Keimzelle Krankenhaus. WP-Ausgabe: Wie MRSA und andere Killerbakterien töten
Von Klaus Brandt
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Verschwundene Akten, verschwiegene Infektionen, verschleiernde Behörden - eine Recherche zu den Hintergründen und den Folgen katastrophaler Zustände in Krankenhäusern, die man vielleicht in der Dritten Welt erwartet hätte, aber nicht in Deutschland.
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Buchvorschau
Keimzelle Krankenhaus. WP-Ausgabe - Klaus Brandt
KEIMZELLE KRANKENHAUS
Killerbakterien wie MRSA und VRE führen zu immer neuen Todesfällen und dramatischen Schicksalen in deutschen Kliniken, wie Beispiele aus Nordrhein-Westfalen zeigen. Dabei sind viele Katastrophen vermeidbar.
– Protokoll einer Recherche –
Von Klaus Brandt
Von Keimen zerfressener Brustkorb des Patienten Bernd Z. nach einer MRSA-Infektion im Universitätsklinikum Essen.
Die Wegbereiter dieser Recherche sind tot. Sie liegen begraben auf Friedhöfen im Duisburger Norden. Wie viele es sind, wissen wir nicht. Der Hinweis, der uns auf ihre Spur brachte, kam von einer Pastorin. Sie berichtete von ungewöhnlichen Sterbefällen in ihrem Sprengel.
Im Anschluss daran beginnt für uns eine Recherche, die tief in das System Krankenhaus führt. In den kommenden Monaten lernen wir, wie erbittert Kliniken und Behörden mauern, wenn es um die Probleme bei der Versorgung der Schwächsten, Kranken und Alten geht. Wir erfahren, wie vielleicht Tausende vermeidbare Todesfälle hingenommen werden wie schlechtes Wetter. Die Rede ist am Ende von insgesamt 40.000 Toten durch die Killerkeime. Wir sehen, wie es um die Sauberkeit in Kliniken bestellt ist.
DER TIPP
Auffallend viele plötzliche Todesfälle machten eine Duisburger Pastorin misstrauisch. „Bitte gehen Sie der Sache nach." Foto: Jakob Studnar/WAZ FotoPool
Die Pastorin aus Duisburg erzählt von einem Verdacht. Häufig halte sie Trauerreden an Gräbern von Menschen, die kurz zuvor noch sehr lebendig gewirkt hätten. Auffallend sei: Die Verstorbenen seien alle zuvor im Duisburger Helios-Klinikum St. Johannes behandelt worden. Irgendetwas stimme da wohl nicht. Hinterbliebene stünden vor einem Rätsel.
Die Pastorin sagt, einige Todesfälle in diesem Krankenhaus seien ungeklärt. „Viele Menschen wissen nicht, warum sie ihre Angehörigen dort verloren haben. In der Gemeinde rumore es. Krankenhauskeime hätten die Todesfälle verursacht, heiße es. Bestimmte Klinikbereiche seien regelrecht verseucht. Intensivstation und Innere Medizin sollen die gefährlichsten Abteilungen sein. Die hygienischen Verhältnisse dort seien katastrophal, hätten Augenzeugen berichtet. Davon wisse nicht nur sie. „Auch Kollegen von mir haben Schlimmes darüber gehört
, sagt die Pastorin. „Bitte gehen Sie der Sache nach. Aber behutsam und vorsichtig. Viele Leute haben Angst".
An dieser Stelle ist klar: Es geht um zweierlei. Zuallererst um Menschen. Und dann um Zahlen.
Wir müssen versuchen, Betroffene zu finden. Was ist da los? Gab es diese Todesfälle? Wenn ja: Worauf beruhten sie? Waren tödliche Keime im Spiel? Gab es wirklich diese Häufung von Krankheitserregern im Helios-Klinikum St. Johannes? Und wenn ja: warum? Zugleich brauchen wir Daten. Zahlen, die veranschaulichen, was in St. Johannes los ist. Und Vergleichsdaten anderer Krankenhäuser, um einzuordnen und zu bewerten, ob die Helios-Klinik St. Johannes aus dem Raster fällt. Und wenn ja: in welche Richtung, in welcher Größenordnung. Dazu benötigen wir auch Zahlen aus den anderen Duisburger Krankenhäusern. Ebenso landesweite Zahlen aus den Kliniken in Nordrhein-Westfalen.
