Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Unterwegs mit den Feen: Eine lange Reise durch das Italien des Mittelalters
Unterwegs mit den Feen: Eine lange Reise durch das Italien des Mittelalters
Unterwegs mit den Feen: Eine lange Reise durch das Italien des Mittelalters
eBook703 Seiten10 Stunden

Unterwegs mit den Feen: Eine lange Reise durch das Italien des Mittelalters

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Isolanova ist der fiktive Name einer norditalienischen Stadt, aus der Antonello, Isabella und Leonhilde gezwungen sind zu flüchten, um Antonellos rachsüchtigem Vater zu entfliehen. Daraus wird eine lange Reise durch das Italien des vierzehnten Jahrhunderts. Ihr Ziel ist Rom, wo Antonello hofft, bei einer Tante Unterkunft für sich und seine Freundinnen zu finden.

Diese Geschichte beschreibt ihren Weg voller Gefahren, aber auch eine außerordentliche Liebe jenseits der damals gültigen Moral. Nach und nach lernt Antonello die zwei ihm bis dahin unbekannten Mädchen kennen und stellt bei ihnen merkwürdige Eigenschaften fest. Mehr und mehr verfestigt sich seine Vermutung, es könnte sich um Feen handeln. Hinzu kommt noch Alessandra, die schöne Tochter eines Kardinals, die Antonellos Gefühlslage erheblich durcheinanderbringt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum23. Nov. 2016
ISBN9783734564215
Unterwegs mit den Feen: Eine lange Reise durch das Italien des Mittelalters

Ähnlich wie Unterwegs mit den Feen

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Unterwegs mit den Feen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Unterwegs mit den Feen - Adelchi-Riccardo Mantovani

    Erstes Kapitel

    Die Stadt Isolanova trägt noch den alten Namen, den sie hatte, als sie ein kleines Fischerdorf auf einer Insel zwischen zwei geschlossenen Armen des Flusses Po war. Man nimmt an, dass die ersten Bewohner in dieser sumpfigen und ungesunden Gegend Zuflucht gefunden haben, um nach dem Untergang des Römischen Reiches den Barbarenhorden zu entfliehen.

    Während einer katastrophalen Überschwemmung zu Beginn des zwölften Jahrhunderts änderte der Fluss seinen Lauf, um sich sechs Kilometer nördlich der Stadt ein neues Bett zu suchen, sodass Isolanova seitdem aufgehört hat, eine Insel zu sein.

    Ein paar Jahrzehnte später, nachdem die Bewohner das alte, noch versumpfte Flussbett trockengelegt hatten, um es fruchtbar zu machen, erlebte die kleine Stadt eine rasante wirtschaftliche Entwicklung und vergrößerte sich dabei derart, dass die damaligen Herrscher, die Herzöge Ubaldini, die erste Stadtmauer bauen ließen.

    Hundert Jahre später liierten sich die Ubaldini mit dem Geschlecht der De’Ardenti durch die Heirat eines ihrer Söhne mit einer Tochter dieser mächtigen venezianischen Familie.

    Es zeigte sich bald, dass diese Verbindung ein schwerer politischer Fehler war. Für Giovanni De’Ardenti, der schon lange ein gieriges Auge auf die Stadt Isolanova geworfen hatte, kamen jedoch die politischen Spannungen aufgrund des plötzlichen und mysteriösen Todes seiner Tochter gerade recht. Er befahl seinen Truppen eine Invasion des Herzogtums, um es zu besetzen und zu annektieren, was in kürzester Zeit auch passierte.

    Danach verdreifachte Giovanni das Gebiet der Stadt, indem er neue und noch stärkere Stadtmauern bauen ließ. Er ließ ferner mehrere alte Häuser vor dem Dom abreißen und einen großen majestätischen Palast errichten, der seine neue Residenz wurde.

    Unsere Geschichte beginnt am 1. April 1302, als eine Delegation aus Arcania mit einer sehr heiklen Aufgabe nach Isolanova kam. Die Delegation bestand aus drei älteren Herren: dem Bischof von Arcania, zwei Würdenträgern und einem Gefolge von dreißig Leuten. Grund dieser Reise waren Verhandlungen über eine mögliche Heirat zwischen Matilda, der Tochter des Grafen Granleoni von Arcania und Antonello, dem 18-jährigen Sohn von Herzog Nicolò dem zweiten.

    Nachdem der Herzog die Delegation mit passender Ehrerbietung willkommen geheißen hatte, empfing er sie in seinen Privaträumen, um das drängende Problem zu diskutieren, das auf der Tagesordnung stand.

    Zwischen den Städten Arcania und Isolanova bestand nämlich seit Jahrzehnten eine große Spannung. An ihren Grenzen kam es immer wieder zu Scharmützeln, die bisher noch nicht in einen offenen Krieg ausgeartet waren, weil keiner der beiden Kontrahenten stark genug war, den anderen zu bezwingen. Wegen dieser Patt-Situation beschlossen der Herzog Nicolò und der Graf Astolfo, einen Friedensvertrag zu unterzeichnen, auch im Angesicht einer gemeinsamen Gefahr, die sich zusammenbraute: Französische Truppen hatten bereits Teile Norditaliens besetzt und drohten auch, die beiden Städte zu erobern. Es handelte sich also um eine reine Zweckallianz, die durch die Heirat zwischen Antonello und Matilda gefestigt werden sollte.

    Ein Problem bei diesem Vorhaben war jedoch Antonello. Ursprünglich hatte sein Vater für ihn eine geistliche Karriere vorgesehen: Er sollte Kardinal werden. Aus diesem Grund wurde er, noch sechsjährig, in ein Kloster gesteckt, damit er die dafür geeignete religiöse Ausbildung bekäme. Mit 18 Jahren war er schon fast auf dem richtigen Weg, die Karriere einzuschlagen, die sein Vater für ihn vorgesehen hatte, als er eines Tages, zu seiner Überraschung, den Befehl bekam, das Kloster zu verlassen und in den Palast zurückzukehren.

    Bei den Dominikanern war Antonello eigentlich gar nicht so unglücklich gewesen. Während all dieser Jahre hatte er sich derart an das strenge Klosterleben gewöhnt, dass er sich kein anderes außerhalb dieser Mauern vorstellen konnte. Erst als er in den Palast zurückgekehrt war, erfuhr er den Grund des plötzlichen Sinneswandels seines Vaters: die Heirat mit Matilda.

    Diese Nachricht verstörte ihn sehr. Nicht dass er kein Interesse an Frauen hatte. Obwohl er einer geistlichen Karriere entgegensah, tat er nichts anders, als von ihnen zu träumen. Im Kloster hatte er sich eine eigene Fantasiewelt geschaffen, voll mit himmlischen Frauengestalten. Er empfand das keineswegs als Widerspruch zu seinem Keuschheitsgelübde, weil er die Frau als eine Art Engel betrachtete und nicht als ein Wesen, das man physisch lieben konnte. Und jetzt sollte er auf Befehl seines Vaters sein Leben total umkrempeln und eine Frau heiraten, die er nie gesehen hatte und von der er nur wusste, dass sie zehn Jahre älter war als er.

    Der Herzog und seine Gäste waren bei ihren Verhandlungen auch auf ein besonders heikles Thema zu sprechen gekommen: Der Graf Astolfo wollte eine Garantie für die Zeugungsfähigkeit des jungen Mannes haben. Daran hatte er nämlich seine Zweifel angesichts der vielen Jahre, in denen sich der Junge nur dem Gebet und dem Studium verpflichtet hatte und folglich von jeder Versuchung des Fleisches abgeschnitten gewesen war. Jahre, die seine Mannhaftigkeit hätten negativ beeinflussen können.

    Die Würdenträger hatten dem Herzog deshalb mitgeteilt, dass sie auch in der Eigenschaft als Zeugen gekommen waren, weil sie von ihrem Herrn die Aufgabe bekommen hatten, persönlich festzustellen, ob der junge Mann fähig war, seine eheliche Pflicht zu erfüllen. Der Herzog, der in Wirklichkeit seinen Sohn kaum kannte, zweifelte selber an dessen Potenz. Er beschloss deshalb, ein Gespräch unter vier Augen mit ihm zu führen, um ihm die Situation zu erklären. Bei dem Gespräch wagte es Antonello, einzuwenden, dass er für die religiöse Laufbahn bestimmt worden sei und deswegen nicht heiraten dürfe. Da unterbrach ihn sein Vater gleich, um ihm zu sagen, dass er den Titel des Kardinals vergessen solle, auch angesichts der Probleme, die in letzter Zeit zwischen Isolanova und dem Papst entstanden waren. Dieser würde ihm auf keinen Fall den Kardinalstitel verleihen. Da Antonello seinen Vater kannte, wusste er, dass es keinen Sinn hatte, ihm zu widersprechen. Er musste daher schweren Herzens sein Schicksal akzeptieren. Er bekam von seinem Vater ein kleines Porträt von Matilda, das die Gäste mitgebracht hatten. Ein Porträt jedoch, ohne jede Aussagekraft. Es war ein Frauengesicht, das der Maler so verjüngt hatte, dass man sie für eine Fünfzehnjährige hätte halten können.

