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Fünfhunderteins: Ein DJ auf Autopilot
Fünfhunderteins: Ein DJ auf Autopilot
Fünfhunderteins: Ein DJ auf Autopilot
eBook203 Seiten2 Stunden

Fünfhunderteins: Ein DJ auf Autopilot

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Über dieses E-Book

1991. Irgendwo in der schwäbischen Provinz. DJ Moonshine will den Weltrekord im Dauer- Auflegen brechen. Keine gute Idee. Denn der liegt bei 500 Stunden am Stück. Während seiner Strapazen führt er Tagebuch, das zwei Jahrzehnte später bei einer Wohnungsauflösung gefunden wird. Was ist passiert? Ein Adoleszenz-Roman über Karrierepläne aus dem Kaugummiautomaten. Über dialektüberwindende Liebe, Drogenkater und den großen Traum in uns allen - endlich mal in der Limousine hinter eine Mehrzweckhalle gefahren zu werden.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum10. Sept. 2013
ISBN9783942920773

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    Buchvorschau

    Fünfhunderteins - Felix Scharlau

    Felix Scharlau

    Fünfhunderteins – Ein DJ auf Autopilot

    Besonderen Dank an:

    Katrin Niemann und Linus Volkmann für Inspiration, Zuspruch und ehrenamtliches Vorab-Lektorat.

    Meine Brüder für geborgte Erinnerungen.

    Die liebe Schinken Omi – einfach so.

    Impressum

    1. Auflage September 2013

    ©opyright 2013 by Autor

    Umschlaggestaltung: Melissa Hötger

    Lektorat: Miriam Spies

    Satz: Fred Uhde (www.buch-satz-illustration.de)

    ISBN: 978-3-942920-77-3

    Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist

    nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet.

    Hat Dir das Buch gefallen? Schreib uns Deine Meinung unter:

    info@unsichtbar-verlag.de

    Mehr Infos jederzeit im Web unter www.unsichtbar-verlag.de

    Unsichtbar Verlag | Wellenburger Str. 1 | 86420 Diedorf

    Felix Scharlau

    Fünfhunderteins

    Ein DJ auf Autopilot

    Roman

    Für Fiete

    »Vor einer Woche war da noch gar nichts außer dir, der Arbeitslosigkeit und den unbezahlten Mieten

    – und jetzt das hier.«

    Jimmy Cauty & Bill Drummond (The KLF), 1988

    Unter den sechs schweren Arbeiterstiefeln buhlte der sandfarbene Fliesenboden so massiv um Aufmerksamkeit, als bestünde er aus siebzehn Quadratmetern festgetretener Kotze. Selçuk Korkmaz hielt der Verheißung, nach unten zu sehen und sich erneut am schlechten Einrichtungsgeschmack der Deutschen zu laben, stand.

    Stur blickte er geradeaus. Direkt in die Gesichter seiner beiden Angestellten.

    Ihre entgleisten Gesichtszüge bildeten im Augenblick den viel reizvolleren Unfall, den es zu beobachten galt. Der Boden musste warten.

    Redlich mühte sich Selçuk, in den Mienen von Peter und Kalle zu lesen, hinter denen es unablässig zu arbeiten schien.

    Ging nicht. Da stand nichts.

    Seit gut zehn Sekunden blickte er nun schon abwechselnd nach links zu Kalle – einundzwanzig, zweiundzwanzig. Dann nach rechts und ein bisschen tiefer zu Peter – einundzwanzig, zweiundzwanzig.

    Und wieder zurück.

    Würde er seinen Angestellten nicht bald detailliert, zum wahrscheinlich neunhundertsten Mal vorpredigen, was als Nächstes zu tun sei, sie müssten wohl noch zu Beginn der »Tagesthemen« Schränke durch die Dunkelheit schleppen. Irrwitzig langsam und überglücklich würde Kalle dann als weitere Folge seiner Begriffsstutzigkeit krakelig Überstunden auf einem der schlecht kopierten Musterbögen im Büro vermerken.

    Aber wer wollte ihn deswegen schon verurteilen?

    Selçuk Korkmaz bestimmt nicht.

    Karl-Heinz Gerling, genannt Kalle, hatte in den achtundvierzig Jahren seines urschwäbischen und daher ereignisarmen Daseins in der unteren Mittelschicht nie etwas Böses getan. Er wollte doch nur angesagt bekommen, was als Nächstes zu tun war.

    Oder wissen, wie es beim VfB Stuttgart stand.

