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Status Quote: Theater im Umbruch: Regisseurinnen im Gespräch
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eBook258 Seiten2 Stunden

Status Quote: Theater im Umbruch: Regisseurinnen im Gespräch

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Über dieses E-Book

50%-FRAUENQUOTE IN DER THEATERREGIE: DAS ENDE DER KUNST?
Als die Leiterin des renommierten Berliner Theatertreffens Yvonne Büdenhölzer im Jahr 2019 die 50%-Frauenquote einführte, wurde sie scharf kritisiert. Schließlich verleitet die Quote geradezu reflexhaft zum Widerspruch: Trifft die eingeladenen Regisseurinnen nicht der Generalverdacht, dass sie es nur aufgrund der Frauenquote ins Rampenlicht geschafft haben? Ist bei so einer Vorgabe sogar die Unabhängigkeit der Auswahl-Jury in Gefahr? Und wird damit nicht die Qualität des bedeutendsten Theaterfestivals im deutschsprachigen Raum minimiert? Andererseits: Kann es einzig an der künstlerischen Kompetenz liegen, wenn in den 56 Festival-Jahren zuvor 27 eingeladene Frauen 193 Männern gegenüberstanden?
 

- Aktueller Debattenbeitrag über die Quotenregelungen in der Kultur
- Regisseurinnen über ungleiche Produktionsbedingungen und Gender-Pay-Gap
- Profilierte Theaterfrauen berichten aus dem Berufsalltag: Barbara Frey, Yael Ronen, Anne Lenk, Florentina Holzinger und Pınar Karabulut
- Lebendige Porträts, persönliche Interviews und einordnende Essays
- Der Begleitband zum Berliner Theatertreffen
VIER JAHRE SPÄTER BETRACHTET DAS BUCH DIE ENTWICKLUNG
Die profilierten Theaterkritikerinnen Sabine Leucht, Petra Paterno und Katrin Ullmann, die es zusammengerechnet auf acht Jahre Jurytätigkeit beim Berliner Theatertreffen bringen, nehmen diese Fragen zum Ausgangspunkt ihrer Publikation. Zum Berliner Theatertreffen eingeladene Regisseurinnen wie Barbara Frey, Yael Ronen, Anne Lenk, Florentina Holzinger und Pınar Karabulut sprechen darin über weibliche Ästhetik und Arbeitsweisen, über Erfolge, Hürden sowie Wirkung und Sinn der Quote. Die Herausgeberinnen möchten wissen: Wie gestaltet sich für Frauen die künstlerische Arbeit am Theater? Was verändert eine Quotenregelung in der Regie? Wo existieren strukturelle Ungleichheiten und wie könnten diese in Zukunft behoben werden?
 
UMFASSENDE DARSTELLUNG DER PRODUKTIONSBEDINGUNGEN AM THEATER
Das Ergebnis ist vielstimmig und erhellend: Erstmals äußern sich Theaterfrauen offen zu ungleichen Produktionsbedingungen, mangelndem Respekt, sexistischen Verhaltensweisen und zum Gender-Pay-Gap. Das Buch stellt alle zwischen 2020 und 2023 zum Theatertreffen eingeladenen Regisseurinnen vor, macht Kunstproduktion transparent und liefert somit einen differenzierten Beitrag zur Strukturdebatte am Theater. Das Buch ist ein Muss für alle Kulturschaffenden, die sich mit Fragen von Gleichstellung in der Kunst beschäftigen. Darüber hinaus liefert es wertvolle Erkenntnisse über das heutige Arbeiten am deutschsprachigen Theater.
SpracheDeutsch
HerausgeberHenschel Verlag
Erscheinungsdatum7. Sept. 2023
ISBN9783894878467
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    Buchvorschau

    Status Quote - Sabine Leucht

    Wo waren die Frauen?

    Die Theatertreffen-Jahre 1964–2019

    Im Sinne der Freiheit der Kunst Die Frauenquote beim Berliner Theatertreffen – ein Resümee von Yvonne Büdenhölzer

    Es ist nun fast vier Jahre her: Auf einer Pressekonferenz im Mai 2019 habe ich die Einführung der Frauenquote für die Zehner-Auswahl des Berliner Theatertreffens bekanntgegeben. Ab der Festivalausgabe 2020 musste mindestens die Hälfte der eingeladenen Inszenierungen von Regisseurinnen stammen. Ich erinnere mich noch gut an den Applaus von Fanni Halmburger und Lisa Lucassen vom Performance-Kollektiv She She Pop, die mit Oratorium zum Theatertreffen eingeladen waren, aber auch an die irritierten Gesichter einiger Journalist:innen: Was? Eine Frauenquote beim Theatertreffen?

