Karlsruher Befindlichkeiten: Amüsantes und Satirisches. Kurzgeschichten
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Über dieses E-Book
Was sie verbindet, ist der Bezug zu Karlsruhe und den Karlsruhern. Aus verschiedenartigen Mosaiksteinen entsteht so ein liebevoll gestaltetes Bild zum dreihundertjährigen Stadtjubiläum - und darüber hinaus. Skurille Überfälle in der "Karlsruher Sauhatz". Groteske Rechtspflege in der "Residenz des Rechts". Ein Loblied auf den "Südstadt-Indianer". Jede Geschichte nimmt eine Facette Karlsruhes aufs Korn.
Von einem Karlsruher für Karlsruher über Karlsruher.
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Buchvorschau
Karlsruher Befindlichkeiten - Hans-Peter Kipfmüller
Das Buch
Die »Karlsruher Befindlichkeiten«, eine Sammlung satirischer Kurzgeschichten, manchmal ernst, meist aber heiter. Sie reichen vom realen Vorkommnis bis zur versponnenen Erzählung, vom Kurzkrimi bis zur Glosse.
Was sie verbindet, ist der Bezug zu Karlsruhe und den Karlsruhern. Aus verschiedenartigen Mosaiksteinen entsteht so ein liebevoll gestaltetes Bild zum dreihundertjährigen Stadtjubiläum – und darüber hinaus. Skurrille Überfälle in der »Karlsruher Sauhatz«. Groteske Rechtspflege in der »Residenz des Rechts«. Ein Loblied auf den »Südstadt-Indianer«. Jede Geschichte nimmt eine Facette Karlsruhes aufs Korn.
Von einem Karlsruher für Karlsruher über Karlsruher.
Der Autor
Hans-Peter Kipfmüller, 1948 in Speyer geboren, lebt seit 1952 in Karlsruhe. Während seines Bauingenieur-Studiums an der TU Karlsruhe war er als freier Mitarbeiter bei den Badischen Neuesten Nachrichten tätig. Derzeit arbeitet er den Nachlass der Frauenrechtlerin Dr. Dr. Bertha Kipfmüller (1861–1948) am Institut für Geschichte von Prof. Dr. Sabine Liebig an der PH Karlsruhe auf.
Hans-Peter Kipfmüller
Karlsruher
Befindlichkeiten
...
AMÜSANTES UND SATIRISCHES
Kurzgeschichten
Impressum
Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.
© 2016 Der Kleine Buch Verlag, Karlsruhe
Projektmanagement, Korrektorat, Satz & Layout: Beatrice Hildebrand
E-Book Konvertierung und Formatierung: Angela Hahn
Umschlaggestaltung: röger & röttenbacher GbR, r2 | Büro für Gestaltung,
www.roeger-roettenbacher.de
Umschlagabbildung: suze / photocase.com
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes (auch Fotokopien, Mikroverfilmung und Übersetzung) ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt auch ausdrücklich für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen jeder Art und von jedem Betreiber.
E-Book ISBN: 978-3-7650-2122-0
Dieser Titel ist auch als Printausgabe erschienen:
ISBN: 978-3-7650-9101-8
derkleinebuchverlag.de
www.facebook.com/DerKleineBuchVerlag
Sonia Lauinger gewidmet
Inhaltsverzeichnis
Impressum
AUS DER RUHE WÄCHST DIE KRAFT
KARLSRUHER SAUHATZ
DER GEISTERGARTEN AN DER ALB
DER ELEKTRISCHE BEICHTSTUHL
GRÜSSE AUS DER SOZIALEN HÄNGEMATTE
WEISSKITTEL EN MASSE
UNTER DER TEUFELSMÜHLE
RESIDENZ DES RECHTS
DIE WEIDE
DIE HUNDEPRÄMIERUNG
KULTURNÄCHTE
KURZSPRACHE
EMPATHIESATOR
DAS WUNDERMITTEL
DER TINTENFISCH
SÜDSTADT-INDIANER
TRITTSTEINE
DIE SCHEMENMALERIN
DIE KARLSRUHER ANTWORT AUF PISA
EIN REVOLUZZER SIEHT ROT
DIE KRAFT DER LEICHTEN FEDER
PING
BERUFSPAUSE
GEDÄCHTNISKIRCHE
TECHNIKLANDSCHAFT
WAS ZÄHLT?
