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Der Anhalter: Die Zeit
Der Anhalter: Die Zeit
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eBook842 Seiten12 Stunden

Der Anhalter: Die Zeit

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Über dieses E-Book

Der Anhalter "Die Zeit" ist der 2. Teil der spannenden Geschichte um Annie und David. Das Leben liefert immer wieder neue Herausforderungen, die teilweise schwer zu bewältigen sind.

20 Jahre sind seit der Begegnung von David & Annie vergangen.
Eines Tages findet Annie auf dem Dachboden der Villa Tagebücher aus einer längst vergangenen Zeit, und wird mit der
Geschichte, die ihr der Antiquitätenhändler damals über die Elefanten erzählt hat, konfrontiert. Damit gerät nicht nur ihr
Leben aus den Fugen.

Elementare Fragen beschäftigen die Mitglieder des Gesprächskreises, den David gegründet hat ...
Wie weit ist die Menschheit gekommen?
Wird es möglich sein, begangene Fehler zu korrigieren?
Was würde passieren, wenn jetzt jemand wie Jesus in
Erscheinung treten würde?
Und wie ist die Reaktion der Mitglieder des Kreises, als sie erfahren, wer oder was David ist?
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum16. Apr. 2019
ISBN9783749489282
Der Anhalter: Die Zeit
Autor

Elfy Graham

Diese Kurzgeschichte habe ich vor ungefähr 30 Jahren geschrieben, und ist eine von mehreren. Es war ein "Wettbewerb" aus Spass zwischen meinem Sohn und mir gewesen. Wir haben beide gewonnen - und das war die Freude am Schreiben gewesen.

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    Buchvorschau

    Der Anhalter - Elfy Graham

    Danksagung

    Zu allererst möchte ich mich wieder

    bei meinem Mann bedanken.

    Dieses Mal musste er seine Geduld erheblich ausbauen,

    denn ich brauchte ihn für einige Recherchen,

    aber vor allem musste er regelmäßig den Text mit mir durchgehen,

    den ich von einem Leseprogramm auf meinem Laptop vorlesen ließ.

    Inzwischen ist er so mit der Geschichte vertraut,

    dass er mir gute Verbesserungsvorschläge geben konnte,

    wenn ich mich an einigen Stellen nicht verständlich

    ausgedrückt hatte.

    Ein weiteres Dankeschön gilt Ute,

    als erstes für ihren Leserbrief, der mich … umgehauen hat.

    Dann dafür, dass sie sich bereit erklärte – das Manuskript Band II –

    zu lesen und mir in meinem 'Krieg mit dem Komma' zu helfen,

    und dabei noch so einige Rechtschreibfehler entdeckt hat.

    Beiden würde ich dafür auf Knien danken, wenn ich nicht

    'Rücken' und dadurch Sorge hätte, dass ich nicht wieder hochkomme –

    was ich nicht 'riskieren' kann, da ja noch Band III folgt.

    Danke auch an Gaby und Insa

    für ihre Leserbriefe, die nicht weniger umwerfend waren.

    INHALT

    Vorwort

    Prolog

    Kapitel 1

    2

    3

    4

    5

    6

    7

    8

    Epilog

    Nachwort

    Quellennachweis

    Vorwort

    Am Ende des I. Bandes von »Der Anhalter« hatte ich naiverweise darauf hingewiesen, dass die Fortsetzung mit Band II 2018 erscheinen wird. Ich möchte mich bei all den Lesern, die darauf gewartet haben, entschuldigen, dass ich das nicht geschafft habe. Es lag nicht daran, dass ich weniger fleißig gearbeitet habe … doch wie beim I.Band entwickelte sich die Geschichte von alleine weiter. Ich hatte mein Konzept, das daraus bestand – all das zu schreiben, was in Band I nicht hineingepasst hat. Doch während des Schreibens kam es wieder anders als gedacht.

    Band II beginnt 20 Jahre später, im Jahr 2011,

    und ist in der Ich-Form geschrieben. Der Zeitsprung war notwendig, um die Ereignisse und Probleme aufgreifen zu können, die 'Legur' für die Erde hatte kommen sehen. Diese Abwärtsspirale ist inzwischen längst im Gange, wird jedoch von vielen als Vorwärtsbewegung gesehen … es kommt eben immer auf den Standpunkt an.

    Mit diesem Zeitsprung fehlten 20 Jahre im Leben von David und Annie, die ich weder unter den Tisch fallen lassen noch ausführlich beschreiben wollte. Die Lösung ergab sich dadurch, dass Annie ein Buch über ihr Leben mit David schreibt, in dem einige der fehlenden Punkte aus dieser Zeit aufgegriffen werden. Das passte, denn zufällig erwähnte ich in Band I, dass sie das eines Tages tun wird – allerdings ohne den Gedanken, das tatsächlich aufgreifen zu wollen.

    Um die verschiedenen Sichtweisen auf bestimmte reale Begebenheiten – ob aktuell oder aus der Vergangenheit – darzustellen, und noch interessant zu halten, lasse ich David Gesprächsrunden abhalten. Das passte wieder, denn zufällig gab es dieses Nachbarhaus noch, das David zwangsläufig gekauft hatte, ohne zu wissen, was er damit anfangen wird. Es war einfach da … als ob es auf seine Nutzung warten würde.

    Real ist in diesen Jahren so viel passiert, dass es nicht mehr 5 Minuten sondern 2 Minuten vor 12 ist. Solche Personen wie Trump, Erdogan, oder Kim Jong Un, um nur die auffälligsten zu nennen, stehen merkwürdigerweise alle zur gleichen Zeit auf der Bühne. Es sind Psychopathen, Psychopathen sind krank, ihre Krankheit ist ansteckend … ohne von einer Mehrzahl Menschen gewählt zu werden, hätten sie nicht auf diese Bühne gelangen können.

    Es gab auch Stellen, wo ich eine Pause brauchte, weil ich an die Grenze meiner Belastbarkeit gekommen war – Zustände bei der Massentierhaltung, Schlachthöfe, Hähnchen schreddern. Versuchen Sie, sich das was ich darüber geschrieben habe, bildlich vorstellen … lassen Sie der Empathie die Chance sich zu entwickeln. Empathie ist die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in andere einzufühlen. Es geht nicht darum Vegetarier zu werden, das bin ich auch nicht. Doch eine Reduzierung des gedankenlosen Fleischkonsums führt zu einer Reduzierung des Leidens.

    Die Geschichte verselbstständigte sich beim Schreiben – wieder.

    Ich hatte nicht damit gerechnet, dass aus einer Person mit einer kleinen Nebenrolle jemand mit einer größeren wird, und nicht damit, dass sich dadurch ein Nebenschauplatz ergab … obwohl der eigentlich schon in Band I versteckt vorhanden gewesen ist. Ich muss zugeben, von diesem Nebenschauplatz dermaßen fasziniert gewesen zu sein, dass ich einfach immer weiter schrieb, um zu sehen, wo mich das hinbringen würde …

    Dahin, dass die mir zur Verfügung stehende Seitenzahl für das Buch knapp wurde. Ich wollte die Nebengeschichte kürzen, was den Effekt hatte – dass ich nicht mehr weiterkam, und richtig festhing. So ließ ich dieser Geschichte ihren Lauf … und dadurch ergibt sich ein dritter Band. Damit erfüllte sich die spaßige Prophezeiung meiner Freundinnen, die schon bei Band II gesagt hatten – pass mal auf, da kommt auch noch Band III. Etwas, das ich da vehement abgestritten habe, mit den Worten – dann hätte ich ja gleich Trilogie auf den Umschlag schreiben können. Gut, es wird also einen III. Band geben – jetzt bin vorsichtig geworden – Anfang / Mitte 2020. Den Termin können bei:

    office @ graham-miniatures.de finden.

    Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen.

    Elfy Graham

    Prolog

    Wer die Ereignisse der Vergangenheit nicht versteht

    wird die Wiederholungen in der Gegenwart nicht erkennen,

    und die gleichen Fehler wieder begehen,

    die dann die Zukunft bestimmen.

    *

    Was würde passieren,

    wenn jemand wie Jesus in Erscheinung treten würde?

    Sämtliche Glaubensrichtungen würden es bevorzugen,

    dass 'Niemand' kommt, um so wie bisher weitermachen zu können.

    Und was würde er sagen?

    Vielleicht nur einen einzigen Satz –

    'Ihr handelt nicht in meinem Namen – ihr benutzt ihn nur.'

    KAPITEL 1

    1

    Heute Morgen war es erst kurz nach Sieben gewesen als ich aufwachte, und fast wie an jedem Tag, seitdem ich an dem Buch arbeitete, schwankte ich zwischen – aufstehen und schon schreiben – oder liegenbleiben bis David wach wird.

    Meistens fiel meine Entscheidung zugunsten des Schreibens aus, in dem Gedanken, dass ich so eine, manchmal zwei Stunden von der Zeit sparen konnte, wo wir durch das Schreiben voneinander getrennt waren; Zeit, in der wir stundenweise in zwei verschiedenen Welten lebten. Die Hoffnung, dass ich dann abends auch eher aufhören könnte, war ein Trugschluss, wie ich inzwischen festgestellt hatte.

