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Die Kinder der Prophezeiung: Dämon
Die Kinder der Prophezeiung: Dämon
Die Kinder der Prophezeiung: Dämon
eBook373 Seiten5 Stunden

Die Kinder der Prophezeiung: Dämon

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Über dieses E-Book

Der zwölfjährige Dämon ist in einem Heim aufgewachsen. Dort wird er wegen seines auffälligen Mals auf dem Oberkörper verachtet und gequält. Eines Nachts wird er dort herausgeholt und zu Old Map gebracht. Hier erfährt er vieles, was ihn häufig überfordert, denn sein Land und dessen Menschen werden bedroht. So reagiert er oft ohne nachzudenken, was ihn mehr als einmal in schmerzliche Situationen bringt.
Schafft er es trotz allem, seinen Platz in dieser Welt zu finden?
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum28. Juni 2017
ISBN9783738687781
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    Buchvorschau

    Die Kinder der Prophezeiung - Sina Nink

    hat.

    Kapitel 1

    Ich will hier nicht mehr sein, denke ich wie so oft, als ich mich aus meinem Bett schleiche, um mich auf die Fensterbank zu setzen. Ich kann wieder einmal nicht schlafen, aber das ist ja nichts Neues. In letzter Zeit habe ich immer häufiger diese Träume.

    Mein Name ist Dämon. So haben mich die Nonnen getauft, als sie mich auf der Vordertreppe fanden. Ich bin fast dreizehn Jahre alt, ziemlich groß für mein Alter, dafür aber sehr schlaksig. Meine schwarzen Haare, die ich mir selber schneide, stehen in alle Himmelsrichtungen ab. Die Nonnen sind der Meinung, es wäre nur verschwendete Zeit, mir die Haare zu kürzen.

    Quer über meiner Brust prangt ein sehr auffälliges, feuerrotes Mal. Es fängt auf der rechten Schulter an und zieht sich bis zur linken Hüfte. Die Nonnen halten es für das Zeichen des Teufels, daher auch mein Name. Aus diesem Grund denken sie auch, dass ich keine Aufmerksamkeit verdiene. Sie werden nie müde, mir das zu zeigen.

    Ich war immer schon lieber mit den Tieren draußen im Hof oder auf den Feldern zusammen. Die sind wenigstens freundlich, wenn man sie gut behandelt. Menschen hingegen sind grausam und unehrlich. Bei den Tieren habe ich immer das Gefühl, als verstehen sie, was ich sage. Sie geben mir das Gefühl, dazuzugehören.

    Als die anderen Kinder mitbekamen, dass ich mit den Tieren spreche, wurde ich sofort zur Zielscheibe. Das Problem ist, dass hier niemand dafür bestraft wird, wenn sie auf mir herumhacken oder mich schlagen. Das wissen sie natürlich nur zu gut und nutzen jederzeit die Gunst der Stunde. Mittlerweile versuche ich nicht einmal mehr, mich zu wehren. Sie sind sowieso in der Überzahl.

    Seit einigen Wochen ist eine neue Frau da. Ihr Name ist Maja, sie arbeitet in der Küche, ist sehr schön und richtig nett zu mir. Manchmal, wenn keiner zusieht, steckt sie mir etwas Leckeres zu essen zu. Wenn die anderen das wüssten, würden sie es mir wegnehmen, so wie alles andere auch. Außerdem glaube ich, dass Maja Probleme bekommen würde, sollten die Nonnen das erfahren.

    Als Maja mich einmal draußen beim Waschen überraschte, hatte sie mein Mal gesehen. Sie ist aber nicht wie die anderen gleich weggerannt. Nein! Sie hatte es sogar berührt und gemeint, es sei etwas ganz Besonderes. Dafür bräuchte ich mich ganz bestimmt nicht zu schämen.

    In meinen Träumen ist alles ganz anders. Da bin ich kräftig genug, den anderen Kindern entgegenzutreten, schaffe es sogar, sie zu besiegen. Im Traum bin ich mutig und stark. Außerdem habe ich dort einen Verbündeten, einen großen, schwarzen Wolf. Er steht mir immer bei, allein bin ich dadurch auch nie wieder. Dieser Wolf ist sehr schön und hat grüne Augen, wie ich. Diese Träume habe ich schon sehr lange und sie helfen mir über meine Einsamkeit hinweg. Sie trösten mich auch an besonders schlimmen Tagen. Es ist wie eine Flucht in eine andere Welt.

