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Ihr wollt nur unser Bestes ...
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eBook304 Seiten4 Stunden

Ihr wollt nur unser Bestes ...

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Über dieses E-Book

Dieses Buch habe ich für alle Eltern und Pädagogen geschrieben. Und ein bisschen für alle, die mit Kindern zu tun haben. Denn Kinder sind unsere Zukunft und es lohnt sich, in die Zukunft zu investieren.

Das Buch ist eine EINLADUNG sich einzulassen auf Kinder - und auf sich selbst und die eigene Geschichte. Denn nur im KONTAKT mit sich und anderen entstehen LÖSUNGEN. Lösungen, die weit über die momentanen Erziehungs- und sonstigen Schwierigkeiten hinausgehen.

Wenn Sie die Botschaft dieses Buches in sich hineinlassen, werden Sie nicht nur Ihre "Erziehungsprobleme" mit anderen Augen sehen, sondern Sie werden auch einen anderen ZUGANG zu Kindern entdecken und darin GLÜCK und INNEREN REICHTUM finden. Versprochen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum29. März 2017
ISBN9783743906341
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    Buchvorschau

    Ihr wollt nur unser Bestes ... - Heidrun Krebs

    Vorwort

    „Ihr wollt nur unser Bestes, aber das geben wir euch nicht" – dieser Spruch zierte in meiner friedensbewegten Jugendzeit ein Transparent, das aus dem Fenster irgendeiner Studenten-WG in meiner Heimatstadt hing und mir damals schon Anlass zu langem Nachdenken gab.

    Alle Eltern, die ich kenne (in 20 Jahren Familientherapie habe ich viele wirklich kennengelernt), wollen das Beste für ihre Kinder. Meine eigenen natürlich auch, wofür ich ihnen sehr dankbar bin. Trotzdem traf mich dieser Spruch bis ins Mark, und ich erkannte schon damals eine tiefe, auch persönlich gefärbte Wahrheit darin, die mich bis heute nicht losgelassen hat.

    Was ist das Beste? Wie erreichen wir das Beste für unsere Kinder? Und sehen unsere Kinder das Beste auch als solches an? Was hielten unsere eigenen Eltern für das Beste? Und deren Eltern und Großeltern? Was halten Eltern in Papua-Neuguinea für das Beste? Oder in den Kriegs- und Krisengebieten der Erde?

    Wie kommt es, dass wir als Eltern nicht selten das Gefühl haben, genau dieses Beste sei unseren Kindern irgendwie nicht recht? Und dass mancher von uns noch heute böse auf seine Eltern ist, weil eben dieses Beste wohl doch nicht gut genug war?

    Wie kommt es, dass unsere Kinder das Beste manchmal nach dem Motto verkehren: Ihr wollt nur unser Bestes, aber das geben wir euch nicht?

    Was ist aus den Idealen unserer Eltern geworden? Haben sie das Beste aus uns herausgeholt? (Was ist dann noch drin in uns?) Sind sie glücklich und zufrieden mit dem Ergebnis und sind wir es auch? Was davon möchten wir unseren eigenen Kindern weitergeben? Was davon passt vielleicht für eine andere Generation oder für andere Menschen, auf jeden Fall für uns selbst (oder auch nicht?), aber nicht wirklich für dieses eine Kind, das wir vor uns haben? Was prägt uns in unserer Auffassung, genau dieses oder jenes sei das Beste? Wie kommt es, dass unter Umständen schon Vater und Mutter unterschiedlicher Auffassung sind, wenn es darum geht, das Beste für das Kind zu definieren? Und dass sich die Auffassungen der Fachleute um ein Vielfaches scheiden? Lesen Sie mal eine Anzahl von Erziehungsratgebern oder ziehen Sie Fachleute aller Couleur mit Ihren „Erziehungsproblemen oder den „Entwicklungsproblemen oder „Verhaltensproblemen" Ihrer Kinder zu Rate und schauen Sie, was passiert. Wird der Umgang mit Ihrem Kind dann leichter oder schwerer? Geht es dem Kind und Ihnen besser oder schlechter? Und was genau ist es, das die Sache verbessert oder verschlimmert?

