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Das ultimative Buch über Raphael
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eBook548 Seiten3 Stunden

Das ultimative Buch über Raphael

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Über dieses E-Book

Raphael (1483-1520), der italienische Maler und Architekt der Hochrenaissance, war in und vor seiner Zeit ein Genie. Zusammen mit Michelangelo und da Vinci bildete er die klassische Dreifaltigkeit dieser Epoche und entwickelte einen reichen Stil der Harmonie und Geometrie Als einer der großen Meister der Renaissance und Künstler des europäischen Königshauses und des päpstlichen Hofes in Rom umfassen seine Werke verschiedene Themen der Theologie und Philosophie, einschließlich, aber nicht beschränkt auf berühmte Illustrationen der Madonna Steigen Sie zu seiner Neigung auf, die Ideale des Humanismus mit denen der Religion zu verbinden, und begründen Sie in ihm die Überzeugung, dass Kunst ein notwendiges Medium ist, um die Schönheit der Natur zu enthüllen. Eugène Müntz (1845-1902) war Mitglied des Institut de France und Kurator der Sammlungen der École Nationale des Beaux-Arts in Paris. Er war einer der einflussreichsten Spezialisten der italienischen Renaissance Florentiner Maler wie Leonardo da Vinci und Raphael. Er schrieb viel über die großen Meister der Renaissance und leistete Pionierarbeit für das moderne Studium der italienischen Kunstgeschichte.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum9. Dez. 2019
ISBN9781644617939
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    Buchvorschau

    Das ultimative Buch über Raphael - Eugène Müntz

    ANMERKUNGEN

    SEIN LEBEN

    Raffael in Urbino Perugia, Siena

    Die Stadt Urbino und die Dynastie der Montefeltro

    Das kleine Herzogtum Urbino, das in dem kleinen Zeitraum von nur ein paar Jahren nicht nur Schauplatz der Geburt des größten Architekten, sondern auch der des größten Malers der Moderne – Bramante und Raffael – wurde, liegt im Zentralappenin, dort, wo sich Umbrien und die Toskana treffen. Nur wenige italienische Provinzen weisen eine abwechslungsreichere Landschaft auf: fruchtbare, sanfte Hügel gehen plötzlich in steiles Gebirge über, und während der Horizont zur einen Seite von fantastischen Gipfeln umschlossen ist, kann das Auge zur anderen Seite das weite Panaroma der Adria durchdringen.

    In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde Urbino von der kühnen und aufgeklärten Dynastie der Montefeltro regiert. Herzog Federico, der 1482, ein Jahr vor der Geburt Raffaels, starb, faszinierte ganz Italien mit seinen Großtaten und seiner Herrlichkeit. Er war ein Kommandant von höchstem Rang, der würdige Schüler Piccininos und der fast ausnahmslos erfolgreiche Gegenspieler Sigismondo Malatestas, eines gottlosen Menschenfeindes. Die Montefeltros schähmten sich nicht, Söldnerführer, Condotierri, zu sein, und der Titel Gonfaloniere der Kirche, der in späteren Jahren dem Sohn des Herzogs von Papst Julius II. verliehen wurde, war ein schmeichelhafter. Niemand hätte seinen Verpflichtungen mit mehr ritterlicher Treue und Würde ausführen können als Federico, dessen Hof von jungen italienischen Adligen frequentiert wurde, die den Wunsch hegten, mit allem, was die Berufung eines Soldaten betrifft, vertraut gemacht zu werden, und sich den Pflichten der Staatskunst anzupassen.