    Seit geraumer Zeit werden meine Träume immer intensiver, vor allem aber angsteinflößender. In den letzten Wochen trösten sie mich kaum noch, denn jetzt habe ich unaufhörlich das Gefühl, es verfolgt mich jemand. Manchmal fühle ich mich sogar bedroht. Aber wenn ich mich im Traum umdrehe, um zu sehen, wer da ist, wache ich auf.

    Mittlerweile habe ich sogar Angst vor dem Einschlafen. Das ist auch der Grund, warum ich hier am Fenster sitze und rausschaue. Diesmal wirkt es aber nicht beruhigend auf mich. Ich spüre ein Kribbeln im Nacken, es läuft mir eiskalt den Rücken runter. Sämtliche Härchen stellen sich mir auf und ich schaudere.

    Dieses Gefühl, als würde mich jemand beobachten. Es wird so intensiv, dass ich schnell wieder in mein Bett springe und mich schleunigst unter der Decke verkrieche.

    Wenn die anderen gesehen haben, wie ich mich wie ein Feigling unter der Decke verstecke, werden sie mich wieder verprügeln und beschimpfen, geht es mir durch den Kopf. Aber meine Furcht ist so groß, dass es mir in diesem Moment egal ist.

    Die Tür geht leise auf und ich zucke zusammen, jemand schleicht sich in unser Zimmer. Als ich unter der Decke hervorschiele, sehe ich eine Person, ganz in Schwarz gehüllt. Ich presse mir meine Hand fest auf den Mund, um nicht aufzuschreien. Sie geht direkt auf mein Bett zu und bleibt davor stehen. Die Kapuze ihres Umhangs hat sie sich tief ins Gesicht gezogen, sodass ich nichts erkennen kann.

    Ich keuche erschrocken auf und presse meine Hand noch fester auf meinen Mund. Meine Angst wird immer größer. Was will diese dunkle Gestalt von mir?

    Als sie sich vorbeugt, erkenne ich erleichtert, dass es Maja ist. Während ich mir schon das Schlimmste ausmale, flüstert sie: „Sei leise, Dämon, wir müssen hier weg. Es ist nicht mehr sicher für dich in diesem Heim!"

    Ich schüttele nur den Kopf. Was soll das heißen, es ist nicht mehr sicher? Und wo will sie mit mir hin?

    Ich bin hin und her gerissen. Einerseits war Maja immer gut zu mir und ich will ihr vertrauen. Andererseits habe ich Angst, sie will mir etwas Böses. Draußen wird es mit einem Mal stürmisch, sodass der Wind heulend an den Fenstern rüttelt. Das ist dann doch zu viel, jetzt laufen mir die Tränen über die Wangen.

    Maja presst mir die Hand auf den Mund, während sie mich mit sich zieht. Leise schleift sie mich die Treppe runter, durch die Küche nach draußen.

    Was hat sie mit mir vor? Warum tut sie das? Das sind die Dinge, die mir durch den Kopf gehen. Warum wehre ich mich eigentlich nicht? Ich weiß keine Antwort auf all diese Fragen. Maja ist die Erste, die je nett zu mir gewesen ist. Also hoffe ich, dass sie mir nichts Schreckliches antun will. Viel schlimmer kann es ja nicht mehr werden. Draußen vor der Tür lässt sie mich los.

    „Duck dich und lauf, flüstert sie. „Renn in Richtung Wald. Durch das Kribbeln in meinem Nacken habe ich das Gefühl, die Angst überrollt mich. Also ziehe ich den Kopf ein und laufe Maja hinterher. Zweimal rutsche ich aus und falle. Die Knie tun mir weh von dem Aufprall, da hier überall Steine liegen. Beim Weiterlaufen bekomme ich Seitenstechen. Als ich wieder falle, will ich nur noch liegen bleiben. Ich bekomme kaum noch Luft.

