontrakt verbunden war, erhielt von ihm eine Vielzahl von Briefen mit der Bitte, die Abgabefrist für die Bilder zu verlängern.
Monet berichtete, dass er begonnene Studien „nicht nur abkratzte, sondern sie auch einfach zerriss, dass es, damit er zufrieden wäre, notwendig sei, Ausbesserungen vorzunehmen, dass die erreichten Ergebnisse „unverhältnismäßig zur aufgewendeten Mühsal
seien, dass er „in schlechter Stimmung sei und „zu nichts tauge
.
Monet war zu mutigen, von hohem Bürgersinn durchdrungenen Taten fähig, gleichzeitig zeigte er aber auch Kleinmut und Inkonsequenz. Im Jahre 1872 besuchte er zusammen mit dem Maler Eugène Boudin den Abgott seiner Jugend, Gustave Courbet, im Gefängnis.
Eine solche Handlung, so könnte es scheinen, war nicht weiter bedeutsam, unter den Bedingungen der allgemeinen Verfolgung aber, der der Kommunarde Courbet ausgesetzt war, war es eine moralisch mutige Tat. Auch hinsichtlich des Angedenkens an Édouard Manet trat Claude Monet auf wie sonst keiner aus der Umgebung des ehemaligen Anführers der Schule von Batignolles.
Als er im Jahre 1889 vom amerikanischen Künstler John Singer Sargent erfuhr, dass das Meisterwerk Olympia von Manet eventuell in die Vereinigten Staaten verkauft werden würde, wandte sich Monet an die französische Intelligenz mit dem Aufruf, Geld zu sammeln, um die Olympia zu kaufen und sie dem Louvre zu übergeben. In den 90er Jahren, zur Zeit der Affäre Dreyfus, stand Monet auf der Seite der Dreyfusarden und war vom Mut Émile Zolas begeistert.
2. Die Impressionisten und die Klassische Schule
Von der Großzügigkeit der Natur Monets zeugt folgende Episode: In den 80er Jahren vereinte er sich, nachdem er seine Frau verloren hatte, mit Alice Hoschedé, die fünf Kinder aus der ersten Ehe mitbrachte. Monet nahm sie mit offenem Herzen auf und nannte sie ständig „meine Kinder". Und doch gab es auch andere Zeiten.
So verließ Monet zum Beispiel gegen Ende der 60er Jahre, zu einer Zeit der größten Not und Erfolglosigkeit, seine erste Frau Camille und den kleinen Sohn Jean mehrere Male.
In einem Anfall von Verzweiflung verließ er sie, stürzte Hals über Kopf aus seiner gewohnten Umgebung, in der er nur künstlerische Niederlagen erfahren hatte. Einmal fasste er sogar den Entschluss, sich das Leben zu nehmen.
Auch kann man sein Verhalten den Impressionisten gegenüber, als er, Pierre-Auguste Renoir folgend, den „Heiligen Bund zerstörte und seine Teilnahme an der fünften, sechsten und achten Ausstellung dieser Gruppe absagte, als unkorrekt bezeichnen. Nicht ohne Grund bezichtigt ihn Edgar Degas der „zügellosen Reklame
, als er von der Absage Monets, zusammen mit den Impressionisten im Jahre 1880 auszustellen, erfuhr.
Vollkommen intolerant und ungerechtfertigt feindlich war Monet auch Paul Gauguin gegenüber. Diese Beispiele verdeutlichen uns den Charakter Monets auf anschauliche Weise.
Natürlich ist die Frage berechtigt, warum in einer Beschreibung des Schaffens dieses Künstlers über dessen Charakterzüge gesprochen wird, und das umso mehr, da einige dieser Züge Monet nicht gerade in einem angenehmen Licht erscheinen lassen.
Es ist riskant, eine einheitliche Persönlichkeit gleichsam in zwei zu teilen – einerseits in einen ganz gewöhnlichen Menschen mit allen Schwierigkeiten und Verwirrungen seines persönlichen Schicksals und andererseits in einen hervorragenden Maler, der seinen Namen in die Weltgeschichte der Kunst eingeschrieben hat.
Großartige Werke werden keinesfalls von idealen Menschen geschaffen, und wenn die Kenntnis der Charakter nicht unbedingt dazu beiträgt, die von ihnen hergestellten Meisterwerke zu verstehen, so trägt sie doch zum Verständnis der Entstehung der Werke bei.
Eiche in Bas-Bréau (Le Bodmer), 1865. Öl auf Leinwand, 54,3 x 40,9 cm. Privatsammlung, USA.
Die Straße von Chailly durch den Wald von Fontainebleau, 1865. Öl auf Leinwand, 97 x 130,5 cm. Ordrupgaard Museum, Charlottenlund, Kopenhagen.
Die Straße von Chailly, um 1865. Öl auf Leinwand, 43,5 x 59,3 cm. Musée d’Orsay, Paris.
