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Einzelkind - Privileg oder Schicksal
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eBook305 Seiten3 Stunden

Einzelkind - Privileg oder Schicksal

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Über dieses E-Book

Das verwöhnte Einzelkind wird meist beneidet und doch ist man unsicher, ob wirklich alles nur von Vorteil ist für diesen Menschen. Seine Klientinnen und Klienten haben den Psychotherapeuten Dr. Arlt viel über das Schicksal von Einzelkindern gelehrt. In seinem Buch zeigt er, dass das Einzelkind, das meist als verwöhnt, verhätschelt und somit als absolut egozentrisch verunglimpft wird, vielleicht ein großes Schicksal trägt, nämlich die Wucht, alle elterlichen Bedürfnisse und alle elterlichen Probleme allein aushalten und austragen zu müssen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum27. Jan. 2016
ISBN9783958495579
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    Buchvorschau

    Einzelkind - Privileg oder Schicksal - Dr. Norbert Arlt

    Verlag

    Warum dieses Buch?

    Es gibt immer mehr Einzelkinder und sie kommen häufiger als Geschwisterkinder aus Problemfamilien. Dieses Buch soll ihnen allen helfen!

    Einzelkinder haben es meist viel schwerer, sich aus der geistigen Welt der

    Eltern zu lösen, wenn es um Werte, Haltungen und Einstellungen geht. Als Einzelkind die Eltern zu enttäuschen ist für die meisten Menschen ein zu großes Problem.

    Anhand von 45 Einzelbeispielen, wie:

    Einzelkind einer alleinerziehenden Mutter / eines alleinerziehenden Vaters

    Einzelkind in einer narzisstischen Familie

    Einzelkind und Suizid eines Elternteils

    Das Einzelkind im Märchen

    stellt der Autor Schicksale und Chancen dieser Menschen emotional nachvollziebar und spannend dar. 

    Das Buch beschäftigt sich auch mit den Möglichkeiten von Einzelkindern und den konstruktiven Konsequenzen für ihre Eltern. 

    Dr. Norbert Arlt

    geb. 1942, ist Psychotherapeut in freier Parxis, Lehrtherapeut und Lehrbeauftragter der Ärztekammer. Nach der Matura zuerst Unternehmer und Lehrer an der Drogistenschule, beginnt er sein Studium an der Universität Wien, macht sein Doktorat im Hauptfach Psychologie und in den Nebenfächern Humanbiologie und Philosophie. Danach beginnt er mit der Ausbildung zum Psychotherapeuten. Seit 1991 ist er ausschließlich in freier Praxis als Psychotherapeut tätig.

    Norbert Arlt ist selbst kein Einzelkind, seine Motivation zu diesem Buch entspringt den Erfahrungen mit KlientInnen, die oft schwer mit dieser Einzelkindproblematik kämpfen.

    Dr. Norbert Arlt

    Einzelkind

    Privileg oder Schicksal

    1. Auflage Juli 2009

    Autor: Dr. Norbert Arlt, Wien und Kaumberg/NÖ

    Copyright © by Renate Götz Verlag

    A-2731 Dörfles, Römerweg 6

    e-mail: info@rgverlag.com

    Layout, Gesamtgestaltung und Coverbild „Einsam" © by

    outLINE|grafik Eva Denk .

    A-2340 Mödling . www.outlinegrafik.at

    Produktion: Druckerei Paul Gerin, Wolkersdorf

    www.gerin.co.at

    Printed in Austria

    Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form  (Druck, Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung  des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    ISBN 9978-33-9902625-006-99

    „Kein Buch kann jemals fertig werden;

    während wir daran arbeiten, lernen wir immer gerade genug, um seine Unzulänglichkeit

    klar zu sehen, wenn wir es der Öffentlichkeit übergeben."

    Sir Karl Popper

    Danksagung

    An meine Klientinnen und Klienten, die mich so viel über das Schicksal der Einzelkinder gelehrt haben. An meine Frau, Psychotherapeutin wie ich, die mir unbeschreiblich viele interessante Ideen und Hinweise geliefert hat. Dank an Peter Melzer und meinen ältesten Freund Manfred, die dieses Buch kritisch und beratend angesehen und mir bei der Gestaltung des Buches geholfen haben. Ganz besonders meiner Lektorin Hermi Bader, die das Buch in liebevoller Kleinarbeit in die vorliegende Gestalt gebracht hat.

