Der Tod hat viele Gesichter: Geriatrische und ethnographische Betrachtungen des Sterbens in fremden Kulturen
Von Wenke Frühsorge und Lars Frühsorge
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Über dieses E-Book
Wenke Frühsorge beschäftigt sich mit den Weltreligionen des Islam, Buddhismus und Hinduismus. Anhand ihrer eigenen Praxiserfahrungen in verschiedenen Krankenhäusern geht sie der Frage nach, was das Pflegepersonal bei sterbenden Patienten dieser Glaubensrichtungen beachten sollte. Ihr Beitrag verdeutlicht, dass deutsche Krankenhäuser den Bedürfnissen dieser Patienten auch ohne große finanzielle Mehrbelastungen gerecht werden können, wenn nur das notwendige Wissen, Zeit und Einfühlungsvermögen vorhanden sind.
Der Beitrag von Lars Frühsorge konzentriert sich auf kleine ethnische und religiöse Gemeinschaften sowie auf historische und archäologische Beispiele von seinen Forschungsreisen. Ihn interessiert besonders, wie Rituale der Trennung aber auch der Kommunikation mit den Toten Trauenden helfen können, ihren erlittenen Verlust zu verarbeiten. Er zeigt aber auch auf, dass der Tod jenseits aller religiösen Fragen von zentraler Bedeutung für die Wirtschaft, Politik und Identität von Menschen rund um den Erdball sein kann.
Wenke Frühsorge
Wenke Frühsorge ist seit 2003 als Krankenschwester in kommunalen und kirchlichen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen in Schleswig-Holstein und Hamburg tätig. Eine Weiterbildung zur Fachkraft für Geriatrie und Demenz absolvierte sie 2016 als Jahrgangsbeste. Zudem gibt sie ihre langjährige Erfahrung als Praxisanleiterin an angehende Pflegekräfte weiter. Zusammen mit ihrem Mann (und seit 2011 auch mit ihrem gemeinsamen Sohn) hat sie rund 50 Länder bereist.
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Buchvorschau
Der Tod hat viele Gesichter - Wenke Frühsorge
Das Frontispiz zeigt eine Maske der Luvale, die wir im Juni 2015 in Namibia erworben haben. Sie stellt das Gesicht eines Verstorbenen dar, wobei die rote und weiße Bemalung die Welten der Lebenden und der Toten symbolisiert. Masken dieser Art werden bei Heilungszeremonien getragen. Wie viele Ethnien rund um die Welt glauben auch die Luvale, dass Menschen erkranken, wenn sie die Geister der Ahnen z. B. durch ein unmoralisches Verhalten verärgert haben. Dann müssen Rituale durchgeführt werden, um die Balance zwischen Lebenden und Toten wiederherzustellen. Diese untrennbare Einheit von Leben und Tod, die in unserer heutigen Gesellschaft so gern verdrängt wird, ist auch ein zentraler Gedanke des vorliegenden Buches.
Vorwort
Der vorliegende Band vereint zwei Beiträge, in denen der Umgang mit dem Tod in verschiedenen Kulturen aus der Sicht einer Krankenschwester und eines Ethnologen betrachtet wird. Der erste Beitrag ist die leicht überarbeitete Fassung einer Abschlussarbeit, die von Wenke Frühsorge 2016 im Rahmen einer Weiterbildung zur Fachkraft für Geriatrie und Demenz am Bildungszentrum Schlump in Hamburg verfasst wurde. Thema dieses Beitrags ist die Frage nach dem Umgang mit sterbenden Patienten und deren Angehörigen, die aus fremden Ländern zu uns kommen und anderen Religionen als dem in Deutschland vorherrschenden Christentum anhängen. Die Autorin verknüpfte dabei ihre eigenen Praxiserfahrungen in der Pflege sterbender Patienten mit einer Übersicht über Umgangsformen mit dem Tod in den Weltreligionen des Buddhismus, Hinduismus und Islam unter besonderer Berücksichtigung der Frage, inwiefern diese Traditionen in der hiesigen Pflegepraxis befolgt werden können. Geprägt wurde die Entstehung dieser Arbeit natürlich auch von der öffentlichen Debatte um die sogenannte „Flüchtlingskrise" in Deutschland und die daraus resultierende Erwartung in vielen Krankenhäusern, verstärkt mit Patienten aus fremden Ländern in Kontakt zu kommen.
