Arrangements für Blasorchester: Pro und kontra Transkription
Von Michael Kummer und Eugen Brixel
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Über dieses E-Book
'Arrangements für Blasorchester' beschäftigt sich, wie der Untertitel verdeutlicht, mit dem 'Pro und kontra Transkription'. 'Sind Transkriptionen noch zeitgemäß?' Diese Frage muss zuvorderst gestellt werden. Wie bearbeitet man Bach oder Strauß, Verdi oder Wagner? Und bearbeitet man sie überhaupt? Darf man Retuschen vornehmen und wie nah soll man sich am Original bewegen? Und auch die Bearbeitung von Jazz, Musicals und Popmusik wird behandelt.
Die Reihe clarino.extra dient dem Leser als gleichermaßen praktisches wie unterhaltsames Nachschlagewerk und beinhaltet thematisch sortierte Fachartikel aus der Zeitschrift Clarino bzw. clarino.print.
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Buchvorschau
Arrangements für Blasorchester - Michael Kummer
clarino.print
Klassische Bearbeitungen - Sind Transkriptionen für Blasorchester noch zeitgemäß?
»Sind Bearbeitungen noch zeitgemäß?« – über dieses Thema sprachen in einer Podiumsdiskussion anlässlich des Tages der offenen Tür in der deutschen De-Haske-Niederlassung die Komponisten, Arrangeure und Dirigenten. Besonders am Anfang des Mozart-Jahres 2006 schien die Frage durchaus berechtigt; schließlich konnten sich auch Blasorchester und Bläserensembles dem übermächtigen musikalischen Thema des Jahres nicht verschließen. Michael Kummer, selbst Teilnehmer eben jener Diskussionsrunde, legt in diesem Artikel seine Sicht der Dinge dar.
Um es gleich vorweg zu sagen – ich denke »ja«. Nicht besonders überraschend angesichts der Zusammensetzung der Podiumsdiskussion war diese auch nicht kontrovers – im Gegenteil: Quasi unisono spielten sich die Teilnehmer die Bälle zu und beleuchteten das einhellige »Ja« mit ihren persönlichen Erfahrungen. Ich will nun im Folgenden einige Aspekte dieser immer aktuellen Fragestellung aus meiner heutigen Sicht ansprechen.
Repertoire im Wandel der Zeit
Im Laufe meiner mittlerweile fast 30-jährigen Berufserfahrung hat sich auf diesem Gebiet Gigantisches getan. War es Ende der 70er-Jahre – wollte man ein qualitativ hochwertiges Programm zusammenstellen – fast unumgänglich, weitgehend Bearbeitungen zu programmieren, so kann dieses Argument heute nicht mehr gelten. Auf allen stilistischen Spielwiesen haben sich ausländische und mittlerweile erfreulicherweise auch mehr und mehr heimische Komponisten zugunsten der interpretierenden Künstler betätigt und ein mehr als reichhaltiges Repertoire entstehen lassen. Hier darf auch das Engagement der Verlage und der Musikverbände nicht unterschätzt werden. Nun kann man natürlich argumentieren, dass Masse nicht gleich Klasse ist und sich unter diesen Werken kaum etwas anderes als Epigonales findet. Mal dahingestellt, inwieweit das insgesamt auf die zeitgenössische Musikproduktion zutrifft, muss ich für meinen Teil feststellen, dass ich damit eigentlich kein Problem habe. Mir kommt da immer der Satz meines alten Musikwissenschaftsprofessors in den Sinn, der das so formulierte: »Wenn man sich schon aus den Regalen der Musikgeschichte bedient, sollte man Sorge tragen, dass man von den Besten nimmt.« Was ist schon »original«, und ist das überhaupt wichtig? Ich denke, viel wichtiger ist, dass das Ganze »originell« ist, also eine unverwechselbare Handschrift des Autors trägt, und vor allem handwerklich einwandfrei gearbeitet ist.
