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Das Hausbuch zum Tod: Tod für Anfänger
Das Hausbuch zum Tod: Tod für Anfänger
Das Hausbuch zum Tod: Tod für Anfänger
eBook588 Seiten8 Stunden

Das Hausbuch zum Tod: Tod für Anfänger

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Über dieses E-Book

Tod ist das Ende, Tod ist das Aus – das konsequent zu Ende denken: Dann gibt es nur Leben! Das Leben mit Anfang und Ende, das begrenzte Leben, welches Urgrund der menschlichen Solidarität ist, weil nur die Sterblichkeit allen Menschen eigen ist. Das Leben, das ohne ein Ende nicht schön sein kann! Das Hausbuch zum Tod denkt in aller Ironie und Ernsthaftigkeit konsequent zu Ende: Dann gibt es Tod nicht! Tod ist nur noch komisches Wort für das Ende des Lebens. Das ganze Theater um Tod ist grandioses Menschheitstheater, geboren aus dem Hochmut von Mensch, nicht wie alle Arten und am Ende die Erde selbst untergehen zu wollen, sondern sich in eine Ewigkeit davonmachen zu können, die bei näherer Betrachtung nicht vorstellbar ist - und wenn, dann nur als Hölle. Konsequenz: Angst vor Tod – sie kann es nicht geben, weil es nur Leben gibt. Angst ist Schimäre. Verdrängung von Tod – sie ist betrügerische Propaganda, damit die Menschen sich nicht sich selbst und ihrem Leben zuwenden. Die Ewigkeit ist das Grauen. Ironisch, sarkastisch, kontrovers und mit Lust an Polemik und Attacke wird der landläufige Kulturtod vom Autor auf den Kopf gestellt und geschüttelt. Es bleibt nichts von ihm übrig! Mit Tod, der Schreckgestalt, der Sünde Sold und tausend und noch mehr Eigenschaften, Facetten, Bildern und Interpretationen wird schon seit mehr als zweitausend Jahren manipuliert, aber er zerbröselt, wenn er nur konsequent bedacht wird. Dann bleibt von ihm nur noch, ein Zeichen zu sein, welches Mensch auf die Begrenztheit und damit auf den Wert seines Lebens hinweist.
Mit Geschichten, Satire, einem zusammengepressten Roman, mit Märchen, Polemik und Thesen und Theorien, mit Selbstironie und Streitlust geht das Hausbuch gegen das durch die hellenistisch-christliche Kultur geschaffene negative Bild von Tod an – und stellt ihn auf den Kopf! Das Hausbuch zum Tod wird ein Hausbuch zum Leben. Der Leser wird überrascht und fasziniert – und sieht Tod anders als zuvor. Nein, falsch, er sieht sein Leben anders als zuvor, denn es gibt nur Leben, über das nachgedacht werden kann. Tod ist nur ein Wort für das Ende und sonst nichts. Tod – das Hausbuch beweist es – kann und muss durch Leben ausgetauscht werden.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum10. Juli 2017
ISBN9783744860925
Das Hausbuch zum Tod: Tod für Anfänger
Autor

Klaus Hessler

Klaus Hessler (72) lebt im Ruhrgebiet. Nach journalistischer Ausbildung Tätigkeit als Rechtsanwalt und Notar. Zwei Buchveröffentlichungen. 1998 erste Konzeption des Hausbuches zum Tod. Er hat drei Söhne und spielt gerne Boule. Neben seiner schriftstellerischen Arbeit ist er als Trauerredner tätig

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    Buchvorschau

    Das Hausbuch zum Tod - Klaus Hessler

    Gegenprobe

    1. Rundumschlag

    Drei einfache Buchstaben aus den Anfängen eines Abc-Schützen: erst das D, dann das T und schließlich das O. Wenn der Lehrer es anders will: das O zuerst, gefolgt vom D und am Schluss das T. Die Reihenfolge kann exakt sechsmal variiert werden, was nur Spielerei wäre. Bleibt allenfalls die Frage: Wie viele Worte geben die drei Lettern her? Sind es mehr als eins? Oder ist es nur eins? Das eine, das – mit Verlaub! – verdammte, das magisch-monströse: das T an erster Stelle, gefolgt vom O und zuletzt das D. Das einzige Wort, wofür die drei Buchstaben taugen: TOD. Um mit der unsäglichen, aber allerorten seit Jahrtausenden üblichen Personifizierung von Tod fortzufahren: Die grausliche Neuschöpfung »Unwort« passt zu dem großen Alten wie angegossen, aber Unwort nur eines läppischen Jahres würde Tod nicht sein wollen. Er will Unwort schlechthin sein, lieber noch das Horrorwort der Jahrtausende. Oder? Ist Tod nicht allein dafür erfunden worden?

    Geht es schon nach wenigen Zeilen los? Mit Unsinn in Pathos, um nicht Quatsch zu sagen – ein Rezept, das bei Tod von alters her Zuspruch findet? Darf ein Buch zum Tod, das mit dem eher gemütvollen Hausbuch schon im Titel ironisch daherkommt und eben deswegen unbedingt vernünftig sein muss, mit tragisch angehauchtem Geschwätz und Schwulst beginnen, mögen letztere bei Tod seit je ein blendendes Auskommen haben? Oder ist die Frage falsch? Ist Tod – wie er in der modernen Gesellschaft auftritt – schon selbst zu schwülstigem Unfug heruntergekommen? Kann er noch ernst genommen werden? Ist der gute alte Tod lächerlich tragische Figur?

    *

    Zu den drei so fatal zusammengefügten Buchstaben ist an sich schon wenig, aber nur eins sicher zu sagen: Es gibt kaum ein anderes Wort und Thema, vom Geschehen gleich zu schweigen, an das Mensch und Gesellschaft mit einem solch kunterbunten Strauß aus unbestimmten Gefühlen und widersprüchlichen und unklaren Gedanken herangehen wie an Tod, gepaart mit massivem Ballast aus ideologischen, philosophischen und religiösen Vorurteilen und Ressentiments. Alles ist dabei, die Skala von A bis Z, besonders das U für Unsicherheit. Auffallend ist das immer noch grottenschlechte Image von Tod, dem seit Jahrtausenden und auch heute noch absichtsvolles Handeln unterstellt wird, das böse zu nennen nicht übertrieben ist. Er soll tatsächlich die in seinen Augen wohl eher kleinen Menschen mit Ängsten vor sich hertreiben, bis er dann ihrem ebenso kleinen Leben durch einen Hieb seiner Sense ein Ende macht und sie tot vor ihm hinfallen. Damit, so wird ihm nachgesagt, soll er etwas zu tun haben. Wohlgemerkt: Das wird ihm nachgesagt. Da soll die Figur namens Tod seine knochigen Finger im Spiel haben. Die ebenso grausliche Redensart hat bei dem Alten immerhin halbwegs ironischen Charme: Zum Kuscheln ist Tod wohl nicht.

    Wenn er nur Wort oder Thema wäre, würden sie klammheimlich jubilieren. Aber sie können nicht, denn da kommt noch – Zyniker mögen ihre spezielle Freude haben – eine nicht unerhebliche Kleinigkeit hinzu: Tod ist. Dagegen nimmt sich sein Dasein als Thema vergleichsweise unspektakulär aus. Tod, hier verstanden als das Ende von Leben, geschieht. Er kommt. Er tritt ein. Er ist da. Auch der eigene Tod, der – nochmals mit Verlaub – verdammte. Unausweichlich. Um ungebeten die Gemeinschaft mit dem Leser herzustellen: Wir fallen eines Tages tot hin. Tod erweist sich als – im Sinne des Wortes – umwerfend. Wenn er in den Blick kommt und das eigene Ende meint: Da ticken sie aus, die kleinen Menschen.