UMWELTSCHUTZ
KONDITIONIERUNG AUF …
DER BEFREITE SCHMETTERLING
DER ZEN-GARTEN
FETT WEG
HAUSFRAUENTRAUM
KARLSRUHER BEFINDLICHKEITEN
SCHWÄBISCH-BADISCHE BEFINDLICHKEITEN
EIN PYRENÄENHUND IN KARLSRUHE
DICHTUNG UND WAHRHEIT
DANKSAGUNG
300 x Karlsruhe
Kinderzeit
AUS DER RUHE WÄCHST DIE KRAFT
Pssst, bitte nicht stören! Markgraf Karl ruht und erträumt Karlsruhe. Er schläft mitten im urwüchsigen Hardtwald und träumt von einem neuen Schloss samt Park mit hunderttausenden Tulpen und von einem Theater, in dem seine Rokokokokotten auftreten. In angemessener Entfernung vom Schloss soll eine moderne Stadt entstehen, deren Straßen fächerartig auf den Schloss-turm zulaufen, genau auf die Stelle, wo er jetzt ruht. Hinter dem Schloss soll der wohlgeordnete Park in die Wildnis übergehen. Karl liebt die Vielfalt, den Kontrast und sieht darin das große Ganze, die Fülle des Lebens.
Die Ruhe, die Kontemplation schenkt ihm die Kraft, seine Träume zu verwirklichen. Die Stadt, das Schloss, die Parkanlagen entstehen. Er vereint in sich die ausschweifende barocke Sinnlichkeit mit kühlem Sachverstand. Aus dem Nichts schafft er seine Residenzstadt, aus der überkommenen korrupten Misswirtschaft in seiner Grafschaft wird die vorbildliche badische Verwaltung.
Der Markgraf durfte die Verwirklichung seines Traums erleben. Die ewige Ruhe fand er, nachdem ihn inmitten der Schönheit seiner Tulpenbeete plötzlich der Schlag getroffen hatte.
Auch heute, nach dreihundert Jahren, haben die Karlsruher ein ganz spezielles Ruhebedürfnis: Es resultiert aus der dumpfen Schwüle der Rheinebene. Diese betäubende Müdigkeit befällt uns je nach Wetter und Konstitution tage- oder wochenlang. Die Wetterschwankungen haben erhebliche Auswirkungen auf unsere seelische Verfassung. Wer gestern noch bienenfleißig war, ist heute von bleierner Trägheit und umgekehrt. So entstehen die ganz speziellen Karlsruher Befindlichkeiten.
Welche der nachfolgenden Geschichten der Wirklichkeit entsprechen und welche sich womöglich der Karlsruher Schwüle verdanken, steht im Kapitel »Dichtung und Wahrheit«.
KARLSRUHER SAUHATZ
Alarm im Polizeirevier Karlsruhe-Rintheim!
Hauptwachtmeister Dehlitzsch hörte Geschrei vor der Wache. Bevor er seine Siebensachen beisammen hatte, um nachzusehen, was da los war, kam ein Maskierter zur Tür herein. Er hatte einen blauen Müllsack über den Kopf gezogen. Zwei Löcher ließen weit aufgerissene Augen erkennen, in denen sich Aufregung, ja Panik spiegelte. Ein Verrückter? Ein Attentäter? Oder hatte der Kerl sich verlaufen? Statt die benachbarte Sparkasse zu überfallen, drang er nun ausgerechnet ins Polizeirevier ein?
Hauptwachtmeister Dehlitzsch fuhr von seinem Schreibtischstuhl hoch und riss das Pistolenhalfter auf. Gleichzeitig sauste der Stuhl auf seinen vier Rollen zurück, Dehlitzsch verlor mitsamt seinem Gleichgewicht auch seine Dienstwaffe sowie seine Fassung und ging hinter dem Tresen zu Boden. Dort ergriff er seine Waffe, tauchte langsam auf und peilte – vorsichtig zwischen einem Aktenstapel und dem Computerbildschirm hindurchlugend – die Lage.
Der Kerl war inzwischen noch ein Stück näher gekommen mit seinen merkwürdig kleinen Trippelschrittchen. Das lag wohl am Müllsack, der in Höhe der Kniekehle zusammengebunden war. War der Kerl bewaffnet? Seine Hände waren vom Müllsack verdeckt.
»Halt!«, schrie Dehlitzsch. »Umdrehen! Gesicht zur Wand!«
Der Müllsackmann drehte sich wie ein schlecht justierter Roboter in etlichen Hundertstel Drehungen zur Wand. Mit profihafter Vorsicht entfernte der Hauptwachtmeister den Sack, während sein aus dem Nebenraum herbeigestürzter Kollege mit schussbereiter Waffe sicherte.
Kowalek! Unbekannte hatten sich dem Rentner hinterrücks genähert, ihm ratz-fatz den Müllsack über den Kopf gezogen und unten zugebunden.
