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Robert Schumann: Musikführer
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eBook604 Seiten9 Stunden

Robert Schumann: Musikführer

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Über dieses E-Book

Dieser Musikführer stellt das Gesamtwerk Robert Schumanns vor. Von der Oper abgesehen, hat er in allen musikalischen Gattungen erfolgreich gewirkt. Neben der Klaviermusik, seinem ureigenen Metier, sind es vor allem seine Lieder, die ihn in eine Reihe mit Schubert und Brahms stellen. Hinzu kommen die sinfonische Musik (Sinfonien, Ouvertüren, Konzerte), der Bereich der Chormusik und des Oratoriums sowie ein umfangreiches Kammermusikwerk für vielfältige Besetzungen. Alle diese Werke werden im Einzelnen analysiert und in den biografischen Kontext gestellt.
SpracheDeutsch
HerausgeberSchott Music
Erscheinungsdatum9. Dez. 2015
ISBN9783795785512
Robert Schumann: Musikführer

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    Buchvorschau

    Robert Schumann - Günther Spies

    Werkregister

    Einleitung

    Schumanns Leben und Schaffen vollzog sich in einer kaum faßbaren Intensität, obgleich es immer wieder krisenhaft überschattet war. Wichtige Daten und Aspekte dieser komplexen Künstlerbiographie finden sich in der angefügten Chronik bzw. im Kontext einzelner Werkeinführungen. Vorweg soll zwei übergreifenden Fragen nachgegangen werden, zunächst derjenigen nach der stilistisch-ausdruckshaften Entwicklung des Schaffens und einiger dabei zu beachtender Bedingungsfaktoren, danach jener nach den Lebensdivergenzen und den Umständen von Schumanns tragischem Ende.

    Das kompositorische Ergebnis von Schumanns breit gestreutem künstlerischen Wirken ist ein Gesamtwerk von universaler Weite. Es umspannt alle wichtigen Gattungen, gewichtet diese freilich unterschiedlich. Der kompositorische Aufbruch im Klavierjahrzehnt war gleichermaßen von jugendlicher Dynamik wie von einer kompromißlosen Progressivität geprägt. All die Kühnheiten und stilistischen Verwerfungen, die Intensivierung, ja Übersteigerung gefühlsbetonter Momente, die Darstellung des Dunkel-Untergründigen, aber auch des Skurrilen, verweisen zugleich auf einen unmittelbaren Einfluß frühromantischer Ideen. Diese traten Schumann in ihrer ganzen Vielschichtigkeit im Werke seiner damaligen Lieblingsdichter Jean Paul und E. T. A. Hoffmann entgegen. Dabei stieß er auch auf die geradezu beschwörende Anhäufung der Formel »poetisch« (bzw. »Poesie«), einen wichtigen Leitbegriff romantischer Ästhetik. Mit ihm war, den engeren Bereich der Dichtung weit übergreifend, die Vorstellung einer der »prosaischen« Welt des Alltäglich-Banalen entgegengestellten höheren Wirklichkeit verbunden. Diese konkretisiere sich im freien Spiel der schöpferischen Phantasie und vermittle Empfindungen neuer Art, ja öffne gleichnishaft das Tor zu tieferen Erkenntnissen. Der theoretische Hintergrund dieser Anschauung findet sich vor allem in den kunstphilosophischen Passagen von Schellings Transzendentalphilosophie. Ihnen zufolge wird die im letzten bestehende Einheit von Endlichem und Unendlichem nicht auf dem Wege des begrifflichen Denkens, sondern gerade und vornehmlich durch die Kunst vermittelt. Schönheit ist in diesem Sinne zugleich ein gleichsam sinnliches Aufscheinen des Absoluten. Wie zuvor schon Beethoven, war Schumann von dieser Metaphysik durchdrungen. Unermüdlich forderte er vor allem in seiner ersten Schaffensphase eine solch »poetische« Erneuerung und Vertiefung der Musik. Mit seiner Idee der »Davidsbündler« schuf er sich einen fiktiven Kreis verschworener Mitstreiter zur Realisierung dieses Vorhabens. Vorbilder dafür bot die zeitgenössische Literatur in mancherlei Varianten, so etwa E. T. A. Hoffmann mit seinen Serapions-Brüdern (1819-21). Schumann besetzte seinen geheimen Zirkel im Laufe der Zeit mit allen wichtigen Freunden und Künstlerkollegen. Wieck wurde zum Meister Raro, Clara zu Cilia oder Chiara bzw. Chiarina, Mendelssohn zu Meritis, Dorn zum Musikdirektor und sein langjähriger Jugendfreund Flechsig zum Jüngling Echomein. Von diesen und manch anderen Eingeweihten wußte er sich gestärkt und beflügelt, dem Beispiel Davids gegen die Philister zu folgen und den Kampf gegen musikalisches Mittelmaß, gegen alles Geistlos-Epigonenhafte aufzunehmen. Sich selber wies er zwei gegensätzliche Charaktere zu. Er führte sie am 1. Juli 1831 ein: »Ganz neue Personen treten von heute in’s Tagebuch – zwey meiner besten Freunde, die ich jedoch noch nie sah – das sind Florestan und Eusebius.« (Tb I, S. 344) Das damit aufgegriffene romantische Doppelgängermotiv war ihm seit langem vertraut. Es bezieht sich direkt auf das so konträre Zwillingspaar Vult und Walt aus Jean Pauls Flegeljahren (1804), in allgemeinerer Weise aber auch auf E.T.A. Hoffmanns genialisch-sprunghafte und gefährlich gespaltene Persönlichkeit des Kapellmeisters Kreisler.