    Oder? Ticken sie nicht aus? Wird nur wieder draufgehauen, auf Mensch und Gesellschaft, und das gleich auf der zweiten Seite? Draufhauen ist eine beliebte Übung bei Tod. Kirchen, Philosophen, Medien und interessierte gesellschaftliche Kreise schlagen schon seit langer Zeit mit absurden Vorwürfen um Tod herum auf die kleinen Menschen ein und drauf und meinen zu allem Überfluss, sich noch ein ordentlich kulturkritisches Mäntelchen mit ihrem Lieblingsvorwurf umhängen zu können, wonach ihre Mitmenschen Tod verdrängen. Aber sie sagen nicht, was sie damit meinen. Verdrängen die Menschen Tod? Ist denn nicht nur menschlich und gut, wenn sie Tod verdrängen? Wie sähen denn Mensch und Gesellschaft aus, wenn sie Tod nicht verdrängen würden? Hat je einer erklärt können oder wenigstens zu erklären versucht, was Verdrängung meint? Wie sieht der Tod aus, den sie verdrängen? Was ist das für einer? Widerlegt sich im Übrigen die Verdrängung nicht schon von selbst, weil sie ständig und auch hier Gesprächsthema ist?

    Selbst wenn Tod je verdrängt worden wäre oder gar tatsächlich verdrängt wird: Ist denn, wenn nicht alles, aber dann schon vieles besser geworden? Geht nicht mit dem fortschreitenden Bedeutungsverlust der Religion eine entsprechend realistischere Einstellung zu dem alten Kulturschreck einher? Haben nicht die meisten vernünftige Ansichten und eine Einstellung zu Tod, mit der sie leben können? Ist es für sie nicht selbstverständlich, eines Tages unwiderruflich tot hinzufallen, ohne auf eine ewig andauernde Neuauflage eines mehr oder minder gelungenen Lebens zu hoffen? Erfreut sich Tod nicht inzwischen einer eher nüchternen Betrachtung? Glaubt wirklich noch einer an ein Leben nach Tod? Wie viele sind es? Sind es zwanzig Prozent der Jungen? Sind es achtzig Prozent der Alten? Oder bröckeln mit den Jahren auch Hoffnungen und Glaube? Bleiben nicht einmal fünfzig Prozent der Alten, für die Tod nicht das endgültige Aus ist? Die veröffentlichten Umfragen sprechen nicht für den Glauben an ein ewiges Leben, das offenbar immer mehr an Attraktivität verliert. Der gute alte Tod ist – so scheint es – als Trampolin in eine unendliche Glückseligkeit out. Oder ist es nicht so?

    *

    Sie sprechen, lesen und hören täglich von Tod. Totgeschwiegen wird er nicht, wahrhaftig nicht. Im Alltag, in Talkshows, im privaten Gespräch, in den Medien, selbst im Parlament sind Sterben und Tod Thema, nicht zuletzt in den alltäglichen Todesanzeigen, denen niemand ausweichen kann. Auch der medialen Bilderflut von Sterbenden und Toten ist nicht zu entkommen. Kirchliche wie weltliche Akademien haben ihre Pforten weit geöffnet und bieten hochintellektuelle Seminare, Workshops und andere segensreiche Veranstaltungen zu Sterben und Tod zuhauf an. Ohne Skrupel werden Feststellungen zu allen Phänomenen rund um Sterben und Tod in die Welt entlassen. Ob es um die diffuse Angst vor Tod, ob es um das Sterben oder um die Verdrängung geht: Alles wird – um einen anderen Großen aus der Horrortruppe der europäisch christlichen Kultur zu zitieren – auf Teufel komm raus mit Tod in Zusammenhang gebracht. Persönliche Nahtod-Erlebnisse oder Abstürze jeglicher Art werden locker mit Tod verknüpft und zum Nabel der Erkenntnis, wenn nicht gleich der Welt.

    Beackert wird es, das weite Feld um Tod. Sie trauen sich an die drei Buchstaben ran, aber unsicher und verkrampft, mit falschen Tönen, unpräzise und ohne Sorgfalt, vor allem feige und unaufrichtig. Die Annäherung an den großen Alten scheitert ein um das andere Mal, weil sie immer noch von hartnäckigen Ablagerungen und Rückständen der Religion behindert, geduckt und gegängelt scheinen, die von einem »Fortsetzung folgt« spricht, was jeder in der christlich geprägten Kultur mit sich schleppt. Das aber verhindert, konsequent zu Ende zu denken, was sich für Tod und mehr noch für das Leben ergibt, wenn sie an eine Fortsetzung nicht glauben können oder wollen. Da bleibt eine klare Einstellung zu Tod zu oft auf der Strecke, obwohl es nur eine Einstellung zum Leben sein kann.

    Oder? Die Zweifel kommen wieder. Ist die Gesellschaft nicht doch reifer geworden? Nur: Müsste dann aber nicht etwas zu sehen sein, was die Reife beweist? Gibt es einen Aufstand gegen den gescheiterten und dann noch verdrängten Tod, wie ihn Kultur und Gesellschaft geschaffen haben wollen, um ihr Scheitern dann wortreich und heuchlerisch zu beklagen? Ist das nicht eine kümmerliche Präsentation, die für den gegenwärtig herrschenden Tod abgeliefert wird? Um ihm einen vorläufigen Arbeitstitel zu geben: Müsste der in der Gesellschaft gültige »Kulturtod« nicht angegriffen und kaputtgemacht werden, um ihn dann neu aufzubauen? Er müsste, aber es geschieht nicht. Tod ist im gesellschaftlichen Diskurs nur verschwurbelt Thema, weil von philosophischen und religiösen Verboten geschützt. Keiner fragt einfach und klar, was Tod ist und bedeuten könnte. Niemand scheint wissen und sagen zu wollen, welche Konsequenzen aus Tod für ihn und sein Leben zu ziehen sind. Was bedeutet es, wenn Tod das Aus ist?

    Das Verhalten von Mensch zu sich, zu seinem Leben und zum Ende seines Lebens scheint sich auf einen Satz zu beschränken, an dem nur selten Veröffentlichungen zu Tod vorbeikommen, von Gesprächen und Predigten zu schweigen. Der schreckliche Satz müsste als Mega-Allgemeinplatz prämiert werden: Tod gehört zum Leben. Das ist schlicht Unsinn, weil sich Leben durch einen Anfang und ein Ende definiert, das Tod genannt wird. Aber sie lieben den dramatisch aufgeputzten Unsinn. Nicht nur weil sie sich mit seiner Hilfe vormachen können, der Tatsache Tod realistisch und heroisch in das leere Auge zu schauen: Sie lieben mehr noch die versteckten Signale des Spruches, der immer mit etwas tragischem und resignativem Unterton daherkommt. Da wird aus Tod ein Etwas, ein Fremder oder fremdes Etwas gemacht, mit dem sich Mensch abfinden muss, weil er wohl leider dazugehört. Genau interpretiert sagt die Floskel das Gegenteil von dem, was gesagt zu werden scheint: Weil sie an der – mit Verlaub – verdammten Tatsache nicht vorbeikommen, noch von keinem glaubhaft gehört zu haben, dem Sensenhieb des Schnitters Tod entgangen oder danach wieder aufgestanden zu sein, müssen sie eher resignierend die Tatsache Tod als etwas akzeptieren, was dazugehört, aber er bleibt etwas Fremdes, das eigentlich nicht dazugehört und nicht sein sollte. Das macht, weshalb der Satz so erschütternd wirkungslos ist. Er lässt den Ausweg in Metaphysik und Religion offen. Er ist zu einer der zahlreichen geschwätzig heroischen Floskeln geronnen, die um Tod herum gewohnt sind und deren inhaltliche Leere oder Falschheit nicht mehr auffallen.

