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Franz Hartmann - Die Botschaft der Theosophie: Leben und Werk
Franz Hartmann - Die Botschaft der Theosophie: Leben und Werk
Franz Hartmann - Die Botschaft der Theosophie: Leben und Werk
eBook581 Seiten10 Stunden

Franz Hartmann - Die Botschaft der Theosophie: Leben und Werk

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Über dieses E-Book

Der Arzt Franz Hartmann war ein enger Weggefährte der legendären Begründerin der Theosophischen Gesellschaft, Helena P. Blavatsky. Er zählte in Indien zu ihren engsten Vertrauten und konnte die aufrüttelnden Gründerjahre der modernen Theosophischen Bewegung als Augenzeuge miterleben.
In seinen Werken findet sich grundlegendes spirituelles Wissen aus den ursprünglichen Quellen der Theosophie, das viele nachfolgende Generationen von geistigen Suchern nachhaltig beeinflusste. Die wichtigsten Auszüge aus seinem umfangreichen Schrifttum sind in dieser Werkauswahl erstmals vereinigt.
Ein biographischer Essay zeigt zudem, was für ein außergewöhnliches Leben Dr. Franz Hartmann auf fast allen Kontinente der Erde führte. Ein Buch, das Zeugnis dafür ablegt, was gelebte Theosophie wahrhaft meint!

SpracheDeutsch
HerausgeberAquamarin Verlag
Erscheinungsdatum26. Mai 2020
ISBN9783968610702
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    Buchvorschau

    Franz Hartmann - Die Botschaft der Theosophie - Franz Hartmann

    Anmerkungen

    Vorwort

    Für theosophisch interessierte Leserinnen und Leser liegt nunmehr diese Sammlung von Aufsätzen und Schriften des Gründers der Theosophischen Gesellschaft in Deutschland, Dr. Franz Hartmann, vor. Auch wenn notwendigerweise gekürzt werden musste, um den verträglichen Rahmen dieses einen Bandes nicht unangemessen zu überschreiten, leuchten doch die unverkennbare Kraft seiner Sprache, einer Sprache des ausgehenden 19. Jahrhunderts, und die Klarheit der Aussagen als ein Solitär im Diadem der geistigen Wegbereiter der Theosophie. Franz Hartmann war Mystiker und als solcher trat er in ein Erbe ein, das zu erhalten und weiterzugeben er als seine erste Pflicht ansah. Er fügte diesem Erbe der Uralten Weisheit seine Auffassung von einer lebendigen, dynamischen, bruderschaftlich gestaltenden Theosophie hinzu, nicht zuletzt durch sein eigenes Schaffen und Lebensvorbild.

    Diese Neuausgabe der Texte, mit einem einleitenden biografischen Essay von Stefanie Walter, der ebenfalls die meisten editorischen Vorbemerkungen zu verdanken sind, berücksichtigt grammatikalische und orthografische Gepflogenheiten der Zeit Hartmanns. Dort, wo behutsam versucht wurde, die Sprach- und Schreibgewohnheiten der Gegenwart anzupassen, sind bestimmte Eigennamen wie „Lotusblüthen" (die von Franz Hartmann herausgegebene Zeitschrift) aus Gründen der Quellentreue beibehalten worden.

    Zum Verständnis der vielfältigen literarischen Arbeiten Hartmanns, die manchem zuweilen sprachlich uneinheitlich, auch wiederholend erscheinen mögen, sei auf den biografischen Essay, insbes. die Kapitel 10 und 11, verwiesen, in denen der Leser einen Eindruck von dem umfangreichen Schaffenspensum erhält, das zu bewältigen Hartmann sich zur Aufgabe gemacht hatte.

    Zu weiterführendem Lesen, Studieren und Forschen anzuregen, war das Anliegen Franz Hartmanns und ist mein Anliegen bei der Zusammenstellung und Herausgabe dieses Bandes.

    Charlotte Wegner

    Teil 1 – Das Leben

    1. Ein Suchender auf der Reise zu sich selbst

    Dr. Franz Hartmann (1838-1912), der Gründer der Theosophischen Gesellschaft in Deutschland, Freimaurer, Mystiker und Philosoph, wird in eine Zeit hineingeboren, die von Umbrüchen, Neu­entdeckungen, von wissenschaftlichem und technischem Fortschritt auf nahezu allen Gebieten des täglichen Lebens und darüber hinaus geprägt ist. Die Industrialisierung in Europa schreitet unauf­haltsam fort und reißt die Menschen mit sich, Städte werden zu Großstädten, Manufakturen zu Fa­briken, Menschen zu Arbeitern.

    Staatsgrenzen scheinen durch Kolonien auf andere Kontinente ausgeweitet, während gleichzeitig die Distanzen zwischen den Ländern durch Eisenbahn und Telegraph dramatisch schrumpfen. Darwin stürzt durch seine Forschung über die Entstehung der Arten den Menschen als Krone der Schöpfung von seinem Thron, und die Kirchen verlieren durch die fortschreitende Säkularisation immer mehr an Einfluss.

    Nichts scheint in dieser Zeit mehr für die Ewigkeit zu bestehen. Es gibt nichts, was nicht hinter­fragt werden kann, was nicht morgen schon veraltet, was nicht bald durch anderes ersetzt werden müsste. Alles scheint im Fluss, und der Materialismus erlebt seine erste Blütezeit, da nur die reine Materie, der Stoff, aus dem die Dinge gemacht sind, verlässlich und unwandelbar erscheint. Die Menschen versuchen, sich der neuen Zeit anzupassen, versuchen, mit den sich überschlagenden Entwicklungen Schritt zu halten. Sie suchen nach Orientierung, nach neuen verlässlichen Werten – auch in geistiger Hinsicht.

    Bei einem ersten flüchtigen Blick auf Hartmanns Lebensweg, welcher alles andere als gradlinig verläuft, scheint dieser den unruhigen Rhythmus der Zeit widerzuspiegeln. Rastlos reist Hartmann von einem Ort zum anderen, scheint nirgends Wurzeln zu haben. Dem zweiten Blick aber offenbart sich ein Suchender, erscheint eine Persönlichkeit, die schon früh hinter die Dinge schauen will, die Wahrheit sucht und schließlich finden wird.

    Hartmann macht es sich nicht einfach, sein Ziel ist nichts weniger als die Selbsterkenntnis, die eigene Erkenntnis der Wahrheit, nicht ein bloßes Annehmen tradierter Dogmen und Lehrsätze. Denn „[e]s ist viel bequemer, hundert zurechtgelegte Theorien zu adoptieren, als eine einzige Wahrheit selbst zu empfinden und zu erkennen [...]."1 Er ist auf der Suche nach dieser Wahrheit und stellt sein Leben und seine mannigfaltigen Talente ganz in den Dienst dieser Aufgabe, anfangs eher unbewusst, später dann voller Hingabe.