    Dass eine solche Arbeitseinstellung kein Verbrechen war, wusste auch Selçuk Korkmaz. Aber nerven durfte ihn der »Täglich grüßt das Murmeltier«-Moment ihrer gemeinsam verbrachten Lebenszeit ja wohl trotzdem.

    Durch die vermutlich schon vor Tagen aufgeklappten Doppelglasfenster zog plötzlich sogartig der metallisch riechende Herbstwind an den dreien vorbei und durch den Flur in Richtung Treppenhaus.

    Zack.

    Der Luftzug hatte die Wohnungstür in den Pressholzrahmen zurückgeknallt.

    Peter, der bei Selçuk Korkmaz gerade mit angestarrt werden (einundzwanzig, zweiundzwanzig) dran war, zuckte heftig zusammen. Kalle hingegen, das hätte sein Chef vor jedem Gericht bezeugt, nicht eine Sekunde.

    Entweder, überlegte Selçuk, besaß Kalle keinen funktionierenden Angstapparat mehr im Gehirn. Oder er würde erst in ungefähr zwei Minuten reagieren, wenn der Impuls auf seinen schlaglochversehrten Nervenbahnen endlich sein Ziel gefunden hätte.

    Dabei holte der Knall sogar Selçuk selbst mehr als unsanft in die bundesdeutsche Realität dieses diesigen Herbstfreitages zurück.

    Sein Herz schlug bis zum Hals. Das konnte er nicht gerade oft von sich behaupten.

    Zeit, dass etwas passierte.

    »Okay, Folgendes. Warum starrt ihr mich so an?«, versuchte es Selçuk Korkmaz zunächst mit dem Naheliegenden.

    Nur nicht zu kompliziert werden.

    »Na ja, Chef, wir dachten, du sagst jetzt, wie’s weitergeht. Was wir machen sollen«, reagierte Kalle erstaunlich schnell. Reste seines Synapsen-Programms liefen offenbar doch noch. Trotz all der Bugs und des chronisch knappen Arbeitsspeichers.

    »Habe ich mir’s doch gedacht. Dann passt mal auf. Das Wort, das ich jetzt sagen werde …«

    Selçuk brachte den Satz nicht zu Ende. Stattdessen lachte er. Und das, obwohl er sich vorgenommen hatte, ein einziges Mal nicht wie der ewig verständnisvolle Vorgesetzte zu wirken, der er in Wahrheit war.

    Das laufende Geschäftsjahr sollte eigentlich als jenes in die Firmen-Geschichte eingehen, in dem Selçuk ein neues Modul namens Autorität in ihr gemeinsames Arbeitsverhältnis implementierte. Die Quartalszahlen von Mercedes Benz hingen ja auch nicht nur von Tagesform, Laune oder davon ab, wer jetzt wem noch mal eine Schachtel Zigaretten oder ein Twix schuldete. Warum sollte es in einem Kleinstbetrieb wie der KHG also anders sein, verdammt noch mal?

    Wieder nichts draus geworden.

    »Also. Das Wort, das ich jetzt sagen werde«, setzte Selçuk erneut an, »kommt euch bestimmt bekannt vor. Denn es fällt an dieser Stelle immer.«

    Stille.

    »Ähm, Container?«, kam es zögerlich von rechts jenseits des Couchtischs.

    »Richtig, Peter. Container. Dieser Teil kommt jetzt.«

    »Aber wie viele denn, Chef?«

    »Mensch, das kriegt ihr doch auch einmal ohne mich hin. Guckt euch doch mal um. Hier im Wohnzimmer steht nicht so viel, die Elektrogeräte in der Küche sind alle weg. Im Flur gibt es ein paar Regale und im anderen Zimmer Bett, Schreibtisch und Schrank. Das Bad ist quasi leer. Was glaubt ihr denn?«

    »Einer!«, triumphierte Kalle jetzt, als habe er gerade Freikarten für eine Motorrad-Stuntshow geschenkt bekommen und sich in freudiger Erwartung bereits einen anzapfbereiten Bierhelm aufgesetzt.

    »Genau, einer. Müssen wir halt sauber arbeiten. Alles längs reinlegen und schön kleinmachen. Bloß keine Hohlräume! Wenn wir nachher für einen zweiten Container zum Hof zurückmüssen, verlieren wir locker eine Dreiviertelstunde. Macht das Ding voll bis ultimo. Abdecknetz liegt drin.«

    »Ultimo?«, fragte Kalle zögernd.