    Es gab Zuspruch, Ablehnung, Jubel. Untergangsszenarien des Festivals wurden beschrien, und während die einen die Kunstfreiheit beschädigt sahen, erkannten die anderen ein Signal für die Freiheit der Kunst. Diese Pro- und Kontra-Positionen gibt es übrigens noch heute – und zwar komplett geschlechterunabhängig.

    Als ich die Quote 2021 um weitere zwei Jahre verlängert habe, führten mein Team und ich im Vorfeld eine interne Recherche zu Geschlechterverhältnissen an deutschen Stadt- und Staatstheatern durch. Wir dachten, wir müssen uns absichern, erklären können, warum wir die Quote immer noch für wichtig erachten. Eigentlich vollkommen unnötig, hatte sich doch kaum etwas verändert. Die Machtpositionen wie Intendanz, Geschäftsführung und Direktion waren und sind nach wie vor mehrheitlich männlich besetzt. Die »zuarbeitenden« Positionen wie Dramaturgie und Assistenzen hingegen überwiegend weiblich. Selbst die Ensembles sind mit wenigen Ausnahmen nicht paritätisch besetzt. Bei den Uraufführungen und deutschsprachigen Erstaufführungen dominieren wie eh und je die Autoren. Und: Das Verhältnis zwischen Regisseuren und Regisseurinnen ist konstant ungleich und liegt ungefähr bei sechs zu vier.

    Persönlich war ich lange überhaupt kein Fan von Quotierungen, wollte selbst nie eine sogenannte »Quotenfrau« sein und war es, wenn ich für Panels, Jurys oder Findungskommissionen angefragt wurde, doch sehr oft. Heute bin ich der festen Überzeugung, dass Strukturwandel nicht ohne klare Vereinbarungen zur Veränderung der Rahmenbedingungen funktioniert. Selbstverpflichtungen mögen hilfreich sein, reichen aber für einen Wandel nicht aus. Wenn wir über Gleichstellung marginalisierter Akteur:innen (im Kulturbetrieb) sprechen, impliziert das den Kampf gegen strukturelle Ungerechtigkeiten und die Auflösung antiquierter Ordnungssysteme. Dieses Bewusstsein ist bei vielen Theatermacher:innen bereits vorhanden. Was aber fehlt, sind Geld und der ernsthafte Wille von Menschen in Machtpositionen, die Forderungen der Theatermacher:innen sowie die bereits bestehenden Gesetze auch umzusetzen und den Theaterbetrieb nicht nur geschlechtergerechter, sondern auch diverser, inklusiver, barriereärmer oder ressourcenschonender zu gestalten.

    Wenn dieses Medium im 21. Jahrhundert seine Relevanz behalten will, muss das deutschsprachige Theater seine immer noch vorherrschende männliche, heteronormative und weiße Machthierarchie überwinden. Zielvereinbarungen und die formale Setzung einer Quote können dabei helfen, nicht in Absichtserklärungen und Lippenbekenntnissen stecken zu bleiben, sondern wirklich etwas zu verändern. Bei der Besetzung von Frauen, aber auch von anderen marginalisierten und von Ausschlüssen betroffenen Akteur:innen, wird immer wieder beschrieben, man wäre nicht fündig geworden. Ausreden dieser Art können durch Quoten ausgehebelt werden. Ein zentraler Leitgedanke war und ist für mich: Quoten dienen nicht dazu, dass Menschen in Positionen kommen, für die sie nicht geeignet sind. Quoten sind dafür da, Menschen in Positionen zu bringen, die sie längst hätten innehaben müssen.

    Seit Jahrhunderten bestimmt eine informelle Männerquote die Kunstwelt. Es ist ein Irrglaube, dass wir genderneutral sichten und beurteilen, wir alle sind geprägt von sozialhistorisch gewachsenen Sehgewohnheiten, die das Genie eher männlich verorten. Das war auch lange beim Theatertreffen so und hat sich tief in die DNA des Festivals und seines Publikums eingeschrieben. Und genau das hat mich in den elf Jahren, die ich das Festival geleitet habe, zunehmend gestört.

