Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Ludwig van Beethoven: Musikführer
Ludwig van Beethoven: Musikführer
Ludwig van Beethoven: Musikführer
eBook608 Seiten7 Stunden

Ludwig van Beethoven: Musikführer

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Musikführer Beethoven enthält Werkerläuterungen aller Kompositionen von Beethovens Oeuvre, dessen Zentrum die großen Zyklen der Klaviersonaten, der Streichquartette und der Symphonien bilden. Notenbeispiele, Literaturhinweise und ein Werkregister ergänzen den Band.
SpracheDeutsch
HerausgeberSchott Music
Erscheinungsdatum1. Apr. 2015
ISBN9783795786267
Ludwig van Beethoven: Musikführer

Mehr von Arnold Werner Jensen lesen

Ähnlich wie Ludwig van Beethoven

Ähnliche E-Books

Musik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Ludwig van Beethoven

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Ludwig van Beethoven - Arnold Werner-Jensen

    [1955].

    Klaviermusik

    Klaviersonaten

    Die Klaviersonaten nehmen in Beethovens Schaffen eine ähnlich gewichtige Stellung ein wie die Symphonien und die Streichquartette; sie begleiten als »heimlicher« Zyklus sein Leben vom Beginn bis zum Ende. Darüber hinaus beanspruchen sie ihren besonderen Rang aufgrund der Tatsache, daß das Hammerklavier Beethovens »eigenes« Instrument war, auf dem er solistisch hervortrat und mit dem er einen beträchtlichen Anteil seines Ruhmes als Virtuose und Improvisator errang. Beethovens Klaviersonaten sind in ihrer Bedeutung kaum zu trennen von der technischen Weiterentwicklung des Instrumentes, an der der Komponist durch seine schöpferische und – als Interpret eigener Werke – »nachschöpferische« Tätigkeit entscheidend beteiligt war. Sein Klavierschaffen begann zu einer Zeit, als allenthalben noch Cembali in Gebrauch waren und man neue Kompositionen, nicht zuletzt aus kommerziellen Gründen, »für Cembalo oder Pianoforte« herausgab. Das Hammerklavier, um die Wende des 17. zum 18. Jahrhundert erfunden (Cristofori in Italien), war noch nicht so entwickelt und daher nicht so weit verbreitet, daß ein Komponist an Kompositionen für dieses Instrument denken konnte. Seine Stabilität und technische Zuverlässigkeit ließen noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein zu wünschen übrig – Beethovens Verschleiß an neuen Instrumenten verschiedenster Hersteller ist Legende und legt beredtes Zeugnis ab für die Probleme der frühen Generation von Hammerklavieren. Für heutige Beethoven-Interpreten ist es von großer Bedeutung, die spiel- und klangtechnischen Möglichkeiten und Grenzen der zeitgenössischen Tasteninstrumente, die sich gut an erhaltenen restaurierten oder auch nachgebauten Klavieren beobachten lassen, zu kennen und beim Spiel auf dem modernen Flügel zu berücksichtigen.

    Als mehrsätzige zyklische Kompositionen basieren Beethovens Sonaten auf den Sonatenreihen Mozarts und Haydns, wobei nur Mozarts Lebenswerk abgeschlossen vorlag; Haydns letzte und bedeutendste Klaviersonaten entstanden erst 1794 und liefern in manchem die direkten Anknüpfungspunkte für Beethoven, der 1792 endgültig in den Umkreis Haydns, nach Wien, übergesiedelt war.

    Sonaten op. 2

    Joseph Haydn gewidmet, komponiert zwischen 1790 und 1795 (Nr. 1), 1795 (Nr. 2 und 3), Uraufführung im September 1795.

    Als Opus 2 eröffnen diese drei Sonaten die Gattungsreihe mit ähnlichem Nachdruck, wie die drei Klaviertrios op. 1 zu Beginn der Triofolge stehen. Man spürt in Anordnung und Ausformulierung die Absicht, einen neuen Maßstab zu setzen, Erwartungen der Zeitgenossen einzulösen und womöglich zu übertreffen. Beethoven, als Pianist bereits bekannt und berühmt, will nun auch einen Platz als Tonsetzer von besonderem Rang einnehmen. Insofern bieten diese drei Werke aus zwei Perspektiven Besonderes: sie stehen in der Tradition und dokumentieren das auch durch ihre Widmung an Haydn; sie schaffen zugleich aus der Traditionsverwurzelung unüberhörbar Neues, setzen eigene Akzente und weisen die Richtung ins 19. Jahrhundert.

    Jede der Sonaten ist ein Individuum von unverwechselbarem Profil: knapp und streng die erste in f-Moll, spielerisch, phantasievoll und vielgestaltig die zweite in A-Dur, formal ausgreifend und virtuos die dritte in C-Dur. Gemeinsam ist allen dreien ihre Viersätzigkeit, während bisher – bei Haydn und Mozart – Dreisätzigkeit die Regel war; zwischen den schnellen Ecksätzen steht nun immer das Paar von langsamem und Tanzsatz. Die pianistische Virtuosität nimmt in chronologischer Reihenfolge zu, auch darin Vorbilder sehr entschieden hinter sich lassend; der Anspruch des Konzertanten wird sehr dezidiert angemeldet und in die bisher eher kammermusikalisch orientierte Gattung einbezogen. Und bereits in diesen Erstlingen rüttelt Beethoven immer wieder an den konstruktiven und klanglichen Grenzen des noch unfertigen Hammerflügels – Beginn eines langen und mühseligen Prozesses, an dessen Ende erst um die Mitte des kommenden Jahrhunderts der fertige Flügel stehen wird.

    Sonate Nr. 1 f-Moll op. 2,1

    Komponiert 1795.