    Schon früh wird deutlich, dass er ein Mensch mit großen und zum Teil disparaten Interessen und Talenten ist. Er, der in einer Kleinstadt in Bayern zur Welt kommt, wird im Verlauf dieser Suche nach der Wahr­heit zu einem Weltenbummler, reist nach Amerika, lebt bei den dortigen Ureinwohnern, erforscht auch Mexiko, und kommt schließlich nach Indien, wo er eine Zeit lang in Adyar am Hauptquartier der Theosophischen Ge­sellschaft wohnt. Dort trifft er deren Gründerin Helena Petrovna Blavatsky. Er ist studierter Pharmakologe und praktiziert als Arzt, liebt die Chemie und die Logik der Naturwissenschaften. Aber er hat gleichzei­tig auch eine mystische Ader, braucht die Einsamkeit der Natur als Rückzugsort, ist hellseherisch begabt, wird ein großer Kenner des in dieser Zeit neu aufkommenden Spiritismus und interessiert sich sehr für Philosophie und Mystik.

    Er wird im Laufe seines Lebens zur vielleicht bekanntesten deutschen Persönlichkeit innerhalb der theosophischen Bewegung2, der er durchaus seinen Stempel aufgeprägt hat. Gleichzeitig aber ist er in Wort und Schrift einer der nüchternsten Interpreten dieser noch „neuen" Weltanschauung, der er die letzten zwanzig Jahre seines Lebens ausschließlich widmet.

    Er, der nie ein Schriftsteller werden wollte, hinterlässt eine Fülle von schriftlichen Werken, schreibt eine zweibändige Autobiografie3 und gibt eine Zeitschrift4 heraus, deren Inhalt er zum überwiegenden Teil selbst bestreitet. Er wird zum unermüdlichen Vortragsreisenden und zum Verfasser zahl­reicher philosophischer und theosophischer Werke.

    Für ihn ist die Theosophie auch und nicht zuletzt ein Weg der ehrlichen Suche nach Selbster­kenntnis und damit eine Möglichkeit, der Wahrheit hinter den Dingen näher zu kommen. Dazu verbindet er die Weisheit der östlichen Philosophie mit den Lehren der christlichen Mystik zu einer fruchtbaren Synthese.

    Er hat diese Suche selbst unternommen, ihr sein Leben gewidmet und weiß um die Fährnisse dieses schwierigen Weges. Vielleicht beantwortet er aus diesem Grund so geduldig die vielfältigen Fragen seiner Leserschaft, den Anhängern dieser noch jungen theosophischen Bewegung. Er ist be­müht, die zum Teil komplizierten und komplexen philosophischen Sachverhalte klar und einfach zu formulieren, so dass vielen ein erster Zugang zu dem Schatz eröffnet wird, der tief in ihrem Inneren schlummert. Nicht zuletzt trägt er so dazu bei, das große Werk, das Helena Petrovna Blavatsky so unerschrocken begonnen hat, auch im deutschsprachigen Raum zu verbreiten und fortzuführen.

    2. Eremit oder Alchemist – Hartmanns Kindheit und Jugend

    Im ersten Band seiner autobiographischen Notizen beschreibt Hartmann sich selbst mit den fol­genden Worten: „Dr. Franz Hartmann ist, seinem Wesen nach, Kosmopolit; er betrachtet als seine Heimat das Universum, und die gesamte Menschheit als seine Nation."5

    Geboren wird dieser spätere Kosmopolit am 22. November 1838 in Donauwörth (Bayern) als Sohn des Arztes Karl Hartmann und seiner Frau Elise von Stack.6 Kurz nach seiner Geburt tritt der Vater eine Stelle als königlich bayerischer Gerichtsarzt in Kempten im Allgäu an und zieht mit sei­ner Familie in die damals noch beschauliche Kleinstadt.

    Hartmann verlebt dort seine gesamte Kindheit und Jugend, besucht die Schule und ge­nießt die ihn umgebende Natur. Er ist bereits als Kind hin- und hergerissen zwischen zwei Polen, die seine Persönlichkeit prägen und ihn zeitlebens antreiben werden: Der unbändige Drang nach Wissen und Selbsterkenntnis auf der einen Seite und das tiefe Verlangen nach Stille, das sich in sei­nem Hang zur Mystik und seiner großen Verbundenheit zur Natur äußert, auf der anderen Seite.

    Einerseits ist er ein ganz normaler Schüler, der sich nur widerwillig in das Schicksal so vieler Schüler vor und nach ihm fügt, in die Notwendigkeit nämlich, auch die Dinge zu lernen, die einen selbst nicht interessieren. Sein Talent liegt eindeutig auf dem Gebiet der Sprache und der Naturwis­senschaften, hier insbesondere der Chemie, deren geheimnisvolle Kräfte ihn faszinieren und den jungen Schüler zum ersten Mal auf das Wirken eines Lebens verweisen, welches sich hinter der Oberfläche des sichtbaren Stoffes verbirgt.

    Andererseits benötigt er zum Ausgleich immer wieder die Ruhe der Natur. Er besitzt nach eigener Aussage einen mystisch veranlagten Geist, ist zu übersinnlicher Wahrnehmung fähig7 und in der Lage, die ver­schiedenen Naturgeister, die Gnomen und Sylphen zu sehen und freundlichen Umgang mit ihnen zu pflegen. In seinen Erinnerungen schreibt er: „Lieber als alles Latein war ihm die freie Natur; er hatte sich im dichten Waldesdunkel auf dem Reichelsberge auf einer hohen Tanne ein Nest gebaut und brachte dort viele Stunden in der Gesellschaft der Waldgeister und mit dem Lesen mystischer Schriften zu. Überhaupt regte sich in ihm schon früh die mystische Natur, […]."8

    Diese mystische Seite seiner Natur ist so einflussreich, dass er in seiner Jugend ernsthaft über­legt, in ein Kloster einzutreten und Kapuziner zu werden9. Doch sein Drang nach Freiheit ist zu groß, als dass er sich den Beschränkungen des klösterlichen Alltags unterwerfen könnte.

    In dieser Situation und angesichts seiner vielfältigen Interessen fällt ihm die Berufswahl schwer. Auf der einen Seite stehen seine unbestreitbare Abenteuerlust, stammt er doch mütterlicherseits von irischen Königen ab10, und sein großes Interesse für die Naturwissenschaften11, auf der anderen Seite die ebenso stark ausgeprägte Liebe zur Natur, zur Philosophie und zur Ein­samkeit.