    Es wäre vermessen zu glauben, dass die Quote beim Theatertreffen den Theaterbetrieb geschlechtergerechter machen könnte, auch wenn es Personen gab, die ihr tatsächlich so viel Relevanz zugeschrieben haben. Aber die vielfältigen Diskussionen, die meine Quotensetzung auslöste, freuen mich ungemein. Das war schließlich mein Ziel, eine Debatte anzustoßen, die das Thema Geschlechtergerechtigkeit und Unterrepräsentation ins Bewusstsein bringt. Zum einen wollte ich dazu auffordern, darüber nachzudenken, wie und wen man engagiert oder besetzt. Zum anderen wollte ich Regisseurinnen ganz konkret zu mehr Sichtbarkeit verhelfen. Die Quote des Theatertreffens hat auch dafür gesorgt, dass in den vergangenen vier Jahren mehr Regie-Arbeiten von Frauen von der Theatertreffen-Jury gesichtet, vorgeschlagen und diskutiert worden sind.

    Es waren übrigens nicht alle Regisseurinnen mit der Quotensetzung einverstanden. Ganz grob gesagt gab es drei Gruppen: Einem Großteil der Künstlerinnen war es gleichgültig, ob sie mit oder ohne Quote eingeladen wurden, die zweite Gruppe wollte nicht unter der Maßgabe der Quote nominiert werden, und eine kleine dritte Gruppe war zu Beginn gegen die Quote und hat im Laufe der Theatertreffen-Jahrgänge 2020 und 2021 gesehen, wie wichtig sie ist.

    Die Diskussion darüber, ob sich die Quote negativ auf die Qualität der Inszenierungen auswirkt, ist auch dadurch irrelevant geworden, dass die eingeladenen Arbeiten der Künstlerinnen ästhetisch, formal und inhaltlich bemerkenswert waren und nicht als »weiblich« gelabelt oder wahrgenommen worden sind. Denn was soll das überhaupt sein: ein »weibliches Label«?

    Das Theatertreffen hat mit der Quote einen wichtigen Impuls zum Nachdenken über den Strukturwandel im Theater gegeben. Ein Anfang. Wir müssen dahin kommen, dass sich Veränderungen verstetigen, so dass die Quoten, die sie beschleunigt haben, auch wieder abgeschafft werden können. Unsere Gesellschaft verändert sich immerzu, und neue, andere Quoten oder Impulse zur Aushebelung des patriarchalen, heteronormativen Machtgefüges müssen folgen.

    Es gilt weiterhin, gemeinsam an der Zukunft des Theaters zu arbeiten: für mehr Gleichstellung, Diversität, ökologische und soziale Nachhaltigkeit … Die Liste ist lang. Tun wir es, heute, jetzt und morgen: im Sinne der Freiheit der Kunst!

    PS: Ich möchte allen Menschen herzlich danken, die mich bei der Einführung der Quote unterstützt haben. Danke für die stundenlangen Gespräche, das Hin- und Herwälzen von Argumenten, für das Bestärken und Abwägen: Maria Nübling, Necati Öziri, Anneke Wiesner, Katharina Fritzsche, Claudia Nola und David Heiligers. Und ein großes Dankeschön an Eva Behrendt, die diesen wichtigen Impuls zur Veränderung in ihrer Zeit als Theatertreffen-Jurorin gegeben hat. Ihre Idee der informellen Quote war ein Auslöser für die Umsetzung meiner offiziellen Quote.

    Vom langsamen Bohren sehr dicker Bretter – ein Rückblick auf die Juryarbeit und die eingeladenen Regisseurinnen der »Vor-Quotenjahre« von Eva Behrendt

    »Wie männlich ist das Theatertreffen?« Diese Frage hatten sich 2019 die Theaterwissenschaftlerinnen Jenny Schrödl und Katharina Rost gestellt. Sie trugen ihre Antworten am Ende des Festivals vor, auf der zeitgleich stattfindenden Konferenz »Burning Issues« für Geschlechtergerechtigkeit, Inklusion und Diversität. Während die beiden eine schier endlose Liste von Darstellungen toxischer Männlichkeit und apokalyptischer Szenarien aufzählten, wurde mir immer mulmiger: Warum zum Teufel hatte ich das nicht so gesehen?

