Die Sergeant-Pepper-Generation: oder: Wie erfinde ich mich neu
Von Volker Schoßwald
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Über dieses E-Book
Volker Schoßwald
Volker Schoßwald stammt aus Schweinfurt, machte Abitur und Zivilldienst in Uffenheim, studierte in Erlangen und Tübingen und wirkte als Pfarrer und Religionslehrer in Würzburg, Nürnberg und Schwabach. Musikalisch ist er mit seiner Band "EzzedlaAbba" ("Jetzt aber" auf fränkisch) und als Kabarettist "Popenspötter" unterwegs. Hörbeispiele für alle Lieder finden sich auf http://soundcloud.com/volky-polky.
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Buchvorschau
Die Sergeant-Pepper-Generation - Volker Schoßwald
1 Wir und sie
„Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band", was für ein Thema für Menschen, die sich immer noch so jung fühlen wie damals. Dieses Album spiegelte und prägte eine Generation, die unsere heutige Gesellschaft nachhaltig gestaltete, aber allmählich das Steuer anderen überlassen muss.
Für Jugendliche stellt sich immer die Frage „Wer bin ich?. Sergeant Pepper fungierte seinerzeit als Katalysator. Diese Generation erfand sich gerade neu, aber im Unterschied zum jüdisch – christlich geglaubten Gott, der „ex nihilo
schafft, bediente sich auch diese Generation wie alle vorhergehenden der Versatzstücke der Vergangenheit.
Sgt. Pepper ist über ein halbes Jahrhundert alt. Wie feiert man heute seinen 50. Geburtstag? Ich feierte auf einem Bierkeller mit meinem Freund Wolfgang zum „100. und wir verfügten über genügend Knete, uns Live-Musik zu leisten, mit Musikern, die schon bei „Ihre Kinder
spielten. Außerdem trug eine Sängerin „When I’m sixty-four" vor. Das war zwar etwas übergriffig, stammte aber immerhin von Sgt. Pepper…
Live hören wir die Fab Four nur noch als Coverbands¹. Aber immerhin beginnt Sgt. Pepper mit einem unsterblichen fingierten Live-Auftritt. Da ist es gut, während des Lesens auch noch Beatles-Musik laufen zu lassen.
Der Abstand von mehr als einem halben Jahrhundert² verdeutlicht seine Zeitbezogenheit, die blitzlichtartig ihre Gegenwart abbildete, wie auch nach vorne wies und dies in divergierende Richtungen. Beim Anhören können wir die Anweisung der Rolling Stones aufgreifen: „This record has to be played LOUD!. lautete die Losung auf dem Sleeve-Cover bei „Let it bleed
.
Inzwischen fungieren die „Rolling Stones nicht mehr als Feindbild für Beatles-Fans. Immerhin erscheinen sie auf dem Cover von Stg. Pepper: „Welcome the Rolling Stones
prangt auf dem rot-weiß-gestreiften Pulli der Puppe rechts.
Bei den herzblutenden hard-core Beatles-Fans entsteht natürlich sofort die Frage: Welche Version von Sgt. Pepper? Meine ursprüngliche, die ich 1967 bekam? Mit allen Abspielgeräuschen? Auf einem Mono-Plattenspieler? Oder doch meine CD von 2001 mit dem klaren Sound meiner soliden Anlage? Oder verlasse ich mich auf den „Rolling Stone" und Giles Martin, die mir nahelegen, die Version des Jubiläumsschubers³ zum 50. einzulegen, die so perfekt überarbeitet ist? Mein Sohn Martin schenkte sie mir zum 62. Geburtstag. Bin ich wirklich schon fast so alt wie Pauls Vater?
Auferstehung oder… Beatles live, als Cover…
Als Hintergrund der Lektüre passen alle drei Versionen. Und die Gedanken gehen zurück, fifty years ago.