    Er findet eine eher pragmatische Lösung für dieses Dilemma: „So schwankte auch Hartmanns Neigung, als es sich darum handelte, einen Beruf zu wählen, zwischen dem Soldatenleben und dem eines Eremiten hin und her; aber zuletzt gewann seine Vorliebe für die Alchemie die Oberhand. Da jedoch keine Alchemisten zu finden waren, so dachte er vorläufig mit der Chemie vorlieb zu nehmen und entschloss sich, ein Apotheker zu werden."12

    Doch es kommt anders, denn zunächst wird Hartmann tatsächlich Soldat. Freiwillig meldet er sich 1859, als der Krieg zwischen Österreich, Italien und Frankreich auch die süddeutschen Staaten erfasst, zur bayerischen Armee und kommt zum 1. Königlich-Bayerischen Artillerieregiment nach Würzburg.13 Er selbst betrachtet diese Episode in seinem Leben als „kleine Abwechslung". Es „drängte ihn, das Soldatenleben kennenzulernen", ein „Leben voll Abwechslung; heute hier und morgen dort einquartiert, täglich neue Bekanntschaften und zahlreiches Material zum Studium des menschlichen Charakters".14

    1860 aber quittiert er den Dienst, er scheint genug von dieser Art Abwechslung zu haben, und beginnt sich an der Ludwig-Maximilians-Universität in München auf sein Staatsexamen vorzuberei­ten.15 Zwei Jahre später nimmt er nach seinem bestandenen Apotheker-Examen ein Studium der Medizin auf.

    Er ist ein normaler Student seiner Zeit, und wie damals üblich, tritt er bald einem studentischen Corps bei, um das „Burschenleben" aus eigener Erfahrung kennen zu lernen. „Im Pauken und Trin­ken" steht er seinen Mitstudenten in nichts nach, aber in seinen stillen Momenten, in denen er ehr­lich zu sich selber ist, weiß er doch, dass er „mehr die Einsamkeit als die Geselligkeit liebt" und an diesen Ausflügen „mehr aus Neugierde als aus Neigung" teilnimmt.

    Er gilt unter seinen Kom­militonen dann auch bald als Sonderling „und das mit Recht;" stimmt er deren hartem Urteil selbst­kritisch zu, „denn die Vergnügungen des alltäglichen Lebens genügten ihm nicht: Er suchte nach et­was Höherem oder Geheimnisvollem, das er nicht kannte, und konnte es nicht finden. Er wusste ja nicht, was es war, und er war somit auf dem besten Wege, ein Träumer und Schwärmer zu werden."16

    3. Die Reise beginnt – Hartmann in den USA

    Er mag ein Träumer sein, aber stets einer mit einer guten Portion Abenteuerlust in sich. 1865, kurz vor Abschluss seines Studiums17, unternimmt Hartmann eine Ferienreise nach Frankreich, die seinem Leben eine entscheidende Wendung geben wird. Es zieht ihn nach Paris. Dort angekommen, beschließt er, einen Ausflug ans Meer zu unternehmen, eine „Vergnügungsfahrt […] auf einem train de plaisir". An einem Samstagabend bricht er auf, er reist nach Le Havre und plant, bereits am nächsten Montag zurück zu sein. Doch es kommt anders, denn „das Schicksal hatte es anders bestimmt"18.

    Im Hafen wird ihm eine Stelle als Schiffsarzt auf dem amerikanischen Paketboot „Mercury" an­geboten, das Auswanderer nach New York bringen soll. Kurz entschlossen nimmt Hartmann an, bricht alle Brücken hinter sich ab, und aus dem Wochenendausflug nach Le Havre wird so eine Reise nach New York. Achtzehn Jahre wird Hartmann in Amerika bleiben.

    Angekommen in den USA, lässt sich Hartmann zunächst in St. Louis, Missouri, nieder, dort herrscht zu diesem Zeitpunkt eine Cholera-Epidemie, und Ärzte werden dringend gebraucht.19

    Er beendet sein Studium als MD (Dr. med.), praktiziert daraufhin als Augenarzt und nimmt 1867 die amerikanische Staatsbürgerschaft an.20 Er scheint sich in dieser Phase seines Lebens dauerhaft niederlassen zu wollen und seine Heimat in den Vereinigten Staaten gefunden zu haben.

    Doch schon 1870 gibt er das ruhige Leben und seine gut gehende Praxis wieder auf. Erneut ergreift ihn die Abenteuerlust, treibt ihn weiter, und er nimmt eine ausgedehnte Reisetätigkeit auf, vornehmlich zu den indigenen Völkern Amerikas. Er durchstreift Missouri alleine, ohne Führer, und besucht die dort ansässigen Indianerstämme, wo er die „freundlichste Aufnahme"21 findet. Er lebt und spricht mit ihnen und studiert ihre Kultur, ihre spirituellen Gebräuche und möchte insbesondere ihre religi­ösen Anschauungen kennen lernen.22 So besucht er unter anderem „die Shawnee, die Seneka, die Choktaw und Chirokee"23.. Er ist beeindruckt von ihrer Verbundenheit mit der Natur und der Vertrautheit mit deren Geheimnissen.

    Er geht sogar so weit zu sagen, dass er seinen ersten „Unterricht in der Theosophie" dort durch den Häuptling der Shawnees erhielt. Dieser lädt ihn ein, in das Gebiet der Seneka zu reiten und ant­wortet auf Hartmanns Frage, ob dies für ihn als Weißen denn nicht mit Gefahren verbunden wäre: „Oh nein! Der große Geist, der Geist der Liebe, ist dort." Ein Indianerhäuptling weist ihn, den Christen, auf die Allgegenwart Gottes hin, eine Lehre, die, so Hartmann weiter, „zwar in jedem Katechismus zu finden ist, die aber im alltäglichen Leben nur selten berücksichtigt wird".24

    Ein starker Drang nach Erkenntnis und Wahrheit treibt ihn an, der ihn zeitlebens beseelt. Er will den wahren Sinn des Lebens erfassen, den er bisher weder in den von ihm so geschätzten Naturwis­senschaften finden konnte noch in den Glaubenssätzen der Kirche. Obwohl er früh erkennt, dass der Materialismus25 in eine Sackgasse führen muss und man allein mit Hilfe des Verstandes nicht zur Erkenntnis der von ihm gesuchten Wahrheit gelangen kann, findet er zu diesem Zeitpunkt noch kei­nen anderen Weg für sich.26

    Nach einem kurzen Zwischenstopp in New Orleans durchreist er Mexiko, ist von der Natur und den Menschen tief be­eindruckt und kehrt erst zwei Jahre später nach Texas zurück. 1873 lässt er sich dort nieder, arbeitet als Landarzt und kauft „ein Gut in der Nähe von Brenham mit Wald und Wiesen, baute sich ein Haus und widmete seine Zeit der Landpraxis und dem Studium der spiritualistischen Schriften. […] Aber zu einem Haus gehört auch eine Hausfrau, und somit heiratete er kurz entschlossen ein Fräulein, die Schwester der Frau eines benachbarten Gutsbesitzers. Die Ehe war glücklich, aber nur von kurzer Dauer; denn schon nach sieben Monaten starb Ernestine an den Folgen eines Nervenfiebers."27

    In diesen dürren Worten schildert Hartmann eine für ihn sicher sehr schwere Zeit. Der Verlust seiner Frau muss ihn aber tief berührt haben, denn er bricht erneut alle Brücken hinter sich ab, verkauft die Farm und zieht weiter.

