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Phantastisches Südamerika: Reise in eine fremde Welt
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eBook450 Seiten4 Stunden

Phantastisches Südamerika: Reise in eine fremde Welt

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Über dieses E-Book

Ein einzigartiges Buch, das seinesgleichen sucht.
Der Autor verpackt verrückte Erlebnissen in poetische Bonbons. Nicht irgendwo in Hintertupfingen, sondern auf den heiligen Andenbergen, in der argentinischen Pampa und im Dschungel des Amazonas. Ein ehrlicher, aufregender und tiefgründiger Reisebericht über eine der spannendsten Gegenden der Welt: Südamerika.
Das Tagebuch erzählt lustige Episoden und transportiert überwältigende Sinneseindrücke – garniert mit sprachlichen Pointen und einer Menge Recherche über die einzelnen Themen. So darf beständig gelacht, geschmunzelt, aber auch geweint werden: über Ausbeutung, Sklavenementalität und aufgezwungene europäische Glaubenssätze.
Neben der Beschreibung von großen und kleinen Orten, touristentauglichen Hotspots und gar nicht hotten Spots - die dafür umso interessanter sind -, vereint dieses Buch die Freude der Naturbetrachtung mit der Sozialbeobachtung des Kontinents. Daraus ergibt sich ein vielfältiges Bild der Menschen und ihrer Werte. Die Verweise auf die Heimat des Autors, das schnöde Deutschland, sind komisch bis absurd und nicht weniger herrlich als die südamerikanische Kraft, über die der Autor staunend berichtet, wenn er Vulkane, Sonnentempel und Pflanzen sprechen lässt.
Also los auf die Reise zu Indianerherzen, heiligen Orten, bunten Farben und exotischen Tieren – Verwandlung garantiert!
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum24. Feb. 2014
ISBN9783860402184
Phantastisches Südamerika: Reise in eine fremde Welt

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    Buchvorschau

    Phantastisches Südamerika - Marco Gerhards

    info@interconnections.de

    Vorwort

    HOLA!

    Phantastisches Südamerika – wir kommen! Mit offenen Augen und sauberen Ohren. Und der Absicht, alles schön feierlich für die werte Leserschaft zu notieren.

    Aber Vorsicht! Dies wird kein gemächliches Tagebuch für den offenen Kamin, sondern eine Berichterstattung am schwelenden Feuer. Die folgenden Anekdoten, Geschichten und Kuriositäten wurden auf modernsten Wege nach Hause verschickt: per Email durch das weltweite Wundernetz. Von wegen Einsamkeit des Autors; das sind Nachrichten aus vibrierenden, lauten und zischenden Internet-Cafes. Das heißt auch: es geht zügig voran und gut abgehangene Schachtelsätze bleiben daheim in ihren Schachteln. Hier wird phantasiert, fabuliert und frei Schnauze formuliert, so dass Euch der Schreiber dieser Zeilen ob der donnernden Dichte der Prosa zum Hals raus hängen kann, wie des Hundes Zunge.

    Bis auf weiteres am Äquator zu erreichen ...

    Auf dem Weg nach ...

    Kurz bevor ich mich auf eine Reise begab, schenkte mir ein lieber Mensch ein besonders schönes und edles Notizbuch aus schwarzem Leder von unendlich vielen weißen Seiten, um darin Reisebeobachtungen bündeln und notieren zu können. Auf der Verpackung betonte der Hersteller, dass auch schon Hemingway, Picasso und Chatwin in genau diese Sorte Bücher geschrieben hätten. Na so was! Im Bunde mit großen Abenteuern, Künstlern und Forschern – sitz ich dann auch rauchend in einem Café Straßenlage mit meinem heiligen Notizblock und werde zum unsichtbaren Beobachter, der weder Heimat noch Hilfe sondern nur die Wahrheit finden will?

