Die Stimme erheben: Über Kultur, Politik und Leben
Von Erika Pluhar
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Über dieses E-Book
Wenn sie schon im Besitz einer Stimme ist, die wegen ihrem dunklen Timbre vielen auffällt, dann möge sie auch in einem anderen Sinn vernehmbar sein: als die Stimme einer Autorin und "Person öffentlichen Interesses", die Erika Pluhar nun einmal im Laufe ihres langen Lebens geworden ist. Ob zu ihrer persönlichen Haltung in politischen Fragen, zu gesellschaftspolitischen Belangen, die sie kommentiert, ob zu Ehrungen oder Verabschiedungen von Zeitgenossen, die sie liebte – immer wieder schrieb Erika Pluhar Essays und Artikel, wurde befragt, gab Antwort, oder meldete sich zu Wort, wenn es ihr notwendig erschien. Bei wichtigen persönlichen und öffentlichen Auftritten erhebt Erika Pluhar immer wieder ihre Stimme und beweist moralische Haltung.
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Buchvorschau
Die Stimme erheben - Erika Pluhar
2002
Starke Frauen am Theater
Als Mädchen hat man meine Wünsche zur eigenen Kreativität sofort positiv gesehen, als diese in Richtung Theater gingen. Dass es Schauspielerinnen geben muss, schien einleuchtend, dass Frauen sich rein interpretatorisch der Kunst nähern, wurde sehr wohl als eine der wenigen Möglichkeiten einer solchen Annäherung gesehen.
Das war vor einigen Jahrzehnten, und man möchte meinen, dass diese Zeiten vorbei sind. Ich wurde also dazumal Schauspielerin, obwohl ich stets auch ein schreibender Mensch gewesen bin. Also einer, der im Schreiben Leben erfindet und sein Leben findet. Ich wurde Schauspielerin, wurde dabei das, was man erfolgreich nennt, hatte, wie ich es immer nenne, Hoch-Zeiten am Theater und habe diesen Beruf auch lange Zeit mit Intensität und Leidenschaft zu dem meinen gemacht. Ich konnte mit sensiblen Regisseuren und wunderbaren Kollegen Vorstellungen erarbeiten, an denen mir persönlich sehr viel lag. Aber irgendwann hat sich für mich all dies erschöpft. Eine Rolle – noch eine Rolle – noch eine Rolle – irgendwann wollte ich nicht mehr funktionell und als reines Instrument an diesem Rollenspiel teilhaben.
Wie kann eine Frau stark sein – besser, wie kann ein Mensch stark sein, der, wenn er die Fähigkeit dazu besitzt, dennoch nicht in der Lage sein darf, in Eigenregie zu imaginieren und Welten zu erschaffen?
Ich habe persönlich ziemlich drastisch erlebt, wie schwer es ist, aus den von der Gesellschaft verliehenen Rollen auszusteigen, die Schubladen zu verlassen, in denen man für die Umwelt übersichtlich eingeordnet zu sein scheint. Man hielt mich eine Zeit lang für entweder aus Altersgründen abgeschoben oder für verrückt, als ich begonnen habe, mich vom Schauspielerberuf zu lösen. Mittlerweile hat sich das wieder gelegt, und ich kann jetzt sein, was ich in Wahrheit bin. Jemand, der seinen eigenen, ihm wesentlich erscheinenden Inhalten Worte verleiht und die Profession der Schauspielerei dabei mit sich trägt, wie der Körper seinen Atem.
Nun ist es aber trotzdem nicht so, dass ich das Theater etwa verachte oder negiere. Es gehört – und wird das immer tun – zu den wesentlichsten Ausdrucksformen des Menschen. Auch war alles, was es mir im Lauf der Jahre abgefordert hat, eine Lebensübung. Disziplin, Konzentration, wenn der Augenblick es fordert, ohne Absicht das Beabsichtigte tun, nicht warten dürfen, bis die Muse einen küsst, sondern da sein, wenn der Vorhang hochgeht: alles Lebens-Übungen. Außerdem war es der stetige Umgang mit dem Wort, der mich meine Theaterjahre nicht als verlorene Jahre sehen lässt.