    Er durchstreift Texas kreuz und quer, ist dabei fast trotzig bereit, dem Leben die Stirn zu bie­ten, von jetzt an mit „einem trostlosen Agnostizismus vorlieb zu nehmen, das Leben zu genießen und mich um nichts weiter zu bekümmern".28

    Erst 1878, nach fünf Jahren in Texas29, zieht es ihn wieder nach New Orleans zurück. Zum wiederholten Male greift der Zufall in sein Leben ein und gibt ihm eine weitere, entscheidende Wendung. Hartmann vertraut kurz nach seiner Ankunft seinen Koffer einem Mitreisenden an, der diesen jedoch entwendet und mit ihm Hartmanns gesamte Barschaft, alle seine Instrumente und Bücher, ganz zu schweigen von seiner Kleidung. Hartmann ist, bis auf „etwas Kleingeld, das er in der Westentasche trug", nun völlig mittellos.

    Gewiss kann er in der Stadt als Arzt tätig werden, aber er weiß ganz genau, dass in einer Groß­stadt wie New Orleans die Konkurrenz groß ist und „selbst der tüchtigste Arzt dort ein Jahr lang auf seinen ersten Patienten warten könnte".30 Anstatt zu verzweifeln, lernt Hartmann, nun ganz auf sich selbst zurückgeworfen, sich und seiner Kraft zu vertrauen und überlässt sich erneut dem Zufall. Er lernt be­reits am nächsten Morgen einen Apotheker kennen, den er aufsucht, um ein Mittel gegen die Moskitostiche zu erwerben, die ihn quälen. Im Gespräch mit dem Kollegen bietet ihm dieser ein Zimmer über seiner Apotheke an. Hartmann soll dort gratis Rezepte ausstellen, welche die Patienten dann in seiner Apotheke einlösen können. Ihm selbst wird ein Anteil am Gewinn zugesagt. Hart­mann greift zu und verfügt bald danach über ein Einkommen, „auf das man unter anderen Umständen hätte Jahre warten können".31

    In seinen Memoiren erkennt Hartmann rückblickend, dass es nicht der blinde Zufall ist, der sei­nen Lebensweg bis zu diesem Punkt geprägt und bestimmt hat. Der „Schüler der Theoso­phie erkennt in ihnen [den sog. Zufällen] die Wirkung des Gesetzes des Karmas, d.h. des Gesetzes, dass es keine Wir­kung ohne Ursache gibt, und dass in einem gewissen Sinne das Schicksal eines jeden Menschen un­ter einer höheren Leitung steht, die das Gesetz des Geistes in der Natur ist. Für ihn gibt es keinen „Zufall", der keinen Grund hat, es fällt dem Menschen nichts zu, als was er in diesem oder einem früheren Leben selber gesät und gepflanzt hat."32

    Aber der Aufenthalt in New Orleans bringt noch eine andere, vielleicht wichtigere Wendung in Hart­manns Leben mit sich. Die Stadt wird zu dem Ort, an dem er „die Gelegenheit" findet, „die materielle Weltanschauung in ihr Nichts versinken zu sehen". Von dieser ist er seit langem enttäuscht. Der Materia­lismus erweist sich als zu begrenzt, um wirkliche Antworten auf die großen Fragen zu geben, die Hartmann zunehmend beschäftigen: Was ist Wahrheit? Was ist Liebe? Wo kommt das Gute her, wo das Böse? Was ist das eigentlich: Leben?

    Auch die „blinden Spekulationen" der „modernen Philosophen" helfen ihm nicht weiter.33 Ledig­lich in den Werken Goethes und Shakespeares, in der Poesie generell, entdeckt er eine erste Ah­nung von dem Eigentlichen, das er sucht.

    Hartmann kommt in New Orleans in Kontakt mit dem damals in Amerika auftauchenden und von Anfang an sehr populären Spiritismus (engl. spiritualism)34. Er selbst beschreibt es in seinen Er­innerungen folgendermaßen: „Da las Dr. Hartmann eines Tages in der Zeitung, dass ein gewisser Professor Peebles einen Vortrag über den Spiritualismus halten werde, zu dem jedermann Zutritt hatte." […] „‚Um sich einen Jux zu machen‘, besuchte er die Versammlung, fand sich aber in überraschender Weise getäuscht; denn statt einer Versammlung hohläugiger Narren und Wahnsin­niger", die er nach eigenen Worten dort erwartet hatte, „fand er dort die beste Gesellschaft von New Orleans, [...]."35 Das Leben nach dem Tode wird vom Vortragenden in den leuchtendsten Farben geschildert, und Hartmann bemerkt ironisch, dass „man nichts Besseres tun könne, als sich eine Ku­gel durch den Kopf zu schießen, um baldmöglichst dahin zu gelangen".36

    Obwohl er dem Ganzen gegenüber skeptisch bleibt, kann er sich der Faszination des Vortrages nicht entziehen. Immerhin gibt es ein Leben nach dem Tode, Medien berichten darüber aus angeb­lich erster Hand, indem sie in Kontakt mit den Seelen Verstorbener treten, mit deren Stimme spre­chen und scheinbar Antworten und Botschaften aus dem Jenseits weiterleiten. Vielleicht scheint hier eine Möglichkeit auf, dem Sinn des Lebens näher zu kommen, Antworten auf die drängenden Fragen zu finden, die ihn immer noch quälen.

    Hartmann wird schnell zu einem Experten auf dem Gebiet des Spiritismus, ja „[...] es dürfte wohl schwerlich jemand in Amerika oder Europa zu finden sein, der von spiritistischen Phänome­nen mehr gesehen hat, als Dr. Hartmann während der nun folgenden zehn Jahre erfuhr. Dazu kam noch, dass er selbst bis zu einem gewissen Grade hellsehend und hellhörend wurde; [...]."37

    Der Naturwissenschaftler in ihm unterscheidet jedoch scharf zwischen Spiritualismus, den er be­fürwortet, und Spiritismus, dessen wahre Hintergründe er schnell erkennt: Spiritualismus oder Spiritismus sind zwei gänzlich verschiedene Dinge. […] Der Spiritualismus, im wahren Sinne des Wortes, ist die Wissenschaft vom Geiste und dessen Offenbarungen in der Natur; der Spiritis­mus ist der Verkehr mit „Geistern; d.h. mit den Bewohnern des Astralplanes, die aber in Wirklich­keit keine Geister sind, weil sie in der Regel keinen Geist haben.38 Zwar hat der Spiritismus den entscheidenden Vorteil, dass er „den blinden Materialismus, der alles ableugnet, was er nicht mit den Händen greifen kann", darauf hinweist, „dass sein Größenwahn eine Täuschung ist, und dass er noch lange nicht alles weiß".39 Dennoch kann Hartmann nicht umhin, sehr bald auch die Schattenseiten dieser Phänomene wahrzunehmen, insbesondere die großen Gefahren, welche die „Mediumschaft" mit sich bringt. Als Arzt, und noch dazu selbst sensitiv begabt, erkennt er schnell, „wie viele An­gaben der ‚Geister‘ der Wahrheit widersprachen und wie viele Medien physisch zu­grunde­ gingen".40

