"Entscheidet Euch, eh' es zu spät ist!": Das gefährliche Virus des Antisemitismus
Von Hardy Kerp
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Über dieses E-Book
Publikum. Die Ursprünge des auch in unserer aufgeklärten Gesellschaft
anzutreffenden und scheinbar unausrottbaren Wahns reichen bis weit in
die vorchristliche Antike. Das „immerwährende Böse“ wird den Juden danach
in dem frühen christlichen Antijudaismus nachgesagt. Von „Gottesmord“
bis zur Verschwörung des jüdischen Großkapitals zur Erlangung
der Weltherrschaft reichen schließlich die antijüdischen Phantasmen. Was
genau ist es, das diesen Hass entfacht?
Das Buch beleuchtet die Hintergründe in der Geschichte des Antisemitismus
sowie dessen Bedeutung in der Gegenwart. Allein Wissen und die
Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen, befähigen dazu, dem Hass zu
begegnen – denn Hass macht blind für Menschlichkeit und Vernunft.
Deutschland steht in der Pflicht dazu beizutragen, dass das christliche Europa
nicht erneut an der Existenz der Juden in seiner Mitte scheitert.
Der Buchtitel zitiert das 5. Flugblatt der Weißen Rose vom Januar
1943 und nimmt die Wortschöpfung von Josef Schuster (Zentralrat
der Juden) von der „Impfung“ durch Bildung auf, die folgerichtig
gegen das „Virus“ des Antisemitismus einsetzt wird.
Hardy Kerp
Hardy Kerp hat Sozialwissenschaften, Theologie und Pädagogische Psychologie studiert und konzentrierte sich danach auf die Vermittlung von gesellschaftlichkultureller Teilhabe durch Bildung. Später bezog er die langjährige berufsethische Begleitung von Polizeibeamtinnen und -beamten in seine Arbeit unter der Maxime mit ein: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
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Buchvorschau
"Entscheidet Euch, eh' es zu spät ist!" - Hardy Kerp
Literatur
Blick in den Spiegel
Am 8. Oktober 2019, einen Tag vor dem Angriff eines Antisemiten auf die zum Gottesdienst versammelte jüdische Gemeinde in der Synagoge von Halle, waren in Berlin die wichtigsten Strafverfolger Deutschlands versammelt. Der Twitter mit dem Hashtag #unantastbar hatte sie zusammengerufen: Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar." (DER SPIEGEL 42/12.10.2019; S.13)
Mit dem Anschlag am folgenden Tag sollte der Antisemitismus in Deutschland nach 1945 eine neue Eskalationsstufe erreichen. „Juden in Deutschland müssen wieder um ihr Leben fürchten." Ein hochrangiger Verfassungsschützer befürchtet, dass die Sicherheitsbehörden allein an dieser Aufgabe scheitern werden. (ebenda S. 13)
Der extreme Hass ist eine weltweit vernetzte Bewegung, in die scheinbare Einzeltäter über das Internet eingebunden sind. „Es ist dringend notwendig, die Einzelperspektive zu überwinden und die Netzwerke stärker in den Blick zu nehmen." (M. Renner, ebenda S. 16)
Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) sieht unter dem Aspekt der politischen Motivation „die Rechtsextremen als größte Tätergruppe. Aber die Täter sind demnach auch etwa palästinensische Anti-Israel-Aktivisten, antisemitische Boykottgruppen, radikale Linke." (ebenda S. 19)
Bianca Klose, Geschäftsführerin des Vereins für demokratische Kultur in Berlin betont, dass die betreffende Tätergruppe nicht nur bei den Extremisten zu finden ist: Um Antisemitismus zu orten, muss man nicht weit nach rechts schauen. Es reicht ein Blick auf die Mitte der Gesellschaft." (ebenda)
Die Antisemitismusforscherin Schwarz-Friesel ist schockiert angesichts der Beobachtung, „in welchem Ausmaß und mit welcher Wucht sich im Netz der alte Vernichtungswille zeigt. Dabei stellt sie „keine signifikanten Unterschiede zwischen rechtem, linkem oder muslimischem Antisemitismus
fest. „Der israelbezogene Antisemitismus sei inzwischen eine vorherrschende Ausprägungsvariante" (ebenda S. 21 f)
