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Hitler 1 und Hitler 2: Doktor Frankensteins Supergau
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eBook1.108 Seiten13 Stunden

Hitler 1 und Hitler 2: Doktor Frankensteins Supergau

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Über dieses E-Book

Hitlers Serienkiller-Ausbruch ist das Ergebnis des Wahns einer medizinischen Fakultät, es gäbe "minderwertiges" Leben. Hiervon waren viele Weltkrieg-I-Neuropsychiater durchdrungen, bis sie im Zweiten Weltkrieg sogar daran gingen, das als "minderwertig" abqualifizierte Leben massenhaft töten zu lassen. Der Wahn dieser Militärpsychiater zielte darauf hin, die durch die Materialschlachten mikromedizinisch erkrankten Soldaten als "psychogen" reagierend zu indoktrinieren. Für diese Offiziere im weißen Kittel galt: Wessen Organe zitterten und wessen Stimme stotterte, der war qua Geburt "minderwertig" und erfüllte nicht den Standard heroischer Männlichkeit. 100 000 wurden traktiert, ihnen wurde unterstellt, sie seien tatsächlich frontflüchtig geworden. Hitler war am 15.10.1918 an der Westfront durch Gaseinwirkung erstummt. Ein Diagnosezentrum hinter der Front hatte ihn an den auf Sprachstörungen spezialisierten Neuropsychiater Prof. Dr. Edmund Forster im Garnisonskrankenhaus von Pasewalk überwiesen. Fünf Tage vor Hitlers Gasvergiftung hatte die Oberste Heeresleitung alle Militärpsychiater zu einer Geheimkonferenz nach Berlin einberufen, auf der die Hypnotisierung leicht verletzter Soldaten befohlen wurde – zur eiligen Rückführung der jungen Männer in den Arbeitsalltag. Bei der Hypnose des Gefreiten A. H. durch Dr. Forster liefen die Dinge anders als üblich. Hitler wurde von seinem Kehlkopfleiden zwar befreit, doch bei der Hypnose "Mund öffne dich, Stimmbänder bewegt euch!" öffnete sich auch die Verdrängung von Hitlers Serienkillertrieb. Nur noch wenig Charakterliches von Hitler 1 blieb zurück. Es hatte unter Hypnose eine Neukomposition zu Hitler 2 und damit zu einem Homunculus stattgefunden, wie ihn Goethe in seinem Faust II vorausgeahnt hatte. Aber dieser Homunculus A. H. war nicht nur ein übergroßes Monster wie das von Mary Shelleys Frankenstein, sondern der bisher größte Zerstörer der Menschheit.
SpracheDeutsch
HerausgeberOsburg Verlag
Erscheinungsdatum15. Juli 2019
ISBN9783955101930
Hitler 1 und Hitler 2: Doktor Frankensteins Supergau

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    Buchvorschau

    Hitler 1 und Hitler 2 - Volker Elis Pilgrim

    Personenverzeichnis

    AUFTAKT

    Der Spiegel titelte 2008 zum 75. Jahrestag der Reichspräsident-Hindenburgschen Übergabe der Reichskanzlerschaft an Adolf Hitler: »Vor 75 Jahren wurde ein Obdachloser aus Österreich Reichskanzler.« (Bönisch/Wiegrefe)

    Durch die Entdeckung einer Wiener kriminalpolizeilichen Akte konnte der seit der Falschaussage von Hitlers viertem Freund, Reinhold Hanisch, umlaufende Irrtum korrigiert und die lückenlose Chronik von Hitlers in Wien gemieteten Zimmern präsentiert werden: Hitler war nie Obdachloser und entsprechend eines weiteren Fundes spätestens seit dem 1. Juli 1919 Deutscher, was sich 2019 zum 100. Mal jähren wird (drittes Buch).

    Das Ergebnis des vierten Buches: Vor 86 Jahren wurde der monströseste Homunkulus der Welt, entsprungen den Menschenversuchs-Laboren der Militärpsychiater in »Kriegsneurotiker«-Stationen oder »Irrenanstalten«, deutscher Reichskanzler.

    Im Ersten Weltkrieg herrschte einer der folgenreichsten Irrtümer in der Medizingeschichte: Neuropsychiater bildeten sich ein, die Symptome gasvergifteter Soldaten seien hysterischer oder simulativer Art. Sie versuchten, mit menschenfeindlichen psycho-physisch invasiven Methoden die Erkrankten wieder front- und Ende 1918 wieder arbeitsfähig zu machen. Dabei passierte dem militärpsychiatrischen Scharfmacher, dem Berliner Sanitätsoffizier Prof. Dr. Edmund Forster, bei der Hypnotisierung des durch Giftgasgeschosse verstummten Gefreiten und Meldegängers Adolf Hitler der »Supergau« der Geschichte. Forster zündete aus Versehen die im jungen Hitler verdrängte angeborene Serienkiller-Anlage, die sich die ungewöhnlichste Bahn eines dieser männlichen Zerstörer brach, nämlich die politische bis zum Erreichen der Landesherrschaft und zum Betreiben des Zweiten Weltkriegs mit Völkermord und Millionen von Bombenopfern.

    Dass der unter Hypnose extrem veränderte Hitler diese Macht mit diesen exorbitanten Folgen erreichen konnte, hängt mit einem Mechanismus innerhalb des hypnotischen Geschehens zusammen: »Es gibt Suggestion ohne alle Hypnose, die Wachsuggestion, und hypnotische Suggestion. Die Suggestion ohne Hypnose, die Wachsuggestion, hat wichtige Beziehungen zur Kriminalität. Wir kennen die Fälle von Hörigkeit, von geistiger Sklaverei. Wir kennen auch das Suggerieren von Wahnideen (induziertes Irresein). Wir finden dieses Hörigkeitsverhältnis oft zwischen dem Hypnotiseur und seinem Medium. Außer der Hypnose ist für das Wirksamwerden von Suggestionen eine gewisse Bereitschaft der Seele notwendig, eine Neigung, sich Suggestionen hinzugeben.« (Nobelpreisträger Julius Wagner-von Jauregg – aus seinem Vortrag auf der Sitzung der Gesellschaft der Ärzte in Wien am 13. Juni 1919, in: Wagner-Jauregg 19)

    »Viel mehr als in öffentlichen Schaustellungen wird in Privatkreisen hypnotisiert, und zwar in allen Bevölkerungsschichten. Mehrfach konnte beobachtet werden, dass Kriegsneurotiker hypnotisieren, die früher in Lazaretten durch Hypnose geheilt worden waren.« (Neuropsychiater M. Seige während der Diskussion zu dem Vortrag seines Kollegen, Johannes Heinrich Schultz, Gesundheitsschädigungen nach Hypnose auf der Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie zu Dresden am 25. und 26. April 1921, in: Schultz 21/22)

    Was Hitler 1 im Oktober/November 1918 vom deutschen Militärpsychiater Edmund Forster hypnotisch angetan wurde, das tat er in hypnotischem Fortsetzungszwang den Deutschen an. Er mutete ihnen eine schauderhafte Wesensveränderung zu. Er hypnotisierte sie zu einem anderen Volk. Er machte aus einem »Volk der Dichter und Denker«, der Komponisten und Erfinder, der Aufklärer und Entdecker, ein Volk von Vergasern. Die Deutschen befanden sich 1933 auf einer niederen politischen Nationsstufe. Sie waren erst seit 1871 ein »Reich«, die Briten und Franzosen, Polen und Skandinavier schon seit 100en von Jahren. Einem gerade Halbjahrhundert-jungen Volks-Kleinkind konnte so etwas wie das hypnotische Erliegen dem Massensuggesteur Hitler 2 passieren.

    »Man weiß, wie diese Suggestivwirkung (die sich zumeist offenbar nur beim Hören, jedoch nicht beim Lesen von Hitlers Reden eingestellt hat) durch eine bis dahin nie dagewesene Propaganda unterstützt worden ist.«

    »Alles an Hitler ist unecht gewesen. Seiner Stimme hat man schon am Radio anhören können, dass sie künstlich angenommen war: Seine Haltung und seine Bewegungen sind … theatralisch, sein Lachen ist verzerrt, seine Liebe zu Kindern geheuchelt, seine Schlichtheit Pose gewesen; und wenn er von dem ›Allmächtigen‹ gesprochen hat, so hat er jedes religiöse Gefühl auf das Tiefste verletzt. Selbst an den Größenwahn, den Hitler zur Schau getragen hat, kann ich als alter Psychiater nicht glauben …«

    »›Er erschien mir‹, schreibt Dalehrus, ›mehr wie ein Geist aus einem Märchenbuch als wie ein richtiger Mensch‹ … Dass er gelogen hat, wo es ihm irgendwie zweckmäßig erschienen ist, steht ebenso fest …«

    »Manchmal hätte es ausgesehen, ›als spräche aus Hitler ein anderer als er selbst‹. Er wäre dann ›ganz abwesend‹ gewesen, [Aussage von Emmy Göring.].«

    »Alle Befehle zur systematischen Massenvernichtung sind … aus der ›Kanzlei des Führers‹ gekommen, also von Hitler selber erteilt worden.«

    (Neuropsychiater Oswald Bumke [18771950] Erinnerungen und Betrachtungen, S. 168, 174176, 179)

    »Gaskammern wurden auf persönlichen Befehl Hitlers erstmals in Charkow eingesetzt.« (Hitlers persönlicher Adjutant Otto Günsche und Hitlers Kammerdiener Heinz Linge im Buch Hitler [Eberle/Uhl, S. 196 f.])

    Der erste große Hitler-Biograf der Jahrtausendwende, Ian Kershaw, publizierte 1991 die Urschrift zu seiner zweibändigen Hitler-Biografie von 1998/2000. Schon 1991 spricht Kershaw die befremdliche Wesensveränderung Hitlers an, überfliegt jedoch mit ein paar Sätzen das Thema, das zum Gegenstand von Hitler 1 und Hitler 2 gemacht wird. Der Ring des Tribunen folgt einem Geschichts-schreibenden Erfordernis, weil weder Kershaw noch Volker Ullrich und Peter Longerich sich in ihren großen Über-Tausend-Seiten-Biografien 2013 und 2015 mit Hitlers lebensgeschichtlicher Bruchzeit in Pasewalk beschäftigten.

    Kershaw äußert sich darüber in seinem Buch von 1991, Hitlers Machtprofil betreffend, nur andeutungsweise: »Hitlers Macht – ein Rätsel. Hitler ist unter den Auspizien jeglicher Fantasie ein Sonder-Fall. In den ersten 30 Jahren seines Lebens war er ein Niemand. In den übrigen 26 Jahren seiner Existenz hinterließ er als Diktator Deutschlands und Anstifter eines völkermörderischen Krieges, der in der jüngsten Zeit die jähesten Abstürze zivilisierter Werte markiert, unauslöschbare Spuren und endete mit den Ruinen seines Landes und der meisten Länder Europas …

    Hitlers Leben in seiner Jugend machte keine einzige Anspielung auf die Gestalt, die der Welt einst den Atem nahm. Im Gegenteil, auch die Weichen seiner Zukunft schienen in Richtung nichtssagendem Mittelmaß gestellt zu sein.«

    Das ist in der Hitler-Biografik die schärfste Gegenüberstellung der »zwei Hitlers«. Und sogleich danach kommt Kershaws Raffung der Hitler-Stationen von Kriegsende über Pasewalk bis München – genauso wie in allen Gesamt-Biografien über den »toten Punkt Pasewalk« hinwegformuliert wird: »Für jemanden, der ›sich im Krieg eingerichtet hatte‹, waren die Nachrichten über Deutschlands Niederlage und Revolution – zu ihm gedrungen, als er sich, durch Senfgas erblindet, in einem Pommerschen Militärkrankenhaus befand – ein toller Schlag. Er war vorübergehend traumatisiert und aus den Angeln gehoben. Der in ihm angestaute Hass brach nun grausam aus ihm hervor.

