Spielverderber: Mein Leben zwischen Rap & Antifa
Von Chaoze One
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Über dieses E-Book
- Hintergründe zu seiner Musik
- Anekdoten aus seinem politischen Leben
Entgegen des allgemeinen Medienechos ist Rap nicht nur rechts, sondern auch links-politisch aktiv.
Als Musiker ist der Mannheimer Chaoze One seit 20 Jahren auf den Bühnen unterwegs. Von dort hatte er eine einzigartige Perspektive auf die politische Stimmung in Deutschland. In "Spielverderber" berichtet er mit einer Offenheit aus seinem Leben, und zeigt, was ihn politisierte und wie das alles seine Musik beeinflusste.
Es ist ein Buch, das Erlebtes schonungslos aus dem Alltag greift: die Zusammenarbeit mit Politisch-Gleichgesinnten, das Zusammentreffen mit Nazis, die Erfahrungen mit der Staatsmacht bei Demos – gerade das regt zum Nachdenken an. Manchmal muss man auf Missstände hinweisen, auch wenn es bedeutet, ein Spielverderber zu sein.
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Buchvorschau
Spielverderber - Chaoze One
Chaoze One
Spielverderber
Mein Leben zwischen Rap & Antifa
© 2019 Polarise
Ein Imprint der dpunkt.verlag GmbH
Wieblinger Weg 17
69123 Heidelberg
www.polarise.de
1. Auflage
Autor: Chaoze One
Lektorat: Dr. Benjamin Ziech
Korrektorat: Irina Sehling
Cover & Illustration: Martin Burkhardt
Printed in Germany
ISBN (Buch) 978-3-947619-15-3
ISBN (PDF) 978-3-947619-16-0
ISBN (ePub) 978-3-947619-17-7
ISBN (Mobi) 978-3-947619-18-4
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des
Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publi-kation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://dnb.d–nb.de abrufbar.
Liedtext: Deutscher Text: Hannes Wader. Orginaltext: Dick Gaughan. Copyright: Gaughan, Wader & Heupferd Musik Verlag. Abdruck mit freundl. Genehmigung. (Link)
für meine Familie
Inhaltsverzeichnis
1 - Vorwort
2 - Intro
3 - Lebensläufe
Wer bin ich?
Back in the days
Patchwork im Reihenhaus
Den Rhein hinauf
Der Anti-Nazi-Deal
Life is ours, we live it our way. And nothing else matters.
4 - Danke, Antifa!
Der kurze Sommer der Diarrhoe
Nazi-Luchs und mein Ausflug aufs humanistische Gymnasium
Der Osten im Westen
Auf Nachtschicht
Murder Millenium
5 - EXKURS: Rechte überreden?
6 - EXKURS: Anleitung für Brandsätze: zwei Drittel Schweigen, ein Drittel Hass
7 - Hey Schwungi, ich bin jetzt Rapper
Wut, Liebe und Wahnsinn
Die Mafia-Story
Letzter Gruß
Fear of a Kanak Planet?
Aufbruch
Tourtagebuch: Klaushaus
Tourtagebuch: KAs Fotze One
Mars of Illyricum Kein Wort ist illegal
The A-Team: die Antifa aus Heidelberg
G8 illegal
Tourtagebuch: La Casa
Tourtagebuch: Tag der Demokratie
8 - Gefahren und Gelegenheiten
Die Krise im Sinn
Zu Fuß zu neuen Perspektiven
Tourtagebuch: Westerwald
EXKURS: Die Rap-DNA oder: Böse Menschen kennen keine Lieder
Wofür es sich lohnt: Résistance Révoltés
Der TickTickBoom des Zeckenrap
Blue Uganda. Youganda Blues
9 - Kritische Konstrukte
Ent-Täuschungen
Tourtagebuch: Herz statt Hetze
Edelweißpiraten sind treu
EXKURS: Gewalt
Musiker in Anführungsstrichen
Die Gesellschaft ist ein Knollenblätterpilz. Brief an Dich.
10 - Danke
1 - Vorwort
Noch ein Rapper, der ein Buch schreibt? Muss das sein? Ja, das muss sein. Auch wenn dieses Buch eine Zumutung ist. Chaoze One traut uns den Mut zu, mehr zu erfahren, als es die üblichen Biografien erfolgreicher Musiker hergeben – diese Geschichten, die am Anfang immer eine sehnsüchtige Melodie anschlagen und am Ende wunderbar aufgehen. Spielverderber ist kein Entwicklungsroman, sondern die empörende Zeitzeugen-Täterschaft eines Menschen, der sich mit den herrschenden Verhältnissen nicht abfinden will.