    Was ist es, was die heutige Pädagogik prägt? Was will sie erreichen, woher kommt sie, wohin geht sie?

    Wohin wollen wir als Menschheit? (Und Kinder sind tatsächlich unsere Zukunft.) Anders gefragt, was ist das Beste für die Menschheit?

    Ich weiß nicht, ob ich all diese Fragen in diesem Buch beantworten kann. Manche sicher schon, andere nur vorläufig und einige vielleicht gar nicht. Eines kann ich auf jeden Fall versichern: Dieses Buch wird Ihre Haltung gegenüber Kindern und gegenüber sich selbst und der Welt auf eine tiefgreifende Art verändern.

    Meine Zeilen mögen manchmal ein wenig provokant oder gar respektlos erscheinen. Glauben Sie mir, ich habe ganz großen Respekt vor ALLEN Menschen. Vielleicht haben Sie an der einen oder anderen Stelle das Bedürfnis, das Buch einfach wegzulegen. Tun Sie es nicht. Sie werden vielleicht erst später alles verstehen.

    Kindheit im industrialisierten und globalisierten 21. Jahrhundert

    Bevor wir die Dinge nun genauer betrachten, schauen wir uns an, was Kindheit heute so mit sich bringt. Kindheit ist heute anders als früher, und sie ist auch nicht überall auf unserem Planeten gleich. Wenn wir diese Tatsache außer Acht lassen und uns auf ein Früher war alles besser oder Damals waren Kinder noch … oder Unsere Eltern haben … berufen, dann verweigern wir die Tatsache, dass die Welt sich weiterdreht und Dinge sich nun mal verändern – mit neuen Voraussetzungen und neuen Herausforderungen.

    Natürlich wäre es interessant, die Kindheit in Papua-Neuguinea zu beleuchten, wir könnten sicher tiefgreifende und gewinnbringende Rückschlüsse daraus ziehen. Vielleicht könnten wir uns dann auch den eigentlichen und einfachen Dingen im Leben widmen und die Welt (und die Kinder) nicht durch die Brille des fortgeschrittenen, selbstoptimierten und konsumorientierten Bürgers der Gewinnerseite unserer globalisierten Welt sehen. Interessant wäre es sicher auch, mit Familien aus Kriegs- und Krisengebieten ins Gespräch zum Thema zu kommen. Dort gibt es wohl andere Lebens- und Erziehungsideale als bei uns, und was uns als wichtig erscheint, dürfte dort als ausgesprochen banal gelten. Vielleicht könnten wir dann unseren Blickwinkel auf die eigenen Probleme und die unserer Kinder zum Positiven hin verändern.

    Ich verzichte bewusst darauf, denn Sie möchten ja heute und hier mit Ihrem Leben und Ihren Kindern zurechtkommen und fragen sich, was denn nun das Beste sein soll, das Sie Ihren oder den Ihnen anvertrauten Kindern wünschen und das Ihnen fast jede Mühe wert ist – auch die, dieses Buch zu lesen.

    Ich verzichte ebenfalls darauf, die Geschichte der Kindheit der letzten 50 oder 100 Jahre zu analysieren, obwohl wir dann sicher manches besser einordnen könnten und ein Gefühl davon bekämen, was unsere Vorfahren darin geprägt hat, uns ihren eigenen und persönlichen, aber auch gesellschaftlich geprägten Stempel aufzudrücken. Wir wären dann besser in der Lage, uns mit den Fehlern unserer Vorfahren auszusöhnen und das Beste aus dem zu machen, was sie uns gegeben haben – wissend, dass jede Generation ihre eigenen Fehler macht und dass wir alle Kinder unserer Zeit sind. Das würde es uns auch leichter machen, gnädig mit uns selbst umzugehen und uns die eigenen Unzulänglichkeiten zu verzeihen, nicht ohne an uns selbst zu arbeiten, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Wer mit sich selbst gnädig ist, dem fällt es leicht, auch Kindern gegenüber gnädig zu sein und ihnen nicht abzuverlangen, perfekt auf die Welt zu kommen und sich an unsere Vorgaben reibungslos anzupassen.