    Nach der Entlassung aus dem Lazarett arbeitete Hitler routinemäßig für die politische Überwachung von extremistischen Gruppierungen in München, wobei er in Kontakt mit der unreifen Deutschen Arbeiterpartei kam, die wie etliche andere solcher sektiererischer nationalistisch-rassistischer Zusammenkünfte gerade gegründet worden war. Sie wurde bald die Nazi-Partei, die ihn in die Aktivität der Münchner Bierhallen-Politik trug. Dabei bemerkten die Männer um ihn und er selbst, dass er ein ungewöhnliches Talent dafür besaß, die übelsten Vorurteile und Ressentiments auf demagogischste Weise zu artikulieren. Die Selbstwahrnehmung und das Selbstvertrauen eines politischen Agitators nahmen Gestalt an. Das war der Start seines Emporkommens aus der Anonymität.

    Und doch, nichts zu dieser Zeit nahm seinen späteren meteoritischen Aufstieg vorweg. Er hatte keine politischen Erfahrungen, keine Position, noch Zugang zu den Korridoren der Macht.« (Kershaw 91, S. 1 f.)

    Wer diese Zeilen liest, ohne ausführliche Kenntnisse über die Ursachen und Einzelheiten von Hitlers Wesensveränderung zu haben, bemerkt das Pasewalk-Loch nicht, über das Kershaw mehrmals hinweggeht und das bis zu den Büchern der neuesten Hitler-Gesamt- oder Detail-Biografen Ullrich (2013), Eberle (2014) und Longerich (2015) existiert:

    »In den ersten 30 Jahren seines Lebens« »ein Niemand«. »In den übrigen 26 Jahren Anstifter eines völkermörderischen Krieges«. »Hitlers Leben in seiner Jugend machte keine einzige Anspielung auf die Gestalt, die der Welt einst den Atem nahm.« »… als er sich in einem Pommerschen Militärkrankenhaus [im nicht einmal genannten Pasewalk] befand – traumatisiert und aus den Angeln gehoben. Der in ihm angestaut Hass brach nun grausam aus ihm hervor.« »Dabei bemerkten die Männer um ihn und er selbst, dass er ein ungewöhnliches Talent dafür besaß, die übelsten Vorurteile und Ressentiments auf demagogischste Weise zu artikulieren. Die Selbstwahrnehmung und das Selbstvertrauen eines politischen Agitators nahmen Gestalt an. Das war der Start seines Emporkommens aus der Anonymität.« »Er hatte keine politischen Erfahrungen, keine Position, noch Zugang zu den Korridoren der Macht.«

    Das stimmt für die Situation von Hitler 2 im November 1918. Und schon wieder ist um ein weiteres Mal über »die [vom Spiegel 2008 gestellte] Königsfrage der deutschen Geschichte: Wie konnte es im Januar 1933 zur Reichskanzlerschaft dieses Niemands kommen?« hinwegformuliert worden.

    Eine der markantesten Folgen der Wesensveränderung von Hitler 1 zu Hitler 2 in Pasewalk: Der unbedarfte gutmütige Kunstmaler, im Ersten Weltkrieg beflissen dienende Soldat und Meldegänger, erfuhr durch seine Pasewalker Hypnose eine »starke Abänderung« seines »seelischen Geschehens« – wie »durch die Rauschgifte Opium, Haschisch, Meskalin u. a.« (Neuropsychiater Konrad Zucker).

    In den Teilen des vierten Buches, Ich-Kernschmelze und Staatsterrorist, werden 17 Merkmale der »starken Abänderung« von Hitlers »seelischem Geschehen« vorgeführt. Mit einem 18. muss »mit der Tür ins Haus« des Auftaktes gefallen werden:

    Hitler erlangte durch die ihm widerfahrene Alchimie von Pasewalk noch zusätzlich eine öffentlich nicht sichtbare Fähigkeit. Er wurde nicht nur ein Massendompteur, sondern hatte auch einen psychischen Magnetismus neu erworben, mit dem er alle Personen an sich heranzuziehen vermochte, die ihn bei seinem »meteoritischen Aufstieg« zum Beherrscher Deutschlands essentielle Hilfestellungen leisten konnten: Es begann 1919 mit Hauptmann Karl Mayr in der Münchner Abwicklungs-Armee, setzte sich 1921 fort mit dem Siemens-Manager Dr. Emil Gansser, mit dem Hitler der Durchbruch zu seinen Sponsoren in der Industrie inklusive den Schweizer Banken gelang. Er entkorkte vibrierendste Gefühle für seine Person von Kulturindustriellen-Gattinnen, wie der Flügel-Produzentin Helene Bechstein und der Kunstbuch-Verlegerin Elsa Bruckmann, die beide ihm Schienen in die Oberschichten legten, ihn modisch fit machten und wohnlich luxuriös einrichteten. Die Spitze: Er nahm 1922 den gerade ernannten bayerischen Justizminister Franz Gürtner so für sich ein, dass Gürtner zu Hitlers zehn Jahre wirkendem »stillem Schutzengel« wurde und alle seine zuchthauswürdigen Verstöße gegen die deutsche Rechtsordnung ausbügelte (drittes Buch, Der »stille Schutzengel«).

    VERRISS DER MILITÄRPSYCHIATRIESZENE VON 1914–1924

    Strukturalistisches Vorwort

    I. DAS ERSTE VERBRECHEN DER MILITANTEN WELTKRIEG-I-PSYCHIATER

    Bevor der eine Militärpsychiater, der Hitler falsch behandelte, mit 18 Indizien dingfest gemacht und das Verfahren durchleuchtet wird, das Hitler 1 zu Hitler 2 befördert hat, muss das Koordinatensystem entblößt werden, in dem sich alle Militärpsychiater zur Weltkrieg-I-Zeit bewegten. Die Darstellung dieses ideologischen Komplizen-Bezugsnetzes ist primär wichtig, um den einen Täter verständlich machen zu können, der kein Einzelfall war, sondern den nur zufällig das Los traf, an dem braven Soldaten Adolf Hitler einen folgenreichen ärztlichen Kunstfehler zu begehen.

    Alle Militärpsychiater haben die real erkrankten Soldaten als »Nervenbündel« konstruiert, um sie mit 20 verschiedenen geistig-psychischen Verfahren »wieder auf Vorder(front)mann zu bringen«. Doch es muss unbedingt noch der von der bisherigen Psychiatrie-Kritik versäumte Schritt zuvor gemacht werden: Nicht erst die falsche Behandlung war das Wissenschafts-Verbrecherische der Militärpsychiater, sondern schon die falsche Diagnose. Dieses Verbrechen der Militärpsychiater kann erst dann verstanden werden, wenn die Revue der Neuro-Physiologen anschaulich gemacht wird, die die Gasvergiftungen im engeren und weiteren Sinne medizinisch als das definierten, was sie waren – real-physische Verletzungen, die nichts mit dem Thema »Neurose« zu tun hatten. Wenn, dann handelte es sich höchstens um psychische Begleiterscheinungen und meistens um Spätfolgen, die auch in diesem Endstadium immer noch nicht allein in das Gebiet von »Seelenärzten« gehört hätten.

    Vor allem muss klargemacht werden: Die Mililtärpsychiater haben sich nicht geirrt oder befanden sich auf dem »falschen« diagnostischen »Dampfer«, weil die Zeit es nicht besser wusste, mit den subtilen Verletzungen der Soldaten adäquat umzugehen. Es werden sogleich 50 ärztliche Erhebungen vorgeführt, die sämtlich in damals bekannten und griffbereiten Fachmedien publiziert wurden. Und diese 50 sind mehr als die Zahl der neuropsychiatrischen Hardliner, die die Frevel an den real verletzten Soldaten begingen. Das waren 42, wie im Einzelnen aufgeschlüsselt wird. Sie fegten alles Physiologisch-Ursächliche beiseite, um sich den Erfordernissen der Heerführer anzupassen, mit 20 verschiedenen psycho-invasiven Techniken im Eilverfahren die erkrankten Männer wieder Front-einsatzbereit zu machen. Die Hardliner hätten sich das bessere Wissen der Physiologen zur wissenschaftlichen Brust nehmen können, was sie absichtlich nicht taten. Die Psychiatrie-Kritik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts behält Recht. Die Misshandlung der erkrankten Soldaten ist eine – der »Euthanasie« zuvor begangene – Schuld der herrschenden Minderheit einer medizinischen Sparte.

    Mit der Klärung: Es war nicht das »gelbe Kreuz«, sondern der »weiße Stern«, dessen Gas Hitlers zweite Kriegsverwundung verursachte – das heißt, er war nicht anhaltend »vollständig erblindet«, sondern Sprachlos –, mit dieser Feststellung beginnt die Tragödie des österreichisch gebürtigen, im 16. Bayerischen Reserve-Infanteri-Regiment aufgenommenen Kriegsfreiwilligen, späteren Gefreiten und Meldegängers Adolf Hitler.

    Wegen seines Symptoms »stumm« rutschte er in eine psychiatrische Kategorie, die nichts mit seiner realen Krankheit zu tun hatte. Hitler wurde irgendwann im Laufe seiner Voruntersuchungen im Bayerischen Feldlazarett 53 Oudenaarde, in der Krankensammelstelle Oudenaarde und in der Krankensammelstelle Gent medizinisch falsch eingeschätzt (drittes Buch, 3. Bewegung, BEWEISFÜHRUNG EINS und DREI). Anstatt seine – von Chlorine-Phosgen-Gasen verursachten – Leiden in seinem Hals mehr oder weniger sich selbst zu überlassen und den Heilungsprozess von ein paar Wochen einem »Genesungsheim« im Front-nahen Westdeutschland zu überantworten, wurde er als »Kriegsneurotiker« eingestuft. Das geschah gegen die eindeutige Verwundungsurrsache seiner »Gasvergiftung« mit »Weißem Stern«. Doch da es keine Mitverwundeten gab – niemanden sonst, der an Hitlers Seite von dem britischen Spontan-Mörser auch einen »Denkzettel« mit »Weißem Stern« bekommen hatte –, nahmen spätestens die Ärzte in der Genter Krankensammelstelle an: Alles an Hitlers »Sprachlosigkeit« sei nur »Einbildung«, falls nicht sogar Simulation!

    Er konnte seine real geschehene Beschießung mit »Weißem Stern« nicht beweisen. Sie war so gut wie unbemerkt vom übrigen Regiment List vonstatten gegangen – wie ein plötzlicher feindlicher Gewehrschuss passiert, der verwundend oder tödlich trifft. Da weiß der Getroffene auch nicht genau, woher sein »Schicksals-Schuss« gekommen ist, welcher feindliche Soldat mit welchem Geschoss die Kugel abgefeuert hat, wer exakt der »Täter« war.

    Dieses »unverhofft« und »unversehens«, »unbemerkt« und »überraschend« ist im Ersten Weltkrieg eine Alltäglichkeit gewesen. Die großen Sperr- und Trommelfeuer wiesen sich von selber nach – mit unzähligen Getroffenen. Doch das Leise-Unheimliche eines zufälligen Erwischtwerdens, dieses später verwitzelte »Von hinten durch die Brust ins Auge« – genau das ist Hitler am 15. Oktober 1918 passiert, wobei es für ihn heißen muss: »Von vorne durch den Mund in den Hals«.

    Das »Satanische«: Gerade beim von den Folgen her fast harmlos wirkenden Chlorine-Giftgas »Weißer Stern« sieht man nach kurzer Zeit nichts mehr an den Organen, um es als Ursache der Nerven-Organ-Irregulation fassen zu können, die aber trotzdem da ist und eine Weile bleibt und sehr bald nach der Gasverwundung als ursachenlos erscheint. Wegen des Verschwindens einer nachweisbaren Ursache wurde der fatale diagnostische Irrweg in die – von den Militärpsychiatern ständig beschworene – »Funktionalität« beschritten. »Funktionell« = »außer Betrieb«! Aber für die Militärpsychiater keine organische Ursache fassbar. Dann psychisch, also »hysterisch« und damit abgestempelt als »kriegsneurotisch«. So einfach wurde das in 10 000en von Fällen gehandhabt.