    Der gleiche liebe Mensch hat nebst dem Geschenk auch eine persönliche Widmung in das Heiligtum gekritzelt, mit der er mich großmütterlich darauf hinwies, stets wachzubleiben. Ich mag Großmütter und solcherart Hinweise, doch was ist eigentlich mit Wachbleiben gemeint? Unbeabsichtigterweise, vielleicht intuitiv sehr wohl beabsichtigt, habe ich es zumindest physiologisch geschafft, die ersten fünfzig Stunden dieses Weges wachzubleiben. Das lag zum einen an der Nervosität in der kurzen Nacht vor der Reise (die ich mit abwechselnder Lektüre von Goethes Götz von Berlichingen und einem Simpsons-Comic-Megapack verbrachte) und ferner an nicht eingeplanten Flugverspätungen, einem daraus notwendig gewordenen Flugumweg und qualvollen Warteschlangen Ecuadors Amts wegen.

    Nach fünfunddreißig dieser fünfzig Stunden hatte ich allerdings bereits verstanden, dass sich die Aufforderung wachzubleiben wohl auf meine physische Conditio Humana, aber nicht auf die Leuchtkraft meiner geistigen Wahrnehmung bezog. Diese, je mehr Zeit verstrich, sank und schwand wie die Sonne, der Du am Abend beim Untergehen zuschaust.

    Immerhin hatte ich genügend Muße, das ein oder andere in das schwarze Heiligtum zu pfeffern, wobei die Extrakte hier nun aufgetischt werden:

    Das erste, was mir ins Auge sprang, waren Toblerone-Schokoladen in der Größe von Fußbällen, die es am Startpunkt Flughafen Zürich zu kaufen gab. Erstaunlich, in welchen Dimensionen handeln kann, wer über entsprechende Devisen verfügt – für mich ein erster Hinweis der Ambivalenz im Vergleich zu weniger entwickelten Ländern? Passend dazu berichtete die mir im Flugschiff freiherzlich überreichte Schweizer Tageszeitung, dass die Kriege im Irak und in Afghanistan die USA 1,6 Billionen Dollar gekostet hätten. Das sind 1600 Milliarden! Kann man sich unter diesen Zahlen etwas vorstellen? Wie viele Tobleronen-Fußbälle kann ich mir dafür kaufen? Und sind überhaupt die Einzigen, die sich drei Kilogramm Schokolade am Stück leisten wollen, diejenigen, die Menschen in politische Ämter wählen, um andere kriegerisch zu bekehren? Huh, ich merkte gleich zu Beginn, das war kein Schülerausflug, bei dem ich von Bäumen und Schmetterlingen berichten werde sondern eine wirtschaftsglobale Katastrophen-Begegnung, die an meinen kommunistischen Adern sog: Süd-Amerika, ich komme!

    Eine weitere nicht zu unterschätzende Nachricht stand ebenfalls im Zürcher Generalanzeiger: Der Kastanienbaum vorm Anne-Frank-Haus musste 150jährig gefällt werden, da der Kronenpilzbefall für die anwohnenden Bürger zu einer nicht mehr kalkulierbaren Gefahr ausgeartet ist. Hmm, ausgerechnet der Baum, so die Zeitungsnachricht, den Anne Frank vom Speicher ihres Verstecks vor den Nazis aus beobachtete und der ihr einen winzigen Schimmer natürlicher Größe und Schönheit offenbarte. Was muss diese Kastanie wohl gefühlt haben? Hat sie die ihr entgegen gebrachte kollektive Memorial-Absicht wahrgenommen? Und was sagen die anderen Amsterdamer Kastanien dazu, die nicht wegen Pilzbefalls, sondern wegen McDonalds, Lidl, Kaufhaus und Betonstraßen gefällt werden?

    Hach, schon wieder so eine Sozialkritik, dabei wollt ich doch eigentlich von der Reise ...

    Also gut, in Madrid hatte ich nun sechs Stunden Aufenthalt, die ich dank Metro in der königlichen Stadt verbrachte und plötzlich vor dem angeblich schönsten und wichtigsten Fußballstadion, dem Bernabeu von Real Madrid, stand. Oh, was für ein Tempel! Allerdings weigerte ich mich, Eintritt zu zahlen, um das leere Stadion von innen in Augenschein nehmen zu können, denn es kostete so viel wie drei Heimspiele des SC Freiburg zusammen. Mehr habe ich von Madrid nicht zu berichten, außer von dem Zwergpinscher am Flughafen, der genau wie ich in das Flugzeug nach Ecuador stieg und exactement die Größe der Toblerone-Schokolade vom Züricher Flughafen hatte. Futtern die in Ecuador eigentlich Hunde?

