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Jedermanns Lieblingsschurke: Gert Fröbe. Eine Biographie
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eBook259 Seiten2 Stunden

Jedermanns Lieblingsschurke: Gert Fröbe. Eine Biographie

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Über dieses E-Book

Vom "Otto Normalverbraucher" zum 007-Bösewicht Auric Goldfinger, vom Kindermörder Schrott in Es geschah am hellichten Tag zum Räuber Hotzenplotz: Gert Fröbe war einer der wenigen internationalen Stars aus Deutschland. Er, der ein Leben lang darunter litt, vor allem Bösewichte spielen zu müssen, war Publikumsliebling, ein Kerl mit weichem Herzen in rauer Schale. Bis heute ist die Sympathie für ihn ungebrochen.
Michael Strauven porträtiert den Mann aus Sachsen auf seinem Weg zum Weltstar. Begnadeter Geiger, talentierter Maler, Artist, Clown, legendärer Morgenstern-Rezitator, Frauenschwarm und ein Vollblutschauspieler mit der Lust, aufs Ganze zu gehen - Fröbe war (und ist) unwiderstehlich. Kurzweilig und anschaulich zeigt die Biographie Bekanntes und Unbekanntes aus Fröbes Leben, schildert Höhen und Tiefen seiner fulminanten Karriere, stellt den Privatmann wie den Charakterdarsteller auf Weltniveau vor und lässt so eine (gesamt-)deutsche Legende lebendig werden.
SpracheDeutsch
HerausgeberRotbuch Verlag
Erscheinungsdatum1. März 2013
ISBN9783867895590
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    Buchvorschau

    Jedermanns Lieblingsschurke - Michael Strauven

    2012

    1.

    Schicksalsentscheidung

    1964

    Irgendwann hatte Gert Fröbe sich vorgenommen, keine Schurken mehr zu spielen. War er denn nicht sehr gut angekommen als liebenswerter Panzerknacker in Der Gauner und der liebe Gott oder als gutherziger Freistilringer in Der Pauker? Die Leute mochten ihn doch als netten Kerl. Fröbe sah sich nie als Bösewicht. Seine greise Mutter in Zwickau beschwerte sich häufig: »Junge, lass die bösen Rollen – ich kann ja den Nachbarn gar nicht mehr in die Augen schauen …« Und doch hatte er in vielen Filmen genau das sein müssen, ein Schurke. Dann endlich, mit immerhin fünfzig Jahren, bekam er das Angebot seines Lebens, die Chance zur allergrößten Karriere: die Titelrolle im internationalen James-Bond-Film Goldfinger. Aber Gert Fröbe war fest entschlossen, abzusagen. Schon wieder ein Bösewicht, dazu hatte er keine Lust.

    Wusste er zu diesem Zeitpunkt schon, dass er für diese Rolle nur zweite Wahl war, dass Orson Welles eigentlich dafür vorgesehen war, der aber zu viel Geld verlangt hatte? Ahnte Fröbe, dass Goldfinger, sein allererster Film auf Englisch, ihm, der selbst auf Deutsch noch immer leicht sächselte, unendliche Schwierigkeiten bereiten würde? Gert Fröbe ahnte nichts davon. Ebenso wenig konnte er sich vorstellen, dass genau dieser Film ihn weltberühmt machen würde. Er war es einfach leid, immer den Schurken zu spielen. Seit seinen frühen Theatertagen ging das nun so, immer wenn er einen jugendlichen Helden spielen wollte, wurde er ausgelacht, und es wurde nichts daraus. Fröbe war erst zu dünn, dann zu dick. Fröbe hatte böse zu sein oder ulkig, basta. Das führte dazu, dass er einen tiefen Groll hegte gegen die »Schönlinge« unter den Kollegen, die immer die sympathischen Rollen, die schönsten Frauen und dazu noch höhere Gagen bekamen als er. Und nun sollte er schon wieder einen Fiesling geben, wenn auch auf internationalem Niveau?

