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Blood Romance (Band 4) - Ruf der Ewigkeit
Blood Romance (Band 4) - Ruf der Ewigkeit
Blood Romance (Band 4) - Ruf der Ewigkeit
eBook259 Seiten3 Stunden

Blood Romance (Band 4) - Ruf der Ewigkeit

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Über dieses E-Book

Nach Dustins fehlgeschlagener Rückverwandlung spitzt sich die Situation dramatisch zu: Emilia hat Sarah in ihre Gewalt gebracht und erpresst Jonathan: Er soll ihr Dustin ausliefern, sonst wird sie Sarah töten!

Während Jonathan sich darüber klar werden muss, wem seine Loyalität gilt, macht Dustin sich bereit zum Kampf gegen Emilia. Ein alles entscheidender Kampf, der Opfer fordern wird. Findet Dustin endlich Erlösung? Und gibt es ein Happy End für ihn und Sarah?

Das packende Finale!

Nur die wahre Liebe bringt Erlösung für einen Vampir, sodass er sich zurück in einen Menschen verwandeln kann! Aber Vorsicht: Sind die Gefühle nicht absolut echt, bedeutet das ewige Verdammnis für beide! Alice Moon zeigt in der vierteiligen Reihe Blood Romance ein völlig neues Vampirsetting mit viel Gefühl für Mädchen ab 14 Jahren.

"Ruf der Ewigkeit" ist der letzte von vier Bänden der Blood Romance-Reihe. Die drei Vorgängertitel lauten "Kuss der Unsterblichkeit", "Dunkles Versprechen" und "Bittersüße Erinnerung".
SpracheDeutsch
HerausgeberLoewe Verlag
Erscheinungsdatum1. Juni 2015
ISBN9783732003990
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    Buchvorschau

    Blood Romance (Band 4) - Ruf der Ewigkeit - Alice Moon

    Titelseite

    Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding.

    Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts.

    Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie:

    Sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen.

    In den Gesichtern rieselt sie, im Spiegel da rieselt sie,

    in meinen Schläfen fließt sie. Und zwischen dir und

    mir da fließt sie wieder. Lautlos, wie eine Sanduhr.

    Hugo von Hofmannsthal

    Ranke

    Eins

    Landsitz in der Nähe von London, 1877

    »Vorsicht, Henry, sonst tust du ihm weh.«

    Der Junge hielt inne und drehte sich unsicher zu der besorgten Stimme unter sich um. Er schwankte, als ihm bewusst wurde, wie weit er bereits vom Boden entfernt war. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn und er musste sich darauf konzentrieren, seine locker geschlossenen Finger nicht vor Anspannung zu einer Faust zu ballen und den kostbaren Inhalt, den sie bargen, zu zerquetschen. Er holte tief Luft und bemühte sich um ein Lächeln.

    Das Mädchen mit dem langen goldrot schimmernden Haar und dem hellen Leinenkleid stand auf einer Wiese, inmitten von lauter Blumen. In der Abendsonne wirkte es wie ein flimmerndes Bild aus lauter hellen Farbtupfern, beinahe durchsichtig. Sie wischte sich die Augen und blinzelte zu ihm empor. Henry konnte ihre Tränen sogar aus dieser Entfernung in den langen Wimpern glitzern sehen. Wie Tautropfen, dachte er voller Faszination.

    »Bitte, Henry«, schluchzte das Mädchen und der flehende Klang in seiner Stimme versetzte Henrys Herz einen Stich. Er durfte sie nicht enttäuschen, er musste seine zerbrechliche Fracht in Sicherheit bringen. Vorsichtig öffnete er seine Hand einen winzigen Spaltbreit und lugte zu dem kleinen Rotkehlchen, das aus dem Nest gefallen war. Seine flaumigen Federn waren warm und feucht von Henrys schweißnasser Hand. Es hatte sein jämmerliches Piepsen eingestellt, aber sein kleines Herz klopfte nach wie vor heftig.

