Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Debatten zur Kulturgeschichte der Physik: Von Demokrit zu Dürrenmatt
Debatten zur Kulturgeschichte der Physik: Von Demokrit zu Dürrenmatt
Debatten zur Kulturgeschichte der Physik: Von Demokrit zu Dürrenmatt
eBook475 Seiten4 Stunden

Debatten zur Kulturgeschichte der Physik: Von Demokrit zu Dürrenmatt

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Fortschritt in der Physik erfolgte meist erst nach heftigen Auseinandersetzungen und Diskussionen. Auch wenn sich dann eine Auffassung als Lehrmeinung durchsetzte und die Gegner langsam ausstarben, so starben die Ideen nur selten. In 32 Debatten wird dieser Aspekt der Physikgeschichte aufgezeigt.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum20. Juni 2018
ISBN9783746021249
Debatten zur Kulturgeschichte der Physik: Von Demokrit zu Dürrenmatt
Autor

Otto Sager

Otto Sager; Dr.sc.nat., geboren in Zürich, humanistisches Gymnasium in Einsiedeln. Studium der Physik an der ETH-Zürich. Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Hochfrequenztechnik der ETH, später Ingenieur-Physiker in der Industrie. Weiterbildung in Betriebswirtschaft, Mitglied der Konzernleitung in einem schweizerischen Industriekonzern. Später war er in der Management-Ausbildung tätig. Im Ruhestand verfasste er verschiedene Bücher zur Geschichte der Naturwissenschaften. Otto Sager ist verheiratet und Vater zweier erwachsenen Söhne. Er lebt in Zollikon bei Zürich.

Ähnlich wie Debatten zur Kulturgeschichte der Physik

Ähnliche E-Books

Sozialwissenschaften für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Debatten zur Kulturgeschichte der Physik

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Debatten zur Kulturgeschichte der Physik - Otto Sager

    Zu diesem Buch

    Jede Zeit hat ihre eigene Physik und Physiker sind Kinder ihrer Zeit. Physiker entwickeln Theorien und Modelle, sie machen Experimente und beobachten Naturphänomene. Nur selten sind ihre Ideen und Interpretationen aber unumstritten. Der Fortschritt in der Physik erfolgte meistens erst nach heftigen Auseinandersetzungen und Diskussionen. Daraus ergab sich dann eine Lehrmeinung, die vom Grossteil der Physiker geteilt wurde. Aber Ideen sterben nicht und kommen später wieder in gewandelter Form an die Oberfläche. Darüber soll im Folgenden berichtet werden, wobei dies in Form von Debatten dargestellt wird. Einige der Debatten fanden zwischen den Physikern statt, welche diese Ideen als erste entwickelt haben; die meisten aber fochten die Anhänger der verschiedenen Interpretationen aus, wobei diese nicht weniger heftig sein mussten.

    Natur oder Kultur?

    Natur bezeichnet das, was nicht vom Menschen geschaffen wurde. Die Naturgeschichte beschreibt die Veränderungen der Natur im Verlaufe der Jahrhunderte. Dagegen ist Kultur alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt. Dazu gehören nebst der bildenden Kunst, Musik und Sprache auch Landwirtschaft und Technik, sowie Recht, Wirtschaft und Religion. Auch die Geisteswissenschaften gelten als Teil der menschlichen Kultur. Wie steht es mit den Naturwissenschaften? Ein Teil beschreibt die verschiedenen Phänomene, welche man in der Natur beobachten kann und ordnet sie nach bestimmten Kriterien. Andere wie die Chemie bauen aus den Grundelemente neue Produkte. In der Physik will man die Naturgesetze erforschen. Dazu führt man in einer selbsterstellten Umgebung Experimente durch, wobei durch Einschränkungen viele natürliche Störeffekte unterdrückt werden. Die Resultate werden in mathematischer Sprache beschrieben, wobei Mathematik eine Schöpfung des menschlichen Geistes ist. Die Geschichte der Physik ist deshalb Teil der Kulturgeschichte.

    Inhalt

    Vorwort

    Teil 1 Physik als Teilgebiet der Philosophie

    Die Demokrit-Zenon von Kition – Debatte

    Atome oder Kontinuum?

    Die Aristoteles-Archimedes – Debatte

    Philosophie oder Physik?

    Die Thomas-Ockham – Debatte

    Realismus oder Nominalismus?

    Die Ptolemäus-Kopernikus – Debatte

    Geozentrisch oder heliozentrisch?

    Teil 2 Debatten auf dem Weg zur klassischen Physik

    Die Galilei-Kepler – Debatte

    Messungen oder Berechnungen?

