Spiritualität als Gnade und Zumutung: Österreichische Musikzeitschrift 06/2015
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Buchvorschau
Spiritualität als Gnade und Zumutung - Hollitzer Wissenschaftsverlag
IMPRESSUM
Österreichische Musikzeitschrift (ÖMZ) | Jahrgang 70/06 | 2015
ISBN 978-3-99012-219-8
Gegründet 1946 von Peter Lafite und bis Ende des 65. Jahrgangs herausgegeben von Marion Diederichs-Lafite
Erscheinungsweise: zweimonatlich
Einzelheft: € 9,50
Jahresabo: € 44 zzgl. Versand | Bestellungen: vertrieb@hollitzer.at
Förderabo: ab € 100 | Bestellungen: redaktion@oemz.at | emv@emv.or.at
Medieninhaberin: Europäische Musikforschungsvereinigung Wien (EMV)
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Herausgeber: Daniel Brandenburg | dbrandenburg@oemz.at
Frieder Reininghaus (verantwortlich) | f.reininghaus@oemz.at
Redaktion: Johannes Prominczel | j.prominczel@oemz.at
Judith Kemp | j.kemp@oemz.at
Julia Jaklin (Assistenz) | j.jaklin@oemz.at
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Verlag: Hollitzer Verlag | Trautsongasse 6/6 | A-1080 Wien
Tel. +43-1-236 560 54 | office@hollitzer.at | www.hollitzer.at
Coverbild: Kreuzwegstation | © Hermann Nitsch, 1987
Layout & Satz: Gabriel Fischer | A-1150 Wien
© 2015 Hollitzer Verlag. Alle Rechte vorbehalten. Die Redaktion hat sich bemüht, alle Inhaber von Text- und Bildrechten ausfindig zu machen. Zur Abgeltung allfälliger Ansprüche ersuchen wir um Kontaktaufnahme.
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von
Gottvater (gemalt von Tizian in der Frarikirche in Venedig) inspirierte Richard Wagner bei dessen Besuch 1861 höchstpersönlich zur Komposition der Meistersinger.
Liebe Leserinnen und Leser,
2015 hat sich Europa sichtbarer und spürbarer verändert als je in den letzten Jahrzehnten. Während wir die Texte dieses Heftes Korrektur lesen, nimmt an der Südgrenze das »Türl mit Seitenteilen« festere Konturen an. Der österreichische Kanzler, der noch kurz zuvor Viktor Orbán wegen dessen gravierenden Mängeln bei der »Willkommenskultur« scharf rügte, lässt mitteilen, auch unser Land brauche nun »eine technische Sicherungsmaßnahme«. Die Rechtspopulisten feixen. Während eine Minderheit aufreibende tätige Hilfe leistet, hält die vorherrschende Ratlosigkeit hinsichtlich Lösungen für die immensen Herausforderungen an.
In dieser Situation müht sich der größte Teil der für die Büchermärkte produzierten Literatur, unterhaltsam und dadurch marktgängig zu sein. Dennoch hält sich der Glaube, sie sei auch Indikator gesellschaftlicher Zu- und Miss-Stände – zumindest ein halbwegs zuverlässiges Fähnlein im Wind. Und was zeigt das im Herbst 2015 an? Der Trend zum leicht Konsumierbaren, TV-Prominenten und Esoterischen hat sich noch verstärkt. Stattliche Batterien von Büchern versprechen Starthilfe beim Rennen nach dem Glück (das Glück rennt hintendrein). »Neu ist die tiefe Zuneigung für überkonfessionelle Esoterik (Rhonda Byrne, Dalai Lama), sie löst die theologischen Schlachten der Vergangenheit (Küng gegen Ratzinger) ab«, resümiert Hannes Hintermeier (FAZ 14.10.2015).
Mit der Musik und dem Musiktheater verhält es sich grundsätzlich nicht viel anders als mit der Belletristik. Der Unterschied besteht darin, dass die Tonkünste und die von jahrelangen Vorlaufzeiten abhängigen größeren Musiktheaterbetriebe nicht so schnell auf die virulenten Themen Islam, Flüchtlinge und Integration reagieren (können) – die »kleineren Formate« (ÖMZ 5/2015, S. 88f.) und verschiedene Genres der populären Musik jedoch durchaus. In den Hauptfeldern reagiert der Musikbetrieb durch verstärktes Angebot von Wohlfühlmusik und durch die Ausweitung der Seichtgebiete bei der Moderation von Musik.