    Hinweis

    Alle Namen und Lebensgeschichten sind so verändert, dass Rückschlüsse auf reale Personen nicht möglich sind.

    Im Sinne einer guten Lesbarkeit wurde auf die heute übliche Schreibweise

    KlientInnen, TherapeutInnen usw. verzichtet, es mögen sich aber bitte jeweils weibliche wie männliche Personen angesprochen fühlen.

    Ein Kind - ein Rohdiamant

    Für die, die nicht das ganze Buch lesen wollen

    „Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer.  Später zeigt sich, was darin war. Aber ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder Kostüme wechseln, wie er will."

    Heimito von Doderer

    Das verwöhnte Einzelkind wird meist beneidet - und doch ist man unsicher, ob für diesen Menschen wirklich alles nur von Vorteil ist.

    Es bekam die ganze Liebe seiner Eltern und musste sie nie mit Geschwistern teilen. Es bekam beim Essen das erste und schönste Stück. Natürlich wurden ihm am Sonntag die Wünsche von den Augen abgelesen. Mit niemandem musste es sich streiten, wer das größere Stück der Schokolade bekommt, wer in der Badewanne die rutschige Seite und wer den Knopf im Rücken hat, und ob der Kindersitz im Auto der Eltern eine gute Aussicht bietet. Niemals musste es neidisch zuschauen, wie ein weinendes oder krankes Geschwisterchen getröstet und somit für kurze Zeit ihm vorgezogen wurde. Niemals musste es die abgelegten Kleider anderer Geschwister tragen, niemals das alte Paar Ski und das alte Dreirad übernehmen. Das Kinderzimmer wurde nach seinen Vorstellungen gestaltet und kein lästiger Bruder und keine lästige Schwester redeten ihm drein. Ausrüstungen für die Schule oder den Schikurs waren kein Problem. Schließlich ließen sich die Eltern nicht lumpen.

    Vor Freunden und Verwandten wurden seine Vorzüge in höchsten Tönen gelobt. Bei Spielzeug und Kleidung spielte Geld meist keine große Rolle. Hatten die Eltern Gäste, saß man mit bei Tisch und gab auch weise Sprüche von sich. 

    Ist vielleicht etwas daran, wenn es heißt: „Alles, was ein Vorteil ist, ist auch ein Nachteil"? Je mehr Vorzüge man aufzählt, umso trauriger und nachdenklicher wird man. Woran liegt das? Wahrscheinlich können Sie viele Inhalte dieses Buches in anderen Zusammenhängen und in anderen Veröffentlichungen ebenso lesen. Hier soll der Versuch gewagt werden, viele Nöte und Probleme von Einzelkindern darzustellen. 

    Die Beschreibungen in diesem Buch sind wie eine Perlenkette bekannter Phänomene, aufgefädelt am gemeinsamen Faden des Kindes ohne Geschwister.

    Sie zeigen, dass das Einzelkind, das meist als verwöhnt, verhätschelt und somit als absolut egozentrisch verunglimpft wird, vielleicht ein großes Schicksal trägt, nämlich die Wucht, alle elterlichen Bedürfnisse und alle elterlichen Probleme allein aushalten und austragen zu müssen.

    Freilich könnte man auch Schicksale von Kindern beschreiben, die einen Bruder oder eine Schwester haben, mit allen Differenzierungen, ob sie als Ältester, Jüngster oder gerade „in der Mitte" aufwachsen. 

    Es macht auch Sinn zu überlegen, was es heißt, als Bub nur mit Schwestern, als Mädchen nur mit Brüdern aufzuwachsen und, und, und ...

    In diesem Buch ist das Schicksal des Einzelkindes das Thema. Falls Sie selbst Eltern eines Einzelkindes sind, wird Ihnen dieses Buch vielleicht Schuldgefühle machen. Schuldgefühle helfen aber nicht weiter. Lesen Sie es so, als wären Sie selbst ein Einzelkind. Es gibt sicher Aspekte, wo Sie es waren. Nur wenn Sie Ihr eigenes Schicksal aufarbeiten, helfen Sie Ihrem Kind und verhindern, dass Sie eigene Wunden an Ihr Kind weitergeben.

