Die Dirigentin. Geschlechterkampf im Orchestergraben?: Österreichische Musikzeitschrift 03/2015
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Rezensionen für Die Dirigentin. Geschlechterkampf im Orchestergraben?
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Buchvorschau
Die Dirigentin. Geschlechterkampf im Orchestergraben? - Hollitzer Wissenschaftsverlag
IMPRESSUM
Österreichische Musikzeitschrift (ÖMZ) | Jahrgang 70/03 | 2015
ISBN 978-3-99012-210-5
Gegründet 1946 von Peter Lafite und bis Ende des 65. Jahrgangs herausgegeben von Marion Diederichs-Lafite
Erscheinungsweise: zweimonatlich
Einzelheft: € 9,50
Jahresabo: € 44 zzgl. Versand | Bestellungen: vertrieb@hollitzer.at
Förderabo: ab € 100 | Bestellungen: redaktion@oemz.at | emv@emv.or.at
Medieninhaberin: Europäische Musikforschungsvereinigung Wien (EMV)
ZVR-Zahl 983517709 | www.emv.or.at | UID: ATU66086558
BIC: GIBAATWWXXX | IBAN: AT492011129463816600
Herausgeber: Daniel Brandenburg | dbrandenburg@oemz.at
Frieder Reininghaus (verantwortlich) | f.reininghaus@oemz.at
Redaktion: Lena Dražić (Heftkonzeption, Leitung) | l.drazic@oemz.at
Johannes Prominczel | j.prominczel@oemz.at
Julia Jaklin (Assistenz) | j.jaklin@oemz.at
Adresse für alle: Hanuschgasse 3 | A-1010 Wien | Tel. +43-664-186 38 68
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Verlag: Hollitzer Verlag | Trautsongasse 6/6 | A-1080 Wien
Tel. +43-1-236 560 54 | office@hollitzer.at
Coverbild: Marin Alsop | © Grant Leighton
Layout & Satz: Gabriel Fischer | Wien
© 2015 Hollitzer Verlag. Alle Rechte vorbehalten. Die Redaktion hat sich bemüht, alle Inhaber von Text- und Bildrechten ausfindig zu machen. Zur Abgeltung allfälliger Ansprüche ersuchen wir um Kontaktaufnahme.
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von
Anu Tali Foto: Kadri Tali
Liebe Leserinnen und Leser,
in periodischen Abständen besinnt sich die Musikpublizistik auf Mozarts Frauen, Beethoven und die Frauen oder die Frauen um Felix Mendelssohn Bartholdy – um nur einige Buchveröffentlichungen der letzten Jahre zu nennen. Bringen AutorInnen (beiderlei Geschlechts) im musikalischen Kontext »Frauen« ins Spiel, kann leicht der Eindruck entstehen, es sei von exotischen Wesen die Rede. Quer durch die Musikgeschichte erscheinen sie als Komparsinnen, Musen, erotische Objekte – und in Ausnahmefällen auch als Subjekte.
Im real existierenden Musikleben ist der weibliche Anspruch auf Repräsentation, auf »Quote«, dagegen in weiten Bereichen erfüllt: Von notorischen Männerbünden wie den Wiener Philharmonikern einmal abgesehen, sind in vielen Berufsorchestern mittlerweile mehr Frauen als Männer vertreten. Anders in den Zonen der leitenden Funktionen und Tätigkeiten. Kommt, so Anke Steinbeck in dem Buch Jenseits vom Mythos Maestro, »das exponierte Thema ›Führung‹« ins Spiel, so erscheint die Verteilung und die Wahrnehmung der Geschlechter weiterhin asymmetrisch. Beispielhaft lässt sich dies an der Figur des Dirigenten aufzeigen, über dessen Tätigkeit Elias Canetti 1960 schrieb: »Es gibt keinen anschaulicheren Ausdruck der Macht« – einer Macht, die nicht nur Theodor W. Adorno auf militärische Ursprünge zurückführte. Auch heute noch werden Dirigenten überwiegend mit männlich konnotierten Adjektiven wie »autoritär, charismatisch, überlegen, sicher, mächtig, …« beschrieben, wie Annkatrin Babbe in ihrem Beitrag zur aktuellen beruflichen Situation von Dirigentinnen schreibt (S. 11). Auch wenn mehr und mehr Frauen der »gläsernen Decke« trotzen, kämpfen die wenigen Dirigentinnen an der Spitze nach wie vor mit Vorurteilen. Auf der anderen Seite des Spektrums geschlechtlicher Stereotype erscheint eine Figur wie die Diva mit ihrer Aura von Sinnlichkeit, Extravaganz und lasziver Erotik als Verkörperung »weiblicher« Eigenschaften par excellence. Diese Zuschreibungen stehen emblematisch für das Rollendenken, das in manchen Teilen des Musikbetriebs ein längeres Haltbarkeitsdatum aufweist als in weniger geschützten Sphären.
