Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Flugstein (Gesamtausgabe): Ein Mellovien-Abenteuer
Flugstein (Gesamtausgabe): Ein Mellovien-Abenteuer
Flugstein (Gesamtausgabe): Ein Mellovien-Abenteuer
eBook335 Seiten3 Stunden

Flugstein (Gesamtausgabe): Ein Mellovien-Abenteuer

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Als Flora eines Nachts in ihrem Garten einen seltsam leuchtenden Stein entdeckt, ahnt sie noch nicht, in welches Abenteuer sie hineingeraten ist. Schon kurz darauf sitzt sie mit dem fremden Mädchen Lluna auf deren Fluggerät, dem Fledergleiter, und stürzt in eine neue Welt - Mellovien. Dort ist alles anders und nichts so wie es scheint. Unterwegs trifft sie auf hinterhältige Schwafelhunde, gefährliche Kecken, Moosleute und Waldläufer, den sagenumwobenen Wandernebel von Gorgula, summende Landmollusken und letztendlich auf den bösen Prinz Gormen, der Jagd auf die beiden Mädchen macht. Denn Lluna hat eine besondere Fähigkeit, die er sich zu Nutze machen will. Mit Hilfe ihrer neu gewonnenen Freunde, dem Grünschleimigen Sanftpfötigen Glattschupper Odo von Okke und dem jungen Dieb Ruben Rubin bestehen Flora und Lluna dank Witz und Verstand viele Abenteuer und Gefahren um schließlich auf dem Marktplatz von Orla, der Hauptstadt Melloviens, einen Weg zurück nach Hause zu finden.

Eine abenteuerliche Geschichte voller Spannung und Spaß.
SpracheDeutsch
Herausgeber110th
Erscheinungsdatum25. Nov. 2014
ISBN9783958653061
Flugstein (Gesamtausgabe): Ein Mellovien-Abenteuer

Ähnlich wie Flugstein (Gesamtausgabe)

Ähnliche E-Books

Kinder – Leser für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Flugstein (Gesamtausgabe)

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Flugstein (Gesamtausgabe) - Maren El Gammal

    werden.

    Inhalt

    1. Vorboten

    2. Schlaflos

    3. Unerwarteter Besuch

    4. Der Fledergleiter

    5. Plötzliches Erwachen

    6. Das Klopfen

    7. Mellovien!

    8. Bruchlandung

    9. Horch, was läuft im Wald umher

    10. Bitte einen Pilz

    11. Die Dampfende Hütte

    12. Llunas Geheimnis

    13. Auf nach Orla

    14. Im Wandernebel von Gorgula

    15. Aus dem Nebel

    16. Alte Legenden

    17. Nächtlicher Besuch im Leuchtwald

    18. Vorsicht, Kecken!

    19. Ein neuer Tag

    20. Schlechte Nachrichten

    21. Orla

    22. Der einäugige Riese

    23. Das Meisterstück

    24. Freund oder Feind

    25. Gleiter

    26. Verfolgung

    27. Befreiung

    28. Die summenden Mollusken

    29. Geschichten aus dem Nachtwald

    30. Fiegelangriff

    31. Die Waldläufer

    32. Aufbruch

    33. Vorbereitungen

    34. Abflug

    35. Durch die Zeit

    36. Epilog

    Glossar

    1. Vorboten

    Ein kalter Schauer

    Bunte Blitze rasten über den Himmel und zogen das Mädchen auf ihrem Fluggerät hinter sich her. Lluna konnte der Verlockung einfach nicht widerstehen und musste dem Farbleuchten folgen bis sie in den Sog seines Luftwirbels geriet.