    Romantisches Denken schloß in einer dialektischen Weise auch die Verehrung historisch bedeutsamer künstlerischer Leistungen und die Einschmelzung älterer Sprach- und Stilformen ein. Schumann bekannte sich nachdrücklich zu diesem Prinzip. »Die Zukunft soll das höhere Echo der Vergangenheit sein«, notierte er in den frühen dreißiger Jahren (Tb I, S. 304). Seine wichtigsten Leitbilder waren Johann Sebastian Bach, Beethoven und Schubert, was in seinem Studienprogramm, in vielen kompositionstechnischen und stilistischen Entsprechungen, nicht zuletzt aber in zahlreichen Zitatverbindungen belegt ist. In der Musik dieser als unerreichbar bewunderten Vorgänger sah er zugleich das Ideal des Romantisch-Fortschrittlichen und damit »Poetischen« in schönster Weise verwirklicht. Daß er von Anfang an gleichsam als rationales Korrektiv zu seinem unerschöpflichen Einfallsreichtum hohe gestalterisch-handwerkliche Ansprüche an sich stellte, war gewiß auch eine Konsequenz aus dieser Beziehung.

    Es scheint, als habe die 1840 mit der Eheschließung erreichte Stabilisierung der persönlichen Verhältnisse Schumanns Kräfte für eine Ausweitung der kompositorischen Pläne freigesetzt. Nach der intensiven Erfahrungsbildung an den verschiedensten Formen und Genres der Klaviermusik wie auch im Bereich des Liedes wandte er sich nun systematisch der Erschließung weiterer Gattungen zu. Die progressive ästhetische Grundhaltung blieb dabei zunächst ungebrochen erhalten. Dies zeigt sich gleichermaßen im kammermusikalischen Schaffen wie im sinfonischen Werk. Im Laufe der Jahre wurde sie dann allerdings durch andere, teilweise explizit antiromantische Tendenzen zurückgedrängt. Inspiriert vom nationalen Aufbruch und den Forderungen nach der Erschließung des Künstlerischen für ein breiteres Verständnis, auch mitbestimmt durch ein wachsendes pädagogisches Interesse, vereinfachte er nun immer wieder seine Schreibweise. In besonderer Weise wurden von dieser Tendenz das chorische wie oratorische Schaffen, außerdem seine Beiträge zur Bühnenmusik erfaßt. Die Abkehr von der kühnen ursprünglichen Diktion hatte aber auch andere Gründe. Zum einen mußte Schumann angesichts zuweilen drückender finanzieller Sorgen und seines unablässigen Kampfes um Anerkennung bestrebt sein, die Verbreitung und den Absatz seiner Werke zu erleichtern. Zum andern wirkten sich wohl auch die im Laufe der vierziger Jahre auftretenden gesundheitlichen Turbulenzen in dieser kompositorischen Beschränkung aus. Interessanterweise ergab sich gerade in der bedrängendsten Periode eine einschneidende Änderung seiner Schaffensweise. Schumann äußerte sich dazu im Frühsommer 1846 wie folgt: »Ich habe das Meiste, fast Alles, das kleinste meiner Stücke in Inspiration geschrieben, vieles in unglaublicher Schnelligkeit, so meine 1 ste Symphonie in B Dur in vier Tagen, einen Liederkreis von zwanzig Stücken ebenso [gemeint ist die dann auf 16 Lieder reduzierte Dichterliebe], die Peri in [...] verhältnismäßig ebenso kurzer Zeit. Erst vom Jr. 1845 an, von wo ich anfing alles im Kopf zu erfinden und auszuarbeiten, hat sich eine ganz andere Art zu componiren zu entwickeln begonnen.« (Tb II, S. 402) Eine letzte Entwicklungsstufe, welche zeitlich ebenfalls nicht trennscharf zu definieren ist, vielmehr sich schon lange vor der Krisenzeit 1852-54 angekündigt hatte, brachte dann mit der graduell unterschiedlichen Reduktion des klangsinnlichen Elements zugunsten subjektiv-verschlüsselter Ausdrucksformen und herberer Töne eine noch deutlichere Distanzierung von der stilistisch-ausdruckshaften Fülle früherer Neueren Forschungen ist es zu danken, daß die unmittelbar nach Schumanns Tod einsetzende Abwertung solcher Spätwerke allmählich einer sachlicheren Betrachtungsweise weicht.