    Federico von Urbinos Hauptanspruch war jedoch nach Ansicht seiner Zeitgenossen und der Nachwelt der Schutz der Kunst und der Literatur. Sein Zeitalter war das der Renaissance, und die Ernsthaftigkeit seines Eifers und die großen Opfer, die er bereit war, für sie zu geben, haben Federico da Montefeltro einen Platz neben den beiden ihrer edelsten Vorstreiter – Papst Nikolaus V. und König Alfons I. von Neapel – eingebracht. Alexis-François Rio stellt den Fürsten von Urbino in seiner Arbeit über christliche Kunst sogar über die Medici, da es schwerfällt zu glauben, dass die Förderung neuer Ideen durch diese Geldgeber, die ihrem Land so bereitwillig das Joch der Despotie auferlegten, frei von egoistischer Berechnung gewesen sein soll, während der Herzog von Urbino keine Hilfsmittel nötig hatte, um sich die Zuneigung seiner Untertanen zu sichern, deren Ruf „Gott schütze unseren gütigen Herzog" aus tiefstem Herzen kam.

    Federicos Sohn, Guidobaldo, der 1472 geboren wurde, setzte die Traditionen seines Vaters fort. Der von dem Gelehrten Martinengo Aufgezogene entfaltete schon früh eine Vorliebe für die Lehre; Kunst und Literatur fanden in ihm einen innigen Gönner. Sein Mut und sein gesunder Menschenverstand machten ihn bei seinen Untertanen beliebt, während seine Frau, Elisabetta Gonzaga, Tochter des Markgrafen von Mantua, half, durch ihre Schönheit und ihre Anmut seinen Rückhalt bei ihnen zu festigen. Die Einwohner Urbinos bezeugten ihre ausgeprägte Treue ihm gegenüber, als sie 1503 einen Aufstand gegen die Tyrannei des Cesare Borgia anführten und Guidobaldos Rückkehr ermöglichten.

    Selbstporträt, 1506. Öl auf Holz, 47,5 x 33 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

    Piero della Francesca, Porträt des Herzogs Federico da Montefeltro (rechte Tafel eines Diptychons), um 1465. Öl auf Leinwand, 47 x 33 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

    Die Familie Santi

    Die beharrlichen Untersuchungen eines Gelehrten von Urbino, Padre Luigi Pungileoni, vermitteln uns eine sehr ausführliche Kenntnis der Familiengeschichte Raffaels. Seine Familie gehörte einem großen, nur einige Meilen von der Hauptstadt entfernt liegenden Dorf namens Colbordolo an, und man weiß von einer Person namens Santi, die dort im 14. Jahrhundert gelebt haben soll. Einer seiner Nachfahren, der Urgroßvater Raffaels, Pietro oder Peruzzolo, lebte ein Jahrhundert später als Händler in Colbordolo, und nach der Brandschatzung seines Hauses und seiner Ländereien, die von Sigismondo Malatesta im Jahre 1446 angeordnet worden war, beschloss er 1450, aus Angst vor einem weiteren Angriff, nach Urbino zu ziehen. Dort starb er sieben Jahre später, woraufhin sein Sohn seine Geschäfte fortführte und einen Gemischtwarenladen eröffnete. Die Geschäfte schienen gut zu laufen, da er 1463 genug Geld gespart hatte, um sich für 200 Dukaten ein Haus, beziehungsweise zwei nahe beieinanderliegende Häuser, zu kaufen, in einer dieser steilen Straßen, von denen es so viele in Urbino gibt, der Contrada del Monte.[1] Diese bescheidene Unterkunft sollte Berühmtheit erlangen, da Raffael dort zur Welt kam.

