Heeme: Eine Rückkehrergeschichte
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Über dieses E-Book
Stephanie Auras-Lehmann
Stephanie Auras-Lehmann, geboren 1982, lebt in Finsterwalde (Brandenburg) und arbeitet als Projektkoordinatorin und PR- und Social-Media-Managerin. Nach ihrem Abitur absolvierte sie eine Ausbildung als Reiseverkehrskauffrau und studierte in Hessen Tourismus. Danach reiste sie beruflich durch die Welt und kehrte 2009 in ihre Heimatstadt zurück. Dort gründete sie die Rückkehrerinitiative Comeback Elbe-Elster. Die 36-jährige zweifache Mutter wurde mehrmals für ihr Engagement gegen den demografischen Wandel in Ostdeutschland ausgezeichnet. Im November 2016 wurde sie zur Neulandgewinnerin im Programm "Zukunft erfinden vor Ort" der Robert Bosch Stiftung ernannt.
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Buchvorschau
Heeme - Stephanie Auras-Lehmann
In Lieblingswalde allein zu Haus
In der alten Turnhalle roch es noch nach kaltem Schweiß, ausgekipptem Bier und der Vanille des Disconebels. Hausmeister Krause fegte gähnend den Plastikmüll und Tausende von Konfettischnipseln zusammen. Das Schulareal war inzwischen menschenleer. Mit viel Wehmut setzte ich mich auf die klebrige Bühne, auf der gestern noch meine rund Hundert feierwütigen Jahrgangskollegen den Lehrern zum Abschluss ordentlich einheizten. Der noch vor ein paar Stunden bejubelte neue Lebensabschnitt fühlte sich plötzlich befremdlich an. Verkatert und etwas geknickt öffnete ich die Hallentür zur allgemeinen Sauerstoffbelüftung. Im Morgennebel sah ich eine große Männersilhouette mit einer Reisetasche auf mich zumarschieren. Es war Tom Tiefental aus meinem Deutsch-Leistungskurs.
„Na Peggy, was machst du jetzt so allein in Lieblingswalde?", rüpelte er mich mit einer Alkoholfahne an.
„Eine Ausbildung im Reisebüro. Nächste Woche geht es schon los", antwortete ich stolz.
„Eine Ausbildung mit einem Abiturdurchschnitt von 1,7? In unserer Region?"
„Ja, warum nicht? Und du? Wo willst du hin?"
„Ich hau ab und geh zur Bundeswehr. Die meisten von uns sind sowieso bald weg", brabbelte er in seinen Bart hinein und lief laut lachend weiter.
Ich sah ihm noch lange nach. Arroganter Schnösel, dachte ich. Ich kann bei meiner Familie bleiben und habe nach drei Jahren eine solide Ausbildung abgeschlossen. Das ist doch wie ein Sechser im Lotto. Nach den Aufräumarbeiten in der Turnhalle lief ich schnell nach Hause. Meine Eltern, mein sieben Jahre jüngerer Bruder und ich wohnten im Südkarree, einer Plattenbausiedlung direkt am großen Stadtpark von Lieblingswalde. Ich wühlte in meiner Abschlusstasche nach unserer Abizeitung und reiste melancholisch noch mal durch meine Schulzeit. Bei meinem Steckbrief verweilte ich:
STECKBRIEF
In mir stieg ein miserables Gefühl hoch. Angst und Zweifel fraßen sich in meine Bauchgegend. Mir wurde nicht nur vom vielen Pfeffi-Schnaps schlecht. Ich bekam Panik, in den nächsten Monaten der letzte junge Mohikaner von Lieblingswalde zu sein. In diesem Moment klopfte meine Mama an meine Zimmertür und ich fiel ihr in die Arme. Ohne ihr auch nur ein Sterbenswörtchen von meinem Gefühlszustand erzählt zu haben, flüsterte sie mir leise ins Ohr: „Sei nicht traurig. Sieh es mal so: Einer muss doch immer das Licht ausmachen." Sie tröstete mich und strich mir einfühlsam über meine straßenköter-blonde Haarmähne.
Nach der Probezeit und dem ersten selbst verdienten Geld verstärkte sich der Wunsch nach der ersten eigenen Bude. Gesagt, getan. Die kleine Einraumwohnung in einem Hinterhof mitten in der Stadt war nichts Besonderes. Für mich war es das schönste eigene Reich der Welt. Meine Mama schenkte mir zur Einweihung eine Mini-Single-Küche mit zwei kleinen Hockern. Sie wünschte sich schon lange einen schmucken Schwiegersohn und gab die Hoffnung nicht auf, dass auch der zweite Hocker bald in Dauerbetrieb genommen werden würde.
Am Wochenende litt ich zunehmend an Vereinsamung. Auch meine noch übrig gebliebenen Freundinnen machten sich mit dem beginnenden Wintersemester aus dem Staub. Wahrscheinlich kreisten sie grad auf einer megacoolen Studentenparty ihre Hüften, während ich mir auf meiner kombinierten Schlafcouch zum hundertsten Mal „Dirty Dancing anglotzte. Meiner Nachbarin blieb meine stets betrübte morgendliche Miene am Briefkasten nicht verborgen. Getreu dem Motto „Karneval und Tanzen bis in den Morgen vertreibt Kummer und Sorgen
schleppte sie mich mit zum Probetanztraining der Funkengarde von Tuffnitz nahe Lieblingswalde. Irgendwie tanzte ich mich als alte Hiergebliebene zwischen den jungen Schülerinnen in die Gunst der kleinen Dorfkarnevalgemeinde. Nach der Feuertaufe gehörte ich von Anfang an zu den Tuffnitzern. Der enge Zusammenhalt, die unentwegte Hilfsbereitschaft und die ungezwungene Herzlichkeit halfen mir über meine Einsamkeit hinweg.