    Es ist kein Zufall, daß gerade der Kopfsatz der f-Moll-Sonate immer wieder in Formenlehren zitiert wird, wenn es modellhaft um die Sonatensatzform geht: so knapp und konzis, ohne Ausweitungen und Umwege, verläuft kaum ein zweiter Sonatensatz bei Beethoven, wobei seine Originalität nicht im mindesten unter seiner formalen Eindeutigkeit und Entschiedenheit leidet. Seine Exposition umfaßt ganze 48 Takte, und sie gliedert sich in lehrbuchhafter Klarheit in den Moll-Hauptsatz, die vermittelnde Überleitung, den parallelen Dur-Seitensatz und eine abgesetzte Schlußgruppe. Haupt- und Seitenthema stehen zueinander eindeutig antithetisch: das Hauptthema ist der Musterfall eines musikalischen Satzes, also im Gegensatz zur musikalischen Periode nicht in symmetrischer, in sich ruhender Geschlossenheit, sondern offen und vorwärtsdrängend, über sich hinausweisend. Sein Kerneinfall ist die gestoßene aufsteigende Dreiklangsbrechung mit angehängtem doppelschlagartigem Schleifer, dem sogleich die Antwort auf der Dominante folgt:

    Zwei Abspaltungen des Schleifer-Motivs auf Tonika und Dominante leiten im Nachsatz eine scheinbare Beschleunigung des Geschehens ein und führen zu melodisch ausschwingender Geste auf dem Halbschluß der Dominante. Die sofort beginnende Überleitung spielt zunächst mit dem Schleifer und kündigt alsbald mit einsetzendem melodischem Abwärtszug den Seitensatz an, der als Kontrast zum Hauptthema nun alle Parameter ändert: aus Staccato und Dreiklang wird hier Legato und Septakkord, aus dem Aufwärts wird ein Abwärts, und die harmonische Basis der Parallele As-Dur wird verschleiert durch den ständig trommelnden Orgelpunkt der Quinte es und durch den Vorhalt der Moll-Sexte fes.

    Aus seinem Schlußvorhalt spaltet sich ein neues Bewegungsmotiv ab und führt zum zweiten Teil des Seitensatzes, in dem die synkopisch akzentuierte Baßstimme sich gegen die Diskanttonleitern stemmt. Synkopische Akkordakzente tragen schließlich auch die mehrfachen mollgetrübten Melodiephrasen der Schlußgruppe.

    Die übersichtliche Durchführung gliedert sich in drei Abschnitte: gleich nach dem Auftritt des Hauptthemas in Dur wird das Seitenthema in mehreren Modulationsschritten verarbeitet, zunächst in der Oberstimme, dann im Baß, mündend in eine unruhig durch versetzte Synkopen charakterisierte Phase. Nun ist bereits die Dominante C erreicht (T. 81), und von hier an beginnt recht eigentlich die lange Rückführung zur Reprise: zunächst über ein gleichsam verselbständigtes Auftakt-Motiv (♩| ♩ ♩), dann im suggestiv sich steigernden Spiel mit dem Schleifer. Zwingend setzt die Reprise nun volltaktig und im Forte ein; sie folgt mit den erwarteten harmonischen Abweichungen getreulich der Exposition. Wenige energische Akkordblöcke bilden die Coda.

    Gesangliches Strömen und pianistischer Wohlklang bestimmen das F-Dur-Adagio. Seine schlichte dreiteilige Liedform wird von einem regelmäßig periodisch gebauten Thema getragen, das bei seiner späteren Wiederkehr dann arabeskenhaft ausgeziert wird und in einer spielerisch-figurativen Coda verklingt. Der Mittelteil weicht ins parallele d-Moll aus und läßt die rechte Hand über die begleitende linke kreuzen; sein Ausklang in Triolen und Zweiunddreißigsteln kehrt in der Coda noch einmal wieder.

    Nach dem intermezzohaft-versöhnlichen Adagio gibt sich das Menuett wieder streng und eher spröde – mit dem altertümlichen Tanzsatz hat es allenfalls sein behäbiges Tempo gemeinsam. Im Hauptteil korrespondieren rauhe Terzen- und Sexten-Klänge in beiden Händen miteinander; im Trio wechseln freundlich gewundene Linien von der Oberin die Unterstimme und steigern sich in der Mitte der dreiteiligen Form einmal zu einer Kette von lauter parallelen Sextakkorden.

    Ebenfalls ein Sonatensatz ist das stürmische Finale mit seinen zunächst fast ununterbrochenen unruhigen Triolenfigurationen, denen immer wieder harte Akkorde entgegengesetzt werden. Das Hauptthema ist in sich dualistisch angelegt, denn den einleitenden Akkordschlägen folgt eine ganz zurückgenommene, engräumige Pianowendung. Das Seitenthema bringt überraschenderweise keinen Schritt nach Dur, sondern bleibt in der Moll-Dominante, mit dem Hauptthema allerdings durch seinen halbtaktigen Auftakt-Rhythmus verbunden. Die Akkordschläge des Beginns beenden danach auch die Exposition. Die zwei Abschnitte der langen und intensiven Durchführung sind ungewöhnlich gegensätzlich: sie beginnt in unerwartetem Kontrast mit einem weitgespannten und äußerst einheitlichen Teil voll weitgespannter Melodiebögen, akkordisch begleitet und in untypischer harmonischer Stabilität im parallelen As-Dur. Erst nach langen fünfzig Takten setzt durchführende Motivarbeit ein, und für den folgenden zweiten Abschnitt bleibt bis zum Eintritt der Reprise allein der charakteristische Rhythmus der Akkordschläge vom Hauptthema bestimmend (♩♩|♩). Ohne Coda endet der Satz mit einer endgültig in die Tiefe stürzenden f-Moll-Dreiklangsbrechung über vier ganze Oktaven.

    Sonate Nr. 2 A-Dur op. 2,2

    Komponiert 1795.

    Allegro vivace, 2/4 – Largo appassionato D-Dur, ¾ – Scherzo: Allegretto – Rondo: Grazioso, 4/4

    Die A-Dur-Sonate fügt dem Bild des jungen Klavierkomponisten nun das Element spielerischer Leichtigkeit und gelegentlich auch bereits ausgelassener Virtuosität hinzu. Mehrere sehr prägnante und charakteristische Motive bestimmen den Ablauf des eröffnenden Sonatensatzes. Wie ein rhythmisches Motto steht zu Beginn ein zweimaliges abwärtsgerichtetes Signal im Unisono beider Hände.

    Es kehrt auch nach dem melodischen Seitensatz-Thema noch einmal wieder und beherrscht dann auch den ganzen ersten Teil der Durchführung. Das eigentliche Hauptthema setzt erst im 9. Takt ein und wird von der aufsteigenden, mit einem angerissenen Arpeggio eingeleiteten Tonleiter angeführt. Auch dieser markante Aufstieg gewinnt große Bedeutung: die imitatorischen Triolen-Läufe der Schlußgruppe sind davon ableitbar, und im zweiten Teil der Durchführung gibt es ein dichtes, ebenfalls imitatorisches Motivspiel seiner einzelnen Bestandteile. Unerwartet kommt die Moll-Eintrübung des Seitenthemas, die auch in der Reprise erfolgt; es spielt im Verlauf der Durchführung keine Rolle. Am Ende verklingt das Figurenwerk dieses durchsichtig glitzernden Satz-Gebildes in zartem Spiel der Tonleitern und Akkorde.