Wir bilden zunächst ein vierköpfiges Recherche-Team und teilen uns auf: Daniel Drepper sichtet Patientenforen nach Inhalten und potentiellen Informanten. Benedict Wermter knüpft direkte Kontakte in die Helios-Belegschaft. Haluka Maier-Borst besorgt Datenmaterial und wertet es journalistisch aus. Ich spreche mit Betroffenen und versuche, Dokumente zu beschaffen, von Patienten, Angehörigen, Hinterbliebenen von Keimopfern.
DIE MENSCHEN
„Wir bedauern den tragischen Verlauf": Rainer F. war von sieben Keimen befallen. Im Bericht der Helios-Ärzte fehlen die letzten Lebenstage. Auch der Sturz aus dem Intensivbett.
Einige Leute, die selbst in der Duisburger Helios-Klinik gelegen oder einen Angehörigen dort liegen hatten, wollen reden, aber nicht öffentlich in Erscheinung treten. „Helios ist ein großer Konzern, mit viel Geld. Damit legen wir uns nicht an, sagt eine Frau, deren Mann in St. Johannes gestorben ist. Als sie ihn kurz vor seinem Tod besucht, greift sie sie beim Öffnen der Zimmertür auf eine blutverschmierte Türklinke. Ein Schock. „Sie glauben nicht, wie ekelhaft das war
, sagt sie. In der Zeitung soll diese Begebenheit nicht stehen. Die Frau will anonym bleiben. Aber sie kennt andere Leute, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben sollen. „Vielleicht sagen die was."
Meine Kontaktkette entwickelt sich. Ein wichtiges Stück ist die Telefonnummer von Monique Müller. Ihr Vater ist in der Helios-Klinik St. Johannes gestorben. Das erste Telefonat mit der jungen Frau macht mir Hoffnung. Starke Stimme, klare Worte, deutliche Meinung. Mein Eindruck: Eine wie sie könnte den Willen, die Kraft und die Entschlossenheit haben, die nötig sind, um ein persönliches Schicksal ans Tageslicht zu bringen. Auch wenn es wehtut.
An einem warmen Sommertag fahre ich nach Duisburg. Eine Siedlung in Meiderich: viel Grün zwischen grauen Fassaden. Eine muntere Kinderkulisse schallt aus der Wohnung. Der Händedruck von Monique Müller ist wie ihre Stimme: kräftig. Die Endzwanzigerin wirkt auf Anhieb geradeheraus. In der Küche sitzt ihre Mutter. Sie ist zarter, zerbrechlicher: Klaudia F., Anfang 50, trauert um ihren Mann. Ein Bild von ihm steht auf der Arbeitsplatte. „Opa", sagt der größere der beiden kleinen Jungen, die zwischen uns herumtollen und zeigt auf den Mann auf dem Foto.
Rainer F. ist der Fixpunkt dieser Familie gewesen. Dass er schwer krank war, dass er auch sterben konnte, das haben seine Angehörigen an dem Tag akzeptiert, als er ins Krankenhaus kam. Wie er dann dort starb, unter welchen Umständen – das akzeptieren sie nicht.
Auch nicht den Bericht der behandelnden Helios-Ärzte. Die Familie zeigt ihn mir. In dem Bericht steht, dass Rainer F. sieben verschiedene Keime in seinem Körper hatte. In seinem Blut schwammen die lebensgefährlichen Bakterien MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) und VRE (Vancomycin-resistente Enterokokken).
Dass Rainer F. am Tage vor seinem Tod aus dem Bett gefallen ist, auf der Intensivstation, das steht nicht im Arztbericht. Auch deshalb glaubt die Familie den offiziellen Angaben nicht.
„Wir bedauern den tragischen Verlauf, heißt es in dem Bericht. Und: Für weitere Fragen stehe Helios „selbstverständlich jederzeit zur Verfügung
.