Kowalek machte keinen guten Eindruck auf die Beamten. Er hatte ölig-fettige, unfrisierte, seit einer Ewigkeit nicht geschnittene Haare, war unrasiert und sein stark behaarter Oberkörper nackt. Ästheten würden einen solchen Anblick der Öffentlichkeit nicht zumuten.
Die Idee, so etwas schamhaft zu verhüllen, schien auch der Polizei plausibel. Eine Anzeige wollte sie nicht aufnehmen solange er sich nicht ausweisen konnte. Wo hätte er auch einen Ausweis unterbringen können? Er trug lediglich schlabbrige, schlafanzughosenähnliche und daher taschenlose Leggins mit Hosenträgern; seine unbestrumpften Füße steckten in ausgelatschten hell- und dunkelbraun karierten Filzhausschuhen. Da er außerdem mal wieder stark alkoholisiert war, schickte man ihn mit dem Tipp nach Hause, sein äußeres Erscheinungsbild vorteilhafter zu gestalten, um ähnlichen Misshelligkeiten wie heute aus dem Weg zu gehen.
Nur einen Tag später meldete das Polizeirevier Innenstadt eine Körperverletzung. Unbekannte hatten im Schlosspark den 59-jährigen Heinrich Brechtel angegriffen, ihm dessen rote Baseballkappe über die Augen gezogen und mit Ölfarbe einen dazu passenden, fußballgroßen, roten Punkt auf den Bauch gepinselt, während er um freie Sicht kämpfte. Die herbeigerufene Streife nahm zu Protokoll, dass Brechtel sauwütend war, weil seine voluminöse Körpermitte zwischen Hosenbund und Unterhemd derart hervorquoll, sodass die rote Ummalung des Nabels nicht vor den Augen der zahlreichen sonntäglichen Besucher verborgen werden konnte. Ein Oberhemd zum Bedecken dieser Blöße trug er nicht. Spuren: keine – außer der roten Farbe natürlich.
Wieder einen Tag später wurde dem Polizeirevier Marktplatz eine Messerattacke angezeigt. Betroffen war ein Radfahrer der – übrigens verbotenerweise – mit seinem Rad den Marktplatz überquerte. Da er stark damit beschäftigt war, keine Fußgänger umzufahren, konzentrierte sich seine Aufmerksamkeit nicht nach hinten, wo er plötzlich ein reißendes Geräusch vernahm und ein Kratzen am Po verspürte. Abgestiegen musste er feststellen, dass seine eng die Haut überspannenden, papageienfarbig gemusterten Radlerhosen hinterrücks so aufgeschlitzt waren, daß er seine Fahrt nicht fortsetzen konnte, ohne sein blankes Gesäß der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der quer darüber verlaufende, angebliche Messerschnitt erwies sich bei näherem Hinsehen als harmloser Kratzer. Der oder die Täter konnten ungesehen in der Menge verschwinden.
Es war eine Serie. Fast täglich veröffentlichte die lokale Zeitung Badische Neueste Nachrichten, kurz BNN genannt, neue Überfälle. Ein Halbwüchsiger, der soeben ausführlich auf den Boden der Kaiserstraße gespuckt hatte, weil er das für männlich-cool hielt, spürte plötzlich, wie ihm jemand von hinten auf die Schulter tippte. Als er sich reflexartig umdrehte, konnte er nicht erkennen, wer es war, denn er bekam zwei wohlgezielte Ladungen Spucke, genauer: Kautabaksauce, auf die Augen geklatscht. Einer im dichten Samstagsgedränge des Kaufhauses Peek & Cloppenburg unbekümmert um das Bekleckern ihrer Mitmenschen Eis schleckenden Dame wurde von hinten eine Familienpackung Langnese-Eiscreme in die Bluse geschoben, allerdings ohne Verpackung. Stark tropfend und vor Kälte und Empörung zitternd, brachte sie eine Sachbeschädigung zur Anzeige. Vom vermutlichen Täter hatte sie nur ein Kichern gehört.
Aber vorzugsweise traf es Männer. Gleich mehrere Fälle hochsommerlicher Parfümüberschüttungen wurden bekannt. Zeugen bekundeten einhellig, dass die Betroffenen vor der Attacke entschieden ungut rochen. Hinterher waren sie zwar wegen des übertrieben aufdringlichen Odeurs auch nicht wirklich gut zu riechen, aber die ursprüngliche, sehr rustikale Duftnote war doch übertönt worden.