    Hitler war vier Wochen lang stumm. Seine zweite Kriegsverwundung »stumm« dominierte seinen Pasewalker Lazarett-Aufenthalt so sehr, dass er diesen vier Wochen ein eigenes Kapitel in seiner ersten Autobiografie Leben und Reden widmete. Seine anderen Lebens-Phasen von mehreren Monaten bis zu einigen Jahren werden nur gestreift. (Hitler 23, S. 3 ff., drittes Buch, 3. Bewegung, BEWEISFÜHRUNG DREI)

    Die militärpsychiatrische Fehldiagnose im Fall des Soldaten Adolf Hitler – »Kriegsneurotiker« anstatt »Kriegsverwundeter« – ist der Ausgangspunkt zur bisher größten Katastrophe der Menschheit. Den ersten nachweislichen Teil der Fehldiagnose beging das Team in der Krankensammelstelle Gent, den zweiten Teil der Leiter der »Kriegsneurotiker«-Station im Reserve-Lazarett von Pasewalk. Auch die ersten beiden Untersuchungszentren, das Bayerische Feldlazarett 53 Oudenaarde und die Krankensammelstelle Oudenaarde, sind an dieser Fehldiagnose beteiligt, weil sie Hitler ab dem Feldlazarett des Regiments List falsch einschienten. Dieses Feldlazarett hätte ihn sogleich irgendwohin um die Ecke zum »genesen« verschicken müssen und nicht auf den komplizierten und langatmigen Diagnoseweg überweisen dürfen, der ihn ins Neuro-Psychiatrie-Fahrwasser »abgleiten« ließ (drittes Buch, 3. Bewegung, BEWEISFÜHRUNG EINS).

    Der Gent-Folgen-Forster

    Ohne Vorgriffe und Rückbezüge geht die ultra-komplizierte Wahrheitsfindung in Hitler 1 und Hitler 2 nicht. Selbstverständlich kann bei Vorgriffen und Rückbezügen nicht schon oder noch einmal mit dem wissenschaftlichen Apparat aufgewartet werden.

    Ist gemäß des Dramatikers Peter Hacks »die Wissenschaft ein Handwerkszeug im Schrank der Kunst«, so muss auch die Kunst als ein Handwerkszeug im Schrank der Wissenschaft akzeptiert werden. »Kunst« hier im Sinne von »Novelle« verstanden, die Goethe als »unerhörte neue Begebenheit« definierte, aus der das »unerhörte neue gesellschaftliche Verhältnis entsteht« (Hebbel).

    Obwohl die gesamte Tragödie von Hitlers Pasewalk erst ab dem Hauptteil Hitlers Geistarzt wissenschaftlich auseinandergesetzt wird, muss hier zum Verständnis der Weichenstellung in Richtung Hitlers militärpsychiatrischer Fehlbehandlung schon über eines der Ergebnisse des vierten Buches informiert werden. Es gab nicht nur einen persönlichen Bezug zwischen der Krankensammelstelle Gent und dem Leiter der »Kriegsneurotiker«-Station in Pasewalk, Edmund Forster, sondern auch einen fachärztlich-spezialistischen Zusammenhang.

    Bekannt ist bisher nur der Greifswalder Forster (Armbruster) und der Familien-Forster (Lewis). Der Charité-Forster und der Gent-Folgen-Forster liegen noch vollständig im Dunkeln. Der Gent-Folgen-Forster mündete in den Pasewalk-Forster, dem der ärztliche Kunstfehler am gasvergifteten Meldegänger Adolf Hitler unterlief.

    Der deutsche Neuropsychiater Prof. Dr. Edmund Forster war in Gent für drei Monate lang »Mr. Neuro« gewesen. Er hatte zwischen Juni und August 1918 den Lehrstuhl für Neurologie an der Genter Universität inne, der in Belgien zur Weltkrieg-I-Zeit nicht wie in Deutschland mit der Psychiatrie »verschweißt« war. Forster hatte demnach neben seiner Tätigkeit als Universitätsneurologe noch Zeit und Kraft, sich zwei weiteren Aufgaben zu widmen. Ihm war innerhalb der von ihm geleiteten Nervenabteilung im Städtischen Krankenhaus eine Spezial-Station für Hirn(schuss)verletzte eingerichtet worden. Und er war gleichzeitig der Direktor der Krankensammelstelle Gent – alles jedoch nur bis einschließlich Ende August 1918.

    Als Auch-Soldat, als »Marine-Stabsarzt der Seewehr« im Range eines Kapitänleutnants, hatte Forster, geboren 1878, ab der Wende von seinem zweiten zu seinem dritten Lebensjahrzehnt (1898 ff.) neben seinem Studium der Medizin das Handwerk der Kriegsführung erlernt und später sogar beherrscht. Die deutsche Besetzung von Belgien im August 1914 war für fast vier Jahre – trotz vieler Anstürme durch die Allierten – unantastbar stabil gewesen. Forster hatte sich unter diesen Umständen zugetraut, als Deutscher mit fließendem Flämisch/Niederländisch – da er bis zum Ende seines zweiten Lebensjahrzehnts in Amsterdam aufgewachsen war – den Lehrstuhl für Neurologie mit den beiden Nebenpositionen in der Krankenhaus-Nervenabteilung mit Hirnverletzten-Station und der Krankensammelstelle Gent einzunehmen.

    Doch weil genau einen Monat nach Beginn von Forsters Tätigkeit in Gent, ab Juli 1918, das Kriegsglück der Deutschen verschwand – sie verloren plötzlich eine Schlacht nach der anderen –, bekam es der Kapitänleutnant »mit der Angst zu tun«. Er brach sein Genter universitär-wissenschaftliches Tripel-Abenteuer ab. Daran klebte kriegsbedingt zu viel Okkupatorisches. Und Forster wusste nicht, was nach einem Sieg der Allierten über Deutschland mit dem Genter Besatzer-Professor gemacht werden würde. Er ließ sich am 3. September 1918 von seinem militärärztlichen Vorgesetzten irgendwohin nach Deutschland zurückkommandieren. Die erste Station seines »irgendwohin« war Pasewalk, in dessen Reserve-Lazarett Forster zwischen 3. September 1918 und Ende Dezember 18/Anfang Januar 19 die Position des »ordinierenden« Arztes der dortigen Nerven-Abteilung einnahm (drittes Buch, 3. Bewegung, BEWEISFÜHRUNG VIER, 4. Bewegung, BEWEISFÜHRUNG ZWEI, III). Forsters Karriereknick eines »abgebrochenen«, aus seiner Position geflohenen Professors war das Undenkbarste für einen Universitätsakademiker, glich einer Straftat und musste ultra-geheim gehalten werden. Deshalb die mysteriöse Zeugnis-Einebnung von Forsters Pasewalk, das in Hitlers Geistarzt jedoch mithilfe einer Vielzahl gefundener Scherben in einer Art medizinhistorischer Troja-Rekonstruktion wieder aufgebaut wird.

    Während der Zeit, in der die Krankensammelstelle Gent den Patienten Adolf Hitler zwischen 18. und 20. Oktober 1918 zu begutachten hatte, war das dortige Team erst eineinhalb Monate von seinem ehemaligen Direktor Forster getrennt. Forsters nähere Berührung mit Gent reicht in das Jahr 1916 zurück. Er war seit Ende 1916 in der Genter Universität mit einer Vorlesungsreihe über Histologie – Gehirngewebe-Lehre – hervorgetreten und hatte ebenfalls Vorträge in Genter medizinischen Gesellschaften gehalten. Das alles geschah neben seiner militärpsychiatrischen Kriegsfunktion ab Januar 1915 als Leiter der Nervenabteilung des Marine-Lazaretts II in Brügge (nahe Ostende). Forster war vor allem wegen seines fließenden Flämisch/Niederländisch als führender deutscher Neuropsychiater in der Genter Szene bekannt wie der sprichwörtliche »bunte Hund«.

    Forsters von ihm verwaiste ärztliche Mitglieder der Krankensammelstelle Gent wussten genau, auf welchem Gebiet ihr ehemaliger Direktor Spezialist war. Alle Neuropsychiater spezialisieren sich, die meisten auf mehreren Gebieten – so auch Forster. Ein wissenschaftliches Schwergewicht von Forster war die »Aphasie« – die Sprachstörung. Etwa zehn Arbeiten Forsters über Sprech- und Schreibstörungen sind von ihm überliefert. (Armbruster, S. 231 ff.)

    Wie im dritten Buch, 3. Bewegung, BEWEISFÜHRUNG DREI, bereits darauf hingewiesen, stehen Stimmbänder/Stimmlippen im Kehlkopf eng mit Muskeln in Verbindung, werden durch sie bewegt. Dieser Vorgang ermöglicht – sehr vereinfacht – das Sprechen. Forsters erste publizierte wissenschaftliche Arbeit, seine medizinische Dissertation, beschäftigt sich mit dem neurologischen Teil von Muskeln allgemein. (Forster 01)

    Später legte Forster Studien zur Vaso-Motilität vor, zur Lehre von der unwillkürlichen aktiven Zellbewegung. Er war schließlich für die neurologische Seite des Themas »Sprache« so gefragt, dass er 1932 in dem Handwörterbuch der praktischen Medizin der Gebrüder Felix und Georg Klemperer den Text zum Stichwort Sprachstörungen – aphasische Störungen beisteuerte. (Forster 32 II) Mit dem Thema »Augen« hatte Forster so gut wie nichts zu tun. Den einzigen Aufsatz zu einem neurologischen Augenproblem bestritt er mit seinem Co-Autor Erich Schlesinger. (Forster/Schlesinger) Selbstredend beherrschte Forster wie alle Neuropsychiater die Examination der Pupille für die Untersuchung aller möglichen Kopfkrankheiten. Aber das Auge als auch neurologische Organvielheit war nicht Forsters Spezialthema. Das war u. a. die Region, von der aus Sprache entsteht, und ihre Repräsentation im Gehirn.

    Wer auf »Augen« als Organe von Hitlers zweiter Kriegsverletzung setzt, wie es Bernhard Horstmann und David Lewis, die Vorläufer des Themas von Hitlers Wesensveränderung, tun, der muss die Forster-Hitler-Beziehung völlig missverstehen, deren Basis nicht eine reale oder funktionelle Augenkrankheit, sondern die Fehldiagnose einer durch Chlorine-Verwundung verursachten Stummheit Hitlers war, deren Symptome unsachgemäß in das Gebiet des Psychischen verlegt wurden. Das führte dann bei Hitler zur Missbehandlung, die sein Serienkiller-Potential zündete.

    Der Kurzschluss zwischen »stumm« und »hysterisch«

    Mit der Gas-Verwundungs-Folge »stumm« oder »Stimm-geschädigt« war Hitler am Ende des Ersten Weltkriegs automatisch in einem Gebiet gestrandet, in das er medizinisch gar nicht hingehört hätte. Ab jetzt gibt es kaum noch einen Kampf mit der Hitler-Biografik, die zu diesem Thema selbst ja »stumm« ist. Ab jetzt muss der Haupt-Kampf mit der Neuropsychiatrie im weiteren und mit der Militärpsychiatrie im engeren Sinne aufgenommen werden.

    Die ehemaligen Forster-Mitarbeiter der Krankensammelstelle Gent haben es sich zu leicht gemacht und einen Stimm-verwundeten Soldaten zu ihrem früheren Chef 800 Kilomenter nach Pasewalk abgeschoben. Der Facharzt für Aphasie würde dort dann schon weitersehen!

    Aus dem medizinischen Schrifttum der Weltkrieg-I-Zeit und einiger Jahre danach ergibt sich die Ungeheuerlichkeit, dass die Militärpsychiater Fernwirkungen durch Granat-Explosionen und die Gas-provozierten Verwundungen und Irritationen der Mund- und Rachengegend, des Halses und der Stimmbänder über den Kamm einer »Kriegsneurose« schoren.