Immerhin lassen die Äußerungen von Dirigentinnen in diesem Heft vermuten, dass das Kämpferische vielfach in den Hintergrund getreten ist und einem neuen Pragmatismus Platz gemacht hat – ein Indiz dafür, dass die Kategorie ›Geschlecht‹ auch in den exponierteren Bereiche des Musikbetriebes langsam, aber sicher an Bedeutung verliert. Doch es geht um mehr als eine gerechte Verteilung des Kuchens, die sich in Zahlen und Quoten fassen ließe. ›Performance‹ beginnt in der Musik nicht erst mit dem Heben des Taktstocks oder dem Erklingen des ersten Tones – sie umfasst auch die Rolle, die DirigentInnen und Diven beiderlei Geschlechts über die Aufführung hinaus spielen (müssen?). Weiter gehend als bei bisherigen Heften verlässt der Thementeil dieses Hefts die distanziert diagnostizierende Position und positioniert sich in einem umstrittenen Terrain überwiegend in eindeutiger und daher anfechtbarer Weise. Wir hoffen, dass die Pointierung die Diskussionen befördert. › Das Team der ÖMZ
Inhalt
Die Dirigentin Geschlechterkampf im Orchestergraben?
Annkatrin Babbe: Den »Titel ›Dirigentin‹ – also: Frau am Pult – zu überwinden« Zur Situation von Dirigentinnen im deutschsprachigen Raum ›
Eva Rieger: Dompteuse mit zarter Hand? Die Dirigentin gestern und heute
»Es steckt viel Mythos in diesem Beruf.« Simone Young im Gespräch mit Lena Dražić
Freia Hoffmann: Vom Taktstock-Diktator zum primus inter pares
Angelika Silberbauer: Die Körper der Diva
Extra: Der hohe Ton der Sängerin
Andrea Ellmeier und Doris Ingrisch: Genie und Diva
Statements, Kurzporträts und ein Kontrapunkt von
Lena-Lisa Wüstendörfer
Elisabeth Attl
Mirga Gražinytė-Tyla
Frieder Reininghaus
Nazanin Aghakhani
Bettina Schmitt
Anke Steinbeck
Marin Alsop
Elisabeth Fuchs
Elisa Gogou
Angela Gehann-Dernbach
Neue Musik im Diskurs
»Bei jeder Note dachte ich an die Person, die sie singen wird.« Joanna Woźny im Gespräch mit Lena Dražić
Berichte Oper in Österreich
Possierliche Vogelfänger: Gassmanns Uccellatori an der Wiener Kammeroper (Christoph Irrgeher)
Die Ferne – anheimelnd nah: Saariahos L’amour de loin in Linz (Frieder Reininghaus)
Wenn der Paternoster Leichen befördert: Elektra an der Wiener Staatsoper (Jörn Florian Fuchs)
Psychoanalyse mit der Brechstange: Le nozze di Figaro im Theater an der Wien (Johannes Prominczel)
Berichte Oper in Europa
Christian Josts Rote Laterne und Alvis Hermanis’ Schönste Sterbeszenen in Zürich, Pascal Dusapins Penthesilea in Brüssel, Arrigo Boitos Mefistofele in Prag, Verdis Macbeth in Amsterdam (Frieder Reininghaus)
Berichte Festivals
MaerzMusik (Magdalena Pichler)
Osterfestspiele Salzburg und Osterfestival Tirol (Walter Weidringer)
Berichte Konzerte in Wien
Klavierduo GrauSchumacher, Ensemble Phace (Jonas Pfohl)
Johannes Fischer, Klangforum Wien (Luise Adler, Lena Dražić)
Porträt Clemens Nachtmann (Philip Röggla)
Berichte Symposien
Historiography on Display (Julia Jaklin)
Florian Leopold Gassmann: Gli uccellatori (Anna-Maria Pudziow)
Rezensionen
Bücher
