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Sterbeengel
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eBook233 Seiten2 Stunden

Sterbeengel

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Über dieses E-Book

Die lebenslustige Rechts-Referendarin Ariane Sperling verliebt sich in den bekannten Frankfurter Rechtsanwalt Dr. von Hohenstein, der neben Aufsehen erregenden Strafverteidigungen ein betrügerisches Sterbehilfe-Unternehmen namens PAX betreibt. Nach mehreren merkwürdigen Gifttodesfällen sterbewilliger Menschen, die dem Programm des Sterbehilfeunternehmens PAX ähnelten, versucht die Frankfurter Kriminalpolizei und der junge Frankfurter Staatsanwalt Martin Flamme diese Todesfälle aufzuklären.
Zur gleichen Zeit bekommt Ariane Sperling Drohbriefe von einem Unbekannten, der sich 'Roter Rabe' nennt und ihr nach dem Leben trachtet. Die Frankfurter Polizei und Staatsanwalt Flamme überprüfen zahlreiche Verdächtige und werten Indizien aus. Im Laufe der kriminalpolizeilichen Ermittlungen deutet sich eine Verbindung zwischen den Sterbehilfe-Fällen und den Drohbriefen an. Doch erst zwei überraschende Todesfälle bringen die Lösung dieses geheimnisvollen Falles.
SpracheDeutsch
HerausgeberB3 Verlag
Erscheinungsdatum22. Aug. 2012
ISBN9783943758313
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    Buchvorschau

    Sterbeengel - Johannes Frumen

    ließ.

    Sachsenhausen Südfriedhof, etwa 5 Monate zuvor

    Grün schimmerte die Kuppel der Friedhofskapelle des Sachsenhäuser Südfriedhofs, der wie eine Totenstadt am Ende der Darmstädter Landstraße in Frankfurt lag und von einer efeubewachsenen Sandsteinmauer umgeben war. Gegenüber auf dem Parkplatz des Grandhotels „Colline de Soleil, das in mehreren Etagen einer turmhohen Wohnlandschaft untergebracht war, versammelten sich am Dienstag, den 23. November 1976, Vertreter der lokalen und überregionalen Presse, um im Hoteltagungsraum „Paracelsus an einem Pressetermin teilzunehmen. Zu diesem Termin hatte der Frankfurter Rechtsanwalt Dr. Arno von Hohenstein, 45 Jahre alt, geladen.

    Auf dem Parkplatz demonstrierten eine Patientenschutzorganisation und Vertreter mehrerer katholischer und evangelischer Kirchengemeinden mit Transparenten und Handzetteln gegen das Geschäft mit dem Tod durch den Sterbehilfeverein PAX.

    Dr. von Hohenstein, sportliche Erscheinung, bekannter Frankfurter Strafverteidiger und Spezialist für Rauschgiftsachen, hatte durch einige Thesen öffentliches Aufsehen erregt: Jeder Mensch habe nicht nur das Grundrecht, menschenwürdig zu leben, sondern auch, menschenwürdig zu sterben. Nicht nur das Recht, die Art seines Lebens frei zu gestalten, sondern auch den Zeitpunkt und die Art seines Lebensendes selbst zu bestimmen.

    Er stellte drei Ärzte und zwei Privatpersonen vor, mit denen er heute zusammen einen Sterbehilfeverein namens PAX gründen werde. Nach der Vorstellung der Gründungsmitglieder trat er an das Podium und begann unter dem Blitzlichtgewitter der Pressefotografen mit seinem Vortrag.