DIE KLINIK
Ich klicke mich durch die virtuelle Helios-Welt. Was der Konzern im Internet bietet, sieht gut aus. Die Häuser, Abteilungen, Stationen, auch viele Menschen auf den Bildern – alle schön. Im Hygiene-Portal stehen Fotos, die den Standard im Krankenhaus darstellen sollen. Da desinfizieren sich Ärzte, Pfleger und Schwestern die Hände; sie tragen Schutzkittel, Mund-Nasen-Schutz, Kopfhaube. Die suggestive Botschaft: Hier sind Profis am Werk. Hier sind sie gut aufgehoben. Wir tun alles für Ihre Sicherheit und Gesundheit. Hygiene, Betreuung, Pflege, Zuwendung, Vertrauen, Offenheit und Transparenz sind in der Helios-Netzpräsentation eine Sache der Selbstverständlichkeit. Wie realitätsnah ist dieser Anspruch? Wie sieht es hinter der Hochglanzfassade aus?
Das gucken wir uns an. Dazu schleusen wir einen jungen Kollegen ins Klinikum St. Johannes ein. Er suche das passende Krankenhaus für eine Operation, die bei seiner Großmutter anstehe, sagt er. Er schaut sich die Stationen 11, 12, 13, 17 und 18 an: Intensivstationen, Kardiologie, Chirurgie. Hier die Eindrücke, die unser Mitarbeiter als Augenzeuge bei Helios aufgeschrieben hat:
Schon vor dem Betreten der Klinik wird der Unterschied zum Internetauftritt deutlich: Alles nur Fassade – und zwar alte, heruntergekommene. Die durch Schmutz der umliegenden Fabriken geschwängerte, saure Luft umgibt die Einrichtung, während in der Einfahrt im Hinterhof in grün gekleidete Schwestern auf einem Mäuerchen sitzend rauchen. Ein Leichenwagen fährt vorbei.
Wenn man das Gebäude umläuft, verliert man schnell die Orientierung, so groß und verwinkelt sind Trakte, Gänge und Hinterhöfe. Vor dem Eingang der Klinik stehen die ersten Patienten – in der einen Hand das tragbare Infusionsgerät, in der anderen die Zigarette. Hinter dem Haupteingang wird man von fahlem Licht und kaltem Kaffeegeruch empfangen. Es herrscht reges Treiben: Patienten schreiten vor sich hin, Angehörige warten, Schlangen bilden sich vor dem Empfang und der Notaufnahme, in blau gekleidete Mitarbeiter schieben einen operierten Patienten in den Aufzug. Der ältere Herr klagt über Schmerzen, nachdem das Bett angestoßen wurde. Man hat es eilig.
Das Gebäude scheint unendlich weitläufig zu sein. In den engen, schwülen Kellergängen riecht es nach Kochwäsche; unzählige, leere Betten und Rollstühle reihen sich an den Rändern der Gänge auf. Die Stationen sind allesamt voll belegt: Ärzte, Schwestern und Helfer sowie zahlreiche Patienten laufen umher bzw. sitzen in Warteräumen oder liegen in Betten an den Gangrändern. Man bietet mir Hilfe an, ich sehe offenbar verloren oder bedürftig aus.
Auf dem Weg zu Station 12 fällt auf, wie rückständig und verlassen die Klinik erscheint: Die Gänge sind mit alten Kacheln gefliest, viele davon mussten offenbar nach Schäden ersetzt werden. Die Tapeten sind alles andere als weiß. Es wurden Bilder auf- und wieder abgehängt, die, die noch hängen, haben schwarze Ränder und sind von Spinnweben umgeben. Eine verstaubte Kirchenfigur lädt ein in den denkmalgeschützten Trakt der Klinik, hier wird es dunkel und hässlich. Ordnung und Sauberkeit sehen jedenfalls anders aus.
Über die geschlossene Station 13 gelangt man auf die Intensivstationen 12 und 11. Bevor man eintritt, der Hinweis auf notwendige Hygienemaßnahmen. Auf dem linksgekrümmten Gang geht es völlig chaotisch zu: Benutzte Utensilien zur Nahrungsaufnahme und entsprechende Reste häufen sich auf einem Beistellwagen an, benutzte und bereits abgezogene Betten kreuz und quer, Desinfizierungsmaterialien und Handschuhe liegen auf kleinen Wägelchen, die so im Gang stehen, dass sie zum Stolpern einladen. Schwestern mit und ohne Mundschutz kommen mir entgegen – auf Nachfrage, wo diese oder jene andere Station sei, zeigen sich jedoch alle hilfsbereit und freundlich.