Auf die Frage, wann Kritik an Israel antisemitisch sei, antwortete der Zentralratsvorsitzende der Juden in Deutschland, Josef Schuster, dass sachliche Kritik an der israelischen Regierung ebenso legitim sei wie Kritik an der deutschen Regierung. „Es gibt aber den 3-D-Test: wird Israel dämonisiert, delegitimiert oder werden doppelte Standards angelegt, ist die Grenze zum Antisemitismus überschritten. Dann wird Israel gesagt, aber gemeint sind die Juden." (ebenda 51/14; 2019, S. 49)
Im gleichen Interview sagte Schuster, dass die Kritik am Siedlungsbau in Israel prinzipiell legitim sei, solange dabei keine antisemitischen Vorurteile ins Spiel gebracht werden. Auch Produkte aus den Siedlungen zu boykottieren, stellt Schuster jedem Einzelnen frei, sofern daraus keine Kampagne zum Boykott Gesamtisraels gemacht wird. (ebenda)
In diesem Zusammenhang steht auch, dass die deutsche Bundesregierung eine Rüge des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte zurückgewiesen hat. Sie zielte auf den Beschluss des Bundestags vom Oktober 2019 gegen die antiisraelische BDS-Bewegung (Boykott-Desinvestition-Sanktion). Hierbei ginge es nicht, wie unterstellt, um eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern darum, dass die Bundesregierung „jeden Aufruf zum Boykott Israels entschieden ablehnt und jede Form von Antisemitismus kategorisch verurteilt". (ebenda 11/07.03.2020)
Hierzu passt auch die Feststellung Angela Merkels, dass Israels Sicherheit zur deutschen Staatsraison gehört […] Was nicht bedeutet, dass wir mit allem einverstanden sind, was die israelische Regierung macht. „Allerdings werde sich die Bundesregierung immer zu Wort melden, wenn Israels Existenzrecht infrage gestellt werde." (ebenda)
Was habe ich bisher im Spiegel gesehen? Die Gesellschaft? Mich, als Judenfreund? Ich denke an eine Aussage von Franklin Foers, „wonach Philosemiten Antisemiten sind, die Juden mögen." (D. Lipstadt, S. 63)
Stattdessen bin ich gegen Menschenhass und damit solidarisch gegen Judenhass.
Woher kommt dieser „längste Hass"?
Nach Delphine Horvilleur hätte die Israelfrage nicht diese Brisanz entwickelt, wenn „die Bezeichnung Jude mit all ihren geschichtlichen Konnotationen nichts damit zu tun hätte. (S. 113) Dabei ergibt sich ein seltsames Paradoxon: Nach dem Holocaust zunächst legitime Zufluchtsstätte für die geschundenen Überlebenden wird Israel von vielen „als eine unterdrückerische und kolonisatorische Militärmacht
betrachtet. Damit erscheint ihnen der Zionismus „als System kolonialer Unterdrückung und Unterwerfung der Schwächeren." (ebenda)
Wenn man einräumt, dass der Staat Israel mit seinen politischen Entscheidungen zu diesem Meinungsbild beigetragen hat, dann stellt sich damit im vergleichbaren Fall nirgendwo auf der Welt sogleich die staatliche Existenzfrage. Es geht folglich vielmehr um politische Lösungen und nicht um die Frage nach Sein oder Nichtsein, wie sie von antisemitischen Antizionisten in ihrem Judenhass verfochten wird.
Nach einer Meinungsumfrage der Europäischen Kommission für Menschenrechte von 2003 stellt Israel die Nation dar, die vor dem Iran, dem Irak und Nordkorea „die größte Gefahr für den Weltfrieden darstelle. (ebenda S. 111) Dieses „Umfrageergebnis
kann natürlich nur das wiedergeben, was andere über Israel denken, d. h. das was Israel bei den Befragten auslöst, und nicht was es tatsächlich ist.
Aber wie auch immer, wiederum sind es in den Augen der Kritiker die Juden, die die Welt daran hindern, „eins zu sein und sich zu einer befriedeten Gesamtheit zu fügen […] Damit die Welt in Frieden leben kann, muss sie das von den Juden verkörperte Trennende loswerden." (ebenda)
Davon waren Rom, die christliche Welt und das Dritte Reich überzeugt, und dies ist auch die Überzeugung eines Teils der arabischen Welt. Der Hass auf Israel speist sich somit aus dem uralten Hass gegen die Juden.
Als Rabbinerin versucht Horvilleur anhand der Exegese des Alten Testaments dem Ursprung dieses Hasses auf die Spur zu kommen. Im Buch Ester findet sie