    Wenn David wusste, dass ich schreiben muss, nachdem ich einmal damit angefangen hatte, und das akzeptierte, dann musste ich wissen, dass dabei auch noch Zeit für Gemeinsamkeit übrig bleiben muss. Das Problem war – dass ich das wusste, aber es meistens nicht schaffte, mich daran zu halten.

    Ich ging in die Küche runter, machte mir eine Tasse Tee, und schaltete nach kurzem Zögern den Laptop an ... eine Entscheidung, die ich jeden Morgen traf, denn ich wusste, wenn der erst einmal an war, würde ich bis zum Abend schreiben. Das einzige was mich davon abhalten könnte wäre wohl, dass das Haus brennt … aber wahrscheinlich würde ich dann die Feuerwehrleute bitten, um mich herum zu löschen, und dabei einen großen Bogen um die Theke zu machen. Gut, die Entscheidung war jetzt gefallen. Routinemäßig ging ich den Text vom Vortag durch, auf der Suche nach Tippfehlern. Das Durchlesen half mir aber auch dabei, mich wieder in die Stimmung der Situation einzufinden, und erst wenn das gelungen war, wurde auch der neue Text lebendig.

    Nach einer Stunde hatte ich das hinter mir, und mit einer zweiten Tasse Tee war ich so weit, weiterzuschreiben. Es fehlte noch, was nach dieser Nacht von Thomas' Geburtstag gewesen war, und dann der letzte Akt von Christel. Eigentlich hätte das noch in Band I gehört, aber Merry hatte bei ihrem letzten Besuch gemeint, dass ich sowieso nicht alles in einem Buch unterbringen kann.

    Ihre Argumente waren überzeugend – es würde über 1000 Seiten haben, das schreckt ab, und bei dem Gewicht würde dem Leser eine Sehnenscheidenentzündung im Arm drohen. So hatte ich mich zu einem Cut an der Stelle entschlossen. Ich war gespannt was sie dazu sagen wird, wenn sie in zwei Monaten, zu Davids 50. Geburtstag, über das Wochenende aus Edinburgh kommt, wo sie studierte.

    Eine leichte Bewegung an ihrer Seite

    holte Annie langsam ins Bewusstsein zurück, in das die unbestimmte Befürchtung sickerte, gleich nicht das zu sehen, was sie erwartete, und sie öffnete vorsichtshalber erst einmal nur ein Auge. Glücklicherweise hatte sie sich getäuscht, es war eindeutig das Schlafzimmer, es war schon hell geworden, und David lag neben ihr, es war also alles in Ordnung. Sie spürte seinen warmen Körper hinter sich, als sie sich mit dem Rücken an ihn kuschelte, und das Gefühl von Geborgenheit, als er sofort seinen Arm über ihren Bauch legte um sie fester an sich zu drücken. Zu träge, um wirklich wach werden oder über den Grund dieser Befürchtung nachdenken zu wollen, döste sie in einem Dämmerzustand vor sich hin.

    Nach einer Weile fühlte sie seine Lippen in ihrem Genick. Bei dieser Berührung überliefen sie Schauer, und dann schlief er mit ihr, wortlos, langsam, sanft. Sie wandte ihren Kopf zu ihm um, ohne die Augen zu öffnen. Dann kam der Höhepunkt, der den eigenen Herzschlag zum Echo des anderen werden ließ, und alles Denken auslöschte. Für eine Weile überließ sie sich dem warmen Nachklang dieser Gefühle, bis sie sich ein wenig aus seiner Umarmung löste, um sich auf den Rücken legen zu können.

    Ihr Kopf ruhte jetzt an seiner Schulter. Was für ein schöner Traum, dachte sie, als ob … dann wurde ihr ganz langsam, ganz am Rande bewusst, dass da etwas nicht stimmte. Sie öffnete die Augen einen Spalt weit, und sah in sein Gesicht; es wirkte kindlich, schutzlos, und irgendwie traurig. Dann fiel ihr auf, dass der Brillant auf seiner Stirn nicht da war … der konnte nicht herausgefallen sein, weil das noch nie passiert war, und wenn, dann müsste da jetzt eine Vertiefung zu sehen sein. Warum wunderte sie das eigentlich nicht wirklich? Sie kniff die Augen zusammen – nein, sie irrte sich nicht, der war einfach nicht mehr da! Und sie hatte das nicht geträumt, er hatte mit ihr geschlafen!

    Sie fühlte, wie das absurde Bedürfnis zu lachen in ihr aufstieg, in dem Gedanken daran, dass sie das jetzt vielleicht auch nur träumte und einfach nur nicht aus dem Traum herauskam, weil sie den Ausgang nicht finden konnte ... dann kam die Erinnerung an die vergangene Nacht nach und nach, mit jedem Atemzug, zurück, und breitete sich wie Schockwellen in ihr aus.

    In dem Moment trafen sich ihre Blicke. Das Glitzern, das vorher von dem Brillanten ausgegangen war, war nun in seinen Augen, und es wich langsam einer Unsicherheit … er wusste was passiert war!

    Er griff nach ihrer Hand und hielt sie so fest, dass sie das Gefühl hatte, er würde gleich ihre Finger zerquetschen. Ihr Herz schlug noch immer unregelmäßig, doch der Schmerz in den Fingern riss sie von dem Abgrund weg, der in die Zuflucht eines Zusammenbruchs geführt hätte.

    All ihre Gedanken an eine andere Erklärung fielen unter dem Gewicht der Wahrheit in sich zusammen. Sie schnappte nach Luft, und setzte sich auf.

    »Ich könnte dich umbringen!«, schrie sie ihn an, immer und immer wieder, in hilfloser Wut. Dann riss sie ihre Hand los, und schlug so lange mit den Fäusten auf ihn ein, bis sie keine Kraft mehr hatte und ihr bewusst wurde, dass er sich nicht wehrte.

    »Es tut mir leid, es tut mir leid«, flüsterte sie keuchend, und starrte ihn an. »Mir auch …«, antwortete er, und wischte sich das Blut von den Lippen, wo ihn ihr letzter Schlag getroffen hatte, unabsichtlich, weil er in dem Moment versucht hatte, aus seiner hilflosen Lage hochzukommen.

    Sie stand auf, und lief mit zitternden Knien ins Badezimmer, griff nach einem Waschlappen, und machte ihn mit kaltem Wasser nass. Dabei sah sie in den Spiegel … es war alles normal, es war alles völlig normal – außer dass sie mit diesem Gesicht in jedem Horrorfilm die Hauptrolle spielen könnte. Sie drückte sich den eiskalten Lappen ins Gesicht, so lange bis sie sicher war, dass es nur noch für eine Nebenrolle reichen würde. Das konnte alles einfach nicht wahr sein, sie musste sich getäuscht haben, und das würde sich herausstellen, wenn sie jetzt …

    Als sie ins Schlafzimmer zurückging nahm sie den Lappen mit, auch wenn sie nicht wusste wofür, aber er fühlte sich so real in ihren Händen an. Das andere war nicht real, konnte nicht real sein … aber was war es dann ...

    Sie sah, dass David sich in der Zeit nicht von der Stelle bewegt hatte, kniete sich neben ihn auf das Bett und hielt ihm wortlos den Lappen hin. Seine Unterlippe war geschwollen und blutete noch.

    »Danke.« Er drückte sich den Lappen auf den Mund. Trotzdem sah sie, dass er darunter verlegen grinste, als er sagte: »Ich hab nicht gewusst, dass das so weh tun kann.«

    Mit dieser Feststellung wich für einen kurzen Augenblick die Realität dieser unglaublichen Tatsache in den Hintergrund zurück.

    »Ich bin nicht besser dran als du, ich fühle mich genauso ... hilflos«, versuchte er zu erklären. »Unser bisheriges Leben ist keine Gegenwart mehr, aber auch noch keine Vergangenheit ... für uns beide nicht«, sagte er mit einer Ruhe, die er überhaupt nicht empfand. »Wir sind in einer Zwischenphase, in der wir uns neu sortieren müssen … ob wir uns einander wieder zuwenden können, oder voneinander abwenden werden.«

    Die Bedeutung seiner Worte begriff er erst jetzt. Dann überkam ihn eine Panikwelle, weil er nicht wusste was er jetzt war, und was aus ihnen beiden werden würde. Darunter mischte sich nun auch die Trauer, die er durch die Trennung von der Kapsel empfand, und ließ sie zu.

    In stockenden Worten erzählte er Annie von der Kapsel; dass sie etwas wie eine Mutter für ihn gewesen war; jemand, dem er blind vertrauen, auf den er sich bedingungslos verlassen konnte; jemand, der verzeihen konnte wenn er einen Fehler beging, es auch ein zweites Mal verzieh und darauf vertraute, dass dadurch das Verantwortungsgefühl gewachsen war, und es kein drittes Mal geben würde.