    Im Flugzeug sah ich kurz nach Sonnenuntergang über den Wolken das gesamte Regenbogenspektrum – die Einzigartigkeit und Schönheit, die uns die Atmosphäre schenkt – in einer derart berauschenden Intensität von Rot, Orange, Grün und Co, dass ich sogar dem anmutigen, zunehmenden Mond, der schützend über diesem Schauspiel prangte, meine Aufmerksamkeit verweigerte. Diese bekam einige Stunden später der Himmelsreiter Orion, dieses wunderschöne, vielfarbige Sternbild samt Beteigeuze, Rigel und Schwert. Da staunte ich ihn von meinem Fensterplatz an und war ganz verwirrt. Der gute Orion lag nämlich schief und quer in der Luft, südlich am Himmel, dazu die Höhe von 10.000 Metern. Ist das wirklich so viel oder ist das völlig unerheblich, wenn einem – unterstützt durch scheinbar fehlende Erdanziehungskraft – wieder einmal die Nichtigkeit, die Zwergenhaftigkeit unseres Planten und der unermessliche Reichtum des Universums auf der anderen Seite gegenübertreten?

    Bevor ich dann meine Füße und den nach oben anschließenden Rest das erste Mal auf südamerikanischen Boden setzte, verlas ich mich noch in Eduardo Galeanos Die offenen Adern Lateinamerikas, einem schmerzhaften Wehgeschrei, einer unbarmherzigen Anklage über die Ausbeutung, die Unterdrückung und die Zerstörung eines Kontinentes, gedemütigt bis zum heutigen Tage durch Europäer und seit 200 Jahren auch durch die Vereinigten Staaten. Das Buch ist fesselnder und aufrührender als viele andere; in seiner Intensität vergleichbar mit „Onkel Toms Hütte"

    Mich beschlich dieses seltsame Gefühl von Traurigkeit und Hilflosigkeit, dass genau jetzt, genau heute, nicht nur Ecuador, sondern auch seine ganzen Brüder und Schwester im gleichen Kontinent, auch in Afrika oder in Asien, als billige Rohstoffquellen und Arbeitsquellen-Plantagen angesehen werden, auserkoren, reiche Wirtschaftsnationen noch mehr zu bereichern. Alle angeblichen Versuche, Gleichheit und Gerechtigkeit zu schaffen, waren und sind ein Alibiverhalten, das der Konsumierende zur psychologischen Reinwaschung verwendet. Ich wär so gerne einmal der 50-Euro-Schein, den Tante Elfriede an Weihnachten immer für Kinder in Afrika spendet. Diese Reise, ich also als 50-Euro-Schein, würde ich gerne in Angriff nehmen, und bin mir sicher, weit würde ich nicht kommen.

    Galeano schreibt völlig zu Recht, dass die meisten Menschen, hören sie von Amerika, an die USA denken und Lateinamerika als Unter- oder Secondhand-Amerika betrachten. Seit der Conquista – er Eroberung – hat dieser Kontinent, ohne gefragt zu werden, alles – wirklich alles – an Arbeitskräften und Bodenschätzen – und davon hat er reichlichst – Europa und den USA gegeben. Das ist sein Verhängnis. Die den europäischen Kindern in jedem Geschichtsbuch, in jeder Fernsehsendung, erzählende Mär großer Entdecker wie Kolumbus, Vespucci oder Magellan, dieses zuckersüße, so beschwerliche und letztlich anscheinend erfolgreiche Abenteuer der Eroberung der neuen Welt, ist eine der scheinheiligsten Fabeln dieser Erde.