    Ihr Fledergleiter wurde vom Wind wild durcheinander gerüttelt. Das Fluggerät bestand zwar nur aus Holzverstrebungen und Leinen, doch es war vom besten Flugzeugbauer Melloviens hergestellt worden. Das Gerüst war aus Mangrovenholz gefertigt, glänzend poliert und geölt, wodurch es stabil und biegsam war. Das Segeltuch stammte aus Sempera, und war leicht und widerstandsfähig. Die Seile und Steuertaue waren aus der stärksten sembonischen Seide gedreht und mit Hanf verflochten. Um das Herzstück des Fledergleiters zu halten, war ein kleines Loch aus dem Bugholz gebohrt. Darin lag der Flugstein. Das magische runde Mineral, das tote Materie in ein schwebendes Fluggerät verwandelte. Es leuchtete in pulsierendem Blau vor Lluna auf, die fest an den Sattel geklammert versuchte, ihren Flederflieger unter Kontrolle zu bringen.

    Schon oft hatte sie Flugübungen im Sturm gemacht. Doch heute schien etwas anders zu laufen. Das Farbleuchten, dem sie hinterhergejagt war, hatte sich zu einem wilden Sturm entwickelt und sie weit von ihrer Route abgetrieben. Dabei war sie in den Solarwirbel geraten, dem farbigen Windloch, das seit tausenden von Jahren an verschiedenen Orten Melloviens immer wieder auftauchte. Noch nie zuvor war sie ihm so nahe gekommen. Bis heute. Noch hatte sie keine Ahnung wie weit sie der Sturm tatsächlich abgetrieben hatte.

    Flora stand mit ihrer Mutter auf dem Balkon im ersten Stock und betrachtete den Himmel. Oft erkannten sie in den Wolken Paradiesvögel, riesige Drachen oder manchmal einfach nur Hasen. Wenn der Himmel besonders einfallslos zu sein schien, blies er nur Schäfchen von Osten nach Westen.

    Flora stellte sich vor, dass sich der Himmel all die Formen der Wolken ausdachte und machte stets ihn verantwortlich, wenn es mal langweilig wurde. Sie bevorzugte Drachen mit Lanzen schwingenden Reitern, geflügelte Pferde oder andere Wolken in phantastischen Formen. Heute war der Himmel fast wolkenlos, nur in der Ferne drehten sich Schleierwolken zu einem Trichter zusammen und schimmerten in allen Farben.

    „Seltsam!, sagte Floras Mutter. „Das gibt es sonst nur im Norden zu sehen. Und dann nennt man das Polarlicht.

    „Sieht toll aus!", meinte Flora.

    Die beiden sahen der Lichterscheinung eine Weile schweigend zu, dann sagte Floras Mutter: „Wenn große Ereignisse ihre Schatten vorauswerfen, könnten sich dann vielleicht Abenteuer mit seltenen Lichterscheinungen ankündigen?"

    „Das wäre ja cool!", meinte Flora.

    „An was für ein Abenteuer hättest du denn gedacht?", fragte Mama.

    „Keine Ahnung, ich hab’ nur so ‘n Kribbeln im Nacken ..."

    „So wie wenn man in einem spannenden Buch liest und es kaum erwarten kann, bis der Bösewicht aus seinem Versteck springt?"

    „Ja, ungefähr so."

    „Wer weiß? – Und nun ab ins Bett! Morgen ist wieder Schule!"

    „Ach, Mann!", maulte Flora und trollte sich vom Balkon. Sie schlenderte so langsam wie möglich durch das Schlafzimmer ihrer Eltern, spielte mit ihrer Katze Marie und fand somit einen Grund, sich außerhalb des Badezimmers aufzuhalten. Schließlich lauerten dort Zahnpaste und -bürste.

    „Zähneputzen und ins Bett!", rief Mama etwas energischer vom Balkon nach drinnen. Sie betrachtete noch einen Moment nachdenklich den Himmel und verschwand dann auch im Schlafzimmer.

