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Schatten in Teheran
Schatten in Teheran
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eBook133 Seiten1 Stunde

Schatten in Teheran

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Über dieses E-Book

Kurz vor dem Neujahrsfest verteilt die Iranerin Banu Halwa unter den Nachbarn und bittet um Gebete für die Seelen der Toten. Dabei denkt sie an den Strom der politischen Ereignisse, die das Leben ihrer Familie gezeichnet haben, an die Revolution und den Krieg. Ihr Sohn wollte als Arzt Menschen helfen, ihr zweiter Sohn liebte die Freiheit. Ihre Tochter war bereit, für das Glück weite Wege zu gehen, ihre andere Tochter zog sich ganz ins Muttersein zurück. Und ihr Schwiegersohn war selbst im Krieg, doch er beschäftigt sich lieber mit seinen Büchern als davon zu erzählen...
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum16. März 2015
ISBN9783944201764
Schatten in Teheran

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    Buchvorschau

    Schatten in Teheran - Mitra Gaast

    I. Banu

    Teheran - März

    Für einen Augenblick meint sie ihren Namen zu hören, vielmehr ihren Rufnamen, mehrmals sogar wiederholt: Banu, Banu! In verschiedenen Tonlagen und Betonungen, gedehnt, geträllert, geballt und wieder aufgelöst, so verschieden verspielt jedes Mal, wie die Sprache es zulässt, wie Kinder sie in diesem Haus gerufen haben, junge Frauen, verliebte Männer. Nur einen Augenblick lang, dafür aber so wahr wie ihre Tauben es sind. Banus Tauben, hellbraun oder weiß gefiedert mit ihren schön geformten Köpfchen und zarten Kehlen, ihrem sachten Lidschlag. Sie hätte schwören können, dass da jemand gerufen … Aber nein, da ist keiner mehr. Nur kurz sieht sie auf von ihren Händen voller Hirse, von der sie immer etwas auf den geteerten Boden ihrer Dachterrasse streut, damit die Tauben kommen von überall her und sie tüchtig aufpicken. Sie sieht auf und staunt. Seltsame Jahreszeit! Bis zum Frühling sind es noch ein paar Tage. Und diese paar Tage kommen Banu manchmal wie ein Herzschlag, manchmal wie viele Leben vor. Das Wetter scheint ja schon wieder umzuschlagen. Innerhalb kürzester Zeit verändert sich das Licht. Eben nämlich war der Himmel über Teheran blau, blauer als blau, als wäre er das Bild des Himmels in einem blank polierten Spiegelglas. Das Morgenlicht fing sich in den Tropfen, die von den Spitzen der Efeublätter herabhängen. Der Strauch hat schon die ganze Westmauer der Terrasse bedeckt, wächst schon übers Dach und will wohl noch die Ostmauer erobern. Ein paar Sonnenstrahlen kletterten die Mauern schräg herab, fielen auf ihre üppigen Blumen und Bäumchen. Das Grün der Blätter wurde dunkel, das Rot der Geranien glühend. Spatzen fingen zu zwitschern an, ein paar Schwalben flogen sogar heran. Aber der Wind, der sich an den Kanten des Blechdachs über der Terrasse schneidet und aufheult, tut seinen Part und bringt immer wieder Wolken her. Ein wildes Aufblasen und Wirbeln, ein paar winzige bunte Blüten der Wandelrose fallen zu Boden, ihr Laub verströmt seinen würzigen Geruch, und schon fallen die Tropfen, waschen den Ruß von den Fassaden. In den Dachrinnen fängt es an zu gluckern, irgendwo plätschert Regenwasser auf Stein. Nicht ein Vogel ist zu hören. Auch die Tauben hören plötzlich auf zu gurren, trippeln nur unruhig umeinander herum, als wollten sie Schutz suchen vor dem kommenden Regenguss.