    Die momentanen und in der Vergangenheit existenten Terrorregimes lateinamerikanischer Länder sind weniger selbstverschuldete Diktaturen, als stasihafte Zwischenhändler, die ihre eigenen Völker, ganz im Sinne der usurpierten Kapitalismussichtweise, an starke Devisen, Amerikaner und Coca-Cola verkaufen.

    Huch, schon wieder Sozialkritik und noch gar kein Wort verloren über die tollen Tiere der Galapagos-Inseln oder die lustigen Lamahorden, die auf Südamerikas Boden trampeln und atmen. Versprochen: Von den Menschen, ihren Augen, den Tieren und den Pflanzen, beim nächsten Mal.

    Hasta la libertad

    Sonnentor, Bolivien. Alter? 18.000 Jahre!

    Ecuador

    Quito

    Beobachtungen ganz in der Nähe der Mitte der Welt (el mitad del mundo), ungefähr eine Autostunde entfernt.

    Dem Äquator so nahe ist der Mensch der Sonne mehr als andernorts ausgesetzt .Die Höhe von knapp 3000 Metern tut ihr übriges. Täglich kämpft die gelbe Göttin gegen unzählige Wolken, die jeden Tag ein Wechselbad der Temperaturen und meteorologischen Statements erzeugen. Kommt die Sonne am blauen Himmel durch, brennen die Strahlen wie kleine Feuerschwerter auf der Haut, trotz und vor allem ohne Sonnenschutz (Bitte nehmen Sie zumindest anfangs den höchsten Faktor, den Sie kriegen können) wird der Europäer rot, bewegt er sich dabei erkundend durchs Städele, wird er zudem mächtig müde und kaputti.

    Der geringere Sauerstoffpartialdruck (ein hoch anständiges Wort!) sorgt obendrein für stockendes Keuchen. Die geringere Sättigung an Sauerstoff verlangt eine schnellere Atmung und kann erst nach einigen Wochen so ausgeglichen werden, dass man sich nach einem kleinen Anstieg nicht mehr ausgelaugt fühlt. Ganz anpassen können sich Menschen an die Höhe aber nicht. Humanökologisch (ein noch anständigeres Wort!) kann sich Homo Sapiens selbst im höchsten Norden an Kälte sowie in entsprechenden Regionen an Hitze anpassen; Höhe hingegen ist nur begrenzt assimilierbar. Biologisch äußert sich das darin, dass in Städten wie Quito oder La Paz kleinere, weniger resistente Menschen leben, die Säuglingssterberate und die Lebenserwartung, unabhängig von der ökonomischen Situation des Landes, sind vergleichbar schlechter als andernorts auf dieser Welt.

    Bei späten Novembertagen herrscht hier dennoch kein Grund zur Trauer, ganz im Gegenteil: es ist selten, und dann auch nur nachts unter 10 Grad, und tagsüber obsiegt der gelbe Feuerball, so dass man sich bisweilen bei 35 Grad wähnt. Auf fröhliche Sonnentage kann sich hier aber niemand verlassen, so dass bei jedem Außer-Haus-Ritt ein paar weitere Zwiebelschichten mitzuführen sind – denn kommen die Wolken, kommt die Frische.

    Die Augen der Menschen sind abgrundtief dunkel; kleine Sterne leuchten wie funkelnde Diamanten im Zentrum. Blauaugen gibt es nicht, nicht ein einziges Paar, dafür aber eine deutlich wahrnehmbare Vielfalt der hiesigen Population. Neben ursprünglich amerikanischen Völkern, den Indios (über die Hälfte in Ecuador), finden sich die Mischlinge oder Mestizen – entstanden aus Mischbeischlafungen von Einwanderern und Ureinwohnern – und einem nicht zu unterschätzenden Anteil von Schwarzen, oder ganz korrekt: Farbigen, wobei dieser unsinnige Loyalismus hier, wo alles farbig ist, seine ganze Absurdität offenbart. Es ist nicht weiter verwunderlich und auch nicht eigens zu erwähnen, dass die Mestizen in allen ökonomischen und politischen Bereichen den Hauptteil der Macht innehaben. Bettelnde, Kranke, Arme – und davon gibt es hier in dieser Stadt auffällig viele, mehr als in ganz Mitteleuropa zusammen – sind Indios. Schwarze können sich wie überall nur in besonderen Kulturbereichen prädestinieren. So besteht die ecuadorianische Fußballnationalmannschaft fast nur aus Schwarzen.

