Verena – eine ungeliebte Waise: Der Arzt vom Tegernsee 26 – Arztroman
Von Laura Martens
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Über dieses E-Book
Seine Praxis befindet sich in Deutschlands beliebtestem Reiseland, in Bayern, wo die Herzen der Menschen für die Heimat schlagen.
Der ideale Schauplatz für eine besondere, heimatliches Lokalkolorit vermittelnde Arztromanserie, die ebenso plastisch wie einfühlsam von der beliebten Schriftstellerin Laura Martens erzählt wird.
Verena Müller öffnete das Küchenfenster und starrte in den großen Garten der Villa, die etwas außerhalb Tegernsees am Abhang des Leebergs liegt. Sie fühlte einen nagenden Schmerz in sich, der sie völlig ausfüllte und ihren Körper innerlich vibrieren ließ. Die abendlichen Lichter Tegernsees vertieften diesen Schmerz noch, trotzdem brachte sie es nicht über sich, das Fenster zu schließen und endlich mit dem Abwasch zu beginnen. Sie wollte aus dem Haus laufen, durch den Garten, hinunter in die Stadt. Wie wundervoll mußte es sein, um diese Zeit am Wasser entlangzugehen, den Wind auf der Haut zu spüren und die Menschen zu beobachten, die glücklich und unbeschwert all jenen Beschäftigungen nachgingen, die ihre Tante als schamlos, verworfen und lasterhaft bezeichnete. »Sei froh, daß du nichts mit ihnen zu tun hast«, sagte ihre Tante ständig. »Von denen kannst du nichts Gutes lernen. Gott sei Dank habe ich immer ein Auge auf dich gehabt und verhindert, daß du mit ihnen zusammenkommst. Mädchen wie du brauchen eine starke Hand, um sie davon abzuhalten, geradewegs in ihr Verderben zu laufen.« Verena holte tief Luft, schloß die Fenster und wandte sich dem Spülbecken zu. Sie griff gerade nach einem der schmutzigen Teller, als sich lautlos die Küchentür öffnete. »Weshalb bist du noch nicht fertig?« fragte hinter ihr Edith Häußermann. Die junge Frau ließ vor Schreck den Teller auf die Ablage des Spülbeckens fallen. Mit einem häßlichen Geräusch schlug er auf und zerbrach in drei Teile. Entsetzt griff sie sich an den Mund. »Du dummes Ding, du!« stieß ihre Tante erregt hervor. »Nicht einmal abwaschen kann man dich lassen, ohne, daß du etwas zerbrichst.
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Buchvorschau
Verena – eine ungeliebte Waise - Laura Martens
Der Arzt vom Tegernsee
– 26 –
Verena – eine ungeliebte Waise
Laura Martens
Verena Müller öffnete das Küchenfenster und starrte in den großen Garten der Villa, die etwas außerhalb Tegernsees am Abhang des Leebergs liegt. Sie fühlte einen nagenden Schmerz in sich, der sie völlig ausfüllte und ihren Körper innerlich vibrieren ließ. Die abendlichen Lichter Tegernsees vertieften diesen Schmerz noch, trotzdem brachte sie es nicht über sich, das Fenster zu schließen und endlich mit dem Abwasch zu beginnen. Sie wollte aus dem Haus laufen, durch den Garten, hinunter in die Stadt. Wie wundervoll mußte es sein, um diese Zeit am Wasser entlangzugehen, den Wind auf der Haut zu spüren und die Menschen zu beobachten, die glücklich und unbeschwert all jenen Beschäftigungen nachgingen, die ihre Tante als schamlos, verworfen und lasterhaft bezeichnete.