    So wechselhaft ist es den ganzen Morgen schon, seit Banu aufgewacht ist. Sie hat das Bett am großen Fenster zum Norden und sieht jeden Tag zu, wie der Morgen graut, allmählich, ohne Eile. Und wenn es hell genug ist, hell genug für Banus Augen, richtet sie sich auf, blickt über Teheran: ein Puzzle. Häuser und Hochhäuser wie Kuben, kreuz und quer, bedecken die weitläufige Senke der Bergkette, die abfällt ins flache Land, und das Ende dieser Stadt ist nicht zu sehen. Zum Süden, Osten und Westen ist nur Dunst, grau und braun, als würde da schon die Wüste anfangen. Nur zum Norden hin ist es licht. Dort sind die Berge. Manchmal zeigen sie Banu ihre grauen Felsen, ihre sandigen Flanken, aber immer ihre weißen Spitzen wie fransige Mützen, schneebedeckt noch im Hochsommer. Banu sieht jeden Morgen hin, vergewissert sich: Die Gipfel der Berge sieht sie noch, und auf den Flachdächern der Nachbarschaft die weißen Laken, die an Wäscheleinen flattern. Irgendwo erkennt sie ein verlassenes Plastikspielzeug, und sie schüttelt schmunzelnd den Kopf, wenn sie die vertrockneten Pflanzenreste in den Töpfen eines leichtsinnigen Nachbarn sieht. Der hat wohl gedacht, Grün hätte unter Teheraner Sonne ohne weiteres eine Überlebenschance. Und auch all die Fernsehantennen sieht sie noch, die unzähligen dünnen Metallstäbe, die erwartungsvoll in die Luft ragen, als hätte die Stadt dauernd Gänsehaut.

    Du siehst noch! Und lebst!

    Banu wirft sich einen Umhang um die Schultern, den wollenen aus Turkmenistan oder den baumwollenen aus Kurdistan, und begibt sich vorsichtig die paar Stufen hinab ins Bad. Zeit ist genug für Waschung und Gebet: Gegrüßt seien der Prophet und seine Nachfahren, gegrüßt seien der Prophet und seine Nachfahren, gegrüßt seien ... Wenn sie zurück ist in ihrem Zimmer, tauscht sie den Umhang gegen den weißen, fein geblümten Tschador¹. Das Gesicht dem Haus Gottes zugewandt, nach Mekka, bleibt sie lange auf den Knien, legt immer wieder die Stirn auf den gesegneten Gebetsstein zur Fürbitte: Gott erbarme dich! Erbarme dich unserer Kinder!

    Banu hat nur noch Gott und die Tauben.

    Und wen noch?

    Als der Wind einen Schwall Regen über die Terrasse fegte, flogen die Tauben auf, und Banu fiel eine Strähne ihres weißen Haares ins Gesicht. Sie schloss die Tür. Jetzt steht sie davor und sieht hinaus, hört nichts, außer dem Ticken der alten Uhr auf der Kommode. Wenn die Tauben nicht zu hören sind, hört sie das merkwürdige Schweigen der Welt.

    Sie würde sich gern wieder eine Stimme in ihrem Rücken einbilden, oder ein Geräusch. Das wie Perlen rieselnde Lachen eines kleinen Mädchens, das von seiner älteren Schwester gekitzelt wird, die Schritte eines Jungen, der zum Kühlschrank rennt, um heimlich einen Löffel Fessendjan² zu schlecken, den jungen Mann, der die Treppe hoch eilt, drei Stufen auf einmal nimmt: „Mutter, das ist kein Haus, sondern ein Turm, den Sie gebaut haben! Einmal wieder irgendwoher ein Lied hören, das den Frühling besingt, und einmal wieder aus dem anderen Zimmer das Röcheln des großen Samowars³ hören und daraufhin: „Banu-djan!⁴ Soll ich den Samowar löschen oder mögen Sie noch Tee trinken? Die Stimme von Lotfi-Khan⁵, ihrem Mann, kraftvoll und klar wie seine Liebe. Voller Klang, selbst als er sich zum ersten Mal vor sie stellte und das Wort an sie richtete. Auf ihnen ruhten an jenem Tag vor über sechzig Jahren die nachsichtigen Blicke aller Ältesten beider Familien, die gerade nach einem halben Jahr Verhandlungen die Ehe beschlossen hatten. Da legte sich der Dreißigjährige seine sichtlich zitternde Hand auf seine Brust, verneigte sich, und sagte in aller Deutlichkeit: „Verehrte Banu! Wenn Sie erlauben, verabschiede ich mich für heute. Nicht der kühnste Mann hätte damals seine Zukünftige mit ihrem Vornamen angesprochen. Deshalb dieses „Banu. Aber dieses „Banu, das er zu ihr sagte, und wie er es sagte, mit seiner schönen Stimme so lang gezogen, stellvertretend für so viele andere Worte, die er ihr noch nicht sagen durfte, dieses „Banu drang gleich in ihr Herz, wurde zu ihrem zweiten Namen. Und es blieb über vier Jahrzehnte ihrer beider Geheimnis, dass er, wenn er Banu mit ihrem wirklichen Namen ansprach, einen Augenblick tiefster Bewegtheit durchlebte, oder einer Vertrautheit, die Menschen von Anstand nur unter vier Augen offenbaren. In ihren Namen legte er seine ganze Liebe und sein ganzes Ehrgefühl: Iran⁶. Das ist ihr Name.

