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Was Musiker tagsüber tun: Wissenswertes und Amüsantes aus der Welt der Musik
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eBook237 Seiten3 Stunden

Was Musiker tagsüber tun: Wissenswertes und Amüsantes aus der Welt der Musik

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Über dieses E-Book

Wie viel üben Sie pro Tag? Was tut man bei einer Panne? Was tun Agenten? Und was Konzertveranstalter? Diese und viele andere Fragen, die Konzertbesucher häufig an Musiker stellen, beantwortet dieses Buch. Milan Turkovic erzählt von der Arbeit des Orchesters, von der geheimnisvollen Aura der Dirigenten, von Lobeshymnen und Verrissen der Musikkritik, vom spannungsgeladenen Verhältnis zwischen Musik und Politik und vielem mehr. Auch dem bisweilen höchst erheiternden Thema Musiker auf Reisen ist ein Kapitel gewidmet. Die gekonnte Mischung aus amüsanten Anekdoten, scharfen Beobachtungen und kritischen Anmerkungen sorgt für köstliches Lesevergnügen und gibt Anregungen für viele gepflegte Pausengespräche.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum10. Feb. 2015
ISBN9783218009751
Was Musiker tagsüber tun: Wissenswertes und Amüsantes aus der Welt der Musik

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    Buchvorschau

    Was Musiker tagsüber tun - Milan Turkovic

    »Zwar ist es leicht,

    doch ist das Leichte schwer.«

    Erich Kästner

    AUFTAKT

    »Sagen Sie, was tun Sie eigentlich tagsüber?« Diese Frage von Konzertbesuchern, in angeregtem Pausengespräch oder »après« an Musiker gerichtet, wurde schon immer als abgedroschener Musikerwitz gehandelt. Immer wenn die ominöse Frage ausgesprochen wird, leiten viele von uns daraus ein Recht ab, zynisch und abfällig zu reagieren. Ich meine, es gibt nichts Ungerechteres als Hochmut, selbst auf eine vordergründig so naiv klingende Frage. Zugegeben, ich habe, vor allem in den vielen Jahren meiner Orchestertätigkeit, oft die Geduld verloren, wenn derartige Gespräche massive Unkenntnis und auch ein gerüttelt Maß an Fehlinformation über den Musikerberuf zutage förderten. Inzwischen habe ich aber erkannt, dass es eigentlich keine bessere Bestätigung künstlerischer Hochleistungen geben kann als die Tatsache, dass die Anstrengungen, die dahinter stecken, von einem Teil des Publikums nicht bemerkt werden. Denn Musik – souverän und virtuos dargeboten – löst doch beim Zuhörer (und Zuschauer!) meistens das Gefühl von Leichtigkeit und Überlegenheit aus.

    Christa Ludwig sagte in einem Interview* für eine Schallplattenzeitschrift Folgendes: »Meine Mutter hat immer gesagt: ›Was? Man sieht dir an, wie schwer es dir fällt? Dann hast du noch nicht genug gearbeitet.‹ Das Publikum muss den Eindruck haben, dass es einem leicht fällt, nach dem Motto: die singt ja nur …, denn Kunst soll ja im Grunde nicht schwitzen, sondern leicht sein.« Wenn also das »Schwitzen« der Musiker im Konzertsaal und alle Mühen, die dem Auftritt vorangehen, unbemerkt sein sollen, so sei dafür in diesem Buch einmal die Rede davon.

    *  Quellenhinweise am Ende des Buches

    Kein Beruf ist ohne Anomalien und Missstände. Zuweilen muss ich deswegen »senza sordino«, also ohne Dämpfer, Kritik üben, um dieses Metier einigermaßen umfassend darzustellen. Ich nehme mir dabei das Recht eines deklariert subjektiven Zugangs.

