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Joseph Görres: Ein Leben im Zeitalter von Revolution und Restauration
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eBook240 Seiten3 Stunden

Joseph Görres: Ein Leben im Zeitalter von Revolution und Restauration

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Über dieses E-Book

Joseph Görres ist eine herausragende Gestalt des deutschen Katholizismus. In seinem bewegten Leben spiegelt sich aber auch die Zerrissenheit seiner Zeit. Von den Idealen der Franzosischen Revolution begeistert, wird Görres bald zum Vordenker eines politischen Katholizismus und zum Verfechter der Ideen der Romantik. Auf vielen Wissensgebieten, von den Naturwissenschaften bis zur Geschichte und Philosophie, hat er Erstaunliches geleistet. Kampfgeist, Mystik und Poesie bilden in diesem Leben eine bewundernswerte Einheit.
SpracheDeutsch
HerausgeberTopos
Erscheinungsdatum6. Nov. 2015
ISBN9783836760201
Joseph Görres: Ein Leben im Zeitalter von Revolution und Restauration

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    Buchvorschau

    Joseph Görres - Monika Fink-Lang

    Regensburg

    Inhalt

    I. Kindheit in Koblenz (1776–1793)

    II. Im Bann der Revolution (1793–1800)

    III. Naturphilosophische Studien (1800–1806)

    IV. In Heidelberg (1806–1808)

    V. Altdeutsche und altorientalische Studien (1808–1813)

    VI. Der Rheinische Merkur (1814–1816)

    VII. Konfrontation mit Preußen (1816–1819)

    VIII. Im Exil (1819–1827)

    IX. Frühe Münchener Jahre (1827–1837)

    X. Späte Münchener Jahre (1838–1848)

    Anmerkungen

    Quellen- und Literaturverzeichnis

    I. Kindheit in Koblenz (1776–1793)

    „Dem Herrn Mauritius Goerres, Bürger und Händler in Koblenz, und seiner Ehefrau Helena Theresia geborener Matza ist am 25. Januar der erste Sohn Johannes Josephus geboren und am selben Tag aus dem Wasser der heiligen Taufe wiedergeboren." So heißt es in der Geburtsurkunde im Taufbuch der Pfarrkirche St. Kastor in Koblenz.¹ Man schreibt das Jahr 1776.

    Joseph Görres’ Geburtsstadt Koblenz, am Zusammenfluss von Rhein und Mosel gelegen, ist damals eine blühende Handelsstadt mit einer selbstbewussten Bürgerschaft, unter der Herrschaft eines geistlichen Fürsten, des Trierer Fürsterzbischofs und Kurfürsten Clemens Wenzeslaus. Wie viele seiner Kollegen auf deutschen Thronen ist er ein aufgeklärter Absolutist, dabei keineswegs der schlechteste, ein frommer und kultivierter, vielseitig gebildeter Mann, dem ein makelloser Lebenswandel bescheinigt wird. Ein Mann, der aufgeschlossen für Reformen ist, in politicis allerdings schwankend und unsicher und von seinen jeweiligen Beratern abhängig.² Auch die gebildeten Bürger der Stadt und der Amtsadel sind in dieser Zeit ganz von der Aufklärung geprägt; man gründet Lesegesellschaften und Illuminatenzirkel, liest die Schriften Kants und Voltaires, wendet sich von der alten, überkommenen Kirchenfrömmigkeit ab und begeistert sich für eine neue Humanitätsreligion. Es ist eine Zeit des Umbruchs, in der sich die Wandlungen der Revolutionsjahre bereits ankündigen.³

    Die Familie, in die Joseph Görres hineingeboren wurde, war nicht besonders reich oder vornehm, gehörte nicht zur gesellschaftlichen Elite der Stadt. Der Vater war Holzhändler, die Mutter, eine geborene Mazza, stammte aus einer ursprünglich aus dem Tessin eingewanderten Kaufmannsfamilie, die in Koblenz einiges Ansehen genoss. Das Haus „zum Riesen", in dem Görres aufwuchs, lag in der unteren Rheinstraße, nahe der Fliegenden Brücke nach Ehrenbreitstein, am Ufer des Stroms, dem Görres sein Leben lang mit großer Anhänglichkeit verbunden bleiben sollte. Er war das älteste von acht Kindern. Nur zwei Brüder und zwei Schwestern erlebten das Erwachsenenalter.

