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Der geheimnisvolle Bannfluch: Buch 1
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Der geheimnisvolle Bannfluch: Buch 1
eBook287 Seiten3 Stunden

Der geheimnisvolle Bannfluch: Buch 1

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Über dieses E-Book

Arun und Gnork haben sich eine Menge Feinde bei ihrem Völkchen, den gnomenhaften, fliegenpilzgroßen Eichnoks, gemacht. Erst die Kräuterweise des Dorfes, bei der sie für ihre Streiche ihre bislang härteste Strafe absitzen, scheint die Dreizehnjährigen in den Griff zu bekommen.
Doch dann führt eine gemeine Intrige zu ihrer Verbannung auf Zeit. Der Kräuterweisen kommt dies gerade recht, denn seit einer Weile wird sie von seltsamen Träumen heimgesucht. Haben diese mit dem mysteriösen Bannfluch zu tun, der die Eichnoks von großen Teilen des Waldes fernhält?
Entschlossen, dieses Rätsel zu lösen, zieht sie heimlich mit Arun und Gnork los. Damit beginnt ein Abenteuer, das das beschauliche Leben der Eichnoks für immer verändert.

Der erste Band der spannenden Eichenwaldsaga.

Altersempfehlung: ab 9 Jahren
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum6. Juni 2016
ISBN9783765021114
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    Buchvorschau

    Der geheimnisvolle Bannfluch - Edgar E. Nimrod

    ...

    Jede Menge Ärger

    Der Eichenwald wirkte trügerisch friedlich so früh am Morgen. In der Nacht hatte es noch einmal kräftig geschneit und die Bäume trugen dicke Kapuzen aus hart gefrorenem Schnee. Ihre bis zum Äußersten belasteten Äste knarrten bedrohlich und auf den glitzernden Eiskristallen am Boden und dem dichten Gestrüpp zwischen den Baumstämmen waren auf den ersten Blick keine frischen Spuren auszumachen. Denn bei diesem eisigen Wind suchten selbst die Räuber des Waldes Schutz in ihren Höhlen und Unterschlüpfen. Nichts schien sich zu rühren.

    Doch wer genau hinsah, konnte zwei Paare kleiner Fußabdrücke erkennen, die sich wie feine Linien mitten durch das Unterholz zogen. Diese Spuren gehörten zu Arun und Gnork, zwei halbwüchsigen Eichnoks. Merkwürdige Geschöpfe, die schon lange vor den ersten Menschen, die sich in der Nähe des Eichenwaldes angesiedelt hatten, im undurchdringlichen Dickicht des Waldes lebten. Bei ihrer geringen Größe war es freilich kein Wunder, dass man ihre Spuren beinahe übersah. Bisher waren sie jedenfalls unentdeckt geblieben. Denn selbst Gnork, der für einen Dreizehnjährigen außergewöhnlich groß und kräftig gebaut war, maß vom Scheitel bis zur Sohle gerade dreizehneinhalb Zentimeter. Mit seinem blassen, runden Gesicht, den wachsamen Augen, der langen, schmalen Nase und dem ziemlich großen Mund war er ein typischer Eichnok. Seine fledermausähnlichen Ohren wedelten unruhig hin und her. Das war immer so, wenn er Hunger hatte. Und Hunger hatte Gnork zu jeder Zeit. Auch das zeichnete ihn als würdigen Vertreter seiner Gattung aus. Eichnoks aßen viel und gern. Entsprechend üppig war meist ihre Erscheinung.

    Der gleichaltrige Arun fiel schon rein äußerlich beträchtlich aus diesem Rahmen. Er reichte Gnork, seinem besten Freund, knapp bis über die Schultern und war von schlanker Gestalt. Seine Ohren waren auffällig klein, bei Weitem nicht so beweglich wie die seines Freundes und sein Teint war von einer kräftigen, dunklen Farbe.