    Deutsche Chemiker wie Fritz Haber erfanden die Gaswaffen, unterließen es aber, die Ärzte genau über die Folgen auf den menschlichen Körper zu instruieren, als ob sie davon ausgingen, dass nur die Kaiserliche Armee je Giftgas verschießen, aber nie mit solchem von der anderen Seite beschossen werden würde. Der spätere Gas-Facharzt Hermann Büscher gibt die Misere der Ärzte im Ersten Weltkrieg gegenüber den giftigen Gasen unumwunden zu. Die Frontärzte wussten nichts, standen den »Gaserkrankungen sehr unsicher gegenüber.« (Büscher, S. 8, drittes Buch, 3. Bewegung, BEWEISFÜHRUNG DREI)

    Noch ärger benahmen sich die Psychiater, die theoretische Luftschlösser um die sogenannten Funktionellen errichteten. Sie fanden in den Körpern der »Gasvergifteten« und der indirekt durch Granat-Explosionen Getroffenen keine Verwundungsursachen. Das war vor allem bei den Folgen der Vergiftung durch die neun britischen Chlorine-Mischungen der Fall. Und schon bildeten sich die Psychiater ein: Die Psyche eines Soldaten hätte seine Organe außer Funktion gesetzt.

    Der wie Hermann Büscher ebenso ehrliche österreichisch-ungarische Frontarzt Paul Ujlaki gestand, dass »die letal endenden Fälle anfangs nur ganz leichte, nicht beunruhigende Symptome zeigten, nach kurzer Zeit aber plötzlich unter schwerem Kollapszustand starben.« (Ujlaki drittes Buch, a. a. O.)

    Stummheit wurde von Anfang dieser Verwundung an »hysterisiert«. Wenn jemand keine Kugel im oder am Hals vorweisen konnte, war er ein »hysterischer Stummer«.

    Robert Gaupp, der Tübinger Ordinarius für Neurologie und Psychiatrie und dortige Nervenklinik-Direktor, gab das Verhängnis des Abrutschens der Diagnose ins Psycho-Kausale entlarvend deutlich zu: »Ein wenig geklärter Punkt in der Ursachenlehre der Kriegsneurosen ist die Frage der ›Gasvergiftung‹. Es wird nicht bezweifelt, dass schwere und qualvolle, oft tödliche Gasvergiftungen leider sehr häufig vorkamen. Ich selbst habe in Cambrai im Feldlazarett eine größere Anzahl solcher Unglücklicher gesehen, die ihre Lungen aushusteten. Andererseits wurde aber mit dem Begriff der Gasvergiftung im Laufe des Krieges von manchen Neurotikern ein heilloser Missbrauch getrieben. Ich habe mich bei vielen, die mit der Diagnose ›Gasvergiftung‹ auf dem Verwundetentäfelchen oder im Krankenblatt meinen Lazaretten zugingen und gewisse Nervenstörungen boten, vergeblich bemüht, irgend etwas festzustellen, was diese Diagnose hätte rechtfertigen können.« (Gaupp 22, S. 71)

    »Lunge aus dem Leibe husten« – dann konnte mit »Gasvergiftung« psychiaterseits etwas angefangen werden. Bei allen weniger drastischen Symptomen, wie »gewissen Nervenstörungen«, bestand jedoch nicht nur die große Ratlosigkeit, weil Unwissenheit, die ein Arzt nicht zugeben möchte. Statt dessen geschah zur Bemäntelung der eigenen diagnostischen Insolvenz die Plakettierung »psychogene Zustände«, »psychogene Krankheitszeichen«, »hysterische, nicht selten bewusst übertriebene, wenn nicht gar frei simulierte Zustandsbilder, die durch die Etikettierung als Gasvergiftung ein vornehmeres Aussehen und eine ernstere Bewertung bekommen sollten. Die Gasvergiftung war ›Mode geworden‹.«, (a. a. O.) unterstand sich der deutsche führende Nervenarzt Gaupp an der medizinischen Wirklichkeit von 100 000en real Verwundeten vorbeizufabulieren. »Stumm« und »hysterisch« wurden immer dann miteinander verschweißt, wenn kein Hartwaffen-Eindrang in den Hals oder kein Streifschuss nachzuweisen war.

    So hieß es am 25. Oktober 1918 in einem Schreiben der Medizinalabteilung des sächsischen Kriegsministeriums an das bayerische Kriegsministerium: »Beim Kriegsministerium ist die Bitte gestellt worden, es möchte der Schütze Josef Holzmann, der sich wegen hysterischer Stummheit im Lazarett Arnsdorf i. Sachsen befindet, in ein Münchener Lazarett verlegt werden.« (KAM, MKr, Bd. VI, 13 808, Überführung von Kranken oder Verwundeten in Spezialanstalten oder Familienpflege, Bund 3, Nr. 2727 22 M.) Da der Gefreite und Meldegänger Adolf Hitler als Hitler 1 überaus geduldig und subaltern »veranlagt« war, gibt es zu seinem Fall keinen solchen Antrag. Hitler ließ trotz seiner Zugehörigkeit zu einem bayerischen Regiment in dem preußischen Reserve-Lazarett Pasewalk, das für ihn eigentlich nicht zuständig war, einfach alles – so »einfach«, wie er selber war – widerspruchslos über sich ergehen, was mit ihm gemacht wurde und hinterließ keine Bitten, »in ein Münchener Lazarett verlegt [zu] werden«.

    Die Krankensammelstelle Gent und der Leiter der »Kriegsneurotiker«-Station im Reserve-Lazarett Pasewalk, die Hitler falsch diagnostizierten, begingen den medizinischen Fauxpas nicht allein. Sie befanden sich im Einklang mit der militärverbandelten und daher machthabenden neuropsychiatrischen Wahrnehmung von Kriegsfolgen, die aus den damaligen limitierten ärztlichen Kenntnissen und Patientenerfahrungen heraus nur schwer diagnostizierbar waren.

    Als Feigenblatt vor der eigenen Unfähigkeit war es das Leichteste und zugleich wissenschaftlich Dubioseste, die ungewohnten Symptome durch »Granatfernwirkung« und »Gasvergiftung« ins Psychische« abzuschieben«, was 10 000fach ab 1914 geschah und jemandem, wie dem späteren »Gas-Facharzt« Hermann Büscher nicht passiert wäre (drittes Buch, 3. Bewegung, BEWEISFÜHRUNG DREI).

    Granatexplosions- und giftgasverursachte Störungen der Mund- und Halsregion waren die zweithäufigsten, die in den Nervenkliniken und -abteilungen der Weltkrieg-I-Zeit »behandelt« wurden. »Behandeln« hieß im Voranschreiten des Krieges immer mehr »schuriegeln« mit inadäquaten Maßnahmen.

    An erster Stelle der angeblich »ursachenlos« verwundeten Soldaten standen die »Zitterer« oder »Schüttler«. Auch diese waren gleich zu Anfang des Krieges von der der Armee unterstellten Neuropsychiatrie als »Kriegsneurotiker« usurpiert und falsch diagnostiziert worden.

    Im ersten Kriegsjahr 1914/15 füllten hauptsächlich Patienten, geschädigt durch »Granatfernwirkungen«, das Kontingent der »Zitterer« und »Stotterer«.

    Der in der Sicherheit seiner Position als Direktor der psychiatrischen und Nervenklinik der Charité sitzende Karl Bonhoeffer polemisierte gegen die »Granatfernwirkung«. (Bonhoeffer 17 III) Bonhoeffer und seinesgleichen Front-ferner Neuropsychiater wollten sich nicht vorstellen, dass Granaten bei der Zündung nicht nur Metallsplitter umsichwarfen und Feuer spien, sondern auch bei jeder Explosion feinste Giftstäube freisetzten und einen heftigst denkbaren Luftdruck verursachten, die beide zusammen nicht erst indirekt auf die Psyche der Soldaten per »Schock« und »Schreck«, sondern schon sogleich direkt auf die Muskeln aller Körperteile der Männer negativ wirkten, was manchmal sofort »zum Ausdruck« kam, sich manchmal erst kurze Zeit später zeigte.

    Die 40 diagnostischen »Gerechten«

    Medizinisch unbestechliche Forscher und ärztliche Beobachter vor Ort in Frontnähe beschworen mit ihren Artikeln in den Fachzeitschriftten die neuropsychiatrischen Kollegen »Hinterländler«, Granatfernwirkungen und Gasvergiftungen als Ursache muskulärer und anderer Irregulationen im männlichen Körper zu akzeptieren. Umsonst! Die Aufsätze bzw. Referate oder Buchkapitel zur physiologischen Verursachung der Symptome, die unter den willkürlichen Termini »Kriegsneurose« und »Kriegshysterie« subsumiert wurden, verhallten wirkungslos gegenüber den neuropsychiatrischen Armee-Bütteln.

    Es können 50 Zeugnisse bzw. Zeugnis-Vielheiten der medizinischen Eindringlichkeit und gleichzeitigen Vergeblichkeit angeführt werden, um gegen den »Kriegsneurotiker«-Wahn der Militärpsychiater Stellung zu nehmen:

    1.)Georg Abelsdorff (17 I – »Lidkrampf und krampfartige Zuckungen der mimischen Muskulatur« »nach heftiger Beschießung im Schützengraben«).

    2.)Julius Bauer (17 II – »Granaterschütterung« als »Granatfernwirkung« auf die Mund- und Halsregion. [»Derartige organisch Kranke werden am ehesten der Heilung zugeführt, wenn man von jeder {psycho-invasiven} Behandlung, namentlich mit dem elektrischen Stom absieht.«]),

    3.)(17 III – »Hysterische Erkrankungen bei Kriegsteilnehmern.« [»Die funktionellen und hysterischen Störungen sind von Störungen der Innensekretion abhängig.«]).

    4.)Otto Binswanger (15 – [Erste EEG-Belege für abweichende Gehirnwellen-»Schwankungen« bei »Kriegsneurotikern«!] – »In all diesen Fällen wird man zu der Annahme gezwungen, dass außer der seelischen Erschütterung auch andere, rein mechanisch wirkende Schädlichkeiten bei der Entstehung des Krankheitsbildes mitgewirkt haben.« [S. 3]).

    5.)Karl Birnbaum (18 III – »Für das Symptom der gesteigerten Sympatikuserregbarkeit nach der Explosionswirkung lässt sich eine Korrelation zwischen der Nebennierentätigkeit und dem Sympatikustonus annehmen.«).

    6.)Johannes Bresler (18 II – »Die negative Disposition« [»Höhere Kultur« »ist auch im höheren Maß der Gefahr einer Schädigung ausgesetzt« – Plädoyer gegen das Dogma von der »Minderwertigkeit« der »Kriegsneurotiker«])

    7.)Büscher (16 – »Hysterie nach Granaterschütterungen, körperlichen Erkrankungen und Strapazen«).

    8.)Max de Crinis (18 – »Durch die Wirkung von Explosionen erfährt das Verhalten der endokrinen Drüsentätigkeit eine Änderung.« [S. 989]).

    9.)Anton Elschnig (17 – »Konvergenzkrämpfe und intermittierender Nystagmus. Symptomenkomplex bei kriegsgeschädigten Soldaten«)

    10.)Gustav Embden (18 – »Die Behandlung der Kriegsneurotiker im Operationsgebiet« [»übermenschliche Anforderung« und »das Erschöpfungsmoment« – Argumente für die somatische Causa der Nerven-Organ-Dys-Koordination, fälschlich genannt »Kriegsneurose«]).

    11.)Flath (17 – »Etwas über die Kriegszitterer« [»Frische Fälle« der »Nichtbehandlung« von »Kriegszitterern«, die »in der vorderen Linie ausgeheilt und wieder voll frontdienstfähig geworden sind«]).

    12.)Richard Henneberg (17 I – »Verschiedene Krankheitstypen organischer, funktionell-nervöser und rein psychischer Natur« durch »Granaterschütterung«),

    13.)(17 III – Auch in den Fällen von Hysterie, »in denen Erkrankungen des Zentralnervensystems und Störungen der inneren Sekretion nicht nachweisbar sind«, muss man bei sogenannten »Kriegsneurotikern« »das Vorhandensein solcher annehmen«).