    In seiner Familie ist Joseph der Einzige, der sich für Bücher interessiert. Sein Sohn wird später von der „geistigen Dürre des Elternhauses sprechen, in dem es außer dem Wandkalender und den alten Gebetbüchern keine Lektüre gegeben habe und in dem der „exzentrische Kopf allein auf sich gestellt gewesen sei.

    Der kleine Joseph ist ein neugieriges Kind, wissbegierig, begeisterungsfähig, mit einer unbändigen Lesewut, ein kleiner Autodidakt, der in der Dachkammer seines Elternhauses naturwissenschaftliche Experimente zu Elektrizität und Magnetismus, zur Optik und zur Lichtbrechung macht, chemische Versuche mit Säuren, Quecksilber und Schwefel durchführt, und der in einem naturwissenschaftlichen Tagebuch seine Experimente und Beobachtungen notiert; der davon träumt, einmal als Forscher in fremde Länder zu reisen, und sich aus allerlei bunten Reiseberichten sein eigenes geografisches Handbuch zusammenschreibt.

    Das Koblenzer Gymnasium, das Görres seit 1785 besucht, ist ganz vom Geist der Aufklärung geprägt. Der Lehrplan, den der Trierer Domherr Johann Friedrich Hugo von Dalberg für Fürstbischof Clemens Wenzeslaus nach den Prinzipien einer aufgeklärten Pädagogik ausgearbeitet hatte, orientierte sich am Geist der protestantischen Universität Göttingen, der Hochburg des neuen Geistes; er war auf die praktische Anwendbarkeit des Gelernten für künftige Staatsdiener ausgerichtet, legte Wert auf Rhetorik und Staatswissenschaften, auf Naturwissenschaften und Mathematik, vor allem aber auf „sittliche Bildung". Der Lektürekanon umfasste die Philosophen und Geschichtsphilosophen der europäischen Aufklärung, die Werke Montesquieus, Herders und Kants.⁷ Die Lehrer des jungen Görres, die nicht zu unterschätzenden Einfluss auf ihn ausübten, waren junge, gebildete Weltpriester, idealistische Anhänger der Gedanken der Aufklärung und – in den Jahren nach 1789 – der Französischen Revolution und der republikanischen Regierungsform, engagierte Gegner des alten Reichs und der alten Hierarchien; sie beschäftigten sich mit Leibniz und Kant und glaubten an die Möglichkeit einer Verbesserung des Menschen durch Bildung und an das Heraufdämmern eines neuen Zeitalters.⁸ Erziehung zu spekulativem Denken, zu Kritikfähigkeit und politischem Engagement waren ihre Hauptanliegen. Für den jungen Görres hatte diese geistige Atmosphäre zur Folge, dass der katholische Kirchenglaube seiner Kindheit unversehens verloren ging.

    Joseph Görres ist ein guter Schüler, dem in seinen Zeugnissen „felicissimum ingenium" bescheinigt wird, also besonders glückliche geistige Anlagen, nicht übermäßiger Fleiß und ein etwas flegelhaftes Benehmen.⁹ Regelmäßig gehört er zu den Schülern, die am Jahresende für ihre besonderen Leistungen Auszeichnungen einheimsen.