    Ich beschränke mich also jetzt darauf, mit Ihnen einen Blick auf die Kindheit im „zivilisierten" Teil der Welt des 21. Jahrhunderts zu werfen. Es handelt sich um einen kleinen Blick, um einen winzigen Ausschnitt des Ganzen. Der Sache könnte ich ein ganzes Buch widmen, aber dann käme ich nicht zu dem, was ich Ihnen eigentlich mitteilen möchte.

    Ich lade Sie dazu ein, das Ganze nicht nur durchzulesen und mit Ihrem Verstand zu begreifen, sondern es auch mit Ihrem Herzen wahrzunehmen und sich einmal richtig hineinzufühlen. Falls Ihnen dies schwerfällt, liegt es vielleicht daran, dass Sie es nicht gewohnt sind, zu fühlen, statt zu denken. Das lässt sich aber mit ein wenig Übung ändern, und Sie können gewiss sein, dass sich die Qualität all Ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen augenblicklich verbessern wird, sobald Sie dazu umfassend in der Lage sind. Alle zwischenmenschlichen Angelegenheiten sind Gefühlsangelegenheiten! Erst recht die nahen Beziehungen innerhalb der Familie. Aber auch das Erzieher-/Lehrer- Kinder-Verhältnis. Und das Verhältnis zu Verwandten, Freunden, Nachbarn, Arbeitskollegen. Und zu uns selbst. Wenn Sie darüber hinaus in der Lage sind, Ihre eigenen Gefühle als persönlich gefärbte Realität zu sehen und wissen, dass es durchaus die Möglichkeit gibt, die Dinge anders oder auch noch anders zu betrachten oder zu fühlen, dann kommen Sie einigen wichtigen Dingen schon sehr nah, die Sie dazu bringen werden, tatsächlich das Beste für Ihre eigenen und die Ihnen anvertrauten Kinder zu tun.

    Das Ganze könnte ich noch etwas vielschichtiger machen: Wir denken natürlich auch etwas zu unserem Gefühl, und umgekehrt fühlen wir etwas zu dem, was wir denken. Aber ich will Sie nicht durch unnötige Kompliziertheit verschrecken.

    Wenn ich kurz zurückblicke, um meine eigene Geschichte zu betrachten (bei meiner Familientherapie-Ausbildung hatte ich zum Glück sehr ausgiebig Gelegenheit dazu), dann bin ich sehr froh und dankbar. Dankbar bin ich nicht nur meinen Eltern gegenüber, sondern auch der Gesellschaft von damals. Denn man hat mir so manches erspart, womit heutige Kinder leben müssen.

    Wenn ich nun einen winzigen Teil dessen beschreibe, wie Kinder heute aufwachsen, lade ich Sie dazu ein, die Sache aus der Sicht des Kindes wahrzunehmen und mit Ihrer eigenen Geschichte zu vergleichen. Um es Ihnen leichter zu machen, schlage ich vor, dass Sie sich zwei leere Stühle zurechtstellen – einen für den/die kleine(n) XY (also Sie als Kind) und einen für Ihr eigenes Kind oder eines, um das Sie sich gerade sorgen oder das Ihnen Schwierigkeiten bereitet oder für dessen Belange Sie sich einfach gerade interessieren. Sie können dann jederzeit mal auf einem der Stühle Platz nehmen, um sich in eine bestimmte Situation oder einen Lebensabschnitt hineinzuversetzen.

    Ich verzichte bei meiner folgenden Beschreibung auf statistische Erhebungen und wissenschaftliche Beweise. Sie alle wissen, dass ich im Großen und Ganzen recht habe.

    Also, was prägt die Kindheit im 21. Jahrhundert in unserer „westlichen" Welt?