Dass der Autor viele Jahre seines politischen Lebens aus der Perspektive eines Rappers erzählt, ist im Grunde eine Nebensächlichkeit. Auch wenn der Panthersprung vom lyrischen Sandkasten in die Arena der Autobiografie schon vielen begabten Liedermachern den Bleistift gebrochen hat – Chaoze One ist klug genug, diese literarische Langstrecke nicht als Marathon anzulegen, sondern als spannenden Staffellauf. Auf Erinnerungen folgen Reflexionen, auf erschütternde Berichte politische Empörung. Der Autor lässt den Stab der Erzählung wandern und verwebt seine Geschichten mit der politischen Geschichte der Bundesrepublik – vom Kind, das spürt, dass etwas nicht stimmt mit dem Land und den Leuten, zum Jungen, der sich blaue Flecken holt, weil er immer wieder aneckt in den deutschen Bildungsbunkern, zum Teenager, der das nicht mehr hinnehmen will, bis zum jungen Mann, der sich solidarisiert und voller Neugierde und Energie aufbricht in die weite Welt. Also doch ein Entwicklungsroman? Nein – denn Chaoze One führt uns nicht zum hellen Schein. Er zweifelt, verzweifelt, taumelt und bleibt doch unerschrocken und zuversichtlich.
Als ich Chaoze zum ersten Mal traf, hatte ich meine Karriere als Rapper gerade hinter mir. Auf Tour gehen, auf Bühnen steigen, Feste feiern und an die gute Sache glauben – das fiel mir immer schwerer. Bei Chaoze war es umgekehrt: Er hatte seine Liebe für Rap eben erst entdeckt und vermählte diese Leidenschaft mit seiner Energie als politischer Aktivist. Ich kam mir müde und klamm vor neben so viel Power. Und gleichzeitig half mir diese Begegnung, meinen Blick auf die Generation, die mir folgte, neu zu justieren. Chaoze’ Neugierde steckte mich an, sein Optimismus und sein Kampfesgeist gaben mir etwas von dem Rausch zurück, der mich selbst einmal getrieben hatte. In den folgenden Jahren stiegen wir dann tatsächlich immer mal wieder gemeinsam auf die Bühne und Chaoze erinnerte mich daran, dass ein guter Beat, ein starker Text und der Wille, die Welt zu verändern, nichts mit dem biologischen Alter zu tun haben.
Und jetzt eine politische Autobiografie. Das hat mich überrascht, aber nachdem ich die ersten Kapitel gelesen hatte, wusste ich: Das funktioniert, das ist ein ungewöhnlicher, aber packender Remix der letzten 30 Jahre. Chaoze gibt viel von sich preis, er lässt den Leser und die Leserin nahe an sich heran. Er wirft persönliche Erlebnisse in die Waagschale, die andere Menschen vielleicht für sich behalten hätten. Aber das Buch braucht diese Ehrlichkeit. Sie hält das Gewicht der politischen Exkurse in Balance und ermöglicht, dass wir uns wiederfinden in dieser Geschichte. Denn Spielverderber ist – anders als der Titel suggeriert – eine sehr verspielte Lektüre, eine Lektüre, die oft in einem arglosen Ton ins Schwarze trifft. Und was vielleicht das Wichtigste ist: Dieses Buch macht Lust auf Solidarität und Rebellion.