    14.)Ernst Herzig (16 – »Schwefelkohlenstoff-Psychosen« [bei Gummi-Fabrik-Arbeitern]),

    15.)(19 – »Zur [physiologischen] Äthiologie der nach Granatkommotion auftretenden psychotischen Zustände«).

    16.)H. König (17 – Beiträge zur Simulationsfrage [, die König in Anbetracht der militärpsychiatrisch diskreditierten »Kriegsneurotiker« verneint. Als Forster-Gegner ein Anti-»Hysteriker«])

    17.)Krecke (17 – »Beitrag zur Fehldiagnose, Spontanheilung und konservativen Behandlung von Aneurysmen«).

    18.)Karl Kroner (18 IV – »Bei der Hysterie sind nur die Bewegungen der Muskelgruppe gestört, die post partum erworben werden«).

    19.)Arthur Kronfeld (19 – »Das Moment der Panik in der Neurosengenese an der Front«)

    20.)W. Löhlein (17 – »Psychogene Blicklähmung unter dem Bilde einer beiderseitigen Lähmung aller äußeren Augenmuskeln« [nach Granatstaub-Wirkung auf sämtliche Gesichtsmuskeln]).

    21.)Fritz Lotmar (17 III – »Ursache« der Kriegshysterie »war ausschließlich Granatexplosion, vor allem gehäuft [Trommelfeuer]«).

    22.)Kurt Löwenstein (17 I – Vor der »Verwechslung von Hysterie und Simulation« ist zu warnen).

    23.)Kurt Mendel (16 – »Cerebellarer Symptomenkomplex und Hysterie [Verkennung der organischen Grundlage bei Neuritis optica«]).

    24.)E. Meyer (17 – Kriegsdienstbeschädigung bei Psychosen und Neurosen. [Forster-Gegner]).

    25.)Semi Meyer (16 – »Die nervösen Krankheitsbilder nach Explosionsschock«),

    26.)Semi Meyer und Frieda Reichmann (16 – »Über nervöse Folgezustände nach Granatexplosion« [Resumee der Beobachtung von 70 Fällen angeblicher »Kriegsneurotiker«: »Granaterschütterungen« können »bei jedem Betroffenen pathogen wirken«]).

    27.)Erwin Niessl von Mayendorf (17 – »Kombination peripherer und zentraler Störungen des Nervensystems« als Ursache der »Zitterformen«).

    28.)Franz Nissl (17 – »Über den Stand der Hysterielehre mit besonderer Berücksichtigung der Kriegserfahrungen.« [»Das Prädikat ›hysterisch‹ ist nur historisch verständlich und sachlich nicht berechtigt«]).

    29.)Hermann Oppenheim (15 – »Der Krieg und die traumatischen Neurosen«),

    30.)(16 I – »Für und wider die traumatische Neurose«),

    31.)(16 II – »Die Neurosen infolge von Kriegsverletzungen« [Oppenheim erfand am Ende des 19. Jahrhunderts den missglückten Begriff »Unfallneurose«, bei der es sich um das psychische Trauma als Folgeerscheinung nach Verkehrsunfällen handelt, woraus der Defektbegriff »Kriegsneurose« 1914/15 kreiert wurde. Oppenheim blieb der Führer der neuropsychiatrischen Fraktion, die von einer schwer zu diagnostizierenden Realverletzung ausging, die psychischen Symptomen wie Hysterie zu Grunde liegt]). (drittes Buch, 3. Bewegung, BEWEISFÜHRUNG VIER)

    32.)Julius Raecke (17 – »Hysterische Halbseitenlähmung nach Einwirkung schädlicher Gase«).

    33.)Otto Rehm (18 – »Hysterie und Nervenschock« [Fallberichte zur Unterscheidung zwischen seelischen und körperlichen Verursachungen abnormen Verhaltens])

    34.)Walther Riese (18 – »Zur Kenntnis der psychischen Störungen nach Gasvergiftung« [geschehen in einem Unterstand an der Front]).

    35.)Arthur von Sarbó (16 I – »Über die durch Granat- und Schrapnell-Explosionen entstandenen Zustandsbilder«: »Die Wirkung von Granaterschütterung ist eine Einkeilung der Medulla oblongata in das Foramen magnum mit Verletzung medullärer Nerven, wodurch als hauptsächlichstes Symptom das der Taubstummheit auffällt),

    36.)(16 II – »Über pseudospastische Parese mit Tremor als Folge von Durchnässung, Erfrierung, Durchkältung (Versuch einer pathogenetischen Erklärung)«),

    37.)(16 III – »Neue Beiträge zur Kriegstaubstummheit [als Folge diverser Verletzungen und schädlicher Einwirkungen auf den Körper der Soldaten].«),

    38.)(17 – : »Granatfernwirkungsfolgen und Kriegshysterie.« [»Durch Granatfernwirkung erfolgte Bewusstlosigkeit, wonach sich eine partielle Entartungsreaktion in der Zungenmuskulatur zeigt«. »Nach Verschüttung motorische Trigeminus-Lähmungssymptome«]).

    39.)W. Sauer (17 II – »Der Nachweis der psychischen Entstehung der Krankheitsbilder [lässt sich] nur in sehr unvollkommener Weise führen.«).

    40.)F. E. Otto Schultze (18 – »Der Wille des [Stimm]Kranken kommt bei dem Kugelverfahren nicht zur Wirkung. Suggestion ist nicht entscheidend, denn die Einführung in den Sinus piriformis bleibt wirkungslos, während die subglottische Einführung sofortigen Erfolg herbeiführt.«).

    41.)Robert Sommer (17 – »Ursprünglich« hatten »fast alle Fälle« von funktioneller Taubheit »eine objektive Schädigung, z. B. Trommelfellruptur, erlitten.«).

    42.)A. Thies (18 – Über »Gas-Infektion« als eine Art von »Bazillus-Infektion« innerhalb der »chemischen Kriegsführung«).

    43.)Erich Tiling (18 – »Klinischer Beitrag zur Pathogenese der Basedow-Erkrankung bei Kriegsteilnehmern« [Entdeckung der Zusammenhänge zwischen Schilddrüsen-Dysfunktion und Schallschädigung des inneren Ohres bei Tremor]).

    44.)Paul Ujlaki (17 »Die Gift- oder Reizgase wirken reflektorisch auf die Medulla oblongata durch in der Bronchialschleimhaut verlaufende autonome Nerven. Vielleicht wird auch das motorische Zentrum gereizt.«).

    45.)Sofus Wideröe (18 – »Oppenheim zufolge wird die traumatische Neurose hauptsächlich durch den psychischen Schock hervorgerufen, daneben hat aber auch die mechanische Seite des Traumas einen nicht zu unterschätzenden Einfluss.« [S. 116]).

    46.)Pick (18 – Trotz keiner Relevanz für Hitlers angebliche Gasvergiftung seiner Augen, müssen die allgemeinen Erhebungen des Augenarztes Pick für das Verhältnis von Soma und Psyche bei der »chemischen Kriegsführung« des Ersten Weltkriegs herangezogen werden. Pick leistete einen wesentlichen Beitrag zu den Spätgaserkrankungen der Augen in vier Fällen, stellte nicht nur die von den vorgenannten Autoren oft statuierte negative »Fernwirkung« der Industrie-Gase fest, sondern auch deren Spätwirkung. (Pick 18 II)

    47.)Mitten ins Schwarze von Hitlers Angelegenheit der Gasvergiftung seines Kehlkopfes traf die Laryngologische Gesellschaft zu Berlin, die auf ihrer Sitzung vom 2. November 1917 »Aphonien [Stimmlosigkeiten] und andere Traumen infolge von Granateinschlägen« zum Thema gemacht hatte und damit ihrem Mitglied Hermann Gutzmann folgte, der zu den »physiogen« (= auf körperlichem Wege verursacht) argumentierenden Ärzten in Anbetracht der Kriegsverwundung »Stummheit« gezählt werden muss.

    48.)Gutzmann hatte am 8. Juni 1917 auf der Sitzung der Laryngologischen Gesellschaft zu Berlin seinen Vortrag zu den physiologischen Ursachen der Kriegsverwundungen des Kehlkopfes gehalten: Über die Benennung der Kriegsaphonien. (Gutzmann 18) »Benennung« war ein eigenwilliges Wort für »Definition«, für »Ursachen-Klärung«. Berufener als Gutzmann konnte während des Ersten Weltkriegs niemand sein, die physiologischen Folgen des Waffen-Einsatzes auf den Kehlkopf der geschädigten Soldaten hervorzuheben, was er an zentral sichtbarer Stelle im Handbuch der ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege 1914/1918 zum wiederholten Male getan hat. (Gutzmann 1891, 1921, 23, 24, drittes Buch, 4. Bewegung, BEWEISFÜHRUNG VIER)

    49.)Ebenfalls der Essener Kehlkopf-Spezialist Otto Muck blieb mit seinen vier Publikationen zwischen 1916 und 1918 auf dem Boden der physiologischen Tatsachen von schwer messbaren Gas- und Luftdruck-Verwundungen der feinen inneren Hals-Muskulatur. Muck behandelte 300 Soldaten wegen Sprachstörungen. Seine Erfolge erreichte er mit einem »schmerzlosen, ungefährlichen und schnell wirkenden« »Kugelverfahren«, mit dem ein »Reflexschrei« ausgelöst wurde, der die gelähmten Kehlkopf-Muskeln wieder »in Gang« setzte (a. a. O.). Auch wenn Muck in Anpassung an die damalige Nomenklatur von »Kriegsneurosen« sprach, behandelte er Industriewaffen-bedingte Lähmungen und Irregulationen im Hals-, Nasen-, Ohren- und – überraschenderweise – auch im Hautbereich. (Muck 16, 17, 18 I, II)

    50.)Am frappierendsten äußerte sich Anfang 1917 der Dresdner Orthopäde A. Schanz zu dem Heer der »Zitterer«: Das Zittern »ist eine Erkrankung der Wirbelsäule«. »Diese Erkrankungen sind in unserem Kriegsmaterial außerordentlich häufig; meistens sind sie ausgelöst durch Stauchungen der Wirbelsäule, die die Tragkraft der Wirbel geschädigt haben.« »Das Charakteristikum beruht in einem Missverhältnis zwischen der Tragkraft – der statischen Leistungsfähigkeit – und der zu leistenden Tragarbeit – der statischen Inanspruchnahme.« »Man findet bei diesen Kranken nervöse Störungen der allerverschiedensten Art.«

    Für die zwanghaften »Kriegsneurotiker«-Ideologen geradezu beleidigend die Therapie der »Zitterer«, die der Orthopäde erfand. Er legte ihnen gegen das »Zittern« ein Korsett an, das ihr »Stillhalten« bewirkte: »Ich behandelte die Schüttler wie alle anderen Fälle von Insufficientia vertebrae: Es wurde also gegen das Schütteln gar nichts Besonderes unternommen. Das Schütteln minderte sich – verschwand mit der Besserung, dem Verschwinden der übrigen Insufficientia-vertebrae-Symptome.« (Schanz, S. 403, drittes Buch, a. a. O.)

    Diktatur einer ärztlichen Minderheit

    Die im »Kriegsneurotiker«-Wahn befangenen militanten Neuropsychiater hätten keinen zeitgenössischen Mangel gehabt, sich über das zu informieren, was Industriegase und -stäube und Granatexplosionen im Körper der Soldaten anrichteten.

    Das medizinisch anti-»kriegsneurotische« und auch das differenzierend ausgewogene neuropsychiatrische Schrifttum nach den ersten destruktiven Schlachterfahrungen setzte sofort 1915/16 mit ideologisch noch nicht verfärbten ärztlichen Erhebungen ein. Doch alles Alternative wurde von den Militärpsychiatern abgeschmettert und kaltgestellt. Das geschah immer mit schicken Formulierungen, wie denen Karl Bonhoeffers: Er wolle nicht »von der erprobten Technik der psychogenen Betrachtungsweise abweichen«. (Bonhoeffer 17 III, S. 51)

    »Psychogen« = das militärpsychiatrische Einbildungs-Kreuz, gehalten gegen die teuflische Realität des »metallogen«, »gasogen« und »explosiogen«!