»Sei froh, daß du nichts mit ihnen zu tun hast«, sagte ihre Tante ständig. »Von denen kannst du nichts Gutes lernen. Gott sei Dank habe ich immer ein Auge auf dich gehabt und verhindert, daß du mit ihnen zusammenkommst. Mädchen wie du brauchen eine starke Hand, um sie davon abzuhalten, geradewegs in ihr Verderben zu laufen.«
Verena holte tief Luft, schloß die Fenster und wandte sich dem Spülbecken zu. Sie griff gerade nach einem der schmutzigen Teller, als sich lautlos die Küchentür öffnete.
»Weshalb bist du noch nicht fertig?« fragte hinter ihr Edith Häußermann.
Die junge Frau ließ vor Schreck den Teller auf die Ablage des Spülbeckens fallen. Mit einem häßlichen Geräusch schlug er auf und zerbrach in drei Teile. Entsetzt griff sie sich an den Mund.
»Du dummes Ding, du!« stieß ihre Tante erregt hervor. »Nicht einmal abwaschen kann man dich lassen, ohne, daß du etwas zerbrichst. Deine Eltern haben mir ein schönes Kuckucksei ins Nest gelegt. Ich hätte zulassen sollen, daß man dich nach ihrem Tod ins Waisenhaus steckt, statt dir ein schönes Zuhause zu geben.« Sie stemmte die Hände in die Seiten. »Dreh mir nicht den Rücken zu, wenn ich mit dir spreche.«
Verena wandte sich langsam um. »Es tut mir leid, Tante Edith«, flüsterte sie, ohne aufzublicken.
»Es tut mir leid… Es tut mir leid…« Edith Häußermann schüttelte den Kopf. »Und wie du wieder aussiehst? – Wie ein gerupftes Huhn. Kein Wunder, daß man mir geraten hat, dich möglichst im Haus zu lassen. Du bist wirklich kein schöner Anblick für andere Menschen, Verena.« Sie wies auf den kaputten Teller. »Los, wirf die Scherben in den Abfalleimer und bring ihn gleich nach draußen. Und dann erledige deine Arbeit. Die Küche sollte längst fertig sein.«
Verena beeilte sich, die Scherben einzusammeln. Ihre Hände zitterten, als sie den Abfalleimer öffnete. Sie war sich keiner Schuld bewußt, dennoch wagte sie nicht zu widersprechen. Ihre Tante würde ihr tagelang fast ununterbrochen Vorwürfe machen und ihr womöglich, wie erst vor wenigen Wochen, ihre Bücher fortnehmen, um sie damit zu strafen. Aber die Bücher waren doch das einzige, was ein Mädchen wie sie hatte, um der Wirklichkeit zu entfliehen und für kurze Zeit zu vergessen, wie wenig erfreulich sein eigener Anblick für andere Menschen war.
»Und wenn du fertig bist, gehst du auf dein Zimmer. Ich habe keine Lust, mich heute noch länger mit dir zu beschäftigen. Ohnehin fühle ich mich nicht besonders wohl.« Frau Häußermann griff sich ans Herz. Seit Stunden kam es ihr vor, als würde sich ein enger Reifen um ihre Brust immer enger und enger zusammenziehen. Sie kannte diese Anzeichen nur zu gut, deshalb hatte sie auch bereits ihr Nitro-Spray benutzt. Geholfen hatte es bisher allerdings nicht.
»Dein Herz?« fragte Verena leise.
»Ja, mein Herz!« stieß ihre Tante fast bellend hervor. »Und warum habe ich ständig Herzbeschwerden? – Ich kann es dir sagen, meine Liebe. Weil ich mich vierundzwanzig Stunden am Tag um dich sorgen muß. Wie froh wäre ich schon, wenn du mir wenigstens ein einziges Mal beweisen würdest, daß ich mich auf dich verlassen kann.« Sie drehte sich um und verließ die Küche. Schallend flog die Tür hinter ihr ins Schloß.