    Die beiden langweilten sich. Der Wind pfiff heute wirklich unglaublich kalt und drang wie unzählige kleine Nadelspitzen selbst durch ihre dicken Jacken. Sehr zu ihrem Ärger waren deshalb noch nicht einmal Eichhörnchen zu sehen, mit denen sie ihren Spaß haben konnten. Mit verdrießlichen Mienen hüpften sie von einem Bein auf das andere, um die Kälte aus ihren Füßen zu verscheuchen. Das konnte ein sterbenslangweiliger Tag werden, dabei hatte doch alles so vielversprechend angefangen. Der Weg vom Dorf zum Unterholz war durch den Neuschnee der Nacht sehr anstrengend gewesen. Arun grinste, als er an das aufgeregte Geschrei dachte, das ihre kleine Aktion gerade verursacht hatte. Der Umweg über Großbürger Rogats protziges Anwesen hatte ihnen zwar den Schweiß in Strömen aus den Poren getrieben, aber er hatte sich gelohnt.

    Arun wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen: Gnork brummte unwillig vor sich hin. Seinem Freund fielen vor Müdigkeit fast die Augen zu und, wie nicht anders zu erwarten, plagte ihn ein gewaltiger Hunger. Immerhin hatte es heute Morgen kein Frühstück gegeben! Dazu waren sie viel zu zeitig aus dem Haus geschlichen. Bei Gnork schlug das unweigerlich auf die Stimmung, vor allem, wenn es wie jetzt nichts zu tun gab. Arun seufzte ergeben.

    »Na gut! Lass uns zurückgehen und bei Bäcker Borke ein paar frische Eichelkekse holen. Ich glaube, heute passiert sowieso nichts Spannendes mehr!«

    Obwohl sie häufig auf das Frühstück verzichteten, wenn sie sich morgens im Unterholz herumtrieben, freute auch er sich bei dieser elenden Kälte auf das warme, süße Gebäck.

    »Endlich kommst du zur Vernunft!« Überraschend behände sprang Gnork auf und seine Laune besserte sich zusehends. »Heute hätte ich es nicht bis zum Mittagessen durchgehalten. Mir hängt der Magen jetzt schon bis auf den Boden. Also los, ab nach Hause! Immerhin hatten wir heute Morgen schon unseren Spaß!«

    Und sie stapften eilig durch den Schnee davon.

    Nach Hause hieß zur Hütte von Gnorks Großmutter Serit. Er lebte seit dem Tod seiner Eltern bei ihr. Ein Wiesel hatte sie bei der Suche nach Kräutern überrascht und getötet und ihn als Baby allein zurückgelassen.

    Arun hingegen war ein Findelkind. Eines Tages war er, in ein glitzerndes Tuch gewickelt, als schreiendes Bündel am Rande des Dorfes unter einer alten Eiche gefunden worden. Obwohl sich viele Geschichten um seine Herkunft rankten, blieb sie bis heute rätselhaft. Viele Dorfbewohner betrachteten ihn daher und wegen seines ungewöhnlichen Äußeren mit Misstrauen. Besonders die Familie des Großbürgers Rogat machte keinen Hehl aus ihrer Abneigung. Aber auch die meisten Jungnoks hielten überwiegend Distanz zu Arun. Leider war tiefes Misstrauen allem Fremden gegenüber eine weit verbreitete Eigenschaft unter den Eichnoks. Zum Glück hatte er Gnork!

    Für Gnorks Großmutter spielten Aruns Herkunft und Andersartigkeit ebenfalls keine Rolle. Sie hatte ihn sofort ins Herz geschlossen, als sie das hilflose Wesen zum ersten Mal gesehen und auf dem Arm gehalten hatte. Sie war viel zu gutmütig, um ihn auszustoßen. Vor allem aber hatte sie ein viel zu weiches Herz. Sie scherte sich nicht um Aruns Hautfarbe und die geringe Größe seiner Ohren. Ihr Motto lautete: »Wo zwei satt werden, werden es auch drei!« Also hatte sie ihn ohne zu zögern ebenfalls bei sich aufgenommen und die beiden Jungen wie Geschwister großgezogen.

    Die Jungs waren ihr ans Herz gewachsen, doch mittlerweile machten sie ihr das Leben ziemlich schwer. Die ganze Zeit steckten sie die Köpfe zusammen und heckten irgendeinen haarsträubenden Unfug aus, der langsam aber sicher das ganze Dorf gegen sie aufbrachte.