    Nein, Henry durfte nicht kehrtmachen, sosehr er es auch wollte. Er musste weiter, noch weiter hinauf in diese unheimliche, nicht zu enden scheinende Höhe. Er wollte es schaffen – nicht nur für diesen kleinen dummen Vogel, der beim nächsten Sturm vielleicht erneut aus seinem Nest purzeln würde, sondern vor allem für sie, für Emilia. Er konnte es nicht ertragen, sie so traurig und verzweifelt zu sehen. Es war ihm dann jedes Mal, als würde alle Freude, aller Lebenssinn aus seinem eigenen Herzen gesaugt und als hätte es keine Berechtigung mehr, weiterzuschlagen, bis es ihr endlich wieder gut ging.

    Während er sich nur mit seiner freien Hand festhielt, arbeitete sich Henry Stufe um Stufe weiter nach oben. Die ausladenden schweren Äste des Ahornbaumes streckten sich ihm wie riesige Arme entgegen. Jeder seiner Schritte ließ die alte Holzleiter ächzen, die an dem dicken Stamm lehnte.

    »Henry, lieber, lieber Henry! Gleich hast du es geschafft. Nur noch ein paar Stufen! Vorsichtig!«

    Der Junge blieb auf der vorletzten Sprosse stehen und streckte die Hand nach dem Nest aus. Er lockerte seine verkrampften Finger und ließ das kleine Federknäuel frei. Augenblicklich ertönte ein aufgeregtes mehrstimmiges Piepsen aus dem Innern des Nestes und Henry atmete erleichtert auf. Aber erst der glockenklare Jubelruf, der nun zu ihm heraufschallte, erfüllte ihn mit einem Glücksgefühl. Jetzt, wo er sich endlich mit beiden Händen festhalten konnte, machte Henry die Höhe kaum noch etwas aus. Beschwingt von seinem Erfolg, wenn auch noch immer mit wackligen Knien, kletterte er die Leiter hinab. Unten angelangt wurde er von dem Mädchen in Empfang genommen, das ihn vor lauter Freude von der untersten Sprosse zog und ihm um den Hals fiel. Alle Traurigkeit war aus Emilias Gesicht gewichen und ihr Strahlen war die größte Belohnung für den Jungen.

    »Danke, Henry, vielen, vielen Dank!«

    Ihre Stimme und ihr warmer Atem an seinem Ohr jagten ihm einen wohligen Schauer über den Rücken und er schloss die Augen. Ihr seidenes Haar roch nach Lavendel und ihre bloßen Arme schmiegten sich weich um seinen Nacken.

    »Ich hab dich lieb«, flüsterte Emilia. Ihre Lippen berührten für einen kurzen Augenblick seine glühende Wange. »Wenn du bei mir bist, fühle ich mich so sicher. Ich habe dann vor nichts mehr Angst. Bitte bleib immer bei mir, ja? Du darfst mich niemals wieder verlassen.«

    Henry blinzelte und blickte in ihre grünen Augen, die ihn erwartungsvoll und voller Ernst ansahen. Sein gesamter Körper kribbelte in einer ihm bisher unbekannten, aber vielversprechenden Aufregung. Er öffnete die Lippen.

    »Kinder, kommt endlich rein und wascht euch die Hände! Es gibt gleich Abendessen!«, schallte die Stimme seiner Mutter zu ihnen herüber. Seit mehr als sieben Jahren war sie schon als Dienstmädchen bei dem Londoner Geschäftsmann Edward Wellington und seiner Familie angestellt.

    Emilia klammerte sich an Henrys Hemd.

    »Bitte, Henry, versprich es mir. Versprich, dass du immer bei mir bleiben wirst, damit ich nie wieder Angst vor etwas haben muss.«

    Die Eindringlichkeit in Emilias Stimme verwirrte den Jungen. Ihre geflüsterten Worte erschienen ihm wie ein verzweifeltes Flehen, wie eine dringende Bitte, deren Antwort keinerlei Aufschub gewährte. Trotz seines überhitzten Körpers fröstelte Henry plötzlich.

    »Emilia, Henry, muss man euch immer zweimal bitten? Wo steckt ihr denn bloß wieder? Nun kommt doch endlich!«

    »Versprich es, Henry!«

    »Ich verspreche es«, flüsterte er benommen und wollte bereits einen ersten Schritt auf den kleinen Kiesweg zu machen, der zum Haus führte. Da hielt ihn Emilia erneut zurück.