    Wenn einem die guten, schwarzen Neger so in den Sinn kommen, schweift man unweigerlich wieder in die Sozialkritik ab. Wie soll man auch anders fühlen, wenn man realisiert, dass Afrikaner überall in der Welt deswegen eingebürgert sind, weil sie dort als Sklaven eingeführt worden waren.

    Als man im 17. Jahrhundert auch in Brasilien Gold entdeckte, sorgten die weißen Kolonialherren dafür, dass ein regelrechter Schwarm von Sklaven aus Westafrika in die entsprechenden Bergwerke an der Ostküste Brasiliens verschleppt wurde. Millionen kamen in den Minen um, eine entsprechende Durchschnittslebensdauer wurde mit vier Jahren kalkuliert. Das Einzige, was man ihnen zubilligte, war eine Taufe vor Betreten des Landes. Man verbot ihnen aber in den Kirchen sich auf die jeweiligen Bänke zu setzen, geschweige denn, sich einem Altar zu nähern.

    Nach der Entdeckung der Neuen Welt setzte das euphemistisch verbrämte „Handelsdreieck" ein, das von 1500 bis 1880 (oder bis wann wirklich?) Millionen Menschen aus Afrika in die fruchtbaren Zonen Lateinamerikas schaffte, um sie dort, weil besser ausbeutbar und körperlich kräftiger als die Indios, auf Plantagen schuften ließ. Zucker, Kaffee, Kakao und andere neu entdeckte Reichtümer sorgten dafür, dass ganze Regionen der Monokultur zum Raubbau fielen. Die Karibikinseln sind lebendes Beispiel.

    Noch heute lugen in der Amsterdamer Heerengracht Negerköpfe von einem der alten Häuser hervor – sichtbares Zeugnis des ausbeuterischen Geschäftsinns der Niederländer, eine der führenden Sklavenhändlernationen der frühen Neuzeit. Es ist eine unverkennbare Erinnerung an die Branche, die sie groß gemacht hatte. Sklavenarbeit und -handel bilden die dunkle, unbekanntere Seite des „Goldenen Zeitalters" (Gouden Eeuw). Die ethische Grundlage lieferte der Kalvinismus mit seiner rassisch durchwachsenen Prädestinationslehre. Aus den Negern müsse man die Lendenfäulnis herauspeitschen, denn der Herr im Himmel habe sie erschaffen, dass nur die Knechtschaft ihnen zum Heil gereiche, predigte der kalvinistische Theologe Johan Picardt. Die Lehre beinhaltet, dass Gott den Einzelnen entweder zur Verdammnis oder zur Seligkeit vorbestimmt habe. Das Individuum habe darauf keinen Einfluss. Klar, dass die Sklavenhändler (fast) alle selig werden würden, denn die anderen hatten ja noch nicht mal den rechten Glauben.

    Auch wenn die Rufe nach Abschaffung der rassistischen Zurschaustellung, die jedes Jahr am Abend des 5. Dezember, dem Nikolaustag, in den Niederlanden aufgeführt wird, lauter werden, lässt sich an derlei konventioneller Bürgerromantik nichts ändern. Nein, die Holländer protestierten dagegen, ihrem armen, alten Zwarten Piet den schwarzen Peter zuzuschieben. Wer will sich schon von einer UN-Expertenkommission, die sogar die Abschaffung des Festes forderte, den Spaß verderben lassen? So bleibt es wie es ist: Der Überlieferung nach landete der weiße Bischof Mitte November mit einem Dampfer aus Spanien in den Niederlanden. Er ritt dann auf seinem Schimmel durchs Land in Begleitung seiner Helfer, die „Zwarte Pieten", gewandet in Pumphosen, bunten Jacken und Pagenkappen und mit Feder auf dem Kopf – genau die Kleidung, mit denen reiche holländische Kaufleute ihre schwarzen Sklaven im 17. Jahrhundert ausstaffierten und sich als dekorative Maskottchen hielten.