    Er ist zu wenig Schwärmer oder gar Gläubiger, um nicht auch die Scharlatanerie hinter vielen der vermeintlichen Erscheinun­gen zu sehen, denn oft „sind sie nur Manifestationen der unterbewussten Phantasie des Mediums oder der Sitzungsteilnehmer und haben dann den gleichen Wirklichkeitswert und Wahrheitsgehalt wie die Gestalten der nächtlichen Träume".41

    Auch wenn er einige der Phänomene, die er erlebt, durchaus für authentisch und echt hält, so bringen sie ihn auf seiner eigenen Suche nach Wahrheit nicht weiter. Für sich selber zieht er den Schluss, dass „man lernen [muss], sich statt fremden Geistern dem eigenen Geist zuzuwenden und mitten in der gewissenhaften Erfüllung der täglichen Pflichten nach Selbstbesinnung und Selbst-Erkenntnis zu streben".42

    1879 praktiziert Hartmann in Georgetown/Colorado erneut als Arzt und wird 1882 zum dortigen Gerichtsarzt bestellt. Im gleichen Jahr tritt er der AFAM43-Freimaurerloge Georgetown No. 12 bei.

    4. Isis entschleiert – Ein Buch als Antwort

    Im Spiritismus findet Hartmann weder den gesuchten Sinn des Lebens noch Antworten auf die Fragen, die ihn weiterhin quälen. Er befindet sich nach eigener Aussage in dieser Zeit in „einer Welt von Widersprüchen, in die er um jeden Preis Klarheit bringen wollte. Aber alle Versuche in dieser Richtung waren vergebens, es fehlte der Schlüssel zur Lösung des Rätsels."44

    Er ist verzweifelt, mehr als nur das, sein Zustand ist ernst, er denkt sogar an Selbstmord, eine ebenso radikale wie endgültige Methode, sich endlich persönlich von einem möglichen Leben nach dem Tode zu überzeugen. „Dr. Hartmann befand sich in einem Zustande, den Goethe im ‚Faust‘ mit den Worten schildert: Nur mit Entsetzen wach‘ ich morgens auf; / Ich möchte bittre Tränen weinen, / Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf / Nicht einen Wunsch erfüllen wird, nicht einen./ Dieser eine Wunsch war, zu wissen, was die Welt, im Grunde genommen, eigentlich ist, was der Zweck des Daseins ist, ob es ein Dasein nach dem Tode gibt, und wie es beschaffen ist. Auf diese Fragen war keine Antwort zu finden, und mehr als einmal kam ihm der Gedanke, sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen und sich so den Eintritt ins Jenseits und womöglich Gewissheit zu ver­schaffen."45

    Immer drängender stellen sich ihm diese Sinnfragen – und endlich soll er eine Antwort bekommen. Er entdeckt sie in einem Buch. Es ist das Buch „Isis entschleiert"46 von Helena Petrovna Blavats­ky47; ein Werk, das ihm im Jahre 1882 diejenigen Erklärungen aufzeigen soll, die er auf seinen Rei­sen bisher vergeblich gesucht hat.

    „H. P. Blavatskys Buch ‚Die entschleierte Isis‘ brachte Aufklärung über das Rätsel des Menschen und seine Stellung in der Natur. Da war es klar dargelegt, dass der wirkliche Geist des Menschen ein Wesen göttlicher Natur ist, der seine Heimat im Himmel hat, und wenn er in sein höheres Da­sein eingetreten ist, sich nichts mehr mit irdischen Träumereien, am allerwenigsten mit den Lappa­lien des Spiritismus zu schaffen macht. [...], es war da alles nicht nur beschrieben, sondern auch durch geschichtliche Tatsachen bewiesen und durch Vernunft und Verstand geprüft." 48

    Insbesondere letzteres, der Beweis durch „geschichtliche Tatsachen" und die Prüfung „durch Vernunft und Verstand", ist ihm wichtig, zu bitter waren seine Erfahrungen mit spiritistischen Phä­nomenen und deren tragischen Auswirkungen. Hier endlich findet er Antworten, die sowohl den Philo­sophen als auch den Naturwissenschaftler in ihm befriedigen.49

    Durch die Lektüre des Buches erkennt Hartmann, dass ein göttlicher Funke in jedem Menschen unentdeckt schlummert („In jedem Menschen ist ein Funke des ewigen, geistigen Lebens enthalten, und aus ihm entspringt das Gefühl der Unsterblichkeit von irgendetwas in ihm, das er nicht kennt."50 Somit verweist jede Suche nach Gott den Suchenden letztendlich auf sich selbst zurück. Wahre Selbsterkenntnis, so versteht er plötzlich, ist also die Entdeckung dieses göttlichen Funkens in sich selber: „Unser wahres Selbst ist der Geist Gottes in uns, der den Himmel und alle Welten erschafft und erhält. Er ist unser göttlicher Geist, unser wirkliches Ich, das weder schläft noch wacht, weder lebt noch stirbt, sondern das Leben und Bewusstsein selber ist. Wenn es im Menschen offenbar wird, verleiht es ihm sein wahres Ich-Bewusstsein."51

    Er erkennt den Menschen als Mikrokosmos, in welchem das gesamte Spektrum kosmischer Kräfte als Samen angelegt ist. Die Aufgabe, der sich jeder ernsthaft nach Wahrheit und Erkenntnis Suchende stellen muss, ist seiner Meinung nach, diesen Samen, diesen göttlichen Funken, über Jahre und Jahrzehnte, sogar über viele Leben hindurch zu entwickeln, ihn durch die Konzentration auf geistige Dinge zu bestärken und so eine spirituelle Evolution zu durchlaufen, an deren Ende die wahre Selbsterkenntnis steht. „Das Wort ‚Selbsterkenntnis‘ hat eine äußerliche und eine innerliche Bedeutung. Im äußerlichen Sinne genommen, ist damit gemeint, dass man einen Gegenstand nicht nur vom Hörensagen, sondern aus eigener Anschauung und Erfahrung kennt. […] Nur dasjenige, was ich selber erlebt, erfahren und ‚eingesehen‘ habe, kann ein Gegenstand meiner Selbsterkenntnis sein. In innerlicher Beziehung bezeichnet das Wort Selbster­kenntnis die Erkenntnis des eigenen Selbst, und diese Selbsterkenntnis ist nur dann eine wahre, wenn sie sich auf das eigene wahre Wesen und nicht nur auf die chamäleonartig sich beständig ändernde eigene Person bezieht, die nicht das wahre Selbst ist."52

    Die hier gefundenen Einsichten und Wegweisungen werden Hartmann fortan immer begleiten, und er wird einen Großteil seines späteren Wirkens in die philosophische Ausarbeitung und Verbreitung dieser für ihn so rettenden Einsichten stellen. Viele sollen von diesem „Licht in dunkler Nacht" profitieren und sich mit ihm auf den Weg zu sich selbst begeben. Zunächst aber stehen für ihn recht praktische Entscheidungen im Vordergrund.