    Als Antonello zurück in sein Zimmer ging, dachte lange über die neue Situation nach. Und je länger er überlegte, desto mehr wurde er von der Verwirrung ergriffen, dass er so plötzlich eine unbekannte Frau heiraten musste, nur um seinem Vater zu gehorchen. Wozu hatte er dann so lange im Kloster gelebt? Er hätte sich gerne jemandem anvertraut, um von ihm Rat einzuholen, aber im Palast gab es niemanden, mit dem er darüber sprechen konnte, nicht einmal seine Mutter, die wie er wusste, seinem Vater völlig hörig war.

    Er blieb den ganzen Abend in seinem Zimmer. Er lehnte sogar das Abendessen ab. Stundenlang betete er zu Gott, er möge ihm die Kraft geben, diese Probe zu bestehen und ihm den Weg zeigen, den er gehen solle.

    Antonellos Betragen gefiel dem Herzog, der Ärger ahnte, allerdings gar nicht. Daher ließ er ihn am nächsten Tag zu sich kommen, um ihn mit deutlichen Worten an seine Pflicht zu erinnern.

    Der Herzog hatte keine besondere Zuneigung zu seinem Sohn. Er konnte seine Charakterschwäche nicht verstehen. Er konnte nicht begreifen, warum dieser kräftig gebaute Junge kein Interesse an der Kriegskunst hatte. Manchmal, wenn Antonello für einige Tage vom Kloster nach Hause kam, hatte sein Vater ihn auf die Jagd mitgenommen. Obwohl der Junge ein sehr guter Bogenschütze war, wollte er auf keinen Fall Tiere töten. Er zog es vor, Zielscheiben zu treffen, die er an Bäumen befestigte. Diese Gefühlsduselei machte den Vater wütend. Manchmal zweifelte er sogar daran, dass er sein Sohn sei. Solange Antonello im Kloster war und sich dem Studium und der Kunst widmete, hatte er keine Probleme mit ihm, er ignorierte ihn einfach. Jetzt aber, da es sich um die Lösung wichtiger Staatsgeschäfte handelte, wollte er seine Autorität als Herzog und als Vater ausüben, um ihn zu zwingen, seinem Willen zu gehorchen.

    Sein idealer Nachfolger wäre für den Herzog sein erstgeborener Sohn Stefano gewesen. Er war ein kräftiger junger Mann, stolz, ungezähmt und voller Tatendrang. Leider musste der Herzog ihn zwei Jahre zuvor köpfen lassen, weil dieser gegen ihn revoltiert hatte, um die Macht an sich zu reißen. Er hatte zwar noch einen anderen Sohn, der war allerdings erst zehn Jahre alt. Deshalb musste er alle seine Hoffnungen auf Antonello setzen, obwohl er ihn für einen idealistischen Schwächling hielt. Die Abneigung war jedoch gegenseitig. Antonello empfand für seinen Vater nur Angst und Abscheu. Er kannte seine Grausamkeit, er wusste, dass er nicht nur seinen Sohn Stefano hatte umbringen lassen, sondern auch viele andere Menschen, die seinen Ambitionen und seiner Gier nach Macht im Wege standen. Eine Macht, die er nur durch Gewalt und Rücksichtslosigkeit behalten konnte. Und jetzt musste er sich in einer Sache, die ihm äußerst zuwider war, seinem Willen beugen. Er hoffte, dass die Frau, die ihm als Braut aufgezwungen werden sollte, ihm wenigstens gefallen würde, sowohl vom Aussehen als auch vom Charakter her.

    Das Gespräch verlief entsprechend spannungsgeladen. Am Ende verkündete der Herzog seinem Sohn, dass er sich am Abend bereithalten müsse, einen Beweis seiner Virilität zu geben. Antonello hatte keine Ahnung, was er damit meinte. Er dachte, dass es sich um eine Art Untersuchung handelte, die vom Hofarzt durchgeführt werden sollte. Er war daher sehr überrascht, als er nach dem Abendessen in einen Baderaum gebracht wurde, wo zwei Mägde ihn auszogen und in eine Wanne mit warmem Wasser steckten. Nachdem er gewaschen und parfümiert worden war, wurde er in sein Schlafzimmer geführt. Im Halbdunkel bemerkte er drei ältere Herren, die neben seinem Bett saßen. Er erkannte gleich den Bischof und die zwei Würdenträger der Delegation, die er während des Tages kennengelernt hatte. Mit dem Bischof hatte er sogar ein interessantes Gespräch auf Latein über die philosophischen Gedanken des Heiligen Augustinus geführt. Er hatte ihn sehr sympathisch und liebenswürdig gefunden, jetzt fragte er sich allerdings, was er und die anderen in seinem Schlafzimmer zu suchen hatten. Waren sie vielleicht diejenigen, die seine Virilität feststellen sollten? Wie denn? Das setzte ihn in eine große Verlegenheit, ein Gefühl, das noch stärker wuchs, als er merkte, dass in seinem Bett jemand lag. Es war ein Mädchen, von dem er nur den oberen Teil des Gesichts sah, da es sich die Bettlaken bis zu der Nase hochgezogen hatte. Der Bischof, der seine Verlegenheit bemerkt hatte, sagte zu ihm: «Ihr sollt Euch nicht fürchten, mein Sohn».

    «Aber ... was passiert denn hier? Was bedeutet das alles?», stotterte Antonello.

    «Nichts. Es geht hier nur um eine Übung als Vorbereitung zu Eurer Hochzeit. Wir haben nur das zu bezeugen, was wir überhaupt nicht bezweifeln, nämlich, dass Ihr imstande seid, die große Aufgabe, die Gott Euch auferlegt hat, zu bewältigen: Matilda Granleoni zu heiraten und ihr wenigstens einen Sohn zu schenken. Das junge Mädchen, das in Eurem Bett liegt, steht Euch zu diesem Zweck zur Verfügung.»

    Antonello richtete den Blick erneut auf das Mädchen, das ihn mit ihren dunklen Augen anstarrte. Ein Wirrwarr von Gedanken wirbelte in diesem Augenblick in seinem Kopf. Ist das nicht eine Aufforderung zur Sünde? – fragte er sich. Er wusste, dass eine sexuelle Beziehung vor der Ehe eine Todsünde war, auch wenn er nun nicht mehr den geistigen Weg gehen sollte. Er kannte schließlich das neunte Gebot sehr gut. Und nun forderte ihn ausgerechnet ein hoher Vertreter der Kirche auf, die Gesetze Gottes zu brechen.

    Der Bischof, der seine Gedanken gelesen hatte, sagte zu ihm: «Ihr sollt nicht glauben, dass Ihr eine Sünde begeht. Gott weiß, um die menschlichen Notwendigkeiten, und in Seiner großen Barmherzigkeit ist er immer bereit, Ausnahmen von seinen eigenen Regeln zu machen, wenn es um das Wohlergehen seiner Kinder geht. Solltet Ihr dennoch Zweifel haben, so seid gewiss, dass ich als Bischof immer bereit bin, Euch die Absolution zu erteilen. Und nun bitte ich Euch darum, Eure Pflicht zu erfüllen. Fürchtet Euch nicht vor uns. Tut, als wären wir nicht anwesend.»