    „Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Presse. Wir, der gemeinnützige Sterbehilfeverein PAX, haben Sie heute ganz bewusst gegenüber dem Sachsenhäuser Friedhof zu dieser Veranstaltung eingeladen, um zu dokumentieren: PAX will Ruhe und Frieden vermitteln. Dr. von Hohenstein legte eine bedeutungsschwangere Pause ein und blickte in die Runde, bevor er fortfuhr: „Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden registriert jährlich zwischen 10.000 und 15.000 Suizide. Da Untersuchungen ergeben haben, dass von 50 Suizidversuchen 49 scheitern und nur einer gelingt, muss man in Deutschland von ca. 600.000 Suizidversuchen und 585.000 gescheiterten Versuchen ausgehen, die zumeist zu schwerwiegenden Gesundheitsschäden führen. Anhand dieser Zahlen können Sie ermessen, wie viel verzweifelte und lebensmüde Menschen es gibt, die, alleinegelassen, den Versuch unternehmen, ihr Leben durch Erschießen, Erhängen, Vergiften, Ertränken, Ersticken, Sprung vor eine Bahn oder Sprung von einer Brücke zu beenden. Misslingt der Versuch, wie meistens, so fristen viele Menschen wegen furchtbarer Verletzungen und Folgewirkungen ein noch schlimmeres Dasein als vorher. Wieder legte von Hohenstein eine Pause ein, als wolle er seine Worte dadurch aufwerten. „Dieser menschenfeindliche Wahnsinn geschieht nur, weil die deutsche Rechtsprechung und das ärztliche Standesrecht eine vernünftige Sterbehilfe zu verhindern suchen. Würden diese lebensmüden Menschen, die an qualvollen und unheilbaren Krankheiten leiden, von einer Sterbehilfeorganisation wie PAX beraten und begleitet, so würden die meisten schmerzhaften und barbarischen Selbsttötungsversuche wegfallen. Die wenigen unvermeidbaren Selbsttötungen würden, gewissenhaft vorbereitet und begleitet, risiko- und schmerzfrei verlaufen. Denn der Patient schläft nach Einnahme des von PAX beschafften letalen Medikaments innerhalb weniger Minuten ein, geht vom Schlaf ruhig in den Tod und findet seinen Frieden. PAX bedeutet Frieden. Und genau deshalb haben wir uns so genannt." Dr. von Hohenstein blätterte in seinem Manuskript, als suche er die Fortsetzung, dann blickte er wieder ins Publikum.

    „Meine Damen und Herren, die von den Kirchen und den ärztlichen Standesorganisationen in Deutschland geführte Diskussion ist unredlich und emotional. Dies zeigt schon der Begriff Selbstmord. Schwerkranke und lebensmüde Menschen verfolgen keine böswilligen, heimtückischen oder für Dritte gefährlichen Absichten. Sie morden nicht. Die Ärzte verkünden ihre Moral: Ein Patient habe zwar das Recht zu sterben, aber nicht das Recht, sich zu töten beziehungsweise getötet zu werden. Es gehöre zum Arztberuf, den Todeseintritt zu verhindern, den Sterbenden zu begleiten, nicht aber, den Tod zuzuteilen. Die Politik spricht sich zwar für mehr Sterbehospize und eine verbesserte Palliativmedizin aus, lässt aber mit diesen Thesen viele todkranke, sterbewillige Patienten allein, die nicht jahrelang als, ‚lebende Leichen‘ in einem künstlich verlängerten Leben an Geräten und Schläuchen der Intensivmedizin dahinvegetieren wollen und eine künstliche Beatmung und eine nicht endende Schmerztherapie ablehnen. Jetzt atmete von Hohenstein zweimal tief durch und sah bereits etwas Unruhe im Publikum aufkommen: „Wir vom Sterbehilfeverein PAX wollen den nach langer Beratung und ärztlicher Untersuchung entstandenen Suizidwunsch ernst nehmen und dem sterbewilligen Menschen die Möglichkeit bieten, nicht bis zum bitteren Ende leben zu müssen, sondern aufgrund eines tödlichen Medikaments schmerzfrei, sicher und menschenwürdig aus dem Leben zu scheiden und in Frieden zu ruhen. Requiescat in pace! Unsere Vereinsgründung verstößt keineswegs gegen das Gesetz, wie fälschlich in den Medien behauptet wird. Nach deutschem Strafrecht, meine Damen und Herren, ist nämlich die vorsätzliche Teilnahme an einer Selbsttötung ebenso straflos wie die straflose Haupttat, die Selbsttötung selbst. Die deutsche Rechtsprechung hat nun durch die Konstruktion eines Tatherrschaftswechsels eine Möglichkeit gesucht und gefunden, um die Sterbehilfe mit Strafe unterbinden zu können, zumindest zu erschweren. Wenn ein Arzt auf einen nicht mehr frei verantwortlichen oder bewusstlosen Patienten in lebensbedrohlicher Lage trifft, so geht nach dieser juristischen Konstruktion die Tatherrschaft und damit die Täterschaft auf den Arzt als Garanten über, und er macht sich wegen Tötung durch Unterlassen strafbar, wenn er die ihm mögliche, erforderliche und zumutbare Hilfe zur Lebensrettung nicht leistet. Ein Arzt oder ein anderer Sterbehelfer, der dem Sterbewilligen ein schmerzlos wirkendes Gift beschafft und in einem Getränk auflöst, muss deshalb das Sterbezimmer noch bei Bewusstsein des lebensmüden Patienten verlassen und den Sterbenden mit seinem Giftcocktail allein lassen, um sich nicht dem Risiko der Strafverfolgung wegen unterlassener Hilfeleistung auszusetzen. Diese Rechtsprechung, meine Damen und Herren, ist menschenverachtend und menschenrechtsfeindlich, weil sie den todkranken Sterbewilligen in seiner letzten Stunde alleinlässt. PAX kritisiert diese Rechtsprechung und wird dagegen prozessieren, muss sie aber zunächst respektieren. Sie, meine Damen und Herren von der Presse, sollten durch Ihre Beiträge dafür sorgen, dass diese Rechtsprechung keinen Bestand haben wird. Und als wolle er seine Worte tatkräftig unterstützen, fuhr von Hohenstein mit viel Verve fort.