    Einer der »Kriegsneurotiker«-Phantasten, Max Lewandowsky, fauchte sofort gegen die schlichten Therapie-Berichte des Dresdner Orthopäden Schanz und diktierte den Grundsatz der unheilvollen Erfindung vom »Kriegsneurotiker« in seine Erwiderung: »Das Zittern und Schütteln steht in gar keiner ursächlichen Beziehung zu irgendwelchen Wirbelsäulenleiden, es ist rein psychogen.« – »Ob es eine Insufficientia vertebrae überhaupt gibt, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass eine große Anzahl von ›Insufficientia vertebrae‹, die ich gesehen habe, ganz gewöhnliche Hysterie, meist mit bewusster Übertreibung, waren.« (Lewandowsky 17 I)

    Die Bonhoeffers, Gaupps und Lewandowskys, die Hoches, Kaufmanns und Nonnes, die Kehrers, Rothmanns und Weichbrodts und die weniger bekannt gewordenen »kriegsneurotischen« Gleichschritt-Marschierer wollten sich ihr Brot nicht nehmen lassen und ihre diagnostische Insuffizienz nicht zugeben. Was sie über die männliche Psyche verzapften, war einerseits Hybris, befangen im alten, antikörperlichen Mannhaftigkeitsdogma, und andererseits eine Bankrotterklärung ihrer eigenen Fachärztlichkeit fürs Psychische. »Psychiater« heißt »Seelenarzt«!

    Weil einer der »Anti-Seelischen«, der Bonhoeffer-Assistent in der Charité, Edmund Forster, den gasvergifteten stummen Meldegänger Adolf Hitler in die Hände bekam, werden noch laufend Einzelheiten des »Kriegsneurotiker«-Dogmas vorgenommen. Denn die militärpsychiatrische »Ummodelung« eines einfältig-kooperativen Kunstmalers in einen tyrannischen human-aversiven Politiker wird sich als gesamtes Menschheitsdebakel aus den Verstiegenheiten der »Kriegsneurotiker«-Ideologie herleiten lassen. Das »Kriegsneurotiker«-Dogma selbst war eine Tyrannei, die nicht einmal die Mehrheit der freiberuflichen und Staats-amtierenden Neuropsychiater ausübte. Vor diesem Hintergrund eines wissenschaftlichen und militärpolitischen Machtkampfes muss die Tragödie des gasvergifteten Gefreiten und Meldegängers Adolf Hitler gesehen werden.

    Die im vorigen Kapitel referierten Ganz- oder Teil-»Alternativen« und »Ausgewogenen«, die nach heutigen Maßstäben »Gesamtmediziner« genannten Ärzte, die sich mit der Wirkung der Explosionen von hauptsächlich Feuer-Granaten auf den männlichen Körper beschäftigten, waren damals führende Autoren mit mindestens 50 herausragenden Arbeiten zur »Granatfernwirkung« und »Gasvergiftung«. Es sind 40 Einzelpersonen und die Mitglieder der Berliner Laryngologischen Gesellschaft.

    Hinzugezählt werden müssen rund 60 Neuropsychiater der Weltkrieg-I-Zeit, die nicht auf den Zug »Kriegsneurotiker« aufsprangen und ihn so in Richtung »Untergang Deutschlands als Weltkulturnation« steuerten.

    Dieser Gesamtzahl von über 100 »Alternativen« kontrastiert die Liste der »Kriegsneurotiker«-Adepten, die die Psychiatrie-Kritiker Peter Riedesser und Axel Verderber in ihrer Publikation Maschinengewehre hinter der Front von 1996 präsentiert haben. Die über 90 »Alternativen« erscheinen in Riedesser/Verderbers Neuropsychiater-Verriss nicht oder nicht als »Gegenlöcker«. Riedesser und Verderber aus der Enkelgeneration, die Kritiker der deutschen Militärpsychiatrie im Ersten und Zweiten Weltkrieg, nehmen sich 42 Medizin-Fakultäts-Vertreter vor, von denen aber nur etwa 30 für die Schimäre »Kriegsneurose«/«Kriegshysterie« ab 1914 tätig waren. Das sind ein Drittel der für die Problematik öffentlich Hervorgetretenen. Die Namen dieser 30 »Verbrecher« mit den publizierten Rationalisierungen ihrer Patienten-Misshandlungen können bei Riedesser/Verderber eingesehen werden. (S. 235 ff.)

    Vor den Tatnachweisen und dem anschließenden Schuldspruch über Edmund Forster als einen der Gleichschritt-Marsch-Neuropsychiater der Weltkrieg-I-Zeit kommt es diesmal hauchfein differenzierend darauf an, die Namen der erdrückenden Mehrheit der Sich-raus-Haltenden, ja sogar Gegner des »Kriegsneurotiker«-Wahns, aufzuführen, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, es werde an den Haaren herbeigezogen über eine ganze medizinische Zunft der Stab gebrochen.

    Von Riedesser/Verderber nicht erfasst und auch nachweislich nicht an den Traktierungen der »Kriegsneurotiker« beteiligt sind die sogleich erwähnten fast 60 Neurologen und Psychiater. Die Arbeitsbereiche der Fachärzte werden hiermit ausnahmsweise pauschal getrennt, weil sie bei einigen der Aufgeführten auch wirklich voneinander separiert waren. Die 40 oben zitierten Mediziner kommen bei der Erarbeitung der realen Zahlenverhältnisse zwischen militärpsychiatrischen Ideologen und neuropsychiatrischen Realisten gemeinhin nicht noch einmal vor. Das geschieht auch deswegen nicht, weil viele von ihnen Fachärzte auf anderen Gebieten waren. Doch die folgenden 46 Namen von Nicht-Tätern stammen alle aus dem Neuro-Psy-Gebiet: Abraham, Alexander, Alt, Anton, Berger, Bielschowsky, Brodmann, Cassirer, T. Cohn, O. Foerster, Friedländer, Goldscheider, Goldstein, Groddeck, Gruhle, Hellpach, Herschmann, Kalischer, Kleist, Kramer, Kronfeld, Kutzinski, Leppmann, Lewin, Lewy, Liepmann, E. u. M. Loewy, Maas, Marcuse, Pfeifer, Poppelreuter, Runge, Schröder, J. H. Schultz, Schuster, Seelert, Simons, Sioli, Strohmayer, Tobias, C. und O. Vogt, Vorkastner, Westphal, Weygandt, Wollenberg. Mindestens 15 unter ihnen sind als »große Namen« in die Psychiatrie-Geschichte eingegangen. Hinzugezählt werden müssen die von Riedesser/Vederber erwähnten »Alternativen« Aschaffenburg und Strümpell.

    Im Zusammenhang mit den Wahn-Resistenten verdienen auch Erwähnung die Neuropsychiater Jaspers und Ziehen, die später in die Philosophie gewechselt sind. Dazu kommen die Schweizer Stars Bleuler, Forel und Jung, die Österreicher Adler, Economo, Ferenczi, Freud und Balint, die alle acht wegen ihrer Wissenschafts-Sprache Deutsch einen prinzipiellen Einfluss auf die deutsche Neuropsychiatrie-Szene hatten und selbstverständlich »Kriegsbeobachter« waren, ohne sich in dem »Kriegsneurotiker«-Wahn verstrickt zu haben. So ergibt sich die Zahl von 60 Wahn-Resistenten.

    Auch wenn Freud ein »Psychogeniker« wie seine Wahn-Kollegen war, nämlich davon überzeugt, dass die Masse der »Kriegsneurotiker« »Kriegstraumatiker ohne physische Ursache« waren, so handelte er nicht als »Kriegsneurotiker«-Traktierer. Im Gegenteil, er trat in dem Prozess gegen den Wiener Ordinarius Wagner-Jauregg 1920 als Gutachter auf und hinterließ erste Formulierungen zum Schuldspruch gegen die Militärpsychiater: »In dieser Konstellation gab ein Teil der Militärärzte der für die Deutschen charakteristischen Neigung zur rücksichtslosen Durchsetzung ihrer Absichten nach, was niemals hätte geschehen dürfen. Die Stärke der [elektrischen]Ströme sowie die Härte der sonstigen Behandlung wurde[n] bis zur Unerträglichkeit gesteigert.« (Freud 72, S. 945)

    Relativiert werden müssen die Vorwürfe von Riedesser und Verderber gegen einige ihrer »Angeklagten«, die von den Autoren nur mit einer einzigen Publikation herangezogen wurden. Bei Kenntnis des verzweigten Schrifttums speziell von Binswanger, R. Hirschfeld und Singer ergibt sich jedoch, dass diese Neuropsychiater – alle drei in verschiedenen Positionen – sich nicht (nur) als Wahn-Produzenten äußerten. Vor allem waren sie keine praktizierenden Invasisten wie Bickel, Kaufmann, Kafka, Kehrer, Kretschmer, Lewandowsky, Nonne, Rothmann und Weichbrodt.

    Binswanger wird noch mit einer Distanzierung vom »Kriegsneurotker«-Wahn zitiert werden. Der Januskopf bekommt eine längere Passage zur von ihm verfassten ersten großen »Kriegsneurotiker«-Kontra-Schrift. Auch hat Binswanger in seiner Jenaer Klinik von seinem Assistenten Erich Tiling die herausfordernde Studie über negative Kriegswirkung auf die männliche Schilddrüse erarbeiten lassen und einen der bedeutendsten »Alternativen« und Wahn-Unempfänglichen, den EEG-Erfinder Hans Berger, als seinen ersten Assistenten, Klinik-Vertreter und Nachfolger gehabt.

    Der »Leiter der Spezialstation für Kriegshysterie« in Aachen, R. Hirschfeld, benahm sich Patienten-solidarisch, worüber er in seinen Arbeiten immer wieder berichtete, bis schließlich der Rechts-Außen-Hardliner Edmund Forster sich bemüßigt fühlte, Hirschfeld wegen unmilitärischer Soldaten-Schonung abzukanzeln. (Hirschfeld 17 I, II, Forster 17 I)

    Sogar Kurt Singer war trotz seiner theoretischen Scharfmacherei, die er in Vorträgen und Aufsätzen immer wieder unter Beweis stellte, ein echter Arzt. Die Behandlung seiner »kriegsneurotischen« Patienten geschah in einer Vorsicht, die nichts mit den »Schuriegel«-Verfahren seiner Kollegen zu tun hatte, so dass ein neuer Begriff geprägt werden kann: Singer benahm sich als »Neuropraktiker«. Er zeigte ein behutsames Herangehen an die lädierten Nerven seiner Patienten, wie ein Chiropraktiker an die derangierten Muskeln, Sehnen und Knochen. (Singer 18 II, S. 281 ff.)

    »Gaskrieg« von der ersten Stunde

    Vor der Wiederaufnahme von Einzelnachweisen muss zur Verstiegenheit der »Kriegsneurotiker«-Erfindung abschließend etwas allgemein Waffentechnisches innerhalb der Prozedur des Ersten Weltkriegs ausgeführt werden.

    Es geht im Zusammenhang mit der von Hitler erlittenen Gasvergiftung seiner Mund- und Halsregion um die Wirkung von Gasen auf den männlichen Körper generell, was in den oben zitierten 50 alternativen Untersuchungen nicht immer ganz genau zum Ausdruck gebracht worden ist.

    Schon bevor es innerhalb der industriellen Materialschlachten mit dem eigentlichen Gaskrieg am 22. April 1915 so richtig losging, belasteten den Körper der Soldaten gleich von Anfang an giftige Stäube.

    Jede Explosion von Hartmetallwaffen setzten Gase frei, die noch nicht prinzipiell gezielt die ganze Schlachtfeldluft mit Giftgas-Wolken schwängerten, wie die Gasgranaten es dann taten. Doch die durch Metallgranaten- und Minenexplosionen – durch die Detonationen aller Industriewaffen – freigesetzten Dünste waren ebenfalls keine naturhaft-ätherisch willkommenen Einwirkungen auf den Körper, sondern auch schon »Giftgase« im weiteren Sinne.