    Noch bevor Antonello seine Zweifel äußern konnte, fing eine Magd an, ihn von seinem Gewand zu befreien, während eine andere das Bettlaken, das das Mädchen bedeckte, entfernte. Nachdem die Mägde das Zimmer verlassen hatten, bat der Bischof den jungen Mann mit einem Handzeichen, sich auf das Mädchen zu legen. Antonello, der in seinem Leben noch nie einen nackten Mädchenleib gesehen hatte, vergaß in diesem Augenblick alles, was er über die Höllenqualen gehört hatte, die den Unzüchtigen bevorstehen würden. Obwohl er noch keinerlei Erfahrung hatte, verstand er sofort, wie ein Liebesakt durchzuführen sei. Es halfen ihm auch vage Erinnerungen aus der Zeit, bevor er ins Kloster ging, als ihn sein älterer Bruder mit drastischen Worten aufklärte. Er fand es deshalb selbstverständlich sich auf das Mädchen zu legen, um das zu tun, was alle von ihm erwarteten. In diesem Augenblick war sein Gehirn ausgeschaltet. Nichts war von moralischen Skrupeln geblieben. Sein Körper und sein Geist waren zu seinem eigenen Erstaunen voll in der Gewalt der Leidenschaft. Allerdings war der Liebesakt wegen seiner großen Aufregung von kurzer Dauer, aber ausreichend, um ihn und die Delegation aus Arcania in jeder Hinsicht zu befriedigen. Jetzt wussten die drei Würdenträger, was sie ihrem Herrn zu berichten hatten.

    Während Antonello noch ganz von dieser Erfahrung benommen war, löste er sich von dem Mädchen, drehte sich auf den Rücken und blieb schweigend mit geschlossenen Augen liegen. Plötzlich hörte er die Stimme seiner Mutter sagen: «Los hau ab!»

    Er schaute in die Richtung, aus der die Stimme kam, überrascht und irritiert, dass neben den alten Herren noch andere Zuschauer im Zimmer waren. Er verstand aber, dass seine Mutter mit der schroffen Aufforderung nicht ihn gemeint hatte, sondern das Mädchen, das sofort aufstand und im Halbdunkeln verschwand. Mit ihr verließen auch die drei Herren das Zimmer. Antonello missfiel es sehr, das Mädchen weggehen zu sehen. Er hätte sich gerne mit ihr unterhalten, um wenigstens ihren Namen zu erfahren. Das Einzige, was er von ihr wahrgenommen hatte, war ihr schönes Gesicht, ihre blonden Haare und der unglaublich feine Duft ihres Körpers.

    «Wer war denn dieses Mädchen?», fragte er die Mutter.

    «Niemand!»

    «Was heißt denn niemand?»

    «Mach dir deswegen keine Sorgen. Wenn ich dir sage, niemand ist es niemand! Es war nur eine Küchenmagd.»

    «Eine Küchenmagd?», fragte Antonello nachdenklich. Seine erste Frau war also nur eine Küchenmagd gewesen. Aber bevor er noch etwas äußern konnte, setzte sich seine Mutter zu ihm aufs Bett und nahm zärtlich seine Hand. Antonello war wegen ihrer ungewöhnlichen Geste erstaunt, denn sie hatte ihm gegenüber sonst nie zärtliche Gefühle gezeigt. Wollte sie ihn jetzt mit dieser Geste für seine sexuelle Leistung belohnen? In diesem Augenblick fing er an, sich zu schämen. Er, der immer ein sehr schamhafter Junge gewesen war, hatte sich wie auf dem Jahrmarkt zur Schau stellen müssen! Er fand deshalb die Zärtlichkeiten seiner Mutter völlig fehl am Platze.

    «Ich bin sicher, dass dein Vater stolz auf dich sein wird», sagte sie.

    «Natürlich! Stolz wie bei einer erfolgreichen Paarung seiner Pferde», antwortete Antonello verbittert und zog seine Hand zurück.

    «Jetzt bist du aber ungerecht. Du weißt ganz genau, dass dein Vater dich sehr liebt und immer nur an deine Zukunft denkt. Du solltest ihm dankbar sein, dass er dir die Möglichkeit gibt, eine Granleoni zu heiraten. Man sagt, sie sei eine wunderschöne Frau und von großer Vornehmheit, die du nicht einmal verdienst. Und die kleine Prüfung, der du dich heute Abend hast unterziehen müssen, war absolut notwendig, sonst hätte ihr Vater dich abgelehnt. Ich denke ferner, dass es für dich keine große Mühe war, mit diesem Mädchen zu schlafen.»

    «Du meinst mit dieser Küchenmagd? Meine erste Frau hätte ich mir ganz anders vorgestellt.»

    «Du bist immer der ewig Unzufriedene. Man kann für dich nie etwas richtig machen!», sagte die Mutter mit lauter, erregter Stimme.

    Antonello wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit ihr zu diskutieren, vor allem sobald sie anfing, laut zu sprechen. In der Tat begann sie zu schreien und ihn einen undankbaren und unwürdigen Sohn zu nennen, als er sie bat, ihn allein zu lassen. Antonello fühlte sich sehr erleichtert, als sie endlich mit einem großen Türknall das Zimmer verließ.

    Er blieb im Bett liegen, um über die Ereignisse der letzten Tage nachzudenken. Er war seiner kleinen Klosterwelt entrissen worden, um eine Frau zu heiraten, die, wenn er seinem Vater, seiner Mutter und vielen anderen Leuten glauben sollte, von seltener Schönheit und von noblem Geist war. Wenn es wirklich so war, hätte er vielleicht nichts dagegen gehabt, aber er musste deswegen der geistlichen Karriere Lebewohl sagen. Außerdem hatte er an diesem Abend seine erste sexuelle Erfahrung gemacht, wenn auch nur mit einer Magd. Und das bedrückte ihn am meisten. Er hatte die religiösen Prinzipien über Bord geworfen, die ihm in all den Jahren so wichtig gewesen waren. Es erschien ihm sogar ein Sakrileg, was der Bischof gesagt hatte. Er hatte nämlich noch nie gehört, dass Gott Ausnahmen von seinen Gesetzen erlaubt. Für einen Augenblick hatte er sogar den Verdacht gehabt, dass dieser Herr gar kein Bischof war, sondern jemand, der eine Rolle spielte, die er mit dem Herzog vereinbart hatte. Beim Gedanken an die Diskussion, die er mit ihm beim Essen geführt hatte, verwarf er diesen Verdacht allerdings gleich wieder. Ein falscher Bischof hätte sich nie so gut auf eine derart kluge Art und Weise über die Philosophie des heiligen Augustinus oder Plato auf Latein ausdrücken können.

    Trotzdem plagten Antonello das schlechte Gewissen und das Bewusstsein, dass schreckliche Höllenqualen auf ihn warten würden, wenn er in diesem Augenblick stürbe. Das süße Parfum des Mädchens, das noch an seinem Körper haftete, erinnerte ihn ständig an seine Sünde. Der letzte Gedanke, bevor er einschlief, war deshalb, dass er so schnell wie möglich zur Beichte gehen musste.

    Am nächsten Tag sah er den Bischof wieder, der das Ereignis vom Vortag nicht einmal erwähnte. Er stellte ihm stattdessen viele Fragen in Bezug auf sein Leben im Kloster, sein Studium, seine Professoren etc. Der Bischof hatte jeden Grund, mit ihm zufrieden zu sein. Er war genau so, wie man ihn ihm beschrieben hatte: ein schöner junger Mann, überdurchschnittlich groß, mit kräftiger Konstitution, sexuell sehr potent, sehr intelligent, sehr gebildet und sehr, sehr naiv, ergo: der ideale Ehemann für Matilda. Der Bischof betrachtete also seine Reise nach Isolanova als einen vollen Erfolg. Dem Graf Astolfo hatte er deshalb nichts als Gutes zu berichten.

    Die Verhandlungen für die Hochzeit waren schwierig und langwierig. Der Herzog Nicolò war sehr anspruchsvoll. Der Graf Astolfo musste letztendlich fast alle seine Forderungen akzeptieren, obwohl er sehr über seine Dreistigkeit erbost war. Für ihn ging es nicht nur darum mit einem alten Feind Frieden zu schließen, und um eine Allianz gegen potenzielle Feinde, sondern er hatte auch die einmalige Gelegenheit, seine Tochter an eine der angesehensten Familien Italiens zu verheiraten. Er verpflichtete sich deshalb, eine Aussteuer von hunderttausend Dukaten zu geben und außerdem eine Reihe von Vorteilen für die Signoria von Isolanova einzuräumen, wie die Abtretung eines Teils jener Gebiete, die in den letzten Dekaden so verbissen umkämpft waren. Vergessen waren nun die Grenzkonflikte. Vergessen war auch die besonders grausame Episode, die sich ein paar Jahre zuvor ereignet hatte, als die Soldaten des Herzogs die Festung Santo Stefano belagert und zur Ergebung gezwungen hatten, wobei die Verteidiger zwar freigelassen wurden, aber nur, nachdem man ihnen die Nase abgeschnitten und die Augen ausgestochen hatte. Ein Jahr später fiel die Festung wieder in die Hände der Granleoni, die sich dadurch rächten, dass sie alle Verteidiger köpften. Mit dem Abkommen ging übrigens die Festung endgültig in den Besitz des Herzogs Nicolò II über.