    Und dieses Mal hatten sie es wirklich übertrieben. Gut, dass die beiden, viel früher als erwartet, laut polternd zu Hause eintrafen. Normalerweise kamen sie immer erst zur Essenszeit zurück. Gnork zeichnete sich sonst nicht gerade durch Pünktlichkeit aus. Doch was die Mahlzeiten anging, konnte man gewöhnlich die Uhr nach ihm stellen.

    Seit einer guten Stunde wusste die Großmutter, dass sie mit ihnen einen Mistkäfer zu striegeln hatte, wie er größer nicht sein konnte!

    Eines nach dem anderen, überlegte sie kühl. Erst mussten noch einige Dinge im Haushalt erledigt werden, und die ließen sich besser ohne vorheriges Donnerwetter bewerkstelligen. Wer zu früh nach Hause kommt, muss eben auch damit leben, unangenehme Arbeiten zu übernehmen.

    Betont fröhlich rief Großmutter den Ankömmlingen zu: »Schön, dass ihr mir beim Tischdecken und dem Abwasch von meinem Frühstück helfen wollt! Bis ich auf die Beine kam, wart ihr schon entwischt. Welch rührende Hilfsbereitschaft. Damit habe ich nicht gerechnet. Ihr seid eben wahre Goldstücke.«

    Hausarbeit! Betreten schaute Arun Gnork an. Daran hatten die beiden vor Hunger und Kälte nicht gedacht. Dass Großmutter sie Goldstücke nannte, ließ nichts Gutes erahnen.

    Großmutter nickte zufrieden, als sie sah, dass die Jungs ihren Ärger hinunterschluckten und sich ohne Gegenwehr in ihr Schicksal fügten.

    Wenn sie jetzt glauben, gut Wetter machen zu können, liegen sie gründlich daneben, dachte sie und atmete tief durch.

    Arun und Gnork würden ihr blaues Wunder erleben.

    Der Tag blieb grau und eisig, und die Kälte biss jedem, der sich nach draußen wagte, gnadenlos ins Gesicht. Allein schon aus diesem Grund herrschte in Oma Grimas Hütte nicht die beste Stimmung. Der alte Wenk kaute griesgrämig auf seinem trockenen Stück Fladen herum. Er hatte schlechte Laune. Das kam so gut wie nie vor und war deshalb umso bemerkenswerter.

    Nicht genug mit dem Ärger wegen Großbürger Rogats Blattlausherde, dem ursächlichen Anlass seines Besuches bei der Kräuterweisen. Nun trieb ihn die alte Besserwisserin auch noch mit ihrem Lieblingsthema wieder einmal an den Rand der Verzweiflung. Zu allem Elend konnte er seinem Unmut nicht wirklich Luft machen. Der Grund dafür lag in Wenks Größe. Er überragte die meisten Dorfbewohner um mindestens eine Handlänge und brachte es damit auf stolze fünfzehn Zentimeter.

    Oma Grimas Hütte allerdings gehörte zu den bescheidensten Behausungen aller Eichnoks. Sie lag ein gutes Stück außerhalb des Dorfes und duckte sich zwischen zwei knorrigen Wurzeln einer alten Eiche. Das war nicht ungewöhnlich, die Kräuterweise hatte jedoch darauf verzichtet, Teile von Stamm und Wurzelwerk auszuhöhlen und als Wohn- und Stauraum mitzubenutzen. So war alles besonders niedrig und eng, und der Ratsvorsitzende, dieses Amt hatte der alte Wenk seit mehr als dreißig Jahren inne, verspürte den immer unwiderstehlicheren Drang, sich zu strecken. Ja – er brauchte jetzt sofort Bewegung, wenn er nicht vor Zorn aus der Haut fahren wollte. Nicht einmal vernünftig auf und ab gehen konnte er!