    In vielen Fällen war mir die Repräsentation etwa von männlicher Gewalt auf der Bühne nicht als stumpfe Wiederholung eines kulturellen Musters erschienen, sondern als klare Kritik an ihr, wie karikierte Figuren, ein sprachkritischer Duktus oder evozierte Empathie für die Opfer nahelegten. Gleichzeitig leuchtete mir ein, dass selbst die Aufführung in kritischer Absicht doch eine soziale Realität bekräftigt. Einmal mehr dämmerte mir, dass das Genderproblem im Theater nicht nur das zahlenmäßige Ungleichgewicht von »Männern« und »Frauen« sowie die Beschränkung auf diese Binarität betrifft, sondern tiefer reicht. Auch meine Sehgewohnheiten als Kritikerin, die die damalige Auswahl mitverantwortet hat, sind zweifellos patriarchal geprägt.

    Die Geschichte des Theatertreffens kann, auf Regisseurinnen bezogen, lange Zeit nur als das sehr langsame Bohren sehr dicker Bretter beschrieben werden. In den ersten 16 Jahren seines Bestehens war das kulturelle Aushängeschild der Frontstadt West-Berlin sogar komplett ohne Regisseurinnen ausgekommen. Galt das für das deutschsprachige Theater insgesamt?

    Gab es Frauen nur auf der Bühne, als Protagonistinnen, und wenn hinter der Bühne, dann als Dramaturginnen? Oder wurden die Regiefrauen von den überwiegend männlich besetzten Jurys nur nicht gesehen und ernst genommen, weil Regie, wie noch das 2010 von Christina Haberlik herausgegebenen Buch Regie-Frauen. Ein Männerberuf in Frauenhand nahelegt, als geschlechtsspezifische Kunst aufgefasst wurde?

    Im Jahrbuch 1978 setzte das Magazin Theater heute erstmals den Schwerpunkt »Frauen und Theater« – gleichermaßen als Ausdruck ihrer Unterrepräsentanz an den Bühnen wie in der Zeitschrift, aber auch als Signal für einen Aufbruch (der nächste Schwerpunkt »Die Frauen kommen« sollte allerdings erst zehn Jahre später folgen). Denn es gab ja bereits ein internationales Post-68-Theater, in dem Regisseurinnen wie die Théâtre-du-Soleil-Prinzipalin Ariane Mnouchkine, die Living-Theatre-Gründerin Judith Malina, die Schwarze New Yorker Regisseurin Ellen Stewart oder die italienische Gruppe La Maddalena für Aufsehen sorgten. Warum also nicht auch am deutschen Stadttheater?

    Die Theaterjournalistin, Festivalkuratorin und spätere Theatertreffen-Jurorin (1997/98) Renate Klett, die 1981 am Schauspiel Köln das erste Frauentheaterfestival kuratierte, stellte schon 1978 im Gespräch mit Mnouchkine fest: »Die wenigen Frauen, die es am Theater gibt, arbeiten alle in einer nicht-autoritären, eher kollektiven Weise. Das kann doch kein Zufall sein, das hat doch auch mit dem Umstand, daß sie Frauen sind, zu tun.« (Theater heute-Jahrbuch 1978) Am arbeitsteilig und hierarchisch strukturierten Stadttheater und im nicht nur dort dominierenden Geniekult hatte diese Arbeitsauffassung während der 1970er bis etwa Mitte der 1990er Jahre noch wenig Chancen. Der Weg in den Regieberuf führte innerbetrieblich über Assistenzen, baute auf ein Meister-Schüler-Verhältnis; Regieausbildungen an Schauspiel- oder Kunsthochschulen – oder praxisorientierte Studiengänge wie in Gießen und Hildesheim – kamen erst im Laufe der 1980er und 1990er Jahre hinzu.

    Erst 1980 lud eine zehnköpfige Jury, in der mit Ausnahme der österreichischen Autorin Hilde Spiel lauter Männer saßen, dann aber gleich zwei Inszenierungen von Frauen zum Theatertreffen. Die eine war Ernst Jandls Sprechoper Aus der Fremde, Regie: Ellen Hammer. »Aber da wurde mehr der Fast-Alleindarsteller Peter Fitz gelobt als die Inszenatorin; und die Schaubühne, wo Ellen Hammer ›eigentlich‹ als Dramaturgin arbeitete, gab der Wahl zusätzlich Weihe«, relativierte Michael Merschmeier in Theater heute die Entscheidung rückblickend (Theater heute-Jahrbuch 1988).