    Annie fühlte seine Trauer mit einer Intensität, als ob es sie selber betreffen würde. Nach und nach merkte sie – dieses Gefühl war die erste Gemeinsamkeit in dem Chaos des Neuen, die sich für sie beide auftat. Es gelang ihr sich langsam, mit einer interessierten Distanz der Realität zu stellen, die er ihr zu erklären versuchte.

    Danach sagte sie: »Ich kann es noch immer nicht begreifen, du bist wirklich ein … ein Außerirdischer? Ich frage mich gerade, warum ich jetzt nicht schreiend aus dem Haus renne … wahrscheinlich hält mich nur der Gedanke davon ab, dass ich dann in der Klappsmühle landen werde, wenn ich das jemandem erzähle.« Sie lachte gezwungen auf. »Es stimmt nicht, oder? Es war ein … Scherz, ein … ein Irrtum ...«

    »Was sagt dir dein Gefühl?«, fragte er vorsichtig, weil er auch nicht wusste, wie er mit dieser Situation umgehen sollte.

    Sie sah ihn zweifelnd an. »Dass es kein Scherz war, kein Irrtum … wo ist der Brillant geblieben?«

    »Der ist nicht mehr da … das bin ich gewesen«, antwortete er leise und bedrückt.

    »Das warst … und was bist du jetzt?!« Sie fühlte, wie die Panik wieder eiskalt in ihr hochkroch.

    »Jetzt bin ich ein Mensch«, stellte er, noch immer unsicher, fest. »Und das … das weißt du … genau?«

    Er nickte, und sah sie mit einem schiefen Grinsen an. »Ich habe geblutet, das wäre davor nicht möglich gewesen. Mir tut alles weh, der ganze Körper, außen und innen, ich habe wohl so etwas wie Muskelkater.«

    »Aber was … ich meine, du hast doch auch vorher einen Körper gehabt … oder … nicht?«

    »Doch schon, aber keinen richtigen … es war so etwas wie eine Hülle, die die Kapsel für mich geformt hat.«

    Sie schüttelte den Kopf. »Dieser Anhalter den Mimi mitgenommen hat, der hatte nicht nur eine so große Ähnlichkeit mit dir, dass sie dich mit ihm verwechselt hat … du … du siehst genau so aus, genau so wie er … ihr seid so was wie Klone … oder?«

    »Ja … nein, er war echt. Ich konnte mir jemanden dafür aussuchen, wie ich aussehen wollte, und hatte mich für ihn entschieden … und jetzt?«

    »Ich weiß nicht, ich weiß einfach nicht weiter.« Sie fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. »Es ist lächerlich, es gibt so vieles an was ich jetzt denken könnte, oder sollte … aber ich muss nur daran denken, dass ich nie wissen werde, wie du wirklich aussiehst, weil … weil es dich eigentlich gar nicht gibt. Verstehst du was ich meine?«

    »Ja. Ich verstehe auch, was das bedeutet, vielleicht besser als du. Aber es gibt mich doch … ich bin doch da«, stieß er verzweifelt hervor.

    Sie spürte seine Angst und wollte ihn umarmen, ihn trösten, doch dann scheute sie davor zurück, weil sie nicht wusste, was sie dann anfassen würde.

    »Ja, es … es gibt dich«, stotterte sie hilflos. »Und was war dann?«

    »Davor, es war davor … bevor ich eine äußere Form erhalten habe, sollte ich mir einen Menschen aussuchen, mit dem ich mir ein Zusammenleben vorstellen kann. Ich bin in die Gedanken der Menschen gegangen, die auf dieser Straße vorbeifuhren, auf der Suche nach jemandem, mit dem ich mich ... mit dem ich mir vorstellen konnte, zusammen zu sein. Und ich habe jemanden gefunden, dich. Die Stimme in deinem Kopf, die dich immer aufgefordert hat weiterzudenken, wenn du aufhören wolltest … das bin ich gewesen, ich glaube, das weißt du.«

    »Die Gedankenübertragung, ja ...«, antwortete sie leise. »Aber ich hatte nicht begriffen, dass das von Anfang an so gewesen war, schon bevor wir uns … hast du mich da auch gesehen? Wusstest du, wie ich aussehe?«

    »Nein, ich habe dich zum ersten Mal gesehen, als dein Wagen stehen geblieben ist.«

    Die Erinnerung an den Blick, mit dem er sie da angesehen hatte, tauchte auf. »Du hast dich darauf eingelassen, ohne zu wissen wie ich aussehe?«

    »Ich wusste wie du bist, mehr brauchte ich nicht zu wissen.«

    »Und wenn ich jetzt … alt … und … und … oder hässlich gewesen wäre, was hättest du dann gemacht?«

    »Dann hätte mir die Kapsel dazu geraten, mir jemand anderen für mein Aussehen auszusuchen. Ich habe nie etwas anderes gewollt, als dich. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn ich jetzt … wirst du bei mir bleiben?«

    »Ich kann mir nicht vorstellen, ohne dich zu leben … dafür liebe ich dich viel zu sehr.«

    Sie blinzelte gegen einen Sturzbach von Tränen an. »Halt mich erst einmal fest, einfach nur fest«, flüsterte sie mit erstickter Stimme, und legte sich neben ihn.

    Er beugte sich über ihr Gesicht, um sie zu küssen, und hielt dann inne, unsicher, wie sie darauf reagieren würde.

    Sie griff in seine Haare, zog seinen Kopf zu sich herunter und küsste ihn mit einer Heftigkeit, über die sie selber erschrak.

    Zuerst hielt er seinen Mund geschlossen, aber dann erwiderte er ihren Kuss, mit dem gleichen Verlangen, und der Angst, sie zu verlieren. Als er jetzt mit ihr schlief, war es bewusster als beim ersten Mal, und sie erkannte in dem Ausdruck seiner Augen, dass sich dort etwas wie eine tiefe Neugier abzeichnete … die Neugier eines Kindes, das die ersten Schritte seines Lebens auf eigenen Füßen versuchte und erstaunt feststellt, dass es das kann …

    Ich zuckte leicht erschrocken zusammen, als ich Davids Hand auf meiner Schulter spürte. »Ich habe dich gar nicht reinkommen gehört.«

    »Der Tag nach dieser Nacht?«, fragte er.

    »Ja …«, antwortete ich, während ich mich noch fragte, wie ich das damals überstanden hatte, ohne durchzudrehen.

    »Frühstück?« Er ging hinter die Theke. »Wenn ich nicht dafür sorgen würde, würdest du den ganzen Tag nichts essen.«

    »Wahrscheinlich nicht … außer es ist etwas, das sich in einer Hand halten lässt, damit ich mit der anderen weiter tippen kann«, gab ich mit einem schiefen Lächeln zu, und warf einen Blick auf die Uhr, es war kurz vor Zehn. »Aber ich kann dir helfen. Ich glaube, wir können heute auf der Terrasse frühstücken, es ist warm genug dafür.«

    *

    Für das Frühstück ließen wir uns, wie immer, viel Zeit. Während David jetzt die Zeitung las, streckte ich meine Beine lang unter dem Tisch aus und schaute in den Garten. Gleich würde Ronny mit den Hunden vorbeikommen. Das hatte alles einmal so harmlos mit einem Jack-Russel Welpen für Merry angefangen. Wir hatten ihn Guinness genannt, und zwei Jahre bevor wir ihn einschläfern lassen mussten, kam ein zweiter Hund dazu … zufällig, auch wenn ich da schon längst wusste, dass nichts ohne Grund passiert, und der Zufall immer mit einer Entscheidung einherging, die bewusst oder unbewusst getroffen wurde.

    Ich war wegen der Jahresimpfung bei der Tierärztin gewesen, die mir von einem Hund erzählte, der ihr vor drei Wochen von der Polizei gebracht worden war; ein etwa acht Jahre alter Jack-Russel, blind, auf einem Rastplatz an der Autobahn ausgesetzt und dort angefahren worden. Sie versuchte diesen Hund zu vermitteln, aber ein alter, und dann noch blinder Hund war nicht gerade der Brüller, um den sich alle rissen. Mitten in der Erzählung war dann die Frage gekommen – möchten Sie ihn mal sehen? Ich hatte Ja gesagt, und sofort gedacht – Scheiße, das war ein Fehler. Und dann hatte ich dieses Häufchen Elend da in dem großen Raum auf einer Decke sitzen sehen und war mit zwei Hunden nach Hause gefahren.

    Als nach Guinness auch Alba eingeschläfert werden musste, hatte ich sehr gelitten, 'Mäuschen' war mein liebster Hund gewesen, und ich träume bis heute noch manchmal von ihm. Drei Wochen hatte ich es damals ohne Hund ausgehalten, dann waren wir in ein Tierheim gefahren … es wurde wieder ein Jack-Russel, geschätzte acht Jahre alt, auch ausgesetzt. Acht Jahre hatte er mit einer Familie, oder einer Person jeden Tag zusammen gelebt, und dann wurde er irgendwo angebunden und zurückgelassen? Er war ja kein Einzelfall, was muss das für ein Gefühl für so einen Hund sein, zu sitzen und Stunde für Stunde auf die Rückkehr der Person zu warten, mit der er jeden Tag seines Lebens verbracht hat? Und dann zu merken – die kommt nicht wieder?