Je komplizierter die Gegenwart empfunden wird, desto größer erweist sich offensichtlich das Bedürfnis nach »geistlichem Halt«, nach tönender Seelenwärme und nicht zuletzt überkonfessionell klingender Esoterik. Dass eine Mehrheit der Produzenten und Konsumenten von Musik des verschiedensten Zuschnitts nicht ohne (individuell höchst unterschiedlich definierte!) Spiritualität auskommt und dass gerade auch im Musik(theater)leben deren Anschwellen spürbar ist, durchzieht die Texte des Thementeils in diesem Heft. Die Geister von Musik(auffassungen), die neue Balancen herzustellen trachten für ein »Leben im Ungleichgewicht«, scheinen – in der Regel eher unauffällig – auf dem Vormarsch. Unter ästhetischen Auspizien kommt es ebenso auf die Dosierungen und Intensitätsgrade wie auf die Formen und Intonationen an. Ein Wiener Komponist und Dirigent gibt in diesem Kontext zu bedenken, dass »Spiritualität in dem Moment, da man sie zum kommerziellen und kommunizierbaren Allgemeingut erhebt, nicht mehr existiert« (s.S. 20). › Das Team der ÖMZ
Inhalt
Spiritualität als Gnade und Zumutung
Johannes Prominczel: Adolf Holl über Spiritualität und Heilige Geister
Elisabeth Merklein: Wie Buddha in den Baumarkt kam Neue spirituelle Bewegungen und ihre Musiken
Ein Fenster ins Reich des Unbewussten Johannes Kalitzke im Gespräch mit Judith Kemp
Maria Helfgott: Die Zustände der Kirchenmusik in Österreich
Frieder Reininghaus: Mancherlei Opernmirakel Schein der Heiligkeit und neue Glaubensbotschaften
Johannes Prominczel: Alte Spiritualität Frömmigkeit im barocken Wien
Statements von:
Brigitta Muntendorf
Peter Paul Kaspar
Thomas Daniel Schlee
Hannes Heher
Samy Moussa
Franz Thürauer
Christoph Schönborn
Hermann Nitsch
Hermann Platzer
Dieter Schnebel
Moritz Eggert
Neue Musik im Diskurs
Doris Weberberger: Paradoxe Autonomie Der Erste-Bank-Kompositionspreisträger Peter Jakober im Porträt
Fokus Wissenschaft
Judith Kemp: Die Auferstehung eines Chores Viktor Veleks Monographie über den tschechischen Chor Lumír in Wien
Extra
Zum aktuellen Zustand des freien (Musik-)Theaters in Österreich Markus Kupferblum im Gespräch mit Magdalena Pichler
Davids Dilemma Gesine Schröder, Boris von Haken, Frieder Reininghaus und Peter Tiefengraber im Gespräch über Johann Nepomuk David (1895–1977)
Berichte Großes Theater
Ältere religiöse Bräuche – vier ausgewählte Premieren zum Auftakt der Opernsaison 2015/16: Schönbergs Moses und Aron in Paris, Spontinis La Vestale in Brüssel, Henzes Die Bassariden in Mannheim, Lachenmanns Das Mädchen mit den Schwefelhölzern in Frankfurt (Frieder Reininghaus)
Donaueschinger Musiktage (Max Nyffeler)
Schrekers Der ferne Klang in Graz (Ulrike Aringer-Grau)
Aus Österreichs Hain und Flur
Musikprotokoll im Steirischen Herbst (Philipp Röggla)
Klangspuren Schwaz (Ursula Strohal)
Udo Zimmermanns Weiße Rose in Linz (Irene Suchy)
Symposion: Polemische Arien in Salzburg (Susanne Kogler)
Kleines Format
Schostakowitschs Die Nase in Wien (Judith Kemp)
Unterpertingers judith/schnitt_blende in Wien (Juri Giannini)
Kats-Chernins Schneewittchen und die 77 Zwerge in Berlin (Katrin Gann)
Rezensionen
Bücher
CDs
Das andere Lexikon
Sacropop (Christiane Florin)
News
Wintermärchen
Zu guter Letzt
Krisenmanagement (Frieder Reinginhaus)
Vorschau
THEMA
Adolf Holl über Spiritualität und Heilige Geister
Johannes Prominczel
Adolf Holl ist nicht nur Theologe, ehemaliger katholischer Priester und als Kirchenkritiker ein bekannter gläubiger Querdenker, sondern als Publizist Ghostwriter des weithin unterbelichteten dritten Teils der Trinität: Die Linke Hand Gottes, Biographie des Heiligen Geistes (1997) war wohl sein größter Erfolg. Das Werk erwies sich im deutschen Sprachraum als erfolgreich, wurde ins Englische übersetzt und über den Book of the Month Club in den USA mehr als 40.000 Mal verkauft. Holl wurde 1954 zum Priester geweiht und promovierte ein Jahr später in Theologie an der Universität Wien. Später wurde er Dozent an der Theologischen Fakultät, verlor allerdings im Zuge der Veröffentlichung seines Buchs Jesus in schlechter Gesellschaft (1971) die Lehrbefugnis und wurde einige Jahre später vom Priesteramt suspendiert. Er fungierte in der ORF-Sendung Club 2 als Diskussionsleiter und schrieb mehr als dreißig Bücher. Noch heute gehört der Vormittag des mittlerweile 85-Jährigen der Arbeit, nicht zuletzt an seinem nächsten publizistischen Werk.