    An zweiter Stelle steht ein tiefgründiger langsamer Satz von verhaltener, aber eindringlicher Leidenschaftlichkeit (appassionato), Vorbote kommender langsamer Beethoven-Sätze. Er wirkt rondoartig durch die mehrfache Wiederkehr seines choralartigen Hauptthemas. Seine Melodieführung ist ganz unauffällig und schlicht:

    Doch seine Aufbereitung ist raffiniert und eindrucksvoll; so wird es zunächst mehrfach durch einen Quasi-pizzicato-Baß gestützt, der im spannungsvollen Kontrast zur Melodieführung steht. Zum emotionalen Höhepunkt des Satzes gerät sein Moll-Vortrag im geballten Fortissimo (T. 57), und sein folgender letzter Auftritt setzt ihm eine bewegtere Mittelstimme entgegen. Die zwischen die Themeneinsätze eingefügten Episoden betonen ein wenig stärker die kantable Linienführung, wobei ein Triller-Motiv zwischen Ober- und Unterstimme alterniert und die Sonorität der Tenorlage die deklamatorische Melodiegebärde noch unterstreicht.

    Im Scherzo dominiert das spielerisch sich emporschwingende Motiv des gezackten Arpeggios, das in Ober- und Unterstimme herumgeistert; sein Mittelteil verirrt sich geheimnisvoll chromatisch nach gis-Moll. Im a-Moll-Trio steht eine ganz engräumig sich windende Dreitongruppe im Zentrum des Geschehens, die bisweilen auch in gleichzeitiger Umkehrung erklingt.

    Bezwingenden Charme leitet das Schlußrondo vor allem aus dem immer wiederkehrenden und variierten Auftakt seines Hauptthemas ab, einem zumeist sich beschleunigenden, brillanten und leichtfüßigen Arpeggio über mehr als drei Oktaven und einem ebenfalls über die Oktav-Grenze hinausreichenden Intervallsprung abwärts von großer Intensität.

    Die melodische Fortsetzung wird dann bei jeder neuen Wiederkehr charmant ausgeziert. Der a-Moll-Mittelteil des Rondos bringt ein wenig Dramatik in die Umgebung dieser freundlichen und verspielten Stimmung: triolische Aufwärts-Tonleitern, zunächst staccato und fortissimo, später auch im leisen Legato, werden kontrapunktiert durch hart rhythmisierte Akkord-Akzente der jeweils anderen Spielhand. In der Coda erfolgt ein zitierender Rückgriff auf diesen Mittelabschnitt. Unmittelbar zuvor wird der einprägsame Kopf des Hauptthemas noch einmal durchführungshaft verarbeitet, seine ausholende Abwärtsgeste wird gleichsam ausdrucksvoll überdehnt: aus e–gis wird nun e–d! Der Satz verklingt im versöhnlichen Piano mit dem Dominantseptvorhalt über der Tonika.

    Sonate Nr. 3 C-Dur op. 2,3

    Komponiert 1795.

    Allegro con brio, 4/4 – Adagio E-Dur, 2/4 – Scherzo: Allegro – Allegro assai, 6/8

    Unüberhörbar tritt mit der 3. Sonate das Element des Konzertanten in den Vordergrund – Virtuosität wird zum kompositorischen Stilmittel, und Jürgen Uhde verwies mit Recht darauf, daß der Tonsatz an vielen Stellen die Grenzen des reinen Klavierklanges zu sprengen scheint, indem er orchestrale Effekte mit einbezieht. Im Eröffnungssatz wird auf diese Weise der zugrundeliegende Sonatensatz beträchtlich erweitert und angereichert. Sogleich nach dem periodisch gebauten und energisch die Grundtonart umreißenden Hauptthema mit seinem charakteristischen Triller-Kern

    bricht ungebremste Spielfreude in typischen Klavier-Figurationen hervor. Die hinauf- und wieder hinabstrebenden schnellen Arpeggien kehren bald auch im Seitensatz und in der Durchführung wieder, wo sie auf (für den Spieler) ziemlich lästige Weise rigoros durch die Tonarten wandern und zugleich umgeformt werden. Der Seitensatz wendet sich unvermutet in die Moll-Dominante und bringt einen leicht elegischen Tonfall ins Spiel, doch alsbald leiten bewegte Passagen zum gleichsam nachgereichten eigentlichen Seitenthema in G-Dur über; es verteilt sich ungemein klangvoll imitatorisch auf beide Hände. Nach der weitergeführten Arpeggien-Passage treten noch mehrere prägende Motive neu hinzu: ein synkopisch gegeneinander versetzter sperriger Abstieg, ein Triller-Motiv im Unisono, das die Bewegung ein wenig stocken läßt, und schließlich eine abschließende beidhändige Tonleiter im Oktav-Tremolo. Mit dem Triller-Gedanken setzt die Durchführung zunächst eher stockend ein. Die ausgedehnte modulatorische Arpeggio-Passage mündet in eine Scheinreprise in D-Dur, von wo aus dann das zentrale Triller-Motiv des Hauptthemas geradezu akademisch verarbeitet und mit dem Synkopeneinfall verknüpft wird. Die zunächst weitgehend regelmäßig verlaufende Reprise endet unvermittelt in einem Trugschluß auf As-Dur, und nun versickert das bisher so dezidierte musikalische Geschehen regelrecht in ganz verhaltenen Akkordbrechungen – eine sehr eigene und spannungsvolle Vorbereitung auf den folgenden Überraschungseffekt durch eine angedeutete eingeschobene Konzertkadenz mit allerlei Triller-Figuren. Die Coda erinnert noch einmal nachdrücklich an das Hauptthema und endet mit dem auftrumpfenden Oktav-Tremolo.

    Das Adagio im mediantischen E-Dur verläuft in angedeuteter übersichtlicher Rondoform und fügt sich aus zwei Bausteinen zusammen: zunächst dem liedhaften Hauptthema, das mit charakteristischer Punktierung auf dem Taktschwerpunkt beginnt

    und ein wenig irritierend synkopisch weitergeführt wird, wodurch das Taktgefüge immer kurzzeitig ins Wanken gerät.