    Zum Glück hatte Gert Fröbe seine Ehefrau Beate als Beraterin. Die kluge Beate Bach war Rundfunkreporterin beim RIAS Berlin gewesen, als sie ein Interview mit Gert Fröbe gemacht hatte, 1961 am Filmset von Via Mala (auch da hat er den Bösewicht gespielt, sehr überzeugend). Beate Bach hatte ihn so geschickt und einfühlsam ausgefragt, dass er am Ende des langen Interviews nur halb im Scherz zu ihr sagte: »Wollen Sie mich heiraten?« Und sie wollte. Dieser Ehefrau Beate vertraute Gert blind, und die überredete ihn, über Goldfinger doch noch mal nachzudenken. Das würde es nie wieder geben, dass er in einem so hochkarätig besetzten internationalen Film die Titelrolle bekommen würde. Und sicher sei diese Filmrolle Auric Goldfinger ein Bösewicht, ein ganz übler sogar, der es auf die Weltherrschaft abgesehen habe, aber James-Bond-Filme, das seien doch Film-Märchen für Erwachsene, ausgebuffte Kinounterhaltung, nicht mehr. Keiner würde von Goldfinger auf ihn, auf Gert Fröbe schließen. »Ja, aber …«, so antwortete Fröbe, aber mit der Zeit wurde er unsicher. Würde Beate denn mitkommen und ihn beim Dreh im fremden Filmatelier in fremder Sprache beschützen? Sie könne mal zuschauen, ein wenig aufpassen, Händchen halten würde sie ihm aber nicht, er müsse da schon allein durch, er solle einfach Hilfe für die englische Sprache erbitten, so die Antwort seiner Frau. Und außerdem, er könne sich gar nicht leisten, diesen Film nicht zu machen, längst würde er sich doch im Stillen »seine« Szenen im Film schon ausmalen.

    Gert Fröbe flog nach London und wurde im Auftrag des James-Bond-Produzenten, dem allmächtigen Albert R. Broccoli, von Nikki van der Zyl empfangen, der Tochter eines Berliner Rabbiners, der mit seiner Familie 1939 nach England emigriert war. Jetzt und für die Dauer der Dreharbeiten an Goldfinger »beschützte« Nikki ihn, half ihm, seine englischen Dialogsätze einigermaßen richtig auszusprechen. Und doch amüsierten sich im Filmstudio fast alle, wenn Fröbe als Auric Goldfinger seine englischen Sätze »herausknödelte«. Aber schon nach der ersten Mustervorführung, bei der die Arbeitsproben des Vortages gemeinsam betrachtet wurden, stand für alle Beteiligten fest: Keine noch so falsch betonte Silbe kann diesem Goldfinger seine Präsenz auf der Leinwand nehmen. Kaum war Gert Fröbe im Bild zu sehen, schon hatte er alle Aufmerksamkeit. Es war wohl besser, diesen komischen Dicken aus Deutschland ernstzunehmen. Fröbe sei ein cinema animal, ein »Kino-Tier«, war man sich einig, die Kamera liebe ihn. Die Rolle des Auric Goldfinger, »Weltfeind Nummer eins« wurde ein Höhepunkt in Gert Fröbes Karriere, wurde sein Marmorsockel im Museum der Filmgeschichte. Danach ging es erst richtig los. Aber bis es dazu kam, das war ein langer Weg.

    2.

    Ein sächsischer Provinzclown mit Potential

    1913–1930

    Gert Fröbe stammt aus Oberplanitz bei Zwickau in Sachsen, damals eine Bergarbeiterstadt. Eine besonders dreckige Ecke, wo der Ruß des Steinkohlenbergbaus keine Fensterbank, keinen Kohlkopf im Hausgarten, kein Wäschestück auf der Leine im Freien verschont hat. Für lange Zeit war das so. Heute sind die Dörfer und Wiesen um Zwickau so sauber wie das Ruhrgebiet, seitdem es mit dem Kohlebergbau vorbei ist. In der DDR beschloss man erst 1978 das Ende des Kohleabbaus im niedersächsischen Revier. Vorher war der Ruß allgegenwärtig, waren die Straßen schmutzig, die Häuser schwarz. Das Elternhaus der Fröbes steht in der Marktstraße, heute Edisonstraße, fast am Ortseingang, wenn man von Zwickau kommt. Nebenan liegt der Hammerwald, wo ein Hirtenjunge ein paar Jahrhunderte vorher die Kohle entdeckt haben soll, indem er auf offen liegenden »schwarzen Steinen« ein Feuer machte, das kaum mehr zu löschen war. Historisch belegt ist der Planitzer Erdbrand, der 1476 durch Selbstzündung der Kohle entstand und erst gut vierhundert Jahre später, 1860, gelöscht werden konnte. Das Kohlenfeld Hammerwald war nur ein paar hundert Meter vom Haus der Fröbes entfernt. Das Hochzeitsfoto der Eltern zeigt eine Gruppe stolzer Bürger im Sonntagsstaat, die Familien Sagewitz und Fröbe. In der Mitte oben das Paar, der gutaussehende Vater Otto Johannes, geboren am 3. Mai 1886, ein sehr großer Mensch, neben ihm Mutter Helene Alma, geboren am 27. September 1884, auch eine imposante Figur. Vater Fröbe ist Seiler und Lederhändler, die Mutter ist Schneiderin. Im Haus vorn zur Straße ist das Ladengeschäft, hinten um den Hof herum befinden sich Werkstatt und Wohnung.