    Bei der Erinnerung an den Tag, als wir ihn dort abholten, schüttelte ich mich leicht. Ich hatte das als so schrecklich empfunden, wie mir ein kleiner Rucksack übergeben wurde, mit Futter für die ersten Tage.

    Was war daran so schlimm für mich gewesen? Es war eine nette Geste des Tierheims, und Werbung für den Futtermittelhersteller. Aber mir war es so vorgekommen, als ob er wieder ausgesetzt wurde, in eine ungewisse Zukunft, nur begleitet von der Hoffnung, dass es ihm bei uns gutgehen würde. Vielleicht war mir in dem Moment bewusst geworden, dass es dieses bedingungslose Vertrauen ist, das ein Hund hat, wenn er in die Hände eines Menschen gegeben wird … er kann sich nicht vorstellen, dass sein Vertrauen missbraucht werden könnte.

    Flynn entwickelte sich allerdings zu einem Pflegefall, er wurde Epileptiker. Die Kosten für die ganzen Untersuchungen, Tierarzt, und Medikamente, hatten inzwischen eine Summe erreicht, für die man locker einen Kleinwagen kaufen konnte. Aber er lebte, und er war glücklich, und damit war ich es auch.

    Als es ihm besser ging, kam – zufällig – der nächste Hund dazu, natürlich wieder ein Jack-Russel, und wieder von der Tierärztin. Es war ein liebes, gut erzogenes, siebenjähriges Mädchen. Angeblich war sie aus dem zweiten Stock aus einem Fenster gesprungen, am nächsten Tag hieß es – nein, sie ist vor ein Auto gelaufen. Weder das eine noch das andere konnte stimmen, denn sie hatte keine Brüche, nicht mal Prellungen, aber der Bauchraum war voller Blut und die Blase war gerissen. Die Tierärztin hatte die Herausgabe von dem Hund verweigert, weil es ein gezielter Tritt in den Bauch gewesen sein musste.

    Nach einer Woche liebevoller Betreuung bei uns war Brandy zutraulich geworden, und verstand sich bestens mit Flynn.

    Vor einigen Jahren war dann meine Auffangstation für ausgesetzte oder misshandelte Hunde entstanden, durch einen weiteren Zufall … Eine Bekannte von mir war durch ein wimmerndes Geräusch auf eine Mülltonne aufmerksam geworden. In der Tonne lag ein alter Dackel, ein Auge war raus … und sie, die noch nie einen Hund gehabt hatte, und auch nie einen haben wollte, hatte ihn aus dem Mülleimer geholt, und mit nach Hause genommen.

    Die Anfangszeit mit den Hunden, die ich nach und nach bekam, war schwierig für mich gewesen, weil mir ständig bewusst war, dass alles was ich machte nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein konnte, und ich war deswegen oft am Verzweifeln gewesen. David hatte versucht, mir die Bedeutung dieses einen Tropfens bewusst zu machen. Alle Hunde zu versorgen, damit sie die liebevolle Zuwendung bekommen, die sie verdienen, war unmöglich. Aber dieser eine Tropfen war mir möglich, den konnte ich geben. Wenn ich nicht tat was mir möglich wäre, käme das einer Verweigerung gleich.

    Die Station wurde über Spenden finanziert, die größten kamen von David, Jan, Thomas und Noel, und wir hatten eine Hundepension. Die schlimmsten Fälle, körperliche oder seelische Wracks, kamen zuerst zu uns ins Haus, bis sie sich erholt hatten. Dann wurden sie langsam, durch Besuche, an die Station und die anderen Hunde gewöhnt, und wenn sie sich da genauso wohl wie hier zu Hause fühlten, blieben sie dort. Das änderte sich dann, als Ronny kam.

    Ronny … die Anfangszeit mit ihm war … schwierig gewesen, und ich hätte ihn rausgeschmissen, wenn David nicht gesagt hätte, dass ich abwarten soll – wenn ich den Hunden eine Chance gab, müsste ich ihm die auch geben. Das hatte ich gemacht und dann gemerkt, dass er ein Gespür für diese Hunde hatte, als ob er sich mit ihnen identifizierte.

    Er nannte mich von Anfang an Mrs. Boss, ich hatte keine Ahnung warum, und habe ihn auch nie gefragt. Anfangs hatte er das ein wenig spöttisch ausgesprochen, inzwischen klang es anders, auch, wenn ich nicht genau sagen könnte wie. Ich konnte mich absolut auf ihn verlassen und hatte ihm einige Zeit später die Leitung für die Auffangstation übertragen. Damit bekam ich wieder mehr Zeit für mich. Nach einer sehr erfreulichen Absprache mit der Leiterin des Seniorenstifts Rosengarten, brachte Ronny zweimal in der Woche einige Hunde vorbei, um die sich die Bewohner dann für einen Tag kümmern konnten, mit dem Effekt – dass es beiden besser ging.

    An dem raschelnden Geräusch merkte ich, dass David die Zeitung beiseite legte, und kehrte aus der Vergangenheit zurück.

    »Wo warst du?«, fragte er mit einem Lächeln.

    »Bei Guinness und Mäuschen«, antwortete ich, und erwiderte sein Lächeln.

    Er räusperte sich kurz. »Am Abend ist unsere Gesprächsrunde.« »Keine Sorge, ich hab das nicht vergessen, und werde pünktlich ...«

    In dem Moment wurde ich von dem Gebell der Hunde unterbrochen, die jetzt durch den Garten auf uns zugestürzt kamen.

    »Unsere Kavallerie rückt an«, rief ich lachend, und winkte Ronny zu. Bevor die Hunde den Tisch erreicht hatten, blieben sie auf einen Pfiff von ihm sofort stehen.

    »Vorsicht, die waren alle im Bach schwimmen«, rief er uns zu.

    »Die Kleine konnte sich auch endlich dazu überwinden?«, fragte ich.

    »Ja. Nachdem sie festgestellt hat, dass die anderen nicht so schnell zu ihr zurückkommen«, antwortete er. »Sie ist jetzt auch so weit, dass sie nachts lieber bei den anderen sein möchte, und ich hab mein Schlafzimmer wieder für mich alleine. Jedenfalls bis der nächste kommt ...«

    Als die Hunde ihre Streicheleinheiten und ein Leckerli von uns erhalten hatten, liefen sie nach einem zweiten Pfiff von Ronny wieder zu ihm zurück. Sie wussten, was jetzt kam – abduschen, fressen, und dann in die Sonne legen und schlafen.

    »Er macht seine Arbeit gut ...«, meinte David, nachdem Ronny gegangen war.

    »Ja«, erwiderte ich abwartend, weil ich das Gefühl hatte, dass er noch etwas sagen wollte. Aber als nichts kam stand ich auf, und stellte das Geschirr auf das Tablett. »Dann werde ich jetzt weiterschreiben.«

    »Bleibst du bei dem Titel?«

    »Ja, ich denke schon, der Anhalter klingt passend …«

    »Meinst du, dass sich noch etwas anhalten lässt?«

    Ich sah die Zweifel in seinem Gesicht, und antwortete: »Das Denken muss angehalten werden, für einen Moment, nur dann kann man herausfinden wo man steht und eine andere Richtung einschlagen. Es tut mir leid … aber etwas anderes kann ich dir nicht antworten.«

    *

    Als ich wieder an der Theke saß, kam es mir mit einem Mal so sinnlos vor, weiter an dem Buch zu schreiben. Dann erinnerte ich mich an etwas, das ich in der Zeitschrift TV gelesen hatte, und ging auf die Terrasse zurück.

    David sah mich mit einem Lächeln an, das nur seine Mundwinkel umspielte, und ich blieb an der offenen Tür stehen.

    »Es tut mir leid«, sagte er leise, »ich habe dir mit meiner Frage deine Motivation genommen.«

    »Für einen Moment lang ja «, gab ich zu. »Aber ich habe mich daran erinnert, dass ich etwas über ein Interview mit Harry Belafonte gelesen habe. Er hat einen Freund, der ihm vor Beginn seiner Karriere gesagt hat – bring die Menschen dazu, deine Lieder zu singen, und wenn du diese Neugier geweckt hast, kannst du sie auf ungeahnte Ideen und Gedanken bringen.«

    Er lachte leise auf. »Dann können wir ja noch Hoffnung haben, wenn genügend Menschen dein Buch lesen … danke.«

    »Du dankst mir dafür ...« Ich ging zu ihm, und umarmte ihn. »Wir reden immer von meinem Buch, aber ich schreibe es nur. Es ist dein Buch, weil es deine Geschichte ist.«

    Er nahm meine Hand, und drückte sie. »Ich werde mich nicht mit dir darüber streiten, wessen Buch das nun ist. Wirst du jetzt weiterschreiben können?«

    »Ja«, antwortete ich. »Die Motivation ist wieder da.«

    Bis Dienstag Abend war es ihnen einigermaßen gelungen,

    die veränderte Situation so in den Griff zu bekommen, dass sie nicht mehr ständig davon überrollt wurden, darüber reden zu müssen. Das hatten sie bis dahin zur genüge getan, bis das Gefühl der Fremdheit verschwand und sie merkten, dass es jetzt streckenweise auch ohne reden gehen würde.