    Bussarde fliegen plötzlich über mir und versuchen, mit ihren Krallen nach meiner Kleidung zu greifen. Diejenigen, die sie zu fassen kriegen, ziehen an ihr. Als ich gerade losschreien will, höre ich mit einem Mal sanfte, jedoch eindringliche Stimmen in meinem Kopf. „Steh auf, Dämon. Lauf in den Wald. Du musst ihn erreichen, schnell. Steh auf! Lauf, lauf!" Ich weiß nicht, wo diese Stimmen herkommen, aber ich stehe wieder auf und sprinte los. Hinter der zweiten Baumreihe pralle ich gegen eine menschliche Wand. Der Mann schaut mich nur böse an, während er auf Maja einredet.

    „Willst du mir etwa erzählen, dass das unsere Rettung vor den Schatten sein soll? Gott, der kann nicht einmal fünfzig Meter über eine Lichtung rennen. Der hat doch schon Angst vor seinem eigenen Schatten." Er schubst mich ein Stück von sich weg, dreht sich um und geht zu den Pferden, die ich erst jetzt wahrnehme.

    Maja hilft mir auf und flüstert mir zu: „Hör nicht auf den, ich bring dich zu Old Map." Sie dreht sich um und geht auf das zweite Pferd zu.

    Ich stehe wie erstarrt da und blicke ihr fragend hinterher, habe keine Ahnung, wovon sie eigentlich spricht. Einen Moment später folge ich ihr schließlich. Sie lächelt sanft und setzt mich hinter sich auf das Pferd. Fürsorglich breitet sie ihren Umhang um mich, denn nachts ist es noch empfindlich kalt. Zu dem Mann gewandt zeigt sie nur auf die Vögel, die immer noch wild vor dem Wald umherfliegen. „Hältst du das etwa für normal, dass sie ihm beistehen?"

    „Hmpf ... Alles nur Zufall", brummt er mit einer wegwerfenden Handbewegung.

    Maja verdreht seufzend die Augen. „Halt dich gut fest, Dämon. Das wird ein schneller Ritt und ich will dich unterwegs nicht verlieren." Ich nicke und klammere mich fest an sie, indem ich meine Arme um ihren Bauch lege.

    Trotz der irrsinnigen Geschwindigkeit, die der prächtige schwarze Hengst im Galopp erreicht, dämmere ich weg und wache erst wieder auf, als das Pferd stehen bleibt. Ich muss einige Male blinzeln, denn im ersten Moment weiß ich nicht, wo ich bin. Da fällt mir alles wieder ein.

    Maja, die in das Schlafzimmer der Zehn- bis Vierzehnjährigen schleicht.

    Die Flucht in den Wald, bei der ich wie ein Idiot immer wieder gestürzt bin.

    Die Bussarde, die wild entschlossen an meiner Kleidung zerren, während ich hilflos auf dem feuchten Waldboden liege.

    Ich erschauere. Ist das wirklich passiert? Ich träume. Wenn ich aufwache, werde ich in meinem Bett liegen, zusammengekauert unter der Decke wie ein Feigling.

    Als ich mich umsehe und eine Hütte entdecke, werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Davor steht eine alte Frau, die sich auf einen Stock stützt, der ein gutes Stück größer ist als sie. Wäre es nicht bequemer, wenn er nur halb so lang wäre?

    Der Mann von vorhin gestikuliert wild mit den Armen, zeigt immer wieder auf uns. Ich mache mich ganz klein und drücke mich an Maja. Aber sie will absteigen und lässt mich wortlos auf den Boden rutschen. Meine Beine knicken nach dem ungewohnten Ritt immer wieder ein, sodass ich mich am Sattel festhalten muss, um nicht auf meinem Hintern zu landen und mich lächerlich zu machen. Als der Mann das sieht, wedelt er noch mehr mit den Armen und redet intensiv auf die alte Frau ein.

    Nachdem auch Maja abgestiegen ist, nimmt sie meine Hand. So gehen wir zusammen auf die Hütte, den Mann - der mittlerweile einen hochroten Kopf hat - und die alte Frau zu. Beim Näherkommen fällt mir auf, dass sie auf einer kleinen Lichtung steht. Die Frau schüttelt immer wieder den Kopf.

    Na toll, wieder jemand, der mich gar nicht will. Ich lasse den Kopf hängen und ziehe die Schultern nach oben, um mich kleiner zu machen. Kurz bevor wir bei den beiden ankommen, dreht sich die Frau um und lächelt mich an.