    Am Dienstag, den 25. Februar 1913 wird der einzige Sohn Karl Gerhard Fröbe geboren, im Hofzimmer in der ersten Etage. Bald kommt die zahlreiche Verwandtschaft, um den Stammhalter zu bewundern. Man bestaunt den »Quadratschädel«, das Kind hat einen dicken runden Kopf, aus dem kleine Mäuseaugen blinzeln. Gert lernt sehr schnell, die Augen aufzureißen, wenn er Aufmerksamkeit will, noch in seinen frühen Filmrollen wird er das machen. Seine Schwester Johanna, genannt Hanni, ist zwei Jahre älter als er. Die Fröbes führen ein gutbürgerliches Leben mit erstaunlich musischen Zügen, der Vater spielt Klavier, Hanni ist später eine fähige Konzertpianistin.

    Als ein Jahr nach der Geburt des Sohnes im Sommer 1914 der Erste Weltkrieg beginnt und dann folgenreich andauert, spürt man davon in Oberplanitz zuerst nur wenig. An der Heimatfront um Zwickau bleibt es ruhig. Not und Hunger wie im Kohlrübenwinter 1916/1917 erleidet man bald aber auch hier. Ein Wort aus jenen Tagen: »Wer hamstert, gehört ins Zuchthaus; wer nicht hamstert, ins Irrenhaus.« Man fährt aufs Land, schachert mit den Bauern, man legt Vorräte an. Bald haben die Bergleute, die Kunden in Vater Fröbes Ledergeschäft und Seilerei, immer weniger Geld. Johannes Fröbe schreibt an, gibt großzügig Kredit, das wird später zum Verhängnis. Aber noch geht es den Fröbes gut. Die Nachbarn sind sicher, der »Leder-Fröbe« ist ein gemachter Mann, »wohlsituiert« sei der.

    Die Kinder werden gut behütet und sind folgsam. Nur Gert überspielt sein Aussehen gern mit Faxen. Er fällt auf. Schnell wird er lang und dünn, das Mondgesicht bleibt, dazu rote Haare und Sommersprossen. Mit Kasperlespiel am Hoffenster versucht er sich bei den Nachbarkindern beliebt zu machen. Gert steht sehr früh schon gern im Mittelpunkt. Typisch ist eine Geschichte, die Fröbe in seinen Memoiren erzählt: Zur größten Familienfeier im Hause Fröbe sind vierundsechzig Personen versammelt, man feiert die goldene Hochzeit seiner Großeltern. Klein-Gert wird unter Beifallsbekundungen der gutgelaunten Verwandtschaft vom Vater aufgefordert, ein Kasperlespiel vorzuführen. Der Knabe nutzt die Chance aufzufallen gnadenlos und spielt eine spontan erdachte Geschichte um einen Esel und – wortwörtlich – das Arschloch einer Kuh. Während der beschämte Vater ihm daraufhin im Nebenzimmer eine Abreibung erteilt, tobt die belustigte Verwandtschaft in der guten Stube und verlangt eine Zugabe. So also kriegt man das Publikum, das prägt sich ein bei Gert. Darin ähnelt Gert Fröbe einer anderen Berühmtheit, dem späteren Kollegen Heinz Rühmann, mit dem ihn noch vieles verbinden wird. Als Fünfjähriger wurde Rühmann nachts von seinem angetrunkenen Vater, der die Bahnhofsgaststätte in Wanne-Eickel führte, geweckt und auf den Tresen gestellt, damit er für die angetrunkenen Stammgäste Witze machte. Klein-Heinz liebte den Beifall, seine Mutter fand das unmöglich. Genauso wird es bei Klein-Gert gewesen sein. Dass Fröbe selbst die Geschichte gern erzählt, macht aber noch etwas anderes deutlich. Er wird ein Leben lang aus seinen kleinen und großen Niederlagen »gute Geschichten« machen, um damit beim Publikum anzukommen.