In der Weihnachtszeit vor fünfzig Jahren nahm meine Mutter⁴ ein Herz, forschte nach den Wünschen ihres pubertierenden Sohnes, hörte von den „Bietels und notierte sich dem Klang nach „Sardschend Peppers Lohnli Hards Klab Bänd
. Damit marschierte sie wagemutig zum Haushaltswarengeschäft am Marktplatz, das zugleich Platten vertrieb und war erfolgreich. Der Weihnachtsbaum erstrahlte noch mit echten Kerzen (daneben den Wassereimer), während auf dem Dual-Plattenspieler nach einem konzertanten Auftakt Rockmusik erklang. Sergeant Pepper war ins Wohnzimmer der Mittelschicht einer mittelgroßen Industriestadt eingedrungen. A splendid time was guaranteed for me…Meinem irritierten Vater und meinen jüngeren Geschwistern erklärte meine Mutter: „Das ist jetzt eben so. Er ist in der Pubertät und da gehört es dazu. Das müssen wir aushalten…"
Weihnachtszeit 50 Jahre später, gleicher Laden…
Einige Zeit später stand mein Vater vor einem weiteren „Mein Sohn ist Beatles-Fan-Konflikt. Er wollte im Fernsehen (Schwarzweiß, nur drei Sender) den Schluss von „eine Träne im Ozean
anschauen, als ich im Radio hörte, es käme zeitgleich bei der Konkurrenz eine Sendung, in der die Beatles live zu sehen wären. Natürlich setzte sich mein Vater durch – genauer: sein väterliches Herz. Er brach schweren Herzens seinen Film ab (Wiederholungen waren damals nicht zu erwarten!) und ließ mich meine Sendung sehen. Sich fortbildend schaute er gleich mit und kommentierte den Beatlesauftritt: „Die größte Sensation der Welt!" Ich blickte mich zu ihm um und unterstützte diese verblüffende Einsicht mit einem bestätigenden weisen Nicken. Auch alte Leute mit 41 Jahren konnten einmal durchblicken.
¹ Für eine echte Reunion müssten sich Paul und Ringo auch noch in der Ewigkeit einfinden… Wer in solche Phantasien abtauchen will, greifeentschlossen zu dem skurrilen Roman „Lucy, der Himmel und ich… Aber Martin und Volky bei „Beatlesmania
live im Hirsch war schon fein.
² Liebe Zeitgenossen, zuckt nicht zusammen. Alter ist Realität, aber auch Feeling.
³ The Beatles - Sgt.Pepper's Lonely Hearts Club Band (50th Anniversary)
⁴ Jahrgang 1924… BDM-geschult, RAD-erfahren und jugendsozialisiert in der Zeit des Dritten Reiches, in der es „Negermusik nicht geben durfte.
2 Revolutionäre Reformation
1967 stach an „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band" dreierlei hervor:
die Musik der bedeutendsten Musikgruppe ihrer Zeit,
der Weg, auch über die Bildgestaltung des Covers sich künstlerisch auszudrücken,
und die Betonung der Texte durch den Abdruck auf der Hülle, was als Novum galt.
Text, Musik und Bild: 2017 trafen sich 50 Jahre Sgt. Pepper mit 500 Jahren Reformation. Die Intentionen des Reformators Martin Luther scheinen mit dem Album ungewollt aktualisiert zu werden, auch wenn die führenden Köpfe der Fab Four Katholiken waren und die britische Insel dank Luthers Briefpartner Henry, the Eighth⁵ keine lutherische Kirche, sondern die anglikanische Staatskirche hat.
Beatles und Religion? In mehreren Interviews während ihrer Tourneezeit betonten die Beatles, dass sie – alle vier – Agnostiker wären.
Harrison fand bekanntlich Zugang zum Hinduismus und fühlte sich dort bis zu seinem Tod beheimatet.