Die BNN füllte ihr Sommerloch auf unterhaltende Weise. Die Redakteure berichteten mit einem gewissen Augenzwinkern. Es blieb ja alles in einem gewissen harmlosen Rahmen. So wurde im Hardtwald der Jogger Kleinmann in ein Dickicht gezerrt. Gesehen hat er nichts, denn auch er bekam einen Sack über den Kopf gezogen. Als er sich unter erheblicher Anstrengung davon befreit hatte, fand er sich mitten auf dem Trimm-Dich-Pfad wieder. Empört schilderte er den Überfall einer Walkinggruppe energischer Damen, die – was ihm anfangs unerklärlich war – zunächst eine drohende Haltung eingenommen hatte. Irritierend fand er auch, dass sie ihm so unverwandt auf seine Joggerhose schauten, wo sich, was er für den Sport in Kauf nahm, im Schritt alles überdeutlich abzeichnete, was einen Mann so auszeichnet. Doch heute brauchte er sich deswegen keine grauen Haare wachsen zu lassen, denn alles war züchtig verhüllt worden, mit einem Ballettröckchen – auch Tütü genannt –, das mit Schnellkleber eine unlösbare Verbindung mit dem Kunststoff seiner Jogginghose eingegangen war. Eine Frage von geradezu Shakespearescher Dramatik erhob sich: War’s besser für sein Gemüt, den weiten Weg zum Auto im Tütü zurückzulegen oder sollte er sich den weißen Hauch von Seide mit der nur zu wahrscheinlichen Folge herunterreißen, dass auch die Jogginghose auf peinliche Weise entzwei gehen und er für einen Sittenstrolch gehalten werden würde?
Nachdem sich die Walkinggruppe in bemerkenswert guter Laune entfernt hatte, beschloss er, den Rückweg durch das Unterholz anzutreten. Im Kampf mit Brombeerranken übersah er eine Spaziergängerin, die ein – wie sie zu recht denken durfte – uneinsehbares Plätzchen aufgesucht hatte. Die Dame verfügte über ein Handy mit Fotofunktion und so war die Polizeistation Waldstadt Sekunden später im Besitz einer E-Mail mit dem Abbild eines seriösen Herren mit korrekt gescheiteltem, graumeliertem Haar, äußerst körpernahem, neongrün changierendem Oberteil und einem eher befremdlich wirkenden Tütü darunter.
Auf der Wache hatte Kleinmann dann erheblichen Erklärungsbedarf. Die verstörte Dame sah erst dann von einer Anzeige ab, als sie die äußerst schmerzhafte Loslösung des Tütü miterlebte und dabei nicht ohne Genugtuung zur Kenntnis nahm, wie kraftvoll der Alleskleber die Verbindung der Textilien mit der Haut hergestellt hatte. Sie wandte sich mit Schaudern um und nahm die Sache nun mehr von der heiteren Seite.
Die ohnehin nur halbherzig durchgeführten Ermittlungen verliefen im Sande. Aber aus alter Gewohnheit legte ich eine Sammelakte an. Man weiß ja nie, was noch alles kommt; außerdem ist das Sammeln kurioser Fälle mein Hobby.
Den Nächsten erfuhr ich aus den BNN. Beim Verlassen der St. Stephans Kirche, die sie zum Sightseeing besucht hatten, war den Eheleuten Katsch von hinten blitzschnell etwas um den Hals gelegt worden, worauf hin sie sich nur noch stark eingeschränkt bewegen konnten. Auf ihr Schreien hin brach die Menge in lautes Gelächter aus. Die beiden trugen schlaufenartige Fahrradschlösser um den Hals, an denen riesige Schnuller hingen. Der Baby-Look wurde durch ihr schon zuvor getragenes Outfit verstärkt: lilablaue bzw. lilagrünliche, strampelhosenartige Leggins und dazu passende babyjäckchenartige, blasslila-rosa-grünlich gemusterte Oberteile. Weiche Freizeitschuhe mit babyblau-weißem Oberteil, weiße Stoffhütchen im Knitterlook und das krampfhaft festgehaltene, lutscherhafte, zartgelbe Eis am Stiel vervollständigten das Bild. Täter und Schlüssel zum Öffnen der Kettenschlösser: nicht auffindbar.