    „... Nichtsnutz, ich habe ja schon immer gesagt, ihr solltet lieber mich auf diese Mission schicken. Ich habe keine Angst vor ihnen." Mit diesen Worten dreht er sich um, geht zu seinem Pferd und reitet in den Wald. Old Map aber streckt ihre Hand aus und legt sie mir auf die rechte Schulter. Plötzlich kribbelt und juckt mein Mal wie verrückt. Allerdings hat das Kribbeln im Nacken nachgelassen.

    Das jetzige Gefühl hat auch nichts Bedrohliches, es ist nur unangenehm. Ich versuche, mich loszumachen, um mich zu kratzen, aber beides geht nicht. Die Frau packt nämlich nur noch fester zu. Als sie mich endlich loslässt, um mit Maja zu reden, bin ich erleichtert und kratze mich wie wild. Mit dem Ergebnis, dass es jetzt brennt, als würde meine Haut Feuer fangen.

    Ich bekomme kaum etwas von dem mit, was die beiden Frauen reden. Ich betrachte Old Map eine Weile, sie ist eine einfache Frau, trägt keinerlei Schmuck oder sonstigen Schnickschnack. Auch ihr beiges Leinenkleid ist sehr schlicht gehalten, darüber trägt sie einen schweren braunen Wollumhang, den eine Messingbrosche zum Schließen ziert. Ihre weißen, halblangen Haare fallen ihr glatt auf die Schultern und beißen sich mit der Farbe des dunklen Umhangs. Als Maja die Bussarde erwähnt, werde ich hellhörig.

    „... waren überall und versuchten, ihm aufzuhelfen."

    Und schon schweifen meine Gedanken wieder ab. Wieso aufhelfen? Die haben mich angegriffen. Oder doch nicht? Jetzt, wenn ich so darüber nachdenke ...

    „... konnte nicht länger warten, sie waren heute Nacht schon zu zweit", bekomme ich dann wieder mit.

    „Maja, wovon redest du? Wer war da?"

    „Dämon, das ist Old Map. Sie wird sich jetzt um dich kümmern, hier bist du in Sicherheit." Mit diesen Worten geht sie schlichtweg über meine Fragen hinweg.

    Ohne ein weiteres Wort dreht sie sich um, geht zügig zu ihrem Pferd, lässt sich elegant in den Sattel gleiten und reitet im Galopp in den Wald. Verzweifelt will ich ihr hinterherrennen, hier will ich nicht bleiben. Sie kann mich doch nicht einfach so im Stich lassen.

    Die alte Frau aber hält mich fest. So sinke ich auf die Knie und fange leise an zu weinen. Der einzige Mensch, der je nett zu mir war, lässt mich allein.

    „Hör auf zu weinen, Dämon. Komm lieber mit rein, damit wir uns kennenlernen können. Aber vorher wäschst du dich. So dreckig kommst du mir nicht in die Hütte." Auf ihren Stock gestützt geht Old Map in ihre Hütte.

    Ich bleibe im Gras sitzen, will nicht aufstehen, denn meine Knie tun immer noch weh. Mein Mal kribbelt nicht mehr, aber das ist mir gerade egal. Ich fühle mich fürchterlich.

    Plötzlich höre ich etwas knacken und als ich aufschaue, sehe ich stechend gelbe Augen, die mich durchdringend anstarren. Gegenüber, am Rand der Lichtung, steht ein weißer Wolf. Ich habe noch nie einen gesehen, kenne nur die Geschichten, die im Heim immer erzählt wurden. Von Wölfen, die alles und jeden anfallen, und sehr gefährlich sind. ‚Wesen der Hölle!‘, pflegte Schwester Ignazia immer hinter vorgehaltener Hand zu flüstern.

    Angst habe ich im Moment nicht, ich bin eher fasziniert und wie magisch angezogen. Ich blicke ihn unverwandt an. Er ist wunderschön. Er hält meinem Blick stand, die Sonne brennt sich unangenehm in meinen Rücken.

    „Du kannst alles schaffen, du musst es nur wollen", höre ich in meinem Kopf.

    Warum sich die Stimmen in meinem Kopf immer so real anhören, ist mir ein Rätsel, aber vielleicht haben die Schwestern im Heim doch recht, mit mir stimmt etwas nicht. Der Wolf knurrt kurz, dreht sich um und läuft davon. Also stehe ich auch auf, um mich am Brunnen zu waschen. Na toll, durch die Sonne ist der Schlamm hart geworden. Weswegen ich jetzt fest schrubben muss. Danach brennt meine ganze Haut und ist feuerrot. In meinem Haar sind immer noch ein paar Klumpen, die ich aber nicht rausbekomme.

