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Antisemitismus in Österreich nach 1945
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Antisemitismus in Österreich nach 1945
eBook460 Seiten5 Stunden

Antisemitismus in Österreich nach 1945

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Über dieses E-Book

"Antisemitismus in Österreich" bildet die Vielgestaltigkeit der heterogenen Antisemitismen in Österreich ab. Die Beiträge widmen sich dem Antisemitismus in religiösen und politischen Milieus, im Kontext erinnerungspolitischer und -pädagogischer Auseinandersetzungen, in unterschiedlichen Medien sowie in staatlich-institutionellen Kontexten.
Die Autorinnen und Autoren schließen eine Publikationslücke: Bisher existiert kein Überblickswerk oder Sammelband über die Facetten des Antisemitismus in Österreich.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum13. Mai 2022
ISBN9783955655426
Antisemitismus in Österreich nach 1945

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    Buchvorschau

    Antisemitismus in Österreich nach 1945 - Verlag Hentrich & Hentrich

    Antisemitismus in Österreich nach 1945

    Christina Hainzl und Marc Grimm

    Antisemitismus ist ein aktuelles Problem. Zuallererst für Jüdinnen und Juden, für die er eine Bedrohung ihrer physischen und psychischen Gesundheit darstellt und denen damit eine Lebensführung verwehrt wird, die von der Bewältigung von Alltagsproblemen geprägt ist. Das wachsende Ausmaß des Antisemitismus hat dazu geführt, dass auch der politische Handlungsdruck mittlerweile groß ist. Zu den politischen Reaktionen auf den Antisemitismus gehört auf europäischer Ebene die verabschiedete Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus und zur Förderung des jüdischen Lebens durch die EU-Kommission, die auf „die Eindämmung von Antisemitismus […], den Schutz jüdischen Lebens und eine Auseinandersetzung mit der Zeit des Holocaust" zielt.¹

    Über das Ausmaß des Antisemitismus in Österreich geben die vorliegenden empirischen Untersuchungen Auskunft. Die zwei von der Parlamentsdirektion 2018 und 2020 beauftragten Antisemitismus-Studien bieten umfassenden Einblick in aktuelle Tendenzen und Entwicklungen. Der Antisemitismus in Österreich ist quantitativ empirisch gut erfasst, gleiches gilt für die Facetten des historischen und aktuellen Antisemitismus. Publikationen jedoch, die den für Österreich spezifischen Antisemitismus konturieren, sind kaum vorhanden.

    Eine von uns mit Kolleginnen des Austrian Democracy Lab durchgeführte Befragung von ÖsterreicherInnen im Rahmen des Demokratieradars zeigt, wie notwendig eine eingehende Beschäftigung mit dem Thema ist: Die Aussage „Österreich war das erste Opfer des Nationalsozialismus" wird von Personen mit höherer Bildung entweder völlig (33 %) oder überwiegend (18 %) abgelehnt. Menschen mit geringerem Bildungslevel hingegen lehnen dies nur zu 15 % völlig bzw. zu 11 % überwiegend ab.

    n=4.574, max. Schwankungsbreite +/-1,4, Feldarbeit 15.03.2021 bis 11.05.2021

    Quelle: Perlot, Flooh/Grimm, Marc/Hainzl, Christina/Ingruber, Daniela/Juen, Isabella/Nutz, Viktoria/Oberluggauer, Patricia (2021). Demokratieradar, Welle 7 – Autoritarismus und Corona. Datensatz. Version 1.0. Krems/Graz.

    In Abbildung 2 zeigt sich, dass die Aussage „Die Diskussion über den Holocaust sollte beendet werden" über alle Altersgruppen hinweg eher oder völlig abgelehnt wird. Demgegenüber findet die Aussage aber auch Zustimmung, insbesondere in der Gruppe der über 60-Jährigen, bei der sowohl die größte Zustimmung als auch die größte Ablehnung aller Altersgruppen ausgemacht werden kann.

    Hauptanliegen des vorliegenden Sammelbandes ist es, zentrale Erscheinungsformen des Antisemitismus nach 1945 abzubilden und der Diskussion Raum zu geben. Ausgangspunkt bildet dabei ein Interviewprojekt von Christina Hainzl zum Thema „Jüdisches Leben in Österreich". Ziel dieses Projekts war eine Bestandsaufnahme zur Wahrnehmung des Antisemitismus durch Jüdinnen und Juden in Österreich.