    Seine sonst so verschmitzten Augen schauten immer missmutiger unter den langen grauen Haaren hervor und die Lippen waren nur noch schmale Striche. Keine Spur mehr von dem sonst so gutmütigen Lächeln. Der alte Wenk hatte richtig schlechte Laune!

    »Grima, du weißt genau, ich werde das nicht zulassen!«, knurrte er nur mühsam beherrscht und ballte die Fäuste. »Das Risiko ist viel zu groß! Ich will nicht, dass jemand zu Schaden kommt! Erst recht nicht wegen einer solchen Nichtigkeit! Also bitte, kein Wort mehr darüber!«

    »Red keinen Unsinn!« Die Hände resolut in die Hüften gestemmt, sah ihn Oma Grima herausfordernd an. Sie war mindestens zwei Köpfe kleiner als der Ratsvorsitzende. Doch trotz ihrer körperlichen Unterlegenheit war sie eine Respekt einflößende Erscheinung mit kleinen, stechenden Augen in einem von tiefen Falten durchzogenen, schmalen Gesicht. Oma Grimas Gestalt war eine einzige Kampfansage an das Alter, von Gebrechlichkeit keine Spur. Obwohl sie erheblich älter als der Ratsvorsitzende war, konnte man ihre Energie deutlich spüren. Wer sie wie ein altersgebeugtes Mütterchen behandelte, erlebte postwendend eine unliebsame Überraschung.

    »Du benimmst dich so kindisch wie all diese Großmäuler im Dorf!« Die Kräuterweise verzog geringschätzig den Mund. »Und außerdem: Seit Jahrzehnten war niemand mehr dort! Woher willst du also wissen, dass es gefährlich ist? Das sind doch nur Ammenmärchen aus alten Tagen! Wer kennt schon die Wahrheit? Den alten Quellen zufolge gibt es eben nur dort solche Mengen an Flaumfedern und weichen Daunen, wie wir sie für den neuen Ratsumhang brauchen!« Ihre Augen sprühten vor Begeisterung.

    »Nein! Nein! Nein!« Wenk hämmerte wütend mit den Fäusten auf die Tischplatte. Dann sprang er mit einer heftigen Bewegung auf. »Genug ...!«, weiter kam er nicht. Ein lautes Krachen, dann wurde ihm schwarz vor Augen und ein dumpfer Schmerz durchfuhr ihn.

    Oma Grimas Hütte war nicht nur sehr niedrig, sondern auch noch vollgestopft mit Tiegeln, Töpfen und anderen Gerätschaften auf unzähligen Regalen an den Wänden. Nicht zum ersten Mal hatte Wenk sich heftig den Schädel daran gestoßen. Oma Grima bewahrte hier Kräuter und all die anderen nützlichen Dinge auf, die sie zur Behandlung großer und kleiner Beschwerden der Dorfbewohner benötigte. In all den Jahren war sie als Kräuterweise zu einer geachteten, aber auch gefürchteten Institution geworden. Niemand wagte es, ihren Diagnosen zu widersprechen. Auch wenn angesichts eines grauenvoll riechenden Kräutersuds Bauchschmerz oder Zahnweh urplötzlich verschwanden oder nachließen, musste man den angebotenen Becher austrinken. Niemand wollte einen ihrer berüchtigten Wutanfälle auslösen, den offener Widerspruch unweigerlich nach sich zog. Daher ging man nur zu Oma Grima, wenn es unvermeidlich war, und nicht etwa, um ein Schwätzchen zu halten. Das war ihr nur recht.

    Wenk verkniff sich eine Bemerkung. Er wusste, die störrische Alte wartete nur darauf. Den Gefallen tu’ ich ihr ganz sicher nicht, dachte er, während er die Zähne zusammenbiss, still vor sich hinfluchte und den Schmerz unterdrückte. Und wehe, sie macht sich über mich lustig!

    Oma Grima musste sich ein Lachen verkneifen. Genau genommen schätzte sie den alten Wenk. Ihm gegenüber hätte sie das aber niemals zugegeben. So weit ging ihre Bewunderung auch wieder nicht. Zumal der Ratsvorsitzende in mancherlei Hinsicht ähnlich abergläubisch war wie alle anderen Dorfbewohner. Besonders, wenn es um die dunkle Ruine ging.