    Nachdem Flora ausgiebig mit Marie gespielt, noch rasch etwas gegessen hatte und dringend ein neues Schild für ihre Zimmertür malen musste, fiel ihr wieder ein, dass sie die Zähne putzen sollte. Na ja. Ein letzter Blick auf den Himmel konnte ja nicht schaden. Mama klapperte inzwischen in der Küche mit dem Geschirr und war offensichtlich mit dem Abwasch beschäftigt. Also schlich sich Flora zurück durch das Schlafzimmer auf den Balkon. Es dämmerte bereits, doch in der Ferne blitzten immer noch bunte Lichter auf. Flora sah nach unten. Marie, Floras Katze, saß unter dem Balkon im Garten und jagte, wie immer um diese Zeit, irgend einem Insekt hinterher. Marie war eine „Glückskatze". So nannte man dreifarbige Katzen. Ihr Bauch und ihre Beine waren weiß, der Schwanz und der Rücken grau gestreift und über die Schultern lief ein rot getigertes Band. Gerade drückte sie ihren Oberkörper flach auf den Boden und wackelte gleichzeitig mit ihrem Hintern. Ein sicheres Zeichen für einen bevorstehenden Angriff. Ihr Schwanz schlug hektisch hin und her. Und zack – mit einem Satz sprang sie einen ganzen Meter nach vorne und landete auf ihrem Opfer. Offensichtlich konnte dieses fliegen und entkam unter ihren Pfoten. Brummend flog es in die Höhe, umkreiste den Fliederbusch im Nachbargarten und flog über das Gartenhäuschen davon.

    Marie sah ihm noch einen Moment hinterher. Mama hatte gerade die Terrassentür von innen geschlossen, worauf Marie sich sofort umdrehte und ihr nach rannte, als würde ihr Leben davon abhängen.

    Nichts lockte Marie schneller nach drinnen als das Geräusch einer sich schließenden Tür! Und das wussten alle Bewohner des Hauses im Hortensienweg Nr. 8. Also war es leicht, Marie nachts ins Haus zu locken. Mama konnte die Terrassentür gerade noch rechtzeitig öffnen, bevor Marie gegen die Glasscheibe prallte.

    „Na, meine Süße? Hast es wohl mit der Angst bekommen?, hörte Flora Mama unter sich sagen. „Also wirklich, als würde ich dich jemals draußen vergessen!

    Marie antwortete mit einem vorwurfsvollen „Miaaack, mack!"

    Flora sah noch einmal zum Himmel. Ob das wirklich ein Polarlicht war? Seltsam. Vielleicht war es auch Wetterleuchten? Davon hatte sie auch schon gehört, es aber noch nie selbst gesehen.

    Wind kam auf. Das Sonnensegel auf der Terrasse flatterte laut. Flora stellte sich vor, dass die Segel eines Bootes auf hoher See so klingen müssten, wenn der Wind hineinblies.

    Der Wipfel des Baumes in ihrem Garten schwang wild hin und her. Alles rauschte. Nicht ein Grashalm stand still, und Flora hätte es nicht gewundert, wenn selbst die Häuser ganz langsam davon getrieben wären. Ein Blitz ließ Flora zusammenzucken. Der Donner folgte nur einen Augenblick später. Ein Gewitter ohne Regen! Es roch nach Elektrizität. Flora lief ein kalter Schauer über den Rücken. Endlich war mal was los! Die letzten Wochen waren ihr monoton und langweilig vorgekommen. Überhaupt fand sie die beiden Monate vor den Sommerferien immer ganz besonders lahm, die Zeit zog sich wie alter Kaugummi und es passierte nichts Aufregendes. Doch jetzt lag ein ganz besonderer Duft in der Luft.

    Sie lief zu Papa und sagte ihm mit einem dicken Schmatzer gute Nacht, dann rannte sie in ihr Zimmer. Wie jeden Abend hatte Mama gehört, wie Flora mit Schwung in ihr Bett gesprungen war, und kam kurz darauf in Floras Zimmer um ihr auch gute Nacht zu sagen.