    Am ersten Mai des Jahres 1302 wurde der Ehevertrag im Palast des „Orso", einem Besitz der Familie der Ardenti einige Meilen außerhalb Isolanova, unterschrieben. Es wurde auch der Hochzeitstag nach Empfehlung der Hofastrologen bestimmt: der 20. Juni. 1302.

    Am Tag der Abreise nach Isolanova stellte der Graf seiner Tochter Matilda eine Eskorte von hundertfünfzig Personen zur Verfügung, darunter Reitersoldaten, Diener, Spielmänner, sowie 30 Mädchen und Frauen zu ihrer persönlichen Betreuung. Etwa 30 Maulesel waren außerdem nötig, um die Aussteuer der Braut zu transportieren.

    Einige Tage später erreichte die Reisegesellschaft Isolanova. Es war der 12. Juni 1302, ein sonniger und sehr heißer Tag. Die ganze Stadt war festlich geschmückt. Der Herzog, der keine Kosten gescheut hatte, um das Ereignis zu feiern, empfing die Braut und ihr Gefolge mit der nötigen Ehrerbietung am Südtor, genannt Porta S. Marco. Matilda stieg aus ihrer prunkvollen Kutsche, um dem Herzog und der Herzogin entgegenzutreten. Antonello hielt sich noch etwas beiseite. Als er sie jedoch sah, verwechselte er sie mit einer Hofdame. Vor ihm stand in der Tat eine Frau, die trotz der Pracht und Eleganz ihrer Kleidung jede Schönheit vermissen ließ. Er suchte sie daher mit den Augen unter den eleganten und schönen Damen des Gefolges. Er war jedoch überrascht, um nicht zu sagen entsetzt, als sein Vater ihm die richtige Matilda vorstellte, bei der nicht nur von Schönheit keine Rede war, sondern die auch älter aussah als ihre 28 Jahre. Nichts an ihr war ansehnlich. Sie hatte ein breites, ausdrucksloses Gesicht mit dünnen Lippen, wässrigen Augen, eingefallenen Wangen und eine lange dünne Nase.

    Antonello musste gute Miene zum bösen Spiel machen. Er war zu wohlerzogen, um offen seine Enttäuschung zu zeigen, aber innerlich kochte er. Wie konnte sein Vater ihm so eine unmögliche Frau vorschlagen? Er schaute sich um und merkte auf den Gesichtern der Anwesenden den Ausdruck der Überraschung, aber auch des Mitleids. Viele in seinem Gefolge, die wie er wenigstens eine schöne Frau erwartet hätten, waren ziemlich verstört, Matilda jetzt leibhaftig zu sehen. Er richtete den Blick auf seine Mutter und merkte, dass auch ihr das Lächeln auf dem Gesicht gefroren war. Sein Vater dagegen bemühte sich, eine übertriebene Galanterie gegenüber der zukünftigen Schwiegertochter zu zeigen. Das hinderte ihn jedoch nicht, in einem unbemerkten Augenblick leise zu seinem Sohn zu zischen, er solle bitte schön, nicht so ein enttäuschtes Gesicht zeigen. Antonello gab sein Bestes; mit wenig Erfolg allerdings. Als er mit Matilda ein paar förmliche Sätze sprach, deutete er sogar ein Lächeln an. Er spürte aber, dass die Enttäuschung gegenseitig war. Auch sie hatte ihre Enttäuschung nicht mit einem falschen Lächeln verbergen können.

    Später, zurück im Palast, hatte sich Antonello gerade in sein Zimmer zurückgezogen, um über die neue unangenehme Situation nachzudenken, als der Herzog plötzlich erschien.

    «Wie kannst du es dir erlauben, gegenüber deiner zukünftigen Ehefrau so unhöflich zu sein? Glaubst du, dass sie und ihre Mutter es nicht gemerkt haben?», fragte er ohne Umschweife und ganz aufgebracht.

    Antonello hatte es bis zu diesem Augenblick nie gewagt, seinem Vater zu widersprechen. Er hatte zuviel Angst vor ihm gehabt. Er wusste, dass es sehr gefährlich war, ihn als Feind zu haben. Dieses Mal jedoch, da es sich um seine eigene Zukunft handelte, wagte er zu protestieren.

    «Du hast sie mir immer als eine wunderschöne Frau beschrieben, du hast aber selber gesehen, wie hässlich sie ist. Wie kannst du von mir verlangen, dass ich mein ganzes Leben mit einer derartig unansehnlichen Frau verbringen soll?»

    Der Herzog war sehr über die Reaktion seines Sohnes erstaunt. Er hätte ihn nie für fähig gehalten, ihm zu widersprechen.

    «Hör mal zu, Antonello», sagte er mit genervter Stimme, «es langweilt mich sehr, deine Klagen zu hören. Du weißt genau, dass es deine Pflicht ist, diese Frau zu heiraten. Ich will dir jetzt nicht noch mal alle wichtigen Gründe aufzählen, die mich gezwungen haben, diese Ehe zu arrangieren. Ich gebe zu, Matilda ist nicht besonders schön. Na und!? Als ob Schönheit alles im Leben ist! Sie hat sicherlich andere Eigenschaften. Man sagt, sie sei sanft und liebenswürdig ...»

    «Das muss ich erst mal noch erleben. Auf dem Weg bis zum Palast hat sie mir auf jeden Fall nichts davon gezeigt. Wenn sie genau so sanft und liebenswürdig ist, wie sie hätte schön sein sollen, dann habe ich daran meine Zweifel.»

    Der Herzog, der keine Lust hatte, über diese Sache zu diskutieren, brüllte ganz wütend und betonte dabei jedes einzelne Wort: «Hör mal zu, du wirst diese Frau heiraten, ob sie dir gefällt oder nicht. Das fehlt mir noch, dass einer wie du meine Pläne durchkreuzt. Und nun, Schluss mit dem Gejammer!»

    Damit drehte er sich um und verließ den Raum.

    Antonello blieb verbittert und gedemütigt zurück. Was meinte sein Vater eigentlich mit „einer wie du"? Was war er für ihn? Nur ein Gegenstand in seinen Händen, den er bewegen konnte, wie er wollte? Eine Schachfigur etwa? Er spürte, wie ein tiefer Groll begann, in seinem Herzen zu wachsen. Er wusste, dass er noch nicht imstande war, gegen ihn zu opponieren, aber etwas in seinem Inneren sagte ihm, dass er sich langsam auf einen langen Kampf gegen ihn einstellen müsste. Jetzt, mit achtzehn Jahren, betrachtete er sich noch als zu jung und zu unerfahren, um sich durchzusetzen, sollte er aber in eine Ecke getrieben werden, müsste er auch lernen zu reagieren. Jetzt sah er leider keine andere Möglichkeit, als seinem Vater zu gehorchen und Matilda zu heiraten, obwohl allein der Gedanke, mit dieser Frau intim werden zu müssen, ihn jetzt schon in einen Panikzustand versetzte.

    Seine Mutter war für ihn keine Hilfe. Das hätte er von ihr auch nicht erwartet. Immerhin hatte sie ihm gesagt, dass sie selber sehr erstaunt darüber war, dass Matilda nicht der Beschreibung, die von ihr gemacht wurde, entsprach (sie wagte es nicht, das Wort „hässlich" zu benutzen). Und sie hatte ein gewisses Verständnis für seinen Widerwillen. Sie legte ihm jedoch sehr ans Herz, sein Schicksal zum Wohle der Familie zu akzeptieren.

    Nach langer Überlegung ließ Antonello schließlich seine Eltern wissen, dass er bereit war, seine Pflicht zu tun. Dieser Akt der Unterwerfung besänftigte seinen Vater, der sich von nun an ganz den Vorbereitungen der Hochzeitsfeierlichkeiten widmen konnte.

    Die ganze Stadt Isolanova war in jenen Tagen in heller Aufregung. Überall konnte man sehen, wie Maler und Dekorateure am Werke waren, um die Stadt zu schmücken. Die wichtigsten Gebäude waren mit den Wappen der zwei Herrschaftshäuser dekoriert.

    Am Hofe schienen alle euphorisch zu sein, mit Ausnahme von Antonello, der sich in den Tagen vor der Hochzeit fast immer in sein Zimmer zurückzog und die Zeit mit Lesen, Schreiben, Laute spielen und grübeln über seine düstere Zukunft verbrachte.