Hannes Loh, Dezember 2018
2 - Intro
Es ist Mai 2018, die ersten wärmeren Tage streifen das Land und ich befinde mich auf einer Reise an der Nord- und Ostsee, um neue Texte zu schreiben. Ich reise mit einem Minivan, den ich mir schlafbar umgebaut habe, und setze die Reise jeden Morgen ein paar Kilometer fort. Die tägliche Routine beginnt mit dem Frühstück bei einem Bäcker der Umgebung, später werde ich einen Beat loopen und meine Camping-Nachbarn werden mich dafür hassen, dass dieser Loop sie bis in die Mittagspause und später in die Abendstunden begleiten wird. Seit nunmehr vier Jahren arbeite ich an einem neuen Album, keine Produktion meiner Geschichte hat mich bisher auf so vielen Ebenen beschäftigt wie diese. Während ich bei meiner ersten Tasse Kaffee auf einem Croissant kaue, lese ich meine Mails und entdecke eine Nachricht von meinem Label: »Hallo Jan – sag mal, hast du gar keine E-Mail-Adresse mehr auf deiner Homepage? Schau mal, hier kam gerade eine Anfrage für dich rein, halt mich auf dem Laufenden.«
Ich verschlucke mich fast an meinem Frühstück: Ein Verlag fragt an, ob ich mir vorstellen könne, ein Buch zum Thema Musik und Politik zu schreiben. Na klar kann ich das, aber ausgerechnet jetzt? Wie ein Irrer habe ich mir Zeitfenster für die Beendigung der Album-Produktion geschaufelt. Wenn ich hier zusagen würde, bräuchte ich dringend Nachhilfe in puncto Zeitmanagement.
3 - Lebensläufe
Wer bin ich?
Wenn jemand darüber erzählt, wer er ist, beginnt er üblicherweise mit seinem Namen. Ich habe zwei. An den meisten Tagen des Jahres werde ich Jan genannt. In der übrigen Zeit bin ich seit kurz vor der Jahrtausendwende Chaoze One, der Rapper. »Chaoze was? Wie spricht man das?« Die meisten Menschen reagieren verstört auf diesen Namen. Als wir im Biologieunterricht der achten Klasse eine Dokumentation über den drohenden ökologischen Kollaps der Erde ansahen, kam dort ein Forscher aus China zu Wort, der den Namen Chaoze trug. Von da an nutzte ich ihn vor allem dann, wenn ich meinem Kinderzimmer mit Sprühdosen in die Nacht entstieg. Als ich dann um die Jahrtausendwende einen Künstlernamen suchte, fügte ich kurzerhand das Kürzel MC an, das Rapper als Master of Ceremony auswies. Aus ähnlichen Gründen, nämlich um mich von der Rapszene zu distanzieren, tauschte ich vor der Veröffentlichung meines ersten offiziellen Albums das MC gegen das One – aus der Überzeugung, dass jeder Mensch einzigartig ist und den Auftrag hat, seine Nummer eins zu sein. Heute finde ich den Namen, nicht meine Überlegungen, überwiegend albern und habe halbherzige Versuche hingelegt, mich von ihm zu verabschieden. Aber wie das so ist – nach zwei Jahrzehnten Partnerschaft fällt mir selbst das Loslassen meines pubertären Rappernamens schwer. Marianne Rosenberg hätte wohl ihre wahre Freude an mir. Wie dem auch sei: Vor über zehn Jahren, im Jahr 2007, veröffentlichte ich mein letztes Soloalbum Fame, was das italienische Wort für Hunger ist, aber natürlich mit der englischsprachigen Semantik Ruhm als Doppeldeutigkeit spielt. Das Hip-Hop-Magazin rap.de betitelte Fame als den Anwärter auf das Rapalbum des Jahres – und zwar schon im Januar. War ich es vorher gewohnt, in der Rapszene auf breite Ablehnung zu stoßen, so fand dieses Album dort jetzt Anklang. Es folgten viele hundert Auftritte vom LKW auf Demonstrationen bis zum Toursupport von Irie Révoltés oder Manu Chao in der ausverkauften Frankfurter Jahrhunderthalle und im Zenith in München.
Zwei Jahre später gründete ich gemeinsam mit vierzehn anderen Musikerinnen das Projekt La Resistance, eine Art Supercrew aus verschiedenen linken Rapprojekten. Wir gingen gemeinsam auf Tour durch Deutschland und die Schweiz. Es war meine erste eigene Tour mit einem Baby, Shana Supremes drei Monate altes Kind begleitete uns die gesamte Zeit. Es war die erste Tour mit einem Nightliner – ein großer, doppelstöckiger Koloss mit verspiegelten Scheiben, wie im Film. Wir traten auf, ich feierte, bis ich in die Koje fiel, und wachte am Tag danach in einer neuen Stadt auf, wo das Spiel von vorn begann.