Nach wie vor liebe ich die Wechselwirkung zwischen Bühne und Publikum. Nach wie vor glaube ich an die Fähigkeit von Menschen, Wahres von Talmi unterscheiden zu können, nicht so sehr intellektuell, sondern einfach durch die Tatsache eines gemeinsamen Atem-Anhaltens, einer gemeinsam erzeugten Stille. Oder eines gemeinsam und auf Anhieb ausbrechenden Gelächters. Publikum, und wie es reagiert, hat mir immer wieder geholfen, meinen zerfledderten Glauben an die Menschheit ein wenig zu flicken. Und jetzt mehr denn je, wo ich von der Bühne her lesend, sprechend, musizierend, ja quasi »Auge in Auge« und nicht durch eine imaginäre vierte Wand abgeschirmt, diese Reaktionen vor mir haben darf. Wenn ich jetzt also meine kurzen Ausführungen niederschreibe, bin ich nach wie vor kompetent, diesen Austausch, diesen Wechsel von Energien, diese wie durch eine Lupe betrachtete Daseinsform, also all dies, was eine Bühne erreichen und manifestieren kann, zu beurteilen. Nur kann ich, wenn Sie so wollen, jetzt als »starke Frau« – viel besser jedoch: als eigenständiger Mensch – auf den Bühnen das zum Ausdruck bringen, woran mir liegt. Weil ich daran glaube, dass das eigene unverfälschte Anliegen immer auch das von anderen ist, und dass wir uns mit-teilen sollen. Ein Miteinander und das Teilen des Augenblicks, eines Stücks Gegenwart – als solches ist und bleibt Bühne, bleibt jede theatralische Form für mich lebenslang bestehen.
Einleitende Worte vor einem Konzert im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Das politische Lied« im Kabarett-Theater »Distel«, Berlin
Februar 2002
Das politische Lied
Das ist so eine Sache mit dem politischen Lied.
Als ich begonnen habe, meine eigenen Texte zu singen, und das immer ausschließlicher, befand ich mich im Zustand erster politischer Erkenntnisse. Bis in meine Vierziger hatte ich in amorpherweise, viel zu sehr von Persönlichem und Privatem hergenommen die politischen Geschehnisse der Welt an mir halbinteressiert vorübergleiten lassen. Also eigentlich das getan, was ein Großteil der Menschheit zu allen Zeiten tut. Danach meinte ich, der Welt sofort und dringlich mit meinen Liedern mitteilen zu müssen, was ich selbst gerade erst verstanden hatte. Diese Intention fiel auch mit den ersten großen Friedenskonzerten in Dortmund und Bochum zusammen, und ich hatte kurzfristig den Eindruck, dabei mitzuwirken, im Nu die Welt zu verändern. Sehr bald konnte ich jedoch beobachten, dass es modisch wurde, ein »Friedenskünstler« zu sein, dass die Manager sich der Chose bemächtigten, und mein missionarischer Anspruch fiel langsam wieder in sich zusammen.
Und nicht nur der meine.
Plötzlich war es nicht mehr opportun, das »politische Lied«. Die wenigen, die daran festhielten, wurden belächelt. Man besang wieder viel lieber Privates, Überschaubares, es ging um Liebe, Leid und Lebenslust, und so auch bei mir.
Bis in Österreich Jörg Haider, Landeshauptmann von Kärnten, sich dermaßen widerwärtig auf alter Rechtspopulistenschiene etablierte, dass mir ohne viel inneren Aufwand Lieder entschlüpften, die man vielleicht wieder »Protestlieder« nennen konnte. Ich gab ihnen gar keinen Namen, ich sang sie einfach. Es war mir gleichermaßen selbstverständlich als auch notwendig, das zu tun. Ich streute sie übergangslos in meine Programme ein und erntete anfangs Reaktionen, die von Erstaunen – muss sie das denn tun? – bis Empörung – hat die Frau das notwendig? – reichten.