    Was bedeutet Tod für den modernen Menschen und sein Leben? Was bedeutet der endgültige Tod? Wie steht es um den Weichspüler-Tod der Religion? Was ist Tod für einer? Keiner stößt eine gesellschaftliche Diskussion an, in der vernünftig und verständlich miteinander gesprochen wird. Alte Suppen mit schwer verdaulichen philosophischen und religiösen Einlagen köcheln vor sich hin, ohne je umgerührt oder gleich weggekippt zu werden. Mit Tod, so scheint es, betreibt die Gesellschaft einen Balanceakt zwischen Realität und Glaube, um immer wieder die Balance zu verlieren und die Grenze Tod zu überschreiten. Da aber, jenseits der Grenze von Denken und Vorstellung, lässt sich über das nicht zu Erkennende tiefsinnig und dunkel raunen, um dann mit Mysterium und ähnlich Abgegriffenem Abschied von der Vernunft zu nehmen. Eine Einstellung zu Tod ist so nicht zu finden.

    Alle bleiben bedeckt, wenn nicht in Deckung. Keiner traut sich nach vorne, um Tod, wie er in der Gesellschaft widerspruchslos hingenommen wird, für alle verständlich in Frage zu stellen, damit die angestoßene Diskussion nicht in elitären philosophischen oder religiösen Seminaren mit einer Handvoll Teilnehmern versandet. Keiner traut sich, dem herrschenden Kulturtod die Maske herunterzureißen.

    Nicht einmal ein Bemühen um ein halbwegs rationales Auskommen mit dem Alten ist zu spüren. Um durch übermäßigen Gebrauch eine weitere schreckliche Redensart zerstören zu helfen: Sie begegnen Tod nicht auf Augenhöhe. Das ist nicht allein, aber neben der Philosophie vornehmlich der Religion anzulasten, die über etwa fünfzehnhundert Jahre ihr Monopol zu Tod im Sinne des Wortes erbarmungslos ausgenutzt hat, um nicht zuletzt mit Tod als der Sünde Sold die Gläubigen gefügig zu machen. Wie es ihnen eingebleut wurde: Sie beugen – was schon die Beobachtung jeder gewöhnlichen Trauerfeier nicht nur in den Kirchen beweist – immer noch den Rücken und senken den Blick, um gleich noch die Hände zu falten, obwohl sie an einen Gott nicht glauben. Kein Widerstand, nicht einmal Trotz, keine Zweifel, keine Fragen, erst recht nicht strenge Prüfung, ob Gedanken und Gefühle stimmen. Sie gehen gegen das Erscheinungsbild von Tod und seine Wirkmacht nicht an. Niemand fragt, ob er mit dem ihm von Kultur und Gesellschaft präsentierten Tod für sich und sein Leben etwas anfangen kann. Sie fragen auch nicht, ob ihre Gedanken zu Tod ihre eigenen sind und nicht vielmehr fremde, mit denen ihnen etwas vorgemacht wird, wenn ihnen nicht gleich das Maul gestopft werden soll. Obwohl sonst im Leben auf jeden Vorteil bedacht, wollen sie noch nicht einmal wissen, ob ihnen der Tod, wie er in Alltag und Medien auftritt und mit ihnen umgeht, nicht schadet und sie zu leben hindert und belastet.

    Sie müssten an sich zweifeln, ob sie im Blick auf Tod autonom zu nennen sind. Schaffen sie sich vorurteilsfrei und mutig einen Tod, mit dem sie leben können? Geht es denn nicht um das Leben? Geht es ihnen nicht immer und nur um ihr Leben? Ist es nicht so? Muss es nicht so sein, weil wir nur das Leben haben?

    *

    Ein Zyniker könnte berechtigt daran zweifeln, wenn nur ein flüchtiger Blick auf die ausufernde gesellschaftliche Diskussion um das sogenannte Sterben geworfen wird. Sterben scheint zusammen mit Sterbehilfe ein Lieblingsthema der Gesellschaft zu sein. Auf dem weiten Feld um das nicht definierte Sterben toben sie sich aus, mit einer Leidenschaft, die ihnen selbst verdächtig vorkommen müsste. Aber sie haben keine Skrupel. Die gedankenschweren Veröffentlichungen sind nicht mehr zu überschauen, was schon ein Blick in das weltweite Netz beweist. Bücher zum Sterben erscheinen en gros und en masse. Da wird tiefernst argumentiert und differenziert, aus dem Blickpunkt fast aller Wissenschaften, Religionen und philosophischen Systeme, was das Finden eines eigenen Standpunktes nicht leichter macht. Sterben und die Hilfe dazu sind nicht nur als Thema aktuell. Sie werden nachgerade zelebriert. Die Fahrt in die Schweiz ist Symbol für die zu einem Großproblem aufgemotzte Sterbehilfe geworden, um derentwegen Helfer zum Sterben und ihre Gegner passioniert aufeinander losgehen, um sich ethisch und moralisch zu übertrumpfen. Ethikkommissionen mit Feigenblatt-Funktion tagen um die Wette und mit Eifer und legen nach Jahren Ergebnisse vor, die inzwischen längst von der normativen Kraft des Faktischen oder der Parlamente überholt sind. Letztere diskutieren befreit von allen Fraktionszwängen, als ob Sterben wichtiger als Leben wäre. Sie verabschieden Gesetze, mit denen am Ende niemand zufrieden ist. Was nicht verwundern kann, weil die Positionen der Gläubigen und Ungläubigen nicht zu versöhnen sind, zumal in den Debatten und Diskussionen es allemal schwer durcheinandergeht. Wenn die Parlamente dann noch unisono von allen Medien für das demonstrierte hohe Niveau an Ethik und Moral gelobt werden, dann spätestens sollte jeder redliche Parlamentarier zutiefst misstrauisch sein. Da stellt sich unter vielen anderen die eine Frage, ob er nicht bei einer kollektiven Verdrängung nicht von Tod, aber von eigenen und gleich gesellschaftlichen Schuldgefühlen mitgeholfen hat.

    Was ist denn Sterben? Sterben ist Leben und nichts als Leben, das plötzlich bei bester Gesundheit oder nach Monaten und Jahren schwerer Krankheit ein Ende haben kann, ob nach Unfall, Krebs oder Altersschwäche. Sie versuchen immer wieder neu, das Sterben selbst und den Anfang des Sterbens zu definieren, weil sie das für ihre Absichten brauchen. Aber sie müssen scheitern, weil Mensch lebt, solange Tod nicht da ist. Das kann ein eingeschränktes, schmerzhaftes und elendes Leben sein, aber es ist Leben, mag es auch auf ein absehbares Ende zugehen. Leben, so ist das, geht immer auf sein Ende zu.