    Auf jeden Fall ist Kindheit begleitet von einer wachsenden Zahl von möglichen Lebensentwürfen. Die klassische Familie von (leiblichen) Eltern und Kindern ist nur einer davon. Damit einher gehen zahlreiche mögliche oder tatsächliche Brüche in der Lebensgeschichte der Eltern und auch der Kinder – verbunden mit Verlust oder Angst vor Verlust und allem, was emotional dazugehört. Wenn Sie schon einmal eine Trennung von einem geliebten Menschen erlebt haben, wissen Sie, was ich meine. Da die Eltern dabei die Akteure sind und nicht die Kinder und da die Kinder sich in einer emotionalen Abhängigkeit zu den Eltern befinden (sie haben nun mal nur einen richtigen Vater und eine richtige Mutter), können wir uns vorstellen, welches Gewicht solche Brüche haben. Auch die Brüche in der früheren Lebensgeschichte der Eltern entfalten ihre Wirkung im Leben des Kindes, und zwar in Form ihrer emotionalen Auswirkungen und der aus ihnen entstehenden Glaubenssätze der Eltern. Dazu später mehr.

    Hinzu kommt in vielen Fällen der Verlust von Heimat. Wer in einem fremden Land lebt, kennt dieses Gefühl. Aber auch innerhalb eines Landes zwingt uns der Fortschritt häufig dazu, „mobil" zu sein, unser gewohntes Umfeld aufzugeben, der Herkunftsfamilie weiträumig den Rücken zuzukehren, um dem Bruttosozialprodukt und unserer eigenen Rentenkasse (gehen wir mal davon aus, dass es so ist) zu dienen und unseren Kindern wie auch uns selbst das Beste an Wohlstand zu bieten.

    Das Beste an Wohlstand bietet Kindern von klein auf unzählige Spielsachen aller Art, die manch einer kaum ordentlich aufräumen kann. Der Fernseher gehört zum Leben wie später das Handy und der Computer. Die Geräte sorgen schon früh dafür, das Leben aus „zweiter Hand" zu erfahren, bequem vom Sessel aus neue Bedürfnisse zu wecken und zu erfahren, wie das Leben sein sollte, könnte oder müsste.

    Die riesige Zahl von Möglichkeiten, die der Wohlstand bietet, birgt eine ganze Menge an möglicher Zwietracht. Was schaffen wir an? Welches Fernsehprogramm schauen wir an? Wohin fahren wir in Urlaub? Wer erhält welchen Anteil am Wohlstand und wo wird gespart? Wie verbringen wir unsere Freizeit? Was essen wir? Mit Fragen dieser und ähnlicher Art verbringen viele Familien einen Großteil ihrer ohnehin kostbaren gemeinsamen Zeit – und zerstreiten sich dabei nicht selten. Die Unterschiede scheinen oft größer als die Gemeinsamkeiten. Es fühlt sich manchmal an wie ein Riss, der durch die ganze Familie geht.

    Der ganze Wohlstand ist nicht umsonst zu haben, und viele Väter und Mütter rackern sich dabei bis an den Rand der Erschöpfung oder noch darüber hinaus ab. Der Familientherapeut Wolfgang Bergmann erwähnte einmal, er kenne kaum eine Familie, die nicht bis auf die Knochen erschöpft sei. Ich kenne gar keine – zumindest keine, bei der dies nicht wenigstens phasenweise der Fall ist.

    Natürlich gibt es auch die Familien, die am Rande stehen und eine andere Art von Problemen haben. Es gibt eine ganze Menge davon. Sie rackern sich auf eine andere Art ab oder haben sich und ihre Kinder schon ein Stück weit aufgegeben. Vom großen Kuchen bekommen sie nur hier und da ein Stückchen ab, und tief in ihrem Herzen schmerzt der Mangel ihrer Kinder noch mehr als der eigene. Manch einer von ihnen glaubt, das alles nur ertragen zu können mit genügend Bier, Schnaps oder Zigaretten. Deren Kinder haben dann ganz eigene Überlebensstrategien.