Spiritus Sanctus und die Spiritualen
»Der Heilige Geist, das ist eine sehr alte Formulierung, die sich schon im Alten Testament – etwa im Buch Jesaja – findet«, erklärt Holl. Die Trinität des Kreuzzeichens wird im Matthäusevangelium erstmals erwähnt. Vater und Sohn sind leicht verständlich, aber was soll der Heilige Geist sein? Eine Taube? – »Möglicherweise ein Übersetzungsfehler«, mutmaßt er. Das hebräische Ruach lässt sich vielleicht am besten mit »Luft in Bewegung« übersetzen, griechisch nennt man den Heiligen Geist Pneuma Hagion, im Lateinischen Spiritus Sanctus.
Dieser »Spiritus« ist auch Namensgeber für den Spiritual in der Priesterausbildung: Der geistliche Begleiter sei zuständig für die Betrachtungsübungen, Belehrungen und die Beichte, so auch in Holls eigener Zeit im Priesterseminar. Von den neunzig jungen Männern, die mit ihm kurz nach dem Krieg das Priesterseminar besucht hatten, habe sich keiner an dem Wort »Spiritual« gestoßen, »wir haben uns höchstens über unseren Spiritual lustig gemacht, weil sein Talar etwas zu kurz und sein Scheitel etwas zu glatt gezogen war.«
Spiritualität statt Kirche
Vor vielleicht dreißig oder vierzig Jahren bemerkte Holl das vermehrte Auftreten des Wortes »Spiritualität« in Zeitungsartikeln, Vorträgen und Büchern. Die Öffentlichkeit habe geradezu versucht, das Wort »Religion« zu vermeiden und durch die »Spiritualität« zu ersetzen. »Wenn ich ›Religion‹ sage, sage ich notwendigerweise ›Kirche‹, denn eine Religion ohne Kirche muss erst erfunden werden. Und damit gehen unangenehme Assoziationen einher.« Hier nennt er das Versäumnis der großen abendländischen Kirche (Singular!), der evangelischen und der katholischen, Hitler flächendeckend Widerstand zu leisten, aber auch Inquisition, Kreuzzüge und in jüngerer Zeit publik gewordene Missbrauchsfälle. Kirche und Religion waren unmodern geworden, wozu auch fernöstliche spirituelle Strömungen, die in den 1960er-Jahren im Zuge der Hippiebewegung an Einfluss gewannen, beigetragen haben könnten.
Adolf Holl feierte 2015 seinen 85. Geburtstag.
»Spirituelle Suchbewegungen waren auch eine Folge des Linkstrends der Jahre davor – Stichwort 1968er-Bewegung«, meint Holl. Etwa wäre er einmal von Betreibern einer linken Buchhandlung kontaktiert worden. Ihnen sei bewusst geworden, dass ihr politisches Engagement ihnen zu wenig sei, weshalb sie ihn für einen Vortrag einluden. Zu dem Vortrag kamen dann hundert Zuhörer – Linke, die nach Alternativen suchten.
Durch die vielleicht vorschnelle Loslösung von religiösen Strukturen war ein Vakuum entstanden, das man zu füllen trachtete.
Spiritualität als Wellnessphänomen
Heute, erzählt Holl, sei Spiritualität, wie sie in der Gesellschaft gang und gäbe ist, zu einem Wellnessphänomen geworden, etwas Leichtem, Gemütlichem, Angenehmem. Der von seinem Arbeitsalltag überforderte Manager begibt sich in ein Wellness-Hotel und findet dort einen schön eingerichteten Raum, in dem Meditationsmusik gespielt wird und Räucherstäbchen brennen. Und er legt sich auf den Rücken, starrt in die Luft und ist seiner Meinung nach spirituell unterwegs. Tatsächlich hat er nichts riskiert. Denn dieses sogenannte spirituelle Erlebnis hat kaum Auswirkungen auf seinen Alltag.
Adolf Holl: Jesus in schlechter Gesellschaft, Buchcover, 2012.
Im Gegensatz dazu ist in Holls Auffassung als Theologe und Religionswissenschaftler die Begegnung mit dem Heiligen Geist mit riskanten, vielleicht auch gesellschaftlich verändernden Vorkommnissen verbunden. Er verweist dabei zum einen auf die Weggefährten des Franz von Assisi – ebenfalls Spiritualen genannt –, die für ihre Überzeugung auf dem Scheiterhaufen endeten. Zum anderen nennt er sein Buch Jesus in schlechter Gesellschaft, das seinen Ruf als Außenseiter, Störenfried und Kirchenkritiker begründete und ihm schließlich den Verlust des Priesteramtes brachte. Er bringt die Reflexion des Verlusts auf die scharf sitzende Pointe: »Die Kraft des Heiligen Geistes kennt kein Pardon.«
Wellnessoase? Der »Raum der Stille« wurde im Oktober 2014 am Wiener Hauptbahnhof eingerichtet. Bild: erzdioezese-wien.at
Die heute am kräftigsten wachsende christliche Bewegung sind die Pfingstgemeinden, die Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA gegründet wurden, erzählt Holl. Die Mitglieder beginnen in einer durch Trance induzierten Form wirr zu reden, vielleicht eineinhalb bis zwei Minuten lang, verdrehen die Augen, haben Schaum vor dem Mund. Es