    In einem an den Herzog Guidobaldo adressierten Brief geht Giovanni Santi, Sohn des genannten Santi und Vater Raffaels, genauer auf die Schwierigkeiten seines jungen Lebens ein, angefangen bei der Zerstörung seines Zuhauses durch Sigismondo Malatesta und fortfahrend mit der harten Arbeit, um den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Letztendlich wählte er den nobelsten aller Berufe, den eines Künstlers und er gerät ins Schwärmen, wenn er von der wunderbaren und sehr bedeutenden Kunst der Malerei spricht (la mirabile, la clarissima arte de pictura). Ungeachtet der daraus entstehenden Ängste um die Versorgung seiner Familie, bereute er niemals seine Entscheidung, obgleich er sie oft als Bürde empfand, die, in seinen eigenen Worten, Atlas selbst erschreckt hätte. Zu welcher Zeit genau Giovanni Santi seine Arbeit begann, ist nicht bekannt, aber man weiß, dass er im Jahr 1469 sein eigenes Atelier in Urbino besaß und dass er im selben Jahr mit der Pflicht betraut wurde, Piero della Francesca, einer der berühmtesten Vertreter der Florentinischen Schule, zu empfangen, der von der Bruderschaft Corpus Domini den Auftrag erhalten hatte ein Altarbild anzufertigen. Da sie dachten, er würde sich im Haus eines Künstlerkollegen wohler fühlen als in einem Gasthaus, baten sie Santi, ihn zu beherbergen, und obwohl dieser sich, aufgrund der Tatsache, dass ein Fremder ihm bevorzugt und auserwählt worden war, in der Stadt zu malen, in seinem Stolz gekränkt gefühlt haben muss, empfing er den Florentiner bereitwillig und lobte anschließend sein Talent in seiner Chronik Urbinos in Versform. Giovanni Santi war aller Wahrscheinlichkeit seinen Jugendjahren bereits entwachsen, als er Maria Ciarla, die Tochter eines vermögenden Kaufmanns aus Urbino, heiratete. Aus dieser Ehe ging am 6. April 1483 ein Junge hervor, der dazu bestimmt war, dem Namen der Familie Santi Glanz zu verleihen.

    Das erste Bild, das Giovanni Santi nach der Geburt seines Sohnes malte, war ein Altarblid für die Kirche von Gradara, und in dieser Arbeit, die am 10. April 1484 fertiggestellt wurde, als Raffael gerade ein Jahr alt war, sieht man das sehr schöne Gesicht Jesu, der auf dem Schoß seiner Mutter sitzend dargestellt ist. Sein Gesicht, Figur und Haltung erinnern stark an die Putten, die in so vielen Kompositionen Raffaels vorzufinden sind und der perfekte Ausdruck von Kindheit sind. Ein anderes Gemälde, ein Fresko, das noch immer im Hause der Santis aufbewahrt wird, zeigt eine junge an einem Tisch sitzende Frau, ein schlafendes Kind auf ihrem Schoß, dessen Kopf von ihrem linken Arm gestützt wird. Trotz großer Beschädigungen zeigt es noch immer die Spuren seiner primitiven Schönheit, und die markanten Eigenheiten der Gesichtszüge zusammen mit der Abwesenheit eines Heiligenscheins lassen den Schluss zu, dass es sich hierbei nicht um eine Darstellung der Jungfrau und ihres Kindes handelt, sondern um die Frau und den Sohn des Künstlers.[2] 1485 verlor Giovanni Santi in dem kurzen Zeitraum von nur wenigen Wochen seinen Vater und einen seiner Söhne, vermutlich älter als Raffael. Die Archive Urbinos geben Aufschluss über die finanzielle Lage der Familie zu dieser Zeit. Der Vater Giovannis hinterließ seinen beiden Töchtern je hundert Dukaten, seinem Sohn Bartolommeo, der Priester war, siebzig Dukaten und den Rest seines Besitzes, einschließlich seines Hauses, Giovanni selbst. Seine Witwe, Elisabetta lebte von nun an bei ihrem Sohn Giovanni, der außerdem seine Schwester Santa aufnahm, nachdem ihr Ehemann verstorben war, der von Beruf Schneider war. Santa verfügte selbst über eine geringe Summe und da Giovanni einen gewissen Betrag verdiente, war ihre Situation relativ gut. Doch das Schicksal schlug erneut zu, als seine Mutter am 3. Oktober 1491 starb, gefolgt vom Tod seiner geliebten Ehefrau nur vier Tage später und dem Tod seiner kleinen Tochter am 25. desselben Monats. Raffael war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal acht Jahre alt.

    Giovanni Santi, Die Jungfrau und das Kind, um 1488. Tempera und Öl auf Holz, 68 x 49,8 cm. National Gallery, London.

    Giovanni Santi, Sacra Conversazione mit der Auferstehung Christi, 1481. Fresko, 420 x 295 cm. Kapelle Chagli tiranni, Kirche San Domenico, Urbino.