Dann begann man diese Lieder bei mir wieder zu erwarten, allmählich gehörten sie wieder zu mir. Und ich schrieb sie jetzt meist im Wiener Dialekt, um so unprätentiös und auch humorvoll wie nur möglich zu bleiben. Weil ich wahrgenommen habe, dass dies Menschen eher erreicht als bitterer Ernst. Über jemanden zu lachen ist eine der besten Waffen gegen ihn. Und eine Waffe, zu der ich stehe.
Leider bleibt einem nur immer wieder das Lachen im Halse stecken, und dann hilft’s nix. Dann muss er wieder her, der ernsthafte Widerstand, und das ohne Rücksicht auf Verluste.
Kommentar für die Zeitschrift »FORMAT«
24. September 2002
Zur Nationalratswahl am 24. November 2002
Ich vernahm heute, als ich Radio hörte, dass das Interesse an Politik bei der österreichischen Bevölkerung um 40 Prozent gestiegen sei. Man also eine höhere Wahlbeteiligung erwarte als 1999.
Was für eine gute Nachricht, dachte ich.
Und ich will vorerst, ehe ich eines Schlechteren belehrt werde, auch daran festhalten, dass es eine gute Nachricht war. Dass die Menschen unseres Landes sich dessen bewusst geworden sind, wie einschneidend und zukunftsbestimmend der Ausgang dieser Wahl sein wird. Dass er uns die Möglichkeit bietet, eine unzumutbare, unfähige, uns der Lächerlichkeit preisgebende Regierung endlich wieder abzuschütteln. Eine Regierung, die ja 1999 nicht durch das Mehrheits-Wahlergebnis der Staatsbürger, sondern durch eine Koalition Wolfgang Schüssels, ÖVP, mit der FPÖ zustande kam. Durch den Zusammenschluss zweier Parteien also, die einander partiell nicht ausstehen konnten und können. Durch Machtinteressen und nicht durch das Interesse, diesem Land in irgendeiner Form zu dienen. Immer wieder wurde behauptet, diese unsägliche Regierung, die nicht umsonst durch unterirdische Gänge zu ihrer Angelobung schreiten musste, sei »demokratisch gewählt« worden. Dass die Mehrheit der Österreicher jedoch sozialdemokratisch gewählt hatte, wurde – auch und vor allem von den Sozialdemokraten! – viel zu selten betont und klargestellt.
Inzwischen jedoch hat der FPÖ-Anteil dieser Regierung sich selbst derart demontiert, dass ich mir einfach nicht mehr vorstellen kann, wie irgendeine oder irgendeiner in unserem Land dies noch übersehen oder schönfärben kann. Ich denke, dass man weitgehend zu der Erkenntnis gelangte, dass Österreich aus der Geiselhaft einer irrealen Machtbesessenheit erlöst werden muss. Und da ich weiterhin an die Urteilsfähigkeit unserer Bürger glaube, glaube ich auch an einen Wahlausgang, der Österreich rehabilitieren wird. Ich habe niemals verschwiegen, dass mir, wenn ich es mir aussuchen könnte, an einer rot-grünen Koalition läge. Aber woran mir vor allem liegt, ist das endgültige Ausschalten der blauen Einflussnahme. Mein Wunsch wäre es auch, dass die Medien den unsinnigen blauen Spielchen schlicht und einfach nicht mehr so viel Raum geben. Damit würde das rechtspopulistische Getümmel endlich wieder in seine Bierkeller und Bärentäler verwiesen. Ich glaube auch an den immer wiederkehrenden Akt der Vernunft beim Menschen. Im jetzigen, speziellen Fall an den, vernünftig zu wählen. Eine Regierung zu wählen, die die Situation Vernünftiger in diesem Land wieder zu einer lebbaren macht.