    Im Zuge des Fortschritts und der immer höheren Bewertung von Leistung und Konsum sind wir dazu übergegangen, es zur Tugend zu erheben, Kinder möglichst früh in staatliche oder sonstige Obhut zu geben. Für die Kinder ist dies in aller Regel mit heftigem Verlust und Trennungsschmerz verbunden. Wenn dies nicht der Fall ist, sollten wir uns mal fragen, ob die Bindung an die Eltern wirklich geglückt ist. Diese Bindung ist es nämlich, die unsere Fähigkeit, zu lieben und uns zu binden, zu verlässlichen Partnern, Eltern und Staatsbürgern zu werden, in entscheidendem Maße prägt. Sie können sicher sein, dass dieser Schmerz sich nicht nach der „Eingewöhnungszeit" in der Einrichtung erledigt hat.

    Auch ich weiß natürlich, welchen Zwängen wir ausgesetzt sind oder glauben, ausgesetzt zu sein und aus welchen guten Gründen wir so handeln, wie wir handeln. Trotzdem möchte ich dazu einladen, den Schmerz der Kinder einmal wirklich wahrzunehmen! Ich möchte weder an dieser Stelle noch anderswo in diesem Buch irgendeine Art von Ursachenforschung betreiben oder Ihnen in Ihr Leben und Ihre Entscheidungen hineinreden – ich lade Sie einfach dazu ein, herauszufinden, wie es wirkt.

    Kinder sind also meist früh gezwungen, sich von ihren Eltern und ihrem gewohnten Lebensumfeld zu trennen, sich in verschiedene Lebensrealitäten einzufinden und mit verschiedenen Bezugspersonen zurechtzukommen, sich selbst und eigene Befindlichkeiten zurückzunehmen und sich um jeden Preis anzupassen. Ich will das nicht nur schlecht reden, werde jedoch noch auf die Kehrseiten der Fremderziehung zu sprechen kommen. Mit der Anpassung ist das so eine Sache. Je mehr Kinder (oder auch Erwachsene) auf einem Haufen sind, desto mehr davon ist nötig, damit das Ganze funktioniert. Stellen Sie sich mal einen ganz normalen Dreijährigen vor, der wie alle kleinen Kinder noch in der glücklichen Lage ist, ganz in seiner Realität und in seiner Emotion zu sein und der gerade ganz wütend ist, weil etwas Bestimmtes nicht nach seinen Vorstellungen funktioniert. Seine Mutter kann ihn trotzdem lieb haben (sie ist ja auch seine Mutter!), und wenn sie nicht unter Zeit- oder sonstigem Druck steht, kann sie das Ganze geduldig aussitzen, bis es sich erledigt hat. Wie sieht die Sache wohl im Kindergarten aus? Vielleicht ist es der kleine Paul, der gerade einen Riesen-Schreikrampf bekommen hat, weil er in einem Anflug von Ungeduld ein Spielzeug kaputtgemacht hat. Zu Hause ist so etwas kein Beinbruch – wenngleich Paul damit leben muss, dass er dieses Spielzeug wohl nicht mehr benutzen kann und dass die Mutter bestürzt oder auch ärgerlich ist, weil das Ding ja auch Geld gekostet hat. Sie wird aber (hoffentlich) die Kirche im Dorf lassen, den Paul trotzdem oder erst recht lieb haben – er ist ja gerade außer sich und braucht vielleicht eine Extra-Portion Zuwendung. Im Kindergarten ist die bestimmt wohlwollende, aber doch gestresste Erzieherin mit der Sache konfrontiert, die noch für eine ganze Anzahl anderer Kinder zuständig ist und deren Kollegin vielleicht gerade nicht greifbar ist. Sie soll dem immer noch wütenden Paul jetzt klarmachen, dass so etwas hier nicht gehe und dass das Spielzeug schließlich für alle da sei. Wenn der Paul so etwas öfter macht, ist er schnell nicht mehr ihr Freund, und sie findet ihn unerzogen, aggressiv, unangepasst, egozentrisch und einfach unmöglich mit all den Konsequenzen, die Sie noch kennenlernen werden.