    Vielleicht hilft es Ihnen auch, wenn ich bekenne, dass ich gerne all das damals schon gewusst hätte, als meine Kinder noch klein waren. Aber es ist, wie es ist. Jeder von uns hätte es gerne besser gemacht, wenn er es gekonnt hätte. Und das Gleiche gilt für unsere Vorfahren.

    Bei Jill Pitkeathley und David Emerson wird ein Einzelkind zitiert: „Ich möchte nicht wieder als Einzelkind zur Welt kommen, ich würde es keinem wünschen. Ich sage nicht, dass es schrecklich ist. Das war es nicht. Ich wünsche nur, dass ich früher erkannt hätte, was es bedeutet." ¹

    Ein Briefwechsel

    Liebe Helga!

    Du weißt, ich liebe Dich und ich kann ohne Dich nicht sein. Du willst, dass wir uns zum Wochenende treffen. Nun, ich weiß noch nicht, wie ich es einrichten kann, denn meine Eltern sind gewohnt, dass ich zum Mittagessen erscheine. Es gibt wie jeden Sonntag Schnitzel mit Erdäpfeln. Sie reden immer davon, ob ich schon eine Freundin habe. Wie gibt es das, dass ich irgendwie ein schlechtes Gewissen habe, Dich meinen Eltern vorzustellen? Sie wollen doch mein Glück - ja ganz bestimmt! Von Woche zu Woche zögere ich es hinaus, Dich einmal zu meinen Eltern mitzunehmen. Sie wünschen sich doch, dass auch ich glücklich werde. Irgendetwas ist da komisch.

    Nächsten Sonntag werde ich es ansprechen - ja, verlass Dich darauf. Wieso bekomme ich Herzklopfen, wenn ich das schreibe? Ich kenne mich nicht aus. Ich weiß auch nicht, wann ich wegkomme vom sonntägigen Schnitzelessen. Schließlich haben meine Eltern nur mich. Das gibt mir schon auch irgendwie ein Gefühl von Wichtigsein und gleichzeitig ein Gefühl von „Scheiße".

    Helga, es wird doch wohl eine Lösung für uns geben?

    In Liebe Dein Hans

    Lieber Hans!

    Zum Wochenende mache ich auch gerne etwas mit meinen Geschwistern. Fad wird mir ganz bestimmt nicht, auch wenn ich traurig bin, Dich nicht zu sehen. Eines verstehe ich nicht. Meine Eltern haben sich immer gefreut, wenn ich ihnen einen netten Burschen vorgestellt habe. Mir selber war auch immer ganz leicht ums Herz dabei. 

    Deinen Brief verstehe ich nicht.

    Ich umarme Dich Helga

    Liebe Helga! Es wurde sonntags doch recht spät. Meine Eltern sprachen kein Wort davon, ob ich etwas vorhätte. Ich glaube, es war ihnen ganz selbstverständlich, dass ich den ganzen Nachmittag bei ihnen bleibe.

    Ich kann es nicht beschreiben. Es zerreißt mir das Herz und ich weiß nicht, was los ist. Sie sind so arm, wie könnte man sie allein lassen?

    In Liebe Dein Hans

    Lieber Hans!

    Weißt Du Hans, meine Eltern haben eigene Ideen, was ihnen Spaß macht und was sie vorhaben. Sie freuen sich auch, wenn ich komme, aber ich weiß, dass ihnen nicht langweilig wird, wenn ich gehe. Ich verstehe gar nicht, was Du mit Deinen Eltern hast. Haben die kein Eigenleben? Haben die nur Dich und sonst nichts? Ist das Liebe oder Dummheit, Lebensunfähigkeit und Egoismus? Haben Deine Eltern Dich ins Leben gesetzt, um durch Dich von ihrer Unerfülltheit erlöst zu werden? Bist Du das Faustpfand Deiner Eltern und Du musst ihnen Lebenssinn geben?

    Du bist ein netter Kerl, aber aus uns wird nichts. So stark wie Deine Eltern werde ich nicht sein.