    Langsam gehe ich in die Hütte. An der Tür bleibe ich stehen und sehe mich neugierig um. Es sieht gemütlich aus, ich entdecke eine Feuerstelle, über der ein großer Kochtopf hängt, daneben baumeln Pfannen, Kochlöffel, Suppenkellen und andere Küchenutensilien von der Decke. Die Holzdielen sind über die Jahre hinweg in Mitleidenschaft gezogen worden, sie sind ziemlich abgelaufen. Die Hütte hat zwei Stockwerke, ich kann eine Leiter sehen, die nach oben führt. Old Map sitzt an einem wuchtigen Tisch und lächelt mich an. „Hattest du draußen eine schöne Zeit? Komm, setz dich, frühstücke erst einmal, es war eine aufregende Nacht und es wird auch noch ein anstrengender Tag."

    Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, also setze ich mich gehorsam. Warum ist sie so nett zu mir?

    Als ich das Essen sehe, knurrt mein Magen laut. Bei ihrem aufmunternden Lächeln lange ich ordentlich zu. Ich habe noch nie so viel zu essen gehabt und es schmeckt herrlich. Als ich fertig bin, grinst Old Map nur und sagt: „Na, wenn ich dich satt bekommen will, werde ich wohl in nächster Zeit mehr Brot backen müssen."

    Das ist mir so peinlich, dass ich knallrot werde. Aber sie winkt nur ab und meint: „Du wirst mir ordentlich zur Hand gehen und täglich deine Aufgaben erledigen, im Gegenzug werde ich immer ausreichend zu essen für dich haben. Schließlich bist du noch im Wachstum. Einverstanden mit dieser Regelung?"

    Natürlich bin ich einverstanden. Sie ist freundlich zu mir und will gut für mich sorgen. Warum also nicht?, denke ich eifrig nickend. Aber mir dreht sich auch der Kopf von all den unbeantworteten Fragen.

    „Warum bin ich hier? Wo ist Maja? Wieso hat sie mich mitten in der Nacht hierher gebracht? Was sind Schatten? Und wieso behauptet Maja, die Bussarde wollten mir helfen? Sie haben mich angegriffen und an meiner Kleidung gezerrt", sprudelt es aus mir heraus.

    Dass ich es laut gesagt habe, sogar immer lauter geworden bin, merke ich erst, als Old Map die Hand hebt und sagt: „Alles zu seiner Zeit, Maja ist wieder in ihr Dorf zurückgekehrt. Was den Rest deiner Fragen angeht, so kannst du vieles in diesem Buch nachlesen." Mit einem breiten Grinsen legt sie mir ein dickes Buch vor die Nase. Ich rutsche kleinlaut auf meinem Stuhl hin und her und lasse verlegen den Kopf hängen.

    „Ich kann nicht lesen, flüstere ich beschämt. Die Nonnen waren immer der Meinung, jemand wie ich bräuchte nicht lesen und schreiben lernen.

    „Dann wirst du es wohl lernen müssen, sonst werden deine Fragen nie beantwortet werden, lacht Old Map. „Wir werden morgen damit beginnen, aber erst einmal wirst du Wasser reinholen und anschließend das Holz hinter der Hütte hacken. Ich werde dir später erklären, wie du die Tiere zu versorgen hast, denn ich dachte, das könnte ab heute deine Aufgabe sein. Mir wird es langsam zu beschwerlich.

    Es wird mir eine Freude sein, ihr zu helfen. Hoffentlich hat die Sache nicht noch einen Haken. „Ich gehe schon mal die Eimer mit Wasser auffüllen", sage ich beim Aufstehen.

    Old Map schaut mich nur lächelnd an: „Das tu nur mein Junge, aber du musst auch genug Wasser für die Wanne holen, ich bade gern täglich in warmem Wasser. Die Wanne steht hinter der Hütte."

    Beim Rausgehen hänge ich meinen Gedanken nach. Täglich baden, das kann doch nicht gesund sein. Im Heim durften wir nur einmal im Jahr baden und ganz sicher nicht in warmem Wasser. Ich stiefele zum Brunnen, fülle den Eimer bis zum Rand und bringe ihn hinter die Hütte. Als ich um die Ecke biege fällt mir vor Entsetzen der Eimer aus der Hand. Das kann ja wohl nicht ihr ernst sein, das ist ein schlechter Scherz.