Meine Blicke schweifen durch die vielen halb geöffneten Türen in Krankenzimmer und Arbeitsräume. Kranke mit weit geöffneten Mündern und geschlossenen Augen sind zu sehen, durch Kabel und Schläuche am Leben erhalten. In einem anderen Zimmer wird wieder reines Bett gemacht: Eine Mitarbeiterin schrubbt die plastikbezogene Matratze sauber. Die Arbeitsräume sind hoffnungslos chaotisch. Hier fliegt alles umher an Unterlagen und Ordnern, Kaffeetassen und Arbeitsmaterialien. Auf Nachfragen antwortet man allerdings gerne und auch ausführlich, auch im Umgang mit den Kranken gibt sich das Personal nett.
Wenn hier die Todesstation ist, wie einige ehemalige Patienten beklagen, so wird dieser Eindruck durch das Gesehene bestätigt. Hier wird die kranke Masse abgefertigt, hier gibt es Probleme, Desorganisation und Mangel an Ressourcen.
Die Führung endet mit einer ungewollten Schlusspointe. Die Dame, die unserem Mann das Klinikum St. Johannes zeigt, empfiehlt ihm nach dem Rundgang, „besser nie krank zu werden – und wenn, für eine private Versicherung zu sorgen. Unser Mitarbeiter ist irritiert. Nein, sagt die Frau, das habe „nichts mit dieser Klinik zu tun, sondern generell mit dem Krankenhaussystem
.
DIE ANGESTELLTEN
„Die Lage ist katastrophal." Helios-Klinikum St. Johannes in Duisburg. Foto: Ralf Rottmann/WAZ FotoPool
Erste Gespräche mit Beschäftigten aus dem Klinikum St. Johannes offenbaren eine große innere Anspannung in Teilen der Belegschaft. Vor mir sitzen keine motivierten, dynamischen Menschen, sondern ausgezehrte, frustrierte Menschen. Sie berichten von schlimmen Zuständen. Die Angaben sind sehr konkret. Und sie decken sich mit vielen Erlebnissen, die Patienten, Besucher und Angehörige geschildert haben. Demnach wäre Hygiene kein Aushängeschild, sondern ein Fremdwort – zumindest in diesem Helios-Klinikum.
Wir wissen, dass St. Johannes schon optisch einen harten Kontrastpunkt zu den hübschen Impressionen im Netz setzt. Es gibt gute historische Bausubstanz. Und es gibt diesen alten Backsteinbau. Wir können uns nicht von jeder Abteilung ein Bild machen, aber was wir sehen, sieht nicht gut aus. Und was wir hören, klingt schlimm. Besucher erzählen von feuchten Flecken an Decken und Wänden, von Stockflecken und Schimmelpilz, schmutzigen Ecken auf Stationen, Krankenzimmern und Toiletten. Klinikbeschäftigte bestätigen diese Zustände. Angehörige berichten von Krankenschwestern, die erst Zigaretten rauchen, dann ohne Mundschutz und Kittel an die Betten auf der Intensivstation eilen und Schwerstkranke versorgen. Besucher, so heißt es, müssten sich komplett mit Schutzkleidung vermummen, für das Personal gelte das nicht. Auch nicht für den Pizza-Service. Der fliegende Bote bringe das Essen stets in voller Straßenmontur direkt auf die Station, bei entsprechender Bestellung auch auf die Intensivstation.
„Die Lage ist katastrophal, sagt mir eine Pflegerin. „Wir haben viel zu wenig Personal. Die Hygiene-Richtlinien werden nicht eingehalten. Das kann keiner schaffen. Dazu ist die Belastung einfach zu groß.
Angesichts des Personalmangels kämen die Pflegekräfte zu nichts. „Das sieht man dann auch an den Patienten."
Die Liste meiner Informanten wird länger. Dabei entstehen immer mehr Kontakte direkt in die Klinik. Ich telefoniere mit Angestellten und versuche, Vertrauen aufzubauen. Das ist schwierig, denn die Angst sitzt vielen im Nacken. Ein Mitglied des Betriebsrates erzählt, dass sie ihren Freunden und Bekannten schon lange von dem Krankenhaus abrate, in dem sie arbeitet. Personal sei knapp, der Druck auf die Beschäftigten höllisch, das Pensum für die Putzkolonnen derart hoch, dass unterm Strich