    Seine Eltern, die ihn als etwas sonderbar und tendenziell als Misanthrop betrachteten, ließen ihn gewähren.

    Gegen Abend war es für ihn eine willkommene Abwechslung, durch das Fenster seines Zimmers hinunter zum Domplatz zu schauen, wo Jongleure und Spielleute aus Arcania für die Feierlichkeiten übten und nebenbei auch der Volksbelustigung dienten.

    Matilda sah er bis zum Hochzeitstag nicht mehr, so wollten es die Eltern. Sie wohnte mit ihrem Gefolge in einem Flügel des Palastes, der dem von Antonellos Zimmer entgegengesetzt war. Für ihn war es gut so; Zeit mit ihr zusammen zu sein würde er nach der Heirat mehr als genug haben.

    Inzwischen mussten sie beide die Trauungszeremonie mit Statisten peinlich genau üben. Alles sollte am großen Tag perfekt stimmen. Außerdem musste Antonello Tanzunterricht nehmen. Er sollte imstande sein, bei den großen Bällen nach der Hochzeit mitzumachen. Sein Enthusiasmus für den Tanz war jedoch sehr gering. Er hasste es, inmitten von Menschen zu stehen. Er fühlte sich schüchtern und verloren, umso mehr, als er annahm, das Objekt des allgemeinen Mitleids zu werden.

    Auch Matilda schien nicht besonders begeistert, Antonello heiraten zu müssen. Gleich bei der ersten Begegnung hatte sie an seiner Mimik gemerkt, dass er sie überhaupt nicht mochte. Sie fand ihn, nicht nur deswegen, unsympathisch. Sie wusste nicht, was sie mit so einem schüchternen und linkischen jungen Mann anfangen sollte. Ein Klosterjunge eben! Da sie aber die Bemühungen ihrer Eltern kannte, sie verheiraten zu wollen, beugte sie sich ihrem Willen. Sie hatte vorher schon genug Anwärter gehabt, aber jedes mal, wenn diese sie zum ersten Mal zu Gesicht bekamen, suchten sie irgendeine Ausrede, um sie nicht heiraten zu müssen. Nun wusste sie, dass der naive, zahme Antonello (so wurde er ihr beschrieben) die Ehe nie verweigern würde. Da sie jedoch realistisch genug war, dachte sie, dass so ein Mann besser war als gar keiner. Sie würde wenigstens die Freude haben, ihn nach ihrer Vorstellung zu formen.

    Nicolò II war nicht besonders beliebt bei seinen Untertanen. Er wurde wegen seiner maßlosen Geldgier und seiner Grausamkeit gehasst. Seine Untertanen wussten auch, dass er nach den Feierlichkeiten die Steuer erhöhen würde, um die Kosten wieder einzutreiben, die die Heirat verursachen würde.

    Ein Ausdruck dieses Hasses waren die sarkastischen Gedichte einiger anonymer Dichter, die bei bestimmten Gelegenheiten immer in Umlauf kamen. Dieses Mal war die Hässlichkeit der Braut und die angebliche Naivität und Dusseligkeit des Bräutigams die Zielscheibe ihres Spotts. Die Schriften waren schon seit einigen Tagen in der Stadt im Umlauf, sowohl bei den armen Leuten als auch bei den Reichen. Der Herzog pflegte sich in der Vergangenheit bei solchen Anlässen zu rächen, indem er die angeblichen Autoren zu Tode foltern ließ. Dieses Mal, jedoch, wollte er das Ende der Feierlichkeiten abwarten. Er konnte daher nicht verhindern, dass das Volk die Schmähverse lauthals durch die Straßen von Isolanova schrie. Keine guten Vorzeichen für die kommende Ehe zwischen Antonello und Matilda.

    Die Hochzeit wurde am 20. Juni 1302 zelebriert. Vertreter der vornehmsten Familien Norditaliens waren eingeladen, sowie hohe Prälaten aus Rom. An diesem Tag wünschte sich Antonello allerdings von Herzen, ganz woanders zu sein. Es widerstrebte ihm, der Protagonist eines Theaterstücks zu sein, das ihm absurd und lächerlich erschien. Allein der Gedanke, im Mittelpunkt tausender Augen zu stehen, versetzte ihn in einen Zustand der Beklemmung. Er hatte seinen Eltern jedoch versprochen, sein Bestes zu tun, damit alles gut gelinge. Er hatte alles fleißig geübt und auswendig gelernt, was mit der Hochzeitszeremonie zu tun hatte. Mit seinem Vater hatte er keine Probleme mehr gehabt, seitdem er seinen guten Willen bewiesen hatte. Dieser war ohnehin zu sehr damit beschäftigt, seine Gäste mit der Pracht seines Hofes zu beeindrucken, als sich um ihn zu kümmern.

    Als Antonello an jenem Morgen wach wurde, spürte er eine große Sehnsucht nach dem Kloster. Gerne wäre er noch mal in der Stille seiner Säulengänge spazieren gegangen, um sich vom intensiven Duft der Blumen des großen Gartens berauschen zu lassen und über die Dinge nachzudenken, die er am meisten liebte: Philosophie, Literatur, Musik und das imaginäre Gespräch mit seiner Angebeteten, dem engelhaften Mädchen seiner Träume, das er Clara nannte. Solange er im Kloster lebte, versäumte er an keinem Abend, bevor er einschlief, einen letzten Gedanken an seine ausgedachte Freundin zu richten, mit zarten Worten und Liebes-Sonetten, die er während des Tages für sie geschrieben hatte.

    Aber seine Träumereien wurden plötzlich von der Realität unterbrochen. Eine Dienerin klopfte an die Tür, um ihm zu sagen, dass das Bad vorbereitet sei. Von diesem Augenblick an hatte er das Gefühl, er sei eine andere Person, so als ob er sich selbst beobachtete, während er gewaschen und mit eleganter Hochzeitskleidung angezogen wurde, und dann mit seiner Familie, Höflingen und Gästen in einer langsamen Prozession in Richtung Kathedrale schritt.

    Die Trauungszeremonie wurde vom Bischof von Isolanova zelebriert. Antonello verfolgte die verschiedenen Phasen mit einem völlig leeren Kopf. Ab und zu warf er einen heimlichen Blick auf Matilda, die heute sogar wie eine Prinzessin aussah. Ihre Kammerzofen mussten Wunder beim Schminken vollbracht haben. Sie war mit so kostbaren Juwelen geschmückt, dass sie, zusammen mit dem Hochzeitskleid, für lange Zeit das Hauptthema der vornehmen Damen war. Während die Brautleute die Ringe tauschten, lächelten sie sich sogar an. Ein Lächeln, das fast wie echt aussah. Sie wussten, dass jede ihrer Bewegungen und Gemütsäußerungen von sehr kritischen Augen beobachtet wurde, und sie konnten sich nicht erlauben, ihre Familien zu enttäuschen.

    Nach der Zeremonie stiegen sie auf eine offene Karosse und zogen durch die Hauptstraßen der Stadt, vom Volke mehr bestaunt als bejubelt. Für die Bewohner von Isolanova war dies eine Gelegenheit, den Herzog, seine Familie und den Rest des Adels, der mit der elegantesten Kleidung und den kostbarsten Juwelen prunkte, zu beobachten, aber auch, um festzustellen, ob die Braut wirklich so hässlich war, wie man von ihr sagte. Die Neugier des Volkes war so groß, dass sie für einen Tag vergaßen, die Herrscherfamilie zu hassen.

    Nach der Parade begaben sich die Brautleute, ihre Familie und die eingeladenen Gäste zu dem großen und prunkvollen Bankettsaal, wo ein Festmahl stattfand, das sich bis zum Abend hinzog. Zwischen den Gängen gab es Konzerte mit Musik und Gesang, die sich mit Auftritten von Spielleuten und Hofnarren abwechselten. Ferner gab es Dichter, die die Aufgabe hatten, die Tugenden der Brautleute zu preisen; sie vermieden jedoch, die nicht vorhandene Schönheit der Braut zu erwähnen.