    Besteht in der Forschung heute weitgehend Konsens, dass Antisemitismus ein variables Phänomen ist, das mit unterschiedlichen politischen und religiösen Anschauungen kompatibel ist, werden in „Antisemitismus in Österreich nach 1945" neben politischen und religiösen ebenfalls verschiedene mediale und kulturelle Facetten untersucht. Die AutorInnen des Sammelbandes nähern sich dem Thema aus unterschiedlichen Theorietraditionen und Perspektiven und zeichnen ein vielgestaltiges Bild des zeitgenössischen Antisemitismus in Österreich. Es ist uns ein Anliegen, persönliche Erfahrungen, Wahrnehmungen sowie Forschungsergebnisse und Einschätzungen der AutorInnen nebeneinanderzustellen, weil diese erst die unterschiedlichen Facetten zu fassen und in der Gesamtschau der Vielgestaltigkeit des Antisemitismus einzufangen vermögen.

    n=4.574, max. Schwankungsbreite +/-1,4, Feldarbeit 15.03.2021 bis 11.05.2021

    Quelle: Perlot, Flooh/Grimm, Marc/Hainzl, Christina/Ingruber, Daniela/Juen, Isabella/Nutz, Viktoria/Oberluggauer, Patricia (2021). Demokratieradar, Welle 7 – Autoritarismus und Corona. Datensatz. Version 1.0. Krems/Graz.

    Christina Hainzl und Marc Grimm, Wien März 2022

    1https://bundeskanzleramt.gv.at/themen/europa-aktuell/eu-kommission-legt-strategie-zur-bekaempfung-von-antisemitismus-und-zur-foerderung-des-juedischenlebens-vor.html [18.11.2021].

    Jüdischsein ist keine Selbstverständlichkeit

    Christina Hainzl

    Einleitung

    Antisemitismus und jüdisches Leben sind in Europa und Österreich nicht zuletzt durch zahlreiche Angriffe auf jüdische Einrichtungen und Personen präsente Themen. In den letzten Jahren sind insbesondere zu Antisemitismus zahlreiche Studien erschienen, aber auch viele Berichte zu jüdischer Kultur in Europa. Studien zu Antisemitismus befragen zumeist die Gesamtbevölkerung, also jüdische wie nichtjüdische Personen. Die vorliegende Interviewstudie basiert auf der Überlegung, mit jüdischen Personen zu sprechen, um ihre Erfahrungen, Sichtweisen und Einschätzungen im aktuellen Kontext kennen zu lernen.

    Ziel ist eine Bestandsaufnahme: Welche Themen bewegen? Wie bewerten jüdische Personen das alltägliche Leben, aber auch Erfahrungen mit Antisemitismus? Für diesen Beitrag wurden aus den Interviews vor allem jene Aspekte entnommen, welche sich mit den Erfahrungen von Antisemitismus beschäftigen. Gleichzeitig geht es dabei auch sehr oft um Fragen der Identität, um biographische Faktoren und Erlebnisse.

    An dieser Stelle möchte ich jenen danken, die sich die Zeit genommen haben, mit mir zu sprechen. Es waren fast immer sehr lange und offene Gespräche. Diese wurden in ganz Österreich geführt, die meisten jedoch in Wien, da hier die überwiegende Mehrheit der jüdischen Personen in Österreich lebt.

    Die interviewten Personen haben sehr unterschiedliche Hintergründe. Einige kommen aus Israel, andere aus europäischen bzw. osteuropäischen Ländern; die Anzahl der interviewten Frauen sowie älteren Personen unter den Befragten ist etwas höher. Der Bezug zur Religion und jüdischen Kultur variiert deutlich. Mit allen Personen wurde Anonymität vereinbart, daher wird auch in Folge auf die Angabe soziodemographischer sowie biographischer Daten verzichtet (und in der Folge immer mittels der Bezeichnung „InterviewpartnerIn" (IP) anonymisiert).

    Methode

    Im Zeitraum von Dezember 2018 bis März 2020 wurden über 30 Interviews mit jüdischen Personen in Österreich zum Thema „Jüdisches Leben in Österreich" geführt. Einige davon waren Hintergrundgespräche, deren Input in die Auswertung miteingeflossen ist, 22 davon wurden aufgezeichnet, transkribiert und mittels sequentieller Codierung analysiert. Die Interviews selbst wurden offen zum Thema gestaltet; meist begannen diese mit autobiographischer Erzählung und thematisierten dann verschiedene Facetten und Erfahrungen.

    Nachstehend sind nun ausgewählte Aspekte dargestellt, die sich durch die Auswertung ergeben:

    Gemeindeleben in Wien und den Bundesländern

    Die Zahlen, wie viele Jüdinnen und Juden heute in Österreich leben, variieren. Generell geht man davon aus, dass es etwa 15 000 Personen sind. Etwa 8000 davon sind Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde. Die Interviews wurden sowohl mit religiösen als auch mit nichtreligiösen Jüdinnen und Juden geführt. Auffallend ist dabei, dass in Wien das Leben in der jüdischen Gemeinde als florierend wahrgenommen wird. Viele InterviewpartnerInnen betonen, dass sie sich in Wien im Großen und Ganzen sicher fühlen und dass sie das vielfältige jüdische Leben mit all seinen Veranstaltungen und Möglichkeiten zum Einkaufen koscherer Lebensmittel in Wien schätzen:

    „Wenn man das Leben heute betrachtet, es ist eine unglaublich lebendige, spürbare Gemeinde die so stark vertreten ist in jedem Bereich … von der Kultur, der Tradition, der Religion. Es ist alles so sichtbar, es ist präsent, es wird wahrgenommen, es wird geschätzt, das war alles nicht der Fall." (IP 16)

    IP 11 berichtet:

    „Es sind alle überrascht, welch tolle Einrichtungen wir hier haben. Es wurden Einrichtungen geschaffen, die wirklich einzigartig sind hier in Europa … und wir haben schon ein florierendes Gemeindeleben und es ist auch bekannt, dass etwa Mitglieder der Gemeinde von München oder von Frankfurt zu den Feiertagen nach Wien kommen und hier koscheres Essen kaufen, weil die Qualität und der Preis hier sensationell ist im deutschsprachigen Raum."

    In den Bundesländern existieren nur relativ kleine Gemeinden; hierzu wird von den GesprächspartnerInnen oft darauf hingewiesen, dass es jüdisches Leben nur eingeschränkt oder je nach Bundesland kaum gibt. IP 4 etwa meint: „Wie ich es wahrnehme, sieht man auch im Zustand der Gemeinde selber. Es gibt sie eigentlich gar nicht."

    Die hebräische Sprache wird verstärkt gesprochen und schafft nicht nur eine Verbindung für Jüdinnen und Juden aus verschiedenen Ländern, sondern nimmt auch eine symbolische Funktion ein. „Hebräisch ist, innerhalb der Gemeinde, auch von den jungen Leuten so eine Art Lingua franca geworden, auch unter Jugendlichen und das hat noch einmal etwa Verbindendes, kulturell Verbindendes" (IP 10).

    Umgang mit der Shoah

    Problematisch wird vielfach der Umgang mit der Shoah wahrgenommen. Viele berichten, dass ihre Eltern und Familien früher dazu geschwiegen hätten. Die zweite und dritte Generation hingegen beschäftigt sich damit intensiver und „seit den 80er, Anfang der 90er Jahre ist ganz viel aufgebrochen, so IP 16. „Es war dieses Schweigen, am besten nichts mit irgendetwas zu tun zu haben, auf jeder Seite, und ja nur nicht über die Vergangenheit reden. Das war so etwas von präsent.

    Einige empfinden auch Angst, wenn sie sich mit der Shoah beschäftigen: „Ich muss auch sagen, dass mit dieser Beschäftigung mit der Geschichte eigentlich meine Angst und meine Unsicherheit definitiv mehr geworden sind. Und mich das schon immer wieder sehr beunruhigt." (IP 2)

    Einige Personen weisen auch darauf hin, dass es an Wissen über die Shoah, aber auch über die Geschichte nach 1945 fehlt.

    IP 16 berichtet aus dem Arbeitsalltag: „Es fehlt sehr viel an Wissen und zwar die jüngere österreichische Geschichte wird ausgeblendet. Waldheim, Kreisky, Vranitzky, Wiesenthal … Namen, die nicht bekannt sind. Und, das würde man nicht glauben, auch auf höheren Schulen. IP 4 formuliert es so: „Viele Menschen haben keine Vorstellung, was jüdisches Leben bedeutet. Sie haben Filme gesehen, wo Menschen im Konzentrationslager sterben, aber in Wahrheit ist es ja nicht jüdisches Leben, das ist jüdisches Sterben.

    Vorurteile

    Auch von Stereotypen berichten einige Interviewte. IP 11 erzählt: „Wir haben verhandelt und dann hat ein Geschäftspartner gesagt: ‚Das ist ja fast jüdisches Verhandeln, was du da machst.‘ Und ich habe gesagt: Naja, ich bin halt Jude. Und er meinte dann: ‚Das habe ich nicht gewusst … aha … aber so viel Geld wie die Juden hast du nicht?‘ … Der Stammtisch-Antisemitismus, den gibt es. IP 22 meint: „Ich denke, etwa 15 % haben tiefe Vorurteile. Dieses Festmachen von Geldgier und Reichtum und was auch immer, das sitzt tief drinnen, in dem was sie von den Eltern, von den Großeltern, in der Schule gelernt haben … das sitzt tief. Andere wiederum sehen aber auch Veränderungen: „Wo viele Dinge früher einfach so hingenommen wurden, habe ich heute das Gefühl, das geht nicht." (IP 16)

    Heimat Österreich?