    Die Descartes-Bacon – Debatte

    Deduktiv oder induktiv?

    Die Newton-Leibniz – Debatte

    Absoluter oder relationaler Raum?

    Die Faraday-Maxwell – Debatte

    Bildhafte oder abstrakte Physik?

    Die Boltzmann-Ostwald – Debatte

    Statistische oder phänomenologische Physik?

    Die Planck-Mach – Debatte

    Realisten oder Positivisten?

    Teil 3 Debatten zur Physik des 20. Jahrhunderts

    Die Einstein-Heisenberg – Debatte

    Relative oder unbestimmte Physik?

    Die Bohr-Schrödinger – Debatte

    Revolutionäre oder traditionelle Physik?

    Die Pauli-Scherrer – Debatte

    Theoretische oder experimentelle Physik?

    Die Noether-Meitner – Debatte

    Mathematik oder Physik?

    Die Dirac-Bardeen – Debatte

    Mathematische oder pragmatische Physik?

    Die Feynman-Gell Mann – Debatte

    Reale oder virtuelle Physik?

    Die Hawking-Laughlin – Debatte

    Reduktionistische oder emergente Physik?

    Modelle

    Teil 4 Physik als Basis für andere Fachgebiete

    Die Lesch-Unzicker – Debatte

    Physik und Kosmologie

    Die Millikan-Pauling – Debatte

    Physik und Chemie

    Die Delbrück-Watson – Debatte

    Physik und Biologie

    Die Zuse-Shannon – Debatte

    Physik und Informatik

    Die Ziegler-Yorke – Debatte

    Physik zwischen Ordnung und Chaos

    Die Rohrer-Moulton – Debatte

    Physik und Engineering

    Die Röntgen-Dessauer – Debatte

    Physik und Medizin

    Die Langmuir-Sacharow – Debatte

    Physik und Energietechnik

    Teil 5 Physik und Gesellschaft

    Die Popper-Kuhn – Debatte

    Wissenschaftstheorie und Physik

    Die Zwicky-Vester – Debatte

    Klimawandel und Physik

    Die von Weizsäcker-Feynman – Debatte

    Philosophie und Physik

    Die Goethe-Newton – Debatte

    Kunst und Physik

    Die Jung- Pauli – Debatte

    Psychologie und Physik

    Die Bohr-Heisenberg – Debatte

    Weltpolitik und Physik

    Die von Zahnd-Möbius – Debatte

    Dürrenmatts Physiker

    Glossar

    Zeittafeln

    Personenverzeichnis

    Wir müssen uns daran erinnern, dass das, was wir beobachten, nicht die Natur selbst ist, sondern Natur, die unserer Art der Fragestellung ausgesetzt ist.

    (Werner Heisenberg)

    Wir müssen unbedingt Raum für Zweifel lassen, sonst gibt es keinen Fortschritt, kein Dazulernen. Man kann nichts Neues herausfinden, wenn man nicht vorher eine Frage stellt. Und um zu fragen, bedarf es des Zweifelns.

    (Richard Feynman)

    Vorwort

    ‚Und sie bewegt sich doch‘, soll der Legende nach Galileo Galilei nach seiner Verurteilung gemurmelt haben. In der Kulturgeschichte der Physik gab es immer solche Situationen, bei denen ein Dogma oder eine dominierende Lehrmeinung vorherrschte und man der Überzeugung war, dass nun alles bekannt sei. Als Max Planck Physik studieren wollte, riet ihm sein Professor mit der Bemerkung ab, dass ‚in dieser Wissenschaft schon fast alles erforscht sei, und es gelte nur noch, einige unbedeutende Lücken zu schliessen‘. Heute glauben viele, dass man bald eine grosse vereinheitlichte Theorie habe, die dem Standardmodell der Elementarteilchen zugrunde gelegt werden könne. Und nach einiger Zeit werde man auch eine Theorie der Quantengravitation entwickeln können, sodass einer Weltformel nichts mehr im Wege stehe. Solche Aussagen sind Anzeichen für eine sich anbahnende Krise. Mit diesem Buch möchte ich aufzeigen, dass die Physikgeschichte von den Auseinandersetzungen über verschiedene Grundauffassungen vom Wesen der Natur geprägt wurde. Oft hat sich dann eine Auffassung als Lehrmeinung – als ‚Mainstream‘ – durchgesetzt, während die andere in den Hintergrund gedrängt wurde. Dazu eine Aussage von Max Planck: „Eine grosse wissenschaftliche Idee pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner allmählich überzeugt und bekehrt werden, sondern viel mehr in der Weise, dass die Gegner allmählich aussterben!" Hier irrte Planck: Die Gegner mögen aussterben, aber Ideen sterben nur selten. Vielfach ersteht die unterlegene Grundauffassung später – oft in gewandelter Form – wieder. So findet man zum Beispiel die fünf Platonischen Körper in neueren Büchern wieder, um auf mögliche Extradimensionen hinzuweisen. In diesem Buch lasse ich deshalb auch Ideen von Physikern zu Worte kommen, welche nicht die momentan vorherrschende Lehrmeinung vertreten.