    Während seiner letzten Schuljahre spielt sich auf der politischen Bühne Europas ein spannungsgeladenes Szenarium von einzigartiger Bedeutung ab. Als im Sommer 1789 das aufgebrachte Volk von Paris die Bastille erstürmt und die Revolution ausbricht, besucht er die vierte Gymnasialklasse. Mit seinen Lehrern und vielen seiner Klassenkameraden wird der 13-Jährige über die Nachrichten aus Frankreich gejubelt und auf den Siegeszug der Revolution durch ganz Europa gehofft haben. Während seiner letzten beiden Schuljahre beginnt der erste Koalitionskrieg, wird in Frankreich die Republik ausgerufen, erreicht Robespierres Terrorherrschaft mit der Hinrichtung König Ludwigs XVI. und Königin Marie Antoinettes seinen Höhepunkt. 1792 feiert die französische Armee mit dem Einmarsch in Mainz einen verheißungsvollen Triumph, doch schon im Jahr darauf geht Mainz wieder verloren. Der Kurfürst, der bereits geflüchtet war, kehrt nach Koblenz zurück und nimmt Rache an den Sympathisanten der Revolution. Als Görres im Herbst 1793 die Schule beendet, drohen am Rhein die alten Zustände wiederzukehren.¹⁰

    Am Ende seiner Schulzeit steht der 17-Jährige in dieser unsicheren chaotischen Zeit ohne persönliche Perspektive da. Das Medizinstudium in Bonn, von dem er wohl geträumt hat, ist für ihn unerreichbar, schon aufgrund der finanziellen Verhältnisse der Familie, nun erst recht durch Krieg und politische Wirren.¹¹ Doch was er aus seinen letzten Schuljahren mit ins Leben nimmt, ist – neben der Vertrautheit mit der philosophischen Literatur seiner Zeit, besonders mit den Werken Kants, den er hoch verehrt, und einem Schatz naturwissenschaftlicher Kenntnisse – eine glühende Begeisterung für die Ideale der französischen Revolution, eine tiefe Aversion gegen die alte Ordnung, die alten verknöcherten Hierarchien und ihre Repräsentanten, vor allem aber der idealistische Glaube an die Möglichkeit eines moralischen Fortschritts der Menschheit. Mit Feuer und Enthusiasmus stürzt er sich nun in den Kampf für diese Ideale.

    II. Im Bann der Revolution (1793–1800)

    Als am 24. Oktober 1794 die Franzosen unter den Klängen der Marseillaise in Koblenz einzogen und eine fast 20-jährige Epoche französischer Herrschaft für Görres’ Heimatstadt begann, gehörte der 18-Jährige zu dem relativ kleinen Häufchen derer, die die politische Wende begrüßten, die, so schrieb er später, „die beseeligenden Gefühle der Freyheit" genossen und die anrückenden Franzosen mit Enthusiasmus bejubelten.¹²

    Schon in den Jahren vor dem Einmarsch der Franzosen hatte sich in Koblenz, wie auch in andern Städten des Rheinlands, ein Klub von „Patrioten" zusammengefunden, der die Ideale der Französischen Revolution und des Republikanismus auf seine Fahnen schrieb. In der Theorie sympathisierte man mit den Zielen der französischen Jakobiner, ohne jedoch deren Bereitschaft zur Gewalt zu teilen, in der Praxis aber setzte man – nach den alten Prinzipien der Aufklärung und eines Moralismus à la Kant – vor allem auf die Besserung des Menschen durch Erziehung. An eine politische oder publizistische Wirksamkeit war vorläufig nicht zu denken. Das Häuflein der Revolutionsanhänger musste sich vielmehr im Untergrund treffen, denn die meisten Koblenzer Bürger, zumal die Männer der Oberschicht, standen, obwohl von den Ideen der Aufklärung geprägt, dem Patriotenklub mehr als skeptisch gegenüber. Sie waren alles andere als Republikaner, hofften vielmehr auch nach dem Einmarsch der Franzosen noch lange auf eine Rückkehr ihres geistlichen Fürsten. Selbst unter denen, die in den ersten Jahren nach der Revolution Frankreich noch als Vorbild ansahen, machte sich seit 1792 ein Stimmungsumschwung bemerkbar. Viele Gemäßigte konnten sich schon mit der Ausrufung der Republik nicht anfreunden, die Nachrichten von der Terrorherrschaft in Paris, vom Wüten der Guillotine, von der Hinrichtung des Königs ließen dann viele am Musterland der Freiheit zweifeln.¹³