    Auf die Frage, ob Österreich als Heimat empfunden wird, sind die Antworten zwiespältig. IP 15 hält fest: „Kulturell bin ich hier, aber emotional … ich glaube, es ist schwer, sich in Österreich als JüdIn zu Hause zu fühlen. Einige GesprächspartnerInnen teilen mit, dass sie auf Unverständnis gestoßen seien, als sie nach Österreich gezogen oder zurückgekommen sind. IP 18 berichtet, aufgrund einer Heirat nach Österreich gekommen zu sein, und erinnert sich an die Frage einer/eines FreundIn: „Wie kannst du auf Deutsch lieben? IP 15 drückt es so aus: „Wir sind irgendwie Luft-Menschen, aber wenn man sich damit abfindet, dann kann man so leben. Sich als Österreicher zu fühlen, zu leben, geht."

    In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, dass zahlreiche Interviewte Erfahrungen mit Othering (Stuart Hall) gemacht haben: „Man hat immer gewusst, man ist anders, man gehört eigentlich nicht dazu zu dieser Gesellschaft (IP 21). IP 1 berichtet von Erfahrungen mit Philosemitismus: „In dem Moment, wo Lehrer wussten über meinen Background, habe ich eher eine positive Diskriminierung erlebt.

    Erfahrungen mit Antisemitismus sind vielfältig

    Die Wahrnehmung von Antisemitismus zeigt sich sehr unterschiedlich. Einige InterviewpartnerInnen sagen, sie selbst hätten Antisemitismus nie persönlich erlebt: „Wenn Sie mich als Person fragen, habe ich nicht viel Antisemitisches erlebt (IP 6). IP 15 aus Israel etwa meint: „Wir haben, seitdem wir hier leben, nie irgendeinen persönlichen Antisemitismus gespürt. Gleichzeitig vermutet IP 20, wenn man in Wien mit Davidstern und Kippa gehen würde, „hätte ich doch eine andere Auffassung von Antisemitismus".

    Von ähnlichen Eindrücken berichtet auch IP 1: „Meine Mutter hat mir, als ich klein war, eine kleine Kette mit einem Davidstern gegeben. Sie hat mir immer gesagt, dass ich das unter dem Gewand tragen muss, dass ich das nicht nach außen tragen darf. Das macht natürlich etwas mit einem."

    Vermeidungsverhalten

    Wenngleich einige InterviewpartnerInnen erzählen, bisher persönlich nicht von Antisemitismus betroffen gewesen zu sein, so berichten alle von Erfahrungen von Bekannten. Deutlich wird in den Gesprächen eine Angst vor Ausgrenzung, vor Antisemitismus. Dies führt zu einem Vermeidungsverhalten. IP 15 etwa erzählt: „Ich kann mich erinnern, als ich klein war, sind wir nach Israel gefahren. Und wie wir zurückgekommen sind, hat in der Schule jeder erzählen sollen, wo wir in Urlaub waren und ich habe nur gesagt, wir waren im Ausland. IP 16 sagt, dass „manche sich gar nicht trauen zu sagen, dass sie jüdisch sind. IP 22 erwähnt, dass ihr Sohn meinte, er würde heute in Wien nicht mehr mit einer Kippa in der U6 fahren.

    In den Gesprächen wird klar, dass das Tragen von religiösen Symbolen häufig vermieden wird, um nicht erkannt zu werden. Einige Interviewte berichten von vor allem verbalen Übergriffen, die zumeist passieren würden, wenn jemand als jüdisch erkennbar sei.

    „Wenn ich überlege, was ich alleine in einem Jahr im Schnitt zu hören bekomme … selbst wenn ich mit einer Sportkappe herumgehe und nicht mit einem Hut. Und ich habe eine gute Ahnung davon, wie es ist, wenn man tagtäglich erkennbar als JüdIn auf der Straße geht." (IP 10)

    Häufig wird überhaupt vermieden, darüber zu sprechen: „Ich war unlängst bei einem Abendessen mit mehreren Personen und es hat sich dann jeder geoutet, dass es jüdische Vorfahren gibt. Das war eine unglaubliche Entwicklung." (IP 16)

    Der Nahostkonflikt als Projektionsfläche

    Der Nahostkonflikt evoziert häufig antisemitische Aussagen. Die interviewten Personen etwa berichten, dass sie als in Österreich lebende Juden und Jüdinnen mit Anschuldigungen und Aussagen zum Nahostkonflikt konfrontiert würden. „Ich habe eine Kollegin, mit der habe ich eine spannende Beziehung. Sie ist, je nachdem was in Gaza passiert, zugänglich oder nicht zugänglich (IP 18). IP 9 erzählt: „Ich höre Sachen‚ was ihr mit den Palästinensern macht‘. Was heißt hier wir? Ich bin kein Israeli, ich wohne in Wien. Viele berichten, dass sie sich Israel verbunden fühlen, unabhängig davon, ob sie dort gelebt haben oder nicht (IP 18, 10, 11, 15, 3), räumen aber ein, „dass man Israel kritisieren darf, nicht jede Kritik ist Antisemitismus" (IP 15). Problematisch hingegen ist die Projektion des Nahostkonflikts auf in Österreich lebende Personen.