    Wenn große Ereignisse ihre Schatten vorauswerfen, könnten sich dann nicht auch große Abenteuer mit besonderen Lichterscheinungen ankündigen?, dachte Flora, bevor sie einschlief.

    Lluna wurde hin und her gewirbelt. Der Sturm schüttelte den Flederflieger wie ein Herbstblatt im Wind. Lluna verlor für kurze Zeit die Kontrolle über ihr Fluggerät. Das sollte ihr nicht noch mal passieren. Sie riss das Steuer herum und fing ihren Gleiter im Sturzflug ab. Eine weitere steile Kurve und sie hatte ihn wieder fest im Griff. Die nächste Sturmböe rüttelte an den Segeln. Lluna stabilisierte den Flug, indem sie geschickt an den Steuertauen zog. Sie war eine der besten Fliegerinnen Melloviens. Doch der nächsten Böe war nicht zu entkommen. Der Flederflieger wurde herumgewirbelt und trudelte kopfüber in die Tiefe. Lluna riss am Steuertau. Zu spät. Durch die Schüttelei hatte sich der Flugstein gelöst und rutschte aus seiner Halterung. Der Flederflieger verlor jeglichen Auftrieb. Wie ein totes Stück Holz stürzte er in die Tiefe.

    Lluna, steif vor Entsetzen, starrte dem Flugstein hinterher, während sie ihm im Sturzflug folgte. Der Boden kam unaufhörlich näher. Je tiefer sie flog, umso dunkler wurde es um sie herum. Unter ihr tauchte zuerst nur ein Flecken Grün auf, der rasend schnell anwuchs. Schon waren einzelne Halme zu erkennen. Lluna löste sich endlich aus ihrer Starre. Sie zog ein letztes Mal am Steuerruder und hob dabei den Bug des Gleiters, der mit einem langsameren Sinkflug reagierte. Lluna landete rau auf einer Wiese.

    „Wo sind wir denn hier gelandet?", fragte sie sich.

    2. Schlaflos

    Es musste mitten in der Nacht sein. Der Wind hatte die letzten Stunden ununterbrochen an Floras Rollo gerüttelt. Geregnet hatte es jedoch nicht. Flora wachte auf. Es war nicht der Lärm des klappernden Rollos, der sie geweckt hatte, sondern die plötzliche Stille!

    Flora stand auf und ging zu ihrem Fenster. Sie zog das Rollo ein kleines Stück nach oben. Es war immer noch finster. Das Zimmer lag im ersten Stock. Von dort konnte man direkt in die Nachbargärten und auf das Baumhaus von Adrian und Kilian, der beiden Jungen von gegenüber, sehen.

    Flora stellte sich vor, dass sie als Einzige wach war, während der Rest der gesamten Menschheit schlief! Nur um sicherzugehen, dass in der Nähe nicht doch noch jemand wach war, zog sie das Rollo weiter hinauf und stemmte sich auf die Fensterbank. Im Vorgarten unter ihrem Fenster war nichts zu sehen. Alles ruhig und bewegungslos.

    Auf Floras Fensterbank stand ein Holzteller mit Halbedelsteinen. Schon seit frühester Kindheit gefielen ihr die bunten Dinger. Doch nicht nur Achate, Rosenquarze, Bergkristalle, Karneole oder Turmaline zogen sie an, auch schön geformte Steine, glatte, runde Bachkiesel oder interessant gemaserte Pflastersteine waren für Flora kleine Schätze. Schon im Kindergarten wog Flora beim Abholen mindestens ein halbes Pfund mehr als am Morgen, da sie im Garten unzählige winzige Kiesel gesammelt und in ihren Hosentaschen gehortet hatte. Das hatte sich auch über die Jahre nicht geändert.

    Flora war inzwischen elf, doch ihre Begeisterung für Steine und Süßes war seit ihrem dritten Lebensjahr ungebrochen. Das waren wohl zwei weitere Leidenschaften, die sie mit ihrer Mutter teilte. Eines konnte man mit Sicherheit von der Familie im Hortensienweg Nummer 8 behaupten. Sie war steinreich!