    Wenn da der Gedanke aufkommt, einem Menschen mit Sterbehilfe ein vorzeitiges Ende zu machen, dann führt die Hilfe zum Tod, hier verstanden als das Ende des Lebens. Etwas anderes geschieht nicht. Wenn das »zum Tode führen« neutral Töten genannt werden darf, dann ist Sterbehilfe Töten, auf welche Weise und unter welchen Umständen auch immer, ob auf Wunsch und dringendes Verlangen oder nicht, ob menschlich und moralisch tadellos oder ob vorwerfbar und damit strafbar. Um aber das Töten nicht so deutlich werden zu lassen, wird im Kampf der religiösen, philosophischen und juristischen Positionen um Sterben und Sterbehilfe immer wieder versucht, aus dem Sterben – neben dem Leben – einen zweiten und besonderen Seinszustand oder Modus zu machen, in welchem andere und nicht mehr jene Regeln gelten, die im Leben gelten und anerkannt oder sogar gesetzlich normiert sind. Schlimm und heuchlerisch wird es mehr als einmal, wenn das alles mit scheinheiligen Verlautbarungen zur Menschenwürde gespickt wird. Eigentlich müsste die Gesellschaft sich – um hart am Thema zu bleiben – zu Tode erschrecken, wie schnell und skrupellos sie einem Sterbenden wider alle Vernunft und Menschlichkeit wegen seines elenden Krankheitszustandes gleich die Menschenwürde abzusprechen bereit ist. Da wird zu oft mit den Begriffen Menschenwürde und Selbstbestimmungsrecht leichtfertig herumgeworfen, von denen im Leben der Moribunden nie die Rede war und um die sich in ihrem Leben niemand gekümmert hat, jetzt aber bei der Sterbehilfe als moralischer und ethischer Begleitschutz herangezogen werden. Noch schlimmer wird es, wenn tiefsinnig scheinende Bemerkungen zu Tod hinzugemischt werden, denn mit Tod hat das alles nichts zu tun, weshalb die Sterbehilfe nach kurzer Polemik nicht mehr Thema sein wird. Einen menschenwürdigen Tod gibt es nicht, es gibt nur ein menschenwürdiges Leben, das im Tod sein Ende hat. Das Ende mit Namen Tod aber hat keine Eigenschaften.

    Wortgeklingel! Im Supermarkt Tod sind Philosophien und Religionen, Philosophen und Theologen, selbstverständlich Religionsgründer, Denker und gerne auch Dichter in die Regale gestellt und werden bei Bedarf in den Einkaufswagen gepackt. Unverdrossen sehen sich längst tote Große der Geistesgeschichte als Gewährsleute herbeizitiert und vorgeschoben, was Sicherheit zu geben scheint. Als ob Tod allein und auf dem Boden der heutigen Lebenswirklichkeit nicht zu schaffen wäre! Fremder Denker Gedanken aus vergangenen Epochen werden hervorgeholt und stützen sich wechselseitig, wenn nicht mit unverminderter Kraft Glaubensinhalte aus Metaphysik und Religion ins Feld geführt werden, welche nich nur die europäische Kultur geprägt haben.

    Wenn Tod explizit Thema ist, kirchlich und staatlich verordnet, an den für den großen Alten reservierten zwei Sonntagen in den dunklen Monaten des Jahres, wie sie in anerzogen depressiver Stimm- und Stimmungslage sagen: Da kommt Tod – immerhin ein halbwegs amüsantes Bild – schwer unter die Räder. An Denkmälern und Gräbern, die es eines Tages nicht mehr geben wird, weil die Schadensbeseitigung nach des Todes Wüten zu teuer ist für die Lieben, die überleben: Die Worte, mögen sie allemal Patina haben, sind mehr als kläglich. Tod wird verhöhnt und lächerlich gemacht, verleumdet und diskriminiert. Religiöse Einflüsse dominieren, ob es nun die altbekannten Drohungen mit Tod oder die auch nicht mehr frischen Jubelrufe über seine Überwindung sind, in die immer mehr immer weniger Menschen einstimmen wollen. Der gute alte Tod säuft in philosophischen und religiösen Begrifflichkeiten ab, samt und sonders mit Tiefsinn und Tragik schwer gemacht. Um für den Gevatter eine Lanze zu brechen, was er sicher nicht braucht: Tod wird durch den Kakao gezogen. Mitgefühl braucht er noch weniger, aber er wird durch den Dreck gezogen.

    Wortemacherei! Allerorten und allezeit. Der Alte wird in Festansprachen gemeuchelt. Was ihm zu lassen ist: Tod hat es nicht leicht.

    Mensch aber geht es nicht besser. Wenn gesagt werden könnte, das unaufhörliche Geschwätz ginge rückstandsfrei an ihm vorbei, wäre es noch zu ertragen. Aber so ist es nicht. Das Geschwätz und Geschwafel, wenn es nicht unsägliche Torheiten oder hilfloses Gestammel sind, haben die fatale Wirkung, implantierte Einstellungen und Vorurteile zu Tod zu bestätigen und zu verfestigen, auch wenn sie falsch und lebensfeindlich sind. Sie werden getäuscht, sie werden betrogen. Sie werden manipuliert und lassen es zu. Verhöhnt und der Lächerlichkeit preisgegeben. Wenn das so klare und einfache Ende von Mensch nach mehr als – um sie ausreichen zu lassen – fünftausend Jahren tiefsten Nachdenkens immer noch schwer atmend als unergründliches Mysterium gleichsam anbetungswürdig auf einen Sockel gestellt wird: Das ist nur noch zum Weinen oder, je nach Einstellung, zum Lachen. Um erneut sprachlich hart am Thema zu bleiben: Das ist zum Totlachen. Das hat Komik und Tragik zugleich, beide nicht ohne Größe. Obwohl schon lange Opfer einer grotesken Mixtur aus Beeinflussung, Indoktrination, Verführung, Lug und Betrug, werden sie mit solchem Unsinn weiter zum Narren gehalten. Um der Intuition ein Ausrufezeichen zu geben: Da kann etwas nichts stimmen!

    Solange Mensch nicht selbst Herr über sein Denken und Verhalten zu Tod wird, ist er Opfer. Er ist Fremden ausgeliefert, die ihn für ihre Absichten gebrauchen, wenn nicht missbrauchen das bessere Wort ist. Mitleid aber wäre fehl am Platz. Er ist Opfer auch seiner Feigheit. Er widersetzt sich nicht und haut dazwischen. Keiner wird laut. Sie lassen ohne Gegenwehr mit sich machen, ohne aufzubegehren, wenn sie nicht verstanden haben. Sie fragen nicht nach, selbst dann nicht, wenn sie spüren, hemmungslos getäuscht zu werden und nachfragen zu müssen. Sie wollen aber lieber nicht verstehen als mit Fragen an etwas rühren, von dem ihnen zu fürchten beigebracht wurde, es könne sich in Bewegung setzen und außer Kontrolle geraten. Sie wollen nicht schlafende Hunde wecken, die zu Bestien mutieren können. Ob überhaupt Gefahren auf sie lauern, wissen sie nicht. Aber ihnen sind Ängste eingetrichtert worden, hartnäckiges Nachfragen bei Tod nicht riskieren zu dürfen.