    Zwei Themen treten immer wieder in der Kulturgeschichte der Physik auf. Beim ersten Thema geht es um die Frage nach der Existenz einer vom menschlichen Bewusstsein unabhängigen Aussenwelt. Wenn wir dies bejahen, dann muss die Physik von allen anthropischen Elementen befreit werden. Die zweite Frage ist mit der ersten verwandt: ‚Kann das menschliche Gehirn, welches von der Evolution zuerst dazu ausgestattet wurde, in einer oft feindlichen Umwelt zu überleben, alle Vorgänge und Phänomene in der Natur verstehen?‘ – Diese Frage spielt bei der Interpretation der Quantenphysik eine zentrale Rolle.

    Im vorliegenden Buch werden in den ersten drei Abschnitten Debatten beschrieben, die zu ihrer Zeit von grosser Wichtigkeit waren. Sie sind unter den Titeln ‚Physik als Teilgebiet der Philosophie‘, ‚Auf dem Weg zur klassischen Physik‘ und ‚Die Physik des 20. Jahrhunderts‘ zusammengefasst. Physikalisches Denken und physikalische Messmethoden hatten auch Auswirkungen auf Fachgebiete wie die Chemie, die Biologie und die Kosmologie. Davon handelt der vierte Teil. Zusätzlich wird auch einen Einblick in das Arbeiten der Ingenieur-Physiker in der Industrie und beim Bau grosser Anlagen gegeben. Im letzten Teil soll aufgezeigt werden, wie andere Leute über die Physik und die Physiker denken. Dies beginnt mit der Aussage von Karl Popper, dass eine physikalische Theorie solange als nützlich anzusehen sei, als sie nicht falsifiziert wurde. Auch Goethes scharfe Kritik an der Lichttheorie von Newton gehört in diesen Teil. Ein Kommentar zu den Physikern aus der Komödie von Dürrenmatt bildet den Abschluss dieses Buches.

    Bei der Auswahl der Debatten habe ich Themen gewählt, denen ich in verschiedenen Büchern und Artikel begegnet bin. Das vorliegende Buch ist kein wissenschaftliches Geschichtsbuch. Zudem mischten sich zwangsläufig subjektive Elemente ein; dies beginnt mit der Auswahl der Themen, wobei diese aus heutiger Sicht beschrieben und beurteilt werden. Ich habe die Debatten an Namen geknüpft, da Namen und Menschen der Leserin und dem Leser wohl geläufiger sind als abstrakte Begriffe, die dann in den Debatten abgehandelt werden. Einige dieser Debatten fanden direkt zwischen den Kontrahenten statt. Ein Beispiel ist die Boltzmann-Ostwald – Debatte. Bei anderen Debatten lebten die Exponenten in anderen Jahrhunderten, und es waren ihre Schüler oder Anhänger, die über die Wahrheit stritten. Das schönste Beispiel findet man im ‚Dialogo‘ von Galileo Galilei, bei dem ein Anhänger des ptolemäischen mit einem Vertreter des heliozentrischen Weltbilds diskutiert. Ich habe jeweils die Exponenten nur kurz porträtiert, da das Hauptgewicht des Buches auf dem Wettstreit der Ideen liegt. Ausführlichere Beschreibungen findet man zum Beispiel in den Büchern von E.P. Fischer, die ich mit grossem Vergnügen gelesen habe, oder im Wikipedia, dem Lexikon im Internet. Die einzelnen Debatten sind so verfasst, dass man sie für sich alleine lesen kann. Damit gibt es Redundanzen, sodass die eine oder andere Aussage in gleicher oder ähnlicher Form an verschiedenen Stellen des Buches vorkommen kann. Mit diesen Erläuterungen hoffe ich, dass nun auch meine Leserinnen und Leser das vorliegende Buch mit Vergnügen lesen werden.