    Antonello, immer noch von den ganzen Umständen eingeschüchtert, wurde erst durch den Wein etwas gesprächig. Da er gezwungenermaßen verdammt war, den Rest seines Lebens mit Matilda zu verbringen, wollte er die Gelegenheit nutzen, ein Gespräch mit ihr anzufangen. Er begann mit den ersten Banalitäten, die ihm durch den Kopf gingen: Die Zeremonie am Morgen, die Gäste, die Spielleute, die Hofnarren, aber plötzlich verschwand sein erzwungenes Lächeln. Er hatte vorher schon Matildas seltsame Art zu sprechen bemerkt, da sie die Lippen kaum bewegte. Erst jetzt verstand er auch warum; sie wollte nicht zeigen, dass sie fast nur kranke Zähne hatte. Mein Gott!, dachte er, wie würde er je solch einen Mund küssen können? Matilda bemerkte sein enttäuschtes Gesicht. Es war ihr bewusst, dass sie keine schöne Frau war, sie verlangte jedoch von Antonello als ihrem Ehemann, dass er sie so akzeptierte, wie sie war. Und jetzt, wo sie gemerkt hatte, dass ihre schlechten Zähne von ihm schon bemerkt worden waren, brauchte sie keine Zurückhaltung mehr zu zeigen. Sie fing also an, sich mit ihrer kritischen Meinung zu nahezu jedem Aspekt der Trauungszeremonie zu äußern. Sie nahm Anstoß an den Anwesenden, vom Bischof angefangen bis zu den, vor allem weiblichen Gästen, die nach ihrer Meinung schrecklich angezogen waren, entsetzliche Frisuren und altmodische Schuhe trugen und deren Schmuckstücke nur billige Imitationen seien. Sie sprach wie ein Wasserfall. Antonello wagte es nicht, sie zu unterbrechen, obwohl er den ganzen Tratsch öde und sehr unangebracht fand. Er konnte sich nicht vorstellen, wie er mit dieser Frau über Poesie, Musik oder Philosophie diskutieren sollte, und noch weniger, ihr Sonette widmen. Auch in diesem Punkt fühlte er sich von seinem Vater betrogen, der ihre Bildung und ihr großes Interesse an geistigen Themen gepriesen hatte. Kurz gesagt, seine gerade angetraute Frau schien alles zu besitzen, was er an einer Frau nicht mochte. Die Hoffnung, an ihr etwas zu finden, was sie beide hätte verbinden können, schien ihm immer mehr zu schwinden. Zum Glück mischte sich ihre Mutter, die neben ihr saß, in die Diskussion ein, indem sie ihrerseits alles und alle kritisierte.

    Zu seiner rechten Seite saß sein Vater, der kaum ein Wort mit ihm wechselte, denn er war die ganze Zeit zu sehr beschäftigt, mit dem neben ihm sitzenden Graf Astolfo sehr laut zu lachen und sich köstlich zu unterhalten, sodass man hätte glauben können, sie seien schon immer dicke Freunde gewesen.

    Antonello ließ gelangweilt den Blick umherschweifen, um die vielen Gäste zu betrachten, als er eine junge Magd bemerkte, die gerade die Gäste bediente. Er war gleich von ihrer Schönheit beeindruckt. Sie mochte dreizehn oder vierzehn Jahre alt gewesen sein. Sie war sehr blond, hatte dunkelblaue Augen, eine ganz helle Hautfarbe, rote und volle Lippen. Sie bewegte sich zwischen den Gästen mit großer Unbefangenheit und hatte für alle ein freundliches Lächeln. Für Antonello schien sie die Verkörperung der Clara seiner Träume zu sein. Und als sie an ihm vorbeiging, blickte sie ihm derart in die Augen, dass es ihn verlegen machte. Er hatte irgendwie den Eindruck, sie schon einmal gesehen zu haben. Diese Augen, dieser Blick waren ihm doch nicht ganz fremd. Als sie wenig später wieder vorbeikam, um ihm Wein in den Kelch zu gießen, wagte er sie anzusprechen, zumal Matilda noch in das Gespräch mit ihrer Mutter vertieft war.

    «Verzeihe mir», fragte er ganz leise, «kennen wir uns?»

    «Natürlich», antwortete das Mädchen mit einem seltsamen Lächeln.

    «Ich weiß nicht ... aber, wo haben wir uns schon mal gesehen?»

    Sie näherte sich ihm so, dass sie ihm ins Ohr flüstern konnte: «Sie haben mit mir geschlafen, mein Herr. Habt ihr es schon vergessen?»

    Antonello starrte sie völlig erstaunt an.

    «Aber ... dann warst Du das also in dieser Nacht! Verzeihe mir ... das Zimmer war sehr dunkel. Ich konnte dich heute nicht wiedererkennen», stammelte er leise.

    Sie schauten sich für einen kurzen Augenblick in die Augen, dann verschwand sie, da sie merkte, dass Matilda ihre Unterhaltung schon registriert hatte. Aber zuvor konnte sie ihm noch schnell zuflüstern: «Mein Name ist Isabella!»

    Als Antonello sich zu Matilda drehte, sah er einen sehr bösen Ausdruck in deren Augen.

    «Was wollte diese Magd?», fragte sie ihn ganz schroff.

    «Nichts, sie hat nur gefragt, ob ich Wasser haben wollte.»

    Matilda schien mit der Antwort zufrieden zu sein, denn sie setzte das Gespräch mit ihrer Mutter fort.

    Antonellos Gemüt befand sich in diesem Moment in extremem Aufruhr. Ihm war ganz plötzlich der Augenblick der Ekstase, den er mit diesem Mädchen erlebt hatte, mit Macht wieder in den Sinn gekommen. Er hatte zwar in der letzten Zeit versucht, Isabella mit der ganzen Kraft seines Glaubens zu verdrängen, aber ohne Erfolg, denn jene kurzen Augenblicke der Leidenschaft hatten ihn völlig verwirrt. Er war immer noch überzeugt, eine schwere Todsünde begangen zu haben, obwohl der Bischof von Arcania ihm das Gegenteil zu versichern suchte. Er hatte zwar am nächsten Tag gebeichtet, das war ihm aber nicht genug. Das Keuschheitsgelübde, das er vor Gott und der Heiligen Jungfrau Maria abgelegt hatte, wurde in jener Nacht zunichtegemacht. Er war sicher, dass der Teufel dabei war, seinen schädlichen Einfluss auf ihn auszuüben, um seine Seele zugrunde zu richten.

    Und nun stand dieses Mädchen, das nach jener Nacht für ihn nichts anders war als ein Objekt des Teufels, plötzlich bei Tageslicht vor ihm, schön und unschuldig wie ein Engel.

    Isabella hieß sie. Ein Name, der in der Tat sehr zu ihr passte: Isabellissima! Warum war nicht sie seine Braut statt dieser langweiligen und unerquicklichen Matilda? Sie hatte nichts Teuflisches an sich. Im Gegenteil! Sie war ein hübsches junges Mädchen mit sanften Augen und einem freundlichen Lächeln. Wie konnte so ein Geschöpf ein Werkzeug des Teufels sein? Obwohl seine Vorgesetzten immer vor der äußerlichen Erscheinung der Frauen gewarnt hatten, indem sie mahnten, dass die Möglichkeit, dass Frauen Kreaturen des Teufels seien, umso größer ist, je schöner sie sind. Wenn man also nach dieser Logik geht dachte er - dann müsste Matilda die heilige Maria sein. Antonello drehte sich wieder zu ihr, um dem Gespräch zu folgen, das sie mit ihrer Mutter noch führte. Es ging um eine Cousine, die festgestellt hatte, dass ihr Mann sie mit einer Kurtisane betrog.

    «Ich an ihrer Stelle», sagte Matilda, «würde dieser Frau die Augen auskratzen und die Nase abschneiden.»

    Die Grausamkeit gegenüber ihren Feinden musste eine alte Tradition der beiden adligen Familien sein, dachte Antonello und erschauderte beim Gedanken, dass Matilda tatsächlich imstande wäre, mögliche Rivalinnen so zu behandeln. Mein Gott, und ausgerechnet mit dieser Frau musste er an jenem Abend intim werden! Um sich zu trösten, suchte er mit den Augen wieder nach Isabella, aber diese war den ganzen Abend nicht mehr zu sehen.

    Es war sehr heiß an dem Tag, und die Speisen waren sehr scharf gewürzt. Antonello trank deswegen den weißen Wein, der kühl aus dem Keller kam, als wäre er eine erfrischende Limonade. Er war nicht daran gewöhnt, Alkohol zu trinken, deswegen merkte er, als er aufstand, um kurz zur Toilette zu gehen, dass er Gleichgewichtsprobleme hatte. Als er an seinen Platz zurückkehrte, fühlte er sich sehr schlecht und wurde ganz bleich im Gesicht.