    Schumanns Biographie ist reich dokumentiert. Hauptquellen dafür sind die den Zeitraum von Januar 1827 bis Januar 1854 erfassenden Tagebuchaufzeichnungen, die sie ergänzenden, von 1837 bis ins Todesjahr reichenden Haushaltsbücher, des Weiteren ein umfangreicher Briefwechsel wie auch zahlreiche Aufzeichnungen aus der engeren und weiteren Umgebung des Komponisten (vgl. die Literaturhinweise). Sie alle weisen auf einen äußerst wechselhaften Lebensverlauf hin. Phasen unbeschwerten Wirkens wurden regelmäßig und in zunehmend rascher Folge von Abschnitten belastender Art abgelöst. Die dabei auftretenden Probleme erwuchsen aus dem Zusammentreffen einer höchst komplizierten Persönlichkeitsstruktur mit erheblichen äußeren Widrigkeiten. Schumann war starken inneren Spannungen unterworfen, neigte bald zum Überschwang, bald zu tiefer Depression. All dies trat erstmals während der Studentenjahre voll zutage. Auf sich selbst gestellt, war er damals hin- und hergerissen zwischen einem exzessiv freizügigen Lebensstil und dem Streben nach verantwortlicher Selbstgestaltung. Immer wieder verlor er im Widerstreit mit seinen – wie er sagt – »dämonischen« Kräften. Rückhaltlos vertraute er dies seinem Tagebuch an, wenn es dort etwa heißt: »Ich sinke [...] in den alten Schlamm zurück; kommt keine Hand aus Wolken, die mich hält?« (Tb I, S. 344) Seine schwierige Grunddisposition wirkte sich dann in späteren Jahren in anderer Weise verhängnisvoll aus. Wie bereits angedeutet, wurde Schumanns enormes kompositorisches Engagement nicht angemessen beachtet. Nur wenige Werke erreichten bei ihrer Uraufführung und zu seinen Lebzeiten die ungeteilte Zustimmung seitens der Fachkollegen und der Öffentlichkeit. Die ausbleibende Resonanz traf ihn nicht zuletzt deshalb so schwer, als er häufig Zeuge der enthusiastischen Anerkennung für seine konzertierende Frau war. Die Beziehung zu ihr war trotz vieler beglückender Momente und einer künstlerisch reichen wechselseitigen Befruchtung nicht einfach. Das Zusammenleben zweier so ausgeprägter Künstlerindividualitäten mußte zwangsläufig zu Interessenkonflikten und Unverträglichkeiten führen. Gesteigert traten solche in Phasen schöpferischer Hochspannung auf, in denen Schumann eine extreme Empfindlichkeit gegen jegliche Störung zeigte. Der aus den vielfältigen Entmutigungen und Enttäuschungen, dazu einer ständigen geistigen Hochspannung und verzehrenden Arbeitsweise resultierende Substanzverlust war erheblich. Zustände tiefster Niedergeschlagenheit, Schlaflosigkeit, Schwindelanfälle, Platzangst und andere Phobien gehörten neben kommunikativen Blockaden zu den auffallendsten Folgeerscheinungen. Ohne Zweifel trugen die sich im Laufe der Jahre