    Zurück zur südamerikanischen Gegenwart: Wer heute in Ecuador Kaffee oder Kakao kauft, wird miesere Ware bekommen als in Mailand oder Brüssel. Das liegt an einem Logistik-Netz, nach wie vor von Europäern beherrscht, zwar keine Sklaven, aber immerhin Hungerlöhner engagiert, die diese Waren erzeugen. Das ganze Zeug wird nach Europa geschifft, und der Abfall gelangt von dort dann wieder hierher.

    Diese extreme ökonomische Abhängigkeit ist überall in der Stadt spürbar. Stundenlöhne liegen bei rund ein bis zwei Dollar, also siebzig Eurocent! Ein Friseurbesuch schlägt mit einem Dollar zu Buche, in der Bäckerei kann man sich die Tüte mit vierzig Cent richtig vollladen, ein Mittagessen gibt’s für unter einem Euro. Viele fliegende Händler verkaufen anscheinend unnötiges Zeug wie Wäscheklammern, Räucherstäbchen, Bonbons und anderen Kram für wenige Cent auf der Straße. Diejenigen, die es, aus welchen Gründen auch immer, auf der Karriere- und Geldleiter nach oben geschafft haben, ziehen in echte Häuser und leben in, von einer 24-Stunden-Seguriad (Nachbarschafts-Wachen) abgesicherten Vierteln. Die Häuser dort weisen zum Teil obskure Begrenzungen auf. Alle Zäune oder Gitter sind an ihrem oberen Ende mit metallenen Nägeln oder Spitzen bewehrt. Im Mittelalter hätte man gesagt, wer sich hier nähert, wird gepfählt. Besonders sympathisch ist die Idee, in den noch frischen Putz einer hochgezogene Mauer Glasscherbensplitter, sonst nur von Dorfdisko-Pöbeleien bekannt, einzuzementieren, so dass interessierten Einbrecher eine Scherbenreihe erwartet, die schon gedanklich Aua verursacht.

    Weltweit hat sich ja die „Vergatterung, also die Abschottung der Bourgoisie, zu einem Riesengeschäft entwickelt. Diese „gated communities existieren an der Côte d´Azur in Form von Luxusferienhaussiedlungen, als komplette Touristenghettos und richtigen Städten, genau so wie in Bulgarien, Indien oder den USA: Die ganz normalen Wohnquartiere der Reichen.

    Wer Erich Fromms großartiges Buch Haben oder Sein gelesen hat, muss hier dennoch oder gerade deshalb ganz andere Maßstäbe ansetzen. Denn das Haben bedingt das Sein und philosophische Pseudo-Gutherzigkeiten interessieren im Kampf ums Dasein nicht. Können sie auch nicht, wenn der Neunjährige die Schuhe putzt und die Lehrerin die zwei Dollar, die sie sich von Dir geborgt hat, erst zu Ende der Woche erstatten kann, weil es dann Lohn gibt.

    Die Schuhe übrigens müssen besonders schimmern, wenn der Besuch der Kirche ansteht. Das einzige Gold, was die Weißen den Indios gelassen haben, steckt in den unzähligen Kirchen dieser Metropole, eine bezaubernder, schöner, bunter, aufregender und vielfältiger als die andere. Für die Menschen hier scheint Religion unentbehrlich und wichtigster Bestandteil des sozialen Lebens zu sein. Mit 15 Mann auf dem gebraucht gekauften, amerikanischen Pick-Up wird vorgefahren, um dann kollektiv einzutreten. Die Kinder dürfen schreien, spielen, malen und die Musik kommt nicht von der Orgel oder dem tonsierten Eunuchen, sondern schwungvoll von der selbstgespielten Gitarre oder vom CD-Spieler. Im innigsten Gebet klingelt das Handy, das nicht aus Scham abgestellt wird, sondern neben gemurmelten Ritualformen, bearbeitet wird. Die SMS im Ave Maria!