    Angst vor muslimischem Antisemitismus

    Häufig tritt auch die Angst vor muslimischen Antisemitismus deutlich zutage:

    „Es kommen natürlich gerade die Leute aus dem Nahen Osten mit dieser Idee Jude = Israel = Feind." (IP 16)

    „Ich glaube, es ist wirklich mehr Antisemitismus in der muslimischen Welt in Wien, als in der nicht- muslimischen." (IP 22)

    IP 10 sieht den muslimischen Antisemitismus hingegen überproportional betont: „Wenn man heute laut sagt, der muslimische Antisemitismus ist so schlimm, bekommt man sofort Gehör, das heißt aber nicht, dass der klassische rechte Antisemitismus nicht da wäre, aber es manifestiert sich anders."

    IP 19 merkt dazu an: „Der rechte Antisemitismus kommt meistens versteckt. Auf muslimischer Seite habe ich die Erfahrung gemacht, dass mit Antisemitismus mit pädagogischen Mitteln am leichtesten zu verfahren ist, wenn man Begegnungen ermöglicht."

    Auch soziale Medien spielen bei Anfeindung und Ausgrenzung eine wesentliche Rolle:

    „Ich glaube durch soziale Medien sind Leute mehr bereit, das, was früher nicht so offen gesagt worden ist, zu sagen. Und ich glaube in diesem Spannungsfeld bewegen wir uns im Moment. Ich halte den Anti-Islamismus eigentlich heute für gefährlicher als antisemitische Tendenzen, auch weil die Zahlen ganz andere sind und die jüdische Gemeinde integriert ist bis zu einem gewissen Grad … und nicht diese Art der Diskriminierung erfährt." (IP 1)

    Zusammenfassung

    Der qualitative methodische Zugang ermöglichte einen Einblick in jene Erfahrungen und Themen, die jüdische Personen in Österreich in den letzten Jahren bewegen. Das sind zum einen Themen wie etwa der Nahostkonflikt und dessen Projektion auf Juden und Jüdinnen in der Diaspora, zum anderen die Wahrnehmung verschiedener Formen von Antisemitismus oder die Begegnung mit Vorurteilen. Die Interviews zeigen eine sehr vielfältige Sichtweise, weswegen auch der Weg gewählt wurde, die Aussagen für sich selbst sprechen zu lassen.

    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Jüdischsein nach wie vor keine Selbstverständlichkeit darstellt. Dies zeigt sich deutlich im Vermeidungsverhalten und an den zahlreichen Übergriffen, von denen viele nicht gemeldet werden.

    Es verändert sich aber auch etwas: Gerade junge GesprächspartnerInnen berichten davon, dass Stereotype bei jüngeren Generationen ihre Aussagekraft verlieren; die jüdische Kultur und das jüdische Leben haben in den letzten Jahren, insbesondere in Wien, einen enormen Auftrieb erhalten.

    Quellen:

    Hainzl, Christina: Studie Jüdisches Leben in Österreich. Interviews 2018–2020, Donau-Universität Krems.

    Der demokratisch legitimierte legislative Antisemitismus der Zweiten Republik und sein Einfluss auf die Entnazifizierungs- und Restitutionspolitik

    Barbara Serloth

    Nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht und der Beendigung des Zweiten Weltkrieges war die österreichische politische Elite der Ersten Republik sehr rasch in der Lage, die grundsätzlichen Gründungsakte zu setzen. Mit der Provisorischen Staatsregierung rund um Karl Renner (SPÖ) wurde Ende April / Anfang Mai 1945 eine gewisse Normalität in die Tage des Chaos und Umbruchs gebracht. Dies geschah, obwohl die von sich selbst eingesetzte Regierung weder von den westlichen Bundesländern noch von den Westalliierten anerkannt worden war.

    Überraschend schnell gelang es, nicht nur Regierungsstrukturen zu schaffen, sondern auch Narrative von Österreich, Nazideutschland und der österreichischen Unschuld hinsichtlich des radikalen Vernichtungs- und Vertreibungsantisemitismus zu platzieren. Die zentrale Positionierung war: Österreich wurde am 12. März 1938 von Nazideutschland okkupiert, die politische Elite von den neuen Machthabern verfolgt und die Bevölkerung unterworfen. In den offiziellen Darstellungen während der langen Nachkriegszeit¹ wurde Österreich ausschließlich in dieser Opferrolle beschrieben, womit nicht nur die Unschulds-, sondern auch die Unzuständigkeitsthese in Bezug auf die NS-Untaten und Reparations- und Restitutionsforderungen einhergingen.