zunehmend krisenhaft verstärkenden Störungen ihren Teil zur endgültigen gesundheitlichen Zerrüttung bei. Die Frage nach den akuten Ursachen der dramatischen Zuspitzung seiner Lebenssituation im Februar 1854 und nach dem tragischen Ende in der Heilanstalt Endenich wird von den Medizinhistorikern seit Jahren kontrovers diskutiert. Der 1973 veröffentlichte Obduktionsbericht des behandelnden Arztes Dr. Richarz bringt nach Meinung Franz Hermann Frankens deutliche Hinweise auf eine – damals noch nicht heilbare – »syphilitische Infektion« mit nachfolgender progressiver Paralyse (Die Krankheiten großer Komponisten, 2 Bde., Wilhelmshaven ²1991). Zurückhaltender beurteilt sein Fachkollege Dr. Anton Neumayr die Untersuchungsergebnisse (Musik und Medizin. Am Beispiel der deutschen Romantik, Wien 1989). Er bemängelt auch Richarz’ offenbar unzureichende pathologische Kompetenz. Franken räumte dann später ein, Schumanns Krankheitsbild sei maßgeblich von psychiatrischen Symptomen anderer Art mitbestimmt gewesen. An seinem Schlußfazit: »Die Diskussion über die Art seiner Erkrankungen wird deshalb wohl auch nie erlöschen« (Bd. 2, S. 240), dürfte auch die 1994 dank Aribert Reimann überraschend aufgetauchte Krankenakte nichts ändern. Auf der Grundlage dieses Dokuments zeichnete vor kurzem Peter Härtung den unsäglich traurigen Verfall dieser reichen Künstlerexistenz in ergreifender Weise nach (Schumanns Schatten, Köln 1996).

    Chronik des Lebens und Schaffens

    Musik für Tasteninstrumente

    Das Klavier war Schumanns wichtigstes Medium musikalischer Erfahrungsbildung und Selbstdarstellung. Zehn Jahre lang, von 1830 bis 1839, schrieb er nahezu ausschließlich für dieses Instrument. Danach erschloß er sich systematisch die anderen wichtigen Gattungen. Dem Klavier erwuchsen im Bereich des Liedes, der Kammermusik und des Konzerts neue wichtige Aufgaben. Solistisch trat es zunächst in den Hintergrund, wurde dann aber von 1849 an erneut mit eigenen Beiträgen bedacht. Der Gesamtertrag für dieses Instrument ist von einer nahezu unübersehbaren formalen wie stilistischen Fülle. Phantasie und Neuerergeist bestimmen vor allem die Kompositionen des Klavierjahrzehnts. In ihrer gestalterischen Kühnheit und Gefühlsunmittelbarkeit lösen sie den romantischen Anspruch an eine »poetische« Musik in immer neuer Weise ein. In den späteren Jahren ergeben sich dann erhebliche konzeptionelle und stilistische Änderungen. Schumann bevorzugt nun mehr als zuvor Ausdrucksformen populärerer Art und bestätigt damit eine auch in anderen Gattungen spürbare Tendenz. Andererseits reduziert er jedoch in einzelnen Kompositionen das klangsinnliche Element und gibt ihnen ausgesprochen introvertierte Züge.

