Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Buddhakäse: Ein Salzkammergut-Krimi
Buddhakäse: Ein Salzkammergut-Krimi
Buddhakäse: Ein Salzkammergut-Krimi
eBook262 Seiten3 Stunden

Buddhakäse: Ein Salzkammergut-Krimi

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Schulbusfahrer Hugo Knoll erhält für seine LKW-Gedichte ein Stipendium, das ihn einen Monat lang in ein Jagdhüttenidyll der Pinzgauer Bergwelt führt. Dort wird er von sprechenden Almkühen gezwungen, als Marktfahrer an den ahnungslosen Talbewohnern die Wirkung eines „Buddhakäses“ zu erproben, dessen Basis - friedvollen „Buddhaspirit“ - die Kühe tief im Inneren eines Berglaboratoriums gewinnen. Dorthin haben die Tiere eine chinesische Wirtschaftsdelegation entführt, deren Mitglieder sie mit Hilfe eines „Aurasaugers“ sanft „auskochen“ - eine Idee der obersten Kuh Ziza nach ihrer Lektüre des Buches „Zen in der Kunst des Melkens“. Die beiden ersten Verkostungen des Buddhakäses enden im Fiasko: Die Probanden verwandeln sich entweder in rabiate Sachbeschädiger oder steigen wie Gasluftballons in den Himmel. Ob es den Kühen gelingen wird, den perfekten Buddhakäse herzustellen und damit den Weltfrieden zu retten?

SpracheDeutsch
HerausgeberFederfrei Verlag
Erscheinungsdatum21. Dez. 2014
ISBN9783902784780
Buddhakäse: Ein Salzkammergut-Krimi

Ähnlich wie Buddhakäse

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Buddhakäse

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Buddhakäse - Erich Wimmer

    2

    1 . Teil

    Wie es beinahe nicht begann

    Felgen schwelgen

    »Lieber Herr Knoll! Herzlichen Glückwunsch. Unsere Jury hat Ihnen das erstmalig ausgeschriebene Hauholz-Literatur-Stipendium zugesprochen. Es würde uns sehr freuen, wenn Sie sich so bald wie möglich mit uns in Verbindung setzen und uns mitteilen, ob Sie das Stipendium annehmen …«

    Während mir Hulda das E-Mail am Telefon vorlas, spürte ich nicht die geringste Aufregung in ihrer Stimme. Meine Frau verkündete die wichtigste Nachricht meines Lebens so beiläufig, als handele es sich dabei um die Einladung zu einer Busfahrt, mit der Möglichkeit, eine halb defekte Waschmaschine zu einem stark überhöhten Preis zu erstehen. Natürlich hatte ich mich über die Jahre an Huldas Unaufgeregtheit gewöhnt. Ich hatte lernen müssen, ihre Coolness als ausgleichendes Gewicht auf der Waage unserer unterschiedlichen Temperamente zu begreifen. Aber genau jetzt, wo eine Jury endlich einmal die Bedeutung meiner Gedichte erkannt und mich mit einem Schlag bis an die Schwelle des Dichterolymps katapultiert hatte, wo genau das geschehen war, was sonst nur in den verborgensten Winkeln meiner geheimen Träume passierte, zumindest in diesem Moment hätte ich mir eine etwas spürbarere Reaktion meiner Frau erwartet. Einen mit ein wenig Stolz geschwellten Unterton, ein leichtes Flattern ihrer Stimmbänder, das eine oder andere mit ein paar Körnern Enthusiasmus gewürzte Wort.