Auf der anderen Seite muss natürlich festgehalten werden, dass das so genannte klassische Repertoire, also die Werke der Klassik, Romantik und Spätromantik, so einseitig auf der Seite des traditionellen Sinfonieorchesters liegt, dass die wenigen Originalwerke dieser Zeit allenfalls den Stellenwert des Marginalen haben. Ein Blick auf zwei Werke, die Felix Mendelssohn Bartholdy in relativer Zeitnähe geschaffen hat, mag das illustrieren: seine »Hebriden-Ouvertüre« und seine »Ouvertüre für Harmoniemusik«. Das eine ist ein Meisterwerk, das andere eine Gelegenheitskomposition, und es gibt keinen Zweifel daran, was der Komponist selber ernst genommen hat und was nicht. Diese Aussage gilt bedauerlicherweise für beinahe alle Werke für Blasorchester von Komponisten von Weltrang bis hin zu Hindemith oder Ernst Toch. Will man nun – und man soll – in der Programmierung Werke dieser Zeit platzieren, kommt man nolens volens nicht um Bearbeitungen herum. Das Angebot ist überwältigend, sämtliche Säglich- und Unsäglichkeiten verfügbar. Damit ist auch schon der Knackpunkt des Ganzen angesprochen: Die verantwortliche und kluge Auswahl ist hier der Schlüssel zum richtigen Tun. Ich will das mal in einem Merksatz formulieren: Die Sache ist in Ordnung, wenn man der Bearbeitung ihre Rolle als Substitut nicht anmerkt. Ein Beispiel: die »Festive Overture« von Schostakowitsch, von der sicher viele Musiker gar nicht wissen, dass sie kein Originalwerk ist. Warnen möchte ich in diesem Zusammenhang vor Bearbeitungen wohl bekannter und beliebter Werke vor allem der klassischen Wiener Ära: Eine Fünfte Beethoven oder eine Kleine Nachtmusik zähle ich zu dem Sortiment der Unsäglichkeiten.
Ein letzter Aspekt soll noch angesprochen sein: Viele Bearbeitungen sind mittlerweile selbst historische Werke und dürfen so ruhig als berechtigte Teilnehmer im Konzert des kulturell Wertvollen gewertet werden.
Pädagogischer Ansatz
Ein ganz wichtiges Phänomen muss im Zusammenhang mit der Fragestellung betrachtet werden: Es ist ein Faktum, dass sich die meisten unserer vor allem jungen Blasmusiker in ihrer Freizeit mit völlig anderer Musik beschäftigen, als sie selber in ihren Orchestern spielen. Ich stelle hier einmal die Behauptung auf, dass die Anzahl der aktiven Klassikhörer dieser Gruppe unter fünf Prozent liegt. Das zugrunde gelegt, ergibt sich eine höchst wichtige Aufgabe für die Einbeziehung von Bearbeitungen in aktuelle Konzertprogramme. Hier besteht eine große Chance, unsere Jugendlichen mit den Klassikern in Berührung zu bringen und deren Hörgewohnheiten vielleicht auch ein wenig zu beeinflussen. Ein Rossini, ein Offenbach, ein Suppé sind es schon wert, immer wieder zur Kenntnis gebracht zu werden. Die Klangwelt dieser Komponisten führt in die Nähe anderer, im Sinne des oben Gesagten nicht für Blasorchester zugänglicher Größen wie Mozart, Beethoven oder Brahms, und ich denke, dass Musiker, die damit in Berührung gekommen sind, auch an diesen Tonschöpfern Gefallen finden können. Übrigens gilt das hier Ausgeführte nicht nur für Jugendliche. Ich erinnere mich an einen Dirigentenkongress meines Musikverbandes, bei dem als schlechtes Beispiel eine Bearbeitung von Mozarts Zauberflöten-Ouvertüre gespielt wurde und diese wohl bekannte Musik zum Teil in unglaublicher Weise durcheinander geraten ist. Meine erstaunte Frage, wie viele der mitspielenden 45 Dirigenten das Werk denn kennen würden, ergab sieben positive Meldungen.
Zielgruppe »Publikum«
Das zuletzt Ausgeführte lässt sich natürlich zu gutem Teil auch auf unser Publikum übertragen, sodass auch hier durchaus eine pädagogische Aufgabe und ein Auftrag besteht. Es ist ja sicherlich ein allgemein zutreffender Fakt, dass etwa 99 Prozent der Besucher eines Blasorchester-Konzerts unserer Musikvereine nicht primär aus musikalischen Gründen kommen, sondern aus persönlichen, das heißt, man wurde von einem der Mitwirkenden zum Erscheinen veranlasst. Diese Aussage gilt auch für Höchststufenvereine und Auswahlorchester, wenngleich hier der Anteil von »Fachpublikum«, also von selbst aktiven Zuhörern, sicherlich vorhanden ist. Dennoch – der persönliche Anhang der ausführenden Musiker weggelassen – würden auch solche Konzerte vor ziemlich leeren Sälen stattfinden. Dieser Umstand wird natürlich Konsequenzen für die Programmierung haben, denn die Hörgewohnheiten des vorhandenen und anzuwerbenden Publikums haben zwangsläufig Berücksichtigung zu finden, wenn man erfolgreiche und gut besuchte Konzerte erreichen will. Hier hat die Bearbeitung von Werken nicht nur der klassischen Zeit ihren berechtigten Platz: Auch viele Werke unseres Jahrhunderts sind ja ursprünglich für ein anderes Medium – Bigband, Filmorchester etc. – komponiert, und was wären Programme ohne Musik aus Film, Musical und anderen Unterhaltungsmusiksparten. In der Riesenauswahl des Repertoires gilt es hier besonders auf Qualität zu achten. Es sollte für den einstudierenden Dirigenten eine Selbstverständlichkeit sein, dass er/sie sich mit dem Original vertraut macht, also weiß, wie das Vorbild klingt, instrumentiert ist und um was es inhaltlich bei der Sache geht. Es sollte aber in Zeiten beinahe umfassender medialer Aufarbeitung kein Problem sein, sich die Originale zugänglich machen zu können und sich das betreffende Musical oder die originale Filmmusik auf CD anzuhören.
