Kokain: Einfühlsame Studie einer Kokainpsychose
Von Walter Rheiner
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Über dieses E-Book
Walter Rheiner (1895-1925) war ein deutscher Schriftsteller des Expressionismus. Rheiners Gesamtwerk setzt sich aus etwa 80 Gedichten, der Novelle Kokain und ein paar Prosaskizzen zusammen. Das Spektrum seiner Lyrik umfasst Themen wie das Großstadtleben, Nacht, Einsamkeit, Entfremdung, Lebensangst und die Errettung durch den Rausch, deren Darstellung zwischen Melancholie und Ekstase oszilliert. Seine 1918 verfasste Novelle Kokain erlebte als einziges Werk Nachauflagen. In dieser einfühlsamen Studie einer Kokainpsychose beschreibt Rheiner das Elend eines Drogensüchtigen, dessen Leben von Halluzinationen, einem immer stärker werdenden Drang nach Injektionen und der Angst, dass ihn sein Umfeld enttarnt, geprägt ist. Am Ende sieht der Protagonist keinen Ausweg mehr aus seiner Misere und begeht Suizid.
Aus dem Buch:
"Er stieg vom Bett und suchte, auf den Knien rutschend, sich mit seinem Blut, das in dicken Tropfen auf dem Fußboden vor dem Bette lag, besudelnd, das Zimmer ab. Er traute nicht der Kraft seiner Augen. Er betastete jeden Gegenstand, nahm ihn in die Hand und hielt ihn dicht vor die Augen. Konnte das nicht eine Kokainflasche sein, oder jenes, oder dies? Wer sagte ihm, daß ihn seine Augen nicht trogen? War das, was wie ein Pantoffel aussah, wirklich ein Pantoffel, nichts anderes? Wer konnte es wissen?"
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Kokain - Walter Rheiner
I
Inhaltsverzeichnis
Nacht hing groß in den Bäumen der Allee und tropfte auf seine Schultern nieder, da Tobias unter den flüsternden Ästen dahinschritt. Er ging und ging, die Allee hinauf und hinab, fast schon zwei Stunden lang.
Die Normaluhr (ehernes Gespenst an der Straßenkreuzung) zeigte schon halb elf. Im Sterben dieses Sommerabends, der in unzähligen allerzartesten Tinten hinter dem Riesenrumpf der ewigen grauen Gedächtniskirche zerfloß, war Tobias aufgebrochen – ergriffen von jener düsteren Unruhe, die immer wiederkam und ihn desto mehr quälte, je mehr er ihr zu entfliehen oder sie zu betäuben suchte im Trubel des klirrenden Cafés, jener armseligen Stube mit den roten Plüschsesseln und den grinsenden Fratzen kaltblütiger Gäste, die dort ein unwirkliches Leben führten – ein Dasein von bunten Abziehbildchen, wie sie uns als Kindern geschenkt werden. Wie oft, so auch diesmal war er dort hingeflohen vor dem Zergehen der sommerlichen Sonne, das weich über den nahen Himmel rann und seine Unruhe zum Irrsinn zu steigern drohte.
Und doch siegte immer diese Unruhe, die, wenn sie kam, ihm alle Räume verhaßt machte – sein chambre garnie so gut wie das Café oder den großen Raum der Straßen und Plätze. Aufgescheucht war er gegangen, als der Abend schon (dunkler Strom) blau über die Häupter der Passanten ausgegossen war. Jetzt war die Nacht da. Flimmernd strahlte der Asphalt auf, wenn ein Automobil surrend an Tobias vorbeistob. Aus den Café-Vorgärten schwemmte eine süße Musik über ihn hin. Gesprächsfetzen wehten, ungehört von ihm, vorüber. Es war ein stetes Wandeln bunter, vornehmer Damen, diskreter Herren da, ein unaufhörlicher Verkehr lachender Equipagen und Autos, der melancholisch-heitere Abendgesang der großen düsteren Stadt, die auf ihre Art zu leben verstand.
... Und er? Verstand er zu leben? Wie lebte er denn?
Geblendet stand er an der Schwelle des Platzes, und eine Fontäne von Licht und Lauten umsprang ihn. Er sann nach, kurz, abrupt.
Gewiß kein Leben dieser Art, das ebenso Schein ist