    Aber Huldas Stimme hatte bis zum Ende der Botschaft wie die Durchsage einer Nachrichtensprecherin geklungen. Überschwemmung im Jemen, Explosion in Bremen, Hauholz-Preis an Knoll Hugo, Wetterwechsel nicht unmöglich, schönen Nachmittag. Obwohl Hulda in ihrem Büro saß, wo sie auf meine Bitte hin meine Mails gecheckt hatte und bestimmt noch andere Dinge zu tun waren, hatte sie genügend Zeit, um entspannt auf meine Reaktion zu warten. Die natürlich ausblieb. Ich war vollkommen sprachlos und unfähig, irgendetwas Konstruktives von mir zu geben. Ab und zu japste ich ein wenig, um wenigstens den Primärkreislauf meiner Atmung aufrechtzuerhalten. Aber davon abgesehen, war ich ganz erfüllt von der Einzigartigkeit dieses Moments. Aus dem ganzen deutschen Sprachraum hatten sich Schreibende um dieses neue Stipendium beworben. Die Chance, mit meinen LKW-Gedichten in die Phalanx der renommierten Dichter einzudringen, war in meiner ganz persönlichen Einschätzungsskala bei null hoch minus null gelegen.

    Aber ich hatte mich trotzdem beworben. Schließlich bewerbe ich mich seit Jahren um jeden Literaturpreis. Solche Teilnahmen sind bei mir so obligat geworden wie das Ausfüllen und Abgeben meines wöchentlichen Lottotipps. Aber ich hätte hundert Mal eher mit einem Lottogewinn gerechnet als mit der Zuerkennung dieses Stipendiums. Immerhin war damit nicht nur ein Monat Aufenthalt in einer imposanten Forst-Immobilie verbunden. Angeblich winkten dem Gewinner auch echte Geldscheine als Lebenshaltungszuschuss. Was das größte Wunder war. Auf den literarischen Feldern schmolzen die Zuwendungen ja noch schneller als das Eis auf den österreichischen Gletschern. An die Stelle der Zahlung traten höherwertige Anerkennungsformen. Händeschütteln zum Beispiel oder Schulterklopfen. Aber Geld, richtige Scheine, waren Mangelware geworden. Umso mehr freute ich mich über den in Aussicht gestellten Zuschuss, der für meine Begriffe wirklich großzügig war. Seit Beginn meiner Reimerei hatte ich nichts als Verluste gehabt. Siebzig Mal hatte ich meinen ersten, nie gedruckten Gedichtband »Asphaltwald so kalt« kopiert und an achtundsechzig Verlage geschickt. Ein Exemplar hatte ich behalten und das andere meiner Mutter geschenkt. Sie ist nicht nur der einzige Mensch auf der Welt, der alle meine Gedichte gelesen hat, außer ihr gibt es auch niemanden, der eines davon auswendig kann. Als sie mir eines Tages mein Gedicht »Pneuelgräuel« so ganz nebenbei vortrug, wäre ich beinahe in Tränen ausgebrochen. Was würde sie erst sagen, wenn sie von meinem Preis erfuhr?

    »Übrigens ist das Mail schon zwölf Tage alt«, unterbrach Hulda meine mentale Himmelfahrt.

    »Was?!«, schrie ich auf, als hätte mich ein Cowboy mit einem seiner Rinder verwechselt und mir einen Brandstempel mit der weißglühenden Zahl Zwölf in die Arschbacke gerammt. »Das ist unmöglich, das kann einfach nicht, wieso haben wir nicht …«

    »Wir waren im Urlaub«, erinnerte Hulda mich ruhig.

    »Aber wieso?«

    »Du willst von mir wissen, wieso wir im Urlaub waren?«

    »Nein, ich will … warum, ich meine, wieso geht sich das genau so aus, dass …«

    »Beruhige dich«, sagte Hulda, »ist ja keine Tragödie.«

    »Ja, sicher«, bestätigte ich mechanisch, »bestimmt nicht … das ist nur die Apokalypse.«