    Die anfangs zitierte triviale Frage nach unserer Tagesbeschäftigung war absichtlich als Einstieg gewählt. Damit darf ich mir den Weg öffnen zur Beweisführung meiner Behauptung, dass wir einen der unverstandensten und unverständlichsten Berufe der Welt haben. Zuvor sei aber die ominöse Frage: »Was tun Sie eigentlich tagsüber?« – auch wenn ich sie tatsächlich selbst oft gehört habe – besser wieder in die Lade alter Musikerscherze befördert. Ersatzweise könnte – um nicht überproportional großem Ernst zu verfallen – die nachfolgende Aussage Johann Nestroys als Leitsatz zu meinem Buch eingefügt werden: »Kunst ist, wenn man’s nicht kann, denn wenn man’s kann, ist’s keine Kunst.«

    BERUFSBILD UND SOZIALPRESTIGE

    Der weltberühmte Pianist gab im Auditorium einer großen Universität im Mittelwesten der USA einen zweistündigen Soloabend mit vier Hauptwerken der großen Klavierliteratur. Danach fand eine der beliebten »post concert parties« im Haus des gefeierten Leiters der universitären Herzchirurgie statt. Der Doktor ist nebenbei ein begabter Pianist. Nach einem opulenten »chicken-dinner« mit allerlei Salaten und einem saftigen Blueberry cheesecake nähert sich der Chirurg dem ermatteten Klaviertiger und sagt: »Sehen Sie im Musikzimmer nebenan meinen ganzen Stolz, meinen neuen Steinway-Flügel? Würden Sie, lieber Maestro, nicht gerne darauf ein Stück für uns spielen?« Darauf der Pianist: »Ich habe einen besseren Vorschlag: Nehmen Sie uns doch alle in die Küche mit, und führen Sie uns dort eine Bypass-Operation an einem Huhn vor!«

    Was darf ich aus dieser Begebenheit schließen?* Doch zumindest, dass auch im Kreise von Musikkennern und -liebhabern die Einfühlung in die komplexe psychische und physische Verfassung eines professionell tätigen Künstlers nicht unbedingt gewährleistet sein muss. Und wer oft selbst auf Tournee war, weiß, dass diese Pianisten-Anekdote absolut typisch ist, auch wenn sie sich nicht immer auf derart charmante Weise abspielt. Seien wir aber auf niemanden böse: weder auf den Klavier spielenden Arzt noch auf den vermeintlich arrogant reagierenden Starsolisten! Der Doktor ist jedes Mal, wenn er selbst am Flügel sitzt, im siebenten Himmel.

    *  Es handelt sich um eine verbürgt wahre Begebenheit. Ihre Akteure nenne ich nicht, weil es mir – wie auch im weiteren Verlauf dieses Buches – bei solchen symptomatischen und überall möglichen Geschichten nicht darum geht, dass über jemanden, sondern über etwas gelacht werden kann.

    Folglich meint er, das müsste nun auch auf seinen Gast zutreffen. Von einem erfolgreichen Künstler, dem man die Liebe zu seinem Metier anmerkt, nimmt man an, dass diese Liebe jederzeit abrufbar ist, da er ja – wie er sicherlich hin und wieder zu verstehen gibt – in seinem Beruf völlig »aufgeht«. Und in der Tat hat es immer wieder Musiker gegeben, die sich zu später Stunde im kleinen Kreis gerne produzierten: Von Vladimir Horowitz gibt es private Tonbänder, auf denen man ihn auf nächtlichen Festen grotesk komische Chansons singen und sich selbst begleiten und persiflieren hört. Aber wohlgemerkt: kein Schubert oder Chopin auf dem wohltönenden neuen Flügel eines begeisterten Fans! Wenn der Pianist Stefan Vladar als Alleinunterhalter in der legendären Broadway-Bar von Béla Koreny ans Klavier geht, so tut er das für uns, seine Freunde, und aus eigenem Antrieb. Und wer einmal den viel zu früh verstorbenen Klarinettisten Christian Cubasch von den Wiener Philharmonikern auf einem Fest erlebt hat, wird niemals die Lachsalven vergessen, die dieser als Alleinunterhalter buchstäblich eine ganze Nacht lang ausgelöst hat. Aber, nochmals sei betont: Er hat dabei keinen einzigen Ton auf der Klarinette gespielt. Auch der berühmte Fritz Kreisler hätte es nicht getan. Von ihm ist die folgende – unter Musikern oft zitierte – Anekdote überliefert: Nach einem seiner Konzerte wird Kreisler für den nächsten Abend zum Essen eingeladen. Der Gastgeber krönt sein Angebot mit der Frage: »Und werden Sie auch Ihre Violine mitbringen, Herr Kreisler?« Worauf dieser eisig lächelnd sagt: »Nein, danke, meine Violine isst nichts.« So viel zu den Missverständnissen zwischen Musikern und Laien.