    Flora ging zurück in ihr Bett und nahm sich vor, wieder einzuschlafen. Vielleicht sollte sie ihr Kissen packen und zu ihren Eltern ins Bett krabbeln? Das langsame Schnarchen ihres Papas und das leise, rhythmische Atmen ihrer Mutter wiegte sie immer rasch in den Schlaf. Aber sie konnte es ja zuerst mal mit Marie versuchen. Das Schnurren ihrer Katze hatte fast die gleiche Wirkung. Sie schlich aus ihrem Zimmer.

    „Marie!, rief sie leise. „Mariehie!

    Flora stieg die Stufen zum Wohnzimmer hinunter. War Marie vielleicht doch noch draußen? Sie schaute durch das Wohnzimmerfenster in den Garten. In der Mitte des Rasens leuchtete etwas.

    Vielleicht würde sie jetzt, mitten in der Nacht, ein seltenes Glühwürmchen entdecken, das nur nach Mitternacht flog? Und dann werde ich in der Käfer-Fachliteratur als große Entdeckerin gefeiert!, dachte Flora.

    Sie öffnete leise die Terrassentür und schlich sich vorsichtig nach draußen. Der Rasen war feucht und kühl unter ihren Füßen. Sie näherte sich mit langsamen Schritten, um das Insekt nicht zu verscheuchen. Kurz vor ihr hörte das Leuchten auf. Flora bückte sich und strich mit den Händen über die Grashalme. Mit den Fingerspitzen stieß sie auf etwas Glattes, Rundes. Es steckte in der Erde fest. Das war mit Sicherheit kein Glühwürmchen! Gerade als Flora den Gegenstand aufheben wollte, huschte Marie um ihre Füße und schmuste mit dem Kopf an ihren Beinen entlang.

    „Hast du mich erschreckt!", sagte Flora, zog das runde Ding aus dem Boden und ging zurück ins Haus.

    „Ich glaube, wir sind nicht mehr in Mellovien!", sagte Lluna und strich mit ihrer Hand zärtlich über das Holz ihres Fledergleiters.

    Ihr Fluggerät hatte den Absturz schadlos überstanden. Sie griff in ihre lederne Umhängetasche und nahm einen Kompass heraus. So, jetzt suchen wir zu allererst mal meinen Flugstein, dachte sie. Sie zog den Fledergleiter an den Rand der Wiese. Die Haselsträucher kamen ihr gerade recht. Der Fledergleiter ließ sich vollständig unter den ausladenden Ästen verstecken.

    Lluna warf einen Blick auf ihren Kompass. Die rote Nadel zeigte nach Norden, die blaue nach Süd-Osten. Lluna überquerte die Wiese und lief in die Richtung, in der sie eine ganze Siedlung eng stehender Häuser sah.

    Zum Glück war es Nacht! Alle Lichter waren erloschen und der starke Wind hatte die Bewohner von nächtlichen Spaziergängen abgehalten. So hatte sie die Hoffnung, niemandem zu begegnen. Sie überquerte eine Straße und folgte dem Kompass weiter in Richtung der blauen Nadel. Sie zeigte auf eines der Reihenhäuser. Diese seltsamen Häuser waren anders als alles, was Lluna bisher gesehen hatte. Überhaupt war hier alles anders! Es roch so fremd! Straßen und Häuser waren gerade und eckig, wie mit dem Lineal gezeichnet und exakt nachgebaut. Einfach unheimlich! Wer würde sich so etwas nur ausdenken? Und darin auch noch wohnen? Unmöglich.