    Der junge Görres aber und seine Gesinnungsgenossen vom patriotischen Verein, unter ihnen nicht zuletzt einige seiner ehemaligen Lehrer, sehnten sich danach, auch in ihrer Heimat die Revolution ihren Siegeszug antreten zu sehen. Als bedeutenden Schritt auf diesem Weg feierten sie die Eroberung von Mainz durch die Franzosen im Oktober 1792. Die Mainzer Republikaner, die sich damals als „Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit nach dem Vorbild der Pariser und Straßburger Jakobiner zusammenschlossen, wurden bald zum Vorbild und geistigen Zentrum der Revolutionsbegeisterten am Rhein. Diese „Klubisten taten alles, um ihre Mitbürger für die Ideale der Revolution zu gewinnen, hielten allabendlich Versammlungen mit Vorträgen ab, verteilten Flugschriften und Zeitungen. Im Februar 1793 gründeten sie unter der Ägide der Besatzungsmacht eine selbstständige Mainzer Republik und organisierten Wahlen zu einem Rheinisch-Deutschen Nationalkonvent. Doch spätestens mit der Rückeroberung von Mainz im Juli 1793 endete der kurze Traum. Die Koblenzer Republikaner, allen voran Görres’ Lehrer, hatten bereits von Anfang an mit den Mainzern in Verbindung gestanden. Auch der junge Görres hat wohl im Lauf des Jahres 1792 – vermutlich mit einem seiner Lehrer – Mainz besucht und Bekanntschaft mit dem Zirkel der Klubisten gemacht. Das Konzept der Erziehung der Massen durch Wort und Schrift, das die Mainzer praktizierten, und die Perspektive eines möglichen Schritts von der philosophischen Theorie in die politische Praxis haben ihn sicher nachhaltig beeindruckt. Später wird er sich erinnern, dass damals „die Keime zu einem Enthusiasmus" gelegt wurden, der auf sein künftiges Leben von entscheidendem Einfluss war.¹⁴

    Als dann im Oktober 1794 mit dem Einmarsch der Franzosen der Traum der Koblenzer Republikaner in Erfüllung ging, verstand es der junge Görres sehr schnell als seine ganz persönliche Aufgabe, sich mit der Feder für seine politischen Ideale einzusetzen. Im Sommer 1795 bereits entstanden seine ersten publizistischen Versuche. In einem bösen kleinen satirischen Gedicht, frei nach einer Ode von Horaz, feierte der 19-Jährige die Hinrichtung des royalistischen Bischofs von Dol – ein geschmackloses Werkchen, das erst einige Jahre später gedruckt wurde.¹⁵ Kurz darauf entstand Görres’ erste publizistische Veröffentlichung, die Satire Der allgemeine Friede. Sie erschien, da es in Koblenz noch keine republikanische Presse gab, in Köln, in dem berüchtigten revolutionären Hetzblatt Brutusoder der Tyrannenfeind des ehemaligen Mönchs Franz Theodor Biergans.¹⁶ In dieser Parodie eines Friedensvertrags schüttet Görres seinen Spott über die Machthaber der antirevolutionären Koalition aus und lässt sie vom Sieger, der Grande Nation, auf passende Weise entschädigen. So erhält der Kaiser den Planeten Saturn, der König von England den Merkur als Stapelplatz, dazu das Recht, die Menschheit in Zukunft mit Sonnenlicht zu versorgen, die Bouteille für einen halben Pence. Der König von Preußen erhält den Jupiter, der König von Spanien den Uranus, verbunden mit dem Recht, Entdeckungsschiffe zu weiteren etwaig noch vorhandenen Monden zu entsenden. Der König von Sardinien erhält den Mars und freien Sardellenfang, der von Neapel eine Schachtel Bleisoldaten und die freie Jagd auf dem Mond, die Königin von Portugal einen vollkommenen Ablass mit der Auflage, das Muttergottesbild von Loreto neu einzukleiden. Dem Papst wird ein westfälischer Schinken zuerkannt, die Kurfürsten erhalten Ansprüche auf „die nächst erscheinenden Kometen". Frankreichs König soll wieder in seine alten Rechte und Würden eingesetzt werden und – innerhalb der alten Grenzen, nur 12000 Fuß über dem Meer – in Luftpalästen herrschen. Der Titel des allerchristlichsten Königs aber soll in Zukunft dem Großtürk zufallen.