    Außerdem reiste 1980 die Wuppertaler Tanzlegende Pina Bausch mit der Produktion Arien nach West-Berlin. Sie und die Choreografin Reinhild Hoffmann waren in den 1980er Jahren je zweimal beim Theatertreffen; vor allem an Bauschs Inszenierungen entzündete sich mehrfach die auch im akademisch-literaturwissenschaftlichen Kontext dieser Zeit viel diskutierte Frage, ob Frauen anders – körperlicher, »sinnlicher« – inszenieren oder schreiben, ob es so etwas wie eine »weibliche Ästhetik« gibt. Eine Debatte, innerhalb derer sich Frauen ihrer Identität zu versichern versuchten, die aber auch die Gefahr barg, geschlechtsbezogene Stereotype zu bestätigen. Auch später noch gingen gelegentlich Nominierungen an Choreografinnen (Sasha Waltz 1997, 2000; Meg Stuart 2002), aber auch an Choreografen (Alain Platel, William Forsythe), so dass man schwerlich von Alibi-Einladungen sprechen kann.

    Wie Ellen Hammers Jandl-Inszenierung blieb 1988 die Einladung von Annegret Ritzels Dortmunder »Geniestreich« (Merschmeier) Platonow ein Einzelfall; immerhin war die Regisseurin in den folgenden beiden Jahrzehnten permanent in Leitungsfunktion als Schauspieldirektorin und Intendantin in Wiesbaden und Koblenz tätig. Die erste Sprechtheaterregisseurin, die sich nachhaltig im Kreis der Regiestars der 1970er und 1980er Jahre durchsetzte – also noch neben Peter Zadek, Claus Peymann, Peter Stein, Klaus-Michael Grüber, in den 1990er Jahren neben Frank Castorf, Christoph Marthaler und Einar Schleef – war jedoch Andrea Breth. 1985 »entdeckte« eine achtköpfige Jury (mit immerhin zwei Jurorinnen, Sigrid Löffler und Marleen Stoessel) die 33-jährige Professorentochter mit ihrer Inszenierung von Garcia Lorcas Bernarda Albas Haus am Theater Freiburg, wo sie seit 1983 Hausregisseurin war.

    »Eine, die es geschafft hat? Die geschafft wurde? Andrea Breth hat immer die Einschätzung abgelehnt, daß es Regie-führende Frauen am deutschen Theater prinzipiell schwerer hätten als Männer«, schrieb Michael Merschmeier 1988 in einem Porträt der Regisseurin. »Hat es entsprechend abgelehnt, vermeintliche ›Frauenstücke‹ zu inszenieren. Ihr Weg jedoch zeigt (Ein-)Brüche, wie es sie bei vergleichbar talentierten männlichen Regisseuren weniger gibt. Zumindest bemerkt man sie seltener.« Kam Andrea Breth, die »Realistin voll Phantasie«, die Verehrerin von Peter Stein, die wie er weniger an formalen Experimenten als an genauen dramatischen Lektüren und Übersetzungen in den Bühnenraum interessiert war, auch deshalb so gut in einer männlich dominierten Szene an? Weil sie als lesbische Frau mit einer öffentlich gemachten depressiven Erkrankung ohnehin nicht dem neurotypischen, heterosexuellen Frauenbild entsprach? Es folgten in den kommenden zwei Jahrzehnten acht weitere Einladungen zum Theatertreffen, fünf davon allein in den 1990er Jahren (das ist viel, dennoch wurden Zadek, Stein und Peymann jeweils mindestens doppelt so oft eingeladen).

    In der ersten Hälfte der 1990er Jahre stürmten die Regisseurinnen (und Regisseure) aus dem Osten das Berliner Theatertreffen. Die bis heute Regie führende Schauspielerin Katharina Thalbach (* 1954), Ruth Berghaus (* 1927), die von der Dresdner Palucca-Schule geprägt war und in den 1970er Jahren das Berliner Ensemble leitete, Konstanze Lauterbach (* 1953), die Anfang der 1980er Jahre während des Studiums in Karl-Marx-Stadt am dortigen Theater assistierte, Irmgard Lange, die ebenfalls vom Schauspiel kam (* 1941) – offenbar waren die Bühnen der DDR nicht ganz so patriarchal organisiert wie in Westdeutschland; immerhin hatte Helene Weigel hier schon von 1949 bis

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