    Giovanni Santi, Hieronymus (Detail), 15. Jahrhundert. Tempera auf Holztafel, 189 x 168 cm. Pinacoteca Vaticana, Musei Vaticani, Vatikanstadt.

    Giovanni Santi, Christus im Grabe mit zwei Engeln, um 1490. Öl auf Leinwand, von Tafel übertragen, 67 x 55 cm. Szépművészeti Múzeum, Budapest.

    Giovanni fand es unerträglich, allein zu leben und heiratete ein paar Monate später, am 25. Mai 1492, seine zweite Frau, Bernardina Parte, Tochter eines Goldschmieds aus Urbino, die eine Mitgift von über 200 Florins in die Ehe brachte. Aus den sich später ergebenden Streitigkeiten zwischen Bernardina und der Familie ihres Mannes lässt sich schließen, dass sie von nicht so edler Herkunft war wie Maria, und Raffael war sie kaum eine Mutter. Die Verbindung war indes nicht von langer Dauer, da Giovanni zwei Jahre nach seiner zweiten Hochzeit, am 1. August 1494 starb. In seinem Testament, das zwei Tage vor seinem Tod aufgesetzt wurde, bestimmte er seinen Bruder Bartolommeo zum Vormund Raffaels und des Kindes, das seine Frau von ihm erwartete, er erteilte ihr lebenslanges Wohnrecht in seinem Haus, sofern sie Witwe bleiben würde. Sein Gesamtbesitz belief sich auf über 860 Florins.

    Einige kürzlich von dem Marchese Campori von Modena entdeckte Dokumente, die belegen, dass Raffaels Vater in Kontakt mit der fürstlichen Familie stand[3], und dass Herzogin Elisabetta ihn beauftragt hatte, ein Porträt von ihr und einem Mitglied des Gonzaga-Hofes, vermutlich Bischof Luigi von Mantua, zu malen, werfen neues Licht auf seine letzten Lebensjahre. Sein Tod hinderte ihn jedoch daran, die beiden Gemälde fertigzustellen, und der Brief (19. August 1494), in dem die Herzogin ihrer Schwägerin, der Marchesa di Mantova, die traurige Nachricht mitteilte, belegt, dass er kein Unbekannter für diese war, da sie schreibt: „Giovanni de‘ Santi, Maler, verstarb vor drei Wochen, er starb im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte und in Frieden mit seinen Mitmenschen. Möge Gott Gnade mit seiner Seele haben!" Ein sieben Wochen später aufgesetzter Brief (13. Oktober 1494) liefert weitere Details. In dem von der Herzogin verfassten, an ihren Bruder, den Marchese di Mantova, gerichteten Brief heißt es:

    Als Antwort auf das Schreiben Eurer Exzellenz schreibe ich Euch, um Euch darüber zu informieren, dass Giovanni Santi, als er sich in eurer Anwesenheit befand, zu krank war, um das Porträt zu beenden, und selbiger Grund hinderte ihn auch daran, die Arbeit an dem meinigen fortzusetzen. Falls Eure Exzellenz mir eine Bildtafel ähnlich der anderen zuschicken könnte, würde ich einen erfahrenen Künstler, den ich bereits erwarte, beauftragen, ein Porträt von mir darauf anzufertigen, das ich Euch, so bald es fertig ist, zukommen lassen würde.

    Als die Schwägerin von Herzogin Elisabetta, Jeanne di Montefeltro, zehn Jahre später in einem Empfehlungsschreiben, das sie Raffael, gerichtet an den Gonfalonier Piero Soderini von Florenz, übergab, von ihrer Hochachtung für seinen Vater sprach, handelte es sich um keine bloße Formalität, sondern um einen Ausdruck ihrer tatsächlichen Gefühle. Das, wie im Anschluss gezeigt werden soll, erklärt zu einem Großteil, was bisher unklar in Raffaels Geschichte war.