CDs und DVDs
Das andere Lexikon
Hexenmusik (Lena Dražić)
News
Gepriesen sei das Preisen
Zu guter Letzt
Deutungshoheit in der Aufmerksamkeitskultur
Autorinnen dieser Ausgabe, Vorschau
THEMA
Den »Titel ›Dirigentin‹ – also: Frau am Pult – zu überwinden«
Zur Situation von Dirigentinnen im deutschsprachigen Raum
Annkatrin Babbe
Nach steinigen Anfängen sind Dirigentinnen heute so präsent wie nie zuvor. Dennoch müssen sich Frauen am Pult großer Orchester weiterhin gegen hartnäckige Vorurteile behaupten. Allenthalben werden ihnen von männlichen Rivalen mangelndes Führungsvermögen oder störende »sexuelle Energie« angelastet. Der vorliegende Beitrag skizziert die gegenwärtige Situation von Dirigentinnen im deutschsprachigen Raum und versucht mögliche Ursachen für die weiterhin bestehende Unterrepräsentanz von Frauen in dieser Berufsgruppe zu benennen.
»Ich als Frau, Dirigentin und Kollegin [fordere] Sie zu einem Konzert-Duell in Oslo heraus, bei dem wir beide mit dem gleichen Orchester abwechselnd die gleichen Stücke aufführen. Wir stammen beide aus Russland, haben beide Familie und ein Kind, sind beide im gleichen Alter. Das einzige, was uns unterscheidet, ist das Geschlecht«¹. Zu demonstrieren, dass zwischen Dirigentinnen und Dirigenten vor allem bezüglich Fach- und Führungskompetenz kein Unterschied besteht – das intendierte Anna Skryleva, 1. Kapellmeisterin am Staatstheater Darmstadt, mit ihrer Aufforderung an den Dirigenten der Filharmonien Oslo, Vasily Petrenko. Dieser hatte zuvor der Zeitung Aftenposten gegenüber geäußert, dass Frauen für den DirigentInnenjob weniger geeignet seien als Männer. Durch eine Dirigentin würden die Musiker – ob der »sexuellen Energie« der Frau – abgelenkt und daher unkonzentrierter spielen.² Zudem seien für Frauen durch etwaige familiäre Verpflichtungen größere Schwierigkeiten mit dem Beruf verbunden. In ihrem offenen Brief vom 4.9.2013 wandte sich Skryleva an Petrenko, auch um mit solch hartnäckigen Gemeinplätzen aufzuräumen und außerdem klarzustellen: Es ist nichts Anderes, nichts Außergewöhnliches, wenn Frauen am Pult stehen.
Vor allem ist es auch nichts Neues: Dirigentinnen gibt es seit Jahrhunderten. Bereits vor und um 1800 übernahmen Frauen im europäischen Raum die Leitung von Orchestern. Vom Tasteninstrument aus »dirigierten sie zumindest Liebhaberkonzerte, halböffentliche und häusliche Aufführungen«³, in anderen Fällen leiteten Frauen auch öffentliche Konzerte von der Geige aus. Die Loslösung des Dirigierens vom Instrument und die Herausbildung des neuen Berufsbildes im 19. Jahrhundert implizierte einen »Zuwachs an Autorität« sowie den »Nimbus eines kongenial nachempfindenden Interpreten«⁴. Als »Inbegriff ›musikalischer Macht‹ und verklärender Genieästhetik«⁵ blieb damit gerade Dirigieren den Männern vorbehalten, schließlich stand die Tätigkeit mit dem Idealbild der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft in Konflikt. Dennoch traten einige Frauen weiterhin vor Orchester.