    Ihm tritt alsbald, melancholisch nach e-Moll gewendet, der zweite Gedanke gegenüber: eine weitreichende Fortspinnungsebene, die von lastenden Baß-Oktaven ausgeht und ständig von zarten Begleit-Arabesken durchzogen wird; über sie hinweg kreuzt immer wieder die linke Hand zu tonleiterartigen Melodiefragmenten im Diskant, die dem Baß antworten. Im weiteren Verlauf verdichtet sich die Bewegungder kreuzenden linken Hand zu ständigen ausdrucksvollen synkopischen Seufzern. Über diesem Teil liegt ein Hauch von Vorahnung auf den romantisch-poetischen Klaviersatz Schuberts, wie überhaupt dieser Teil der Sonate klanglich die Grenzen des jungen Hammerflügels ahnungsvoll in die Zukunft auszuweiten scheint. Nach der kurzen Wiederkehr des Hauptthemas kommt es zu einem zweiten kürzeren Durchgang der elegischen Episode mit ihren Stimmkreuzungen. Die letzte variiert weitergeführte Wiederkehr des Hauptteils beendet codaartig den Satz. Das Thema wandert noch einmal sonor in die tiefe Lage, bis schließlich eine jener unnachahmlichen melodischen Schlußgebärden Beethovens in den Schlußvorhalt mündet.

    Das C-Dur-Scherzo und sein a-Moll-Trio werden jeweils durch einen einzigen markanten Einfall geprägt. Im Scherzo ist das ein Tonleiter-Abstieg, der jeweils durch eine kleine um die Quinte pendelnde Achtel-Figur eingeleitet wird.

    Sie hält die Musik ständig in Bewegung und wird im Mittelteil auch recht ernsthaft durchgeführt; dabei ist das Stilmittel der Imitation anhand des so charakteristischen Themenkopfes besonders gut nachzuvollziehen. Das Trio ist mit seinen monotonen auf- und abwogenden Triolen-Arpeggien wieder ein ahnungsvoller Hinweis auf Kommendes bei Schubert.

    Unverhohlene und gelegentlich geradezu schikanöse Virtuosität ist dann das Kennzeichen des Final-Rondos. Sein aufsteigendes Tonleiter-Thema in parallelen Sextakkorden sieht zwar noch schwerer aus als es tatsächlich auszuführen ist; der bald folgende B-Teil mit seiner wiegenden Oberstimmen-Melodik aber wird von einer jener ausgesprochen sperrigen Begleitformeln in der linken Hand getragen, wie sie Beethoven zum Ärger der Spieler immer wieder eingefallen sind (z. B. in op. 90!) – so etwas nennt man »undankbar«, denn man hört dieser Passage die Mühe leider nicht an, die sie dem Pianisten verursacht. Die Wiederkehr des A-Teils führt die Sextakkord-Parallelen in Oktav-Ketten der linken Hand weiter und mündet bald in den F-Dur-Mittelteil des Rondos. Er präsentiert ein fast choralartiges Thema im wohlklingenden Akkordsatz, das dann im ständigen Spiel mit begleitender Triolen-Bewegung ausgeführt wird. Der Satz kulminiert in einem charakteristischen Beethovenschen Stilmittel pianistischer Brillanz: dem durchgehaltenen, bald auch verdoppelten und verdreifachten Triller. Auch die Schlußwendung – zweimaliges Verzögern des Tempos und fragend offene Fermaten – ist äußerst charakteristisch und wird uns immer wieder begegnen; energische Oktav-Tonleitern und zwei kadenzierende Akkorde beschließen diese effektvolle Sonate.

    Sonate Nr. 4 Es-Dur op. 7

    Komponiert 1796-97, der Gräfin Babette von Keglevics gewidmet.

    Allegro molto e con brio, 6/8 – Largo, con gran espressione C-Dur, ¾ – Allegro, ¾ – Rondo: Poco allegretto e grazioso, 2/4

    Die erste von Beethovens Es-Dur-Sonaten ist ein ausgedehntes und in jeder Hinsicht prächtiges Werk, so daß der Beiname »Grande Sonate« bei der Erstveröffentlichung einleuchtend ist. Die Dimensionen des einleitenden Sonatensatzes sind vergleichsweise gewaltig. Bereits die Exposition stellt in aller Breite und Gelassenheit eine ungewöhnliche Materialfülle vor. Das Hauptthema entfaltet sich erst nach vier taktlangen Tonika-Akkorden; der pochende Orgelpunkt im Baß bereitet gleichzeitig die vorherrschende Triolen-Metrik vor, die den ganzen weiteren Satzverlauf beherrscht. Kreisende melodische Bewegung setzt im fünften Takt ein. Die wiederholte zweimalige Stauung auf Akkorden des Tonikaseptakkordes signalisiert dann den Beginn der Überleitung. Mit dem Erreichen der Dominantebene erscheint jedoch zunächst ein eher beiläufiger spielerischer Gedanke in der linken, dann der rechten Hand, begleitet von ständigen Triolen-Ketten. Erst danach hebt sich in gesanglicher Ruhe und klangvollem Akkordsatz das eigentliche Seitenthema ab, das bald triolisch variiert wiederkehrt. Auch danach ist die Fülle der Einfälle noch nicht versiegt: unvermutet finden wir uns in C-Dur wieder, und ein neues, eher motivisches als thematisches Gebilde knüpft am Seitenthema an und wird anschließend durch eine Triolen-Gegenstimme angereichert.

    , um die Symmetrie der Zweitaktigkeit richtigzustellen.

    Das Largo in der mediantischen Tonart C-Dur bezieht seine Ausdruckskraft zum einen aus der Spannung seiner zahlreichen Pausen, die bereits in den ersten Takten das Thema gliedern, zum andern aus dem Stilelement der scharfen doppelten Punktierung, die immer wieder zu gleichsam emotionalen Stauungen im melodischen Fluß führen. Die relativ einfache formale Anlage des Satzes verbirgt sich hinter der vielgliedrigen melodischen, ständig emotional durch sf-Akzente, starke dynamische Gegensätze zwischen pp und ff und figurative Auszierungen aufgeladenen Fassade; das eigentliche Hauptthema ist in dreiteiliger Liedform strukturiert. Ihm folgt, nach kurzer Überleitung mit zuerst stockenden, dann zart klingenden Akkorden, der zweite Abschnitt in As-Dur. Dieser ist wiederum durch den akkordischen Melodiesatz, der sich ständig in doppelten Punktierungen staut, gekennzeichnet, im Baß durch eine Quasi-pizzicato-Begleitung getragen. Spannungsvoll ist danach die Rückführung zum dezent variierten Hauptteil: Beethoven nützt hier die extremen Lagen des Instrumentes im unmittelbaren Nebeneinander und scheut auch nicht vor der Notierung eines scheinbar absurden Crescendos auf einem Ton zurück – Symptom der emotionalen Hochspannung, in die er Interpret und Hörer versetzen möchte! Am Ende wird diese Spannung allmählich und ganz behutsam abgebaut, zunächst in der verkürzten Wiederkehr des B-Teils, nun auf der Grundtonart; schließlich in einer eindringlichen Schlußwendung, die noch einmal in wenigen Takten alle wesentlichen Parameter auf den Beginn des Hauptthemas anwendet, ihn chromatisch und auch dynamisch mit zweimaligem ffp-Akzent überhöht und in einer anrührenden kleinen Verzierungsgeste auslaufen läßt.