    Die Wanne ist riesig. Mindestens drei der Kinder aus dem Heim hätten darin gleichzeitig bequem Platz gefunden. Neben der Wanne befindet sich eine Feuerstelle, über der zwei Kessel hängen. Ich werde Unmengen an Holz fürs Erwärmen hacken müssen und dann auch noch das viele Wasser ... puuh.

    Ich laufe zurück zum Brunnen. Old Map sieht aus dem Fenster und lächelt schief. Dieses Lächeln sagt mir, dass sie genau weiß, was mir gerade durch den Kopf geht. Ich grinse verlegen zurück. „Wo hast du denn einen zweiten Eimer?", frage ich, denn ich könnte ja wenigstens in jeder Hand einen Eimer tragen.

    Old Map fängt an zu lachen, irgendwie habe ich das Gefühl, sie hat gewusst, dass ich danach frage. Das ist schon sehr unheimlich. „Den wirst du dir bauen müssen, den Letzten hat Paula zertreten", erklärt sie, immer noch lachend.

    Wer ist Paula und warum hat sie den Eimer zertreten? Aber das frage ich nicht laut, denn ich will nicht, dass sie sich weiter über mich lustig macht. Wie, verdammt noch mal, soll ich einen Eimer bauen? So bleibt mir nichts anderes übrig, als das Wasser mit nur einem Eimer zu holen.

    Als Old Map mich zum Mittagessen ruft, habe ich gerade mal die beiden Kessel gefüllt. Es gibt Suppe, mit allerlei Gemüse darin. Ich habe noch nie so gut gegessen. Wieder denke ich, dass das die Arbeit wert ist. Nach dem Essen trägt sie mir auf, erst das Holz zu hacken, da das Wasser später noch warm gemacht werden muss. Obwohl mich die gute Mahlzeit und der volle Magen träge werden lassen, mache ich mich direkt auf den Weg nach draußen, um die schwere Arbeit zu verrichten und rechtzeitig fertig zu werden.

    Einige Zeit später bemerke ich, dass schon ein ganz ansehnlicher Haufen Holzscheite vor mir liegt. Aus dem Augenwinkel sehe ich wieder den Wolf am Rand der Baumreihen. Er liegt ruhig da und beobachtet mich. Ich lege die Axt zur Seite, setzte mich mit dem Rücken an ein großes Holzstück und behalte den Wolf im Auge, während ich etwas trinke. Nach einer Weile fällt mir auf, dass ich ihm von meinem Tag berichte. Erstaunlich, wie sich mein Leben innerhalb eines Tages verändert hat. Ich schimpfe gerade lautstark über einen fehlenden zweiten Eimer, als ich wieder eine Stimme im Kopf habe.

    „Denk doch einfach mal nach, statt gleich aufzugeben. Dir wird etwas einfallen."

    Das ist einfach verrückt. Old Map darf nie erfahren, dass ich Stimmen höre. Sie würde mich einen Lügner nennen und davonjagen.

    Wo sollte ich denn sonst wohl hin? Ins Heim werde ich nie wieder zurückgehen. Aber wo kommen die Stimmen nur her? Viel schlimmer ist, bis jetzt haben sie jedes Mal recht behalten. Wahrscheinlich ist es besser, ich höre auf sie. Unheimlich ist es trotzdem. Mir ist aufgefallen, dass sie sich immer anders anhören.

    Wieder bin ich in meine Tagträumereien versunken, als der Wolf aufsteht, mich leise anknurrt, sich umdreht und davontrottet. Was hat er denn jetzt auf einmal? Kopfschüttelnd stehe ich auf und will weiter das Holz hacken. In diesem Moment fällt mein Blick auf das große Stück Holz, an dem ich bis eben gesessen habe. Es hat in etwa die Größe eines Eimers. Also lege ich es zur Seite. Heute Abend werde ich mir darüber Gedanken machen, wie ich daraus einen Eimer machen kann.

    Ich hacke noch eine Weile weiter, bis Old Map mich ruft. Erst jetzt wird mir bewusst, dass die Sonne schon ziemlich tief steht. Weshalb es jetzt sehr frisch ist und es mich fröstelt. Ich nehme das Holz und meine Wasserflasche und gehe in die Hütte.