    Zollikon, im Mai 2018 Otto Sager

    Teil 1: Physik als Teilgebiet der

    Philosophie

    Einleitung

    Die heutige theoretische Physik steht weitgehend in der Tradition der griechischen Philosophie. So basiert die Theorie der Elementarteilchen auf Symmetrieüberlegungen, welche in mathematischer Sprache formuliert werden. In der Antike waren die Pythagoreer der Meinung, der gesamten Weltordnung lägen Zahlenordnungen zugrunde. In seinem Werk ‚Timaios‘ sagte Platon, dass die physikalischen Körper aus den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft aufgebaut seien. Diesen seien jedoch geometrische Objekten zugeordnet, die durch einfache Zahlenverhältnisse gegeben sind. „Damit leitet Platon eine spezifische Tradition in der Physik ein, die bis in die Gegenwart andauert und in der versucht wird, die gesamte Physik in der einen oder anderen Form auf Geometrie zu reduzieren." (N. Sieroka) Nebst den Philosophen hatte Euklid, der um 300 v.Chr. in Alexandria lebte, einen gewaltigen Einfluss auf das abstrakte Denken. Seine axiomatische Methode wurde zum Vorbild für die gesamte spätere Mathematik.

    C.F. von Weizsäcker, der von der theoretischen Physik herkam und später Professor für Philosophie wurde, ging mit seinen Überlegungen zum Verständnis der Quantenphysik auch auf die alten Griechen zurück. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der heutigen Physik und den Theorien der Philosophen liegt darin, dass physikalische Theorien durch Experimente überprüft werden müssen. Erst dadurch werden sie ‚richtig‘ oder ‚falsch‘. Die Philosophen der Antike – von den ‚Vorsokratikern‘ bis zu den Philosophen in Rom – suchten dagegen durch reines Nachdenken nach einer Erklärung der Naturphänomene. Ihre Ansichten konnte man akzeptieren oder verwerfen; man konnte und wollte sie jedoch nicht überprüfen. So entstanden verschiedene philosophische Schulen und physikalische Theorien, die über Jahrhunderte nebeneinander existierten.

    Im Mittelalter beherrschten die Aussagen von Aristoteles die naturwissenschaftlichen Vorstellungen der Menschen. Sie passten auch gut in das biblische Weltverständnis eines Thomas von Aquin. Das Mittelalter war nicht nur ‚dunkel‘ und eine Zeit des Stillstandes. Durch Gründung der Universitäten in verschiedenen Landesgegenden entstand eine gelehrte Oberschicht. Nebst den philosophischen Fächern lernte man Logik, Rhetorik und Dialektik. Dabei mussten die Schüler ihre Thesen in Debatten verteidigen, bevor sie einen Titel wie Magister oder Doktor bekamen. Für diese Art der Bildungseinrichtungen gab es kein Vorbild in der Antike. Eine weitere positive Entwicklung im Mittelalter ist das Entstehen der Zünfte, in denen sich die Handwerker in den Städten zusammenschlossen. Sie waren die Träger des technischen Fortschritts und es gelang ihnen, neue Geräte zur Erleichterung ihrer Arbeit zu entwickeln. Theorie und Praxis konnten sich damit soweit entwickeln, dass im 17. Jahrhundert eine wissenschaftliche Revolution stattfand, wobei die Physik sich als eigenständige Disziplin neben der Philosophie etablieren konnte.

    Die Demokrit-Zenon von Kition – Debatte

    Atome oder Kontinuum?

    Zum Thema

    Demokrit von Abdera und Zenon von Kition versuchten die Naturvorgänge rational zu erfassen, um darauf ein logisch konsistentes Bild der Natur zu konstruieren. Ihr Ansatz ging von der Ratio aus: Durch Nachdenken – und weniger durch Beobachtung oder gar Experimente – sollte so eine stimmige Erklärung gefunden werden. Dies ist die Denkweise aller griechischen Philosophen, auch wenn sie sich zu physikalischen Problemen äusserten. Beide entwarfen eine physikalische Theorie, die bis heute immer wieder in gewandelter Form das physikalische Denken beeinflusst. Dazu folgender Ausschnitt aus dem Buch ‚Der Weg der Physik‘ von S. Sambursky: „Der Prozess der Theoriebildung begann an einem Thema von zentraler Bedeutung für die gesamte Naturwissenschaft, nämlich durch die Ausarbeitung zweier gegensätzlicher physikalischer Systeme, der Atomistik und der Kontinuumslehre…………Bei beiden Systemen geht es um das Wesen der Materie und die Art und Weise physikalischer Wirkungen. Während die Atomlehre von Leukipp, Demokrit und Epikur auf der Partikelvorstellung aufbaut und mit den Konzepten von Stoss, Anordnung und Form assoziiert war, stand im Mittelpunkt der Kontinuumslehre der Stoiker die Vorstellung vom alldurchdringenden Pneuma, dem wissenschaftlichen Analogon des allgegenwärtigen Gottes, verbunden mit dem Begriff der Spannung und dem Prinzip der Superposition von Zuständen. Die beiden miteinander rivalisierenden Systeme waren die Vorläufer der jahrhundertelangen Antithese der Begriffe von Korpuskel und Feld."