    Entspannung bringen nach diesen Momenten höchster Intensität die beiden folgenden Sätze. An dritter Stelle steht ein Gebilde genau in der Mitte zwischen Menuett und Scherzo: die wiegende ganztaktige Freundlichkeit des Hauptteils kontrastiert dabei wirkungsvoll zu den düster pulsierenden Klangflächen des es-Moll-Trios mit seinen fast pausenlosen Triolen-Ketten in beiden Händen. Im Hauptteil leitet sich das motivisch-thematische Geschehen ganz unauffällig aus seiner Anfangsphrase ab, die sich aus Dreiklangsbrechung und abschließender melodischer Wendung zusammenfügt.

    Die Form ist dreiteilig mit stark ausgeweiteter Reprise; im Mittelabschnitt kommt es zu einer kurzen Imitation, und die reprisenhafte Wiederkehr des Anfangsteils wird durch einen eingefügten durchführungshaften Abschnitt sowie eine kleine Coda erweitert.

    Das Final-Rondo knüpft hier nahtlos an und hält den angeschlagenen Tonfall spielerischer Freundlichkeit über weite Strecken ein. Beginn und Verlauf des schmeichelnden Hauptthemas werden immer aufs neue zitiert und dabei phantasievoll variiert. Ein Zweiunddreißigstel-Arpeggio aus seinem Mittelteil verselbständigt sich sogleich und wird zum Motor der Überleitung, in welcher der beliebte Effekt des Händekreuzens vorgeführt wird.

    Erst im weiteren Verlauf der Entwicklung stellt sich ein markantes Triller-Motiv, alternierend in beiden Händen, als Kern des B-Teils heraus, der jedoch figurativ zum A-Teil zurückgeleitet wird. Die c-Moll-Aufregung des zentralen C-Teils wirkt danach fast ein wenig aufgeplustert und theatralisch, mit ständigem Auf und Ab der Zweiunddreißigstel-Figuren und dagegengesetzten Akkordakzenten. Ganz schnell und kompromißbereit vermitteln diese bewegten Figurationen auch zur Reprise des ausgedehnten ersten Teils zurück, die den Satz zum vollständigen klassischen Rondo rundet. Doch die Ausgewogenheit des formalen Ablaufs ist trügerisch: nach einem letzten Stocken auf dem Grundton der Dominante erklingt nach einer Halbton-Rückung unvermutet der Ton h als Dominante zu E-Dur, und von dieser fernen harmonischen Ebene aus kommt es zu einer zarten Coda. In ihr wird zunächst noch einmal das Hauptthema gleichsam im ungewohnten Licht der neuen Tonart verfremdet; und auch das Bewegungsmotiv aus dem C-Teil, das sich unmittelbar anschließend wieder einstellt, erscheint auf wundersame Weise verklärt und zur murmelnden Begleitung zarter Oberstimmen-Akzente gemildert. Im übrigen war der Ausflug ins ferne E-Dur nur kurz: mit dem Beginn der Zweiunddreißigstel-Figuren ist die Musik zugleich ins sichere Es-Dur zurückgekehrt.

    Sonaten op. 10

    Komponiert 1796-98, der Gräfin Anna Margarete von Browne gewidmet.

    Nach der einzelnen Es-Dur-Sonate op. 7 faßte Beethoven erneut drei Kompositionen von ausgeprägt eigenem Profil unter einer gemeinsamen Opuszahl zusammen. Entgegen der Routinepraxis vergangener Jahre, die ein Sammelopus lediglich als – vor allem kommerziellen – Zusammenschluß von Kompositionen gleicher Gattung betrachtete, bedeutete für Beethoven die gleiche Ordnungsnummer immer auch eine musikalische Aussage. Auf diese Weise fügte er mehrere Werke zusammen, die trotz oder gerade wegen ihrer strukturellen Vielfalt und ihres Abwechslungsreichtums als Gemeinsames und Ganzes anzusehen sind. Sie ergänzen einander auf kontrastierende und komplementäre Weise und vermitteln einen Eindruck des kompositorischen Standortes ihres Schöpfers dieser Gattung gegenüber, als vielfältige, phantasievolle Reflexionen der zyklischen Sonatenform. Dabei fällt auf, daß die drei Sonaten des Opus 10 unterschiedliche Satzzahl aufweisen: die beiden ersten sind lediglich dreisätzig, ohne Menuett oder Scherzo, Nr. 3 ist dagegen wieder viersätzig angelegt.

    Sonate Nr. 5 c-Moll op. 10,1

    Komponiert 1796–98.

    Der Kopfsatz der c-Moll-Sonate knüpft in seiner konzentrierten Kürze und lapidaren Eindringlichkeit an das erste Allegro der f-Moll-Sonate op. 2 an; die liebenswürdige Ausführlichkeit des entsprechenden Satzes aus op. 7 ist wieder vergessen. Düster-dramatisches Moll dominiert; die Dur-Momente des Seitensatzes sind wohlkalkuliert dagegen gesetzt, und obwohl die Exposition dann bis zu ihrem Ende regelrecht im parallelen Dur verharrt, setzt sich doch recht bald nach dem kantablen Intermezzo des Seitenthemas wieder die aufgeregte Bewegung des Beginns durch. So kehren in der Schlußgruppe vor allem die charakteristischen gezackten Aufwärtsgesten aus dem Hauptthema wieder. Dieses folgt dem Bauprinzip eines Satzes, mit zwei in sich kontrastierenden Phrasen zu Beginn, einer über sich selber deutlich hinausweisenden achttaktigen Weiterführung danach und einem pausendurchsetzten Epilog mit dreimal kreisender Triolen-Figur. Bemerkenswert und durchaus typisch ist an diesem Thema die kunstvolle Verschränkung der einzelnen Formabschnitte: in den beiden Anfangsphrasen ist jeweils der Schlußton zugleich der Anfangsimpuls der neuen Einheit.