    Hartmann begibt sich erneut nach New Orleans und tritt 1883 der Theosophischen Gesellschaft bei.53 Er sucht brieflichen Kontakt zu ih­ren führenden Persönlichkeiten, zu Helena Petrovna Blavatsky und später auch zu Henry Steel Ol­cott.

    Sein Wunsch nach einem persönlichen Treffen mit Madame Blavatsky soll sich schon sehr bald auf eher ungewöhnliche Weise erfüllen. Er erhält eine schriftliche Einladung von Olcott, dem damali­gen Prä­sidenten der TG in Adyar in Indien, die dieser auf Veranlassung des Meisters54 Morya aus­spricht. Ol­cott bittet Hartmann, nach Indien zu kommen, um in seiner Abwesenheit selbst das Amt des Präsi­denten der Gesellschaft zu übernehmen.55

    Hartmann träumt von diesem Brief, der seinem Leben die entscheidende Wendung bringen soll, in der Nacht vor dessen Ankunft: „Eines Morgens im Jahre 1883 träumte Dr. Hart­mann, während er im Halbschlafe lag, er sähe einen Brief, dessen Handschrift ihm unbekannt war. Auch waren darauf die ihm ebenfalls unbekannten ausländischen Postmarken nicht wie gebräuch­lich auf die adressierte Seite des Briefes, sondern auf die gesiegelte Seite geklebt. Nach dem Früh­stücke begab er sich auf die Post und fand dort wirklich den oben beschriebenen Brief. Es war ein Schreiben von Colonel Olcott, das eine Einladung an Dr. Hartmann enthielt, nach Indien zu kom­men und an der Leitung der theosophischen Bewegung teilzunehmen."56

    5. Das Ziel ist in Sicht – Aufbruch nach Indien

    Am 11. Oktober 1883 schifft sich Hartmann nach Indien ein, das er nach Zwischenstopps in Ja­pan und China am 4. Dezember erreicht. Schon am 26. Dezember tritt er, wie führende Theoso­phen57 vor ihm, zum Buddhismus über.58 Innerhalb kürzester Zeit wird er zum engen Vertrauten von Madame Blavatsky, Olcott und Subba Row59.

    An sein erstes Treffen mit H. P. Blavatsky erinnert er sich wie folgt: „Gleich nach meiner Ankunft in Adyar wurde ich von H.P.B. begrüßt, die vom ersten Augen­blicke an meine volle Sympathie besaß, und mit der ich bis zum Ende ihres Lebens auf freundschaftlichem Fuße stand, wenn wir auch einige Male Gelegenheit hatten, uns übereinander zu ärgern."60

    In dieser ersten Zeit in Adyar61 setzt Hartmann sich intensiv mit den Lehren der Theosophie aus­einander, er vertieft sich in die Philosophie des Buddhismus und Hinduismus und studiert die ver­schiedenen Ausprägungen des Yoga.62 Er begleitet Madame Blavatsky auf ihren zahlreichen Reisen im Lande63 und macht sich mit dem Buddhismus weiter vertraut. In den in Indien und insbesondere in Ceylon überall zu findenden Buddha-Statuen sieht er „das Sinnbild des inneren Menschen, das zeigt, dass die Weisheit des Gott­menschen, der seine Heimat im Herzen des äußeren Menschen hat, größer, umfassender und erha­bener ist als alles Wissen des äußeren Menschen"64.

    Es ist Hartmann, bezogen auf seine Konversion zum Buddhismus, sehr wichtig zu betonen, dass „ein Wechsel eines Religionssystemes keineswegs einen Glaubenswechsel bedeutet".65 Erklärend führt er weiter aus: „Wer den auf wahrer Empfindung beruhenden wahren Glauben an das Wahre hat, der kann ihn nicht wechseln, das, was man wechseln kann, ist kein wahrer Glaube, sondern nur eine angenommene Meinung. Deshalb haben auch alle so genannten „Bekehrungen" keinen wirklichen Wert, und die einzige richtige Bekehrung ist, wenn man im Inneren aus dem Irrtum zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt. Wer das Wahre in dem Religionssysteme, dem er angehört, erkennt und ausübt, der ist der richtig Bekehrte. Wer der Lüge huldigt, ist der Feind der Religion."66

    Hartmann scheint endlich auch geistig an seinem Ziel angekommen zu sein. In Indien bekommt er Antworten auf die ihn schon lange beschäftigenden Fragen nach Wahrheit und Sinn des Lebens; hier wird ihm deutlich, dass die Welt hinter den sichtbaren Erscheinungen unendlich reicher und erfüllender ist als alles an­dere, das er bisher erforscht hat.

    Doch diese ehrliche Begeisterung für die Sache der Theosophie macht Hartmann nicht blind für Missstände, von denen auch das Hauptquartier der TG in Adyar nicht frei war. Bereits während seiner Anreise haben die ihn begleitenden Brahmanen „vorsichtige Bemerkungen"67 gemacht, die andeuten, dass „am Hauptquartiere nicht alles so war, wie man es wünschte"68.

    Hier im „Zentrum der Welt", im Rom „nicht des Kirchentums – sondern der Gottesweisheit", wo ihm Ol­cott als „Hierophant"69 erscheint und die „Chelas70 (Schüler der Adepten71) als Apostel, frei von al­len menschlichen Leidenschaften, von göttlicher Liebe zur ganzen Menschheit erfüllt" – auch hier findet er menschliche Schwächen, stößt er auf Missgunst und Neid.72 Rückblickend schreibt er zu einem späteren Zeitpunkt in den Lotusblüten: „Durch persönliche Beobachtungen während meines Aufenthaltes in Indien bin ich zu der Überzeugung ge­langt, dass noch lange nicht alle, die man Brahmanen nannte, es auch wirklich waren – so wenig, wie alle Angehörigen des geistlichen Standes wirklich geistlich gesinnt sind. Man muss hier wie überall zwischen Schein und Sein unterscheiden."73

    6. Vorzeichen der Krise

    Eine große Schwäche der TG zu diesem Zeitpunkt ist gleichzeitig auch ihre große Stärke: Die so genannten Phänomene, die sich überall im Umfeld von Madame Blavatsky ereignen und die gerade in der Anfangsphase der Bewegung nicht wenig zur Popularität der Theosophie beitragen. Sie sind Fluch und Segen zugleich, wie sich schon bald herausstellen soll.