    Old Map will gerade den ersten Kessel vom Feuer heben, also beeile ich mich, um ihr zu helfen. Anschließend hole ich weiter Wasser vom Brunnen. Nach einer gefühlt endlosen Zeit ist die Wanne endlich voll.

    Die alte Frau schickt mich los, um die Tiere zu versorgen. „Paula, die Kuh, ist schon gemolken. Sie und der Graue bekommen noch frisches Stroh, die Hühner müssen noch mit Körnern gefüttert werden", ruft sie mir hinterher.

    Wenigstens weiß ich jetzt, wer Paula ist. Den Grauen werde ich gleich kennenlernen und herausfinden, um welches Tier es sich handelt. So viele Tiere wird sie schon nicht haben. Als ich die Stalltür öffne, steht ein großes, graues Pferd vor mir.

    „Oh. Hallo, Grauer", sage ich spontan, woraufhin dieser nur schnauft, als habe er mich verstanden.

    Als ich ihm und Paula das Stroh in ihre Verschläge bringe, tritt mir die braune, wohlgenährte Kuh voll auf den Fuß. Ich schreie laut auf und versuche, sie zur Seite zu schieben, aber sie lässt sich keinen Millimeter bewegen.

    „Das ist dafür, dass du mich nicht begrüßt hast. Bin ich weniger wert als das Pferd?", höre ich in meinem Kopf. Das darf doch wohl nicht wahr sein.

    „Paula, es tut mir leid. Ich bin Dämon und es wird nie wieder vorkommen", sage ich schnell und versuche, meinen Fuß von ihrem Gewicht zu befreien. Zu meinem Erstaunen nimmt Paula ihre Klaue wieder hoch, während sie muht. Ich falle hintenüber und lande direkt in einem Kuhfladen.

    Sind das tatsächlich die Stimmen der Tiere, die ich höre?

    Ich schüttele den Kopf und stehe wieder auf. Das kann nicht sein, das bilde ich mir alles nur ein. Es war ein langer Tag heute, daran muss es liegen.

    Ich füttere noch schnell die Hühner, vergesse aber nicht, sie kurz zu begrüßen. Man weiß ja nie. Nicht, dass sie mich morgen aus Frust auch anfallen. Nachdem alle Tiere versorgt sind, humple ich, leise vor mich hin jammernd, zur Hütte zurück.

    Old Map hat ihr Bad beendet. Als sie mich sieht, fängt sie lauthals an zu lachen. „Ich sehe, du hast Bekanntschaft mit Paula gemacht. Ja, sie ist ein wenig eigen. Das Wasser ist noch warm, du solltest auch einmal hineingehen, das entspannt die Muskeln. Ich lege dir frische Kleidung raus."

    Gedemütigt, weil sie mich so sieht, drehe ich mich um. Meine Güte, ich muss dringend ins Bad, denn ich stinke furchtbar. Das warme Wasser ist wirklich herrlich. Sie hat sogar Seife liegen lassen, die ich ausgiebig benutze. So könnte ich auch täglich baden. Nachdem ich mich sorgfältig geschrubbt und das Gefühl habe, sauber zu sein, steige ich aus der Wanne und trockne mich schnell ab. Als ich die Kleidung nehme, bemerke ich, dass es keine abgetragenen Sachen sind, die sie mir hingelegt hat, sondern neue. Ich hatte noch nie neue Kleidungsstücke. Geschweige denn Hemden und Hosen, die nicht schon tausendmal geflickt wurden. Mir treten die Tränen in die Augen. Voll Dankbarkeit nehme ich mir vor, morgen noch fleißiger zu sein.

    Schniefend will ich meine alten Sachen in der Badewanne waschen, als auch schon Old Map hinter mir steht. „Diese alten, löchrigen Sachen wollen wir lieber verbrennen. Ich weiß, deine neuen sind nicht ganz passend, aber ich kann sie noch etwas auslassen. Konnte ja keiner ahnen, dass du schon so groß bist." Mit diesen Worten nimmt sie sie mir aus der Hand, schmeißt sie ins Feuer und lässt mich völlig verwirrt zurück.