    Damals, im Herbst 1795, sah alles danach aus, als wäre nach dem Kriegsaustritt Preußens und Spaniens im Frieden von Basel und nach dem siegreichen Vormarsch der französischen Sambre-Maas-Armee die Vereinigung des linken Rheinufers – und damit auch der Stadt Koblenz – mit Frankreich und ein von Frankreich diktierter Friedensvertrag nur noch eine Frage der Zeit. Doch schon einen Monat später schien Fortuna wieder auf Seiten der Österreicher zu kämpfen, und in Koblenz kursierten wieder Gerüchte von einem baldigen Abzug der Franzosen. Das wechselnde Kriegsglück der streitenden Parteien in den nächsten beiden Jahren brachte für die Bevölkerung am Rhein beständiges Hoffen und Bangen auf beiden Seiten und ließ abwechselnd Republikaner und Anhänger des Ancien Régime auf den Sieg hoffen. Dabei wurden die Kontributionen und Requisitionen durch die Besatzungsmacht immer drückender, das Land, das die Soldaten ernähren musste, war langsam ausgeblutet und die Franzosen hatten zu tun, die Bevölkerung ruhig zu halten. Die wachsende Unbeliebtheit der Besatzer in der Bevölkerung und die unsichere politische Lage machten es den Koblenzer Patrioten nicht einfacher, Sympathien in der Bevölkerung zu gewinnen. Zudem überging sie General Hoche, der siegreiche Kommandant der Sambre-Maas-Armee und Chef der Zivilverwaltung in Koblenz, bei der Besetzung der Ämter und setzte, um die Bevölkerung für sich zu gewinnen, die alten monarchisch gesinnten Beamten und Stadträte wieder ein. Nach wie vor mussten sich Görres und seine Gesinnungsfreunde im Geheimen treffen, waren Zielscheibe des Spotts. Ihnen blieb nur die Hoffnung auf einen baldigen Frieden, der die Rheingrenze in ihrem Sinn regeln würde.¹⁷

    Doch der Vorfriede von Leoben zwischen Bonaparte und Österreich im April 1797 enttäuscht diese Erwartungen, denn er setzt die Integrität des Deutschen Reiches als Grundlage für einen Friedensvertrag fest und bringt somit die Gefahr, dass Frankreich trotz anderslautender Beteuerungen auf die Rheingrenze verzichten könnte, und damit für Koblenz die Gefahr einer Rückkehr des Ancien Régime mit sich. Um diese Horrorvision zu bannen, meldet sich der junge Görres mit einem fingierten Auszug der Friedensbedingungen zu Wort, den er als Extrablatt zum Koblenzer Intelligenzblatt verteilen lässt. Die angeblich in Frankfurt unter Glockengeläut und Kanonendonner verkündeten Vereinbarungen zwischen den europäischen Mächten, die er hier aufzählt, u. a. die Anerkennung der französischen Republik durch den Kaiser und der Verzicht Frankreichs auf das linke Rheinufer – sollen den Territorienschacher der Kabinette ad absurdum führen und „kein unbedeutender Fingerzeig für die französische Regierung" sein.¹⁸