    Es soll weitergehen wie bisher. Tod ist der, mit dem die Gesellschaft und sie selbst ihr Auskommen gefunden zu haben scheinen, was in Zweifel zu ziehen sie sich selbst verbieten. Sie haben sich eingerichtet, auch wenn ihnen zuweilen die Angst vor Tod, wie sie selbst ihre unklaren Gefühle nennen, den Atem verschlägt. Besser also keinen Staub aufwirbeln. Aber sie bekommen die Sache Tod nicht in den Griff. Zu befürchten ist: Das wird weiter so bleiben, wenn nicht für immer. Ist das so? Oder ist das auch nur pathetischer Quatsch?

    Wie heißt es in der Welt des Fußballs, die zuweilen ein exaktes und lehrreiches Spiegelbild der Gesellschaft ist? Den Ball flach halten. Eine Redensart, die bei Tod Spaß macht: Der flache Ball und Tod sind ein bizarres Paar. Tod soll beherrschbar sein, Tod soll glatt laufen. Tod soll gut anzunehmen sein, was nicht im Sinne von akzeptieren gemeint ist, sondern fußballtechnisch. Sie wollen ihn leicht stoppen können und dann schnell weg passen, in den sogenannten freien Raum. Da sind sie ihn los und die Verantwortung gleich dazu. Beherrschen nennen sie das, ob Ball oder Tod. Keine Höhen, keine Tiefen. Mit Tod soll gut spielen sein, wenn sie sich auch – um im Bild zu bleiben – nicht selten gezwungen sehen, an Tod vorbei dribbeln zu müssen, weil er im Weg steht und ihnen zu nahe kommt, wenn er nicht brutal in sie hineingrätscht. Kitsch kann Spaß machen: Für Tod gibt es keine rote Karte.

    Obwohl ein Hausbuch seinem Selbstverständnis nach der heimischen und verständlichen Sprache des Alltags verpflichtet ist und für jeden verständlich sein will, sei mit der Bitte um Nachsicht um des Wortspiels willen der Auftritt eines Begriffs aus dem Lateinischen erlaubt, zumal er zugleich persifliert wird: Mensch, so scheint es, will den Modus Vivendi nicht stören, den er mit der Schreckgestalt Tod gefunden zu haben glaubt. Leben mit dem Totmacher! Wenn das nicht ein grotesker Modus ist, und dann noch einer vivendi!

    *

    Wer mit Bedacht oder, wie meistens, eher gedankenlos die genannten drei Buchstaben zu dem Wort Tod zusammenfügt: Er müsste sich stellen, auf der Stelle. Welche Gedanken und Vorstellungen schießen ihm in den Kopf, wenn von Tod die Rede ist? Hat Mensch am Anfang des dritten Jahrtausends etwas Greifbares im Sinn oder gar vor Augen? Kaum gesagt, gehört, gelesen oder geschrieben: Wen oder was meint das Wort? Was meint er selbst mit dem Wort? Was denkt er, wenn er das Wort in den Mund nimmt? Wenn Tod seinen Weg kreuzt, was in der heutigen Zeit dem Medienkonsumenten tagtäglich zustößt, ob Zeitungsleser oder Fernsehzuschauer: Definiert er das merkwürdige Wort, das tausend und mehr Bedeutungen, Facetten und Gesichter hat, aber wie selbstverständlich allerorten Tod genannt wird? Kann er? Ist mit Tod alles aus oder geht es fröhlich weiter? Könnte er spontan sagen, welcher Tod für ihn wenn schon nicht die allemal schwierige Wahrheit an sich ist, aber wenigstens die für ihn gültige Wahrheit? Er muss auch einstecken können: Denkt er überhaupt etwas? Oder greift er einfach in den Fundus, den die Gesellschaft in ihm abgelegt hat, und schwätzt vor sich hin, bis das Gestammel nach kurzer Zeit erstirbt? Gebraucht er das Wort, ohne den kleinsten Gedanken daran zu verschwenden, was Tod für ihn bedeutet und wie er ihn versteht? Weiß er sich da in bester Gesellschaft mit anderen, wenn nicht gleich mit der Gesellschaft – auch das ein halbwegs witziges Wortspiel – in toto? Der Kulturtod, wie er ihnen im Alltag begegnet, ist nicht das Objekt ihrer Neugier, obwohl Tod mit ihnen umgeht und etwas macht.

    Jeder müsste sich spielerisch oder unter symbolischer Strafandrohung von Wasser und Brot aufgefordert sehen, sich selbst und anderen mit verständlichen Worten zu sagen, was ihm die drei Buchstaben bedeuten. Wie sieht er Tod? Wie steht er zu Tod? Wie geht er an Tod heran und dann mit ihm um? Was ist Tod für einer? Was macht er mit Tod? Noch interessanter: Was macht Tod mit ihm? In Ruhe lassen geht nicht. Er dürfte sich selbst nicht in Ruhe lassen, weil er weiß: Sein Tod geht ihn an, in allen Bedeutungen des Wortes »angehen.« Tod springt ihn zuweilen geradezu an. Auf Höflichkeit und Formen kann gut verzichtet werden: Die Fragen zu Tod müssten auf ihn runterkommen, bis er Deckung sucht. Zu hochgeistig oder tiefsinnig dürfen sie nicht sein, erst recht nicht akademisch philosophisch, weil das Tod auf angenehme Distanz bringt. Das ist die gewöhnliche kleine Flucht. Einfache Fragen sind in des Wortes Sinne packender, besonders in der Sprache des Alltags, die für das Erkennen der Wirklichkeit unabdingbar ist, wenn nicht für das Erkennen der allemal schwierigen Wahrheit. Die Fragen müssen konkret auf Mensch und sein Leben zielen.

    Und die Antworten? Keiner dürfte mogeln. Auch Lügen ist verboten. Niemand darf sich drehen und winden und sich auf die zahllosen Nebenkriegsschauplätze um Tod herum davonmachen, auf denen gut und gefahrlos tummeln ist. Keiner darf schwätzen und Floskeln, Leerformeln und Phrasen aus dem kulturellen Fundus heraussprudeln lassen, ob selbst erworben oder eingetrichtert, aber allesamt leer und nichtssagend. Was besonders schlimm ist: Sie sind dazu noch erbärmlich langweilig.

    Wer nicht sagen kann oder will oder sich nicht zu sagen traut, von welcher Gestalt Tod ist, welche Form und welchen Inhalt er hat: Er müsste die drei Buchstaben nur mit einem Zusatz gebrauchen, der die Ordnung wiederherstellt. Er müsste zugeben, nicht zu wissen, was Tod für einer ist. Er darf sich selbst und anderen nicht Sicherheit vorgaukeln, die er nicht hat. Da ist Tod geizig. Tod gönnt ihm keine Sicherheit, was kaum verwundern kann, wenn er ihm schon das kleine Leben nicht gönnt.

    Nur am Rande, um bewusst zu machen: Die Zeilen zuvor sind reiner Todeskitsch. Mensch und Gesellschaft, Schreiber und Leser, Kopf und Sprache sind voll mit solchem Kitsch, den unsere Kultur über mehr als zweitausend Jahre produziert hat. Tod, besonders der personifizierte Tod, ist ein gefährlicher Gevatter, wenn er nicht mehr noch ein schleimiger Betrüger ist.