    »Bis oben!«

    »Alles klar, Chef!«

    Selçuk Korkmaz griff in die Bauchtasche seines Kapuzenpullis und warf Peter einen Schlüsselbund zu.

    »Du bleibst oben, Selçuk?«, fragte Kalle, der treue Riese.

    »Ja. Ich bleibe wie immer oben.«

    Die angespannte Stimmung von eben hinter sich gelassen, war das ungleiche Paar jetzt fast schon übermotiviert für den anstehenden Job.

    Kalle und Peter stoben an Selçuk vorbei. Im Flur entrissen sie dem immer noch herrschenden Luftsog, der ein stetes Pfeifen mit sich führte, nach einiger Mühe die Wohnungstür. Als die beiden versuchten, sich gleichzeitig durch den Türrahmen zu pressen, knallte sie gegen die Wand.

    »Arme Tür«, dachte Selçuk.

    Im Treppenhaus spielte das Trampeln der zwei Männer, das vereinzelt von Gelächter und Gejohle überlagert wurde, nun ein beachtliches Polter-Decrescendo.

    Selçuk trat ans Fenster, drückte es zu und öffnete es dann ganz. Das tat er genau in dem Moment, als vier Stockwerke unter ihm seine Mitarbeiter auf die Straße taumelten.

    Ein toller Anblick.

    Die beiden wirkten wie zwei aus einem Quarantäne-Stall entflohene Schafe, die begeistert in die Freiheit sprangen.

    Jetzt kam Karl-Heinz Gerlings und Peter Steubens großer Moment. Und: Action!

    Wenn es darum ging anzupacken, waren Selçuks einzige unbefristet Festangestellte unschlagbar. Besonders Peter, der rätselhaft Wortkarge, den man nie zu Hause abholen oder, wenn es doch mal spät wurde, nie dorthin zurückbringen durfte, konnte trotz seiner schwindsüchtigen Statur unglaubliche Mengen an Sperrmüll tragen, zerkleinern und entsorgen. Mangelnde Muskelkraft kompensierte Peter intuitiv durch Technik. Technik und ein gutes Auge.

    Aus welchem Teil von Peters dürrem Körper sich die viele Energie speiste, blieb Selçuk allerdings ein Rätsel. Steubi, wie Peter von engen Freunden genannt wurde, ernährte sich quasi ausschließlich von Leberkäse-Brötchen und Sprite. Wenn Peters geheime Energiequelle – vierhundert Gramm Zucker pro Tag? – dann doch mal zu versiegen drohte, griff Kalle seinem Freund schnell unter die Arme.

    Die beiden bildeten das beste Haushaltsauflösungs-Team, das Selçuk Korkmaz in fünfzehn Jahren Berufserfahrung untergekommen war. Sie gehörten zu der Art von Facharbeitern, die den Unterschied machen konnten zwischen einer reibungslosen Haushaltsauflösung und dem, was der desinteressierte Laie gemeinhin mit dem Begriff »Entrümpelung« tituliert.

    Wenn Selçuk Korkmaz wie jetzt auf seine Festangestellten hinabblickte, wusste er, warum er Kalle und Peter schon so lange die Treue hielt. Weshalb er über ihre jugendhaften Ausschweifungen und ihr mangelndes Organisationstalent gerne hinwegsah. Warum er ihnen deutlich mehr als den branchenüblichen Lohn zahlte.

    Letzteres konnte er sich finanziell im Übrigen problemlos leisten. Stichwort: reiche Schwaben, die ohne zu zögern bereit waren, ein Viertel mehr für die Leistungen der KHG, der Korkmaz Haushaltsauflösungs-GmbH, zu zahlen, als Firmen in Mannheim oder Heilbronn verlangen konnten.

    Noch wichtiger aber, Stichwort: Antiquitäten. Neudeutsch: Vintage.

    Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, hatte Selçuk früh vermutet, dass die meist wohlhabenden Menschen dieses Landstrichs mitunter Einrichtungsgegenstände von einer Qualität zum Sperrmüll gaben, die anderswo keine drei Stunden im Schaufenster irgendeines In-Möbelladens bestehen könnten.

    Damit lag er absolut richtig.

    Für manches Mobiliar, das er zu entsorgen hatte, würden vor Berliner oder Kölner Einrichtungshäusern seltsam gescheitelte Dreißigjährige eine hungrige Schlange um den Block bilden.