Dennoch – damals schon schien mir plötzlich alles kompliziert. Mit fast dreißig Jahren war die Welt nicht mehr so einfach strukturiert wie noch zehn Jahre zuvor. Aus Schwarz und Weiß wurde immer öfter ein Graustufen-Regenbogen, wie es der Rapper Maeckes so schön formuliert hat. Aus »Ja« wurde immer öfter ein »Ja, aber« und aus »Absolut« ein »Eher«. Das Wort Zweifel fand omnipräsenten Einzug in meinen aktiven Wortschatz. Was sich wie eine massive Lebenskrise anfühlte, entwickelte sich glücklicherweise zu einer Neuerfindung.
Privat war ich inzwischen selbständig, lebte in einer Doppelhaushälfte am grünen Stadtrand Mannheims und war verheiratet. Mit anderen Worten, mein Werdegang begann mir Angst zu machen. Vieles an meinem Leben schien dem Wie-ich-bin nicht gerecht zu werden und während ich auf der einen Seite irgendwie auch froh war, dass mein Leben ein wenig an Drive verloren hatte, begann die Sehnsucht nach einem Ausbruch aus demselben mich immer öfter einzuholen. Nur fühlte ich mich gleichzeitig wie von einer fremden Macht gehalten und befürchtete, mir selbst ein Streichholz in die benzingetränkte heile Welt zu schmeißen, wenn ich mir diese Sehnsucht eingestand. So war ich mit mir selbst beschäftigt und die Musik rückte in den Hintergrund. Wenn ich auf der Bühne stand und in meinen Texten das schöne Leben einforderte, hatte ich immer öfter das Gefühl, dass diese Forderung wenig mit Empowerment zu tun hatte.
Beginnt Revolution und die Befreiung von Unterdrückung nicht vor allem zunächst im Kopf? Und bin es nicht ich selbst, der sich da am meisten einschränkt? Kommt das schöne Leben nicht am ehesten, wenn ich es lebe? Gibt es ein richtigeres Leben im falschen? Zu wie viel Prozent halte ich mich selbst von einem schönen Leben ab? Welche Rolle spielen die ökonomischen Zwänge wie Lohnarbeit und Leistungsgesellschaft in dieser Rechnung? Wie hoch ist der Anteil von persönlicher Unfreiheit in einem nationalistischen und kapitalistischen System? Was mich in dieser Zeit vor allem anderen verunsicherte: Was bringt es, sich auf eine Bühne zu stellen und zu Bekehrten zu predigen, wenn die Politik doch vor allem auf der Straße entschieden wird? Wie konnte ich Menschen erreichen, denen neu war, was ich erzählte? Und ist es als weißer, privilegierter Mann und Kind des Mittelstands nicht absurd, gegen das Establishment zu wettern?
Heute habe ich dazu eine Haltung, auch wenn ich lange nicht alle meine Fragen beantworten konnte. Doch die Findung dieser Haltung war alles andere als einfach und erforderte nicht zuletzt eine ganze Menge biografische Arbeit. Und diese Biografie beginnt im März 1981.
Back in the days
Lebensläufe / Chaoze One
Patchwork im Reihenhaus
Wenn ich meinen Vater nach dem 31. März 1981 frage, beginnt er zu schwärmen. Es war ein warmer Frühlingstag, in Krefeld am Rhein blühten die Magnolien in voller Pracht. Aber er erinnert sich auch daran, wie die Welt zu dieser Zeit aussah: Die RAF-Gefangenen befinden sich gerade im achten kollektiven Hungerstreik, während BKA-Präsident Horst Herold just an diesem Tag in den vorzeitigen Ruhestand verabschiedet wird. Die SPD ist in der »schwersten Krise seit Kriegsende«, wenn dem stellvertretenden Parteivorsitzenden Wischnewski Glauben geschenkt werden darf. In der ARD-Sendung Monitor wird der Einsatz von Gummigeschossen durch die Polizei diskutiert. Fania Fénelon veröffentlicht ihr Buch Das Mädchenorchester in Auschwitz, der Spiegel schreibt in Ausgabe 14/1981 über die »braune Internationale« und berichtet über hunderte Hausdurchsuchungen im gesamten Bundesgebiet. Vier Monate zuvor hatte der Naziterrorist Frank Schubert einen Schweizer Zollbeamten und einen Polizisten bei einer Kontrolle erschossen und zwei weitere Polizisten verletzt, um sich anschließend der Verhaftung durch Suizid zu entziehen.
Auch in meiner beschaulichen Geburtsstadt tobt die Geschichte. Der Krefelder Appell der sogenannten >Friedensbewegung verbucht bis zu diesem