    Porträts

    Demokrit wurde in Abdera in Thrakien um 460 v. Chr. geboren und verstarb anfangs des vierten Jahrhunderts vor Christus. Man zählt ihn zu den Vorsokratikern. Er reiste viel und hatte Kenntnisse über den ganzen Umfang des damaligen Wissens. Seine philosophische Lehre sollte bewirken, dass die Seele eine heitere Stimmung erlange und frei von Furcht, Angst und Hoffnung sei. Er bezeichnete dies als ‚Euthymia‘ (Wohlgemut) und sie ergibt sich aus der Erkenntnis des Wesens aller Dinge, die aus Atomen aufgebaut sind. Zudem gilt das richtige Mass als Wegweiser: „Wenn einer das Mass überschreitet, wird das Erfreulichste zum Unerfreulichen! „Wenn du nicht nach vielem begehrst, wird dir das Wenige viel erscheinen. Denn bescheidenes Begehren macht die Armut gleich stark wie der Reichtum! Demokrits Philosophie ist im Grunde materialistisch. Und der Materialismus hat auch heute noch viele Anhänger.

    Zenon von Kition wurde um 333 v. Chr. in Kition auf Zypern geboren und starb um 262 v.Chr. Er kam nach Athen und gründete dort seine philosophische Schule, die Stoa. Der Name stammt von der Säulenhalle beim Markt, wo sich Zenon mit seinen Schülern traf. Seine philosophische Lehre basiert auf der ganzheitlichen Welterfassung, aus der sich ein in allen Naturerscheinungen ein universell wirkendes Prinzip ergibt. Dies wirkt sowohl im Kosmos als auch in allen Individuen. Der Mensch sollte seinen Platz in diesem Ordnungssystem finden, sollte tugendhaft leben und nicht seinen Begierden nachgeben. Den Wechselfällen des Lebens sollte er mit ‚stoischer‘ Ruhe begegnen. Durch Kontrolle der Affekte und Indifferenz gegenüber Schmerz und Lust kann er die ‚Apatheia‘ und die Weisheit erlangen. Die Philosophie der Stoiker war in Rom Wegweiser für Leute wie Cicero (106-43 v. Chr.), Seneca (4 v. Chr.-65 n. Chr.) und für den Kaiser Marc Aurel (121-180). Cicero prägte den Begriff ‚Humanismus‘, der für eine Weltanschauung steht, die den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt rückt. Auch heute noch sind die Werte des Humanismus für viele Menschen zentral.

    Das physikalische Weltbild

    Demokrit nahm weder eine Kraft oder einen Geist an, der in die Naturprozesse eingreift. Das Einzige, was es gibt, sind die Atome und der leere Raum. Die Atome unterscheiden sich durch Form und Grösse. Die Atome bewegen sich im Raum, stossen aneinander, wodurch sämtliche Erscheinungen in der Welt hervorgebracht werden. Es gibt keine Mischung der Substanzen, sondern nur die Verbindung und Trennung der Atome. Es gibt keine ‚Absicht‘; aber alles, was passiert hat eine natürliche Ursache, die in den Dingen liegt. Er stimmte auch Heraklit zu, dass alles in der Natur fliesst, das heisst, einem ständigen Wandel unterworfen ist. Ewig und unveränderlich sind einzig die Atome.

    Zenon und die Stoiker waren Monisten; für sie gibt es keinen Gegensatz zwischen ‚Geist‘ und ‚Stoff‘. Es gibt auch keinen Zufall; alles ergibt sich notwendigerweise aus den Naturgesetzen. Diese Kausalität ist bestimmend für ihr Weltbild. Aus einem Urfeuer – dem Aither – entstand alles Seiende. Aller ‚Stoff‘ ist durch die göttliche Vernunft – dem ‚Logos‘ – beseelt. Der Logos steht sowohl für Sprache als auch für Vernunft. Dabei ergeben sich klare Regeln für das Argumentieren, wobei der Dialektik (These – Antithese – Synthese) eine zentrale Rolle zukommt. Als ‚wahr‘ wird nur anerkannt, was aufgrund dieser Argumentation einleuchtet. Mark Aurel hat die Weltsicht der Stoiker wie folgt beschrieben: „Alles ist wie durch ein heiliges Band miteinander verflochten. Nahezu nichts ist sich fremd. Alles Geschaffene ist einander beigeordnet und zielt auf die Harmonie der Welt. Ein alles durchdringender Körperstoff bewirkt ein Gesetz, eine Vernunft und eine Wahrheit."