    Formale wie stilistische Querverbindungen innerhalb des weitgespannten Schaffens legen eine gruppenweise Anordnung und Darstellung der Kompositionen nahe. Zwei Gruppen beziehen sich auf die Variation und die Sonate, auf jene historischen Formen, mit denen Schumann sich vor allem während des Klavierjahrzehnts intensiv schöpferisch auseinandersetzte. Die weitaus größte Gruppierung aber faßt unter der Bezeichnung »Freie Formen: Tänzerisches, Fantasiestücke und anderes« jene Stücke zyklischer Bindung bzw. freier Abfolge zusammen, welche seine Gestaltungsideen in besonders unverwechselbarer Weise spiegeln. Eine weitere Gruppe enthält frühe Bearbeitungen, sodann kontrapunktische Studien bzw. Fugen-Sammlungen und schließlich eine Reihe musikpädagogischer Arbeiten. Sie trägt den Titel »Bearbeitungen – Kontrapunktische Studien – Pädagogische Werke«. Die Besprechungsabfolge wie Binnengliederung dieser Gruppen ist vornehmlich chronologisch orientiert. Den Abschluß des Kapitels bilden Anmerkungen zu den Werken für Klavier vierhändig bzw. für zwei Klaviere, sowie zu den Beiträgen für Pedalklavier und Orgel.

    Die Darstellung beschränkt sich auf die wichtigsten zugänglichen Sammlungen und Einzelstücke. Dank neuerer Forschungen konnte dieser Grundkanon durch das eine oder andere Stück erweitert werden. Soweit noch nicht veröffentlicht, werden diese Addenda im Rahmen der Neuen Gesamtausgabe, Serie III, zugänglich gemacht.

    Klavier zu zwei Händen

    Variationen

    In Schumanns Schaffen spielt das Variieren als Ausdrucks- und Formelement eine zentrale Rolle. Die Hinwendung zu diesem Gestaltungsprinzip zeichnete sich früh ab. Der jugendliche, pianistisch frühreife Musiker verblüffte seine Umgebung mit phantasievollen Improvisationen über freie bzw. programmatisch fixierte thematische Gestalten. In seinem Literaturspiel aber nahmen die ihm zugänglichen Variationszyklen einen bevorzugten Platz ein. Mit einem der berühmtesten seiner Zeit, den virtuosen Variationen über den Alexander-Marsch op. 32 von Ignaz Moscheles, debütierte er während seiner Heidelberger Zeit als Pianist. Es verwundert nicht, daß auch seine kompositorischen Anfänge besonders mit dieser Formgattung verknüpft sind. Einige jener Versuche wurden fertiggestellt und veröffentlicht, andere kamen über Ansätze nicht hinaus. Manche Stücke wurden erst in den letzten Jahren publiziert, so die Etüden in Form freier Variationen über ein Thema von Beethoven. Joachim Draheim gibt in seinen Bemerkungen zu den frühen Variationswerken Robert Schumanns Auskunft über diese Beiträge (vgl. Schumann Studien I, S. 75-89).

    Seine Bemühungen um eine zeitgemäße Realisierung dieses alten Formprinzips begleitete Schumann kritisch reflektierend. In zahlreichen schriftlichen Äußerungen verdeutlichte er seine eigenen Gestaltungsvorstellungen. Immer wieder beklagte er den qualitativen Schwund einer modisch veräußerlichten Variationenproduktion. Anläßlich einer Sammelrezension neu erschienener Variationen sah er sich 1836 zu der Aussage veranlaßt, in keinem Genre sei »mehr Stümperhaftes zu Tage gefördert worden« (GS I, S. 42). Im einzelnen kritisierte er jegliche rein spieltechnisch orientierte Variierung, mangelnden Erfindungsreichtum, Routine statt Phantasie und Vertiefung. Demgegenüber forderte er Variationen individueller Prägung, die sich aus einer schematischen Bindung ans Thema lösen, diesem vielmehr in wechselnder Weise und Intensität verbunden bleiben.