    Die modulierende Überleitung nimmt bereits den eher lyrischen Grundton des Seitensatzes vorweg. Sein eigenes Thema erhebt sich über völlig zurückgenommener pulsierender Achtel-Begleitung, steigert sich aber im weiteren Verlauf mit Staccato-Tonleitern und weiten, akzentuierten Sprüngen in neue Leidenschaft hinein. In der Schlußgruppe taucht abschließend nach dem gezackten Motiv noch eine kleine Vierton-Gruppe aus der Überleitung auf.

    Die Durchführung setzt mit dem Hauptthema in C-Dur ein, beschäftigt sich dann jedoch in ihrem langen Mittelabschnitt, von f-Moll ausgehend, mit Elementen des Seitensatzes, dessen Melodik flexibel weitergesponnen und nahtlos mit der Überleitungsmotivik verknüpft wird. Schließlich leitet eine zerklüftete Sextakkord-Kette in suggestivem Abwärtszug zur Reprise über. In ihr bedeutet die Wiederkehr des Seitenthemas zunächst einen kleinen Lichtblick in C-Dur, bevor sich die Entwicklung endgültig mit der Moll-Ebene abfindet. Der Satz endet ohne Coda, lediglich durch zwei kadenzierende Akkordschläge bekräftigt.

    Den denkbar größten Ausdruckskontrast bietet danach das in sich ruhende und über weite Strecken geradezu abgeklärte Adagio. Der fast religiöse Gesang seines Hauptthemas erfährt emotionale Steigerungen durch scharfe Doppelpunktierungen. Momente der Unruhe und verhaltenen Leidenschaftlichkeit bringt dann die Weiterführung in einem selbständigen B-Teil, der mit einem hinabstürzenden Arpeggio eingeleitet wird und mit schnellen Arabesken und wiederum Doppelpunktierungen einem Höhepunkt zustrebt. Die behutsam variierte Wiederkehr des gesamten Formverlaufs beider Teile tritt nach dem Doppelpunkt eines einzelnen Dominantseptakkordes ein. Die dritte Wiederkehr des Hauptthemas stellt sich abschließend als ausführliche Coda dar. Sie steuert als kleines Unruhemoment in der Begleitung das Element der Synkope bei, das bis zum Schluß erhalten bleibt. Trotzdem sind die letzten elf Takte wie ein einziges Verlöschen auskomponiert, in denen alle melodische und harmonische Bewegung zum Stillstand kommt – wir erleben hier so etwas wie ein musikalisches Ende »an sich«.

    Wild und entschlossen gibt sich das Finale, dessen Tempovorgabe »Prestissimo« gleichwohl ein gewisses Maß an Beherrschtheit verlangt. Wie ein Motto steht zu Beginn zweimal das Kernmotiv, dessen Rhythmik den ganzen Ablauf in Bewegung hält.

    . Die Durchführung ist extrem kurz und ungeheuer spannungsvoll. Sie beschäftigt sich ausschließlich mit dem Motto und kulminiert in einem fünffachen Absturz jenes Motives, das später im Kopfsatz der 5. Symphonie zum Klangsymbol des Schicksals wird; es ist hier unverkennbar aus dem Motto abgeleitet.

    In der Reprise kehrt das Seitenthema nun in C-Dur wieder. Zur Coda wird von der Grundtonart unvermutet nach Des-Dur moduliert; ein Dominantseptakkord über As kündigt sie als Fermate an. Dreimal setzt nun das Seitenthema an, von Mal zu Mal immer mehr in Tempo und Dynamik zurückgenommen, bis zum völligen Stillstand. Chromatik vermittelt nach c-Moll zurück, und nun werden im letzten Decrescendo die Anfangsmotive der beiden Hauptthemen miteinander verbunden – Versöhnung der Prinzipien!

    Sonate Nr. 6 F-Dur op. 10,2

    Komponiert 1796-98.

    Allegro, ¾ – Allegretto f-Moll, ¾ – Presto, 2/4

    Knappheit der Tonsprache kennzeichnet auch diese Sonate über weite Strecken. Der verbindliche Charme der Tonart F-Dur spricht vor allem aus dem eröffnenden Sonatensatz. Sein kontrastreiches Hauptthema beginnt zunächst wie ein musikalischer Satz mit zwei Zweitaktern auf Tonika und Dominante, jeweils aus einem akkordischen Auftakt-Motiv und einer kleinen Triolen-Floskel bestehend.

    Die so aufgebaute latente Spannung löst sich unerwartet in der nachfolgenden regelmäßigen achttaktigen Periode; ihr freundlicher, von Akkorden getragener Gesang steigert sich über mehr als eine Oktave synkopisch bis in den Diskant, um alsbald ein wenig verschnörkelt und punktiert wieder zum Grundton zurückzufinden. Nach der Wiederkehr des markanten Beginns und seiner Weiterführung in spielerischen Triolen finden wir uns überraschend bereits in E-Dur wieder. Übergangslos schließt sich sofort C-Dur, die erwartete Tonart des Seitensatzes an, doch das Formempfinden sagt, daß dieser Takt 19 eigentlich viel zu früh für den Eintritt des Seitensatzes sei. Die oktavierte Melodielinie der Oberstimme wirkt denn auch wie eine Paraphrase der Periode aus dem Hauptthema, nun jedoch über kreisenden Sechzehntel-Figuren in der linken Hand und wiederum streng periodisch. Ähnlich vielgestaltig setzt sich die Entwicklung fort, doch ein echtes Seitenthema will sich nicht einstellen, an seine Stelle treten mehrere aufgereihte Einfälle, die alle verspielt und typisch pianistisch angelegt sind: Nachklapp-Effekte zwischen beiden Händen und vielfältige Brechungen des metrischen Ablaufs zwischen Sechzehnteln, Triolen und Zweiunddreißigsteln. Dabei weist der letzte Gedanke in der Schlußgruppe sogar das stärkste thematische Profil auf, mit klarer C-Dur-Diatonik und einem markanten, vom Diskant in den Baß kreuzenden Triller am Ende. Das Spiel der lockeren pianistischen Figurationen setzt sich die ganze Durchführung lang fort, ausgehend von a-Moll und auffällig geprägt durch ständiges triolisches Vorwärtsdrängen. Motivisches Bindeglied zur Exposition sind, genau besehen, lediglich die aus ihrem letzten Takt übernommenen drei absteigenden Oktaven. Vor der Rückkehr zur Grundtonart gibt es zunächst eine Scheinreprise in D-Dur. Die eigentliche Reprise ist behutsam variiert und leicht verlängert; so wird das C-Dur-Thema aus Takt 19 noch nach Moll gewendet, und seine kreisende Gegenbewegung wandert in die Oberstimme. Eine Coda fehlt.