Die Zeitung berichtete nicht ohne Augenzwinkern, nicht ohne ein gewisses Verständnis für den oder die Täter. Vielleicht, weil die Artikel von einer Frau, einer gewissen Carola Carstens geschrieben wurden. Auch meiner Vorgesetzten, Frau Dr. Schwieder, schien eher wenig an der Aufklärung der Fälle gelegen zu sein. Es seien Fälle von notwehrähnlichen Handlungen zur Abwehr von Untaten. Nicht nur die Augen aller ästhetisch empfindenden Menschen, also der Frauen, würden beleidigt, sondern auch die körperliche Unversehrtheit der Mitmenschen verletzt; es löste Ekel, Brechreiz, Schweißausbrüche aus. Viele Frauen würden die Karlsruher Hauptflaniermeile, die Kaiserstraße wegen dieser mit Junkdress nur halb bedeckten, widerlich behaarten Kerle meiden. Auf Dauer seien die Attentate natürlich nicht hinzunehmen. Aber auch die sogenannten Opfer – also die eigentlichen Täter – sollten verschwinden. Sie habe sich mit den Redakteurinnen der BNN in Verbindung gesetzt. Sie kenne da zufällig einige. (Von wegen Zufall: Es gibt da so ein Frauennetzwerk.) Also: Die BNN füllt ihr Sommerloch mit persiflierenden Berichten über Grundlagen des guten Geschmacks und Benehmens. Zuerst kommen die Basics wie das Verhüllen eher unvorteilhafter Körperregionen, also etwa hervorquellender männlicher Brustbehaarung ...
Frau Dr. Schwieder begann eine schier endlose Aufzählung, die Gott sei Dank von einem Telefonanruf unterbrochen wurde. Er brachte sie etwas aus dem Konzept.
»Wo war ich stehen geblieben?« Also die Widerlinge sollten lächerlich gemacht werden. Die Attentate seinen insofern willkommen, da sie zur abschreckenden Ergänzung dienten. Auch die Vereinigung innerstädtischer LadenbesitzerInnen habe Zustimmung signalisiert und will mit der Action New Dress für ein besseres Erscheinungsbild sorgen.
Die Serie in der Zeitung wurde ein voller Erfolg. Tausende von Lesern freuten sich über die neuesten Glossen, lachten über den Nacktbader P., der am Epplesee nach seinen geklauten Klamotten plärrte, wobei seine Blöße wegen des stark überlappenden Bauches ohnehin unsichtbar blieb.
Die Sache hatte nur einen Nachteil: Es amüsierten sich nur die Leute, die sich normal benahmen. Die, um die es ging, merkten gar nicht, dass da über sie gelacht, gelästert und geflucht wurde. Es war zum Verzweifeln.
Das empfanden offensichtlich auch die AttentäterInnen so. Ich schreibe das, weil ich einen gewissen Anfangsverdacht hatte. Jetzt ging es den Schweinen an die Schwarte, jetzt fing es an, kriminell zu werden.
Die Wache Rüppurr wurde alarmiert, weil aus der Alb-Grünanlage grässliches Schreien zu hören war. Unbekannte hatten den Rentner Schermann von seinem Rad gerissen, ihm den üblichen Sack über den Kopf gezogen und ihn in ein nahes Gebüsch gezerrt. Dort übergossen sie seine Beine mit einer brühheißen Masse. Dann war Ruhe. Er dachte schon, die Sache sei vorbei, aber nach fünf Minuten ging es erst richtig los. Er verspürte reißende Schmerzen an seinen Beinen, offensichtlich wurde ihm die Haut abgezogen. Da begann er zu schreien. Aber man stopfte ihm etwas in den Mund und riss weiter an seinen Schenkeln herum. Dann war es wirklich vorbei. Der Knebel wurde entfernt, Schermann konnte ungehindert schreien. Die Polizei stellte außer einer nur zarten Rötung an seinen frisch enthaarten Säbelbeinen keine weiteren Verletzungen fest. Aber er hatte einen schweren Schock erlitten, was bei seiner Herzerkrankung gar nicht harmlos war. Es hätte tödlich enden können.
Und dann kam der Mordfall. Nun waren sie doch etwas zu weit gegangen. Jedenfalls für meinen Geschmack. Frau Dr. Schwieder übergab mir den Fall. Sie war merkwürdig wortkarg. Eigentlich legte sie mir nur die Akten auf den Tisch und verschwand wieder in ihrem Zimmer. Nein, keine Einweisung in den Fall, noch nicht mal eine Unterhaltung. Sie war sichtlich betroffen. Irgendwie schuldbewusst. Hätten wir doch nicht früher ... War uns, war ihr die Sache aus dem Ruder gelaufen? Ich meine die stille Komplizenschaft mit der Presse, den InnenstadtladenbesitzerInnen, der klammheimlichen Sympathie mit der Aktion »Unsere Stadt soll schöner werden«.
Die Leiche war aus dem Pfinzentlastungskanal gezogen worden. Ob der Fundort der Tatort