    Mit einem Bein stand ich auf dem Gehsteig, mit dem anderen mitten in meinem ganz persönlichen Weltuntergang. Soeben erblüht, versank das filigrane Veilchen meiner Poesie schon wieder im Schlamm der üblichen Bedeutungslosigkeit. Zwölf ganze Tage, von denen wahrscheinlich jeder Einzelne vierundzwanzig Stunden gedauert hatte. Und zwölf mal vierundzwanzig mal sechzig Minuten mal sechzig Sekunden ergab die schier unendliche Zahl an Gelegenheiten zur Preisannahme, die ich alle nicht genutzt hatte. Die Mail-Botschaft vom Sieg stammte direkt aus der mittleren Steinzeit. So lange hatte ich es nicht der Mühe wert befunden, mich onzuleinen und einfach Ja zu sagen! So lange hatte sich der hohlhirnige Medienverweigerer in mir ahnungslos im Glanz seiner moralinsauren Phrasen gesonnt: »Wissen Sie, ich gehöre zu denen, die noch immer kein eigenes Handy besitzen. Ganz selten, nur im äußersten Notfall, leih ich es von meiner Frau. Genau. Und Fernseher hab ich auch keinen. Ich geh auch nicht ins Internet, höchstens alle zwei, drei Wochen. Und eines muss ich schon sagen, ich fühle mich ziemlich alleine im Kampf gegen die Gigasysteme, aber ich tu halt mein Bestes.«

    Noch immer stand ich bewegungslos auf dem Gehsteig mitten in der Stadt. Diesmal hatte ich es richtig vergeigt. Das mit der Steinzeit war vielleicht ein wenig übertrieben, eine verständliche Überreaktion in einer Ausnahmesituation. Aber ganz nüchtern betrachtet, bedeuten zwölf Tage Schweigen heutzutage tatsächlich einen kaum überschaubaren Zeitraum. Wenigstens drei Epochen – Gotik, Renaissance plus eine Zwischeneiszeit. Insgesamt also mehr als genug Zeit, um den Preis mangels Reaktion des ersten einem zweiten Preisträger zuzusprechen, der natürlich vernetzt ist und sofort dankend annimmt. Und wenn ich jetzt noch anrufe, sind alle schon ganz erstaunt und spürbar reserviert – niemand kann sich noch erinnern, dass ursprünglich ich …

    »Telefonnummer – da muss es doch irgendwo eine Telefonnummer geben«, würgte ich in den Hörer.

    »Klar gibt es die«, sagte Hulda aufgeräumt und gab mir die Nummer eines gewissen Herrn Kompudl. Er war verantwortlich für die Organisation und den reibungslosen Ablauf des Wettbewerbs. In meiner Vorstellung fiel die Chance, ihn einfach so ans Telefon zu bekommen, sofort in die Kategorie Weihnachtswunder im Sommer. Ich wählte zittrig, aber, wie zu erwarten, geschah nichts. Anstelle einer menschlichen Stimme schwappte der mechanisch genäselte Name der Telefonfirma über mir zusammen. Das Tor der Kompudl’schen Mailbox öffnete sich. Ich sprudelte sofort los: »Ja, hallo, Herr Kompudl, ich bin’s, danke, vielen Dank … ich meine, für den Preis, also, natürlich nehme ich gerne an, es war nur so, übrigens – hab ich mich schon vorgestellt? Knoll, Hugo. Ja, ich freu mich total, bin jetzt jederzeit erreichbar unter … es war, wie gesagt, nein, ich hab’s noch nicht gesagt, also, es war, wie nicht gesagt, nur so, ich war im Wald, Sie verstehen, campen, im Austriabusch, also nicht australisch, sondern österreichisch, weit und breit kein Internet, nur Buschtrommeln, haha, kleiner Scherz, jedenfalls – es gab keine Möglichkeit, jetzt erst, die Welt hat mich wieder, ich meine, die Zivilisation, weil die Welt hat einen ja sowieso immer am Ar… Hals, nämlich in Linz, da wurde ich geboren und jetzt wieder, ich meine nicht wiedergeboren, sondern wieder angekommen, zurück in der Heimat und – Sie wissen wahrscheinlich, wie das ist, obwohl, also, was ich sagen will, Sie können sich vielleicht vorstellen, wie …«

    Aus. Ende. Plötzlich schwebte ich in einer nirwanaartigen Leere. Kein Wunder. Auch bei virtuellen Hochsprungwettbewerben gab es eine untere Einstiegshöhe. Die hatte ich nicht erreicht. Bei Weitem nicht. Einen Moment lang sah ich das sogar positiv. Niemand hat dein Gestammel gehört. Und selbst wenn es doch jemand hören sollte – daraus kann er bestimmt nicht schlau werden. Du hast also noch eine zweite Chance … genau. Warum auch nicht? War ja logisch, dass man gerade im Sommer einmal ein, zwei Wochen Urlaub macht und nicht erreichbar ist, und so kluge Leute, die so einen Wettbewerb ins Leben rufen, die rechnen mit Fremdurlaub, bestimmt. Alles war gut. Verdammt, verdammt, verdammt.