Tatsächlich basiert die Untersuchung aber auch auf einem viel weiter zurückreichenden Interesse der Autorin an der Thematik des Todes sowie ihrer intensiven Auseinandersetzung mit außereuropäischen Kulturen, die sie im Rahmen von Reisen und Forschungen gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Ethnologen Dr. Lars Frühsorge kennenlernte. Diese gemeinsamen Reisen, auf die sich die Autoren seit der Geburt ihres Sohnes Tristan 2011 zu dritt begeben, sind auch die Grundlage des zweiten ethnographischen Beitrags im vorliegenden Band. In diesem Artikel betrachtet Lars Frühsorge u.a. die vielfältigen kulturellen Bedeutungen des Todes weltweit, wobei neben europäischen Traditionen in Vergangenheit und Gegenwart auch kleinere ethnische Gemeinschaften aus aller Welt vorgestellt werden, die sich bis heute eigene Bräuche bewahren konnten oder in kreativer Weise Vorstellungen der Weltreligionen an ihre eigenen Bedürfnisse angepasst haben. Hierbei soll verdeutlicht werden, dass der Tod nicht nur seit jeher ein bedeutender Faktor in der Entwicklung von Kulturen war, sondern bis heute mit so unterschiedlichen Aspekten des Lebens wie Religion, Wirtschaft und Politik, aber auch Kunst, Kultur und Identität verknüpft ist.
Unser ausdrücklicher Dank gilt den zahllosen Menschen, die wir hier nicht einzeln nennen können, die uns aber in Interviews und informellen Gesprächen ihre Kultur und Weltsicht veranschaulicht haben, die uns Gastfreundschaft gewährten, oder die in anderer Weise zum Gelingen unserer Reisen und Forschungen beigetragen haben. Gleiches gilt auch für die Hamburger Kolleginnen und Kollegen der Autorin in der Pflege, die ebenfalls vorbehaltlos ihre Ansichten und Erfahrungen mit ihr teilten. Schließlich sei auch noch Gesine Frühsorge für ihre gründliche Durchsicht des Manuskripts und hilfreichen Anmerkungen gedankt.
Inhalt
Wenke Frühsorge: Nachdenken über eine interkulturelle Sterbebegleitung
Lars Frühsorge: Die vielen Gesichter des Todes weltweit
Wenke und Lars Frühsorge: Nachwort: „Kommt die Zahnfee auch in den Himmel?
Literatur
Abb.1: Ansichten des Abschiedsraumes in einem Hamburger Krankenhaus
Wenke Frühsorge
Nachdenken über eine interkulturelle Sterbebegleitung
Einleitung
Mein Name ist Wenke Frühsorge, und ich wurde 1982 in Rostock geboren. Ich bin verheiratet und habe einen Sohn. Seit Oktober 2003 bin ich examinierte Krankenschwester. Ich habe mich schon lange für das Thema des Sterbens im Krankenhaus interessiert. Da mein Mann Ethnologe ist, unternehmen wir häufig gemeinsame Reisen in ferne Länder. So habe ich auch Beispiele für den Umgang mit dem Tod in anderen Kulturen kennengelernt, und das Interesse für die Thematik vertiefte sich. Das Schicksal eines Patienten ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Es handelte sich um einen Mann aus Afghanistan, der an einer Krebserkrankung im Endstadium litt. Anders als viele deutsche Patienten erhielt er täglich Besuche von Angehörigen und Bekannten, die von ihm Abschied nehmen wollten. Ein Neffe des Sterbenden berichtete mir damals, dass sogar noch weitere Besucher aus entfernteren Teilen Deutschlands anreisen würden. Dieser Familienzusammenhalt hat mich sehr beeindruckt und mich dazu angeregt, darüber nachzudenken, warum wir in unserer Gesellschaft so anders mit dem Tod umgehen.
Um uns dem Thema dieser Arbeit anzunähern, gilt es zunächst zu klären, was der Tod eigentlich ist. So einfach wie die Beantwortung dieser Frage zunächst erscheint, ist es in der Praxis oft nicht. Wie ich aus eigener Erfahrung weiß, ist mit der offiziellen Feststellung des Todes keinesfalls die Einstellung aller Körperfunktionen erreicht. Auch könnte man sicherlich darüber streiten, ob ein hirntoter aber an lebenserhaltende Maschinen angeschlossener Patient als lebend oder als tot zu betrachten ist. Der Soziologe Jean Ziegler schreibt, dass diese Unsicherheit dazu geführt hat, dass der Tod vor allen Dingen als ein medizinisches und rechtliches Phänomen behandelt wird. Er kritisiert, dass diese Reduzierung des Todes auf ein Verwaltungsproblem den Sterbenden ein großes Maß an Selbstbestimmung nimmt:
„Von nun an ist der Sterbende aus dem Drama ausgeschlossen, das er erlebt; nie wieder werden seine intimen Bedürfnisse (oder die seiner Verwandten und Freunde), seine Ansprüche, sein Wille in Rechnung gestellt. Allein die technischen Parameter des Verhaltens derer zählen, die den Auftrag haben, den Tod anderer zu verwalten. Der neue medizinische Imperialismus führt sich mit Gewalt ein. Eine Klasse der Thanatokraten entsteht, die den Tod nach den technischen Normen behandelt, die sie selbst definiert und kontrolliert" (Ziegler 2011: 81).