    Diese Narrative sind als eine umfassende Verharmlosung der Geschichte zu verstehen. Sie wurden allerdings nicht nur aus dem Bestreben kreiert, sich in eine möglichst günstige Verhandlungsposition zu manövrieren und damit die zu erwartenden Reparationsforderungen zu minimieren. Sie bauten vielmehr auf Tendenzen in der Selbstwahrnehmung der Mehrheitsbevölkerung auf. Letztlich ging es um den Versuch, den Beitrag der Österreicher:innen am Nationalsozialismus und der Shoah so weit wie möglich zu beschönigen.

    Die politische Elite vertrat demnach Narrative, die eine grobe Verharmlosung des Geschehenen und an diese Politik angepasste Opfer-Täter-Verzerrung tradierten. Auf der nationalstaatlichen Ebene ergab sich daraus die Möglichkeit des demokratischen Kontinuitätsnarrativs, mit dem suggeriert wurde, dass Österreich seit dem Niedergang der Habsburgermonarchie demokratisch ausgerichtet gewesen sei und nur durch die NS-Okkupation eine Unterbrechung erfahren müsse. Damit wurde eine bequeme, dem Opfernarrativ entsprechende Kette an Erklärungen, Argumentationen und letztlich Normen, wie z. B. den Amnestiegesetzen, legitimierbar.

    Die sogenannten Gründerväter entschieden sich nach dem Sieg der Alliierten über das NS-Terrorregime und der Befreiung des Landes nicht für einen Neuanfang, der die Möglichkeit für einen politischen, moralischen, und juristischen Dialog geboten hätte: über Schuld und Sühne, über die Aufarbeitung der Entmenschlichung, über die Arisierungen sowie die mit Raffgier gepaarte zivilgesellschaftliche Gewaltausübung und über den radikalen Solidaritätsentzug. Sie entschieden sich nicht dazu, die Opfer des Nationalsozialismus und der eigenen enthemmten Zivilbevölkerung zur Rückkehr einzuladen, sie an einem Dialog auf allen Ebenen teilnehmen zu lassen oder ihnen auch nur den Lebensabend in ihrer alten Heimat zu ermöglichen, wie dies z. B. Adolf Sturmthal, der Mitarbeiter von Friedrich Adler, in einem Interview im Jahre 1985 erläuterte.² Vielmehr entschieden sie sich für das Opfer- und Kontinuitätsnarrativ. Damit kausal verbunden war allerdings zwangsweise, dass Antisemitismus zwar tabuisiert wurde, aber weiterhin Teil des österreichischen Selbstverständnisses sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene blieb. Mit der Tabuisierung wollte man, wie Hilde Weiss betonte, „beinahe erzwingen, dass der Antisemitismus damit am raschesten von selbst verschwinden" würde.³

    Restitutionspolitik und die Selbstverständlichkeit antisemitischer Diskriminierung

    Ziel dieser kurzen Aufarbeitung ist es, die Voraussetzungen des Rückzugs der österreichischen politischen Elite auf das Opfer- und Kontinuitätsnarrativ und Konsequenzen für das Normsystem der langen Nachkriegszeit vor allem in Bezug auf die Entnazifizierungs- und Restitutionspolitik skizzenhaft aufzuzeigen. Anzumerken ist, dass beide Normenfelder, vom individuellen Zugang aus betrachtet, als einander ergänzende Themen aufzufassen und damit zu jenen Normbereichen zu zählen sind, welche die zentrale Nebensächlichkeit der demokratischen Normsetzung offenbaren: die persönliche Wertehaltung der Abgeordneten.

    Normen werden oft in ihrem gesellschaftlichen oder juristischen Kontext beleuchtet, ohne dass die wesentliche Frage gestellt wird: Warum wurde die Causa normativ so gelöst, wie sie gelöst wurde? Um meinen Zugang nachvollziehbar zu gestalten, ist Folgendes festzuhalten: Ich gehe davon aus, dass Demokratie ein politisches System der Selbstregierung jener Gruppe der Bürger:innen ist, die sich als Gleiche anerkennen. Dieser Status ist historisch gesehen flexibel. Er kann erworben werden (siehe Emanzipationsbewegungen), aber er kann auch eingeschränkt werden; systemimmanent ist er demnach von Vorurteilen und Diskriminierungsbereitschaft geprägt. Von zentraler Bedeutung ist – dies hat der Vernichtungsantisemitismus des NS-Regimes gezeigt –, dass erworbene Rechte und Gleichstellungen wieder rückgängig gemacht werden können. Wenn dies der Fall ist, müssen sie verstanden werden als niemals selbstverständlich akzeptierte, d. h. zeitgeistbezogen nur als auf das eigentliche System aufgesetzte.