    Ein Segen sind sie, weil sie der noch jungen Theosophischen Gesellschaft, wie oben bereits angedeutet, die nötige öffentliche Aufmerksamkeit bringen. In einer Zeit ohne die heute selbstverständlichen Massenmedien wie Fernsehen oder Internet sind sie ein probates Mittel, um neue Ideen potenziellen Anhängern überhaupt erst bekanntzumachen. „Immerhin war das Geheimnisvolle, das H.P.B. umgab, der große Magnet, der viele, deren mystische Natur sich regte, aber auch viele sogenannte Träumer und Schwärmer anzog. […] der Ruf der Phänomene zog viele Neugierige an, die dann oft statt der erhofften Wunderwerke etwas viel Besseres fanden."74

    Ohne die „Wunder", die Blavatsky so zahlreich wirkt, ist sie nur eine ältere Frau, ohne akademische Meriten, eine Ausländerin obendrein. Wer hätte ihr zugehört in einer Zeit, in der die Meinung von Frauen ohnehin oft ungehört verhallte? Wer hätte sich für ihre neuen, revolutionären Ideen begeistert oder auch nur einen zweiten Gedanken daran verschwendet, wenn schon gestandene Männer der Wissenschaft, wie Charles Darwin, ihre eigenen Ideen nur schwer gegen die Anfeindungen ihrer Gegner verteidigen konnten?

    Zu einem Fluch werden diese „Wunder aber, wenn ihre Strahlkraft die eigentliche Botschaft der Theosophie zu überdecken droht, sich bald alle nur noch für die „Wunder interessieren und kaum noch einer mehr für das, was sie transportieren.

    Es gilt, das eine gegen das andere abzuwägen, die Kosten dem potenziellen Nutzen ge­gen­über­zu­stel­len. Es spricht der Pragmatiker aus Hartmann, wenn er im Rückblick in seinen Erinnerungen das folgende Fazit zieht: „Ohne die okkulten Phänomene wäre Blavatskys Mission schwerlich geglückt. Es ist schwer, neuen Ideen Eingang zu verschaffen, wenn die Aufmerksamkeit nicht durch äußerliche Mittel angeregt wird. Achtzig Jahre dauerte es, ehe Schopenhauers Philosophie in Deutschland Eingang fand, […]. Hätte Blavatsky als einfache Schriftstellerin philosophische Werke verfasst und sich jemals ein Verleger dafür gefunden, so hätte es wohl lange gedauert, ehe ihre Schriften bekannt geworden wären. Die okkulten Phänomene setzten die Welt in Erstaunen. Sie waren für die Theosophie ungefähr dasselbe, was für die Religion das Glockengeläute ist, wenn es die Gläubigen zur Andacht versammelt."75

    Und wirklich rufen die „Glocken" viele neue Anhänger, die Gesellschaft wächst und gewinnt an Einfluss, aber sie rufen auch Neider auf den Plan, die ihre Felle davonschwimmen sehen, speziell die protestantischen Missionare in Adyar, die „ihr Ansehen und ihre Einkünfte durch diese Erregung bedroht sahen"76.

    Die Phänomene zeigen in ihrer Wirkung sehr bald ihren zwiespältigen Charakter, und ins­be­son­dere die „geheimen Briefe", die auf höchst mysteriöse Weise erscheinen, erweisen sich als äußerst pro­blematisch. Auch Hartmann erkennt deren Bedeutung schnell: „An okkulten Phäno­menen war damals im Hauptquartier kein Mangel, und Col. Olcott wusste nicht genug davon zu er­zählen. […], aber die Hauptsache waren die ‚geheimen‘ Briefe, die bald dieser, bald jener von den Adepten erhielt, in denen persönliche Ratschläge mitgeteilt wurden."77

    Diese Briefe mit persönlichen Ratschlägen und Anweisungen der Meister78 an Bewohner des Hauses er­scheinen überall, je nachdem wo sich der Empfänger befindet – sie liegen auf Tischen, fallen von der Decke, finden sich in verschlosse­nen Behältnissen, ja materialisieren sich sogar vor den Augen der Beobachter.

    In diesem Zusammenhang ist ein Wandschrank wichtig, in welchen die Ratsuchenden ihrerseits Briefe mit Fragen an die Meister legen, die auf geheimnisvolle Art und Weise aus dem verschlosse­nen Schrank, welcher selbst in einem ebenfalls verschlossenen Zimmer steht, verschwinden. Später sind dann in eben diesem Schrank die Antworten zu finden.79

    Auch Hartmann macht von diesem speziellen Vermittlungsdienst zu den Meistern Gebrauch, ist er doch nach Indien gekommen, um ihnen seine Dienste anzubieten. Als er auf anderem Wege keine Anweisungen von ihnen erhält, überwindet er seine Scheu, er wagt „den Versuch, einen Brief in den Wandschrank stecken zu lassen, worin er sich bereit erklärte, den Adepten seine Diens­te zur Verfügung zu stellen. […] Am nächsten Tage wurde an dieser Stelle eine Antwort gefunden, [...]."80 Die Antwort, die er erhält, bestärkt ihn in seinen Bemühungen: Er soll in Asien bleiben, sich an den Arbeiten der TG be­teiligen, anderen helfen, damit ihm selbst geholfen werden kann.

    Ob der Brief wirklich von den Meistern geschrieben wurde? Hartmann ist überzeugt davon. Da­für sprechen persönliche Details im Inhalt, die niemandem in Indien bekannt sind, dafür spricht auch „jenes Gefühl der inneren Überzeugung, das vor dem Richterstuhl der nur nach dem äußeren Schein urteilenden Wissenschaft nicht als Zeuge anerkannt wird".

    Abgesehen davon bleibt er „Realist": Selbstverständlich kennt er die Handschrift der Meister nicht, weiß ebenfalls nicht, wer der tatsächliche Absender des Briefes ist, demnach, so räumt er ein, „hätte dieser Brief wohl auch von H.P.B. oder Olcott geschrieben sein können".

    Aber darum geht es ihm ja auch nicht, es geht nicht um einen „Identitätsbeweis", sondern um einen Rat, und die im Brief „enthaltenen Ratschläge waren jedenfalls gut, einerlei von wem sie ka­men".81 Doch so denken nicht alle Mitglieder der TG. Vielen geht es eben nicht nur um den Inhalt, sondern sehr wohl auch um den Absender und nicht zuletzt natürlich ebenfalls um die geheimnis­volle Art und Weise, in der diese Zeugnisse aus einer „anderen Welt" ihren Eingang in diese finden.

    Es ist eine Entwicklung, die Hartmann mit Sorge beobachtet, denn „[u]m die allgemeine Menschen­verbrüderung schien sich kein Mensch mehr zu bekümmern; sie lief nur mehr so als leere Phrase, die niemand beachtete, nebenher: Die Hauptsache waren die „Phänomene geworden. […] Die Re­putation der Gesellschaft schien nur darauf zu beruhen, zu beweisen, dass die Phänomene „echt seien. Das wurde die alles beherrschende Frage, man stritt, kratzte und biss, und mit der Verbrüde­rung ging es mit Riesenschritten zu Ende."82

    CONVENTION GROUP, ADYAR, DEZEMBER 27-29, 1884. Stehend: M. Krishnamachari (auch als Dharbagiri Nath und Bawaji bekannt), und Col. H. S. Olcott. Sitzend, von links nach rechts. Hintere Reihe: Major-General Henry Rodes Morgan; William Tournay Brown; T. Subba Row (mit Turban); H. P. Blavatsky; Dr. Franz Hartmann; Rudolf Gebhard. Mittlere Reihe: Norendro Nath Sen; Damodar K. Mavalankar; S. Ramaswamier; Judge P. Sreenivasa Row. Erste Reihe: Bhavani Shankar; T. Vijayaraghavacharlu; Tukaram Tatya; V. Coopooswami Iyer.

