Gotteszweifel: Nachdenkliches für gläubige Ketzer
Von Josef Imbach
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Über dieses E-Book
Josef Imbach
Josef Imbach, Dr. theol., Jahrgang 1945, ist Publizist, Autor zahlreicher theologischer Bücher und unterrichtet an der Seniorenuniversität Luzern. Von 1975 bis 2002 war er Ordinarius für Fundamentaltheologie und Grenzfragen zwischen Literatur und Theologie an der Päpstlichen Theologischen Fakultät San Bonaventura in Rom und von 2005 bis 2010 Lehrbeauftragter für Katholische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Basel.
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Buchvorschau
Gotteszweifel - Josef Imbach
ÖKUMENE – EINMAL ANDERS
Zwei Brüder, die im Protestantismus erzogen und darin groß geworden waren, lebten lange in derselben Stadt in Norddeutschland. Als es den älteren später aus beruflichen Gründen in einen kleinen Ort in Bayern verschlug, fand er dort weder einen lutherischen Pastor noch eine lutherische Kirche vor. Also dachte er bei sich, der Herrgott wird mir’s nicht als Verbrechen anrechnen, wenn ich bei den Katholiken zu ihm bete. Nur dass es nicht beim bloßen Beten blieb. Der Anblick der vielen Heiligenstatuen, der betörende Duft der Weihrauchwolken, das bayrische Bier und noch ein paar andere katholische Besonderheiten bewogen ihn am Ende, zum papistischen Glauben hinüberzuwechseln. Zwei Monate nach dem Übertritt schrieb er seinem Bruder einen Brief: »Ich ertrag’s einfach nicht, dass wir nicht den gleichen Glauben haben und deswegen nicht in den nämlichen Himmel kommen sollen. Kannst du mich wieder lutherisch machen, so versuch’s, kann ich dich katholisch machen – umso besser.« Dann beschied er den Bruder ins Weiße Bräuhaus nach München, wohin er geschäftehalber reisen musste. »Dort wollen wir’s ausmachen.« In den ersten Tagen kam in Glaubenssachen keine Annäherung zustande zwischen den beiden. Schalt der Lutheraner: »Der Papst ist der Antichrist«, entgegnete der Katholik: »Luther ist ein Unflat.« Berief sich der katholische Bruder auf den heiligen Augustin, entgegnete der lutherische: »Er mag ein gelehrter Herr gewesen sein, aber beim Pfingstfest zu Jerusalem war er nicht dabei.«
Schon am folgenden Freitag verzehrt der lutherische mit seinem katholischen Bruder eine Fastenspeise. Und gesteht erfreut: »Der Stockfisch schmeckt nicht giftig zu dem Krüglein Wein«. Des Abends dann geht der Katholik mit seinem Bruder in die lutherische Vesper. »Bruder«, sagte er, »euer Pastor hat keinen schlechten Bariton.« Anderntags besuchen sie miteinander zuerst die Frühmesse, anschließend die lutherische Predigt; danach beschließen sie zu tun, was Gott ihnen eingeben werde. Damit verabschieden sie sich voneinander, in der Hoffnung, dass Gottes Eingebung nicht allzu lange auf sich warten lasse.
Nach sechs Wochen erhält der ältere Bruder vom jüngeren einen Brief: »Deine Gründe haben mich überzeugt. Ich bin jetzt auch katholisch.« Da schreibt der ältere zurück: »Unglücklicher, willst du jetzt mit Gewalt in die Verdammnis rennen? Du hast mich überzeugt. Vor zwei Tagen bin ich wieder lutherisch geworden.«
Wem diese Begebenheit bekannt vorkommt, unterliegt keiner Täuschung; es handelt sich um eine Nachgestaltung von Johann Peter Hebels Kalendergeschichte Das Bekenntnis. Die Schlussfolgerung des badischen Poeten allerdings wirkt nicht besonders überzeugend: »Merke: Du sollst nicht über die Religion grübeln, damit du nicht deines Glaubens Kraft verlierst. Auch sollst du nicht mit Andersdenkenden darüber disputieren, am wenigsten mit solchen, die es ebenso wenig verstehen als du. Sondern du sollst deines Glaubens leben, und was gerade ist, nicht krumm machen. Es sei denn, dass dich dein Gewissen selber treibt zu schanschieren.« Fragt sich bloß, wie das Gewissen einen zum Schanschieren treiben kann, wenn man das Denken und das Disputieren aus der Sphäre des Glaubens verbannt.
Die zwei Brüder setzen sich ernsthaft mit den Inhalten ihres Glaubens auseinander. Solch exemplarisches Verhalten scheint heute unter Christenmenschen eher selten zu sein. Begründet wird diese Vernachlässigung der Glaubenslehre meist mit dem Hinweis, dass wir ja alle zum gleichen Gott beten. Praktisch bedeutet das, dass sich die Ökumene irgendwann ganz von selber totläuft, weil die Unterschiede zwischen den Konfessionen nur noch für