    »Was, Henry? Bitte, sprich es aus! Was genau versprichst du mir? Ich muss es hören! Jetzt!«

    Henrys Kehle war trocken. Er schluckte und legte, überfordert von Emilias seltsamem Anliegen, verständnislos die Stirn in Falten. Was verlangte sie da von ihm? Warum hier, warum ausgerechnet jetzt? Er wollte nachfragen, wollte wissen, was in ihr vorging. Stattdessen nahm er behutsam ihr Gesicht in beide Hände. Seine Lippen formten die Worte ganz von allein. »Ich verspreche, dass ich für immer bei dir bleiben werde«, sagte er, wobei er jede einzelne Silbe betonte, als leistete er einen Schwur vor Gericht. »Du sollst niemals Angst haben müssen oder Leid erfahren. Ich passe auf dich auf, Emilia, solange ich lebe!«

    Die Luft um sie herum schien mit einem Mal zu knistern, zu vibrieren, obwohl nicht der leiseste Wind ging. Einen Moment lang sah Emilia ihn so durchdringend an, als wollte sie seine Worte auf ihren Wahrheitsgehalt hin prüfen. Doch dann lächelte sie und legte mit einem erleichterten Seufzer ihren Kopf an seine Brust, dorthin, wo sein Herz schlug. Henry schloss die Arme um ihren schlanken Körper und starrte in die Ferne. Er fühlte sich wie im Fieber. Sie kannten sich, seit sie fünf waren, also beinahe ihr ganzes bisheriges Leben lang. Sie waren wie Geschwister nebeneinander aufgewachsen, hatten Geheimnisse ausgetauscht, sich gestritten, wieder versöhnt und die Sommermonate gemeinsam hier, abseits der Stadt, auf dem herrlichen Landsitz der Familie Wellington, verbracht.

    Und dennoch war Henry, als hätte sie erst dieser seltsame Augenblick, das Hier und Jetzt, wahrhaft aneinandergekettet und ihrer Beziehung eine ganz besondere Bedeutung verliehen. Beinahe so, als hätte er Emilia soeben ein Versprechen gegeben, das ihn von jetzt an unwiderruflich an sie band und sie beide auf ewig unzertrennlich machte. Und obgleich sich Henry nichts sehnlicher wünschte, als tatsächlich für immer an Emilias Seite zu bleiben, mischte sich ein eigenartiges Gefühl in seine Zuneigung zu ihr, das sein Innerstes in Unruhe versetzte. Henry versuchte, dieses Gefühl zu benennen, es einzuordnen und zu verstehen. Und als ihm schlagartig bewusst wurde, worum es sich handelte, schwor er sich mit einem Anflug von schlechtem Gewissen, es für immer aus seinem Herzen zu verbannen. Er wusste nicht, was dieses Gefühl ihm mitteilen wollte, wo es doch nichts dort verloren hatte. Nicht an jenem Ort, der einzig und allein Emilia vorbehalten war. Und er würde höllisch aufpassen, dass sich dieses Gefühl auch niemals mehr Platz verschaffen und an seiner Liebe zu ihr rütteln konnte.

    Er würde sie ganz einfach aussperren und ihr kein Gehör schenken, dieser leise warnenden, zweifellos unbegründeten und dennoch verwirrenden Stimme der Angst.

    Ranke

    Zwei

    »Sag endlich, was passiert ist! Wo steckt er, Henry? Willst du mir weismachen, er wäre schon wieder entkommen? Du bist entweder ein Verräter oder ein elender Versager! Allmählich habe ich genug von deinen fadenscheinigen Entschuldigungen! Ich hatte dich neulich schon gewarnt, weißt du noch? Und damals meintest du, ich bräuchte mir keine Sorgen mehr zu machen, du hättest alles im Griff. Ha, dass ich nicht lache!«

    Ihr wutverzerrtes Gesicht war keinen Zentimeter von seinem eigenen entfernt und ihre Augen blitzten ihn zornig an.