    Sonst versteht sich Gert Fröbe mit seinem gutmütigen, aber ewig durstigen Vater Johannes prächtig. Der pflanzt ihm beizeiten eine ungezähmte Fußballleidenschaft ein. Das fällt leicht in Oberplanitz, die Planitzer Fußballer sind denen aus der nahen Stadt Zwickau haushoch überlegen. Die Ortschaft Planitz ist zu der Zeit noch nicht in die Stadt Zwickau eingemeindet. Eine jahrzehntelange Rivalität auf dem Fußballfeld fordert an jedem Wochenende die tatkräftige Unterstützung der Fans. Noch heute reden die Taxifahrer in Zwickau davon, wenn sie am Westsachsenstadion vorbeifahren, wie sich die Stadt mit dem Ortsteil Planitz auch die genialen Planitzer Kicker »unter den Nagel« gerissen habe. Gert Fröbe wird ein Leben lang am Fußball hängen. Seinem Vater geht es eher darum, »weg von Muttern« zu kommen, weg von seiner gestrengen Ehefrau Alma, und bei der Nachfeier in der Planitzer Fußballerkneipe Sport-Café kräftig zuzulangen. Sohn Gert spricht später von acht Bier und mehr, oft sei sein Vater »voll wie eine Strandhaubitze« gewesen. Das wird noch zu familiären Problemen führen und zum Bruch. Für Gert Fröbe bleibt Fußball ein Leben lang bestimmend. Bei seiner letzten, der fünften Eheschließung macht er sogar zur Bedingung, dass der Samstag ohne Ausnahme für Fußball reserviert wird. Fröbes Bühnensketch von Fußballtorwart wird der Dauerhit seines Repertoires über gut fünfzig Jahre. Sogar bei seinem Tod Jahrzehnte später wird Fußball eine Rolle spielen.

    Zum neunten Geburtstag, Gert ist jetzt lang und dürr, bekommt er eine Geige geschenkt. Nun will er sich Sympathien damit holen. Eisern übt er schwierige klassische Stücke, er will Musiker werden. Dabei soll er mal das Geschäft des Vaters erben und weiterführen. Aber der Laden läuft immer schlechter, bald gibt es nichts mehr zu erben. Ab 1924 muss Gert Fröbe zweimal am Tag mit dem Fahrrad an den Zwickauer Steinkohlehütten im Hammerwald vorbeiradeln, er geht jetzt auf das Gymnasium in Zwickau zwölf Kilometer entfernt. Noch wird er gehänselt, und nicht nur das, manchmal wird er sogar verprügelt, nur so, ganz ohne Anlass. Das fängt schon in der Grundschule an: Gerts Schultüte ist viel größer als die der anderen, und er ist besser gekleidet. Reiche Leute, vermuten die anderen, und schon gibt’s Dresche. Außerdem sieht Gert anders aus. Sein Neffe Eckehart Baumann, Sohn der Fröbe-Schwester Hanni dazu: »Rote Haare, Sommersprossen, sind dem Teufel seine Genossen – das ist so’n Spruch, den bekam er immer wieder zu hören. Das war hart für ihn.« Die Verwandten empfehlen: mit Märzschnee einreiben und an der fahlen Frühlingssonne trocknen lassen, das hilft, nach zwei Jahren sind die Sommersprossen weg. Weil Gert sich selbst nicht hübsch findet, versucht er’s. Aber es klappt nicht. »Ich war ein hässlicher Rabe«, sagt er. Also muss er sich was ausdenken, was ihn beliebt macht. Die leichteste Übung für ihn: Er wird Klassenclown. Kunst, Musik und Mathe »sehr gut«, das fällt leicht. Alles andere fällt ihm schwer, in Französisch reicht es nur für ein »mangelhaft«, dabei könnte er das später gut gebrauchen, aber das ahnt er jetzt noch nicht. Aber »Zukunft«, das, was später einmal sein wird, interessiert ihn nur wenig, er bleibt zweimal sitzen. Noch nach Jahrzehnten ist Gert Fröbe beeindruckt, dass sein gutmütiger Vater ihn deshalb nicht beschimpft, sondern getröstet hat. Schlechter Schüler – na und? Es sind schon ganz andere etwas geworden im Leben. Überhaupt ist die Rollenverteilung zu Hause klar: Vater Johannes ist zuversichtlich, gutmütig und erzählt gern wüste Geschichten. Mutter Alma, asketisch und streng, ist eher schweigsam und bemüht, alles zusammenzuhalten. Der Vater mit seiner offensiven Sorglosigkeit verstärkt offenbar das Gegenteil bei der Mutter, einer muss schließlich »aufpassen«.