    Der Erste Weltkrieg war von Anfang an ein »Gaskrieg«. Die Beschießung mit Hartmetall fand pausenlos statt. Man sprach in den Front-Berichten von »Feuerpausen«. Das heißt, die Regel war »Feuer«. Und dadurch war die Regel: Metallstaubentfesselung. Die Luft über den Schützengräben war immer leicht vergiftet. Je nach Windverhältnissen blieb diese gesamtvergiftete Luft kürzer oder länger im »Feld-Raum« schweben und begann mit ihrer schädlichen Wirkung auf den Körper. Vorläufer von »Atompilzen« hingen über den Schlachtfeldern mit Partikeln von Staub, die sich in die Körper über die Lunge und die Haut hineinschlichen. Der eine Soldat war dagegen weniger, der andere mehr gewappnet.

    Spricht die Bauwelt von »Staublunge« der Arbeiter, so muss sich vergegenwärtigt werden, dass den Soldaten durch die ständigen Explosionen permanent »stäublinks« zellulär zugesetzt wurde. Zuerst unmerklich, dann aber war irgendwann das Maß voll, das der Körper noch verkraften konnte, um sich gesund zu erhalten.

    Die Feuergranaten und Minen wirkten langzeitlich, die Giftgasgranaten mit einem Schlag. Und auch bei dieser sofort krankmachenden Wirkung, wie Hitlers Beschuss mit Chlorine-Phosgen-Gasen, weigerten sich die »Kriegsneurotiker«-Fantasten, die physikalischphysiologische causa der funktionellen Organstörungen, wie die sich im ganzen Körper äußernden Muskel-Derangierungen, zu akzeptieren.

    Die mikromedizinischen Forscher wie de Crinis und Tiling registrierten in ihren Laboren Blutdruck-, Drüsen-, Nebennieren- und Sympatikus-Anomalien, die schließlich krank machten und zu den Muskel-Ausfallerscheinungen führten, während die außer-Labor tätigen Neuropsychiater den lädierten Soldaten nichts Organisch-Deformierendes anmerken wollten.

    Der Hinweis auf den »Gaskrieg von der ersten Stunde an« soll nicht die Schädigung durch den Explosions-Druck in Abrede stellen oder diese Schädigung marginalisieren. Im Gegenteil: Die Luftdruck-Prellungen kamen als ad-hoc-Unfälle zu dem schleichenden Wirken von Dünsten und Stäuben noch hinzu. Die »Granatkontusion« oder besser »Luftkontusion«, wie es einer der 40, der deutsch-norwegische Frontforscher Wideröe, definierte, (a. a. O., S. 110) war jedoch nicht die einzige, außer Metall-Direkt-Einschlag wirkende Körper-Schädigung vor und neben der Gas-Invasion der »chemischen Kriegsführung«, die 1915 begann. Das war schon die Permanenz der Industrie-Waffengifte, die bei jedem Schuss und jeder Explosion freigesetzt wurden.

    Und letztlich müssen auch die Kontusionen zu den Gaseinwirkungen gezählt werden, denn es war Luft, die plötzlich durch die Explosionen beschleunigt und so an den Körper des Soldaten gedrückt wurde, dass sie in dessen Innerem wie ein Geschoss wirkte. Der Unterschied bestand nur im Eindringen oder unsichtbaren Aufprallen = Wirkung von außen oder durch den Druck von innen. Und diese Luft, die da – in wieviel Kilometer Geschwindigkeit ? – auf dem Körper aufprallte, war ebenfalls keine neutrale Atmungs-»aktive«, sondern eine chemisch verunreinigte, die nun ihre massiv-invasive Wirkung durch die Explosionsbeschleunigung entfachte.

    Die 40 alternativen »Laboristen« präsentierten der Kriegsführung Rechnungen, ohne spezielle »Eindrangs«-Ursachen benennen zu können. Und doch: An die Permanenz der Kriegsschuss-entfesselten Giftgas-Respiration als Ursache von Körper-Dysfunktion und -Irregulation, an den Zusammenbruch der natürlichen Nerven-Muskel-Koordination, an die krankmachende Wirkung auf die feinen Bestandteile wie das Blut, die Zellen, Drüsen und Gehirngewebestrukturen, hat die »Kriegsneurotiker«-Szene überhaupt nicht gedacht.

    Und auch nicht an das, was hier nur zum Schluss der Argumentation angedeutet werden kann: Der höllische Dauerlärm, dem alle »Schützengräbler« ausgeliefert waren! In der medizinhistorischen Studie zum Aufrollen des Wissenschaftsirrtums »Kriegsneurose« muss auch diese Permanenztortur berücksichtigt werden. Die Detonationen und Explosionen taten dem allerfeinsten Gleichgewichtsorgan, das im Ohr liegt, Gewalt an, die für das Aus-dem-Gleichgewicht-Geraten der meisten Gang-»Zitterer« eine Rolle gespielt haben wird (all das hier nur »am Rande«, weil Hitler kein »Zitterer« im engeren Sinne, sondern ein Stimmband-Geschädigter war).

    Summe: Keiner der »Hysterie«-(aber)gläubigen Neuropsychiater war unter solch einer Dauerlärm-belästigenden, intoxinierenden Gasglocke »im Felde«. Und niemand von ihnen hat den »Fun« erlebt, was mit dem Körper bei Verschüttungen und Durch-die-Luft-Gewirbelt-Werden nach Granat-Explosionen alles an Wirbel-Sehnen-Muskel-»Abenteuern« geschehen konnte, von denen jeder zweite »Zitterer« berichtete. Das militärpsychiatrische Auftrumpfen der Forster und Co. in ihren kriegs-ärztlichen Firmierungen, sie befänden sich »im Felde«, hieß nie »im Schützengraben«. So konnte sich kein »Kriegsneurotiker«-Abwickler vorstellen, unter was für einer Dauerbelastung jeder Soldat im direkten Kampfgebiete stand, die irgendwann zu den Symptomen führte, die unsachgemäß fehldiagnostisch »psychisiert« wurden. Und Fortbildungskurse über die Physik der sich selbständig machenden Detonations- und Explosionslüfte hatte auch niemand belegt.

    Ende der »Durchsage« zum Thema »Kriegsneurotisierung = Materialschlacht-Verharmlosung«!

    Der »Frühlingsgipfel« – Pollen machen »geisteskrank«

    Ein Jahr nach Kriegsende hält einer der schärfsten Hardliner gegen die »Kriegsneurotiker«, der Heidelberger Ordinarius Karl Wilmanns, am 14. Oktober 1919 im Naturhistorisch-medizinischen Verein zu Heidelberg seinen Vortrag: Über den Frühlingsgipfel der geistigen Erkrankungen.

    Wilmanns hatte sich drei Jahre zuvor hinreißen lassen, der Obersten Heeresleitung zum Munde zu reden, die Symptome der »Kriegsneurotiker« seien »Abwehrreaktionen gegen die militärische Verwendung«. (Wilmanns 17, drittes Buch, 4. Bewegung, BEWEISFÜHRUNG EINS, 5.)

    Jetzt, ein Jahr nach Ende des Ersten Weltkriegs, gibt Wilmanns zu, dass im Frühsommer die »innere Sekretion« vieler Menschen gestört werde. Wodurch? Durch die Pollutionen natürlicher Art. Die Blütenstäube schütten sich in die Lüfte, was einige Menschen »verrückt« macht. Die Natur »gibt Gas«. Das tut sie regelmäßig zwischen Mai und Juli. Und es geschieht »eine Häufung der Aufnahmen in die Irrenanstalt.« Untrügerischer Beleg dafür seien die »statistischen Untersuchungen an der hiesigen [Heidelberger] psychiatrischen Klinik«: »Angenommen, dass diese Krankheiten auf Störung der ›inneren Sekretion‹ beruhen, so liegt in der Steigerung der ›inneren Sekretion‹ im Frühjahr der Grund des gesteigerten Ausbruches dieser Psychosen.« (Wilmanns 19)

    Wilmanns Vorredner auf diesem Heidelberger Ärzte-Treffen über den Frühlingsgipfel bestätigte das Gesagte: »… liegt es nahe, anzunehmen, dass die innersekretorischen Vorgänge im Körper überhaupt wesentlich durch das Klima beeinflusst werden. ›Der Frühling ist die Zeit der inneren Sekretion‹.« (Norro)

    Jetzt, da die Neuropsychiater nicht mehr unter dem Druck der Armeeführung stehen, können sie die Wahrheit zulassen: Gase, fliegende chemische Substanzen, in der Luft schwirrende Industrie-Stoffe und sogar Natur-Bestandteile wie Blütenkelch-Samen, die von Wind und Insekten herumgewirbelt werden, »stören« »die innere Sekretion«, was »geistige Erkrankungen« zur Folge hat.

    Ja, aus dem offiziellen Protokoll zum Heidelberger Ärztetreffen über den »Frühlingsgipfel« geht hervor, dass es sogar eine interdisziplinäre Kooperation gab: Der Hautarzt Bettmann, der Internist Freund, der Kinderarzt Freudenberg und der Neuropsychiater Hellpach bestätigten einhellig den Zusammenhang zwischen Klima und Drüsentätigkeit, zwischen Pollutionen und abnormen körperlich-seelischen Reaktionen. (Hoffmann, V.)

    Der korrumpierbare Wilmanns ist zu feige, ein »Pardon!« zu bekennen: Wenn Blütenstäube auf die »innere Sekretion« einen »störenden«, »geistig krank« machenden Einfluss haben, dann hatten das die gezündeten Waffengase an der Front ebenfalls.

    Etwas ähnlich Infames wie in Heidelberg spielte sich bei dem Berliner Hardliner und Wilmanns-Kollegen Karl Bonhoeffer ab. Mitten im Krieg ließ er seine Assistenten über die psychisch negativen Folgen von Gasen forschen: Eingeatmetes Kohlenoxyd machte Industriearbeiter »verrückt« und zu Bonhoeffers Patienten in seiner psychiatrischen und Nervenklinik der Charité. Bonhoeffers Lieblingsassistent, Hans Seelert, den er 1915 von der Front nach Berlin zurückgerufen hatte, publizierte zweimal über die gemeinsamen Forschungen mit seinem Chef – zuerst 1918 über die psychischen Störungen nach Leuchtgasvergiftung (Seelert 18) und im Juli 1919 ein halbes Jahr vor Wilmanns über die psychischen Erkrankungen nach Einatmen von Industriegasen. (Seelert 19) Wenn Seelerts Texte 1918/19 publiziert wurden, dann stammen seine Untersuchungen spätestens aus den Jahren 1917/18, liefen also mitten im tobenden Gaskrieg.

    Der diplomatische Bonhoeffer hielt sich mit seiner eigenen Arbeit zu dem Thema Über die neurologischen und psychischen Folgeerscheinungen der Schwefelkohlenstoffvergiftung ein Jahrzehnt lang zurück. Denn trafen die Ergebnisse seiner Forschungen doch direkt ins Auge seines Armee-hörigen Geredes und Geschreibes zwischen 1914 und 1918 über die »psychogenen« Ursachen der »Kriegsneurotiker«-Symptome. Aber 1930 hatten Öffentlichkeit und medizinische Szene Bonhoeffers wendehalsiges Verhalten längst vergessen. (Bonhoeffer 30)

    Keiner der beiden führenden Neuropsychiater Bonhoeffer und Wilmanns war »Manns genug«, wenigstens postwar eine Selbstkritik zu üben: Wenn Blütenstaub, Leuchtgas und Kohlenoxyd »geistig krank machen«, dann doch auch alle, durch Waffenzündung entfesselten Gase und erst recht die losgeschickten Gasgranaten. Doch Selbstkritik ist bei den bündisch orientierten Wissenschaftlern meist Fehlanzeige.