    »Emilia, wenn ich es dir doch sage«, versuchte Jonathan sie zu besänftigen, obwohl er mehr als nervös war. »Ich hatte ihn hier, in diesem Zimmer, eingesperrt. Aber als ich ihn für ein paar Minuten allein gelassen habe, um nach Sarah zu suchen, muss er aus dem Fenster geflüchtet sein.«

    Emilia fasste sich an den Kopf. »Pah, kein Wunder. Du Idiot! Selbst ein ganz normaler Mensch könnte die paar lächerlichen Meter nehmen. Wie konntest du ihn kurz vor knapp entwischen lassen? Hast du denn gar nichts gelernt? Und warum hast du mich nicht sofort informiert? Stattdessen wartest du hier noch stundenlang untätig! Es gibt schließlich so etwas wie Mobiltelefone. Was ist bloß los mit dir?«

    Hässlich sieht sie aus, dachte Jonathan zum wiederholten Male in den letzten Wochen. Emilia war seit ihrem sechzehnten Lebensjahr kein bisschen gealtert. Dennoch hatten Hass und Rachlust über die Jahrzehnte allen Liebreiz aus ihrem Gesicht gefressen und nichts als harte, verbitterte Züge hinterlassen. Selbst das perfekte Make-up konnte sie nicht ganz überdecken. Jonathan schluckte schwer und wieder einmal überkam ihn dieses beklemmende Schuldgefühl, das ihn seit mehr als einem Jahrhundert begleitete. Du brauchst dich gar nicht zu wundern, gab es ihm zu verstehen. Schließlich trägst du Mitverantwortung an dem Schicksal, das Emilia zu dem gemacht hat, was sie heute ist – eine grauenhafte, gefühllose Bestie …

    Jonathans Gewissen hatte recht. Er hatte damals nicht gut genug auf Emilia aufgepasst, war in der entscheidenden Stunde nicht bei ihr gewesen. Er hatte zu lange gezögert, obwohl er die Gefahr bereits Tage zuvor hatte lauern sehen.

    Die Erinnerung an das Mädchen, dem er einst nahegestanden hatte, war in Jonathan mittlerweile so verblasst wie ein altes Foto, das ganz nach hinten in eine Schublade gerutscht war und immer mehr in Vergessenheit geriet. Nur ab und zu kam es zufällig wieder zum Vorschein und weckte Gedanken an heile und sorglose Zeiten. Dann spürte er jedes Mal einen sehnsuchtsvollen Stich in seiner Brust.

    In der Vergangenheit war viel Schreckliches geschehen, aber das Böse würde noch weiter wachsen. Weil er es nicht geschafft hatte, das Unheil von Emilia fernzuhalten, hatte es sich in ihr festsetzen, keimen und gedeihen können, sodass es mittlerweile kaum mehr zu bändigen schien. Und nun bedrohte es auch eine Person, die es als Allerletzte verdient hatte, ins Unglück gestürzt zu werden. Bei allem, was Jonathan falsch gemacht hatte, war er es wenigstens ihr schuldig, gegen alle Hindernisse anzukämpfen und sie vor Emilias blinder Wut und Rachgier zu beschützen. Selbst, wenn dies einem Verrat an Emilia gleichkam. Selbst, wenn es all das infrage stellte, was bisher sein Lebensinhalt und Sinn seiner Existenz gewesen war.

    Sarah war jede Mühe wert. Für sie wollte er seine einstigen Ideale, seine vor Urzeiten geleisteten Versprechen über den Haufen werfen und noch einmal von vorne beginnen. Ganz von vorne … Sarah durfte nichts geschehen, koste es, was es wolle. Sie war unverschuldet in diese verworrene Geschichte geraten. Ein wenig erinnerte sie Jonathan in ihrer sanften und gleichzeitig unerschrockenen Art sogar an das Mädchen, dem er einst, vor vielen, vielen Jahren sein Herz geschenkt hatte. Und sein Leben … damals, in England …

    »Und wo steckt sie?«, zischte Emilia, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Obwohl er auf Anhieb wusste, von wem sie sprach, zog er fragend die Augenbrauen hoch. Vielleicht konnte er so etwas Zeit schinden.