    Einen gemütlichen Familienabend im Hause Fröbe muss man sich so vorstellen: Man sitzt ausnahmsweise in der »guten Stube« unter der Zimmerpalme. Schwester Hanni am Klavier, Gert mit der Geige, auch Vater Johannes klimpert mal was, man musiziert gemeinsam, Mutter Alma sitzt mit einer Handarbeit dabei. Zur Feier des Tages werden »Apfelsinen geöffnet«, wie Gert Fröbe noch fünfzig Jahre danach erstaunt berichtet. Der Vater hat neben sich einen Kasten Bier, zehn, fünfzehn Flaschen braucht er mindestens jeden Abend, erinnert sich Fröbe, sonst ist es mit der Gemütlichkeit vorbei. Zum Ausklang wird gemeinsam gesungen, wenn es der Mutter zu laut wird, geht sie zu Bett, in der Hoffnung, dass »der Alte« nicht noch einmal rausgeht, weil er noch nicht genug hat. Am nächsten Morgen, mitten hinein in die Katerstimmung, macht sie ihm Vorwürfe. Umso schlechter die wirtschaftliche Lage, desto unnachgiebiger wird sie, von Haussegen bald keine Spur mehr. Anhand der alten Fotos lässt sich erkennen, wie das Verhältnis der Eltern zunehmend erkaltet. Dabei geht es ihnen ab 1924, mit dem Ende der Inflation und der Einführung der Rentenmark, wirtschaftlich wieder etwas besser. Aber statt zu sparen, eröffnet der Vater sogleich noch einen Tabakwarenladen, auch zur Sicherung des eigenen Zigarrenbedarfs, wie Sohn Gert vermutet. Immer noch ist er zu großzügig, gibt zu vielen Kunden Kredit. Gert Fröbe erinnert sich: »Noch heute habe ich die Worte meiner Mutter im Ohr: ›Hans, Hans, du verlierst noch Haus und Hof mit deiner Gutmütigkeit.‹ « Doch der Vater wehrt ab: »Rede nicht so dummes Zeug, die sind ärmer als wir.« 1930 macht die Firma Leder-Fröbe pleite, der Tabakladen gleich mit. Aber da geht der Sohn schon seine eigenen Wege. Und eins hat Gert Fröbe gelernt, zum Säufer wird er nie.

    In jeder Fröbe-Biographie, auch in den Kurzfassungen, die im Internet kursieren, findet sich hartnäckig der Hinweis, Gert Fröbe sei mit vierzehn Jahren mal in der Badewanne eingeschlafen und sei erst Stunden später, so gut wie gelähmt, aus dem kalten Wasser gezogen worden. Die Folgen: Gelenkrheumatismus, Rippenfell- und doppelseitige Lungenentzündung. Für ein Jahr habe ihn das ans Bett gefesselt, auch deshalb sei er in der Schule nicht versetzt worden. Ein »Naturdoktor« mit einer Terpentinkur und zwölf Behandlungen im Radiumbad Oberschlema, das habe ihn schließlich geheilt. Das muss 1927/1928 gewesen sein. Diese Krankheit bleibt aber ohne Folgen für sein zukünftiges körperliches Wohlbefinden, jedenfalls so weit das ersichtlich ist. Oder gibt es einen Zusammenhang zwischen der Radiumbehandlung der jugendlichen Gert Fröbe und seiner schweren Krankheit im hohen Alter? Das Radiumbad Oberschlema war mit stark radioaktiven Bade- und Trinkkuren lange das bedeutendste Kurbad Deutschlands. Nach 1946 beendete die sowjetische Besatzungsmacht den Kurbetrieb durch massiven bodennahen Abbau von Uran. Bis 1961 förderte die deutsch-sowjetische Aktiengesellschaft Wismuth fast 80000 Tonnen reines Uran im Bereich Schlema und zerstörte dadurch den Ortskern des ehemaligen Kurbads fast vollständig. In Zwickau gab es eine Uranaufbereitungsanlage. Massive gesundheitliche Schädigungen der Arbeiter beim Uranabbau und der Bearbeitung waren die Folge. Über mögliche Langzeitschäden von Radiumbädern, Bade und Trinkkuren, wie sie der junge Gert Fröbe bekommen haben soll, besteht Unklarheit – die Auswirkungen hängen stark von der Dosierung ab.