    »Herr Kompudl, warum sitzen Sie nicht einfach in Ihrem Büro? Wissen Sie überhaupt, dass nur eines meiner Gedichte jemals gedruckt wurde? Vor zwanzig Jahren in unserer Maturazeitung. Seither habe ich es genau vierhundertfünfundneunzig Mal versucht. So oft habe ich mich in den letzten zwanzig Jahren für Preise, Stipendien, Verlage, Literaturzeitungen und diverse Foren beworben. Und nicht ein einziges Mal gab es irgendeine erwähnenswerte Reaktion. Abgesehen vom blanken Hohn mancher Lektoren. Wenn überhaupt, dann lesen diese sogenannten Experten nur so lange unverlangt eingesandte Manuskripte, bis sie zu der Stelle kommen, an der ihre vorauseilende Ablehnung endlich exemplarisch bestätigt wird. Aber jetzt, in diesem heiligen Moment meines Lebens, bin ich dieser Inquisition entfleucht. Durch die Lappen geflattert. Und angekommen. Dank Ihnen. Und dank der Jury. Offensichtlich hat sie den Gehalt meiner Lyrik erfasst. Wahrscheinlich war es der Eindruck meines Hauptwerkes »Felgen schwelgen«, der letztendlich den Ausschlag gab, obwohl … wie auch immer, Herr Kompudl, Sie als der kompetente Organisator ahnen ganz sicher auch, warum ich mich bis jetzt nicht melden konnte. Also kann ich es entspannt angehen, Ihnen vom nächsten Internetcafé aus ein klärendes Mail schicken und mich dann in aller mir möglichen Ruhe ein paar Stunden hinsetzen. Weil hinlegen, geschweige denn, schlafen, ist in meinem Zustand unmöglich. Solange meine eigenen Ohren nicht Ihre ganz persönliche Bestätigung hören, schwebe ich in der Warteschleife zwischen Leben und Tod. Aber ich bin guter, ja, bester Hoffnung. Alles wird gut, nicht wahr?«

    Das alles hatte ich noch ins Telefon geflüstert, obwohl niemand am anderen Ende der Leitung war. Erst danach nahm ich Abschied von meinem erfundenen Gegenüber und sprach wieder mit mir selbst.

    Geh endlich los, schreib das Mail, bessere dein Gestammel aus, so klar und deutlich, bis alle verstehen, wie sehr du den Preis annimmst, mit dem du überhaupt nicht gerechnet hast, und schau nach links und rechts und wieder links, bevor du auf die Straße springst und einen Milchlaster ramponierst. Nur noch dieses Sträßchen, dort drüben leuchtet sie schon, die wundersame Pforte des Internetcafés. Knie nieder, kleiner Ali Baba, und öffne den Sesam, langsam – vergiss nicht auszuatmen – zwäng dich in eine der romantischen Kojen und stell den kippengespickten Aschenbecher auf den Nachbartisch. Klemm dir ein Buddhalächeln in die untere Gesichtshälfte. Blicke gütig hinweg über die fünf wichtigsten, vom FC Hotlineschweiß niedergetrampelten und ausradierten Buchstaben. Erklär es dem lieben Herrn Kompudl noch einmal ganz unaufgeregt, logisch und sachlich. These: der mir zugesprochene Preis. Antithese: zwölf stille Tage. Synthese: Biiiiiiitte! Und rund um diesen Kern ein paar ausgefeilte, nette Kleinschachtelsätze. Noch ist es nicht … die wissen doch alle, gerade im Sommer … sind ja bestimmt selbst irgendwo im … mein Gott, und wenn es doch schon zu spät ist?