    Kurz danach begann, als Krönung des Abends, der Tanz. Die Gäste begaben sich alle in den Schachsaal, der so genannt wurde, weil alle Wände mit Symbolen dieses Spiels bemalt waren. Antonello war schon bereit, den Tanzabend mit Matilda zu eröffnen, doch sobald die ersten Musiktöne erklangen, musste er ganz eilig hinaus auf den Hof rennen, um sich zu erbrechen. Die Gäste waren alle entsetzt, vor allem Matilda, die überhaupt nicht aufhören konnte, sich über diesen tölpelhaften Mann, den sie gerade geheiratet hatte, zu wundern.

    Jemand äußerte den Verdacht einer Vergiftung. Der Herzog ließ voller Entsetzen gleich den Hofarzt kommen, um diese Möglichkeit auszuschließen. Eine Vergiftung an seinem Hofe und bei so einer Gelegenheit wäre für ihn die absolute Katastrophe gewesen. Der Arzt konnte ihn aber beruhigen: Der Bräutigam hatte einfach zu viel gegessen und getrunken, sagte er dem Herzog, der gleich in Rage geriet. Wie konnte sein dämlicher Sohn sich so gehen lassen? Hatte er etwa beschlossen, ihm die ganzen Feierlichkeiten zu ruinieren? Er machte ihm schwere Vorwürfe, die Antonello aber gar nicht beachten konnte, da er nur damit beschäftigt war, sich weiter zu übergeben.

    Nach diesem bedauerlichen Zwischenfall entschuldigte sich der Herzog bei seinen Gästen. Dann befahl er dem Orchester, erneut mit der Musik anzufangen, und eröffnete selbst den Tanz mit der Braut.

    Nach einer gewissen Zeit fühlte sich Antonello besser. Aber er schämte sich sehr wegen des Vorfalls. Als er in den Saal zurückkehrte, wurde er mit einem höflichen Applaus empfangen. Er traute sich schließlich, mit Matilda zu tanzen. Jedoch nicht sehr lange. Er fühlte sich schwach, deprimiert und dachte vor allem mit Abscheu an das, was der Höhepunkt des Abends hätte sein können: seine baldige intime Begegnung mit Matilda.

    Zweites Kapitel

    Antonello hatte eher den Eindruck, zum Schafott zu gehen als zu seiner Hochzeitsnacht. Er fühlte sich immer noch sehr schlecht. Er spürte Krämpfe im Magen - und nicht nur wegen des Weines. Der Gedanke, mit Matilda intim zu werden, verschaffte ihm eine noch größere Übelkeit. Seine einzige sexuelle Erfahrung hatte er mit Isabella gemacht. Es war ein erregendes, wenn auch nur flüchtiges Erlebnis gewesen. Mit dieser Fremden, die man ihn zu heiraten gezwungen hatte, wusste er nicht, wie er es anstellen sollte. Er nahm sich vor, einfach die Augen zu schließen und an etwas Angenehmes zu denken. Letztendlich würde es sich nur um wenige Minuten handeln. Mit Isabella ging alles so schnell, mit Matilda sollte es doch nicht anders sein.

    Als er in das Schlafzimmer eintrat, wartete Matilda schon ungeduldig auf ihn. Sie lag nackt im Bett und hatte sich ihm so obszön geöffnet, dass er den Eindruck hatte, sie sei eine Spinne, die auf eine Fliege wartete. Nachdem er sich ausgezogen hatte, wurde es ihm wieder schwindlig. Noch mal spürte er den Drang, sich zu übergeben. Er wollte deshalb diese unangenehme Pflicht so schnell wie möglich hinter sich bringen. Seine Unerfahrenheit auf dem sexuellen Gebiet hatte ihm jedoch eine böse Überraschung bereitet: Er wusste nicht, dass der Liebesakt nicht nur eine mechanische Handlung ist, sondern dass man dazu auch einen erotischen Anreiz braucht, aber von Anreiz war bei ihr keine Spur. Nichts bewegte sich bei ihm. Als er das merkte, war er sehr unangenehm berührt. Er wusste nicht, was ihm da passierte. Matilda, der sexuelle Erfahrungen nicht neu waren, versuchte das Problem auf ihre Weise zu lösen. Sie begann zuerst mit sanften Massagen sein Glied zu behandeln, aber als sie merkte, dass ihre Bemühungen nicht fruchteten, verlor sie die Geduld. Dass sie einen unbeholfenen jungen Mann geheiratet hatte, war ihr schon klar gewesen, aber er war immerhin ein schöner Mann und der Gedanke mit ihm zu schlafen, hatte sie vorher schon in Erregung versetzt, jetzt aber, im Augenblick höchster Erwartung, sah sie ihren jungen Gatten kläglich versagen. Da sie nicht vorhatte, die Hochzeitsnacht unbefriedigt zu verbringen, versuchte sie ihn gröber zu behandeln. Aber das hatte nur die gegenteilige Wirkung, und es war für Antonello keine Hilfe, als sie anfing zu fluchen und ihn einen Feigling und einen Versager zu nennen. Die Zeugen, die dieses Mal hinter der Tür draußen lauschten, hörten entsetzt zu. Sie hatten verstanden, dass Antonello Probleme hatte, seine eheliche Pflicht zu erfüllen. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass so ein stattlicher junger Mann impotent sein konnte, auch weil mit der blonden Magd einige Wochen zuvor alles so gut funktioniert hatte. Wenn er es nicht schaffte und die Nachricht seiner Impotenz durchsickern würde, wäre die Ehe ungültig mit allen politischen Konsequenzen. Aber Antonello hatte in diesem Augenblick ganz andere Sorgen. Er befand sich nicht nur in einem Zustand größter Verwirrung, sondern er kämpfte auch gegen einen neuen Anfall von Übelkeit. Es dauerte nicht lange und er musste sich wieder übergeben, und dabei besprühte er sowohl das Bett als auch Matilda, die einen Wutanfall bekam und anfing ihn wie ein Straßenweib mit vulgären Ausdrücken zu beschimpfen. Antonello blieb nichts anders übrig, als sich davonzuschleichen. Er zog sich in aller Eile an, um an den Zeugen seiner Schande schweigend vorbeizuziehen und in seinem Zimmer zu verschwinden, wo er sich enttäuscht und gedemütigt aufs Bett warf. Niemals in seinem Leben hatte er sich so geschämt. Er fragte sich, wieso in letzter Zeit das Schicksal so erbarmungslos zu ihm war. Sein bis dahin so ruhiges und unbeschwertes Leben war in einem kompletten Chaos versunken. Er war derart entmutigt, dass er nicht einmal die Kraft und den Willen hatte, sich mit einem Gebet an Gott zu wenden, wie er es normalerweise tat, wenn er Probleme hatte. Er verbrachte fast die ganze Nacht in einem fieberhaften Dämmerzustand. Am nächsten Morgen fühlte er sich sowohl psychisch als auch physisch ermattet. Er hatte starke Kopfschmerzen und der Gedanke, noch einmal Matilda oder andere Leute zu sehen, bereitete ihm ein Gefühl des Abscheus und des Ekels. Er blieb so lange im Bett liegen, bis sein Vater plötzlich sein Zimmer betrat.

    «Sag mal, was fällt dir denn ein?», fragte er ohne Umschweife. «Willst du mich ruinieren? Ist dir nicht bewusst, was für eine Katastrophe dein Mangel an Kooperation verursachen kann?»

    «Es handelt sich nicht um Mangel an Kooperation meinerseits», versuchte ihm Antonello zu erklären, «ich fühlte mich gestern sehr schlecht. Wie hätte ich in diesem Zustand mit einer Frau intim sein können?»

    «Hör mal zu: Das soll erst mal unter uns bleiben. Ich habe schon Matilda und den Zeugen den Befehl gegeben, darüber zu schweigen. In zwei Tagen, wenn du dich besser fühlst, wirst du es aber noch einmal versuchen. Und glaube nicht, dass du auch dieses Mal versagen kannst, denn du weißt ja, wie schlimm die Konsequenzen für dich sein könnten.» Dann fügte er mit verächtlicher Stimme hinzu: «Und ich dachte, einen Sohn zu haben, stattdessen habe ich einen Eunuch!», und verließ mit einem lauten Fluch den Raum.

    Antonello blieb den ganzen Tag im Bett liegen. Seine Frustration war so groß, dass er weder essen noch trinken konnte, und vor allem wollte er niemanden sehen. Er grübelte die ganze Zeit über das, was ihm am Tag zuvor passiert war und je länger er darüber nachdachte, desto deprimierter wurde er, um so mehr, da er keine Lösung für sein schreckliches Dilemma finden konnte. Er fühlte, dass er selbst in perfekter körperlicher Verfassung niemals mit dieser Frau würde schlafen können.