Paul blieb distanziert, bis auf einen latenten Glauben an das Gute, wie er es umschrieb. 2014 erzählt er vom Nachklang zum 11.9.2001, den er in New York erlebte, dass er zwei Wochen später zum Ground Zero ging und auch in die gesperrte Zone vorgelassen wurde. „Je näher wir kamen, desto mehr drang der beißende Qualm in unsere Augen. Schließlich standen wir einfach stumm da, sprachen ein Gebet – und das war’s dann." Er schloss das Erlebnis mit einem Kneipenbesuch ab, weil er jetzt etwas Alkoholisches brauchte.⁶
Ringo hingegen, der einen evangelikal-anglikanischen Hintergrund hatte, fand im Alter wieder dorthin zurück. „Thank God!", wie er humorvoll ergänzte.
Durchaus vielsagend sind die religiösen Konnotationen bei „HELP!, dem Film. Es geht um eine Religion, die im hinduistischen Bereich angesiedelt zu sein scheint. Zugleich ist es eindeutig eine fiktive Religion. „Kaila!
bietet ein sehr archaisches Bild einer religiösen Gestalt.
Dieser Film charakterisiert hervorragend die Personen, die hier agieren. Richard Lester greift nicht die fiktive Religion ironisch an, sondern karikiert das Verhalten ihrer Anhänger. Am drastischsten zeigt sich dies am Schluss, als der fanatische Priester plötzlich selbst zum Opfer wird, das sich freuen sollte, geopfert zu werden. Diesen Perspektivwechsel vollzieht der Priester nicht frohgemut. Er ist im Gegenteil happy, als er den Opferring wieder verliert. Triumphierend hält er den vom Ring befreiten Finger hoch. Vermutlich enthält diese Inszenierung viel von dem Unmut der Beatles gegenüber der etablierten Religion ihrer Umgebung. Zugleich trifft es Unbehagen ihrer Generation. Selbstgerechte Kirchenvertreter mit insuffizienter Fähigkeit zur Selbstkritik desavouieren ihre Religion.
Kritisch sehe ich als Beatlesfan – allen anderen kann es ja egal sein – auch John Lennon. Sein Love & Peace - Getue erscheint im Rückblick sehr zeitgeistkonform. Nicht nur Brian Epstein gegenüber konnte er sich sehr gemein antisemitisch artikulieren – und wirkt dabei ganz authentisch. Wenn er Brian als schwulen Juden anredet, trifft er gleich zwei wunde Punkte. Wen wundert diese verletzende Aggression angesichts seiner Kindheit, in der Vater und Mutter ihr Kind von sich stießen.
Sein „Ich stehe in vorderster Front bei der Frauenbefreiungsbewegung" konterkariert die Gewalttätigkeit in seinen eigenen Frauenbeziehungen – vermutlich abgesehen von der ödipalen Beziehung zu Yoko Ono.
Beim Vergleich mit der Reformation vor 500 Jahren zeigen sich weitere Analogien: Luther durchbrach Schranken des Mittelalters, indem er dafür sorgte, dass man Texte nicht nur hören, sondern auch nachlesen konnte: Jedermann.
Für uns als deutsche Rezipienten von Sgt. Pepper war der Abdruck der Texte auf dem Plattencover ein Segen. Wir konnten wenigstens nachlesen, was wir nicht verstanden. Das mag im religiösen Bereich ähnlich gewesen sein: Als die Leute im 16. Jahrhundert lesen konnten, was sie interessierte, verstanden sie es noch nicht unbedingt… Und die studierten Priester waren auch nicht besser dran.
Luther unterstützte neben seinem Engagement für die Alphabetisierung der Bevölkerung seinerzeit die bildende Kunst, da er ihre Bedeutung für die Verbreitung biblischer Inhalte angesichts fehlender Lesekompetenzen erkannte. Das ist bei Sgt. Pepper natürlich anders: Hier erweitert die bildliche Darstellung das Spektrum der musikalischen Aussage, ins Kryptische hinein. Das Coverbild greift die Themen des Albums nicht auf bis auf die Grundaussage: Die alten „Beatles stehen im Abseits, eine „German Marching Band
, wie es der Schöpfer des Covers formulierte, steht im Mittelpunkt und präsentiert