    Für David waren Heiserkeit, Schmerzen, blaue Flecken und Muskelkater ein völlig unbekanntes Empfinden, auf das er gut und gerne verzichtet hätte. Auf der anderen Seite waren die Gefühle, wenn Annie ihn berührte, ihre Hände über sein Gesicht oder seinen Körper strichen, ebenso neu für ihn, denn er konnte das jetzt richtig spüren, und darauf würde er um nichts in der Welt mehr verzichten wollen. Auch körperlich mit ihr zusammen sein zu können war ein unbeschreibliches Gefühl, und bis auf das Letztere würde sich in ihrem bisherigen Zusammenleben ja nichts ändern, er würde immer der für sie bleiben, der er gewesen war, und sie bis ans Ende ihrer Tage lieben. Die Angst, dass Annie ihn verließ, weil sie weder diese Situation, noch das was er gewesen war, verarbeiten und akzeptieren konnte, war vorbei. Er wusste, dass die Kapsel dafür gesorgt hatte, dass Annie das nach so kurzer Zeit konnte.

    Am Nachmittag hatte Annie mit Jan telefoniert und ihm versichert,

    dass die Magenverstimmung vorbei wäre, und sie wieder in Ordnung ist. Er informierte sie darüber, dass er mit Christel über deren Verhalten auf der Feier gesprochen habe, ohne Joe und ohne Rechtsanwälte. Es sei kein angenehmes Gespräch gewesen, weil sie weiterhin darauf beharrte, dass es eine rein private Feier gewesen sei und der Meinung war, auch wenn er ihr Chef ist, hätte er ihr da keine Vorschriften zu machen. Eine Abmahnung konnte er ihr nicht aussprechen, hatte aber erkennen lassen, dass diese durchaus im Raum stand. Und er versicherte Annie, dass sie jederzeit mit seiner Unterstützung rechnen konnte, falls Christel ihr gegenüber zu weit gehen würde.

    Nach dem Abendessen gingen sie gleich zu Bett, weil Annie am nächsten Tag wieder zur Arbeit musste.

    »Wie fühlst du dich in dem Gedanken an morgen?«, fragte er.

    »Ich weiß noch nicht … mal so, mal so.« Sie fuhr mit dem Zeigefinger über die Stelle auf seiner Stirn, wo einmal der Kern, wie ein Brillant, gewesen war, und lächelte. »Die kleine Narbe wird bleiben, oder?«

    »Ja, das denke ich auch … das ist wahrscheinlich gut so.«

    »Warum … ach, ich verstehe. Jedem der dich kennt wird auffallen, dass er nicht mehr da ist, dann kannst du sagen, dass du ihn hast entfernen lassen.«

    Er nahm ihre Hand, und drückte einen Kuss auf die Innenseite des Gelenks. »Auch, aber so wird es eine Erinnerung daran bleiben, wo ich hergekommen bin … auch wenn ich nie auf Edre gelebt habe.«

    »Wärst du gerne einmal dort gewesen?«, erkundigte sie sich mit einem Hauch von Neugier.

    »Nein. Edre ist kein Land, wo wir hinfliegen könnten, wie für einen Urlaub nach ... Australien oder ...« Er sah sie an. »Warum lächelst du jetzt?«

    »Weil du wir gesagt hast.«

    Sie legte ihren Kopf auf seine Brust und hörte seinen Herzschlag langsam und kräftig an ihrem Ohr. »Hattest du die Wahl hier zu bleiben oder zurück zu … fliegen oder wie auch immer?«

    Er zögerte einen Moment, und fuhr mit seiner Hand durch ihr Haar. »Ich weiß es nicht genau ... darüber habe ich nie mit der Kapsel gesprochen. Doch ich denke, solange ich noch kein Mensch geworden war, noch keinen wirklichen Körper hatte, wäre das wahrscheinlich möglich gewesen. Aber für dich hätte es keine Möglichkeit gegeben mitzukommen ... ich würde nirgendwo hingehen, wo du nicht hin kannst.«

    Es nieselte an dem Morgen leicht, als Annie zur Arbeit fuhr.

    Sie rief sich Davids Ratschlag wegen Christel ins Gedächtnis zurück – abwarten, nicht provozieren lassen und nicht ausweichen, denn sie habe alle Vorteile auf ihrer Seite, und müsste Christel die Entscheidungsfreiheit geben, ihr Verhalten zu ändern. Aber wenn die Belastung zu groß werden würde, könne sie jederzeit kündigen und sich eine andere Arbeit suchen, oder für ihn arbeiten, oder einfach zu Hause bleiben. Der Ratschlag, samt seinen Alternativen, war beruhigend, aber das würde wieder eine Veränderung bedeuten, und davon hatte sie vorläufig genug.

    Als erstes ging sie zu Jan, um sich zurückzumelden, der sie mit einer kurzen Umarmung begrüßte.

    »Alles wieder in Ordnung?«, fragte er, und betrachtete ihr Gesicht aufmerksam.

    »Ja, danke. Eine kleine Magenverstimmung, nichts weiter.«

    »Nun, das ist deinem Magen nicht zu verdenken, unter den Umständen. Und mit dir und David ist alles in Ordnung? Keine unerwünschten Nebenwirkungen durch Mimi?« Er lachte. »Ich darf so etwas fragen, ich bin euer Trauzeuge, und als der habe ich für euch da zu sein, wenn ihr meine Hilfe brauchen solltet.«

    »Danke, Jan. David und ich haben sehr ausführlich darüber gesprochen, wir sind alles noch mal genau durchgegangen. Mimi hat sich geirrt, sie hat David mit jemandem verwechselt, der ihm sehr ähnlich sehen muss.«

    Als sie schon an der Tür war sagte er: »Warte … lass dich nicht von Christel provozieren, weich ihr aber auch nicht aus, das hast du nicht nötig.«

    Es lag ihr schon auf der Zunge zu sagen – das hat David auch gesagt – doch dann bedankte sie sich nur und versprach, sich danach zu richten.

    Während sie in ihr Büro ging dachte sie an Jans Satz mit dem Trauzeugen. Für einen Moment stand sie kurz vor einem hysterischen Lachanfall, in der Vorstellung von seinem Gesicht, wenn sie ihm gesagt hätte – ich brauche deine Hilfe, weil mein Mann ein Außerirdischer ist … war.

    In der Frühstückspause machte sie sich vorsichtshalber eine Tasse Tee, anstatt wie sonst Kaffee zu nehmen. So ganz wohl fühlte sie sich nicht, die Begegnung mit Christel lag ihr bereits im Magen, bevor sie stattgefunden hat.

    Kurz darauf kam Christel auch zu ihr, blieb aber unschlüssig in der Tür stehen und fragte dann: »Na, wieder in Ordnung? Kein Wunder, mir ging es Sonntag auch nicht gut, muss wohl an dem Essen gelegen haben. Vielleicht war mit diesem merkwürdigen Fleisch was nicht in Ordnung.«

    Annie sah sie an. »Du meinst das Pulled Pork? Mit Sicherheit nicht. Jan ging es danach nicht schlecht, seiner Frau nicht, und David auch nicht. Und wenn es anderen Gästen schlecht gegangen wäre, hätte Thomas bei uns angerufen. Vielleicht lag es bei dir einfach nur daran, dass du zu viel gegessen und durcheinander getrunken hast.«

    Christel überging diese Anspielung, und kam ein paar Schritte näher.

    »Das war schon eine Überraschung gewesen, Jan und seine Frau da zu sehen. Mit so was hätte ich ja nie im Leben gerechnet, ich meine, dass die in den gleichen Kreisen wie wir verkehren. Aber ich sag ja immer, die Welt ist klein …« Jetzt setzte sie sich mit ihrer Tasse doch an den Schreibtisch.

    »Du verwechselst da etwas, Christel«, entgegnete Annie trocken. »Jan und Miriam verkehren nicht in den gleichen Kreisen wie du. Du bist nur zufällig da gelandet, und das auch nur, weil Toms Freundin euch mitgenommen hat, und wenn …«

    »Aber du glaubst jetzt, dass du dazu gehörst?!«, unterbrach Christel sie verärgert. »Nur weil dein David zufällig diesen Thomas kennt, und Jan an dem Abend ein paar Mal bei euch am Tisch gesessen hat … das war reine Höflichkeit von ihm, mehr nicht. Und darauf brauchst du dir auch nichts einzubilden.«

    Als sie einen Moment schwieg, überlegte Annie, ob sie etwas dazu sagen sollte … sie könnte es, musste es aber nicht.

    »Sag mal, habt ihr auch ein paar von den Weinflaschen genommen?«, fragte Christel übergangslos.