    Um der Anpassung auf die Sprünge zu helfen (ich behaupte, Kinder sind von Natur aus sehr angepasst, manchmal mehr, als uns bewusst und lieb ist – aber das ist ein anderes Thema), gibt es eine ganze Anpassungs-Industrie. Es gibt Pillen und Kügelchen, Ratgeber auf Papier und Bildschirm, Logopäden, Ergotherapeuten, Psychologen und Psychotherapeuten, ganze Diagnostikzentren und sogar Kinderabteilungen in psychiatrischen Kliniken (das sind die Kliniken, die früher nur psychisch kranken Menschen zugänglich waren). Wohlmeinende Pädagogen erklären den Eltern (und Kindern) frühzeitig, was nicht in Ordnung ist und verweisen auf eben diese Möglichkeiten, die damit zur Realität für viele Kinder und deren ganze Familien werden.

    Natürlich müssen alle, die mit dem Kind zu tun haben, bei dessen Anpassung an einem Strang ziehen, was den missionarischen Eifer auf allen Seiten in Hinblick auf die Verbreitung der eigenen Anpassungskonzepte bisweilen Blüten treiben lässt. Später mehr dazu.

    Um Kindern das Beste an Sicherheit zu bieten, ist es selbstverständlich, dass nicht auf Bäume, sondern (wenn überhaupt, und dann natürlich unter Aufsicht) auf TÜV-geprüfte Klettergerüste geklettert wird und dass man zumindest an kühlen Regentagen aufgrund von Erkältungsgefahr nichts im Wald verloren hat – wenn man denselben nicht besser wegen der Zeckengefahr oder sonstigen Unwägbarkeiten oder einfach aus praktischen Gründen ganz meidet. Überhaupt sind Kinder weitgehend von öffentlichen Plätzen und aus der freien Natur verschwunden, und wenn wir Kinder ohne Aufsicht auf den Straßen und Spielplätzen herumlungern sehen, denken wir schnell an Vernachlässigung, erst recht wenn sie mal laut sind oder gar etwas anstellen. Die Anpassung findet also nicht mehr in freier Wildbahn statt, sondern hinter Mauern. Hinter den Mauern findet die Anpassung nicht mehr laut, bewegt, wild, voller Matsch und mit Streit und Versöhnung statt, sie ist gedämpft, gesittet und vom wachsamen Auge geschulter Erwachsener begleitet. Diese stehen mit ihren Anpassungsbemühungen unter einem nicht unbeträchtlichen selbst auferlegten Erfolgsdruck – nicht zuletzt, weil sie in ihrem Tun oder Nichttun unter der Beobachtung anderer geschulter und nicht geschulter Menschen stehen. Zum Arbeits-, Wohlstands- und Gefälligkeitsstress gesellt sich also der Erziehungsstress.

    Unter so viel Stress scheint uns das Innehalten bisweilen schwierig bis unmöglich.

    Wenn wir tatsächlich einmal innehalten, fühlen wir uns manchmal wie im falschen Leben – oder vielleicht im richtigen, wenn nur nicht dies und jenes wäre oder irgendjemand uns gerade das Leben schwer machen würde oder die Kinder bloß ein bisschen angepasster wären. Überhaupt scheint uns ein Innehalten auch ein wenig problematisch – wer weiß, was dabei herauskommt. Besser, wir muten uns nicht zu, uns selbst und die Menschen und Dinge um uns herum wirklich zu spüren. Wir bedienen uns lieber der zahlreichen Errungenschaften der Unterhaltungsindustrie, um uns abzulenken. (Interessanterweise bedienen wir uns auch der bekannten unterhaltungselektronischen Geräte, um „abzuschalten" – einschalten zum Abschalten.) Wenn wir trotzdem innehalten, könnte es sein, dass wir in ein ungesundes Grübeln kommen, also doch lieber …

    Zurück zum Besten. Natürlich soll dem Nachwuchs auch das Beste an Erziehung angedeihen. Da man als Eltern ja nicht einschlägig gebildet ist, überlässt man dies gerne zumindest in Teilen denjenigen, die mehr davon verstehen und beruflich darin geschult sind. Diesen klugen Menschen überlässt man dann am besten noch das Denken und verlässt sich ganz auf ihr Urteil, was denn nun das Beste für die eigenen Kinder sei – und für uns als Eltern womöglich auch noch.