    Während dessen hatten sich die zwei Familien getroffen, um über die neu entstandene Situation zu diskutieren. Die Meinung der Frauen war, dass man auf Antonello keinen Zwang ausüben solle. Dieses Unwohlsein hatte dem armen Jungen sehr zugesetzt, deswegen war es ein Fehler gewesen, von ihm zu verlangen, dass er die Hochzeitsnacht in diesem Zustand verbringen sollte. Morgen würde er sich besser fühlen, und dann würde sich alles sicherlich zum Besten wenden. Die Männer waren damit einverstanden, obwohl sie wussten, dass ein erneutes Versagen eine Katastrophe bedeutet hätte.

    Am späten Nachmittag stand Antonello auf. Er fühlte sich besser, aber nur physisch. Er begab sich zum Fenster, das sich zum Domplatz öffnete. Seitdem er wieder im Palast lebte, schaute er gerne dem Kommen und Gehen der Leute auf dem Platz zu. Es entspannte ihn, sie bei ihren Tätigkeiten zu beobachten, oder wenn sie einfach spazieren gingen. Dieses Mal aber beneidete er jeden von ihnen. Er betrachtete sie alle glücklicher als sich selbst, sogar die alte Bettlerin, die immer vor dem Domportal saß. Die Stadt war wegen seiner Hochzeit noch festlich geschmückt, und das verschlimmerte seine Bitterkeit noch mehr. Entmutigt wollte er sich noch mal aufs Bett legen, als er ein Mädchen sah, das rittlings auf einem aus rotem Stein gemeißelten Fabellöwen vor der Domfassade saß. Er glaubte, sie zu kennen: Isabella etwa? Sie war aber zu weit entfernt, um sie zu erkennen. Er beobachtete sie lange Zeit neugierig. Es sah so aus, als würde sie auf jemanden warten, der vom Marktplatz kommen sollte, weil sie immer wieder in diese Richtung schaute. Wenig später kamen zwei junge Männer vorbei, sie hielten an, um mit ihr zu sprechen und zu scherzen. Als sie weggingen, kam kurz danach eine junge Frau mit drei Kindern. Sie plauderten eine Weile miteinander, während die Kinder sich anderen anschlossen, die auf dem Domplatz kreischten. Schließlich entfernte sich auch diese Frau, nachdem sie mit Mühe ihre Kinder wieder eingesammelt hatte. Das Mädchen wartete noch ein bisschen, dann, wahrscheinlich in der Annahme, dass die Person, auf die sie gewartet hatte, nicht kommen würde, sprang sie vom steinernen Löwen herunter und ging zur großen Überraschung Antonellos in seine Richtung. Sie blieb unter seinem Fenster stehen. Jetzt hat er keinen Zweifel mehr, es war tatsächlich Isabella. Sie lächelte ihn an und grüßte ihn mit beiden Händen. Antonello, verlegen, ging einen Augenblick vom Fenster weg, um sich dann erneut zu zeigen. Er erwiderte, wenn auch nur zögernd, ihren Gruß. Daraufhin machte das Mädchen kehrt und entfernte sich. Nach etwa fünfzig Schritten drehte sie sich erneut ihm zu und schwenkte wieder die Arme, um dann hinter einem Haus zu verschwinden. Antonello blieb noch lange am Fenster stehen immer die Stelle fixierend, wo Isabella verschwunden war, in der Hoffnung sie wieder erscheinen zu sehen. Angesichts dieser merkwürdigen Szene war er völlig fassungslos. Sein Herz war dadurch voller Traurigkeit. Er hatte das Gefühl, dass das Schicksal sich über ihn lustig machte, indem es ihm zeigte, wie anders und wie viel schöner sein Leben hätte sein können. Er versuchte jedoch, nicht mehr an das Mädchen zu denken. Was hätte es denn für einen Sinn, von ihr zu träumen, wenn er doch wusste, dass sie für ihn völlig unerreichbar war? Während er mit diesen Gedanken beschäftigt war, klopfte jemand an die Tür. Es war seine Mutter, sie wollte wissen, wie es ihm ging. Er ließ sie herein.

    «Ich fühle mich besser», antwortete er, «aber nur körperlich.»

    «Ich habe von deinem gestrigen Missgeschick gehört», sagte sie in einem versöhnlichen Ton, «aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Jedem Mann in deinem gestrigen Zustand hätte dasselbe passieren können. Morgen Abend wird alles bestimmt gut gehen.»

    «Morgen möchte ich zuerst ins Kloster gehen», sagte Antonello, dann fügte er, der Frage seiner Mutter zuvorkommend hinzu: «Natürlich nicht um dortzubleiben. Ich möchte nur mit meinem Beichtvater sprechen. In diesen Tagen sind mir zu viele Dinge passiert, die einer Erklärung bedürfen.»

    Sie legte ihm nahe, zum Abendessen zu gehen, auch wenn er keinen Hunger hatte, denn es war wichtig für ihn, sich dort zu zeigen.

    Antonello folgte seiner Mutter in den Speisesaal. Sobald er den Raum betrat, hörten die vielen Gäste auf zu reden und zu essen. Er spürte mit großem Unbehagen alle ihre Blicke auf ihn gerichtet.

    «Wie fühlt Ihr Euch, mein Herr?», fragte seine Schwiegermutter.

    «Viel besser, danke», sagte Antonello ein Lächeln andeutend. Das war für die Gäste das Signal, ihr Gespräche wiederaufzunehmen.

    Matilda hatte am Morgen eine Unterredung mit ihren Eltern gehabt, die sie gebeten hatten, freundlicher mit dem Jungen umzugehen, der sich als sehr sensibel entpuppt hatte. Ein bisschen mehr Diplomatie würde ihm bestimmt helfen, sein Problem zu lösen. Sie sollte so handeln, dass sie, wenn nicht gerade seine Sympathie, so wenigstens sein Vertrauen gewinnen konnte. Antonello bemerkte die Veränderung in Matildas Verhalten. Sie schaute ihn nicht mehr arrogant von oben herab. Er merkte aber auch, dass ihr Lächeln, trotz all ihrer Bemühungen, unnatürlich wirkte, es war fast grimassenhaft. Er spielte trotzdem mit. Er hatte ja keine Wahl. Er versuchte, sich ungezwungen zu zeigen. Er unterhielt sich mit seiner Frau, mit seiner Schwiegermutter und anderen Personen, die sich alle ganz freundlich gaben.

    Nach dem Abendessen wurde wieder getanzt. Antonello nahm auch daran teil, er tanzte allerdings fast nur mit Matilda, die ihre Mühe hatte, seine plumpe Art zu tanzen zu ertragen. Er hätte gerne auch mit anderen Frauen getanzt, oder einfach aufgehört, um sich in sein Zimmer zurückzuziehen, aber er wusste, was alle von ihm erwarteten. Er spürte vor allem den steten Blick seines Vaters. Er hatte keineswegs seine Drohungen vergessen. Zum Glück wurde ihm erlaubt, noch eine Nacht allein in seinem Zimmer zu schlafen.

    Am nächsten Tag ging er, wie er es sich vorgenommen hatte, zum Kloster, um mit seinem Beichtvater zu sprechen. Das Kloster lag unmittelbar an der Stadtmauer nahe der Porta S. Matteo. Pater Raimondo empfing Antonello mit großer Liebenswürdigkeit. Er war sehr froh, ihn wieder zu sehen, und fragte ihn gleich, ob er mit der Trauung zufrieden war. Im Kloster wurde von nichts Anderem gesprochen. Antonello traute sich aber, ihm die Dinge zu erklären, wie sie wirklich waren, und in was für einem Dilemma er sich befand. Der heilige Mann, der nur für Dinge des Geistes zuständig war, hatte jedoch keine Lösung für sein Problem. Das Einzige, was er ihm empfehlen konnte, war, Vertrauen in Gott zu haben. Antonellos Vertrauen in Gott war zwar sehr groß, er zweifelte jedoch, dass es ausreichen würde, die Reizlosigkeit von Matilda zu überwinden.

    Das Gespräch mit Pater Raimondo tat ihm auf jeden Fall gut. Dem Pater von seinen Schwierigkeiten zu erzählen, gab ihm neuen Mut. Als er das Kloster verließ, beschloss er spontan, einen Ritt aus der Stadt heraus zu unternehmen. Er wollte damit seine Seelenqualen und seine Ängste verdrängen. Er galoppierte etwa eine Stunde übers Umland, um dann wieder in die

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1