    »Kindsköpfe! … Große Kindsköpfe!«, murmelte sie und dachte dabei an die Vorfälle, die heute früh zu einem mittleren Aufruhr im Dorf geführt hatten. »Was für ein Glück, dass ich ein ganzes Stück außerhalb wohne. Als gäbe es nichts Bedeutenderes im Leben der Eichnoks als ein paar entlaufene Riesenblattläuse, auf deren Zucht unser Großbürger so übermäßig stolz ist! Da kann sich Rogat, der Wichtigtuer, wieder einmal so richtig aufblasen!«

    Oma Grima schüttelte den Kopf. Dieser Vorfall bescherte ihr zwar unverhoffte Unterstützung, doch im Moment war es ihr wichtiger, ein vernünftiges Ergebnis mit dem Ratsvorsitzenden zu erzielen. Bisher kam sie kein Stückchen voran und das machte sie wütend. Die Kräuterweise konnte es nicht ausstehen, wenn jemand nicht ihrer Meinung war, das führte nur zu unnötigen Komplikationen!

    Mitleid heuchelnd tätschelte sie Wenk den Arm. »Tut mir leid, dass dir meine Hütte immer wieder solche Unannehmlichkeiten bereitet. Setz dich hin. Ich mach uns erst einmal einen frischen Kräutertee.«

    Während Arun und Gnork den Abwasch erledigten, saß Großmutter am Tisch und schaute den beiden eine Weile schweigend zu, dann räusperte sie sich.

    »Gestern Abend war die Blattlausherde von Großbürger Rogat noch friedlich in ihren Stallungen. Heute früh, kurz nachdem ihr weg wart, gab es dort ein Riesengeschrei.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. »Das Gatter stand weit offen; die Läuse hatten das Weite gesucht und es sich in den umliegenden Büschen gemütlich gemacht. Rogat und seine beiden Söhne sind bestimmt immer noch dabei, alle wieder einzufangen. Heute gibt es sicher keinen Blattlaussirup zu melken. Der Großbürger rechnet mit einem bedeutenden Ernteausfall und schwört Stein und Bein, dass er am Abend das Gatter nochmals kontrolliert hatte.« Kopfschüttelnd fügte sie hinzu: »Das ist alles sehr seltsam. Findet ihr nicht?«

    Arun wurde es ganz flau im Magen. Sie wusste doch nicht etwa ...? Aus den Augenwinkeln sah er, dass auch Gnork kreidebleich geworden war.

    »Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie froh ich darüber bin, zwei brave Jungs wie euch zu Hause zu haben. Jungs, die kein Wässerchen trüben können! Etwas beunruhigt war ich natürlich schon, als ich im Morgengrauen zwei Schatten in Richtung von Rogats Haus davonschleichen sah. Aber ich sagte mir – nein, das können unmöglich Arun und Gnork sein. So etwas machen die beiden nicht!«

    Zum Waldschrat! Das hörte sich gar nicht gut an. Arun lief es jetzt heiß und kalt den Rücken hinunter. In diesem Moment wusste er, ihr Streich war aufgeflogen. Großmutter ließ sie zwar noch ein wenig zappeln, aber – woher auch immer – sie wusste offensichtlich über alles Bescheid!

    Gnork stand da wie gelähmt, mit zusammengekniffenem Mund, entsetztem Blick und einem tropfenden Teller in der Hand.

    »Warum trocknest du denn nicht weiter ab, liebster Gnork, du größtes aller Goldstücke? Du hast ja schließlich nichts zu befürchten. Oder ...?« Großmutters Stimme klang jetzt messerscharf: »Und du auch nicht, Arun! Ihr habt doch nicht etwa irgendetwas mit diesem ärgerlichen Vorfall zu tun?«

    In der kleinen Hütte herrschte plötzlich eine Stimmung wie kurz vor einem heftigen Gewittersturm. Dieser Gewittersturm brach genau in diesem Moment los.