    „Gerade letzte Woche habe ich eine lebensmüde ältere Dame davon überzeugen können, dass es sich trotz ihrer Schmerzen lohnt weiterzuleben. PAX setzt sich also nicht nur für das Sterben ein, sondern auch für das Weiterleben, aber beides in freier Entscheidung. So schloss Dr. von Hohenstein seine Rede, und nach Ende des Beifalls der Zuhörer fügte er für die Pressevertreter hinzu: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir Detailfragen erst nach dem heutigen Gründungsakt schriftlich beantworten wollen und können.

    Dr. von Hohenstein ließ durch zwei Hostessen im schwarzen Kostüm einige Informationsmappen über den Sterbehilfeverein PAX verteilen, posierte für Pressefotografen und zog sich sodann mit seinen Gründungsmitgliedern zurück, um in seiner nahe gelegenen Anwaltskanzlei den Gründungsvorgang und erste Planungen vorzunehmen.

    In Frau Weisshaupts Wohnung, April 1977

    Ein Schlüsseldienst hatte die Wohnungstür geöffnet. Laut hatten Kriminalhauptkommissar Wedekind und Kriminalhauptkommissar Koch beim Betreten den Namen der Bewohnerin gerufen und, als sich niemand meldete, die obligatorische Nachschau gehalten. Vorgefunden hatten sie einen aufgeräumten Flur und ein behagliches und ordentliches Wohnzimmer. Auf einem Tisch lag ein aufgeschlagenes Fotoalbum mit Familienbildern. Je mehr sie sich jedoch dem Schlafzimmer näherten, desto stärker hatte ein Nebel von Verwesungsgeruch einen Leichenfund angekündigt.

    Im Schlafzimmer entdeckten sie schließlich die vermisste Wohnungsinhaberin, die quer über ihrem Bett auf einer Überdecke mit Paradekissen lag.

    Der herbeigerufene Arzt stellte einen unnatürlichen Tod fest. Neben einem Bittermandelgeruch erkannte er bei der Toten typische leuchtend rote Leichenflecken, sogenannte Livores. Nach seiner vorläufigen Einschätzung hatte die Verstorbene schon mehrere Tage tot auf dem Bett gelegen. In einem Vogelkäfig lag ein toter Wellensittich.

    Erste Befragungen der Nachbarn ergaben, dass Agathe von Weisshaupt seit dem Tod ihres Ehemannes durch einen Schlaganfall vor 15 Jahren allein in dieser Wohnung lebte, dass sie Mutter eines Sohns namens Johann und einer Tochter namens Maria war, die sie aber nur selten besuchten.

    Als Wedekind und Koch die auf dem Bett liegende Tote in Augenschein nahmen, ihr verzerrtes Gesicht, ihre in die Kissen verkrallten Hände sahen und den Bittermandelgeruch wahrnahmen, lag die Vermutung Tod durch Zyankali oder Blausäure nahe. Die Greisin war eine abgemagerte, verwelkte Frau, die augenscheinlich nach einem Martyrium heftigster Schmerzen und Krämpfe gestorben war. Auf dem Nachttisch stand ein Glas stilles Mineralwasser, das fast geleert war. Daneben lag eine geöffnete Pillendose mit Pulverresten. Alle Gegenstände wurden für eine spätere toxikologische Untersuchung in Plastiktüten gesichert und mit dem Fundort bezeichnet.