    Im Weiteren gehe ich daher davon aus, dass Juden und Jüdinnen aufgrund des latenten wie auch manifesten massiven Antisemitismus in der Nachkriegszeit nicht als gleichberechtigte Subjekte im politischen Entscheidungsraum wahrgenommen wurden. Dies zeigte sich in den Rechtfertigungen der Zurückweisung, wie z. B. den Verharmlosungsgeschichten, in denen die Flucht aus dem NS-Staat zur Emigration bagatellisiert wurde.⁴ Antisemitische Bilder von Juden als vaterlandslosen Gesellen, die sich nur um ihr eigenes Wohlergehen kümmern, wurden hiermit bedient und im Sinne der Politik der Nachkriegsjahre tradiert.

    Mit der Weigerung, Juden und Jüdinnen als gleichberechtigte und selbstverständliche Teilnehmer:innen am politischen Diskurs anzuerkennen, wurde nicht nur das Opfernarrativ vor den Erinnerungen der Opfer abgeschirmt, sondern jedwede Restitutionsforderung vonseiten der Juden und Jüdinnen abgeschmettert. Eine Überzeugung, die in der Rede des Abgeordneten Ernst Kolb (ÖVP) im Nationalrat in folgendem Ausspruch gipfelte: „Österreich hat aber nichts gutzumachen, weil es nichts verbrochen hat."

    Bemerkenswert ist, dass die Verweigerungsnarrative nicht nur vonseiten der (ehemaligen) Nationalsozialist:innen, die im Nachkriegsösterreich kurz Ehemalige genannt wurden, oder Ariseur:innen in den politischen Diskurs getragen wurden, sondern eine Mehrheitsmeinung darstellten, die auch eine breite Zustimmung bei den Mitgliedern der politischen Elite fanden. Hier müssen wir die Fragen nach dem Bild der Juden und Jüdinnen stellen, das in der Öffentlichkeit gezeichnet wurde und für den öffentlichen Diskurs bestimmend war, und welche Motive dafür verantwortlich waren.

    Lars Rensmann führt aus, dass der modernisierte Antisemitismus nach dem Holocaust auf „antisemitische Denk- und Ausdrucksformen verweist, die auf die veränderten demokratischen Ansprüche in der politischen Kultur nach dem Holocaust mit ideologischen Codierungen und Modifikationen reagieren".⁶ Diese demokratischen Ansprüche sind in der österreichischen politischen Kultur in der langen Nachkriegszeit kaum bis marginal ausgeprägt. Es lässt sich eher von einer Akzeptanz der Ansprüche der Alliierten in der Zeit der beobachteten Demokratie Österreichs, die bis zur Erlangung der Souveränität dauerte, als von einer merkbaren Veranderung der Einstellung sprechen. Dies wird sowohl in den Entnazifizierungs- als auch in den Restitutionsdiskursen deutlich. Die österreichische politische Elite tabuisierte Antisemitismus zu ihren Gunsten, indem sie die Gleichheitsforderungen, die ohne Differenzierung angewandt wurden, zu einer harten Diskriminierungsfortsetzung der Juden und Jüdinnen umwandelte.

    Als bemerkenswert müssen die kaum verschleierte Vorurteilshaltung und Diskriminierungsbereitschaft der politischen Elite gegenüber Juden und Jüdinnen bezeichnet werden, die sich in einem demokratisch legitimierten legislativen Antisemitismus manifestierte. Nachweisbar ist er in den politischen Diskursen innerhalb der normativen Willensbildungs- und Normsetzungsphase ebenso wie in den Normen selbst. In diesem Sinne schlage ich vor, den demokratisch legislativen Antisemitismus als Variante des Judenhasses und der Diskriminierungsbereitschaft gegenüber Juden und Jüdinnen zu verstehen, der in und durch entsprechende Normen verankert wird und als dessen Proponenten vor allem die Mitglieder der politischen Elite anzusehen sind. Durch die Normen, die Juden und Jüdinnen diskriminieren, wird eine nachhaltige Schwächung der Einfluss- und Durchsetzungsmöglichkeiten der Interessen von Juden und Jüdinnen bewirkt. Der demokratische und rechtsstaatliche Gleichheitsgrundsatz wird damit innerhalb des demokratischen Systems ausgehebelt. Die Nachhaltigkeit dieser vom nationalsozialistischen Vernichtungsantisemitismus initiierten und im nachnazistischen demokratischen System zwar angepassten, jedoch weitergeführten Diskriminierung zeigt sich bis heute in der Kunstrestitution. Obwohl betont werden muss, dass es seit den frühen 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts Fortschritte gab, sind noch immer diskriminierende Entrechtungsnormen und Entscheidungssysteme vorhanden.

    Entnazifizierung – Nazifreundlichkeit als politisches Selbstverständnis der Nachkriegszeit

    Die Empathie der politischen Eliten gegenüber den Ehemaligen und ihr frühes Werben um diese Wähler:innengruppe muss als stimmiges Äquivalent zum Opfernarrativ verstanden werden. Die rein formale Entnazifizierung diente gleichzeitig der Untermauerung des Opfernarrativs und stand im Einklang mit der Verweigerungshaltung gegenüber Juden und Jüdinnen. Gefragt werden muss: Welcher politische Wille lag dem Handeln der politischen Elite (parteiübergreifend) zugrunde und welche Vorurteile (positive wie negative) können sichtbar gemacht werden?