    Die Gemeinde Urbino und die umliegenden Städte, ebenso wie einige öffentliche Galerien, etwa im Lateran in Rom, die Pinacoteca di Brera in Mailand, die National Gallery in London und die Gemäldegalerie in Berlin, besitzen noch immer Bilder von Giovanni Santi. Die meisten darunter sind Verkündigungen, Madonnen, Heilige Familien oder Konterfeis von Aposteln oder Heiligen. Es gibt auch ein paar Porträts, aber die Originale sind in der Regel unbekannt. Santis Kunst bewegte sich in eher engen Bahnen, aber der Geist seines Werks und die von ihm dargestellten Qualitäten verdienen Respekt. Er zeigte auch, dass er mit den Methoden Paolo Uccellos, der 1468 in Urbino malte, und Piero della Francescas, Andrea Mantegnas, Melozzo da Forlìs und Peruginos vertraut war. Der Einfluss der beiden letzteren lässt sich in fast all seinen Gemälden feststellen. Seine Werke sind fein abgestimmt und voller Körperlichkeit; wessen sie hauptsächlich entbehren, ist eine warme Farbgebung. Seine Gesichter zeugen von Würde, nur selten von großer Energie, und seine Konzipierung hat einen Zug von Ernsthaftigkeit, während hier und da Berührungspunkte wahrgenommen werden können, die an seinen Sohn erinnern – der Teil eines Kopfes oder eine Haltung, welche er einige Jahre später unbewusst wiedergegeben haben mag. Um den Charakter und die Talente Giovanni Santis hinreichend zu beschreiben, muss auch auf sein Schaffen als Dichter hingewiesen werden. Die Chronik Urbinos in Versform, die in der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek aufbewahrt wird, wurde auszugsweise von Passavant übersetzt und zeugt von seiner Belesenheit und seinem Eklektizismus.

    Das Wunder des heiligen Eusebius von Cremona (Predellatafel der Mond-Kreuzigung), 1502-1503. Öl auf Holz, 26 x 44 cm. Museu Nacional de Arte Antiga, Lissabon.

    Giovanni Antonio Boltraffio und Marco d’Oggioni, Auferstehung mit den Heiligen Lucia und Leonhard, um 1491. Öl auf Holztafel, 234,5 x 185,5 cm. Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Berlin.

    Zu dem Zeitpunkt des Todes seines Vaters war Raffael nicht einmal zwölf Jahre alt. Es gibt eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Werken des Vaters und denen des Sohnes. Die Verkündigung im Brera Museum in Cagli, Hieronymus in den Vatikanischen Museen, um nur die bekanntesten Werke Giovanni Santis zu nennen, bestechen durch ihre Reinheit und Harmonie der Linienführung, die vage den unsterblichen Maler des Vatikans erahnen lassen. Es ist zudem wahrscheinlich, dass Raffael Lehrstunden von seinem Vater erhielt, da Maler zu jener Zeit eine fünfzehnjährige Ausbildung durchlaufen mussten. Indem er drei oder vier Jahre in die reguläre Ausbildung investierte, und ebenso viele für die Wanderjahre, konnte ein junger Mann im Alter von sechzehn Jahren seine Ausbildung abgeschlossen haben. Es ist anzunehmen, dass Raffael in dieser Hinsicht keine Ausnahme darstellte und dass er sehr wahrscheinlich zu zeichnen begann und Unterricht von seinem Vater erhielt, noch bevor dieser starb. Es ist allerdings unmöglich, Vasaris Vermutung zu unterstützen, dass der Sohn seinem Vater bei der Ausführung seiner späten Arbeiten geholfen habe, da er zu diesem Zeitpunkt erst elf Jahre alt war, und so schnell sich sein Talent auch entwickelt haben mag, wäre dies doch schlicht einem Wunder gleichgekommen.