    Nachwirkungen in der Physik

    Demokrits Atomtheorie trat über Jahrhunderte in den Hintergrund. Dominierend war die Lehre des Aristoteles, der die vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde als zentral ansah. Newton interpretierte dann das Licht als Strom von Korpuskeln und später in der Thermodynamik wurde die Vorstellung von Atomen wieder zentral. Seit dem Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts wird die Existenz von Atomen allgemein akzeptiert. Sie wurde durch den Nachweis von Elektronen, Protonen und Neutronen weiter verfestigt. Demokrits Atomlehre müsste eigentlich der Chemie zugeordnet werden. Dabei kennen wir gemäss dem Periodensystem eine grosse Zahl verschiedener Atome, die chemisch nicht weiter zerlegt werden können. Diese Atome gehen Verbindungen ein, wobei neue Substanzen entstehen. Wenn man die Verbindungen wieder auflöst, dann bleibt nichts als die Atome.

    Zenon und die Stoiker mussten bis ins neunzehnte Jahrhundert warten, bis ihre Ideen in der Thermodynamik in neuerer Form aufgenommen wurden. Energie und Entropie spielten dabei eine zentrale Rolle, wobei in einem geschlossenen System die Energie erhalten bleibt und die Entropie zunimmt. Die physikalische Chemie arbeitet mit Potenzialen, wenn sie chemische Reaktionen quantitativ erfassen will. Der wichtigste Vertreter dieser Sichtweise war Wilhelm Ostwald, der sie in einer grossen Debatte gegen Ludwig Boltzmann vertrat, welcher die Zustandsgrössen der Gase – Temperatur, Druck, Entropie – mit der Bewegung von Atomen oder Molekülen begründete. Grosse Bedeutung erlangten die Feldideen in der Elektrodynamik. Faraday führte den Begriff der Kraftfelder ein und Maxwell zeigte, dass sich die elektromagnetische Strahlung mit einer endlichen Geschwindigkeit ausbreitet. Dazu brauchte man ein Medium, den Äther, dessen Name dem Aither der Stoa entliehen war. Später wurde aufgrund von Experimenten die Ätherhypothese aufgegeben. Dafür hat jetzt das Vakuum ähnliche Eigenschaften wie der Äther. Laughlin meint dazu: „Die moderne, jeden Tag bestätigte Vorstellung des Raumvakuums ist die eines relativistischen Äthers. Wir nennen ihn nur nicht so, weil dies tabu ist." In neuester Zeit verfolgt Hans Widmer ähnliche Ziele wie die Stoa. In seinem Modell des konsequenten Humanismus stehen philosophische Fragen im Zentrum: Wie kann die Gesellschaft zweckmässig organisiert werden, sodass sich Menschen individuell entfalten können und ihr Glück finden? – Sein Modell umfasst verschiedene Stufen und es will nicht nur die materielle Welt erklären. Dazu gehören auch das Denken und das lebensförderliche Handeln. Basis der Überlegungen ist seine deduktive Physik. Dazu führt er wie die Stoiker neben Raum und Zeit das Kontinuum als a priori – Element ein. Damit sollen alle physikalischen Gesetze und Phänomene abgeleitet oder beschrieben werden. Das Modell des konsequenten Humanismus ist ein anthropozentrisches System. Es erklärt die Physik anders, macht aber keine zusätzlichen Vorhersagen, die experimentell überprüfbar wären. Es wird sich deshalb – wie alle philosophisch begründeten Systeme – kaum in der nüchternen Welt der Physik durchsetzen können.

    Literaturhinweise:

    Laughlin R.B. Abschied von der Weltformel. München 2007: Piper. Mason St., Geschichte der Naturwissenschaft. Bassum 1997: Verlag für Geschichte der Naturwissenschaft.

    Sambursky S. Der Weg der Physik: Texte von Anaximander bis Pauli 1975: Zürich: Artemis.

    Sieroka N., Philosophie der Physik. München 2014: Beck.