    Zur gleichen Zeit, da diese kleine Friedensfarce entstand, beschäftigt sich der 21-Jährige auch erstmals ernsthaft mit der Friedensthematik. In seinem ersten politischen Werk Der allgemeine Frieden, ein Ideal setzt er sich als „philosophischer Politiker" theoretisch mit den Bedingungen eines ewigen Weltfriedens auseinander.¹⁹ Er widmet es „der fränkischen Nation, denn es soll von seiner „glühenden Liebe für Freyheit und Republicanis’m Zeugnis geben und dafür, „daß reiner Republicanis’m auch auf deutschem Boden keimt!"²⁰ Die Schrift ist stark beeinflusst von Kants Kritik der reinen Vernunft und dessen 1795 erschienenem Werk Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, von Herder und Fichte, Saint-Pierre, Condorcet und Rousseau. Görres geht aber über die reine Theorie hinaus, indem er aus der aktuellen Situation heraus argumentiert und aus seinen konkreten politischen Wünschen kein Hehl macht. Was ihm als Ideal vorschwebt, ist eine Völkerrepublik ohne Monopole, ohne Zunftzwänge und ohne Handelsbeschränkungen, frei von „Bücherinquisition und vom „Despotismus der Pfaffheit, in der dem Strom der Aufklärung aus einem Lande in das andere freier Lauf gelassen wird. Erstmals beschäftigt sich Görres hier auch mit einem Thema, das ihn sein ganzes Leben lang immer wieder beschäftigen wird: mit dem Verhältnis von Kirche und Staat. Bereits hier fordert er, dass keiner der beiden sich in die Sphäre des andern einmischen dürfe; der Staat dürfe und müsse lediglich „dafür sorgen, daß die Kirche mit der Aufklärung des Zeitalters ziemlich gleichen Schritt halte. Niemand dürfe in der Ausübung seiner religiösen Pflichten gehindert werden. Letztlich aber seien solche theologischen „Spinnwebziehereien obsolet, denn Ziel für die Zukunft sei die Herrschaft der praktischen Vernunft und der „von Rousseau so genannten Religion des Menschen".²¹

    Wie Kant glaubt Görres an die Möglichkeit einer schrittweisen Verbesserung des Menschen und der Völker. Die Menschheit bewegt sich demnach von einem primitiven Stand der Barbarei in vielen Sprossen einer Stufenleiter bis hinauf zur bisher unerreichten höchsten Stufe der Humanität, in der Menschenwürde, Sittengesetz und allseitige Bildung herrschen. Analog zur Entwicklung des Embryos vom niedrigen pflanzenähnlichen Stadium zur höchsten Humanität sieht Görres auch bei den Staaten verschiedene Entwicklungsstufen. Ein ewiger Friede ist nur zwischen den höchstentwickelten demokratischen Staaten möglich. Frankreich hat, da es eine höhere Stufe in der Rangfolge der Staatsformen erreicht hat, das Recht, die Friedensbedingungen zu bestimmen, und die Aufgabe, Europa von seinen Despoten zu befreien, die Idee einer großen Völkerrepublik zu verwirklichen und auf einem allgemeinen Völkerkonvent eine Völkerkonstitution zu entwickeln. Es hat das Recht, ja die Pflicht, die umgebenden barbarischen Staaten, wenn dort eine Mehrheit Veränderungen und Revolutionen wünscht, der Völkerrepublik einzuverleiben.

    Der Koblenzer vergisst dabei nicht, auf die Bedeutung der natürlichen Grenzen und damit der Rheingrenze als einer der wichtigsten Bedingungen für einen dauerhaften Frieden hinzuweisen. Staaten kämen nicht eher zur Ruhe, so schreibt er, „bis sie die von der Natur gezeichneten Umrisse aufsuchen. Der Rhein müsse deshalb „die Düne der Republik

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