    Thème sur le nom Abegg varié pour le Pianoforte op. 1

    Diese 1830 komponierten Variationen stellen das erste gedruckte Werk Schumanns dar. Der junge Komponist kommentierte dieses Debüt mit gehörigem Stolz, vermerkte er doch am 7. November 1831 in seinem Tagebuch: »Heute erschein’ ich zum erstenmal in der großen Welt mit den Variationen!« (Tb I, S. 373) Hinter der klingenden Widmung »à Mademoiselle Pauline Comtesse d’Abegg« verbirgt sich die Mannheimer Jugendfreundin Meta Abegg. Die Buchstaben ihres Namens liefern das Tonmaterial für das Thema der Variationen. Dieses einfache, ländlerartige Stück gewinnt der Fünftonfolge durch Sequenzierung, Gegenbewegung und dynamische Kontrastierung einige Ausdrucksnuancen ab. Die drei Variationen und das abschließende Finale lassen den so einfach erscheinenden Thementeil ausdrucksmäßig wie strukturell weit hinter sich. Sie verraten Gestaltungsphantasie und virtuosen Ehrgeiz. Als unmittelbare Vorbilder für sie gelten Ignaz Moscheles mit seinen erwähnten La marche Alexandre-Variationen, vor allem aber Beethoven.

    Wie wichtig gerade dessen Kompositions- und Variationsstil für Schumann war, wird sogleich an der 1. Variation spürbar. Als wolle er von Beginn an alle Zweifler von seinem Können überzeugen, verbindet er diese kunstvoll mit dem Themenmodell. Ausgangspunkt ist die aus dem Grundmotiv abgespaltene kleine Sekunde, deren vertikale wie lineare Multiplikation in den Takten 1-8 zur harmonischen Schärfung und zur Weitung des Tonraums führt. Der 2. Achttakter bringt in der linken Hand das ganze Ausgangsmotiv. Im zweiten Teil des Stückes wird die vom Ausgangsthema her zu erwartende Bewegungsumkehrung dadurch individualisiert, daß Schumann nun die vom Anfang übernommene kleine Sekunde es-e enharmonisch in dis-e umdeutet und damit den Satz auflichtet. Die Kombination dieser Sekundfolge mit dem Intervall b-a aber stellt die Beziehung zum Grundthema her. Dem stürmischen Beginn folgt eine verhaltene 2. Variation. Sie knüpft wiederum bei der kleinen Sekunde des Themas an, entwickelt daraus aber eine eigenständige melodische Linie. In der kanonischen Zuordnung der beiden Eckstimmen und der doppelten Synkopierung des Satzes künden sich stilistische Konstanten des weiteren Schaffens an. Die 3. Variation behält das chromatische Element bei, löst sich jedoch trotz einiger thematischer Anklänge spürbar vom Ausgangspunkt. Mit ihren virtuosen Spielfiguren rückt sie ausdrucksmäßig in die Nähe des Salonmäßigen. Im brillanten »Finale alla Fantasia« gibt Schumann der improvisatorischen Spontaneität dann noch größeren Raum. In ihrem Passagenwerk wird auch der Einfluß Johann Nepomuk Hummels spürbar.

    Impromptus über ein Thema von Clara Wieck op. 5

    Bei diesem Werk handelt es sich um eine Folge von zehn Charaktervariationen. Schumann komponierte sie 1833. Später redigierte er die erste Ausgabe und legte sie 1850 in einer gekürzten zweiten Fassung vor. Ausgangsthema ist ein achttaktiges Baß-Ostinato, das harmonisch auf eine erweiterte, »romantisch« eingefärbte Kadenz angelegt ist. Ihm tritt in der formelhaften Diskantmelodie des vierstimmigen Thementeils ein einflußreiches Gegenthema zur Seite. Dies war zuvor schon von Clara Wieck in ihrer vermutlich 1831 entstandenen Romance variée op. 3 thematisch verwendet worden, was zu der Annahme führte, die junge Komponistin habe diesen Thementeil erfunden, Robert Schumann lediglich die Baßstimme hinzugefügt. Daß dies nicht zutrifft, hat Köhler dargelegt (Peters-Urtextausgabe Nr. 9523). Schumann notierte eine erste Version davon bereits 1830 anläßlich seiner Reise von Heidelberg nach Leipzig unter dem Titel Allegretto al Paganini in seinem Tagebuch (Tb I, S. 321). Die Umrisse des Baßthemas aber entstanden offenbar 1832 während der gemeinsamen Kontrapunkt-Studien Claras und Roberts. Köhler vermutet, die Tonfolge C-F-G-C sei symbolhaft auf die damals kreierten Davidsbündler-Namen bezogen, für Clara Chiara und Chiarina, für Robert Florestan. Das G stehe für Gustav, der dem Eusebius nahestehenden Hauptfigur aus einem frühen Romanprojekt.