Verena hob den Kopf. Sie verfluchte sich selbst, weil sie so ungeschickt gewesen war, den Teller fallenzulassen. Vermutlich hatte ihre Tante sogar recht, wenn sie meinte, sich nicht auf sie verlassen zu können. Alles, was sie in die Hand nahm, ging schief. Nicht einmal das Haus konnte sie zur Zufriedenheit ihrer Tante putzen.
Nachdem die junge Frau abgewaschen und die Küche in Ordnung gebracht hatte, klopfte sie an die Wohnzimmertür, öffnete sie einen Spalt und wünschte ihrer Tante eine gute Nacht.
»Schlaf gut«, kam es von Edith Häußermann. »Und denk darüber nach, wie du mir das Leben erleichtern könntest.«
Verena huschte die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, ging sie zu dem kleinen Radio, das am Fenster stand, schaltete es ein und suchte so lange, bis sie einen Sender gefunden hatte, der Musik brachte. Sie liebte Musik über alles. Stundenlang konnte sie mit geschlossenen Augen auf dem Bett liegen und sich ihr völlig hingeben. Musik gehörte zu den wenigen Dingen, gegen die ihre Tante nichts einzuwenden hatte.
Es war mitten in der Nacht, als Verena plötzlich erwachte. Irgend etwas stimmte nicht, das fühlte sie. Ohne das Licht einzuschalten, richtete sie sich auf.
»Verena!«
Ihre Tante!
Verena schlug die Beine über den Bettrand und eilte barfuß zum Zimmer ihrer Tante, das auf der anderen Seite der Treppe lag. Ohne anzuklopfen trat sie ein. Erschrocken blieb sie stehen, als sie im Licht der Nachttischlampe das schmerzverzerrte, schweißüberströmte Gesicht ihrer Tante sah.
»Gaff nicht, als könntest du nicht bis drei zählen«, stieß Edith Häußermann mühsam zwischen den Zähnen hervor. »Ruf Doktor Weißhaupt an. Er soll sofort kommen. Sag ihm, daß ich einen schweren Angina-pectoris-Anfall habe.«
»Kann ich sonst noch was für dich tun?« fragte Verena. »Dein Spray liegt auf dem Boden.« Sie bückte sich.
»Habe ich bereits benutzt.« Ihre Tante griff nach dem Spray. »Beeil dich. Diese Schmerzen…,< ich…« Sie preßte eine Hand auf den Brustansatz.
Die junge Frau stellte keine weiteren Fragen. Sie rannte ins Erdgeschoß hinunter und wählte die Nummer von Dr. Weißhaupt, dem Arzt, bei dem ihre Tante und sie schon seit Jahren in Behandlung waren. Nur eine Tonbandstimme meldete sich. Dr. Weißhaupt befand sich in Urlaub. Seine Vertretung hatte Dr. Eric Baumann übernommen.
Verena legte auf und wählte erneut. Bereits nach dem dritten Klingelton nahm Dr. Baumann ab. »Meine Tante hat wieder einen ganz schweren Angina-pectoris-Anfall«, sagte sie atemlos. »Unser Hausarzt ist Doktor Weißhaupt.«
»Ich komme sofort«, versprach Eric. »Wo wohnen Sie?«
Die junge Frau nannte ihm die Adresse. »Ich werde das Gartenlicht einschalten«, versprach sie. »Bitte, beeilen Sie sich.«
»Ich bin schon unterwegs«, antwortete er und legte auf.
Verena behielt noch einen Augenblick den Hörer in der Hand. Die Stimme des Arztes hatte nett geklungen, nicht so brummig wie die von Dr. Weißhaupt, den sie seit ihrer Kindheit fürchtete. Sie hatte kaum gewagt, etwas zu ihm zu sagen, selbst, wenn er sich, was selten genug vorkam, direkt an sie wandte. Gewöhnlich sprach er über ihren Kopf hinweg mit ihrer Tante, so, als wäre sie überhaupt nicht vorhanden.
Die junge Frau kehrte ins Schlafzimmer zurück. Edith