    Ein melancholisches, manche Farben Schuberts vorausahnendes Kabinettstückchen ist das f-Moll-Allegretto, das auf raffinierte Weise zwischen Menuett und langsamem Satz vermittelt, ohne sich zu entscheiden. Die Rahmenteile der dreiteiligen Form werden vor allem von einer seltsam schleichenden Unisono-Linie beherrscht, die sich allmählich aufwärts windet und deren Oktavierung in der Reprise synkopisch versetzt wird. Das Des-Dur-Trio beginnt ganz flächig in Akkorden. Deren Wohlklang erweist sich jedoch bald als trügerisch, denn ihnen werden harte synkopische Akzente und unruhig bewegte Gegenstimmen gegenübergestellt, auch trüben sich die Akkorde selbst immer wieder chromatisch ein.

    Auch das Presto-Finale ist denkbar knapp und konzentriert ausgeformt, ein Spielstück in etwas ruppiger, ständig voranstrebender Achtel- und Sechzehntel-Motorik – auf den ersten Blick Musik von Haydns Gnaden, doch insgesamt mit viel mehr trotziger Energie und Widerborstigkeit. Das Thema prägt mit seinen Repetitionen und einer charakteristischen Doppelschlag-Figur den ganzen Satz fast monothematisch.

    Es wird zunächst fugatoartig in drei Einsätzen vorgeführt und moduliert auf kurzen Wegen nach C-Dur, ohne daß es zu einem selbständigen Seitensatz überhaupt käme. In den Schlußtakten der nur 32 Takte langen Exposition verbirgt sich in der Mittelstimme des kompakten Satzes eine weiterführende Wiederkehr des Hauptthemas. In der Durchführung setzt sich das imitatorische Spiel mit den motivischen Bestandteilen des Themas energiegeladen fort: zunächst geht es ausschließlich um den dritten Takt mit seiner Achtel-SechzehntelFolge (vgl. die Klammer im Bsp. oben), dann reduziert sich das Geschehen auf das ständige Hämmern der Achtel-Impulse im kompakten Akkordsatz. Im Fortissimo fährt die Reprise hinein – der Satzanfang ist übrigens dynamisch unbezeichnet und wohl in einer mittleren Lautstärke zu denken. Im Verlauf der deutlich ausgeweiteten Reprise steigert sich die Lust an der Virtuosität hörbar, etwa in den geschüttelten Oktav-Gängen und ausgeweiteten Tonleitern. Die ursprüngliche Schlußgruppe in ständigen gestoßenen Achtel-Ketten weitet sich zur Coda aus und endet im entschlossenen Fortissimo – der angehängte Leertakt verweist noch einmal auf die durchgängig zweitaktige Gliederung (schwer – leicht).

    Die ganze Sonate stellt sich als recht eigenwillige Komposition dar, in manchen ihrer Züge fast bizarr und vor allem im Finale kompromißlos in der Reduzierung ihrer Mittel, was nach der Verbindlichkeit des Kopfsatzes doch überrascht. Häufigeren Aufführungen scheint paradoxerweise gerade ihre eigentümliche Originalität, die ein wenig quer zum gewohnten Beethoven-Bild steht, im Wege zu sein.

    Sonate Nr. 7 D-Dur op. 10,3

    Komponiert 1796-98.

    – Largo e mesto d-Moll, 6/8 – Menuetto: Allegro – Rondo: Allegro, 4/4

    Unter den drei Sonaten des Opus 10 ist die dritte die ambitionierteste in jeder Hinsicht: Sie ist – nicht nur wegen ihrer vier Sätze – die längste; ihr Ausdrucksradius ist der weiteste, vor allem wegen ihres gewaltigen langsamen Satzes; und sie ist die virtuoseste im Hinblick auf ihre beiden Ecksätze, insbesondere auf das eröffnende Presto. Auch hier ist wieder, dem Finale der vorhergehenden Sonate vergleichbar, kein entfesseltes Tempoextrem gemeint, sondern viel eher beherrschtes, kontrolliertes Temperament, denn die Sonatensatz-Strukturen dieses Satzes und seine meisterhafte motivisch-thematische Durchdringung verbieten oberflächlich-virtuose Eile von allein. Pianistischer Anspruch dokumentiert sich in ausgeprägter Oktaven-Technik, die jedoch niemals zum äußerlichen Selbstzweck wird, sondern durchgehend thematisch eingebunden bleibt. In den Satzproportionen ist der Anteil der Durchführung als zentralem Abschnitt zwar zurückgedrängt zugunsten der beiden Rahmenteile Exposition und Reprise mit Coda; möglich wird das jedoch durch eine charakteristische Ausdehnung des Durchführungsprinzips auf eben diese die eigentliche Durchführung umgebenden Passagen, vor allem den Schlußkomplex des Satzes. Dabei wird ein zunächst eher beiläufig eingeführtes absteigendes TonleiterMotiv vom Beginn des Hauptthemas – also seinem Kopf – zum zentralen und schließlich allgegenwärtigen Baustein des ganzen Satzes:

    ob gleich anschließend in der Weiterführung in parallelen Sextakkorden, in gebrochenen Sexten (T. 11), in nachklappenden Oktaven (T. 17), als Kopf des zweiten Themas:

    oder in quasi polyphoner Schichtung und Verdichtung in der Fortsetzung des Seitensatzes (T. 67 ff.) oder schließlich im geheimnisvollen Verklingen der Coda. Eine irritierende Besonderheit im erwarteten Verlauf des Sonatensatzes ist darüber hinaus ein periodisch gebautes und auch zunächst so weitergeführtes, ganz eigenes h-Moll-Thema zu Beginn der Überleitung, das in der Reprise genauso exponiert und isoliert in e-Moll wiederkehrt. Für die eminente konstruktive Durchgestaltung spricht auch die so unauffällige motivische Verklammerung des Seitenthemas mit der Schlußgruppe: der Umriß des Begleitmotivs der linken Hand kehrt wieder in einer ganz flächig-fahlen Unisono-Passagen (T. 105 ff.), die ihrerseits in der Reprise beträchtlich ausgedehnt wird:

    Die Durchführung wirkt im Satzverlauf keineswegs als Steigerung, sondern führt das Geschehen organisch und ohne die strukturellen Fesseln der Rahmenteile fort, geprägt vom durchgehenden Zug der vorwärtsdrängenden Achtel-Begleitungen. Überraschend ist allerdings ihr Einstieg: nach einem Moll-Einsatz des Hauptthemas erfolgt eine abrupte Halbton-Rückung vom Dominantton a nach B-Dur. Die Reprise folgt den Vorgaben der Exposition, weitet die Schlußgruppe aus und setzt sie in einer durchführenden Coda noch einmal fort.