    Was sie sagt, ergibt überhaupt keinen Sinn. Sie kann doch nicht gewusst haben, dass ich komme und bei ihr lebe. Vor mich hin grübelnd leere ich die Wanne und hinke in die Hütte. Old Map sitzt, in einem Tiegel rührend, am Tisch. Es stinkt furchtbar. Als sie mich sieht, schaut sie nur fragend auf meinen großen Holzklotz.

    „Ich dachte, daraus ließe sich ein Eimer machen, wenn du vielleicht ein Messer für mich über hast."

    Sie lächelt nur zufrieden und schiebt den stinkenden Tiegel zu mir rüber. „Für den Fuß", brummt sie.

    Ich nehme ihn und schaue sie an. Während sie mir zwei Messer reicht, schmiere ich die übelriechende Masse auf meinen schon blau angelaufenen Fuß. Ich habe das komische Gefühl, dass sie bereits gewusst hat, dass ich ein Messer benötige.

    „Old Map, du sagtest vorhin, du konntest nicht wissen, dass ich schon so groß bin. Aber das kann doch nicht sein, woher hättest du denn wissen sollen, dass ich komme? Die neuen Sachen sind sehr schön und denk bitte nicht, dass ich undankbar bin und nicht schätze, was ich hier alles bekomme. Aber manchmal habe ich das Gefühl, du weißt vieles schon vorher."

    Sie sieht mich lange an und in der Zeit inspiziere ich eingehend die Messer. Eines ist gerade, während das andere eine krumme Klinge hat, wunderbar geeignet zum Aushöhlen. Beide sind sehr scharf. Voller Stolz betrachte ich sie, drehe und wende sie, achte auf jedes kleine Detail. So tolle Messer habe ich noch nie in der Hand gehalten. „Du scheinst sehr scharfsinnig zu sein, außerdem bist du erstaunlich helle. Das ist sehr gut für uns, denn es erspart uns eine Menge Zeit."

    Ich sehe von den Messern auf, will sie gerade unterbrechen, da hebt sie die Hand und bedeutet mir zu schweigen. „Hab etwas Geduld, ich habe schon ewig nicht mehr so viel geredet. Einiges kann ich dir sagen, aber bei manchen Dingen ist es besser, wenn du sie erst später erfährst. Anderes weiß ich selbst nicht, das musst du allein herausfinden. Vieles steht jedoch in dem Buch. Denn wenn ich dir alles aus dem Buch erzähle, hast du keinen Grund mehr, lesen und schreiben zu lernen. Das ist aber unverzichtbar."

    Während sie spricht, macht sie Tee. Sie füllt eine Tasse und stellt sie vor mir auf den Tisch. „Was weißt du über unser Land?", fragt sie und schaut mich dabei sehr ernst an.

    Ich muss schlucken, denn es ist mir peinlich, dass ich nicht viel weiß. Aber die Nonnen waren nun mal der Meinung, ich wäre es nicht wert, mir etwas zu lehren. Alles was ich weiß, habe ich aus Gesprächen anderer aufgeschnappt.

    „Ich weiß, dass unsere Welt in fünf Länder unterteilt ist, die alle verschiedene Tiere als Wappen haben. Unseres ist der Wolf. Die Nonnen sind der Ansicht, dass wir auch die Herrschaft über die anderen Länder haben sollten. Nach ihrer Einschätzung sind die Menschen der anderen Regionen dumm und nichtsnutzig, sodass sie ohne unsere Unterstützung untergehen würden. Sie sagen auch, es ist eine Schande, dass zivilisierte Menschen wie wir den Wolf als Wappentier haben. Denn dieser ist zu nichts zu gebrauchen, blutrünstig und dumm. Sie können sich nicht erklären, was wir mit diesen Tieren gemeinsam haben sollen. Schwester Ignazia ist der Meinung, man sollte alle ausrotten und ein neues, sinnvolleres Wappenbild wählen. Magst du auch keine Wölfe? Denn ich habe heute zweimal einen gesehen, und fand ihn wunderschön. Er machte ganz und gar keinen dummen Eindruck. Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, er weiß unglaublich viel. Ich weiß, das hört sich vielleicht blöd an ..." Ich stocke. Am Ende werde ich vor Unsicherheit immer leiser. Ich will ihr nicht gleich am ersten Tag den Eindruck geben, als wäre mit mir irgendetwas nicht in Ordnung.

    Old Map sieht mich lange an, bevor sie

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