    Gerade Bonhoeffer hätte eine Korrektur seiner Ansicht publik machen müssen. Denn er hatte noch 1917 gegen seinen österreichischen Kollegen Sarbó und dessen Arbeit über Granatfernwirkung polemisiert, er bliebe bei seiner »erprobten« Auffassung der »psychogenen« Verursachung der »Kriegshysterie«. (Sarbó 16, 17, Bonhoeffer 17 III)

    Kein Wunder, dass aus Bonhoeffers »Factory« der schärfste Hardliner in Sachen »Kriegsneurotiker«, Edmund Forster, entsprang, dem in Missverständnis der negativen Gaswirkungen auf den männlichen Körper der Supergau, nämlich die Zündung des schwersten Verbrechers der Menschheitsgeschichte, passierte.

    II. DAS »ZITTERER«- UND »STOTTERER«-SYSTEM DER »KRIEGSNEUROTISCHEN« »IRRENÄRZTE«

    Mit Hitlers – im dritten Buch bewiesenem – Symptom-Wechsel von »blind« zu »stumm« wechselte er nicht nur von einem medizinischen Fachgebiet in ein anderes. Mit seiner realen zweiten Kriegsverletzung »stumm« geriet er in das Fahrwasser eines der größten und folgenschwersten Wissenschaftsirrtümer der Männerbundgeschichte. Er fiel Hänsel-Hexen-gleich in das Auffangbecken von beabsichtigter Folter und damit einer Art Ich-Verzehr. Er sollte – anstatt muskulär kuriert – psychisch »gefressen« werden, wie es zehntausendfach in den »Kur«-Anstalten der Soldaten-Reparier-Stätten, genannt »Neurotiker-Lazarette«, geschah.

    Wegen dieser »Märchen-haften« Wende in Hitlers Krankengeschichte seiner zweiten Kriegsverwundung purzeln im dritten Buch allerhand »Ach so!«s in die Bemühung um die Restaurierung seiner Krankenakte (3. und 4. Bewegung).

    Als »Blinder« oder zumindest Augenerkrankter konnte er schadlos bis heute im Soma-Pool der Medizingeschichte planschen. Die Hitler-Biografik schmetterte jeden Versuch von Hitlers »Hysterisierung« faktengestützt ab. Denn unter den »Kriegsneurotikern«, die in militärpsychiatrische Hände kamen, nahmen Augen-Geschädigte nur 0,1 bis 0,5 Prozent ein. Alle Statistiken bestätigen es. Augenverletzung war keine »kriegsneurotische« Kategorie, obwohl es – an Fingern abzuzählen – einige Ausnahmen gab. (Raether, Wollenberg) Kriegsbedingte Augenverwundung hieß: Entweder realphysisch »Auge raus!« oder »gasologischer Nebbich« wie die Hitler-biografisch beliebte Augenlidschwellung/Bindehautentzündung, die mit »Kriegsneurose« nichts zu tun hatte.

    Keine Gefahr hätte mit diesem Symptom für Hitler bestanden, als ein komplizierter Fall zu gelten und in zwei Krankensammelstellen zu landen (drittes Buch, 3. Bewegung, BEWEISFÜHRUNG EINS). Das alles genau wissend, hatte Hitler ja bereits 1919 mit der Fälschung des Symptoms seiner Gasvergiftung begonnen und sich in die Weltgeschichte als »blinder Krüppel« (Hoegner) eingetragen (drittes Buch, 3. Bewegung, BEWEISFÜHRUNG ZWEI ff., 4. Bewegung).

    Bei seiner Symptom-Realität »stumm« ist alles ganz anders. Sie rangiert an der zweiten Stelle der »Kriegsneurotiker«-Statistiken. Jetzt hat Hitler mit seiner realen Krankengeschichte wirklich »ein Problem«. Die erste Stelle, die »Zitterer«, nahmen 60 bis 90 Prozent ein, die zweite Stelle, die »Stotterer«, 10 bis 40 Prozent. Der Unterschied zu den 0,1 bis 0,5 Prozent »kriegsneurotischer Augen« konnte nicht extremer sein. Daher muss eine Passage erneuten wissenschaftlichen »Steineklopfens« folgen, um klarzumachen, dass »Stotterer« wirklich an zweiter Stelle der »Kriegsneurotiker« standen, was heute in Vergessenheit geraten ist. Der Nachweis, dass Hitler tatsächlich als »hysterisch« diagnostiziert, als ein Fall von »Kriegsneurose« medizinisch »veranschlagt« worden war, ist bereits im dritten Buch erbracht worden (BEWEISFÜHRUNG EINS, ZWEI, VIER). Aber auch die Weltkrieg-I-Statistiken, die die »Zitterer« an erster und die »Stotterer« an zweiter Stelle präsentieren, müssen »auf Heller und Pfennig« genau aus dem Schrifttum »eingefahren« oder rekonstruiert werden, weil sonst der Mechanismus nicht sichtbar wird, der den im Kehlkopf verwundeten Hitler »geschnappt« hat und mit dem seine Stimmband-Lähmung in die Kategorie »Kriegsneurose« eingschient wurde.

    Hitlers »Stummheit« war kein nebensächlicher Einzelfall, wie es seine Augenlidschwellung und Bindehautentzündung gewesen wären, keine persönlich-zufällige Kriegsverwundung. Hitlers »Stummheit« repräsentierte vor allem gegen Kriegsende ein sich perpetuierendes, erwartbares Massenphänomen unter Soldaten, über das sich die im »Kriegsneurotiker«-Wahn Befangenen seit fast vier Jahren in wissenschaftlichen Abhandlungen ergingen und gegen das jeder einzelne »kriegsneurotisch« Wahn-sinnig gewordene Nervenarzt »frei nach Schnauze« »therapeutisch« vorging.

    Mit »stumm« war Hitler in ein militärpsychiatrisches System geraten. Dieses System hieß »Fegefeuer der Willkür«. Es war Teil seiner später vernichteten Krankenakte geworden, in der sich Oktober/November 1918 die vier militärmedizinischen Untersuchungsstätten zu Hitlers »Stummheit« geäußert hatten.

    Was im dritten Buch, 3. Bewegung, BEWEISFÜHRUNG EINS abstrakt hergeleitet wurde, kann nun am Fall von Hitlers »Stummheit« konkretisiert werden.

    Der Jenaer Neuropsychiater Hans Berger hat über die Praxis einer Krankensammelstelle berichtet: Die Soldaten durften nicht länger als zwei bis drei Tage in den Diagnosezentren verbleiben. Innerhalb von zwei bis drei Tagen musste die Diagnose über einen unklaren Fall »stehen«, der dann in die ausgewählte Behandlungsstätte überwiesen wurde (drittes Buch, a. a. O.).

    Bei Hitlers »Stummheit« hatte nicht einmal nur eine Krankensammelstelle genügt. Die Ärzte in der Krankensammelstelle Oudenaarde waren nicht zu einer schlüssigen Diagnose gelangt, leiteten Hitlers Fall weiter zum nächst übergeordneten Zentrum, zur Krankensammelstelle Gent, die in der Hauptstadt des Westfrontgebietes lag.

    Vom 15. bis zum 16. 10. befand sich Hitler im Bayerischen Feldlazarett 53 Oudenaarde, vom 16. bis zum 18. 10. in der Krankensammelstelle Oudenaarde, vom 18. bis zum 21. 10. in der Krankensammelstelle Gent (drittes Buch, a. a. O.).

    Die Krankensammelstelle Gent schanzte Hitler ihrem ehemaligen Chef zu, dem Genter »Mr. Neuro« Edmund Forster, den es kriegsbedingt überraschend nach Pasewalk verschlagen hatte. Die Genter Kollegen wussten, dass ihr früherer Chef an einer Studie mit »statistischen Erhebungen«über »Kriegsneurotiker« arbeitete, wie er es in seiner Schmähschrift über gasvergiftete Soldaten Hysterische Reaktion und Simulation im November 1917 kundgetan hatte. (Forster 17 III, S. 319)

    Solche Fälle wie den von Hitlers unorganisch erscheinender »Stummheit« brauchten alle Klinik- oder Stationsleiter, die sich mit dem unerschöpflichen Thema »Kriegsneurosen« profilieren wollten. Noch im Jahre 1925 warteten die Fachzeitschriften mit dem Stichwort »Kriegsneurosen« auf, (Zentralblatt für Neurologie und Psychiatrie, 41. Bd. 1925, S. 119 ff., 508 ff.) als ob die Militärpsychiatrie-Veteranen so vernarrt in dieses Thema waren, dass sie von ihm nicht lassen konnten! Der schlimmere Grund dieses Am-Thema-Bleibens: Nach dem Krieg erwies sich nun auch gesamtgesellschaftlich, dass das Syndrom »Kriegsneurose« mit der Änderung der psychischen Situation im Frieden für die Betroffenen nicht verschwand. Der eingetretene Nachkrieg entblößte in vielen Fällen die physiologische Causa »kriegsneurotischer« Symptome – bereits im dritten Buch ausführlich in Anbetracht der Berichte der Spezialisten Paul Lerner, Peter Riedesser und Axel Verderber behandelt. Echte Heilung = Glückssache.

    12 Statistiken über »Zitterer« und »Stotterer«

    Die Belege für das damals wirklich bestehende, von militärpsychiatrischer Seite her kategorisierte Wahnsystem der »Zitterer« und »Stotterer«, der Gesamtkörper-Bewegungs- und Stimmband-Muskel-Gestörten, können aus allen deutschen Regionen herangezogen werden. Es existieren mehrere »Kriegsneurotiker«-Überblicke, verfasst von ehemaligen Lazarett-Leitern – drei sogar ein ganzes deutsches Teilland betreffend, einen aus Bayern, einen aus Preußen und einen aus Baden. Hinzugezählt werden müssen Berichte von noch amtierenden oder ehemaligen Neuro-Psy-Direktoren über deren Stationen oder Kliniken, zuzüglich Erfahrungen niedergelassener oder in Kliniken und Lazaretten tätiger Neuropsychiater:

    Erstens. Ein Jahr Kriegsneurotikerbehandlung im I. bayerischen Armeekorps

    Es handelt sich um Karl Weilers groß angelegte Studie. Er war Landsturmarzt und fachärztlicher Beirat im I. bayerischen Armeekorps.

    Weilers besondere Bedeutung bestand in seiner Doppelfunktion. Einerseits hatte er im Vereinslazarett München Nussbaumstraße 7 eine psychiatrische Klinik eingerichtet, in der er fast 200 »Neurotiker« behandelte. Andererseits war er Koordinator und Supervisor von Lazaretten im I. bayerischen Armeekorps. (Weiler, S. 401) Prädestinierter für die Anlegung einer Statistik konnte damals kein Neuropsychiater sein. Zweimal wartete Weiler mit »Zahlen« auf. Das eine Mal nahmen »Zitterer« über 50 Prozent ein, »Stumme« bis zu 30 Prozent. »Blinde« jedoch nur 0, 5 Prozent, von 188 Patienten ein einziger Fall! (a. a. O., S. 402)

    Wenn in Zukunft die medizinische Einzelfall-Problematik »Kriegsneurotiker« berührt wird, muss nicht jedes Mal differenziert werden, dass »Zitterer« eine Vielheit von Bewegungsstörungen aller Gliedmaßen umfasste, von unbeherrschbarem Zittern über Nichtstehenkönnen, Umfallen, Schüttelanfällen, Nichtgehenkönnen bis zu Lähmungen, Erschlaffungen oder sonstigen Fehlverhaltensweisen von sämtlichen Gliedern, wie Fingerkrümmen und -versteifen.

    Bei den »Stotterern« handelte es sich ebenfalls um nichts Einheitliches. Man unterschied hier drei verschiedene Aberationen – die »Aphonie« = nur flüstern können, das Stottern und das völlige Versagen der Sprachbildung in der wirklichen Stummheit (»Mutismus«). (Steinberg, S. 1194)

    Aus den neun hinterlassenen Selbstzeugnissen Hitlers in seiner ersten Autobiografie ist zu entnehmen: Er gehörte der dritten Gruppe an: Zweimal kommt das Wort »stumm« vor und siebenmal wird jemand beschrieben, der gar nicht sprechen kann. Für einen Flüsternden hätte es heißen müssen, dass die Schwester ihr Ohr dicht an den Mund des Patienten gelegt hat, um ihn zu verstehen. Für einen Stotterer, dass die

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