    »Tu nicht so! Sarah natürlich. Deine süße kleine Sarah, die dich leider, leider verschmäht, weil sie immer noch blind vor Verliebtheit diesem Verräter hinterherrennt.« Emilia lächelte boshaft. »Ist sie etwa bei ihm? Sind sie gemeinsam geflüchtet?«

    Jonathan schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Ich habe Sarah schon seit einigen Tagen nicht mehr gesehen. Vielleicht ist sie mit ihrer Mutter unterwegs.« Er legte Emilia eine Hand auf die Schulter. »Ich bin nicht in Sarah verliebt, das bildest du dir nur ein, Emilia. Ja, ich gebe zu, ich habe mich eine Zeit lang zu ihr hingezogen gefühlt, wir haben miteinander geflirtet und uns ein, zwei Mal getroffen, aber das war auch schon alles.« Jonathan wusste, dass das nicht besonders glaubwürdig klang. Emilia kannte ihn länger als jeder andere und sie zu belügen war ebenso überflüssig wie gefährlich. Sie hasste nichts mehr als das Gefühl, dass man sie nicht für voll nahm.

    Prompt verdrehte Emilia genervt die Augen. »Du kannst deine albernen Lügengeschichten jemand anderem erzählen«, erwiderte sie gereizt und schüttelte seine Hand ab. »Ich traue dir nicht mehr über den Weg, Henry. Nicht, nachdem du es schon wieder vermasselt hast. Wer weiß, was sich in deinem Hirn abspielt, du warst ja schon immer ziemlich eigenartig.«

    Jonathan senkte den Blick.

    »Es wird höchste Zeit, dass wir die Spielregeln ändern«, fuhr Emilia fort. »Ich werde mir das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Aber ich kann dir jetzt schon sagen: Alles, was ab heute zählt, sind Fakten. Spekulationen, Wenn und Aber interessieren mich nicht mehr. Fakt ist erstens, dass ich meinem Ziel noch nie so nahe war wie in den letzten Tagen. Zweitens bist du mir schon seit einiger Zeit keine besondere Hilfe mehr. Um genau zu sein, seit du den albernen Entschluss gefasst hast, in dieses Kaff zu ziehen. Drittens«, Emilia umschlich Jonathan wie eine Katze und fuhr mit ihren langen Fingernägeln über seinen Rücken, »bin ich äußerst enttäuscht, um nicht zu sagen, erbost über diese unerfreuliche Entwicklung und überlege, ob ich dir nicht eine kleine Lektion erteilen sollte. Beispielsweise, indem ich dich für einige Tage an einem hübschen, verlassenen Ort deinem Schicksal und deinem Hunger überlasse, damit du in dich gehen und darüber nachdenken kannst, auf wessen Seite du in Zukunft stehen willst.«

    Jonathan schüttelte energisch den Kopf. »Auf wessen Seite ich stehe, weiß ich, Emilia. Daran wird sich auch nie etwas ändern!« Schweißperlen traten auf seine Stirn. Er wusste, wie skrupellos Emilia sein konnte. Auch ihm gegenüber, ihrem langjährigen und verständnisvollen Begleiter, würde sie keine Ausnahme mehr machen. Jonathan hatte längst seine Trümpfe verspielt. Er war Emilia in den letzten Jahren gleichgültig geworden, so wie alles andere aus ihrer Vergangenheit.

    »Also, wenn das tatsächlich so ist, was schlägst du vor, um deine Treue zu beweisen?«, hakte Emilia nach. Sie blickte ihn forschend an.

    »Gib mir nur … ein paar Tage Zeit, um seine … seine Spur wieder aufzunehmen«, stammelte Jonathan. »Ich werde Dustin wiederfinden, ganz bestimmt.«

    »Und dann?«

    »Dann serviere ich ihn dir auf einem Silbertablett.« Jonathan war sich vollkommen bewusst, dass sein Versprechen nichts als eine momentane Flucht aus dieser unangenehmen Situation war. Ein kleiner Aufschub, mehr nicht. Früher oder später würde er sein blaues Wunder erleben.