Auch im 19. Jahrhundert traten einige Frauen vor Orchester, darunter Fanny Hensel (geb. Mendelssohn; 1805–1847). Ölbildnis von Moritz Daniel Oppenheim, 1842.
Im 19. Jahrhundert waren dies unter anderem Fanny Hensel und Nina Stollewerk, außerdem Josephine Amman-Weinlich, die nicht nur das Erste Europäische Damenorchester gegründet und geleitet, sondern später auch Lissaboner Berufsorchester dirigiert hat, und Juliette Folville, die sich 1890 als erste Dirigentin vor das Concertgebouw Orchester in Amsterdam gestellt hat. Im 20. Jahrhundert erlangten Ethel Leginska, Nadia Boulanger und Antonia Brico ansehnliches Renommee. Später, Mitte der 1970er-Jahre, machten sich Dirigentinnen wie Sylvia Caduff, bekannt als eine der ersten Frauen am Pult der Berliner Philharmoniker, und Jane Glover einen Namen. Ihnen folgten Dirigentinnen wie Marie-Jeanne Dufour, Romely Pfund, Alicja Mounk, Marin Alsop und Sian Edwards. Heute sind es Namen wie jene von Simone Young, Julia Jones, Karen Kamensek, Susanna Mälkki, Anu Tali, Joana Mallwitz und Xian Zhang, die in der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen.
Basierend auf schriftlichen Interviews mit Dirigentinnen⁶ sowie Umfragen zur Ausbildung an Musikhochschulen und Konservatorien an deutschen, österreichischen und schweizerischen Institutionen, außerdem auf der Kenntnisnahme bisheriger Forschungsergebnisse, soll der vorliegende Beitrag die gegenwärtige Situation von Dirigentinnen im deutschsprachigen Raum skizzieren und darüber hinaus einige mögliche Ursachen für die weiterhin bestehende Unterrepräsentanz von Dirigentinnen zu benennen versuchen.
Dirigentinnen heute
An vielen Orchesterinstrumenten sind Musikerinnen längst etabliert. Geigerinnen belegen mittlerweile in einigen Orchestern des deutschsprachigen Raums die meisten Plätze innerhalb der Instrumentengruppe. Flötistinnen hatten die männlichen Kollegen schon kurz nach der Jahrtausendwende quantitativ überrundet.⁷ Lediglich Kontrabassistinnen, Blechbläserinnen und Perkussionistinnen werden noch immer als Ausnahmen unter den InstrumentalistInnen hervorgehoben. Auch Dirigentinnen gelten noch nicht als selbstverständlich.
Zwei der wenigen Dirigentinnen, die gelegentlich vor österreichischen Berufsorchestern stehen: Julia Jones und Eun Sun Kim (rechte Seite). Foto: Maurice Korbel
Während in den elf vom Deutschen Musikinformationszentrum (MIZ) aufgeführten Rundfunkorchestern in der aktuellen Spielzeit (2014/2015) keine Dirigentinnen beschäftigt sind, haben in den 111 Konzert- und Theaterorchestern Deutschlands, die das MIZ unter dieser Rubrik auflistet, derzeit siebzehn Musikerinnen als Dirigentinnen im weiteren Sinne eine Anstellung gefunden.⁸ Drei Generalmusikdirektorinnen befinden sich unter ihnen: Joana Mallwitz, Simone Young und Karen Kamensek. Als 1. Kapellmeisterin sind in deutschen Orchestern zwei Musikerinnen engagiert, als 2. Kapellmeisterin drei. Eine Musikerin ist außerdem als Kapellmeisterin aufgeführt, eine weitere als Dirigentin eines Opernorchesters sowie zwei als Dirigentinnen von Philharmonischen Orchestern. Fünf haben darüber hinaus eine Anstellung als Korrepetitorin mit Dirigierverpflichtung. Nicht unbeachtet bleiben