    Das folgende ungemein tiefsinnige und expansive Largo hat mit Sicherheit die Möglichkeiten und Grenzen des damaligen Hammerklaviers gesprengt – Beethovens bekannte Probleme mit seinen Klavieren kann man in diesem klangsinnlichen und meisterhaft instrumentierten Satz besonders gut nacherleben: er scheint prophetisch das Klangspektrum eines großen modernen Flügels vorauszuahnen. Sein grüblerisches, dunkles Hauptthema voller Vorhalte und chromatischer Trübungen steigert sich bis zum Aufschrei des verminderten Septakkordes und mündet dann in eine klagende Kantilene, die weit vorausweist auf Beethovens späte langsame Sätze und die von einer sensibel abgestimmten Begleitung getragen wird. Zweimal kommt es zu Ausbrüchen höchster Leidenschaft, die jeweils abgefangen werden in ungemein klangvollen Weiterführungen perlender Figurationen, die weit voraus in die Romantik weisen. Völlig neuartig ist auch die so ausdrucksstarke Hervorhebung der tiefen Lage des Instrumentes, sei es in den eindringlichen Oktav-Führungen zu Beginn des Mittelteils (T. 30 ff.) im parallelen F-Dur, sei es bei der Wiederkehr des d-Moll-Hauptthemas, umspielt von Sextolen und bis zum mächtigen Kontra-ges hinabsteigend (T. 67). Eine abgrundtief pessimistische Coda beendet den Satz.

    Um so überraschender wirkt danach die Freundlichkeit des zum Allegro beschleunigten Menuettes, in dessen Mittelteil einige harte Akzente und Imitationen für Unruhe sorgen. Und Ratlosigkeit könnte das G-Dur-Trio dann vollends auslösen, denn es holt mit seinen ununterbrochenen Triolen-Ketten und der sich im Händekreuzen entfaltenden Melodie der linken Hand weit aus, als käme nun eine große geschlossene dreiteilige Liedform, bricht jedoch unvermittelt nach dem wiederholten A-Teil ab – verblüffendes, uneingelöstes Spiel mit der formalen Hörerwartung!

    Das Final-Rondo schließlich exponiert ein Hauptthema, das allen Schulregeln spottet: sein dreimaliger pausendurchsetzter Anlauf klingt wie improvisiert in einer verzierten Fermate aus; und sein erneuter Beginn, nun mit verkürzten Pausen, endet schon nach zwei Takten in einer Schlußfloskel. Im Satzverlauf kristallisiert sich eben jenes kurze Kopfmotiv als Bewegungsimpuls für den ganzen Rondo-Verlauf heraus.

    Mit dem Rondo-Modell allerdings spielt Beethoven auf unerhört virtuose Weise und führt dabei den aufmerksamen Hörer irritierend auf immer neue Abwege. Vorbild bei dieser Art intellektueller Freude am Kombinieren und Legen falscher Fährten war mit Sicherheit Joseph Haydn, und doch ist die Musik reinster Beethoven. Allerdings klingt dieser Satz auf ungewohnte Weise leicht und locker, verspielt und schwerelos, fast beiläufig. Dabei werden die Vorgaben der Form (A–B–A–C–A–B) fast im Eiltempo erfüllt, und die Episoden (B und C) sind kurz und thematisch ziemlich unauffällig. Nach dem C-Teil scheint sich die Rückführung völlig zu verlaufen, so daß es zu einer Scheinreprise in F-Dur kommt, bis ein langes, suchendes Unisono den Ausweg nach D-Dur zeigt. Im letzten Drittel überlagert zunehmend Durchführungstechnik das Rondo-Prinzip, im ständigen kombinatorischen Spiel mit dem Kopfmotiv, am Ende in einer ganz duftig-zarten Coda auslaufend.

    Sonate Nr. 8 c-Moll op. 13 »Grande Sonate pathétique«

    Komponiert 1798/99, dem Fürsten Carl von Lichnowsky gewidmet.

    Die durch den Beinamen »Pathétique« ausgelöste Popularität steht einer sachlichen Betrachtung dieser Sonate im Weg; um so überraschender ist nach ihrer Analyse die Erkenntnis, daß ihr unter den früheren Klaviersonaten keineswegs jener Ausnahmerang zusteht, den die Häufigkeit ihrer Aufführungen vermuten läßt. Sie ist im Gegenteil eher ein kleineres Werk, mit lediglich drei Sätzen und relativ knappen Satzdimensionen; und auch der emotionale Ambitus ist keineswegs überbordend, sondern überschaubar und wohldosiert verteilt. »Pathetisch« im Sinne der seinerzeit mit diesem Wort gemeinten großen Leidenschaft stellt sich nur der Kopfsatz dar, und er weist auch die einzige wirkliche strukturelle Besonderheit der Sonate auf: Er setzt nämlich nicht nur – ungewöhnlicherweise – mit einer langsamen Einleitung ein, sondern läßt diese auch, mehr oder weniger verändert, noch zweimal an formalen Schlüsselstellen wiederkehren. Die punktiert aufsteigende Tonfolge ihres Beginns mit abschließendem Seufzervorhalt ist dabei das Klang gewordene Symbol einer pathetischen Gebärde.

    Sie wird in zehn ausdrucksvoll lastenden Takten modulatorisch über Es-Dur nach c-Moll zurückgeführt und mündet mit einer hinabstürzenden chromatischen Tonleiter in das folgende Sonatensatz-Allegro. Der suggestive Aufwärtszug seines Hauptthemas wird synkopisch gestaut; es kehrt überraschend in der Schlußgruppe wieder und zielt kräftig auf die Wiederholung der Exposition oder die Durchführung. Nach der Knappheit von Hauptsatz und Überleitung ist der Seitensatz unerwartet ausgedehnt und vielgestaltig. Er setzt gegen die Gewohnheit zunächst in es-Moll

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1