    »Was …? Ja, David hat ...«

    »Joe hat auch eine Kiste gekauft«, unterbrach Christel sie, nun in diesem herablassenden Tonfall, und lachte dann. »Obwohl wir uns schon wie auf diesen Tupper-Partys vorkamen. Ich mein, schlecht war der Wein ja nicht, wenn auch viel zu teuer, wenn du mich fragst. Aber dieser … wie hieß der noch?«

    »Der Winzer? Raphael.«

    »Ja. Der war ja nicht mal bereit, uns ein bisschen im Preis entgegen zu kommen, wo wir schon eine ganze Kiste gekauft haben. Aber das lag mehr an dieser hochnäsigen Schnepfe, die er da im Schlepptau hatte. So, jetzt muss ich an die Arbeit zurück. Wir sehen uns dann in der Mittagspause.«

    Annie atmete erleichtert auf. Das war nicht schlecht gelaufen. Dennoch war sie verwundert, dass von Christel nicht mehr gekommen war … kein Wort über Mimi, und vor allem kein Wort wegen Davids Nachnamen. Der musste ihr doch aufgefallen sein ... Falkner war kein so weit verbreiteter Name wie Müller, Meier oder Schulz. Vielleicht lag es daran, dass Jan mit ihr gesprochen hat, und sie nun vorsichtig sein wird. Gut, aber wahrscheinlich war es noch zu früh, um zu glauben, dass das schon alles gewesen ist.

    Als die Zeit für die Mittagspause gekommen war stellte sie fest, dass sie keinen Hunger hatte. Aber sie war ehrlich genug mit sich selber, um einzusehen, dass es erstens nicht gesund wäre gar nichts zu essen, und zweitens darauf hinauslief – aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Also – Kantine, und vielleicht saß Christel ja bereits an einem der anderen Tische, und sie konnte …

    »Bist du so weit?«, riss Christel sie aus ihren Überlegungen heraus. »Ja, sicher«, erwiderte sie, und versuchte zu lächeln.

    »Man … du siehst ja wirklich nicht gerade gut aus. Na ja, kein Wunder nach diesem Wochenende«, sagte Christel, und grinste.

    »Danke für das Kompliment. Das kann ich nur zurückgeben.«

    »Meinst du das … weil ich wieder zugenommen habe?«, fragte Christel und versuchte, den Bauch einzuziehen.

    Annie nahm nur einen Salat, und Christel entschied sich nach einigem Zögern, und mit einem verkniffenen Gesichtsausdruck, ebenfalls dafür.

    »Diese Mimi hatte ja eine tolle Figur«, brummte sie vor sich hin und stocherte lustlos in dem Salat herum. »Kein Wunder, dass dir die auf den Magen geschlagen ist, wegen David, mein ich. Und dann noch die Begegnung mit Tom und seiner Neuen, also da hätte ich an deiner Stelle auch Ma...«

    »Und dann du noch dazu – das hast du bei deiner Aufzählung vergessen«, unterbrach Annie sie ungehalten. »Sonst noch was?!«

    »Mein Gott, da kann ich doch nichts für! Ich hab dir ja damals gleich gesagt, dass mit diesem David was nicht stimmt. Diese Masche mit dem Anhalter, sich Geld zu leihen ... wer weiß, bei wie vielen er das noch so gemacht hat.«

    »Bis er das Geld für die Villa zusammen hatte«, erwiderte Annie, und musste lachen. »Sag mal, merkst du gar nicht, wie lächerlich du dich machst? Hast du nicht mitbekommen, dass das eine Verwechslung war?«

    »Ja, ja, und wer's glaubt wird selig«, meinte Christel, und winkte mit der Hand ab. »Nein, nein, Mimi war sich da schon sehr sicher gewesen. Und du musst schon zugeben, auch wenn du jetzt mit ihm verheiratet bist, dass die genau sein Typ war … reich, und ...«

    Das klirrende Geräusch, als Annie die Gabel auf den Teller fallen ließ, unterbrach Christels Satz. »Dann passte ich ja nicht in sein Beuteschema, denn ich hatte kein Geld, wie du selber genau weißt. Und ich frage mich doch jetzt ernsthaft – warum könnte er mich dann wohl geheiratet haben … aber darauf hast du sicherlich auch eine Antwort.«

    »Ach, alles kann ich auch nicht wissen. Aber einen Grund wird er schon gehabt haben«, stieß sie verärgert hervor, und zuckte mit den Schultern. »Und mit diesem Nachnamen … also, das war ja schon ziemlich hinterhältig von dir gewesen mich in dem Glauben zu lassen, dass der Bowie heißt, damit ich mich vor allen lächerlich mach. Wie steh ich denn jetzt vor den Kollegen da!«

    »So wie du dich hingestellt hast, Christel!«, erwiderte sie und stand auf.

    »Warte. Der Name Falkner … so häufig gibt es den ja nicht … ich hab schon mit Joe darüber gesprochen. Sag mal, ist David mit diesem Immobilienmakler irgendwie verwandt?«

    Annie holte tief Luft, sie hatte keine Geduld mehr. »Nein, David ist nicht mit ihm verwandt. Es ist sein Maklerbüro. Sonst noch was?«

    Christel schnappte hektisch nach Luft, und ihr Gesicht überzog sich bis zum Haaransatz mit diesen roten Flecken. »Darüber sprechen wir noch!«, rief sie Annie hinterher.

    Bis zum Feierabend ließ Christel sich nicht mehr blicken, aber Annie ahnte, dass das noch nicht alles gewesen ist. Christel musste diese Neuigkeit, dass David derjenige gewesen war, der ihr das Traumhaus vor der Nase weggeschnappt hatte, erst einmal verdauen.

    Am Nachmittag hatte sie Jan nur darüber informiert, dass Christel jetzt wusste, dass David dieser Makler war, aber keine Gelegenheit gehabt hatte, etwas dazu zu sagen; dass sie wahrscheinlich auch erst mit Joe darüber sprechen würde, um … was auch immer zu tun. Den Rest der Unterhaltung hatte sie nicht erwähnt, es war nicht nötig, dass er das wusste, denn sie wollte Christel nicht vor ihm schlecht machen. Aber es war schon erstaunlich, wie es ihr immer wieder gelang, alles so zu drehen, bis es in ihr Schema passte. Dazu gehörte auch die Feststellung, dass Jan in den gleichen Kreisen wie sie verkehrte.

    Sie wusste, dass es Christel geärgert hatte, als ihr Versuch – Joe bei Jan vorzuführen – nicht den erwarteten Erfolg gebracht hatte. Bei diesem Gespräch, das Thomas an dem Abend zur Klärung wollte, hatte Christel ihre Chance gesehen, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Zum einen etwas zu erzählen – mit dem sie sich bei Mimi beliebt machen konnte, sodass sie einen Fuß weiter in den Kreis kam, denn ihr war klar, dass Thomas der Mittelpunkt davon war und Mimi dem näherstand als Sabrina. Wenn sie sich an Mimi hielt, dann würden sich auch öfter Begegnungen mit Jan ergeben, wodurch sie ihre Stellung unter den Kollegen aufbessern könnte – weil sie ja nun mit dem Chef auch privat zusammen wäre. Zum anderen war es für sie die günstige Gelegenheit gewesen, David in Misskredit zu bringen, bei Thomas, und vor allem bei Jan, sodass die beiden danach Abstand von David nehmen würden.

    Aber nun ging Christels Rechnung nicht mehr nur nicht auf, sie würde im Minus landen. David wusste inzwischen von Thomas, dass es zu keiner festen Bindung mit Mimi mehr kommt. Ohne Mimi brach Christels Rechnung aber in sich zusammen, und sie hatte Jan mit ihrem Verhalten an dem Abend auch noch verärgert. Merkte sie das gar nicht?

    Annie verließ das Büro rechtzeitig, in der Hoffnung, so Christel nicht zu begegnen. Als sie gerade die Außentür zum Parkplatz geöffnet und einen Schritt auf das Podest gemacht hatte, griff eine Hand nach ihrem Arm.

    »Mein Gott, hast du mich erschreckt!«, rief Annie, und zog rasch ihren Arm zurück. »Hast du hier draußen auf mich ...«

    »Warte! Wir sind noch nicht miteinander fertig«, zischte Christel wütend.

    Annie ging die Stufen nach unten, und weiter in Richtung ihres Wagens, und sagte: »Ich weiß nicht, was du meinst. Aber was auch immer das ...«

    »Ach, das weißt du nicht?!«, unterbrach Christel sie wütend. »Ich hab dir vertrauensvoll von dem Haus erzählt, das Joe und ich kaufen wollten. Und als ich mit dir dahin gefahren bin, hab ich gleich an deiner Reaktion gemerkt, dass du neidisch bist. Und danach hattest du nichts Besseres zu tun, als das deinem David zu stecken. Und der hat dann den Besitzer überredet, ihm, anstatt uns! das Haus zu verkaufen.«

    »Du legst dir immer alles so zurecht, wie es dir passt«, stellte Annie fest.