Auch wenn ich nicht weiß, ob Begriffe wie „Imperialismus oder „Thanatokraten
in diesem Zusammenhang zutreffend sind, empfinde auch ich es aufgrund meiner eigenen Erfahrungen als problematisch, dass sterbende Patienten oft nicht genügend Aufmerksamkeit erhalten und von Stationsleitungen eher wie Verwaltungsobjekte behandelt werden. Sterbende Patienten blockieren Betten und das Krankenhaus verdient mit ihnen kaum noch Geld. Das finde ich sehr traurig, denn gerade Sterbende haben durchaus individuelle Bedürfnisse und Wünsche, denen wir im ständigen Zeitdruck des Krankenhausalltags kaum gerecht werden können. Dies gilt besonders für Menschen aus anderen Kulturen, die einen ganz eigenen Umgang mit dem Tod haben, der sich häufig von unseren eigenen Vorstellungen stark unterscheidet. So neigen wir in unserer heutigen Gesellschaft dazu, dem Tod eher aus dem Weg zu gehen. Verstorbene werden erst nach sorgfältiger Vorbereitung durch eine Pflegekraft oder einen Bestatter den Angehörigen gezeigt. Und auch die Friedhöfe als letzte Ruhestätten sind hierzulande oft trostlos. In anderen Ländern hingegen habe ich erlebt, dass Friedhöfe sehr bunt sein können. In Mexiko und Guatemala kommen am „Tag der Toten" die Angehörigen auf die Friedhöfe, um dort mit den Verstorbenen zu feiern. Sie stellen deren Lieblingsspeisen auf das Grab, es wird Musik gespielt und es herrscht eine fröhliche Stimmung. Ein solches Verhalten mag uns zunächst nur fremdartig erscheinen. Was ist aber, wenn Menschen aus so einer fremden Kultur als Patienten zu uns ins Krankenhaus kommen und hier vielleicht sogar versterben? Welche Herausforderungen stellen sich uns als Pflegepersonal? Und was müssen wir in Bezug auf die Angehörigen beachten? Mit dieser Frage möchte ich mich im Folgenden kritisch auseinandersetzen.
Ich beginne diesen Beitrag, indem ich mich mit der Sterbebegleitung in dem Krankenhaus, in dem ich bis 2017 gearbeitete habe, beschäftige. Es handelt sich dabei um ein kirchliches Krankenhaus in Hamburg. Dort arbeitete ich auf einer geriatrischen Station. Im Folgenden werde ich sowohl die Theorie als auch die Praxis darstellen. Zur Theorie gibt es Richtlinien, die besagen, wie man im Todesfall mit dem Verstorbenen umgehen soll. Diese möchte ich im Einzelnen vorstellen. Doch wird dies in der Praxis auch tatsächlich so umgesetzt? Hierzu werde ich eigene Erfahrungen schildern sowie Erlebnisse von Kollegen. Im dritten Teil meiner Arbeit werde ich mich mit der Frage beschäftigen, wie man mit dem Thema Tod und Sterben in anderen Kulturen umgeht. Hier werde ich den Islam, den Buddhismus und den Hinduismus betrachten, da diese drei Glaubensgemeinschaften nach dem Christentum weltweit die meisten Anhänger haben. Im Fazit werde ich dann die Theorie und Praxis aus meinem Krankenhaus mit den genannten Fallbeispielen vergleichen und der Frage nachgehen, wie unsere Sterbebegleitung verbessert werden könnte, um den Vorstellungen anderer Kulturen gerechter zu werden.
Sterbebegleitung im Krankenhaus
Die Praxis
Mit dem Thema Tod im Krankenhaus bin ich zum ersten Mal während meiner Ausbildung in Berührung gekommen. Ich war damals Krankenpflegeschülerin im ersten Ausbildungsjahr auf einer internistischen Notaufnahme. Man schickte mich am Morgen zur Pflege einer betagten Dame, die in der Nacht aufgenommen wurde und die ich daher noch nicht kannte. Ich ging also in ihr Zimmer und fand die Patientin scheinbar schlafend vor. Sie reagierte zumindest nicht auf Ansprache. Da ich zuvor noch keinen toten Menschen gesehen hatte, war mir ihr Zustand zunächst nicht bewusst,