    Widmer H., Das Modell des konsequenten Humanismus. Zürich 2013: rüffer & rub.

    Die Aristoteles-Archimedes – Debatte

    Philosophie oder Physik?

    Zum Thema

    Zwei Städte prägten im Altertum das Denken über naturwissenschaftliche Themen: Athen und Alexandria. In Athen entstanden die grossen philosophischen Schulen: Platons Akademie und die Peripatetiker des Aristoteles. Platon (428-348 v.Chr.) war der Schüler von Sokrates (469-399 v.Chr.), der selbst nichts Schriftliches verfasst hat. Aristoteles (384-322 v. Chr.) war wohl der Philosoph, der die meisten Spuren bis hinein in die Neuzeit hinterlassen hat. Nach dem Niedergang von Athen wurde Alexandria in Ägypten zum Zentrum des naturwissenschaftlichen Denkens. In Alexandria wurde die Geometrie durch Euklid (330-260 v.Chr.) systematisiert. Aristarchos (310-230 v.Chr.) vertrat schon damals ein heliozentrisches System, welches auch auf Archimedes (287-212 v.Chr.) grossen Einfluss hatte. Nicht unerwähnt bleiben darf Claudius Ptolemäus (85-165 n.Chr.), der das nach ihm benannte geozentrische Weltbild perfektionierte. Archimedes kann als Gegenpart von Aristoteles gelten. Er war nicht nur ein experimenteller und theoretischer Physiker, sondern auch ein Ingenieur, und er hatte auf das Denken und Handeln der nachfolgenden Generationen einen ebenso wichtigen Einfluss. Auch wenn Aristoteles und Archimedes nie miteinander diskutieren konnten, so prallten ihre Ideen zur Zeit der wissenschaftlichen Revolution voll aufeinander. Für die Kirche und ihre Institutionen war Aristoteles die philosophische Autorität. Leonardo da Vinci und Galileo Galilei dachten und arbeiteten nach den Methoden von Archimedes. Der Höhepunkt der Debatte endete im Prozess gegen Galilei, der nach seiner Verurteilung gemurmelt haben soll „und sie bewegt sich doch!" Aristoteles und Archimedes, diese Giganten der Antike, sind aus der Geistesgeschichte nicht wegzudenken.

    Porträts

    Aristoteles wurde 384 v.Chr. in Stageira auf der Halbinsel Chalkidike geboren. Sein Vater war Leibarzt des makedonischen Königs und vermögend genug, um seinem Sohn ein Leben als Philosoph zu ermöglichen. Als 17-jähriger ging Aristoteles nach Athen und trat in die Akademie des Platons ein. Dort blieb er bis zum Tode seines Lehrers. Dann siedelte er nach Mytilene auf der Insel Lesbos um und begann seine Studien zu biologischen Problemen. Der makedonische König Philipp II berief ihn 342 v.Chr. nach Pella als Erzieher seines Sohnes Alexander, der dann als Alexander der Grosse in die Geschichtsbücher einging. Ab 334 v.Chr. ist Aristoteles wieder in Athen und begründet dort die peripatetische Schule. Die Peripatetiker wurden so genannt, weil sie bei ihren Diskussionen in einer Säulenhalle hin- und herschritten und ihre Gedanken austauschten. Als die Gefahr bestand, dass man ihm in Athen wie Sokrates den Prozess wegen Lästerung der Götter machen wollte, floh er nach Chalkis auf der Insel Euboia, wo er im Jahr 322 v.Chr. starb.