    Ich wünsche Dir alles Gute für Dein weiteres Leben. Ich umarme Dich zum letzten Mal

    Helga

    Hans ist traurig, er versteht nicht, wieso die Liebe seiner Eltern und Helgas Liebe nicht unter einen Hut zu bringen sind. Im Augenblick versteht er überhaupt nichts, auch nicht, was Liebe sein könnte. Hans sitzt in seinem Kämmerchen, erlebt eine eigenartige Mischung aus wohlig-warm und traurig und summt ein Lied. Es ist ihm nicht bewusst, welcher Text zu dieser Melodie gehört. Würde er es wissen, die Musik würde ihm im Halse stecken bleiben. Er singt: 

    „Hänschen klein, ging allein in die weite Welt hinein, Stock und Hut steh’n ihm gut, ist gar wohlgemut. Doch die Mutter weinet sehr, hat ja nun kein Hänschen mehr, da besinnt sich das Kind, kommt nach Haus geschwind!"

    Respekt für Eltern

    „Es gibt nichts, das höher, stärker, gesünder und nützlicher für das Leben wäre als eine gute Erinnerung aus der Kindheit, aus dem Elternhaus."

    Fjodor M. Dostojewski

    Viele psychologische Bücher, Vorträge und Medienbeiträge sind so angelegt, dass sie in Eltern ein schlechtes Gewissen erzeugen. Die Fülle an Möglichkeiten, es verkehrt zu machen, ist unendlich groß. Veröffentlichungen bohren dann säure- und giftversprühend in den Wunden der leidgeplagten Eltern.

    Wenn man davon ausgeht, dass Kinder zu erziehen das vielleicht Verantwortungsvollste und Schwierigste auf der Welt ist, dann wird schon spürbar, dass uns dieses Thema unter den Nägeln brennt. Kinder haben erst in letzter Zeit durch die Popularität der Psychologie eine Lobby bekommen und die prügelt auf die Eltern ein. Nun, bei der verantwortungsvollsten und schwierigsten Sache der Welt bekommen Fehler ein gravierendes Gewicht. 

    Kunstfehler von Ärzten haben oft grausame Auswirkungen. Irrtümer der Schuhverkäuferin hingegen nicht. Daher steht der ärztliche Irrtum morgen in der Zeitung und bekommt Raum in allen Medien. Die zwei linken Schuhe, die mir irrtümlich eingepackt wurden, aber nicht. Wir sollten so fair sein wahrzunehmen, dass Ärzte, Eltern, Politiker, Priester, Journalisten usw. öfters kritisch gesehen werden, nicht weil sie schlechtere Menschen sind, sondern weil sie die viel größere Verantwortung haben. 

    Ich schlage vor, dass wir allen diesen Menschen Anerkennung zollen, dass sie diese undankbaren Aufgaben auf sich nehmen und jeden Tag riskieren, herber Kritik ausgesetzt zu sein.

    Also an dieser Stelle Respekt für Eltern: Sie geben Zeit, Geld und Nerven für die nächste Generation. Ich sage ganz bewusst nicht, sie opfern, denn sie bekommen auch viel. Ein Lächeln, das erste „Mama und „Papa, Schmunzeln über neue Wortschöpfungen und viele, viele nette Stunden beim gemeinsamen Spiel und beim Zusammensein. Aber Eltern geben auch viel. So manche Mutter und so mancher Vater waren schon neidisch, als ihnen Kollegen vom Wochenende in Istanbul erzählt haben, während sie am Krankenbett eines Kindes gesessen sind. Nehmen Sie bitte dieses Buch, auch wenn es elternkritisch geschrieben ist, als Respekt und Anerkennung einer schwierigen Sache, einem Balanceakt zwischen zuviel und zuwenig, zwischen zu nachgiebig und zu streng, zwischen Verwöhnung und Härte, zwischen gut gemacht und Fehlern.

    Es fängt schon damit an, dass es nicht immer wirklich so ganz klar ist, wann man von einem Fehler sprechen soll oder kann. Gehen Eltern mit ihren Kindern ins Museum, finden die Kinder es lähmend fad. Machen sie Wanderungen, empfinden sie es als spießig. Machen sie nichts, bekommen die Erzieher dafür Schelte. Wie immer, wenn etwas neu ist, ist es noch nicht ausgewogen. Neu ist, dass Kinder ein Sprachrohr bekommen haben und das wird jetzt reichlich genützt. Auch dieses Buch soll Kindern und dem Kind in uns eine Sprache geben.