    Aber wer weiß, vielleicht sahen die Häuser ja von innen etwas gemütlicher aus, dachte Lluna, obwohl sie heftig daran zweifelte. Sie warf einen Blick in den nahen Garten. Eine Katze drehte gerade ihren Kopf in ihre Richtung. Lluna zog sich blitzschnell zurück. Kurz darauf hörte sie, wie sich eine Tür schloss. Hier war äußerste Vorsicht geboten! Das Letzte, was sie heute noch brauchte, war ein unerfreuliches Treffen mit übellaunigen Menschen. Jemand, der in solchen einfallslosen Häusern lebte, alle gleich und eng aneinander gequetscht, konnte wohl kaum freundlich sein! Sie wartete zur Sicherheit noch eine Weile und kundschaftete die Nachbargärten und die Umgebung aus.

    Marie stand im Garten und starrte auf das Gartentürchen. Hatte sie dort jemanden entdeckt?

    Das Geräusch der sich schließenden Terrassentür lenkte Marie ab. Sofort schoss sie Flora hinterher und verschwand mit ihr im Haus. Flora zog die Tür hinter sich zu.

    Heute Nacht würde Marie sich nicht auf ihren Lieblingsplatz zum Schlafen legen, sondern sich auf das Fensterbrett setzen und in den Garten starren. Sie würde Wache halten.

    Alfred, der Hamster des Hauses, wurde munter. Er drehte seine gewöhnliche Runde im Käfig und suchte nach Joghurt-Drops. Flora legte abends immer welche für ihn bereit. Sein Käfig stand nahe am Fenster und da er von Natur aus nachts aktiv war, bemerkte er als Erster die Gestalt, die über das Türchen in den Garten sprang. Marie war auf der Fensterbank eingenickt. Als sie aufwachte, nahm sie nur noch einen Schatten wahr, der über den Zaun in den Nachbargarten huschte.

    „Mack!", sagte sie.

    Flora lag in ihrem Bett. Sie hatte die Nachttischlampe eingeschaltet. Zwischen ihren Fingern drehte sie den Gegenstand, den sie im Garten gefunden hatte. Das muss ein besonders wertvoller Edelstein sein!, dachte sie. Den hätte Mama nie absichtlich dort liegen gelassen. Bestimmt hat ihn jemand verloren.

    Flora drehte sich auf den Bauch und hielt ihn gegen das Licht. Der Stein war oval geschliffen, aber rund im Querschnitt. Er passte perfekt in Floras Hand. Angenehm, ihn so zu halten, fand Flora. Wieder nahm sie ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt ihn vor ihre Lampe. In seinem Inneren war etwas eingeschlossen. Ein Insekt vielleicht? Ein langer, dünner Körper und vier filigrane Flügel. Eine Libelle! Cool! So etwas Ähnliches hatte sie bisher nur im Naturkundemuseum gesehen. Und da waren es Mücken in versteinertem Baumharz. Dieser Stein war viel schwerer als Bernstein.

    Und er war blau.

    Als Flora auf die Uhr schaute, stand der dicke Zeiger genau auf der Zwei. Sie knipste ihre Nachttischlampe aus und drehte sich auf die Seite. Als sie endlich einschlief hielt sie den Stein immer noch fest in ihrer Hand.

    3. Unerwarteter Besuch

    Der Dieb

    Als Lluna zu dem Garten zurückkehrte, lag alles still. Der Wind hatte nachgelassen. Im Haus auf der Fensterbank schlief die Katze, deren Blick sie vorhin gerade noch entkommen war. Sie sprang über das Gartentürchen und suchte den Boden ab. Zweimal kontrollierte sie ihren Kompass, der eigentlich ein Intentiometer war. Es zeigte neben den Himmelsrichtungen mit der roten Nadel auch noch magische Kräfte oder Steine mit der gelben Nadel und luftmagische Objekte mit der blauen Nadel an. Und diese begann, je mehr sie sich dem Haus näherte, zu kreiseln. Sie hatte sich nicht geirrt! Ihr Flugstein musste irgendwo hier in der Nähe sein.