    Lyrischer Durchbruch

    »Du warst gerade vierzehn Tage auf Urlaub«, stellte mein Chef nüchtern fest.

    »Ja, schon, aber so ein Stipendium krieg ich einmal und nie wieder! Das ist die Chance meines Lebens.«

    »Für was?«

    »Für meinen lyrischen Durchbruch.«

    Heinrich saß hinter seinem krimskramsübersäten Schreibtisch und taxierte den Raum neben meinem linken Ohr. Mein Chef war bekannt dafür, dass er Leuten nie direkt ins Gesicht sah, sondern seine Aufmerksamkeit ihren Astralkörpern zuwandte. Dank dieser Taktik hatte er eine Art unsichtbaren Komplizen, der ihm die wahren Absichten des Gesprächspartners hinterrücks zu übersetzen schien. In meinem Fall war das Anliegen klar, aber der Grund dafür lag noch im Dunkeln. Also stellte Heinrich eine ganz einfache Frage: »Was soll das sein, ein lyrischer Durchbruch?«

    Um Nachdenkzeit zu gewinnen, wechselte ich etwas umständlich Stand- und Spielbein. Wie sollte ich meinem Chef etwas erklären, das mir selbst gleichzeitig absolut klar und dennoch vollkommen rätselhaft war? Natürlich hätte ich es auch auf die weiche Tour machen und ihm eines meiner Gedichte vortragen können. Dass Heini lyrisch nicht ganz unempfänglich war, bewies der Singsang, den er immer wieder einmal anstimmte, wenn eines seiner Lieblingslieder aus dem Radio dudelte. Aber Lieder und Gedichte waren das eine, und Busfahren war das ganz andere. Und dazwischen klaffte der Marianengraben. Und weil Heini ein guter Chef war, nahm er einfach sein Recht auf einen Balken in Anspruch, den ich über diesen Graben legen sollte. Was mir ad hoc nicht möglich war. Alles, was ich in diesem Moment liefern konnte, waren vernehmliche Seufzer, in der Hoffnung, dass die Tiefe dieser Gefühlsäußerung ihm das erhellen würde, was ich ihm verbal nicht mitteilen konnte. Dieser Akt der Verzweiflung funktioniert sehr selektiv. Bei Männern so gut wie nie, bei Tieren immer, bei Frauen manchmal. Heini war nicht nur ein Mann, er war die Steigerungsstufe davon, er war ein Busunternehmer, der selbst noch fuhr. Als solcher hatte er einen Terminkalender mit der spezifischen Dichte von Stahlbeton. Und in diesem Material war ich gewissermaßen schon mit eingegossen. Heinrich hatte mit mir gerechnet, mich schon eingeteilt und meine Routen festgelegt. Auf Monate im Voraus. Mein Ersuchen, nach der Rückkehr aus einem vierzehntägigen Urlaub gleich wieder achtundzwanzig Tage freizubekommen, das war etwas, das er so noch nie erlebt hatte.

    »Ich kann dich schon freistellen«, begann Heini, »aber dann muss ich jemand anderen einstellen. Und du weißt, was das bedeutet.«

    »Kannst du das Ganze nicht ausnahmsweise als eine Art Krankenstand betrachten? Stell dir einfach vor, ich hätte einen Unfall gehabt und wäre anschließend auf Kur gegangen.«