    Lesen Sie es bitte als Betroffene oder Betroffener. Schuldgefühle helfen nicht.

    Sie haben viel falsch gemacht, natürlich, ich auch. Sollten Sie aber Göttlichkeitsansprüche haben, also davon ausgehen, andere machen Fehler, Sie aber natürlich nicht, dann, so glaube ich ganz fest, lesen Sie dieses Buch ohnehin nicht.

    Liebe Leserin, lieber Leser, liebe gewöhnlich Sterbliche, wir sind Suchende und Irrende unter uns. Vielleicht hilft uns Johann Wolfgang von Goethe weiter:

    „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen!" Auch Goethe geht nicht davon aus, dass wir es ganz richtig machen können wir können uns nur strebend bemühen.

    Viele Eltern wünschen sich sehnsüchtig Enkelkinder. Manchmal frage ich mich, warten sie wirklich auf den Nachwuchs oder warten sie darauf, dass ihre Kinder endlich aufhören sie zu kritisieren, weil sie erkennen müssen, dass auch sie es nicht perfekt schaffen, jetzt wo sie selbst Kinder aufziehen?

    Aber gehört wirklich alles in die elterliche Verantwortung? Was ist mit den Diagnosen wie z. B. Autismus, Rett-Syndrom, Asperger-Syndrom, hyperkinetische Störung usw.? Gibt es nicht auch wirklich das schwierige Kind, das zum Schicksal seiner Eltern wird? Sophie Freud, die Enkelin von Sigmund Freud, hat auf einem Psychotherapiekongress in Wien ein Referat gehalten über „Das schwierige Kind" und hinterließ auch das Bonmot: „So mancher kann sagen: Meine Kindheit haben meine Eltern ruiniert und mein späteres Leben meine Kinder!"

    Dieser Respekt vor Eltern soll und darf uns nicht hindern, auf die Ungereimtheiten hinzuschauen, wahrzunehmen, dass es auch ganz anders sein kann.

    Aber hier noch einmal die ganz dringende Bitte: Schauen Sie auf Ihre Kindheit.

    Je besser Sie die eigene Geschichte klären, je mehr Sie sich die eigenen Wunden ansehen, umso mehr helfen Sie Ihren Kindern, denn Sie entlasten sie, die Schmerzen der elterlichen Verletzungen mit Ihnen teilen zu müssen. 

    Warum bekommen Menschen überhaupt Kinder?

    „Aus Mutterliebe selbstverständlich, möchte man denken. Aber so verhält es sich durchaus nicht immer. Wie oft entsteht das Motiv, ein Kind zu gebären,  aus dem unerträglichen Gefühl der Leere, der Angst, der Einsamkeit, ja einer verzweifelten Verlorenheit? Immer wenn eine Frau nicht weiter weiß, kann sie die Neigung überkommen, die Schwierigkeiten, die in ihrem eigenen Leben unlösbar erscheinen, buchstäblich in einem anderen Leben lösen zu wollen." ²

    Unsere Kultur hat sich in die Vorstellung verliebt, dass es das Richtige und das Falsche gäbe. Dass das Gute und das Schlechte zu beobachten wären.

    Was ist, wenn, wie der Volksmund sagt, jede Medaille zwei Seiten hat? Hat auch das Kinderkriegen zwei Seiten? Was ist mit jenen, die Kinder bekommen, damit sie nicht mehr außer Haus arbeiten müssen? Oder endlich das gute Recht haben, von zu Hause auszuziehen, schließlich „erwarten wir ein Kind"? Bedarf es des Nachwuchses, damit die Firma weiter bestehen kann? Was ist mit jenen ungeliebten Erwachsenen, die unbedingt ein Kind brauchen, damit es jemanden gibt, der sie lieb hat? Denken wir auch an jene, die gerne Macht haben, diese aber nirgends erreichen. Eine eigene, möglichst große Familie ist eine Chance, ein persönliches Königreich zu gründen. Partner und Kinder bilden die Untertanen, die dem König/der Königin Geltung und Ansehen verleihen.