    Wer in seiner Unsicherheit Trost zu brauchen meint: Er ist nicht allein, wirklich nicht. Ob er Trost verdient oder nicht: Die anderen sind auch nicht sicher, was Tod für einer ist. Auch jene sind unsicher, die ihr Heil im Glauben an philosophische Großmeister suchen oder in Paradiesreligionen zu finden hoffen, welche Tod im Sinne des Wortes nicht wahrhaben wollen, sprich als Wahrheit nehmen. Wenn die Propagandisten des Fortlebens nach Tod nicht selbst als Verursacher des Chaos dingfest gemacht werden müssen, in jedem Fall aber als Mitschuldige: Die hochmütige Überschreitung der Grenze des Lebens macht die Unsicherheit und Hilflosigkeit nur noch größer. Die europäische Kultur hat es nicht geschafft und versagt, wenn sie nicht sogar versagen musste: Die Menschen können sich dem Thema Tod nicht gelassen und frei, offen und interessiert nähern und zu ihrem Tod eine Einstellung finden, mit der sie nicht nur leben können, sondern auch leben wollen. Um der Gerechtigkeit willen ist hinzuzufügen: Vielleicht haben sie nicht lernen sollen. Vielleicht haben sie es nicht lernen dürfen, damit sie nicht klug werden. In Lehrplänen taucht Tod nicht auf. Der Alte ist kein Schulfach, obwohl doch Tod – das wird niemand abstreiten können, wenn er ehrlich mit sich ist – auch für ihn in des Wortes Sinne existenzielle Bedeutung hat. Um es einfacher zu sagen: Tod setzt ihm zu. Oder? Wenn es aber Tod nicht ist oder sogar nicht einmal sein kann: Was ist es dann, was ihm zusetzt?

    *

    Geschieht Unrecht? Will Mensch doch wissen, was es mit Tod auf sich hat? Will er wissen, wer oder was Tod ist, weil er mit den eigenen Gedanken und Vorstellungen zu Tod selbst nicht zufrieden ist? Sieht Tod aus? Wie sieht er aus? Hat er den nicht unmodischen schwarzen Kapuzenmantel mit Schwung über seine schlanke Gestalt geworfen, um sie nicht knochig zu nennen? Ist Tod so, wie er seit jeher dargestellt wird? Die Bilder aus den mittelalterlichen Totentänzen sind tief in den Köpfen. Ist er der Schnitter? Der mit der bäuerlichen Sense? Auf manchen Bildern, was ihm zu lassen ist, weiß er sie mit eleganten Bewegungen zu schwingen, um seine Opfer hinzumähen.

    *

    Grundsätzliche Zweifel unterbrechen die Betrachtung seines bäuerlichen Wirkens. Ist Tod überhaupt aktuell? Ist er Thema, das auf den Nägeln brennt? Kommt er gegen die heutige Zeit an, die mit ihren revolutionierenden technischen Entwicklungen Mensch viel zu sehr beansprucht, um noch für sich und für Tod Zeit zu haben? Hat der Alte verloren? Ist Tod nur noch Mittelalter, das im Zusammenhang mit ihm verdächtig oft und gern herbeizitiert wird, als ob er dort und nur dort zu Hause gewesen sei? Tod, wie er heute undefiniert in Gedanken, Gespräch und Medien auftaucht: Ist Tod allenfalls der alte Bekannte, der nur noch zur Kenntnis genommen wird, aber nicht mehr interessiert? Ist Tod out?

    Aber reißen sie nicht doch erstaunt die Augen auf, wenn der Langweiler plötzlich aufdreht und überlebensgroß und hautnah in Familie oder Freunde und Bekannte einschlägt? Sie lieben das Wort »einschlagen.« Wenn die Einschläge näher kommen: Da finden sie sich toll und freuen sich, mit einem Hauch von Zynismus und Tragik heroisch Tod die Stirn zu bieten, auf der sich Schweißtropfen sammeln. Für den kühlen Beobachter immerhin sind die Einschläge faszinierende Szenenwechsel in der bis dahin als heil empfundenen Welt von Einzelnen und Familien. Da macht Tod nicht selten Chaos, wenn Vater, Mutter oder Kind tot hinfallen. Das hat Aktualität und Spannung, die wehtun. Aber sonst? Wenn er nicht da: Ist Tod nicht Auslaufmodell?

    *

    Eine Randbemerkung, der wohl noch manche folgen werden. Vielleicht sind Randbemerkungen kein schlechtes Mittel, wenn sie Tod einzukreisen helfen. Die Randbemerkung soll zugleich eine Frage an den Leser sein, der sich lesend noch zu sammeln und eine Einstellung zu Sprache und Stil zu finden sucht, nicht zuletzt wohl zum Pathos. An Pathos wurde nicht gespart, auch weil es Spaß macht. Pathos meint hier nur eine von gewohnter und gewöhnlicher Sprache abweichende affektive Sprache. Das scheint wie aus der Zeit gefallen, wenn bei Tod immer noch mit Pathos gearbeitet wird. Oder? Sind beide immer noch in alter Kumpanei verbunden? Gelten sie nicht schon von alters her als unzertrennlich? Ist also verzeihlich, wenn die Sprache aus dem Ruder läuft, zumal Tod auf allen Veranstaltungen, in offiziellen Verlautbarungen, in den Medien und selbst in den Gesprächen des Alltags auch und immer noch reichlich mit Pathos geschmückt wird? Die Fragen müssen allesamt bejaht werden. Die beiden sind noch das alte Paar. An ihrer Liaison stimmt und passt zwar nichts zusammen, sie aber auseinanderreißen zu wollen lohnt wegen Aussichtslosigkeit nicht einmal einen Versuch. Mit dem schrägen Duo ist anders fertig zu werden. Die Einübung eines gelassenen Umgangs wäre gut. Pathos als Stilmittel bewusst machen – und dann mit einem Lächeln akzeptieren. Ein Lächeln im Blick auf das Paar Tod und Pathos ist sicher nicht leicht, weil damit unsere Kultur gleichsam gegen den Strich gebürstet wird, die bei Tod wie bei Pathos kein Lächeln hat. Übungserfolge in der Disziplin Gelassenheit im Umgang mit Tod sind aber nur mit ungewöhnlichen Methoden zu erreichen. Die »Methode paradox,« um ihr einen überflüssigen Namen zu geben: Pathos wird nicht abgeschafft, sondern absichtsvoll eingesetzt. Pathos gegen Pathos. Und auch hier gilt die Losung: mit einem Lächeln, mit Selbstironie.

    Angst vor Pathos gibt es nicht. Es wird auch nicht gezähmt oder kontrolliert, sondern soll seinen schlechten Ruf schamlos ausleben und alles Böse erreichen dürfen, für das es als prädestiniert angesehen und verurteilt, wenn nicht verteufelt wird, ob zu Recht oder nicht. Wenn das Thema und Tod selbst nicht allein den Kopf, sondern Mensch in seiner Totalität fordern, dann ist der Gebrauch von Pathos nachgerade legitim, denn Pathos ist sprachliches Schmiermittel, das auch und gerade Gefühle ansprechen und schlummernde Intuition aktivieren soll. Im Übrigen: Pathos soll, und das nicht zuletzt, das Lesen leicht und amüsant machen.