    Archimedes wurde 287 v.Chr. in der Hafenstadt Syrakus in Sizilien geboren. Sein Vater Pheidias war Astronom am Hofe des Königs. Bei einem längeren Aufenthalt in Alexandria studierte er dort Mathematik (Euklidsche Geometrie), Astronomie und Physik und war mit Eratosthenes befreundet. Dieser leitete dort die grosse Bibliothek und es gelang ihm, den Erdumfang zu berechnen. In Alexandria soll Archimedes die sogenannte ‚Archimedische Schraube‘ erfunden haben, eine Wasserhebevorrichtung, wie sie heute noch in Ägypten zum Einsatz kommt. Nach seiner Rückkehr nach Syrakus beschäftigte er sich mit Geometrie und Physik. Daneben musste er als Ingenieur viele Aufträge für den König erledigen. Um diese seine Tätigkeiten ranken sich viele Legenden. So musste er den Gold-Gehalt einer Krone des Königs überprüfen, wobei er an der Krone selbst keine Änderung vornehmen durfte. Als Archimedes in ein Bad stieg, entdeckte er, dass so viel Wasser aus der Wanne ausfloss, wie er mit seinem Körpervolumen verdrängte. Er soll aufgesprungen und nackt durch Syrakus gerannt sein und ‚Heureka‘ – ich hab’s gefunden – gerufen haben. Dieses sein ‚Archimedisches Prinzip‘ gestattete ihm dann, den Auftrag des Königs zu erfüllen. Weiter entwarf er Wurfmaschinen zur Verteidigung von Syrakus, als die Stadt von den Römern belagert wurde. Nach einer anderen Legende soll er auch mit Spiegeln die Segel der Römer in Brand gesetzt haben, was aber wohl kaum möglich war. Die Römer eroberten trotzdem Syrakus und Archimedes wurde von einem römischen Soldaten getötet. Nach der Legende war Archimedes mit einem mathematischen Beweis beschäftigt, wobei er Kreise in den Sand zog. Zum eindringenden Soldaten soll er ‚störe meine Kreise nicht‘ gesagt haben. Der dadurch erzürnte Soldat soll ihn deshalb wütend erschlagen haben.

    Das naturwissenschaftliche Weltbild des Aristoteles

    Die Philosophie des Aristoteles umspannt ein weites Wissensgebiet: Ontologie (Seinslehre), Logik, Biologie, Physik und Kosmologie, Ethik, Staatstheorie, Rhetorik und Dichtungstheorie. Aristoteles beobachtete zunächst einmal genau, was ihm vor die Augen kam, und entwickelte nachher dazu seine Theorien. Auch wenn wir uns hier zwar auf seine Aussagen zur Logik und Physik beschränken, so müssen wir doch die aristotelischen Axiome aus der Ontologie an den Anfang stellen:

    Identitätsprinzip: Jedes Ding ist das, was es ist.

    Prinzip des ausgeschlossenen Dritten: Zwischen Sein und Nichtsein gibt es kein Mittleres.

    Prinzip des hinreichenden Grundes: Nichts existiert ohne hinreichenden Grund.

    Dies ergibt für die Logik die folgenden Prämissen:

    Eine Aussage kann nicht ‚wahr‘ und gleichzeitig ‚falsch‘ sein (A ist nicht gleich Nicht-A).

    Zwischen einer wahren und einer falschen Aussage gibt es kein Drittes (tertium non datur).

    Alles, was geschieht, hat seinen hinreichenden Grund.

    Der Satz vom hinreichenden Grund wurde in der obigen Form erst von Leibniz formuliert. Aristoteles hatte aber sehr klare Ansichten bezüglich der Ursachen. Danach können Körper nur solange in Bewegung bleiben, wie sie in unmittelbarer Berührung zu einem unausgesetzt auf sie einwirkenden Beweger stehen. Er unterschied zwischen vier Ursachen, für das, was geschieht:

    Die Materialursache (causa materialis) ist das, aus dem eine Sache besteht oder was in ihr enthalten ist.

    Die Formursache (causa formalis) gibt die Struktur oder den Bauplan eines Dings an.

    Die Wirk- oder Bewegungsursache (causa efficiens) beschreibt die Ursache von Bewegung oder Ruhe eines Gegenstands.

    Die Ziel- oder Zweckursache (causa finalis) beschreibt den Zweck, warum etwas Bestimmtes passiert. Jeder Stein, jedes natürliche Etwas, trägt ein Ziel in sich, das es zu erreichen trachtet.

    Eine weitere Unterscheidung aus der Ontologie, die später in geänderter Form in der Physik wieder auftauchte, ist die zwischen Akt und Potenz. Im Akt realisiert sich das Wesen eines Dings. Potenz stellt die Möglichkeiten dar, welche ein Ding – sofern es zum Akt kommt – entfalten kann. Jedes Ding ist insoweit tätig, als es ein Akt ist, und ist leidend oder aufnehmend, soweit es Potenz ist. Und keine Potenz kann sich selber in den Akt überführen. Dazu braucht es einen äusseren Auslöser.

    Die wichtigste Bedeutung für die Mathematik und Physik hat bis heute die Logik. Markus Fierz schreibt dazu: „Die Lehre von den Syllogismen ist unbestreitbar eine bedeutende und originelle Leistung des Aristoteles. Sie ist der erste Schritt zur formalen Logik und offenbart die mathematische Struktur des Schliessens." Dazu hatte Aristoteles Postulate aufgestellt, die man heute zur Mengenlehre zählen würde. Aussagen, die zu logischen Schlüssen führen sind

    Allgemein bejahend:

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1