    Die Stenographischen Protokolle der Provisorischen Regierung lassen erkennen, dass diese ein hartes und klares Vorgehen gegenüber Mitgliedern der NSDAP und ihrer Vorfeldorganisationen beabsichtigte und entsprechende Normen gesetzt werden sollten. Eindeutige Entnazifizierungsbestrebungen signalisierten auch die Urteile der Volksgerichtshöfe, die engagiert arbeiteten und bis ins Jahr 1946 nicht wenige harte Urteile fällten.⁷ Dem anfänglichen Eintreten für eine entschiedene Politik gegen die NS-Anhänger:innen standen jedoch rasch politisch höhere Ziele entgegen. Im außenpolitischen Bereich waren dies vor allem Bestrebungen, die staatliche Souveränität und damit den Staatsvertrag zu erreichen. Damit war wiederum die Absicherung des Opfermythos verbunden. Innenpolitisch fokussierten sich die politischen Parteien vor allem auf wahl- und machttaktische Überlegungen. Dies hatte u. a. zur Folge, dass für die einzelnen politischen Parteien im Bereich der Entnazifizierungs- und Restitutionspolitik die Rekrutierung der Ehemaligen zum Maß aller Dinge wurde.

    Als Markstein für die Einstellung der politischen Elite gegenüber den Nationalsozialisten und der NS-Vergangenheit eines Teils der Zivilbevölkerung kann das „Verbotsgesetz 1945", das den Umgang mit NS-Parteimitgliedern regelte, angesehen werden. Mit ihm wurde das Verbot der nationalsozialistischen Politikarchitektur für die Nach-NS-Zeit verankert, die sogenannten Illegalen definiert und die Registrierungspflicht für Nationalsozialisten geregelt. Mit § 27 wurde jedoch auch die Möglichkeit des Ansuchens auf Befreiung von der Registrierungsverpflichtung eröffnet.⁸ Als Umgehungskonstrukt gegen eine ehrliche Entnazifizierung fand der rechtschaffene Nazi Eingang in die österreichische Normsetzung und politischen Narrative. Aufgrund der genannten Bestimmung konnten Personen, die trotz ihrer „Zugehörigkeit zur NSDAP oder einem ihrer Wehrverbände [SS, SA, NSKK, NSFK] diese „niemals mißbraucht hatten und durch deren „Verhalten noch vor der Befreiung Österreichs auf eine positive Einstellung zur unabhängigen Republik Österreich mit Sicherheit"⁹ zu schließen war, von der Registrierungspflicht ausgenommen werden. Entscheidungsgremium für diese Befreiung war die Provisorische Staatsregierung. Allen Opfern des Nationalsozialismus musste die Ausrichtung des politischen Willens mit diesem Schritt endgültig klar gewesen sein.

    Um das politische Gewicht der damit verbundenen Verharmlosungsbereitschaft zu verdeutlichen, sollte daran erinnert werden, dass ehemalige KZ-Häftlinge Teil der Provisorischen Staatsregierung waren und dass vor allem Leopold Figl (ÖVP) schwerste Misshandlungen erdulden musste. Diese Ambivalenz der Empathie ehemaliger NS-Opfer mit NS-Tätern, die eine solche begünstigende Gesetzgebung begründete, gilt auch für die Mitglieder des Nationalrates.

    Auch wenn darauf verwiesen werden kann, dass durch die Einsetzung der Provisorischen Staatsregierung als Entscheidungsgremium mit einer eher geringen Anzahl an Ausnahmeanträgen gerechnet wurde, ändert dies nichts an der Weichenstellung für eine täter:innenfreundliche Entnazifizierung sowie der Signalwirkung an die entsprechende Bevölkerungsgruppe, die mit diesem Paragrafen erfolgte. Noch umfangreicher wurde die Bereitschaft der politischen Elite, den Ehemaligen entgegenzukommen, mit der kurz als „NS-Registrierungsverordnung"¹⁰ bezeichneten Durchführungsverordnung der Registrierung, die am 11. Juni 1945 erlassen wurde, dokumentiert. Auf den ersten Blick erscheint die Einbeziehung der Länderebene als Vorentscheidungsgremium bei den Ausnahmebewilligungen als logische Konsequenz der föderalen Strukturen. De facto wurden damit aber auch die Interventionsmöglichkeiten für die „eigenen Leute" (und jene, die es werden sollten) ausgeweitet.

    Relevanz für die Bewertung der Flexibilität der politischen Elite in ihrer Entnazifizierungsstrategie hat der Umstand, dass Karl Renner nur zwei Wochen nach der Installierung der

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