    Tatsächlich hat Pathos auch und gerade bei Tod eine immanente Komik, wenn auch subtiler Art. Womit der Satz einige Zeilen zuvor erklärt wird, wonach Pathos Spaß macht: Im Pathos feiert der Hochmut des kleinen Menschen ein Fest. Der Hochmütige als solcher aber ist zutiefst komisch, in allen Variationen und Schattierungen bis zur Tragikomik. Der hochmütige Mensch hat zu allen Zeiten im Pathos eine bis zum Exzess genutzte Ausdrucksmöglichkeit gefunden. Da tobt er sich aus und feiert sich selbst, um nicht bemerken zu müssen, wie er sich tatsächlich der Lächerlichkeit preisgibt.

    Das Spiel mit Pathos ist mithin eröffnet. Es wird nicht verdeckt gespielt, sondern offen. Der Leser soll und wird es erkennen können und akzeptieren oder ablehnen, wenn er Pathos und Manipulation zu nahe beieinander sieht. Eine Aussage aber, die über Inhalt und Argumente der geschmeidig gemachten Sätze hinausgehen soll, hat Pathos um keinen Preis. Wenn es schon seit der Antike als Ausdrucksmöglichkeit für das Erhabene von Tod gesehen wird: Das ist der Beweis für die schon angesprochene Komik, die dem Pathos innewohnt. Auch das Erhabene von Tod ist eine rauschende Orgie des menschlichen Hochmuts, der sein einfaches Ende mit Pathos herausputzt, um es für selbstsüchtige Absichten schön und geeignet zu machen. Natürlich will er sich selbst mit Erhabenheit bekränzen, was seiner Eitelkeit geschuldet, aber nicht wichtig und nur gern mitgenommene Schmeichelei ist. Was nur intuitive Eingebung ist: Mehr und entschiedener geht es ihm wohl darum, Tod mit der Erhabenheit des Pathos zu einem Besonderen oder zu etwas Außerordentlichem zu machen und ihn sogar in Nähe und Dunstkreis der erhabenen Götter samt Ewigkeit zu rücken. Ein wunderbarer Trick. Da Tod für Metaphysik und Religion, also die kulturellen Phänomene Seele und Götter, nicht gilt und nicht endgültiges Ende, sondern Zwischenstation besonderer Art ist, bleibt Raum für Illusionen und hochmütige Hoffnungen. Mit Pathos um Tod hat sich der hochmütige Mensch schon immer in die Ewigkeit katapultieren wollen. Und immer vergeblich!

    Der gute alte Tod spielt da nicht mit. Bei dem einfachen Geschehen kann Erhabenes nicht gesucht und nicht gefunden werden. Mensch fällt tot hin. Wie alle vor ihm und nach ihm. Einfach so. Das ist ein einfaches Geschehen, das für Pathos keinen Platz hat.

    *

    Die Frage klingt dümmer als sie ist. Warum heißt das gigantisch mysteriöse Phänomen eigentlich Tod? Ist Tod nicht ein komischer Name für das Ende des Lebens? Warum heißt das Ende des Lebens nicht Lebensende? Warum hat es überhaupt einen Namen? War das eine gute, wenn nicht brillante Idee, dem Ende einer Zeit, hier des Lebens, einen Namen zu geben und dann noch Tod? Warum wird nicht einfach Ende oder Lebensende gesagt? Das hätte immerhin eine krachende Aussage. Warum heißt Tod nicht »das Aus« oder »Schluss« oder auch »Schluss, aus?« Weil der Begriff Verdrängung schon negativ kommentiert wurde: Ist es nicht eine raffinierte Verdrängungshandlung, wenn dem Lebensende der abstruse Name Tod gegeben wird, der inhaltlich von Ende oder Begrenztheit des Lebens nichts erkennen lässt? Ist das nicht Verdrängungshandlung par excellence? Warum kann Tod, wenn er sich vorstellen müsste, nicht sagen: Gestatten, ich heiße Lebensende? Und er soll sich ja, wie ihm nachgesagt wird, ohne Ausnahme bei jedem vorstellen. Zuzugeben ist: »Gestatten, Tod« hat eine gewisse Eleganz und ein verhaltenes Pathos, die dem Begrüßten schwer zusetzen können. Wenn Tod »Zack, weg« hieße, wäre das nicht sonderlich liebreizend, aber er wäre immerhin in der Epoche des Comics angekommen und könnte vielleicht bei der Jugend punkten. Warum aber heißt das Ende Tod?

    Ist Tod zu packen, ob als Wort oder Wesen, falls das Wesen Tod existiert, was beim Wort immerhin sicher ist?

    *

    Im Satz zuvor hat der Zweifel Worte bekommen und ist in der Welt. Gibt es Tod überhaupt? Die Frage, ob dumm oder nicht, ist einfach. Ist Tod ein existentes Etwas, ein Jemand, Seiendes oder Wesen besonderer Art? Wird er nicht nur in Gedanken und Phantasie zum Schnitter personifiziert, sondern ist er einer? Ist Tod, wie seit jeher dargestellt, das tatsächlich existierende mysteriöse Wesen, das – um das Symbolwort für intellektuelles Scheitern und Ratlosigkeit zu gebrauchen – »irgendwie« personähnlich ist und unabhängig und außerhalb von Mensch sein Wesen treibt, was jener als Unwesen erlebt? Lauert er, wie sie so gerne sagen, hinter dem Straßenbaum oder an jeder Ecke auf sie? Ist Tod ein in jeder Weise Fremdes? Ist er Fremder, der einstmals aus dem Irgendwo oder Nirgendwo gekommen sein muss, um die verschreckten Artgenossen der mühsam auf zwei Beine gekommenen Art Mensch aus unerfindlichen Gründen hinwegzuraffen? Müssen das nicht die ersten Fragen sein?

    Ist alles Lug und Trug? Existiert Tod allein in mehr oder minder klaren oder verwirrten Köpfen und ist also ein in jeder Weise je eigener? Formen die drei Buchstaben nur ein gewaltiges Gefäß, wenn Eimer wegen der Assoziation zu Mülleimer nicht das bessere Wort wäre? Einen Eimer, den Mensch mit allem füllen kann, was ihm in den Kopf kommt, wenn er sich mit seinem Ende konfrontiert sieht, das er in seinem Hochmut nicht akzeptieren will. Es sieht so aus, denn er hat es getan. Er hat ihn mit Gedanken, Bildern, Gefühlen mit Ängsten voran vollgestopft, welche die zu Tod philosophisch und religiös außerordentlich aktive Kultur Europas unablässig produziert hat. Sie wurden nachgerade in die Menschen hineingetrieben, wenn sie nicht freiwillig gehorsam und blind übernommen wurden. Tod ist Begriff, der für jede Bedeutung und Deutung offen ist, mithin eine Erfindung mit ungeahnten Möglichkeiten. Tod ist unendliche Projektionsfläche.

    Oder ist eine riesige Blase ein besseres Wort? Seifenblase Tod. Hat eine mehr oder minder kluge Menschheit um die unbestreitbare Tatsache ihrer Sterblichkeit die Blase aufgeblasen, um sie sodann von tiefernst bis komisch mit allen Bedeutungen zu füllen, derer sie habhaft werden konnte und die sie brauchte, um das Ende des kleinen Menschen gleich wieder in Frage zu stellen und ihn am Ende doch noch in die Ewigkeit entkommen zu lassen? Ist das nicht allein schon total verrückt? Zum Schreien komisch? Sind böse Spiele, wilde Gedanken und kalte Strategien im Spiel, um Mensch zu verwirren und im Sinne des Wortes aus dem Boden der Erde zu entwurzeln? Ist Tod erfunden worden, um Mensch zu Tode zu erschrecken und ihn so mit Angst in die Gewalt zu bekommen? Soll er Popanz sein? Sind ausschweifende Phantasien in der Blase, die bei Tod besonders heftig mit Mensch durchgehen? Die merkwürdige Erscheinung, die seit Jahrtausenden schon personifiziert und – was verblüffend ist, um nicht verrückt zu sagen – mit verdächtig menschlichen Gedanken und Verhaltensweisen auftritt: Ist Tod ein Geschöpf des Hochmuts? Ist Tod Schimäre? Ausgeburt der Phantasie, und nichts mehr?