    Es sage aber niemand, das Prestige des Musikers müsse nur gegenüber den Nichtfachleuten verteidigt oder gar erst fabriziert werden! Wenn ich mich im Kollegenkreis umhöre, so stoße ich berufsintern auf die fantastischsten Szenarien der Hoch- oder Missachtung. Wie auch auf anderen Nervenstärke erfordernden Gebieten, rettet man sich bei uns am besten vor sich selbst, indem man sich zu der Überzeugung durcharbeitet, wichtiger zu sein als alle anderen. In dem köstlichen – leider nur auf italienisch erschienenen – Buch »Vademecum del pianista da camera« von Bruno Canino berichtet der großartige Pianist über Diskussionen in der Hochschule. Da ist die Rede von dem ewigen Problem, dass es zu viele Pianisten und zu wenige Auftrittsmöglichkeiten gibt. Eine Kollegin von einem anderen Instrument glaubt, die Sache folgendermaßen lösen zu können: »Es ist ganz einfach, diejenigen, die nicht so gut sind, die nicht so viel Talent haben, können noch immer Kammermusik machen.« So weit kann es also das herrliche Gebiet des denkbar feinsten musikalischen Dialogs bei so manchen »Fachleuten« bringen, wenn diese neidvoll auf das Prestige eines derart etablierten Instrumentes wie jenes des Klaviers blicken.

    Wir dürfen also feststellen, dass es auch in unserem Metier selbstverliebte Meister der Unduldsamkeit gibt. Worüber ich jedoch so glücklich bin, ist die Tatsache, dass die Podien im Moment der Aufführung keinen geeigneten Platz für selbstgefällige Autismen bieten. Es sei denn, man kalkuliert ein künstlerisches Misslingen bewusst ein! Ich wage zu behaupten, dass wir damit im Gegensatz zu einer modernen Öffentlichkeit stehen: nämlich zu jenen Bereichen menschlicher Begegnungen, in denen der Ellbogen – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn – zu einem unverzichtbaren Instrument der Selbstbehauptung mutiert. Ein Musiker, der bei der Arbeit mit Ellbogentechniken agiert, mag ein großer Künstler sein. Er wird aber keine brauchbaren Resultate erzielen, solange er im Verein mit anderen musizieren soll.

    Meine Gedanken zum Sozialprestige der Musiker im Publikum führen mich nun aber wieder auf ein häusliches Fest, und noch einmal ist der ganz junge und noch nicht sehr berühmte Fritz Kreisler der Protagonist: Die Besitzerin eines vornehmen, großen Hauses engagierte Kreisler, damit er für die Gäste eine halbe Stunde lang aufspiele. Nachdem er sich der Hausherrin vorgestellt hatte, fragte diese: »Mister Kreisler, wie hoch ist Ihr Honorar für einen solchen Anlass?« Er erwiderte: »Zweihundert Pfund, Madam.« »O. K.«, sagte sie und fügte hinzu: »Ach ja, was ich noch sagen wollte: Die Gäste treffen erst in zwanzig Minuten ein. Vielleicht könnten Sie inzwischen schon Ihr Dinner in der Küche einnehmen.« Daraufhin antwortete Kreisler schnell: »Wenn das so ist, dass ich in der Küche esse, dann kostet meine Mitwirkung nur fünfzig Pfund, Madam!«

    Man meine nicht, eine Quasi-Leibeigenschaft, wie sie die Musiker im Kreis um Joseph Haydn zähneknirschend erduldeten, beziehungsweise wie sie Mozart aus dem Dunstkreis des Salzburger Erzbischofs vertrieb, gehöre zu den Anachronismen früherer Zeiten und sei heute undenkbar. Wahrscheinlich hätte Mozart weniger Empörung über das Essen in der Küche empfunden als Kreisler, denn auch sein Vorgesetzter in Salzburg, Graf Arco (der mit dem Fußtritt!), war nur ein Hofschranz, nämlich bezeichnenderweise »Oberküchenmeister«!