    Die Kriminalbeamten erkannten aufgrund der vorgefundenen Situation, dass hier vermutlich eine Selbsttötung vorlag. Einige Umstände jedoch passten nicht dazu. Die Schublade eines kleinen Schreibtisches in Agathe von Weisshaupts Schlafzimmer war herausgerissen und der Inhalt achtlos auf den Teppichboden gekippt worden. Zahlreiche Rechnungen, Ansichtskarten, Briefe, Kontoauszüge, vergilbte Schwarz-Weiß-Fotos, leere Briefbögen und Umschläge lagen verstreut auf dem Teppichboden und einem weinroten Perserteppich. Zu der peinlichen Ordnung der Wohnung passte weder die ausgeschüttete Schublade noch das Fehlen eines Abschiedsbriefes oder Testaments. Kriminalhauptkommissar Koch fand im Papierkorb einen mehrfach zusammengefalteten Zettel, auf dem in krakeliger Schrift notiert war:

    Weitere Serviceangebote bei persönlicher Beratung

    Der mehrfach geknickte Zettel gab zu der Vermutung Anlass, dass die Verstorbene nicht nur ein todbringendes Gift bezogen hatte, sondern auch Sterbehilfeangebote von einem entsprechenden Berater oder von einem sogenannten „Todesengel" in Anspruch genommen hatte.

    Es bestand aufgrund der ausgeschütteten Schublade und der durchwühlten Unterlagen ferner der Verdacht, dass diese unbekannte Person sich nach dem Geschäft mit dem Tod am Vermögen der Toten und deren Erben bereichert hatte.

    Ob auch der Wellensittich vergiftet worden war, blieb zunächst offen. Da weder Wasser noch Futter im Käfig waren, schien der Vogel verdurstet oder verhungert zu sein.

    Wedekind und Koch ermittelten deshalb wegen des Verdachts der Tötung auf Verlangen, wegen eines Verstoßes gegen das Chemikaliengesetz und gegen die Gefahrstoffverordnung, wegen Verdachts des Betruges und der Unterschlagung.

    Sie schalteten weitere Kollegen ein und ließen nach Rücksprache mit dem zuständigen Staatsanwalt die einzelnen Räume der Wohnung sorgfältig nach Spuren und etwaigen Beweismitteln durchsuchen. Im Schlafzimmerschrank fanden sie zwischen der sorgfältig aufeinandergeschichteten Unterwäsche der Toten einen längeren Abschiedsbrief vom 10.04.1977 in schwer lesbarer krakeliger Schrift mit Agathe von Weisshaupts letztem Willen. Die Schrift war augenscheinlich identisch mit der Krakelschrift des zusammengefalteten Notizzettels. Das Schreiben war ohne Umschlag, von ihr persönlich unterzeichnet und hatte folgenden Wortlaut:

    „Liebe Maria, lieber Johann,

    Ihr werdet über mein plötzliches Ableben überrascht, aber nicht traurig sein. Ich habe Euch mein gesamtes Vermögen schon zu Lebzeiten überschrieben. Ihr seid also versorgt. Das Leben ist für mich keine Lust mehr, ich bin für Euch nur noch eine Last. Ich sehe und höre fast nichts mehr. Zeitungen, Bücher, Fernsehen haben für mich keine Bedeutung mehr. Ich kann nur noch laute Radionachrichten und Musik hören und ein wenig schreiben. Ich habe keine Unterhaltungsmöglichkeit mehr, auch nicht mit Euch, die Ihr sicherlich wichtigere Dinge zu erledigen habt. Meine Nachbarin, Frau Sparwasser, mit der ich meinen letzten Kontakt hatte, ist ausgezogen. Deshalb schreibe ich Euch diesen letzten Brief, den ich an mehreren Tagen verfasst habe und den Ihr hoffentlich finden und lesen werdet. Ich kann nur noch unter Schmerzen laufen, im Rollstuhl sitzen oder im Bett liegen. Seit meiner letzten Operation weiß ich, dass mein Darmkrebs und die Metastasen mich langsam auffressen werden. Laut Auskunft meiner Ärzte habe ich nicht mehr lange zu leben und soll jeden Tag als Geschenk betrachten. Doch es sind keine Geschenke, nur noch Last. Ich lebe trotz Morphin unter schlimmsten Schmerzen wie in einem Jammertal, wie in einem Wartesaal des Todes. Ich möchte nicht weiter ohne Hoffnung auf Heilung und Linderung dahindämmern. Ich müsste noch viele Tage auf meinen Tod warten, vor dem ich große Angst habe. Doch nicht nur ich warte auf meinen Tod. Der Hauseigentümer wartet auf meinen Tod oder Auszug, da er das Haus an eine Restaurantkette verpachten will und ich die letzte Wohnungsmieterin bin. Ich bin nicht nur allein, sondern anderen im Wege, einfach überflüssig geworden.