    Selçuk hatte entsprechend früh damit angefangen, bei Wohnungsauflösungen zusätzliche Werte zu fokussieren. Kostbare Schränke, Bilder oder Keramiken, die die Verwandtschaft im Anschluss an die Nachlass-Durchsicht nicht behalten wollte.

    Weil sie schlicht zu blöd war.

    Vor zwei Jahren etwa hatte ein junger Mann Selçuk den Auftrag erteilt, die Wohnung seiner Eltern aufzulösen. Kostenpunkt: tausendsiebenhundert Euro. Die persönlichen Gegenstände seien bereits privat abgeholt worden, ließ er wissen. Der Rest könne auf den Müll.

    Im Keller, den Selçuk nicht selbst inspiziert hatte, fand sich ein hässlicher Konsoltisch mit geschwungenen Beinen, die entfernt an ein Hirschgeweih erinnerten. Eine Kiste mit einem Fondue-Tellerset, mehrere Jahrgänge der Zeitschrift »Ingrid« und dreißig VHS-Kassetten hatten ihn offensichtlich bereits vor Jahrzehnten unter sich begraben.

    Peter wollte das Möbel gerade in den Sperrmüll-Container wuchten, als Selçuk mit dem gemeinsamen Mittagessen (ja, er hatte an die Flasche Sprite gedacht) um die Ecke bog. Grade noch konnte er das Schlimmste verhindern.

    Ein Kunsthändler belohnte Selçuks Timing und seine feine Intuition später mit sechstausend Euro in bar. Ursprung des Tischs: Frankreich. Wahrscheinlich aus der Gegend von Montpellier. Gebaut um 1760.

    Rokoko!

    *

    Unten auf der Vaihinger Straße wurde es allmählich laut. Selçuks Schafe weckten das wie narkotisiert vor ihm liegende Wohngebiet. Peter rannte zum MAN-Container-LKW, den sie zuvor in zweiter Reihe geparkt hatten. Beinahe athletisch, mit der Betonung auf beinahe, sprang er ins Fahrerhaus.

    Kalle diskutierte derweil mit einer Fahrerin oder einem Fahrer in einem dunkelgrünen Fiat Punto. Von hier oben war das nicht zu sehen. Der Autoinsasse war im Begriff, rückwärts in die mit einem rot-weißen Absperrband gekennzeichnete Parklücke direkt vorm Haus einzuparken. Dort, wo natürlich gleich der Leer-Container abgeladen werden sollte.

    Selçuk stöhnte.

    Kein Wunder, dass die Deutschen über Jahrhunderte einen Fetisch für Regeln und Behörden etablieren konnten, wenn dasselbe Volk sich parallel dazu so unsagbar blöd verhielt. Blöd und uneinsichtig.

    Letzteres ließ sich selbst aus seinem Krähennest heraus konstatieren. Er las es an der entnervten Körperhaltung von Kalle, der jetzt reihum auf das Absperrband, den LKW und zu ihm, Selçuk, nach oben zeigte.

    Selçuk Korkmaz hatte genug.

    »Fahren Sie Ihre scheiß Karre da weg oder ich werfe Ihnen ein Klavier aufs Dach!«, brüllte er nach unten.

    Kalle hob den Kopf und suchte die Fassade des sechsstöckigen Siebzigerjahre-Baus nach dem Fenster mit seinem Chef ab. Bingo, jetzt sah er ihn. Als Beweis winkte er Selçuk fröhlich zu.

    Der Autoinsasse hingegen hatte sichtlich Mühe, sich bei geöffnetem Fahrerfenster und angeschnalltem Rumpf gen Himmel zu verrenken, um Selçuk wütend zu fixieren. Endlich gelang es ihm. Wenn auch deutlich zu spät, um ohne Punktabzug in die kommende Runde des Disputs zu ziehen.

    »Was fällt dir ein, wie redest du mit mir?«, rief der Rentnerkopf nach oben. An seinem kahlen Ende versuchte eine knochige, bleiche Hand einen grauen Hut festzuhalten.

    Wer um Himmels willen, fragte sich Selçuk, trug heute noch einen Hut beim Autofahren?

    Was war das hier?

    Chicago zu Zeiten der Prohibition?

    In einer Wohnung irgendwo unter Selçuk schrie ein Kleinkind auf und verstummte wieder. Zeitversetzt antwortete aus dem Wohnblock auf der anderen Seite der Vaihinger Straße ein Hund. Er wirkte überaus interessiert an Konversation und hoffte wohl,

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