    7. Coulomb/Hodgson-Affäre und Rehabilitierung Blavatskys

    Über die nun folgende, so genannte Coulomb- oder Hodgson-Affäre ist bereits an anderer Stelle viel geschrieben worden, ausführlich in der Blavatsky-Biographie von Sylvia Cranston: Leben und Werk der Helena Blavatsky.83 Dennoch soll hier kurz darauf eingegangen werden. Diese Affäre und die schlampigen, alles andere als objektiven Ermittlungen der Society for Psychical Research (SPR), insbesondere der so genannte Hodgson-Report,84 versetzen durch die zahlreichen Fehlurteile, die sich daraus ergeben, der noch jungen TG einen Schlag, von dem sie sich nur schwer wieder erholt. Es wird über hundert Jahre dauern, bis die Haltlosigkeit der Vorwürfe und Unterstellungen wissenschaftlich widerlegt werden.

    Ausgelöst wird dieser Skandal durch die gekränkte Eitelkeit eines entlassenen Hausmeister-Ehepaares, den Coulombs, die sich an der TG und auch an Madame Blavatsky rächen wollen. Verschiedene Unregelmäßigkeiten, etwa die Veruntreuung von Geldern durch die Coulombs, haben zu ihrer Entlassung geführt, und sie flüchten sich in die Arme der christlichen Missionare, zu denen Frau Coulomb schon vorher Kontakte pflegte. Sie erklären, dass Blavatsky die Meisterbriefe sämtlich selbst verfasst habe, diese also damit gefälscht seien, und dass geheime An- und Umbauten im Haus dazu dienten, die so berühmten Phänomene zu erzeugen – Stoff für einen vehementen Artikel im Christian College Magazine, in dem Madame Blavatsky als angebliche Betrügerin, zudem als „Frau von lockerer Moral" entlarvt und auch die Existenz der Meister infrage gestellt wird.

    Hartmann selbst schreibt in Zusammen­hang mit der Affäre einen eigenen „Report of Observations Made during a Nine Months’ Stay at the Head­quarters of the Theosophical Society at Adyar (Madras), India".85 In diesem bemüht er sich, Klar­heit in die verfahrene Situation im Hauptquartier zu bringen, indem er auf Widersprüche innerhalb der Vorwürfe ver­weist und versucht, die eigentlichen Ziele der TG wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, letztendlich aber vergebens. Die aufgeheizte Öffentlichkeit stürzt sich begierig auf den vermeintlichen Betrug und ist nicht bereit, sachlichen Argumenten Gehör zu schenken.

    Einige Jahre später äußert sich Hartmann in den Lotusblüten sehr kritisch zu den Umständen, die dazu führten, dass die Gesellschaft den Report, der sie beinahe zerstören sollte, gewissermaßen selbst provoziert hatte:

    „Infolge der Prahlsucht oder des blinden Enthusiasmus einiger Mitglieder der „Theosophischen Gesellschaft hatte nämlich die bekannte „Society for Psychical Research in London, welche die Untersuchung von Spukgeschichten zum Zweck ihres Daseins hat, von diesen Phänomenen gehört, und da sie dieselben mit spiritistischen Narrheiten verwechselte, so entsandte dieser Verein einen jungen Mann als „Sachverständigen" nach Indien, um die Sache zu untersuchen. Dies ist ungefähr geradeso, als ob der verehrte Leser dieser Zeilen zu mir nach Wien kommen wollte, um sich zu überzeugen, dass mein Vetter in Amerika, von dem ich mitunter Briefe zu erhalten vorgebe, wirklich existiert und seine Briefe wirklich von ihm selber geschrieben sind. Da würde es doch vor allem nötig sein, dass der Vetter aus Amerika selber hierher käme, um dem Sachverständigen seine Identität zu beweisen.

    Aber der „Vetter aus Amerika kam nicht, um die Neugierde des Herrn aus London zufriedenzustellen, der „Sachverständige, der von der ganzen Sache nichts verstand, sah sein Mission gescheitert; da er aber wohl oder übel einen Rapport über seine Sendung machen musste, um sich nicht bloßzustellen, so schrieb er ein Buch über die Dinge, von denen er nichts gesehen hatte, stellte darin seine selbst erfundenen Theorien auf, wie diese Dinge vielleicht hätten gemacht werden können, und wie er sich vorstellte, dass sie gemacht worden sind."86

    Es dauert mehr als hundert Jahre, bis sich ein anderer Wissenschaftler der SPR, Dr. Vernon Harrison, Experte für Handschriften und Fälschungen, Hartmanns Einschätzung des Reports anschließt und sich daran macht, die in dem Report enthaltenen gravierenden methodischen und wissenschaftlichen Mängel, die sub­jek­tiven Fehl­urteile und Falschaussagen zu widerlegen und die TG in allen Punkten vom Vorwurf des Be­trugs und der Fälschung freizusprechen.87

    Er zeigt in seiner Untersuchung des Hodgson-Berichts H. P. Blavatsky und die Society for Psychical Research (SPR), dass der Hodgson-Bericht, so wörtlich, „ein parteiisches Dokument ist, das jeglichen Anspruchs der Unparteilichkeit ent­behrt. Es ist die Rede eines Anklagevertreters, der nicht zögert, Be­weis­stücke zu selektieren, die zu seinem Fall passen, und der dabei alles ignoriert und unterdrückt, was seiner These widerspricht."88

    Harrison geht es darum, aufzuzeigen, dass neben Madame Blavatsky auch die Coulombs ein Motiv hatten, nämlich Rache für ihre unehrenhafte Entlassung aus den Diensten der TG, und somit beide Parteien am Ausgangspunkt der Untersuchung gleichermaßen verdächtig sind oder es hätten sein sollen – eine Tatsache, die damals weder von Hodgson noch von der SPR gewürdigt wird. So hat man weder von Emma noch von Alexis Coulomb eine Handschriftenprobe ge­nom­men, um sie mit der Handschrift in den Briefen zu vergleichen. Dabei war es innerhalb der TG all­ge­mein bekannt, dass es Alexis Coulomb sehr talentiert verstand, die Handschrift von Madame Blavatsky nachzuahmen, ja dass er sogar des Öfteren „zum Spaß" gefälschte Anweisungen in ihrem Namen verfasst hatte.89

    Auch spielt es in der gesamten Untersuchung keine Rolle, dass Emma

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