    Lluna sprang über den Zaun in den Nachbargarten. Die blaue Nadel ihres Intentiometers beruhigte sich wieder und zeigte nun eindeutig wieder zum Haus mit der Nummer 8. Sie musste sich unbedingt Zugang verschaffen. Notfalls mit Gewalt. So lange sie ihren Flugstein nicht zurückbekäme, würde sie hier festsitzen. Ihr Leben hing davon ab! Lluna sprang zurück über den Zaun, ging auf die Terrasse zu und untersuchte die Tür. Aha, sie war nicht abgesperrt. Jemand hatte sie nur hinter sich zugezogen. Mit leichtem Druck ging sie nach innen auf!

    Lluna versuchte so leise wie möglich das Haus zu durchsuchen. Es war offensichtlich bewohnt. Und auf jeden Fall wollte sie vermeiden, jemand über den Weg zu laufen. Eine Bodendiele quietschte unter ihrem Fuß. „Mist!" Nach einem weiteren Schritt spürte Lluna, wie sie von hinten angestarrt wurde. Instinktiv griff sie zu ihrem Messer und drehte sich um.

    Eine Katze lag auf der Fensterbank. Ihre Augen durchbohrten sie, mit ungehemmter Neugierde.

    Lluna machte einen Schritt auf die Katze zu.

    Als Flora das nächste Mal in dieser Nacht aufwachte, war es nicht das Rauschen des Windes oder die plötzliche Stille, die sie weckten, sondern etwas anderes. Es war lauter als das Geräusch das Marie machte, wenn sie mit den Tatzen über den Parkettboden im Wohnzimmer lief, aber viel leiser als die Schritte, die Papa oder Mama machten.

    Flora lag im Bett und dachte nach. Sie hatte einige Filme gesehen und auch Bücher gelesen, in denen sich die Heldin oder der Held der Geschichte im Nachthemd oder Pyjama, unbewaffnet und mitten in der Nacht, auf die Suche nach dem Eindringling, Dieb oder sogar Mörder machten. Tausendmal hatte sie gedacht, dass kein vernünftiger Mensch jemals sein Zimmer, ja nicht einmal sein Bett verlassen würde, um sich im Dunkeln nach einem Eindringling umzusehen!

    Noch während sie ihr Bett verließ, um nachzusehen, woher das Geräusch kam, gingen ihr zwei Gedanken durch den Kopf: Erstens, seltene Lichterscheinungen gehen großen Abenteuern voraus und zweitens, Neugierde ist stärker als jede Vernunft.

    Flora schlich langsam die Treppe zum Erdgeschoß hinab. Den wundersamen Stein, den sie im Garten gefunden hatte, hielt sie dabei wie ein Wurfgeschoss in der Hand. Vorsichtig stieß sie die Tür zur Küche auf. Niemand da.

    Sie schlich zurück in den Flur. Im Dunkeln stand ihr ein Mädchen gegenüber und für den Bruchteil einer Sekunde dachte Flora, sie würde jeden Moment einen Stein an den Kopf geworfen bekommen. Erst dann erkannte sie ihr eigenes Bild, das der große Wandspiegel im Flur von ihr zurückwarf. Wie konnte sie sich nur so erschrecken?

    Als Nächstes war das Wohnzimmer an der Reihe.

    „Na, was bist du denn für eine Süße? So spät noch wach?", flüsterte Lluna.

    „Mau!", antwortete die Katze. Lluna streichelte über das dreifarbige Fell. Als das Tier laut zu schnurren begann, nahm Lluna es auf ihren Arm.

    Flora erinnerte sich an diverse Western und Krimis, die sie gesehen hatte. Oft heimlich. Mama hatte es lieber, wenn sie las oder spielte. Doch mit elf Jahren hatte man schon ein paar Tricks auf Lager, mit denen man auch mal einen Film zu sehen bekam, den die Eltern nicht erlauben würden. Jedenfalls nicht, wenn man sie vorher gefragt hätte.

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1