    Vielleicht zerplatzt die bunte Seifenblase Tod, wenn sie gegen ein winziges Staubkörnchen fliegt? Vielleicht aber reicht es schon, wenn Tod ein wenig bedacht wird.

    *

    Als was immer sich Tod entpuppen mag: Seine Profession sollte nicht vernachlässigt werden, die ihn berühmt und berüchtigt gemacht hat – und zu einem Problem, an dem Mensch schwer zu tragen hat. Ist Tod unterwegs, um alle totzumachen? Macht Tod tot? Ist er Totmacher? Er wäre ohne Übertreibung Mörder zu nennen, wenn sich sein schlechter Ruf auf Tatsachen gründen sollte. Bei der Vielzahl der ihm unterstellten Untaten müsste er aber doch wenigstens ein einziges Mal auf frischer Tat ertappt worden sein, als er gerade einen totmachte. Wie war das? Hat er Spuren oder gar DNA-Spuren hinterlassen? Wie sieht sein Steckbrief aus? Was steht in den Zeugenaussagen? Wird da auch nur wieder von der seit vielen Jahrhunderten bekannten knochigen Gestalt mit dem unveränderlichen Kennzeichen der leeren Augenhöhlen gesprochen, die eine Sense bei sich trägt?

    Ist Tod Zerstörer, von jedem und allem? Trifft er alle und immer? Die Abrissbirne der Menschheit? Das Recht zum Jammern könnte dem Alten nicht abgesprochen werden: Er kommt nicht gut weg. Holt er jeden einzelnen von den Beinen? Hat er die in seinen nicht vorhandenen Augen erbarmungswürdig kleinen Menschen zeit ihres Lebens auf dem Kieker, um sie am Ende abzuräumen? Wie beim Kegeln?

    Warum sollte er das tun? Hat der ratlose Zweibeiner ihm etwas getan? Ist er sein Todfeind? Auch Philosophen und große Kriminalisten würden auf der Suche nach einem Motiv größte Schwierigkeiten und Zweifel haben. Was und wem sollte das nützen, wenn eine Gestalt namens Tod alle tot macht? Ist das nicht verdächtig, um nicht komisch zu sagen? Um es etwas derber, aber zutreffend zu sagen: Ist das nicht bescheuert? Alle tot machen! Um dem endlosen Massaker Geist und Witz konzedieren zu können, müsste er wenigstens ab und an eine Ausnahme machen und einen Kegel stehen lassen. Macht er aber nicht! Wo Tod auftritt, gehen alle zu Boden.

    Ist er ein Schlechter? Oder ist er nur Schlächter? Wie eine Maschine! Ist er aus eigenem Antrieb so böse? Oder kommt er im Auftrag anderer, etwa des Bösen?

    Oder – die Frage ist schlimmer noch – übt Tod etwa sein zu oft auch blutiges Handwerk im Dienst der Götter oder gar des einen Gottes aus, an den die Christen glauben? War – um wirklich keinen Kulturquatsch um Tod auszulassen – der Teufel neidisch? Ist Tod der Sünde Sold? Nicht zuletzt der grausame Spruch, der über mehr als tausend Jahre von den Kanzeln herunterkam und auch noch heute die Gläubigen verschreckt, macht das Verhältnis zu dem einfachen Ende Tod schwer, weil da ein Gott ins Spiel kommt. Da wird Leben mit Ängsten belastet. Fallen sie denn nicht von selbst tot hin, die kleinen Menschen? Sind sie denn nicht Artgenossen der Art Mensch, die ihrem Wesen nach wie alle Arten und am Ende die Erde selbst einen Anfang und ein Ende hat?

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    Ist Tod – bei einem nur flüchtigen Blick auf die kaum noch überschaubaren Erkenntnisse der Philosophie – das Nicht in allen Variationen bis zur Vernichtung? Ist er alles, was sich mit dem Wort »nicht« kombinieren lässt, ob groß oder klein geschrieben? Ist er grauenvolles Nichts, was schon auf den ersten Blick blöde scheint, weil ein Nichts Eigenschaften nicht haben dürfte und mithin nichts sein kann, erst recht nicht grauenvoll? Hinzu kommt: Ist da denn noch einer, der unter dem nicht denkbaren Grauen des Nichts leiden könnte? Steht die Nichtung nicht dagegen? Um die sprachliche Geschmacklosigkeit an richtiger Stelle zu bringen: Ist Mensch denn nicht mausetot? Die Bewunderer mancher Philosophen, welche sich um Tod und die Angst vor Tod bemüht haben, werden die Ignoranz beklagen, aber das Hausbuch – in der Hoffnung, sie richtig einzuschätzen – sieht in seinen Lesern Menschen, die leben wollen und mit dem Nichts wenig oder eher nichts anzufangen wissen.

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    Eine falsche und gefährliche Frage, aber beliebt, weil der schwierige Begriff Sinn des Lebens darin auftaucht, von dem Mensch in seinem Hochmut gepaart mit Eitelkeit um keinen Preis lassen will. Obwohl er an der Frage nach dem Sinn seiner selbst und seines Lebens nur scheitern kann, wenn er nicht absichtsvoll scheitern soll oder lustvoll abstürzen will: Ist Tod, um auch schwachsinnige Fragen zuzulassen, gar Sinngeber? Was ist der Sinn des Lebens? Muss das Leben einen Sinn haben? Reicht es nicht, das Leben zu leben und am Schluss sagen zu können: So war es gut?

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    Was gerne mit hehren Worten beklagt und gedankenschwer mit Tragik umhüllt wird und schon beim Lesen schwermütig macht und jegliche Freude am Weiterleben vergällt: Ist Tod der Abbruch aller menschlichen Beziehungen? Was soll das tragikomische Gejammer? Was steckt außer Hochmut hinter der pathetischen Klage? Ist es nicht menschliche Erfahrung, um sie nicht natürlich zu nennen, die jeder in sich hat: Irgendwann in seinem Leben ist jeder Überlebender und muss mit dem Verlust naher Menschen fertig werden und weiterleben, ob Eltern, Partner, Freund oder Mitglied der Gruppe. Das ist die Folge von Tod, wohl war, aber das und so ist das Leben. Wie es Dichter und Denker und selbst Todesanzeigen gerne und richtig zu sagen wissen: Ist der Tote denn nicht in den Erinnerungen der Überlebenden? Sind das nicht menschliche Beziehungen von oft hoher und menschlich anrührender Intensität und Dauer? Wenn sie dennoch über den brutalen Eingriff des Abbruchunternehmers Tod klagen: Meinen und bedauern die mit Tragik umflorten Klagenden etwa den Toten selbst? Klagen sie stellvertretend und scheinbar altruistisch für den Hingefallenen über den Abbruch aller Beziehungen? Was steckt hinter dieser Kapriole? Leiden sie mit ihm? Etwa weil er jetzt

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