    3.

    Eine sächsische Provinzgröße

    1930–1933

    Mit siebzehn Jahren darf Gert Fröbe im Mitteldeutschen Rundfunk in Leipzig auf seiner Geige Beethovens Violinromanze Nr. 2 F-Dur, op. 50 vortragen. Mutter Alma ist sehr stolz, die Geige hat der Junge doch großartig bewältigt. Gert Fröbe aber erkennt, dass er für einen wirklich großen Geiger »zu kurze Finger hat« und dass er mit der schwer erlernbaren Klassik nicht die Wirkung erzielt, auf die es ihm ankommt. Er übt Tanz- und Salonmusik, hat bald ein kleines Orchester und spielt im Zwickauer Kaiserhof zum Tanztee und in den Gaststätten der Umgebung zum Schwof bis spät in die Nacht. Im Kaiserhof, für die besseren Kreise, spielt er Salonmusik. Seine Erfolgsstücke: Mozarts »Kanarienvogel« und Hellmesbergers »Elfenreigen«. Vor allem die reiferen Damen sind entzückt, das wird sich noch auszahlen. Im Schützenhaus von Oberhohndorf am Stadtrand, näher den Kohleschächten und den Kuhställen der Gegend, muss Deftigeres her. Erkennungsmelodie seiner Kapelle ist hier der Marsch »Feuert Los!« von Abraham Holzmann, nach dem bereits getanzt wird. (Der Marsch, besser bekannt als »Blaze Away«, ist bis heute Erkennungsund Siegesmarsch des Fußballclubs Arsenal London). Dann spielen »Gert Fröbe und seine Solisten« Polka und Schieber, Stimmungsmusik. Am frühen Abend gegen sechs Uhr ist Pause, das jugendliche Publikum muss zum Melken in den Stall. Danach geht es dann richtig los und bis spät in die Nacht. Fröbe hat für solche Gelegenheiten etwas, was er seine »Jazz-Geige« nennt. Am Steg der Geige ist ein Megaphon angebracht, eine »Flüstertüte«. Der Ton geht kaum über den Resonanzboden der Geige, sondern oben durch den Trichter hinaus. »Entsprechend furchtbar klang das«, berichtet Fröbe begeistert, »ein Jazz-Ton, es klang wie halb Trompete und halb Geige. Es war so schlimm, dass ich immer Gänsehaut dabei bekam. Aber ich wollte ja was Besonderes bieten.« Dann flaniert Gert Fröbe jazz-geigend durch die Tanzenden und wenn ihm danach ist, singt er sogar in dieses Geigenhorn: »Ich kenn zwei süße Schwestern, die hab ich gestern nach Haus gebracht, da hat die eine, die süße Kleine, so nett gelacht …« Wie Bing Crosby, Hollywood in Oberhohndorf, das fällt Fröbe gut fünfzig Jahre später dazu ein. Im Gasthaus Mädler im Zwickauer Stadtteil Oberhohndorf gibt es ein Fröbe-Stübchen das daran und an den Stolz der Stadt erinnert.

    1930 ist Gert Fröbe bekannt als »Der rote Geiger von Zwickau«. Er kommt regelmäßig zu spät in die Schule, auf dem Kopf die rote Schülermütze mit den goldenen Streifen, auf dem Gepäckträger seines Fahrrades aber schon seine »Arbeitskleidung« zum Geldverdienen: die dunkle Jacke, die seine Mutter aus dem Filzrock seiner Großmutter genäht hat, die schwarz-grau

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