    »Glaubt ihr denn, ihr könnt euch alles erlauben? Bei euren bisherigen Streichen habe ich beide Augen zugedrückt. Aber das hier geht entschieden zu weit! Heute habt ihr das Fass zum Überlaufen gebracht!«

    Zornig warf Großmutter Gnorks Feldmesser auf den Tisch: »Hier, du Schlauberger! Wenn ihr schon etwas anstellt, lasst nicht auch noch Dinge dort liegen, auf denen groß und breit euer Name steht. Mit Wenks Hilfe konnte ich gerade noch verhindern, dass wegen eurer idiotischen Aktion eine Ratsversammlung einberufen wurde. Aber glaubt bloß nicht, dass ihr ungeschoren davonkommt! Was habt ihr euch nur dabei gedacht? Ich habe Rogat und seiner Frau Sioga in die Hand versprechen müssen, dass ihr angemessen bestraft werdet.«

    In der kurzen Pause, in der Großmutter Atem holte, um sich etwas zu beruhigen, herrschte entsetztes Schweigen, und Arun schlug das Herz bis zum Hals.

    »Zuerst dachte ich, ihr könntet ihnen beim Einfangen und später bei der Pflege der Blattläuse helfen. Ich glaube aber, das ist keine gute Idee. Haltet euch die nächsten Wochen besser vom Großbürgerhaus fern. Die kriegen dort alle schon einen Ausschlag, wenn sie nur eure Namen hören.« Sie verzog gequält die Mundwinkel.

    Viele der Eichnoks konnten Rogat und Sioga mit ihrem überheblichen Getue nicht ausstehen. Die beiden bildeten sich zu viel auf ihren Titel ein. Großbürger! Diese Ehrenbezeichnung stand dem reichsten Dorfbewohner zu und beinhaltete keine tatsächliche Macht. Doch die beiden taten immer sehr wichtig und nutzten in den Ratsversammlungen jede Gelegenheit, ihre ureigensten Interessen durchzusetzen. Dabei half ihnen leider oftmals der Umstand, dass die meisten Eichnoks auf die Arbeit in ihren Plantagen mit den großen Pilz- und Kräuterkulturen angewiesen waren. Zumindest diejenigen, die nicht wie Bäckermeister Borke oder Gewandschneider Albo ihrem eigenen Gewerbe nachgingen. Kurzum, die ganze Sippschaft war im Dorf nicht sonderlich beliebt. Das änderte aber nichts daran, dass diesmal sogar der alte Wenk der Meinung gewesen war, dass die Jungs mit ihrem letzten Streich erheblich überzogen hatten!

    Großmutter fuhr deshalb sehr ernst fort: »Dann kam mir ein ganz anderer Gedanke. Der stimmte am Ende auch Rogat etwas versöhnlicher. Doch darüber sprechen wir später. Das Essen ist fertig!«

    Als Arun und Gnork keine Anstalten machten sich zu rühren, fauchte sie die beiden an: »Los, deckt gefälligst den Tisch und zwar ein bisschen plötzlich! Nachtisch gibt es heute natürlich keinen. Eine Belohnung habt ihr euch wirklich nicht verdient.« Sie schlug mit der Hand auf den Tisch: »Bewegt euch!«

    Mit einem Schlag wurde Arun alles klar. Deshalb hatte Frau Borke vorhin so überaus freundlich gegrinst ... Das alles verhieß nichts Gutes. Vielleicht hatten sie dieses Mal wirklich übertrieben.

    Am Tisch herrschte bedrücktes Schweigen. Gnork saß wie ein Häufchen Elend in sich zusammengesunken auf seinem Stuhl. Ausgerechnet das Feldmesser musste er bei Rogat verlieren! Arun schüttelte resigniert den Kopf. Gnork hatte noch nicht einmal bemerkt, dass er das Messer verloren hatte. So dämlich konnte man doch gar nicht sein!

    Passend zur Stimmung gab es einen dicken Waldkräutereintopf. Den konnte keiner der beiden ausstehen. Wobei im Moment wohl auch Baumpilzpfanne mit Löwenzahnwurzelsalat nicht auf Zustimmung gestoßen wäre, obwohl das ihr Leibgericht war.