    »Ach ja?! Dieses Haus stand doch schon monatelang zum Verkauf, und da hat er sich nicht dafür interessiert. Warum hat er das denn genau zu dem Zeitpunkt gekauft, wo wir schon alles bei der Bank geregelt hatten? Weil ihr uns nicht gegönnt habt, dass wir auch in so einem schönen Haus wie ihr wohnen können!«

    »Wie kommst du nur auf so was«, erwiderte Annie überrascht und dachte, dass sie jetzt am liebsten sagen würde, dass David das Haus nur aus einem einzigen Grund gekauft hatte – um sie nicht als Nachbarin zu haben.

    »Na, das ist doch völlig klar, das Haus steht doch noch immer leer … ich bin da zufällig mal vorbeigefahren. Es ist nicht weiterverkauft, es ist nicht mal vermietet worden, es ging nur darum, dass wir es nicht bekommen.«

    Inzwischen standen sie vor ihrem Wagen. Annie holte den Schlüssel aus der Tasche, schloss die Tür auf und öffnete sie.

    Christel schlug die Tür wieder zu. »Du glaubst doch nicht, dass ich mir das alles gefallen lasse ...«

    »Christel, es reicht«, stellte sie nur noch mühsam beherrscht fest.

    »Das ... finde ... ich ... auch«, entgegnete Christel stoßweise, weil sie kaum noch Luft bekam, und kurz vor dem Überkochen stand. »Du bist so verdammt undankbar! Du hast wohl vollkommen vergessen, wer dir diesen Job hier verschafft hat. Und jetzt lässt du keine Gelegenheit aus, um mich bei Jan schlecht zu machen. Dir habe ich es doch zu verdanken, dass ich von ihm eine Abmahnung bekommen habe wegen dem, was ich Mimi auf der Feier über deinen David erzählt habe!«

    »Du hast keine Abmahnung bekommen, Christel. Noch nicht. Und das weißt du ganz genau!« Sie öffnete die Wagentür wieder und sah aus dem Augenwinkel heraus den Jaguar ankommen, darum entging ihr, dass Christel einen Schritt zurücktrat, ausholte, und dann kam die Ohrfeige.

    Im selben Moment schoss eine Hand wie aus dem Nichts hervor, und griff nach Christels Arm, während zeitgleich David aus dem Wagen sprang, und auf sie zulief.

    »Das reicht!«, rief Jan, der Christel weiter festhielt. »Jetzt bist du eindeutig zu weit gegangen. Das wird ein Nachspiel für dich haben.«

    Blitzschnell hatte Christel sich wieder gefasst. »Du kannst mich loslassen«, sagte sie. »Annie hat mich provoziert, und es war natürlich ein Fehler von mir, mich so provozieren zu lassen, dass ich ...«

    »Dein Fehler war vor allem, dass du nicht gemerkt hast, dass ich schon eine Weile auf dem Parkplatz bin, und ...«

    »Hast du uns etwa belauscht?!«, unterbrach Christel ihn, und lief rot an.

    »… und deine Stimme war laut genug, um jedes Wort zu verstehen«, vollendete er seinen angefangenen Satz. »Du kannst dir also weitere Ausführungen, womit Annie dich provoziert haben könnte, sparen. Ich möchte mit dir darüber sprechen, alleine. Du kannst es dir aussuchen, jetzt oder morgen.«

    »Das war eine rein private Angelegenheit zwischen Annie und mir, also wüsste ich nicht, worüber du mit mir reden möchtest«, gab Christel in diesem überheblichen Tonfall zurück.

    »Du hast eine meiner Angestellten körperlich angegriffen, auf meinem Parkplatz, nicht auf einem öffentlichen. Dazu dein Verhalten mir gegenüber auf der Feier von Thomas, das reicht. Also – jetzt gleich oder später?«

    »Nun, darüber werde ich erst mit meinem Mann sprechen, und ich werde mir einen Anwalt nehmen.« Sie warf Annie einen wütenden Blick zu.

    »Gut, wie du willst«, erwiderte Jan. »Nur zu deiner Information – mein Anwalt ist Thomas.«

    Er wartete bis Christel bei ihrem Wagen angekommen war, dann sah er David und dann Annie an. »Es tut mir leid, dass ich nicht rechtzeitig unten war, um das zu verhindern, aber ich hatte noch einen Anruf. Ich gehe jetzt, damit Christel nicht noch den Eindruck bekommt, dass wir darüber reden. Wir telefonieren später.«

    David warf einen Blick auf Annie, deren Wange noch rot war, und legte seinen Arm um sie. »Möchtest du selber fahren … vielleicht ist es besser, wenn ich dich mitnehme?«

    »Ich fahr lieber mit dir«, brachte sie mühsam hervor und ging zitternd mit ihm zu seinem Wagen. Als sie neben ihm saß, sah sie ihn an und schluckte.

    »Ich bin völlig fertig … war das Zufall, dass du gerade in dem Moment auf den Parkplatz gekommen bist? Und dass Jan dazukam?«

    »Nein.« Er streichelte ihre Wange, die jetzt langsam wieder blasser wurde. »Jan hat mich angerufen, weil er sich Sorgen wegen dem Zusammentreffen von dir und Christel gemacht hat. Er meinte, im Büro wäre nichts Auffälliges passiert, was aber daran liegen kann, dass sie jetzt vorsichtiger geworden ist. Der Gedanke, dass sie etwas unternehmen könnte, wenn ihr am Feierabend das Büro verlasst, weil sie ja nun weiß, dass ich derjenige bin, der das Haus gekauft hat, ist uns beiden gleichzeitig gekommen. Ich bin sofort losgefahren aber nicht mehr rechtzeitig angekommen. Es tut mir leid, Liebling.«

    »Nein, schon in Ordnung«, wehrte sie ab, und versuchte zu lächeln. »Vielleicht war das gut so … sie sägt selber an dem Ast auf dem sie sitzt. Aber wahrscheinlich wird sie auch das so drehen, dass ich gesägt habe … hinter ihrem Rücken.«

    »Möchtest du noch einen Tee?«

    »Ja, gerne.« Ich drückte schnell auf Speichern, und streckte mich kurz. »Christel ist immer noch anstrengend«, gestand ich mit einem schiefen Grinsen ein.

    Während des Teetrinkens sahen wir den Text durch, den ich zuletzt geschrieben hatte. Das machten wir alle paar Tage, weil es doch die eine oder andere Stelle gab, wo er dann oft eher als ich merkte, dass etwas fehlte, oder manches nicht so klar zum Ausdruck kam.

    Als wir damit durch waren, sah ich ihn an. »Das mit der Ohrfeige war schon ein starkes Stück. Ich hätte ihr nie zugetraut, dass sie so weit geht. Ich werde jetzt noch von dem Treffen am Abend mit Jan schreiben, mit der Frage – 'was wäre passiert, wenn Jan nicht …' – und dann ist Schluss für heute.«

    »Ich weiß, dein Lieblingsthema.« Er lachte. »Aber es stimmt, diese Frage – was wäre wenn – ist immer interessant. Sie sollte öfter gestellt werden, weil man nur dadurch erfährt, oder versteht – wodurch eine Situation so geworden ist, wie sie ist, und dass dieses Werden nicht einfach so passiert. Es hilft auch dabei, Fehler nicht zu wiederholen.«

    »Aber es ist schwierig, das herauszuarbeiten«, wandte ich ein.

    »Lass es uns versuchen«, schlug er mit einem aufmunternden Lächeln vor. »Wir hatten uns am Abend hier treffen wollen. Jan meinte dann, das könnte ungünstig sein weil – er hat da auch in der Form von was wäre wenn gedacht.«

    »Stimmt, das war mir da gar nicht aufgefallen. Er hatte gemeint, wenn Christel auf die Idee kommt, abends hierher zu fahren, um mit mir noch mal zu reden – bevor das Gespräch mit ihm und mit Anwälten stattfindet – dann würde sie seinen Wagen bei uns stehen sehen, und das wäre nicht günstig.«

    »Diese Aktion von ihr war schon ziemlich dreist«, meinte er, »und du hättest dich fast drauf eingelassen …«

    »Fast, du sagst es«, erwiderte ich.

    »Alles in Ordnung soweit?« Er sah mich fragend an.

    »Ja, sicher …«

    »Und was möchtest du noch von mir wissen?«

    Ich lachte leise auf, er merkte es, wenn mich eine Frage beschäftigte. »Weil ich vor Christel über diese Nacht nach Thomas' Geburtstag geschrieben habe … du bist dir sicher, dass du keinem der anderen äh ... Kerne begegnet bist?«

    »Absolut sicher, das hätte ich dir sonst erzählt. Warum fragst du?« »Ach, das ist mir nur so durch den Kopf gegangen.«

    »Liebling, dir geht nie etwas nur so durch den Kopf«, meinte er, und sah mich aufmerksam an.

    »Nein, das hing wirklich nur mit dem Text zusammen. Allerdings würde ich dir zutrauen, dass du mir das nicht erzählen würdest, weil du mich nicht beunruhigen möchtest.«

    »Ich weiß, was du meinst … ich verspreche dir, wenn ich einem begegnen sollte, oder auch nur den Hauch einer Vermutung habe, werde ich es dir sagen.« Dann stand er auf, und gab mir einen Kuss.