Ich denke, das Entscheidende bei einer wirkungsvollen Programmgestaltung ist die rechte Mischung aus unterschiedlichen Werken, und damit auch aus Originalwerken und Bearbeitungen. Ein gutes Programm wird immer eine historische Spreizung haben, das heißt ältere und neuere Werke aufweisen, wobei es sich empfiehlt, selbige auch in historischer Abfolge zu programmieren. Damit wird die Bearbeitung auch in Zukunft nicht von unseren Programmzetteln verschwinden und ihren berechtigten Platz verteidigen. Im Übrigen denke ich, dass es in einem Konzert letztendlich gar nicht so wichtig ist, was gespielt wird, sondern wie gespielt wird. Selbst Stücke, die sich einem geneigten Hörer nicht unmittelbar erschließen, verfehlen kaum ihre Wirkung, wenn sie engagiert vorgetragen werden und die Mitwirkenden zum Werk stehen. Die eigene Begeisterung ist es, die zum Publikum überspringt und die Werke – original oder nicht – zum funkelnden Leben bringt.
Michael Kummer
Erschienen in clarino.print 1/2006
Pro und kontra Transkription - Versuch über den Stellenwert der Blasorchesterbearbeitung in Geschichte und Gegenwart
Der folgende Text beruht auf einem Vortrag, den der Autor am 28. Juli 1995 während der
7. WASBE-Konferenz in Hamamatsu (Japan) gehalten hat. (Originaltitel: Original Band Compositions vs. Transcriptions. A European View)
Einführung, Definition, Prämisse
Die Frage der Transkription im Bereich der Blasmusikliteratur ist ebenso komplex wie problembeladen. Versteht man unter Transkription allgemein die Übertragung, Bearbeitung oder Einrichtung eines Musikwerks für ein anderes als das vom Komponisten ursprünglich vorgesehene Medium, so beinhaltet diese Definition eine Vielzahl von musikästhetischen, formalen, historischen oder aufführungspraktischen Aspekten. David Whitwell, amerikanischer Blasmusikforscher, Dirigent und Herausgeber einer achtbändigen Blasmusikgeschichte, hat die Komplexität und Problematik der Blasorchester-Transkription auf den Punkt gebracht: »Die Frage der transkribierten Musik ist kompliziert. Während strenge Ästhetiker bestreiten, dass Transkriptionen... repräsentativ für die ursprüngliche schöpferische Idee sein könnten, spielen Transkriptionen in der Musikgeschichte doch eine derart herausragende Rolle, dass es unmöglich scheint, dieses Thema im Blasmusikbereich gänzlich zu ignorieren. Allerdings gibt es zwei grundlegende Einschränkungen. Zum einen soll die Transkription aus ästhetischem Blickwinkel das Originalwerk in voller Gestalt wiedergeben... Zum zweiten soll das Verhältnis der Transkription zum Originalwerk beim Konzert im Zuhörer... die Fähigkeit schaffen, das Blasorchester selbst als musikalisches Medium zu akzeptieren...
Ästhetiker und Puristen argumentieren gegen die Blasorchester-Transkription einerseits mit dem Hinweis auf mangelnde Kreativität oder allzu sorglose Trivialisierung des Originals. Andererseits wird auch der formzerstörerische Aspekt kritisiert, ebenso wie die bläserische Adaptierung von Vorlagen, die in ihrer originalen Faktur der Ausführung durch Blasinstrumente oft geradezu diametral zuwiderlaufen. Nicht zu Unrecht wurde deshalb immer wieder die Überwindung derartiger Blasorchesterbearbeitungen, meist in Form dubioser Potpourris oder Quodlibets, gefordert und eine originale bläserspezifische Spielliteratur als anzustrebendes Ziel des Blasorchestermusizierens postuliert: »Die alte Blasmusik unserer Kapellen ist zum größten Teil gar keine Blasmusik«, hieß es in einem programmatischen Manifest der Originalblasmusik der frühen 40er- Jahre. »Unsere Kapellen und geschäftstüchtige Verleger bezogen ihre Werke vielmehr aus anderen Bereichen der Tonkunst, von der Oper, der Operette, der sinfonischen Musik, der Ouvertüre, vom Liede jeglicher Gattung, von kleinen Stimmungsbildern u. a. m. Dies alles wurde nun für Blasmusik ›arrangiert‹, das heißt so zurechtgemacht und gesetzt, dass es für Blasorchester spielbar wurde. Die Form spielte bei diesem Vorgang kaum eine Rolle, obwohl diese