    Förderung – Ihr wollt nur unser Bestes …

    Förderung – das ist das Stichwort für das Beste. Zunächst klingt es doch nicht schlecht, ein Kind fördern zu wollen. Ist es dem Grunde nach auch nicht. Außerdem habe ich Ihnen ja mehr oder weniger versprochen, Ihnen nicht reinzureden. Also, Förderung kann alles Mögliche sein. Ich würde sagen, am besten und ohne Nebenwirkungen fördern Sie ein Kind mit Liebe und Verständnis, denn davon kann man nie zu viel haben. Das ist aber wohl nicht gemeint, wenn wir im Sinne zeitgenössischer Pädagogik von Fördern sprechen. Wir wollen uns die Sache etwas genauer ansehen.

    Förderung pränatal bis postpubertär

    Zeitgemäße Förderung fängt (zumindest in den privilegierten Schichten) schon vor der Geburt an, mit Schwangerschaftsvorsorge, Eisen- und Vitaminpräparaten und klassischer Musik im Mutterleib. Um eine „gesunde" Auslese zu treffen, werden nicht so gut gelungene Exemplare von Embryonen vorsorglich aussortiert oder dies den Eltern zumindest nahegelegt. Es folgen diverse Förderkurse für das erste Lebensjahr, beruhend auf den Vorstellungen kluger Leute, die wissen, in welchem Lebensmonat was zu funktionieren hat. Für jede Auffälligkeit oder nicht normgerechte Entwicklung setzt sogleich die passende individuelle Frühförderung ein, damit die echten oder vermeintlichen Defizite so schnell wie möglich ausgemerzt werden.

    Im Kindergarten findet nichts ohne Sinn und Ziel statt. Jedes Spiel und jeder angeschaffte Gegenstand fördert dies oder jenes, nachzulesen in den Konzeptionen der Einrichtungen. Ich habe kürzlich an der Küchentür eines Kindergartens gelesen, was beim Aufenthalt in der Küche alles gefördert wird. Es war wirklich eine bemerkenswerte Liste.

    Natürlich setzt rechtzeitig die schulische Frühförderung ein. Die Vorschulerziehung und das „spielende" Fremdsprachen-Lernen kann manch einem nicht früh genug starten. Wem das alles nicht reicht, dem soll mit den oben genannten Anpassungs-Fördermöglichkeiten auf die Sprünge geholfen werden.

    In Fördergesprächen werden die Eltern dazu angeleitet, diese mannigfaltige Förderung auch zu Hause dem Kind angedeihen zu lassen.

    In einem kleinen Artikel unseres Lokalblättchens las ich im Januar des vergangenen Jahres (also rechtzeitig vor Beginn des nächsten Schuljahres), dass bereits fast jeder vierte ABC-Schütze in Therapie sei. Und dass die Eltern doch überprüfen mögen, was man noch nachlegen könne, damit die Kleinen den schulischen Anforderungen gerecht werden.

    Vergessen wir nicht die sportliche, musische oder sonstige Förderung in der Freizeit. Manches Kind hat einen volleren Terminplan als ein Erwachsener, und die Eltern opfern ihre ohnehin schon knappe Zeit für die Organisation dieser Fördergeschichten. Alles nur zum Besten.

    In der Schule angekommen, hat das Kind hoffentlich schon die ersten Schritte zum mathematischen und sprachlichen Verständnis erlangt und weiß, dass es von nun an (natürlich zum Besten) jeden Vormittag 4-5 Stunden still zu sitzen und am Nachmittag die Hausaufgaben ordentlich zu erledigen hat und dass man nicht traurig, allzu fröhlich oder gar wütend zu werden hat. Wenn nicht, gibt es auch hier Förderunterricht, Fördergespräche mit den Eltern, Schulpsychologen, Schulsozialarbeitern, und wenn das nicht reicht, Therapien verschiedenster Ausrichtung.

    Wer zu den weniger privilegierten Schichten gehört, mag von einigem verschont bleiben, aber auch dieser „Mangel" nagt an manchem tief im Untergrund. Ich erinnere mich gut an eine Mutter, die wirklich verzweifelt darüber war,

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