    Es war morgens immer ein Gluckern und ein Köcheln im Raum, und Banu wusste, dass der Samowar so gefährlich voll mit siedendem Wasser sein musste, dass er sich schüttelte. Jemand musste die Flamme herunterziehen, bevor das ganze Wasser verdampfte. Der herbe Duft von gutem Tee sickerte schon durch den offenen Türspalt, breitete sich aus. Morgens machte Lotfi-Khan immer selbst den Tee. Er brühte ihn in der Porzellankanne mit dem Rosenmuster auf, stellte diese oben auf den Samowar und auf den Deckel legte er ein kleines Frotteetuch, damit der Tee auch gut zog in der Brühe und dem eigenen Dampf. Dann holte er frisches Brot. Heiß, kaum anzufassen, die dünnen knusprigen Fladen, die eben noch an den glühenden Steinen des Ofens beim Bäcker klebten. Die Kinder durften dann das duftende Paket aufschnüren, damit das Brot darin nicht aufweichte. Mit hüpfenden Fingern brachen sie sich Stücke davon, klopften auf der Rückseite kleine, noch übrig gebliebene Kieselsteine ab, pusteten aus vollen Backen, und bissen hinein. Eines der älteren Kinder warf ein großes Tuch auf den Boden, darauf das Sofreh, die Tafel aus weiß gemustertem Kunststoff, und alle setzten sich rundherum. Lotfi-Khan, der zuhause sehr wortkarge Mann, schaute während des Frühstücks unentwegt seine vier Kinder an. Und Banu kann noch seine Stimme hören, wie er, bevor er das Haus verließ, sagte: „Heute bringe ich einen Sack Reis und auch bulgarischen Käse. Den essen sie doch alle lieber als den anderen aus Tabriz⁷."

    Wenn er sich abends in Richtung Mekka verneigte, sollte niemand im Zimmer reden. Doch es störte ihn nicht, wenn eines der Mädchen, meistens Roya, die Jüngste, neben ihm kauerte, ihn aus großen ernsten Augen ansah. Es schien, dass dieser hagere Mann, der immer nach Old Spice und amerikanischen Winston Zigaretten roch und jetzt an seinem Rosenkranz nestelte und Stein für Stein ein Gebet aussprach, eine magische Anziehung auf das Kind ausübte, sodass es immer ein Stückchen näher an seinen Vater heranrückte, und irgendwann den Kopf auf seine Knie legte. Der Gottesanbetung tat es niemals einen Abbruch, dass er, noch seine Koran-Suren murmelnd, mit einer Hand den kleinen Kopf auf seinen Knien streichelte.

    So waren die Jahre einmal in diesem Haus.

    Hat sie etwas gehört? Oder gesehen? War da etwas?

    Ob ihr ihre Sinne einen Streich spielen? Am äußersten Rand dessen, was sie noch sieht, dort, wo ihre Pflanzenkübel jetzt Bauch an Bauch im Regen stehen, zuckt immer wieder ein weißer Fleck hervor und verschwindet wieder im Schwarz. Ein paar Mal blinzelt sie, schiebt den Store

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