    Es ist wahrscheinlich, dass die bemerkenswerte Zeichnung in der Accademia in Venedig, Das Massaker der Unschuldigen, von Raffael unter der Aufsicht seines Vaters ausgeführt wurde. Zwischen vielem, das in seiner Unerfahrenheit kindlich erscheint, findet man eine Inspirationskraft und eine Reinheit des Geschmacks, die von Raffaels vielversprechender Zukunft von seinen frühesten Jahren an zeugen, und davon, wieviel er den Lehrstunden seines Vaters verdankte. Was über den Geschmack Giovanni Santis gesagt wurde, versichert, dass sein Sohn neben einer ausführlichen künstlerischen Ausbildung auch eine gut fundierte literarische Bildung erhielt.

    Die italienischen Künstler des 15. Jahrhunderts waren in der Regel weniger ungebildet als häufig angenommen wird, und es ließe sich kaum einer unter ihnen finden, der nicht lesen und schreiben konnte. Bramante selbst, dessen Bildung vernachlässigt und der von seinen Zeitgenossen als des Lesens und Schreibens unkundig bezeichnet wurde, verfasste bezaubernde Sonette, was auf das umfassende Wissen jener schließen lässt, die in der Lage waren, ihr Studium zu beenden. Betrachtet man sich die von Gaetano Milanesi und Carol Pini veröffentlichte Unterschriften-Sammlung italienischer Künstler des Mittelalters und der Renaissance, sieht man, dass die Schrift in einigen Fällen ungeschickt wirkt und dass die Schreibung inkorrekt ist, aber es besteht ein großer Unterschied zwischen Ungeschicklichkeit und Ungebildetheit. Im Vergleich zu der seiner Zeitgenossen zeichnet sich Raffaels Handschrift durch ihre Eleganz und Korrektheit aus. Man sieht, dass das Schreiben ihm nicht fremd war. Er verfügte zudem über bruchstückhafte Kenntnisse des Lateinischen. Man mag einwenden, dass er seinen Freund Fabio Calvo aus Ravenna dazu brachte, Vitruv für ihn zu übersetzen; doch auch hier besteht ein großer Unterschied zwischen allgemeinen Kenntnissen einer Sprache und einem Sprachvermögen, das das Werk Zehn Bücher über Architektur voraussetzt.

    Durch den Tod seines Vaters verlor Raffael nicht nur einen Ausbilder und Führer, sondern war von nun an auch von ständigen Streitereien um Geld umgeben. Dom Bartolommeo, sein Onkel und Vormund, und seine Stiefmutter, die eine Tochter namens Elisabetta geboren hatte, stritten so regelmäßig über Geld, dass sogar das Gesetz einschreiten musste, und ohne die ganze Schuld der Witwe Giovanni Santis zuzuweisen, muss beachtet werden, dass Raffael, sobald er sein Zuhause verlassen hatte, keinen engen Kontakt mehr zu ihr oder zu ihrer Tochter unterhielt, und in seinen Briefen nie auf sie zu sprechen kommt. Glücklicherweise wurde er von der Familie seiner Mutter sehr gemocht, und sein Onkel Simone Ciarla zeigte ihm gegenüber Güte, wofür er stets seine Dankbarkeit äußerte. Wenn er seinen Onkel in seinen Briefen als so gütig wie ein Vater bezeichnet („carissimo in loco di padre") war dies mehr als eine dieser Formulierungen, die zu dieser Zeit häufig gebraucht wurden, und seine Tante Santa, die Schwester seines Vaters, die nach dessen Tod noch immer in seinem Haus wohnte, kümmerte sich ebenso um sein Wohlergehen. Nach Jahren gab Raffael einem seiner treuesten Freunde, dem Florentiner Taddeo Taddei, der ihm anbot, eine Reise nach Urbino zu bezahlen, ein Empfehlungsschreiben an sie, und es ist erfreulich zusehen, dass der große Maler nie seine demütigen Verwandten vergaß.