Ich lebe in Österreich.
Ich liebe dieses Land.
Ich möchte mich seiner nicht mehr schämen müssen.
Geht es Ihnen nicht genauso?
Nachtrag:
Am 28. Februar 2003 einigten sich ÖVP und FPÖ, trotz starker Stimmenverluste der Freiheitlichen Partei, auf eine Fortsetzung der schwarzblauen Koalition.
Referat bei einem Anti-Depressions-Kongress in München
November 2002
Depression
Meine Damen und Herren,
ich begrüße aus tiefster Überzeugung und von eigenen Erfahrungen belehrt die sich mehr und mehr formierenden Versuche, das, was oberflächlich als Depression bezeichnet wird, auch wirklich beim Namen zu nennen. Die Depression aus der Dunkelheit schamvollen Schweigens und verborgenen Erleidens in den Bereich eines Krankheitsbildes, einer klaren Erkenntnis, eines möglichen Damit-Leben-Könnens hervorzuholen, ohne sich der Gesellschaft entziehen zu müssen. Ja, das Dunkel der Depression endlich mit Wissen darum zu erhellen.
Nun gilt aber vorerst einzukreisen, worüber wir sprechen.
Wer von uns ist nicht ab und zu deprimiert? Wir kennen alle diesen Zustand, der uns immer wieder mal überfällt: deprimiert zu sein. Will heißen: niedergedrückt. Dem Druck des Lebens ausgesetzt. Der meist aus Angst, aus Groll und aus Selbstmitleid besteht. Wir haben Angst vor unserer Endlichkeit und verdrängen sie. Wir grollen dem Leben, weil es uns unsere Wünsche nicht so erfüllt, wie wir meinen, dass sie erfüllt werden sollten. Wir tun uns selbst immer wieder fürchterlich leid, weil man uns nicht genug liebt, genügend lobt und anerkennt. Das alles sind Empfindungen, die zum Menschsein gehören. Ab und zu deprimiert zu sein, gehört zum Menschsein – und nichts ist törichter – und auch unerträglicher für alle anderen –, als eine unerschütterliche Frohnatur sein zu wollen.
Etwas anderes ist es jedoch, in eine echte Depression zu geraten. Ich bin nicht befugt, aus ärztlicher oder wissenschaftlicher Sicht darüber zu sprechen. Ich kann über diese Krankheit – und eine echte Depression ist eine echte und schwerwiegende Krankheit –, ich kann darüber nur als eine immer wieder einmal davon Betroffene sprechen. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Ich weiß, bis wohin eine Depression uns führen kann. Und ich weiß es in einem Ausmaß, das nichts mit dem gängigen Satz »Mein Gott, hab ich eine Depression!« zu tun hat. Wer wirklich unter Depressionen leidet, spricht nicht darüber. Im besten Fall ist er damit beschäftigt, durch jeden Tag hindurchzukommen. Meist – bei mir jedenfalls äußerte oder äußert es sich so – ist es eine Gewaltanstrengung, den Morgen zu bestehen.
Aufzustehen. Den Schlaf und das Bett zu verlassen. Sich den einfachsten Anforderungen zu stellen, ohne sie als unüberwindliche Gebirge vor sich zu sehen.
Mein persönliches Leben hat mir reichlich Verlust und Leid beschert. Trauer zu leben, Schmerz auszuhalten, im wahrsten Sinn dieses Wortes, das Leben nicht von sich zu werfen, sondern das Weitergehen auf sich zu nehmen – all dies führt an äußerste Grenzen des Erleb- und Ertragbaren. An äußerste Grenzen einer neuen Bewusstwerdung, die sowohl Vergänglichkeit als auch ein anderes Bestehen umschließt. Dabei wird einem alles abgefordert, was an Kraft in einem ist. Dabei kann man selbst erfahren, ob Kraft einem möglich ist oder nicht.
Aber mit einer Depression hat gelebtes Leid nichts