    Ein jeder kommt und geht, wann er will, ein kunterbuntes Durcheinander, herrlich! Wenn da nur nicht diese Anbetung des Leidens wäre ...

    Was auch immer sie tun, sie tun es hier ganz – mit einer Selbstvergessenheit, die an Magie grenzt. Die Diamanten-Augen, egal ob beim Bodenputzen, Maisschälen, Verkehrsregeln, Häuserbewachen, Tanzen, Fußballspielen oder Scherbeneinzementieren sind kraftvoll, lebendig und voller Daseinsenergie. Staunend kann man sich an diesen Augen, die sich ganz und gar der Tat hingeben, ergötzen und das schüchterne Lächeln, das nebenbei erhascht wird, als Geschenk würdigen.

    Komisch, dass so angeblich hochangesehen Persönlichkeiten wie Voltaire (dumme und faule Indianer), Bodin (degradierte Menschen) und Hegel (die körperliche und geistige Impotenz Amerikas ist Europa unterlegen) dieser magischen Kraft des Daseins die Adjudanz verweigerten. Und dass, obwohl doch Papst Paul III. 1537 offiziell bestätigte, die Indianer seien wirkliche Menschen.

    Ja wirklich?

    Neben mir schaffen es zwei junge Mädchen tatsächlich gleichzeitig, das Internet, ihre Handys, eine Zeitschrift und sich selbst per Konservation zu bedienen, so dass ich hocherfreut über die Auswirkungen der Globalisierung bin. Wir sind alle gleich.

    Einen Orden für ...

    Heute verteilen wir einen Orden für ...

    die Ordnung! Und dieser Orden geht nach Deutschland, dem Land der korrekten Angaben, der minutiösen Ausgaben und der geradlinigen Vorgaben.

    Selbst angelsächsische oder skandinavische Länder können da nicht mithalten, was irgendwie auch daran liegt, dass die Baumaterialien leichter und damit anfälliger sind. Den bombastischen Beton, die akkurate Falz und die bündige Leiste: die existieren nur in Karlsruhe und Kassel.

    In Ecuador gibt es das, was auch in Tunesien, Thailand und Turkmenistan anzutreffen ist, nämlich ein Fünfe gerade sein lassen, ein Hauptsache Dach überm Kopf, ein Schulterzucken.

    Das äußert sich in zerstörten Straßen, aufgerissenen Gehwegen, verranzten Blechkarren und vor allen Dingen behelfsmäßigen Behausungen. Das Abklebeband zur akkuraten Malerarbeit kennt man hier nicht; es wird gepinselt, so weit das Auge reicht, und der ein oder andere Strich geht da gerne mal daneben. Fugen im Kachelwerk sind ja gut und schön, aber müssen die alle ordentlich gezogen sein? Und einen Boden legen, egal ob Estrich oder PVC, ist keine Angelegenheit fürs geometrische Raumverständnis, sondern funktioniert wie ein Besuch auf dem Ort der Stille. Fallenlassen, abputzen, abziehen – fühlt sich gut an, muss aber nicht gut aussehen. Der Putz, der Mörtel, die Fassade, die hochgezogene Mauer: sie alle fristen hier ein fragmentarisches Dasein. Hier fällt was runter, da guckt was raus, am liebsten Leitungen für Wasser, Strom und Gas. Kein Anblick für Ästhetiker, schon gar nicht für Silikon-Fanatiker, die mit der Kartusche in der Hand alles zudichten wollen.

    Sollte das jemand in Quito versuchen, er wäre bis ins Jahr 4287 beschäftigt und würde doch nicht fertig, weil in der Zeit so viele neue, unfertige, das lethargische Loch in der Wand vorziehende Wohnungen gebaut würden, dass Kartuschen-Karlo nicht nachkäme und sich vor Gram suizidieren müsste.

    Welche Qualität hinter Ordnung und Sauberkeit, welche hinter Laisser-faire und Praktikabilität steht, kann sich jeder beim nächsten Anblick einer weißen, ordentlichen, fleckfreien Mauer selbst fragen.