    Vor einiger Zeit lernte ich einen gut aussehenden, sympathischen und freundlichen Sterbeberater kennen, der mir anbot, für 10.000 DM meinen Abschied vom Leben ohne Schmerzen und in Würde zu organisieren. Ich könne den Zeitpunkt meines Todes selbst bestimmen. Er wollte mich dann bis zu meiner Beerdigung begleiten und Euch jegliche Mühen abnehmen. Er war so lieb und erklärte sich bereit, mich in einem Akt der Nächstenliebe von meinen Schmerzen zu erlösen und nach meinem Tode Lily, meinen Wellensittich, zu übernehmen und zu versorgen. Der Mann war verständnisvoll und hilfsbereit. Bei seinen Besuchen trug er Plastikhandschule und Plastikschuhe, um mir in meine Wohnung keinen Schmutz zu bringen. Ich habe von meinem Bankkonto 20.000 DM in vier Raten abgehoben und in meiner Stahlkassette aufbewahrt. Ich zahlte dem netten Sterbehelfer 4.000 DM für 1,5 Gramm Bittermandelpulver, 1.000 DM für seine Sterbehilfebemühungen zu einem schmerzfreien und würdevollen Tod und nochmals 5.000 DM für die Vorbereitung von Todesanzeigen, Trauerkarten und Beerdigung, insgesamt also 10.000 DM. Er wird mir das Gift einflößen und mich nach dem Einschlafen im Bett so aufrichten, wie Ihr Eure Mutter in Erinnerung behalten sollt. Er wird, wie mit mir im Einzelnen besprochen, die Beerdigung vorbereiten, die Texte für Traueranzeigen und Trauerkarten entwerfen und Euch benachrichtigen. Ich hoffe Euch auf diese Weise viel Arbeit abgenommen zu haben. Die restlichen 10.000 DM werdet Ihr in meiner Kassette in meinem Schreibtisch finden. Ihr könnt damit die Grabsteinbeschriftung und meine Beerdigung im Grab neben Papa bezahlen. Ich hoffe, dass ich an alles gedacht habe und Ihr weder mit meinem geplanten Ableben noch mit meiner Wohnungsauflösung große Mühen oder Unkosten haben werdet. Ich habe Euch immer geliebt. Behaltet mich und Papa in guter Erinnerung. Ich wünsche Euch beiden ein schöneres Leben, als ich es hatte, und hoffe, im Himmel Euren Vater bald zu treffen.

    Eure Mutter Agathe"

    In den nächsten Tagen ergab die Analyse des Mageninhaltes der Toten zweifelsfrei den Konsum eines cyanidhaltigen Präparates. Außerdem befanden sich in dem Glas mit Mineralwasser und in dem Pillendöschen Reste von Zyankali.

    Kriminalhauptkommissar Wedekind las den Befund und schrie vor Empörung seinen Kollegen Koch an.

    „Dieser Zyankali-Dealer ist ein gewissenloser Betrüger, ein knallharter, menschenverachtender Geschäftsmann, der unter dem Deckmantel des barmherzigen Samariters Sterbehilfe als schmerzfreies Einschlafen, als würdevolle Erlösung verkauft. Und dann schaut er eiskalt zu, wie das Zyankali den Magen der Lebensunwilligen verätzt, zu höllischen Schmerzen führt und die Todeskandidaten erst nach 15 Minuten mit schlimmsten Erstickungskrämpfen in den Tod schickt." Koch wunderte sich, denn so echauffiert hatte er den Kollegen Wedekind selten erlebt, dessen Worte aber noch deutlicher wurden: „Obwohl die letale Dosis von Kaliumcyanid bei 1 bis 2 mg pro Körpergewicht liegt, hat er der Frau nicht 140 mg, sondern 1,5 Gramm des Giftes verkauft. Dieser Verbrecher hat vermutlich der alten Frau das Gift eingeflößt, sie qualvoll sterben und auf dem Bett verkrampft liegen lassen, um anschließend freie Bahn zu haben. Vermutlich erhielt er 10.000 DM zu Lebzeiten und hat ihr nach dem Tode nochmals 10.000 DM mit der Kassette weggenommen, ohne die versprochenen Leistungen zu erbringen: keine Aufbahrung der Toten, keine Todesanzeige, keine Beerdigungsvorbereitung, keine Benachrichtigung der Angehörigen. Den Wellensittich hat er ebenso verhungern und liegen lassen.

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