    Wenn die Geldstreitigkeiten im Zuge des Tode seines Vaters auch eine schmerzliche Erfahrung in seiner frühen Jugend hinterließen, so war er doch frei von jeglichem Mangel. Es stimmt, dass sein Erbe nicht sehr hoch war, und dass er sich seine Selbstständigkeit und seinen Wohlstand hart erkämpfen musste. Trotzdem gestattete es ihm, seine Studien fortzuführen, ohne sorgenvoll an den nächsten Tag denken zu müssen, so wie im Fall seines zukünftigen Lehrers, Perugino, der, laut Vasari, so arm war, dass er für mehrere Monate nur eine Holztruhe als Bett hatte.

    Piero della Francesca, Auferstehung Christi, um 1460. Fresko und Tempera, 225 x 200 cm. Museo Civico di Sansepolcro, Sansepolcro.

    Auferstehung Christi, 1499-1502. Öl auf Holz, 52 x 44 cm. Museu de Arte, São Paulo.

    Raffaels Abreise nach Perugia

    Bis vor kurzem war man der Ansicht, dass Raffael im Jahre 1495 in das Atelier Peruginos eintrat, doch dieses Datum ist inkorrekt, da Perugino zwischen 1493 und 1499 für kurze Zeit in Florenz und nicht in Perugia lebte. Auch wenn er hin und wieder in die letztgenannte Stadt gekommen sein mag, so doch nie für einen längeren Zeitraum; erst Ende 1499 verlegte er seinen Wohnsitz dorthin, als er die Fresken in der berühmten Sala delle Udienze del Collegio del Cambio begann. Andererseits wurde Raffael in den Registern der Stadt Urbino als am 5. Juni 1499 in seiner Geburtsstadt ansässig gelistet, und im darauffolgenden Jahr vermerkte der verantwortliche Beamte seinen Namen mit „abwesend". Seine Aufnahe in das Atelier Peruginos muss daher vier oder fünf Jahre später als bisher angenommen erteilt worden sein, was wiederum heißt, das er zu diesem Zeitpunkt sechzehn Jahre alt gewesen sein muss. Wenn bisherige Annahmen diesbezüglich fehlerhaft sind gibt es eine weite Übereinstimmung bezüglich seines Débuts in Perugia, der Stadt, in der er die ersten Unterrichtsstunden erhielt und die Methoden der Umbrischen Schule studierte. Es ist nicht sicher, womit Raffael die Zeit zwischen dem Tod seines Vaters und seiner Abreise nach Perugia verbrachte, aber vielleicht unterrichtete ihn Timoteo Viti, der 1495 nach Urbino zurückkehrte, nachdem er einige Zeit in Bologna im Atelier Francias studiert hatte.

    Auf dem Weg zur eigenen Größe vergaß Raffael seinen Jugendfreund nicht, sondern schickte nach ihm, um ihm in Rom bei seiner Arbeit an den Sibyllen in der Kirche Santa Maria della Pace zu assistieren. Nach Vitis Rückkehr nach Urbino fragte Raffael ihn mehr als einmal – wie Vasari schreibt, der Einsicht in die Briefe hatte, die Raffael an Viti schrieb – ihn erneut zu besuchen. Viti, der Raffaels Stil sehr gut imitierte, besaß eine feine Sammlung an Zeichnungen, die er von Raffael erhalten hatte, und die feinsten Werke Raffaels aus der Sammlung Crozat entstammen den Ansammlungen, die bis ins Jahre 1714 von Vitis Nachkommen intakt gehalten wurden.

    Wenn Raffaels neuer Wohnsitz auch weniger erstrebenswert war als Urbino, so glich dies die Schönheit der ihn umgebenden Landschaft und die vielseitige Natur der von ihr ausgehenden Eindrücke mehr als aus. Er war auch hier in der Lage, die belebende Bergluft einzuatmen und Orte voller poetischer Schönheit zu betrachten. Mitten im Herzen Umbriens, umgeben von weiten Ebenen, ähnelt Perugia, das alte Augusta Perusia, einem riesigen Amphitheater. Es gibt nur wenige großartigere Panoramen in ganz Italien, als das, das sich in einer kurzen Entfernung der mit dicken, immergrünen Eichen bepflanzten Piazza di San Pietro außerhalb der Mauern vor dem Betrachter ausbreitet.

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