    »Hugo«, sagte Heini zum ersten Mal in seinem Leben. Aus seinem Mund klang das wie eine Shakespeare’sche Liebeserklärung, in der nur noch der Balkon fehlte. Ich war völlig baff und fühlte mich rhetorisch entwaffnet. Bis zu diesem Moment hatte er mich, wenn er mich direkt ansprach, bestenfalls He genannt. Einmal war ich auch zufälliger Zeuge eines Bürogesprächs geworden, bei dem er mich als den Ding bezeichnet hatte. Mir war gleich klar gewesen, dass er das nicht absichtlich tat, sondern aus dem für ihn typischen Aufmerksamkeitsnotstand heraus. Er musste sich – zum Wohl der Firma – so viele andere Dinge merken, dass seine Ressourcen dort, wo es einen Spielraum gab, natürlich erschöpft waren. Also nannte er nicht nur mich, sondern alle Mitarbeiter der, die oder den Ding, wohl wissend, dass sein Gegenüber, unsere Sekretariatsperle, selbstverständlich genau wusste, wer damit gemeint war. Als zuvorkommender Arbeitnehmer muss man einem derart arbeitsamen Brotgeber solche verbalen Unschärfen nachsehen. Allerdings fand ich es schade, dass wir keinen chinesischen Mitarbeiter hatten, der tatsächlich Ding hieß.

    Wie zu erwarten, folgte auf den Zuckerkringel der Essigschwamm. Heinrich sagte, sorgenvoll und bestimmt: »Du lässt mir keine Wahl.«

    »Aber ich hab doch selber bis vor dreißig Stunden nicht gewusst, dass ich diesen Preis bekommen werde. Und den muss ich jetzt sofort antreten. Wenn ich am Montag nicht im Pinzgau bin, wird das Stipendium jemand anderem zugesprochen. Glaubst du, ich hätte den Organisator nicht um Aufschub gebeten? Aber da war nichts zu machen, gar nichts. Sie müssen das Stipendium jetzt sofort starten. Weil der, der es ausgelobt hat, irgend so ein Graf, der ist auch nicht mehr der Jüngste. Der will das noch erleben, wie der von ihm gesponserte Preis zum ersten Mal vergeben wird. Und auch die anderen Beteiligten warten schon ziemlich gespannt auf ihren neuen Forsthausdichter.«

    »Forsthausdichter?«, wiederholte Heini so ungläubig, als hätte er bei einem Volkshochschulkurs für Grönländisch soeben sein erstes Wort gelernt. Dann wandte er sich wieder an meinen Astralkörper. »Und was sagt deine Holde dazu?«

    »Freut sich«, murmelte ich.

    »So mein ich das nicht«, korrigierte Heini. »Was sie dazu sagt, möchte ich wissen, wenn du schon wieder einen Job hinschmeißt?«

    Heini kannte meine alte Wunde. Er wusste, dass ich zehn Jahre lang als LKW-Fahrer gearbeitet hatte, bevor ich in seine Firma gewechselt war, für die ich mittlerweile auch schon wieder einige Jahre tätig war.

    »Also, geht gar nichts mit Krankenstand?«, überging ich das leidige Thema.

    »Es geht um Solidarität!«, sagte Heini. »Ich kann nicht hergehen und jemanden für ein paar Wochen einstellen, und dann, wenn der eingearbeitet ist, sag ich zu ihm, du, nichts für ungut, aber jetzt kommt wieder der andere. So geht das nicht. Meine Leute können sich auf mich verlassen. Muss aber umgekehrt auch so sein. Sonst funktioniert es nicht. Hast du schon was in Aussicht?«

    »Wie meinst du das?«

    »Arbeitsmäßig. Wenn du zurückkommst. Was machst du dann?«

    »Darüber hab ich noch nicht nachgedacht … ich war mir sicher, dass du mich nicht fallen lässt.«

    »Es ist genau umgekehrt, Hugo«, wurde der Chef ärgerlich. »Du lässt mich sitzen. Das wollen wir mal ganz klar festhalten. Und jetzt haben wir genug gequatscht. Wenn du vier Wochen freihaben willst, dann musst du kündigen. Und ich denk erst dann über eine Wiedereinstellung nach, wenn irgendwas frei wird. Aber, Hugo, ich werd sehr genau darüber nachdenken. Weil Mitarbeiter, die nach vierzehn Tagen noch einmal einen Monat freihaben wollen, so was ist auf Dauer für keinen Unternehmer tragbar.«

    »Du schickst mich also direkt zu Kronsky?«

    Heini schnaubte.

    »Verdammt, Hugo, ich schick niemanden wo hin. Du selbst entscheidest, für wen du in

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1