    Im Verständnis der Zeit stellen Impromptus kurze, stegreifartig hingeworfene Stücke dar. Daß das op. 5 dieser Vorstellung nicht entsprach, geht aus einer Besprechung der Allgemeinen musikalischen Zeitung vom 11. September 1833 hervor. Dort heißt es: »Der Anfang paßt zu dem Titel, die Folge dürfte für Impromptus zu viel Ausgearbeitetes haben« (Tb I, S. 432). Die ersten vier Stücke halten sich eng an den Grundriß des Thementeiles, sind ausdrucksmäßig jedoch alle individualisiert. Danach lockert sich die formale und variative Bindung. Die Nr. 1, 3, 4 und 10 sind Ostinato-Variationen romantischen Einschlags. Eine deutliche Beziehung besteht dabei zwischen der 1. und 4. Variation, wobei das »Sentiment« in Nr. 4 infolge der ausgeprägteren Vorhalttechnik gesteigert erscheint. Deutlich abgehoben davon ist die 3. Variation, die durch rhythmischen und harmonischen Witz besticht und viel imitatorische Feinarbeit verrät. Aufwendigstes Beispiel dieser Ostinato-Stücke ist die den Zyklus abschließende Nr. 10. Dieses breit angelegte Stück wird von einem gespannten rhythmischen Motiv bestimmt. Besonderes Gewicht kommt seinem Fugato-Mittelteil zu, in welchem das weiträumig angelegte Quintfall-Motiv des Baßthemas von einer Variante dieser prägenden Kurzformel kontrapunktiert wird. Kontrapunktische Techniken spielen auch in einigen anderen Variationen eine Rolle. Keine macht jedoch die Nähe zum Vorbild J. S. Bach so deutlich wie dieses Schlußstück.

    Sinfonische Etüden op. 13

    Mit diesem Werk erreicht Schumanns Variierungskunst ihren Höhepunkt. Seine Entstehungs- und Publikationsgeschichte ist besonders kompliziert und nicht in allen Punkten eindeutig klärbar (Boetticher II, S. 243 ff.). Schumann projektierte es einer Tagebuchnotiz vom 8. März 1833 zufolge unter dem Arbeitstitel »Variations pathétiques« (Tb I, S. 418). Im Winter 1834/35 realisierte er das Vorhaben, nahezu zeitgleich mit der Komposition des Carnaval. Das einfache Ausgangsthema geht auf Ignaz Ferdinand Freiherr von Fricken zurück, den Adoptivvater Ernestines, mit der Schumann sich im Sommer 1834 heimlich verlobt hatte. Im Januar 1835 wurde die zunächst als op. 9 bezeichnete Niederschrift abgeschlossen. Zwölf der siebzehn fertiggestellten Stücke – ein weiteres ist nicht abgeschlossen – wurden im Sommer 1837 bei Haslinger (Wien) veröffentlicht. Diese Erstausgabe erfolgte unter dem Titel XII Etudes symphoniques pour le pianoforte und war dem englischen Komponisten William Sterndale Bennett gewidmet. Zusammen mit den Impromptus op. 5, den Davidsbündlertänzen op. 6, dem Allegro op. 8, der Klaviersonate op. 14 und den Kreisleriana op. 16 gehören die Sinfonischen Etüden zu den Werken, die Schumann vornehmlich auf Initiative der Verleger in den Jahren 1850-53 überarbeitete und in Neuausgaben herausbrachte (vgl. Ernst Herttrich, in: Schumann-Forschungen III, S. 25-35). Während er sich dabei vornehmlich auf geringfügige Änderungen beschränkte, griff er in den Ablauf dieses 1852 unter dem Titel Etudes en forme de variations pour le pianoforte neu erschienenen Werkes stärker revidierend ein. Zwei der Etüden, die Nr. 3 und 9, nahm er heraus. Beide scheinen der neuen Gattungsbezeichnung »Variationen« nicht voll entsprochen zu haben. Einige der verbleibenden Stücke straffte und vereinfachte er. Eine dritte, beide bisherigen Fassungen kombinierende Ausgabe aus dem Jahre 1861, geht auf die Initiative Adolf Schubrings zurück. In ihr sollen seiner Aussage nach Schumanns handschriftliche Korrekturen eingearbeitet worden sein. Diese Fassung wirft indes einige Fragen und Zweifel auf. Die fünf nicht berücksichtigten Stücke wurden von Clara abgeschrieben, sodann von Johannes Brahms in einigen Punkten ergänzt und erst 1873 postum veröffentlicht.