    Das Erlebnis Fritz Kreislers wiederholt sich in mannigfacher Form und in aller Welt immer wieder. Vor allem dort, wo nicht verstanden wird, dass der Musiker heute als Akademiker angesehen werden muss und nicht eine »Elite des Dienstpersonals« ist. Wahrlich nicht überall ist klar, dass unsere Arbeit nicht nur im Bereich der Unterhaltung, sondern auch in der Kunst anzusiedeln ist. Wenn wir im Visaformular für Japan in der Spalte »profession« brav unser »musician« einsetzen, wird daraus im Visum mit bürokratischer Bosheit ein »entertainer«. Und wenn ich mich nun schon auf Reisen begeben habe, so setze ich gleich in die USA über. Die Vereinigten Staaten von Amerika kommen in meinen Betrachtungen ganz bewusst oft vor. Nicht nur, weil ich sie sehr gut kenne, sondern auch, weil gerade dort unser Sozialprestige als »Entertainer« noch immer traditionell niedrig ist. Ich habe das Glück, in einem Land zu leben, in dem das genaue Gegenteil der Fall ist. In Österreich, vor allem in Wien, gelten wir nicht nur als Aushängeschild der Nation, sondern sind auch in allen Gesellschaftsschichten (auch in denen, für die unsere Kunst uninteressant ist!) angesehen. Man ordnet unser Metier dem Begriff zu, der so grauenhaft ist wie viele der Politik entstammende Wortschöpfungen: Hochkultur.

    Eine miserable Wortwahl! Denn damit wird allen, die noch keinen Zugang zu uns haben, suggeriert, dass unsere Kunst für sie unerreichbar, also zu hoch ist. Ich werde freilich nicht so naiv erscheinen wollen, das dahinter stehende feine politische Kalkül nicht durchschauen zu können. Glücklicherweise darf ein österreichischer Musiker beruhigt von philosophischen Grübeleien über dieses Thema absehen. Ich verweise auf mein Kapitel »Musik und Politik« und kann mich fortan an der Tatsache erfreuen, dass des Musikers Prestige hierzulande schwer zu mindern ist. Und wer es tut, schneidet sich damit ins patriotische Fleisch. Denn auf kaum einem anderen Gebiet können wir auf ähnliche Weltgeltung verweisen wie in der Musik. Unsere Landsleute danken uns dies, indem sie uns ein hohes Prestige in der Gesellschaft zugestehen. Und wir Musiker danken es nicht nur unseren Lehrern und Vorgängern, sondern vor allem Fux, Mozart, Haydn, Beethoven, Strauß (wohl nur den mit dem scharfen »ß« dürfen wir beanspruchen), Brahms (dem größten aller Gastarbeiter), Mahler, Schönberg und und und.

    Ganz zuoberst in der Werteskala des gesellschaftlichen Prestiges stehen in Wien die Wiener Philharmoniker. Ihre Leistungen und ihr Ruhm bilden gemeinsam eine derart starke Kraft, dass alles andere, was in dieser Stadt musiziert, es schwer hat, zu ähnlichem Ansehen zu gelangen. Wäre nicht ihr weltweiter Bekanntheitsgrad – Stichwort Neujahrskonzert –, wer weiß, wie viel öfter man fern der Heimat Vienna buchstabieren und erklären müsste, warum es in Austria keine Känguruhs gibt. Diesen Status quo kann man freilich nicht immer und prinzipiell als gerecht ansehen. Denn als Musikmetropole ist Wien eine veritable Weltstadt. Sie besitzt drei internationale Spitzenorchester und sie bringt zusätzlich laufend große Künstler hervor, die jenseits der orchestralen Bereiche in aller Welt von sich reden machen.

    Aber Tatsache bleibt, dass alles »Philharmonische« aus Wien mit Beständigkeit und mit Erfolg unangefochten die erste Position besetzt. Dies erklärt sich auch aus der geballten Ladung Musikgeschichte, die sich hier angehäuft hat. Das Archiv der Wiener Philharmoniker kann als ein Brennpunkt europäischer Musikgeschichte angesehen werden. Clemens Hellsberg dokumentiert dies in seinem Buch »Demokratie der Könige«. Dort wird die revolutionäre Idee, mitten im neunzehnten Jahrhundert ein professionelles Konzertorchester aus einem Opernbetrieb herauszuschälen, eindrucksvoll deutlich gemacht. Sehr ähnlich verliefen Entwicklungen in Berlin, Prag, Amsterdam, Budapest, London, Chicago, Boston und New York, um nur die berühmtesten zu nennen. Dennoch nehmen diese Konkurrenten trotz ihrer jeweiligen Position in ihren Städten selten einen mit dem der Wiener Philharmoniker vergleichbaren gesellschaftlichen Rang ein. Eine Tatsache, die etwa den Wiener Symphonikern zu allen Zeiten eine benachteiligte Ausgangsposition zumaß, ganz gleichgültig, wie sehr ihre Leistungen in Fachkreisen anerkannt wurden.