St. Germain l’Auxerrois, 1867. Öl auf Leinwand, 79 x 98 cm. Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Berlin.
Eiche in Bas-Bréau (Le Bodmer), 1865. Öl auf Leinwand, 96,2 x 129,2 cm. The Metropolitan Museum of Art, New York.
Die unsicheren Versuche Monets, die beständige Unzufriedenheit mit sich selbst, seine Unbefangenheit und stürmische Emotionalität, die sich mit kaltem methodischem Vorgehen abwechselten, das Bewusstsein, eine Persönlichkeit zu sein, die mit den Interessen ihrer Zeit lebt, sein ausgesprochener Individualismus – die Kenntnis all dieser Charaktereigenschaften Monets bringt Licht in seinen Arbeitsprozess und seine Einstellung zum künstlerischen Schaffen.
Die Gruppe junger Künstler, die auf diese Weise zu der Bezeichnung „Impressionisten" gelangte, hatte sich seit Beginn der sechziger Jahre zusammengefunden. Claude Monet, der Sohn eines Kolonialwarenhändlers in Le Havre, Frédéric Bazille, Spross wohlhabender Eltern aus Montpellier, Alfred Sisley, der von einer in Frankreich lebenden englischen Familie abstammte, und der Pariser Schneidersohn Pierre Auguste Renoir lernten sich im Atelier des Kunstprofessors Charles Gleyre kennen, von dem sie sich in der Malkunst unterweisen ließen.
In ihren Augen verkörperte Gleyre wie kein anderer die klassische Schule. Charles Gleyre war damals sechzig Jahre alt. Der aus einem Ort am Genfer See stammende Schweizer hatte seit seiner Kindheit in Frankreich gelebt, nach dem Besuch der École des Beaux-Arts jedoch sechs Jahre in Italien verbracht.
Seine Erfolge bei den schon seit Jahrhunderten alle zwei Jahre in Paris organisierten Ausstellungen für Gegenwartskunst, den so genannten Salons, hatten ihn bei seinen Zeitgenossen berühmt gemacht.
Gleyres Spezialität waren großformatige Gemälde, auf denen er biblische und mythologische Motive in vollendet klassizistischer Klarheit zelebrierte; der Körperbau seiner weiblichen Aktdarstellungen hielt jedem Vergleich mit den Werken des großen Jean-Auguste-Dominique Ingres stand.
Seinen Kunstunterricht erteilte Gleyre in einem von Hippolyte Delaroche, einem anderen erfolgreichen Salon-Maler, eingerichteten Atelier. Hier erhielten die Studierenden eine traditionelle, klassische Ausbildung, blieben jedoch von den offiziellen Anforderungen der École des Beaux-Arts verschont und genossen den Vorzug, vom ersten Tag an am lebenden Modell studieren zu können. Niemand hat die Ausbildung, die die künftigen Impressionisten hier genossen, besser geschildert als Pierre-Auguste Renoir.
Der Hafen von Honfleur, um 1866. Öl auf Leinwand. Privatsammlung.
Der Spaziergang bei Argenteuil, um 1872. Öl auf Leinwand, 50,4 x 65,2 cm. National Gallery of Art, Washington, D.C.
Seinem Sohn Jean, dem großen Regisseur, erzählte er später, wie „Gleyre, ein mächtiger, bärtiger und kurzsichtiger Schweizer, ihn „in einen großen, kahlen Raum (führte), in dem junge Leute über ihre Staffeleien gebeugt waren. Durch eine Glaswand, vorschriftsmäßig auf der Nordseite, fiel graues Licht auf ein nacktes Modell.
Die hier versammelten Studierenden waren, wie schon ihr Äußeres zeigte, sehr unterschiedlicher Herkunft:
Während der Handwerkersohn Renoir im praktischen Anstreicherkittel erschien, kleideten die Sprösslinge begüterter Familien, die hergekommen waren, um „Künstler" zu spielen, sich vorzugsweise in schwarze Samtwämser, zu denen sie ein passendes Barett trugen.
Renoir war schlicht „gekommen, um Zeichnen zu lernen. Er bedeckte sein Papier mit Kohlestrichen, und rasch war er ganz in die Form einer Wade oder die Krümmung einer Hand versunken."
Für ihn und seine Freunde war der Unterricht kein Spiel, so sehr auch die Leichtigkeit, mit der er arbeitete, seinen Lehrer aus dem Konzept brachte. Renoir erzählte, „wie Gleyre einmal verblüfft hinter ihm stand und lange seine Skizze betrachtete.
Dann: ,Junger Mann, Sie sind sehr geschickt, sehr begabt, aber man könnte denken, Sie malen zum Spaß!’ ,Natürlich’, antwortete mein Vater, ,wenn es mir keinen Spaß machte, würde ich ja gar nicht malen.’"
Alle vier brannten darauf, sich die Anfangsgründe der Malkunst und die klassische Technik anzueignen. Sie studierten die Modelle so eifrig,