    »Schön. Du bekommst deine Chance. Wieder einmal. Aber lass es dir gesagt sein: Diese … ist tatsächlich deine letzte.« Emilia blickte ihm scharf in die Augen. »Und während du dich ab jetzt ganz allein um den Hauptgang kümmerst«, flötete sie, »beschäftige ich mich mit der dazugehörigen Beilage.«

    Jonathan zuckte zusammen. Sarah …

    »Ich weiß zwar noch nicht genau, was ich mit ihr anstelle«, fuhr Emilia gedehnt fort, »aber ich denke, sie verleiht unserem Menü die perfekte Würze. Es kommt nur auf die richtige Art der Zubereitung an. Wobei du, lieber Henry, ja leider schon den Geschmack an ihr verloren hast, wie du behauptest.« Sie lächelte ihr messerscharfes, ironisches Lächeln.

    Jonathan konnte nur hoffen, dass Sarah inzwischen geflohen war, so wie er es ihr geraten hatte. So weit weg, dass es Emilia zu unbequem werden würde, ihre Spur aufzunehmen. Und doch so nah, dass er sie wiederfand, wenn die Dinge endlich geklärt waren. Es musste doch eine Möglichkeit für ihn geben, sich von Emilia zu trennen, um irgendwo von Neuem zu beginnen. Mit ihr, mit Sarah.

    »Drei Tage«, zischte Emilia.

    »Was?«

    »Du bekommst drei Tage, Henry. Na gut, von mir aus vier, ich will nicht unfair sein. Ab jetzt spielt Zeit wieder eine Rolle für dich, also trödle nicht herum. Heute ist Samstag. Dienstag um Mitternacht ist meine Geduld am Ende und du wirst aus deinem Dienst entlassen, wenn du mir keine Ergebnisse lieferst. Also, mach dich auf die Suche und fang am besten im Canyon Forest an. Wie ich Dustin einschätze, hängt er noch immer dort herum. Er ist nicht sehr einfallsreich. Ich persönlich habe die Schnauze voll von dem Herumgestreune im Wald. Das ist allmählich unter meiner Würde. Rehe und Wölfe langweilen mich, ich werde mich zukünftig auf andere Nahrung konzentrieren.« Emilia fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und Jonathan schauderte. »Da fällt mir ein – ich habe Hunger. Mal sehen, was sich dagegen unternehmen lässt.« Emilia drehte sich um. »Du weißt ja, wo du mich findest, wenn es Neuigkeiten gibt«, rief sie ihm zu, während sie sich in Richtung seines Fensters bewegte. »Und ich werde dich ebenfalls aufspüren«, fügte sie hinzu. »Egal, wo du steckst, vergiss das nicht.«

    Damit verschwand sie im Morgengrauen und ließ Jonathan fröstelnd vor Unbehagen in seinem Wohnheimzimmer zurück. Er ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen und schlug müde die Hände vors Gesicht. Vier Tage … Wo sollte er anfangen? Wie sollte er vorgehen? Alles war so verworren, so kompliziert. Schließlich fischte er einen kleinen silbernen Schlüssel aus seiner Hosentasche und öffnete die Schreibtischschublade. Er zog einen Bogen Papier und einen Füller hervor. Hoffentlich würde sein Brief denjenigen erreichen, der ihm jetzt als Einziger noch weiterhelfen konnte. Und hoffentlich würde seine Antwort nicht zu spät kommen.

    Mein lieber Freund!

    Es ist lange her, seit ich Dir das letzte Mal geschrieben habe …

    Sarah legte ihre Hand auf Dustins Knie. Er saß am Steuer ihres hellblauen Beetle. Sie waren mitten in der Nacht in Rapids aufgebrochen und fuhren nun seit gut einer Stunde den Highway entlang. Die ganze Zeit über hatten sie kein Wort miteinander gewechselt. Sarah schielte zu Dustin hinüber, doch er hielt seinen Blick starr geradeaus gerichtet. Er schien in Gedanken versunken, ebenso wie sie selbst. Als er schließlich bemerkte, dass Sarah ihn ansah, wandte er sich ihr kurz zu. Sie lächelte, doch sein Ausdruck blieb ernst.

    Sarah seufzte und zog ihre Hand fort. »Bist du immer noch sauer auf mich?«, fragte sie leise.

    Dustin schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin nicht sauer«, erklärte er. »Ich halte es nur für keine gute Idee, dich gerade mal bis in den nächsten

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