    Endlich zog Großmutter ihnen die Teller weg und baute sich mit verschränkten Armen vor ihnen auf.

    »So, und jetzt zu eurer Strafe. Wie ich schon sagte, ist es besser für euch, in nächster Zeit nicht in der Nähe des Großbürgerhauses aufzutauchen. Andere Bewohner des Dorfes haben hingegen nichts gegen eure tatkräftige Unterstützung einzuwenden.«

    Gespannt schauten sich Arun und Gnork an. Bisher klang alles gar nicht so schlimm. Vermutlich mussten sie Bäckermeister Borke in der Backstube zur Hand gehen. Vielleicht fiel dabei sogar ja das ein oder andere Eichelgebäck für sie ab. Oder sie sollten bei Gewandschneider Albo Federn und Gräser sortieren. Damit konnte man eine Menge Spaß haben. Ob Meister Albo das auch so sah, war jedoch eine andere Sache. Bei diesem Gedanken schlich sich Arun schon wieder ein Grinsen ins Gesicht, was er jedoch sofort bereute.

    »Dir wird das Lachen gleich vergehen!«, blaffte Großmutter ihn an. »Ich glaube, ihr habt den Ernst eurer Lage immer noch nicht begriffen!« Mit zusammengekniffenen Augen musterte sie Arun: »Ich kann mir schon denken, warum du gegrinst hast. Ich habe aber von Strafe gesprochen, nicht von Belohnung.«

    Der scharfe Tonfall ließ ihn zusammenzucken. Liebe Güte, so aufgebracht hatte er Großmutter wirklich noch nie erlebt.

    »Oh nein, so leicht, wie ihr vielleicht geglaubt habt, kommt ihr diesmal nicht davon!« Ihre Augen glitten vom einen zum anderen. Nervös rutschte Arun auf seinem Stuhl herum, bis Großmutter schließlich mit der Sprache herausrückte. »Ihr werdet in den nächsten drei Wochen Oma Grima beim Kräutersammeln und bei allen anderen Arbeiten, die dabei anfallen, helfen. Zeit genug habt ihr ja dafür. Schließlich sind noch Schneeferien. Eis schlittern oder andere Vergnügungen könnt ihr euch natürlich abschminken.« Mit ungläubiger Miene hörte Arun Großmutter Serit hinzufügen: »Der alte Wenk hat euch bereits für morgen früh um sieben Uhr bei Oma Grima angekündigt. Und glaubt mir, sie duldet keine Verspätungen! Zum Abendbrot dürft ihr dann wieder nach Hause kommen.«

    Inzwischen hatte sich der alte Wenk etwas beruhigt und Oma Grima fand, dass man nun wieder vernünftig mit ihm reden konnte.

    »Dir ist doch auch klar, dass kein Ratsvorsitzender je ohne festlichen Ratsumhang geehrt wurde. Der alte war schon bei deiner Amtseinführung in einem jämmerlichen, inakzeptablen Zustand. Erst recht bei einem Anlass wie deinem neunundneunzigsten Geburtstag solltest du standesgemäße Kleidung tragen.« Sie schmunzelte selbstgefällig. »Damit bist du nach mir der älteste lebende Eichnok.«

    Diese Schmeichelei verpuffte wirkungslos. Nach wie vor fixierte der Ratsvorsitzende die Kräuterweise mit entschlossenem Blick und schwieg weiterhin eisern. Sie ließ sich davon allerdings nicht aus dem Konzept bringen.

    »Freu dich doch einfach darüber, dass man dir so viel Sympathie entgegenbringt. Kleiderfragen überlässt du am besten anderen, … zum Beispiel mir!«

    »Was gibt es denn an dem alten Ratsumhang auszusetzen?« Der alte Wenk kochte vor Ärger, er konnte Oma Grimas Selbstherrlichkeit nicht ertragen. »Wie meine Vorgänger war auch ich bisher mit dem Umhang zufrieden. Einen neuen Umhang anzufertigen, halte ich für mehr als überflüssig. Erst recht, wenn damit ein unkalkulierbares Risiko verbunden

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