    Am ehesten erscheint mir Berlin mit Wien vergleichbar. Dort kennt man auch den Begriff des »Philharmonikers« als »Titel«. Als ein Hornist des Orchesters in einer sehr edlen Gegend Berlins in einem gediegenen, A-Klasse-bewohnten Haus eine Wohnung erwerben wollte, wanderte zunächst die Frage, wer denn der »Neue« sei, durch die Hausflure. Ein Musiker, zumal ein Hornist, wird ja zuerst einmal bloß als eine potenzielle Lärmquelle eingestuft. Die Mitteilung, es handle sich um ein Mitglied des Berliner Philharmonischen Orchesters (heute »Berliner Philharmoniker«), löste allgemeine Zufriedenheit der Hausgemeinschaft aus. Nun konnte ich es mir nach dem Bericht meines Kollegen nicht verbeißen zu fragen, wie denn die Reaktionen gewesen wären, hätte er sich – als dieselbe Person mit seinem Horn und seiner Familie – als Angehöriger eines anderen Orchesters ausgewiesen. Er meinte darauf, dass er dann wohl nicht so spontan und herzlich in die Gemeinschaft aufgenommen worden wäre …

    Und nun fällt mir ein lange zurückliegendes Gespräch mit einem exklusiven Wiener Wohnungsmakler ein. In Wien spricht man einander stets mit Titeln an. Und zwar auch dann, wenn keine echten vorhanden sind oder diese tatsächlich nur Berufsbezeichnungen sind.* Das dient in erster Linie der Bequemlichkeit, denn es erspart einem das Merken des Namens seines Gegenübers. Auch der Herr Makler wusste am Ende der Verhandlung meinen Namen offensichtlich nicht mehr. Er wollte aber das Geschäft machen und musste mich deshalb mit einer »todsicheren« Höflichkeit verabschieden. Zuerst schwang er die Hände in die Luft und stieß schließlich, in Erinnerung an meinen Beruf, die Formel: »Habe die Ehre, Herr Philharmoniker!« hervor.

    *  Genau genommen geht es hier um Ersatzhandlungen: 1918 wurde der Adel abgeschafft. Im Gegensatz zu Deutschland wurden jedoch nicht nur dessen Privilegien, sondern auch quasi Teile ihrer Namen kassiert. Schon deswegen waren Titel als Ersatz zu pflegen.

    Gelegentlich fragt mich ein wohlmeinender Zuhörer, warum ich denn nie »zu den Philharmonikern gegangen« sei. Es bleibt dann oft unverstanden, warum dieses unendlich gut gemeinte Kompliment reserviert aufgenommen wird. Die Erklärung, ich hätte mich bei dem von mir sehr verehrten Orchester nie beworben, denn es gebe doch auch andere schöne Karrierewege, wird oft mit Staunen oder gar mit Misstrauen aufgenommen.

    Andere Länder, ähnliche Sitten: Das japanische Konzertpublikum, mittlerweile so erfahren und wohltrainiert in westlicher klassischer Musik, dass es seine eigene Musiktradition fast vergessen hat, blickt mit höchsten Erwartungen auf jedes Gastspiel seiner Favoriten. Das sind absolut unbestritten und weit vor allen anderen »Wien Phil« und »Berlin Phil« (so die beinahe schon offiziellen dortigen Abkürzungen). Klar, dass die im Umfeld dieser Spitzenorchester agierenden Kammermusikgruppen von Haus aus das allerhöchste Ansehen genießen. Als Mitglied eines solchen – Wien und Berlin einschließenden – Ensembles genieße ich selbst diesen Vorteil. Alle anderen Gruppierungen, seien sie aus Europa oder aus den USA, können nur mit Mühe in Japan Fuß fassen und die riesigen Konzertsäle füllen. Unter dieser scheinbar unverrückbaren Tatsache leiden die »anderen« Orchester Wiens und Berlins. Dasselbe gilt für viele große Orchester Europas und der USA. Etwa das London Symphony Orchestra oder das Chicago Symphony Orchestra. Dabei ist Letzteres gerade im amerikanischen Musikleben, aber natürlich auch in den meisten europäischen Ländern,

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