    Was man in der Jung’schen Psychologie „Schattenbewusstsein" nennt und damit meint, eine Einsicht darin zu haben, dass „wo viel Licht ist, auch viel Schatten ist" (Goethe), könnte uns jetzt weiterhelfen. Schattenbewusstsein heißt, man ist dazu fähig, sich auch die Nachteile oder die Problematik der eigenen Lebenseinstellungen und Lebenshaltungen einzugestehen. Ist fleißig nur gut oder heißt das auch, dass man wenig Zeit hat für die Familie? Ist abstinent nur gut oder bedeutet das auch, wenig Verständnis dafür zu haben, einmal auch ausgelassen zu sein?

    Auch an die Philosophie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel darf man denken, wenn er die Überlegung einführt, dass es zu jeder These eine Antithese gäbe und erst die Synthese von These und Antithese uns einem Ziel näher bringen kann. Ein kleines Beispiel dazu. Jemandem ist es besonders wichtig „vernünftig zu sein und er sieht sehr viel Sinn darin. Wenn man die Medaille umdreht, darf man auch überlegen, ob nicht auch Feigheit vor den Lebensrisiken dahinter steht. Vielleicht wird auch ein Überlegenheitsgefühl abgeleitet, nicht so „blöd wie andere zu handeln. Wenn ich Hegel richtig verstehen sollte, wäre es sinnvoll, sich Vor- und Nachteil der Vernünftigkeit zu überlegen und dann eine neue Synthese, eine Verbindung von beiden Seiten, herzustellen.

    Ein Kind bedeutet auch Status, vor allem in einer bürgerlichen Gesellschaft.

    Die Frau Kommerzialrat, die Frau Hofrat, die Frau Direktor, die Gemahlin des Schönheitschirurgen ist gut ausgestattet mit einem Kind und ebenso hebt es den Status des Gemahls. Ihr gibt es das Recht, nicht berufstätig zu sein. Es entbindet sie von dem Stress, den es in einem Wirtschaftsbetrieb, in einem politischen Amt oder in einer öffentlichen Institution gibt. Vielleicht beneidet sie in Worten ihren Mann um seinen gesellschaftlichen Auftrag und sieht nicht hin, dass viele dieser Berufe beinhart und nervenaufreibend sind. Auch hier fehlt das Schattenbewusstsein. Ihm gibt es das stolze Gefühl, ein rechtschaffener Bürger zu sein, der zum Fortbestand der Gesellschaft beigetragen hat. Ob es den Kindern gut geht, ob sie sich in Mathematik auskennen und ob sie Freunde haben, weiß er vielleicht gar nicht.

    Wir müssen nicht gleich an die sexuell missbrauchten Kinder denken - auch wenn diese es bei Gott verdienen - ist es nicht ebenso Missbrauch, wenn ich ein Kind bekomme, weil ich es brauche? Brauche für mein soziales Ansehen? Es benützt habe, um einen Mann oder eine Frau zu fesseln und an mich zu binden? Weil ich ohne die Liebe eines Kindes am Leben verzweifle? Vielleicht sind sehr viel mehr Kinder „missbrauchte Kinder", als wir uns je gedacht haben. Vielleicht sind wir auch selbst missbrauchte Kinder? Vielleicht ist die ganze Welt nicht so edel, wie sie sich gerne darstellt?

    Die Überlegung ist durchaus legitim, ob nicht die Kinder, die einfach so passiert sind, wo keine problematischen Bedürfnisse und Defizite der Eltern der Hintergrund sind, ob diese Kinder nicht vielleicht die gesünderen Lebensbedingungen vorfinden. Hier gibt es keinen neurotischen Hintergrund der Eltern, den die Kinder auffüllen müssen.

    Mir liegt es nahe die Frage zu stellen, ob nicht diejenigen Menschen ernsthafter und stimmiger im Leben stehen, die sich zumindest vorstellen können, dass nicht all ihr Tun als Titelstory der Kirchenzeitung geeignet ist. Wir alle sind nur „gewöhnliche Erdlinge" voll leiderworbener Bedürfnisse und sind auch nicht besser als die anderen.

    Wie bedürftig ist der Mensch?

    Zumindest in der westlichen Welt, die von manchen Forschern auch als „narzisstische Welt" bezeichnet wird, wurde eine Haltung lieb gewonnen, die uns Menschen eher als edel, hilfreich und gut sieht. Es gibt schon auch das Dunkle, das Andere, von diesem lesen wir in der Zeitung, mit diesen Menschen und Vorgängen

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