    Schumann verbindet mit den Variationen dieses Werkes zugleich die Vorstellung »Etüden«. Dies in einem höchst anspruchsvollen Sinne: Er orientiert sich dabei – außer an Stücken aus Chopins op. 10 - vor allem an Beethoven, der, wie er in einer Rezension des Jahres 1836 betont, »allem Mechanischen feind, mehr zum rein-poetischen Schaffen aufforderte« (GS II, S. 35). Die nachfolgende Einzeldarstellung bezieht sich auf die Ausgabe von 1837. In Anlehnung an diese Fassung werden die einzelnen Stücke – unabhängig von ihrem großenteils variativen Charakter – als Etüden bezeichnet.

    Ob und inwieweit Schumann Frickens Thema modifizierend zubereitet hat, ist quellenmäßig nicht zu klären. Die vorliegende Themengestalt steht in cis-Moll, einer Tonart, die nach Schumanns Verständnis auf komplexe Ausdrucksabsichten verweist.

    Das verhaltene Tempo, der ruhig schreitende Rhythmus, dazu die akkordische Struktur verleihen dem Satz einen ernsten Charakter. In einem Brief vom 28. November 1834 an Herrn von Fricken bezeichnete es Schumann als »Trauermarsch«. Seiner äußeren Form nach ist es übersichtlich gegliedert. Es umfaßt zweimal 8 Takte in einfacher Vierergliederung. Dabei korrespondieren die Teile 1, 2 und 4, während der dominantische Abschnitt 3 davon abgehoben ist. Kennzeichnend für den ersten Viertakter sind die Vollgriffigkeit und das eröffnende Dreiklang-Motiv, dem sich eine ruhige, zum Halbschluß führende Arpeggiopassage anschließt. In der Wiederholung wird diese Grundgestalt differenziert und – vor allem durch die Umkehrung der Akkordbewegung und die Öffnung zur Mediante E-Dur – gesteigert. Der vierte Viertakter kombiniert Elemente der beiden Bezugsabschnitte. Er endet halbschlüssig und bereitet damit den Einstieg in die Variierungsarbeit vor. Im fließend-ruhigen Melodieverlauf des 3. Teilabschnitts zeichnet sich eine ausdruckshafte Gegenkraft ab.

    Die bezüglich der Grobform und Binnengliederung mit der Disposition des Thementeils übereinstimmende Etüde I macht sogleich beispielhaft deutlich, wie Schumann einzelne Themenelemente zum Ausgangspunkt eines ausdrucksmäßig und satztechnisch neuartigen Verlaufs macht. Zum Grundmuster wird ein Fugato, dessen »subjectum« mit einer rhythmischen Variante der doppelten Quartbewegung des Thementeils beginnt. Eingelassen in dieses polyphone Gewebe und von ihm melodisch beeinflußt, sind harmonisch reich differenzierte akkordische Passagen, deren Eingangsfigur der thematischen Grundgestalt des Eröffnungsstückes entnommen ist.

    Im ersten Viertakter des ebenfalls achttaktigen Teiles 1 der Etüde II wird das Grundthema in langsamer Viertelbewegung von der Baßstimme gespielt. Wie bei einer Ostinato-Variation entfalten sich darüber neue Gestalten, im Diskant eine gegenläufige melodische Bewegung,

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