    Dass Kartuschen-Karlo durch den massiven Zuwachs an Neuwohnungen zum Suizid gezwungen wird, liegt in erster Linie daran, dass Kinder hier so reichhaltig wachsen und gedeihen wie Äpfel in Tirol. Ein pfiffiger Spaziergang, gerne mit Pfeifliedern garniert, durch dieses oder jenes Viertel Quitos, beschert dem Betrachter mehr Schulen als in einer kompletten deutschen Gemeinde (samt Eingemeindeten). Da streunen und toben sie, lachen und spielen, bestückt mit ihren unterschiedlichsten, aber für ihr Colegio durchaus einheitlichen Schuluniformen (gerne in Jogginghose – gerade für Polen-Sympathisanten ein Augenschmaus) und sorgen für Bevölkerungswachstum, das Mitteleuropa z.Zt. nicht mehr kennt.

    Die guten Kleinen sehen natürlich niedlich aus, weil sie ja gute kleine Kinder sind, und gute kleine Kinder überall niedlich aussehen – muss aber nicht unbedingt heißen, dass sie dadurch besonders brav oder umgänglich seien.

    Vielleicht bewirkt ja auch das Pausenbrot die ein oder andere Aufgedrehtheit, das in der Regel aus Chips, Kleinkuchen oder der Extraportion Milch besteht. Macht Zucker nervös und unruhig? Trifft auch hier der anthropologische Grundsatz zu, je ärmer die Bevölkerung, desto ungesünder die Ernährung, desto weniger bewusst das medizinische Selbstverständnis?

    Jawoll, der Grundsatz tut es, mit Hola und Hallodrioh. Verhältnismäßig viele dicke Menschen, vor allen Dingen Frauen (auch dies eine anthropologische Konstante, als wohlgeformte Herd- und Heimhüterin noch mehr der unbewussten Schlemmerei zugetan), dazu eine offensichtliche Art von Fettleibigkeit (aber deutlich geschmeidiger als hüben unter den metallenen Skylines Europas und der USA) trotz Armut; trotz ungezähltem Straßenhandel und Bestellen von einem Bier in der Kneipe für einen Dollar, das mit nem Fünf-Dollar-Schein bezahlt wird samt einer Viertelstunde aufs Rückgeld warten, weil der Barkeeper erst die ganze Straße nach so viel (!) Wechselgeld abklappern muss.

    Zurück zur Schule: Nestle, die freundliche Schweizer Firma,, die uns auch in Mitteleuropa mit kerngesunden Flocken nährt, und gleichfalls für solcherart Ideen zuständig ist, Milch, Hafer und ein bisschen Honig in den Kühlschrank zu stellen (oii, herauskommt ein Riegel direkt aus Mutter Naturs Busen!), wirbt hier auf einem Monster-Riegel von Zucker und Fett, dem fantastischen Galak (weiße Schokolade mit Smarties! muy dulce!) folgendermaßen: Lo Divertido te comer la leche – das heißt so viel wie, die Freude am Essen von Milch.

    Danke Nestle, für diese Sonderportion Freude! Auf dass wir die Welt verstehen und uns selbst etwas Gutes tun. Und wieder einmal ein Zeichen globalisierter Gleichheit aller menschlichen Herzen. Ich denke mit Lächeln an Milchschnitte, Anke Hubers Zähne und die Weisheit der Weißheit.

    Unvergesslich übrigens das Interview von Erwin Wagenhofer mit Nestle-Chef Peter Brabeck im Film We feed the World. Der Konzern versuchte vergeblich, das Interview im Film zu verhindern, doch der Regisseur hatte sich vorher rechtlich gut abgesichert. Wagenhofer: Meine Hypothese war, wenn ich ihn lang genug sprechen lasse, kommt irgendwann der Punkt, wo er das sagt, was er als Mensch auch wirklich denkt. Und was er wirklich denkt, das kann sich jeder denken, der schon mal Managergehirne hat denken spüren.

    Für diejenigen Naschkatzen, die mal wieder richtig heiß gemacht worden sind: Bei Lidl gibt’s das teutonische Gegenstück, Weiße mit Smarties im 200-Gramm-Bomben-Pack und dazu frisch

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