    Als er die Küche verlassen wollte, sagte ich: »Warte … glaubst du, dass das passieren könnte?«

    »Ich weiß es nicht, Annie. Wir waren so viele … irgend etwas ist schiefgelaufen. Aber es könnten auch andere Kerne geschafft haben, wobei die Frage offen bleibt – in welchem Stadium sie wären. Einen Kern, für den die Energie der Kapsel zu der Formung, aber nicht mehr zum Mensch-Werden gereicht hat, würde ich gleich an dem glitzernden Punkt erkennen, aber einen der ebenfalls Mensch geworden ist ...«

    Ich beobachtete, wie sein Zeigefinger über die kleine, kaum noch sichtbare Narbe auf seiner Stirn fuhr.

    »Den könntest du nur erkennen, wenn du dicht genug vor ihm stehst«, vollendete ich seinen Satz.

    »Ja … und an dem was er macht, denn irgend was wird er machen, weil das seine Aufgabe ist. Und er kann seine Fähigkeiten auch negativ benutzen, wenn er denkt, dass nur er es geschafft hat durchzukommen, einfach weil er dann schnell etwas erreichen will.«

    »Ich verstehe. Machst du dir deswegen Sorgen?«

    »Nein … ich schließe nur nicht aus, dass es auch andere geschafft haben könnten. Dann bis später.«

    Nachdenklich schaute ich ihm hinterher und wünschte mir, dass ich ihn das nicht gefragt hätte. Er war ein Mensch, wir waren seit 20 Jahren zusammen, aber ein Teil von ihm würde immer das bleiben, was er einmal gewesen war … ein Außerirdischer. Er hatte sich für ein Leben mit mir entschieden und dafür seine Unsterblichkeit aufgegeben, nachdem er den Teil seiner Aufgabe – die Entstehung von neuen glitzernden Punkten – erfüllt hatte, aus denen Menschen mit einem anderen Bewusstsein über Verantwortung und Vertrauen werden.

    Ich hatte sie damals gesehen und für das gehalten, was ich sah – glitzernde Punkte. Dass sie etwas wie unsere Kinder waren, hatte er mir erst viel später erklärt, weil er verhindern wollte, dass ich den Verstand verliere. So hatte ich mich ziemlich schnell wieder fassen können, weil sie für mich irgendwie nicht real gewesen waren, und gemeint, dass wir froh sein könnten, sie nicht alle im Haus zu haben, weil ich wahrscheinlich schon mit Zwillingen überfordert sein würde.

    Als Merry dann geboren wurde, war es ein richtiges Kind, das ich in den Armen hielt. Sie hatte einen blassen, rosafarbenen Fleck auf der Stirn, an der Stelle, wo Davids Narbe ist. Im Krankenhaus war uns erklärt worden, dass das kein Muttermal wäre, sondern etwas, das im Volksmund Storchenbiss heißt, und nach einiger Zeit völlig verschwinden würde. Nun, es war weder das eine noch das andere, und es verschwand auch nicht völlig. Und nur wir wussten, was das war.

    Ein Jahr später wurde Chris, der Sohn von Thomas und Emily geboren. Zu unser aller Erstaunen war das Geburtsdatum von Chris und Merry der 24. März. Und das war nicht die einzige Gemeinsamkeit, auch Chris besaß dieses Merkmal auf der Stirn. Emily fand das niedlich, sie hatte ja keine Ahnung was das bedeutete, und wir sagten es ihr nicht, um sie zu schützen.

    Meine insgeheime Befürchtung, dass Merry, und später Chris, irgend welche Auffälligkeiten haben würden, die sie von anderen Kindern unterscheiden, hatte sich nicht bestätigt. Es waren zwei ganz normale Kinder … wenn man davon absah, dass sie sich schon sehr früh unterhalten konnten, miteinander, und mit uns.

    Sie sagten keine einzelnen Worte, es waren komplette Sätze, die einfach nur ein wenig unbeholfen klangen, so als ob sie das Aussprechen erst noch üben müssten. Und sie konnten sich miteinander verständigen, ohne etwas zu sagen. Emily fand es süß, wenn Chris anfing sein Zimmer aufzuräumen, und auf ihre Frage – warum er das macht – antwortete, dass Merry und Annie gleich kommen, denn das waren dann spontane, und keine verabredeten Besuche von mir gewesen.

    Als Merry Zwölf war, wurde es Zeit, sie über einiges, wenn auch noch nicht über alles, aufzuklären. Es war so, wie David es gesagt hatte – sie wird den Zeitpunkt dafür bestimmen, und so war es dann auch gewesen. Sie nahm das völlig gelassen auf, hatte ich etwas anderes erwartet? Nein, nur befürchtet. Wir … eigentlich nur ich, stellten dabei fest, dass wir jemandem vor uns hatten, der nur dem Körper nach noch ein Kind war, denn sie sagte uns, dass sie schon in Erwägung gezogen habe, uns darauf anzusprechen, doch uns, vor allem mir, die Illusion nicht nehmen mochte, dass sie ein normales Kind sei. Das war Davids Anteil in ihr, meiner war dann in ihrer Bemerkung zu finden – dass das kein Problem wäre, solange ihr Vater sie mit einem Auto von der Schule abholen würde, und nicht mit einer fliegenden Untertasse ankommt.

    Letztes Jahr hatte sie in Edinburgh ein Mädchen kennengelernt; Simone war für ein Jahr als Aupair-Mädchen dort. Dann war kurz vor den Semesterferien ein Anruf von ihr gekommen, in dem sie uns mitteilte, dass sie Simone für drei Tage mitbringt, bevor diese dann zu ihren Eltern weiterfahren würde, die eine Pension in einem kleinen Badeort an der Nordsee hatten. Die Überraschung war dann für uns gewesen, dass Simone ebenfalls dieses Merkmal auf der Stirn hatte.

    Sie war im gleichen Jahr wie Merry geboren, ein hübsches Mädchen, mit großen, graublauen Augen, die immer ein wenig verträumt wirkten, sich aber blitzschnell in ein Stahlgrau wandeln konnten, wenn es ernst wurde oder darauf ankam, ihre Meinung zu vertreten.

    Simone war anders als Merry, wie auch Chris, denn sie hatten normale Eltern. Auch wenn Simone noch keine Ahnung hatte was sie war, hatte sie sich für eine Ausbildung in dieser Stadt entschieden, die in diesem Jahr begonnen hatte – sie suchte die Nähe zu uns, ohne sich darüber bewusst zu sein, aber sie kam auch nicht andauernd vorbei. Doch sie nahm bereits an den Gesprächsrunden des Kreises teil, wenn es ihre Zeit zuließ. Sie würde erst später zum festen Kreis gehören, wie Chris.

    Das wäre so viel Stoff für das Buch, doch ich wusste noch nicht, ob ich darüber schreiben werde. Davids Geschichte, seine Herkunft, ließ sich glücklicherweise nicht mehr nachweisen, und damit fiel das Buch in das Genre – Science Fiction oder Fantasie … wo es nicht hingehörte, aber am besten aufgehoben war. Und das war wohl für uns alle die bessere Lösung, erst mal … doch wie lange würde dieses Erstmal andauern? Ich ahnte, dass irgendwann etwas kommen würde … aber was ...

    Ich griff nach meinem Tagebuch und überflog schnell die nächsten Einträge, viel war es wirklich nicht mehr, was von Christel noch fehlte. Miriam war beim Schreiben eine gute Beraterin für mich. So einige Male hatte ich gedacht, dass ich die Szenen mit Christel zu ausführlich beschrieben habe. Wie hatte Miriam da noch gesagt – jeder hat wohl so eine Christel im 'Keller' oder 'neben' sich, egal ob in der Arbeit oder Privat – also nicht kürzen.

    David meinte, dass Miriam diejenige aus dem Kreis sein wird, die dahinterkommt, dass der David aus dem Buch keine Erfindung sondern mit ihm identisch ist. Aber das würde bei ihr keinen Schock auslösen, nicht so, wie bei mir damals, dafür sei sie zu pragmatisch. Sie würde zuerst mit ihrem Mann darüber sprechen, dann mit uns, weil ihr klar sein wird, was das bedeutete.

    Am liebsten würde ich jetzt den Rest mit Christel einfach weglassen, weil sie ab dem Zeitpunkt keine Rolle mehr in meinem Leben gespielt hat. Doch das würde in einem Buch fehlen.

    David fuhr gerade rückwärts aus der Garage,

    während Annie mit der Fernbedienung das Eingangstor öffnete, und sich dann neben ihn setzte. Plötzlich war Christel da, mit Joe, der verlegen grüßte, und sie bestand darauf, dass Annie wieder aussteigen sollte, weil ihr das Gespräch mit einer Freundin doch wohl wichtiger sein müsste, als jetzt mit David irgendwohin zu fahren. Doch Annie weigerte sich, und öffnete nur die Wagentür.

    Dann wurde Christel auffallend freundlich und pochte auf die jahrelange Freundschaft, bis sie endlich zum Punkt kam

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