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Tote Saison
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eBook469 Seiten5 Stunden

Tote Saison

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Über dieses E-Book

O.P. Zier weckt einmal mehr die schlafenden Hunde der Provinz. Die Macht, ihre Marionetten und ein Mord - und alles spricht gegen den Erzähler.

Barbara Lochner ist tot, aber wer ist ihr Mörder? Alles spricht gegen Werner Burger, den Erzähler - außer die Figuren seines Romans, die nach und nach freimütig gestehen, sie würden Barbara Lochner am liebsten umbringen. Doch zur Tatzeit wartet nur er am Tatort, um sie mit den verbrecherischen Umtrieben einer von der Politik korrumpierten Bürokratie zu konfrontieren. Eines ihrer Opfer ist der rechtschaffene Erwin Lang, der sich einer Verschwörung auf der Spur wähnt und schließlich geradewegs in der Irrenanstalt landet. Ist Lang vielleicht nur ein Opfer seines Verstandes geworden? Wider Willen wird Burger zum Anwalt von dessen Kampf gegen "das geheime System" und stößt schon bald auf toll gewordene Kleinstadt-Honoratioren, welche die Jahreszeiten neu erfinden wollen ...

O. P. Zier siedelt seinen Roman auf der Schattseite einer alpinen Urlaubsidylle an, in der Tristesse zwischen Hochsaison und Hochsaison. Beobachtungsgenau und mit der Unerbittlichkeit eines Ermittlers leuchtet er die Winkel aus, die vom Blitzlicht der Kameras noch nicht erhellt sind. Er erzählt dabei nicht nur einen ungemein spannenden Krimi, sondern auch einen Roman über die Fallstricke des Erzählens, in dem der Autor immer zugleich Täter und Opfer ist.
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum23. Aug. 2011
ISBN9783701742257
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    Buchvorschau

    Tote Saison - O.P. Zier

    Shylock

    I

    Eine Tat, auf der Suche nach ihrem Täter, findet – mich?

    1

    Hätte ich sie bloß umgebracht!

    Wäre ich Barbara Lochners Mörder, es spräche nicht mehr gegen mich denn so.

    Ich hatte nicht nur kein Alibi und am Tatort meine Spuren hinterlassen, ich war überdies zur Tatzeit nachweislich und unbestritten mit dem Mordopfer dort verabredet gewesen.

    Darüber hinaus verfügte ich – nach allem, was zuvor geschehen war – über mehr als genug Gründe für dieses Gewaltverbrechen.

    Ich hatte schon die längste Zeit das Gefühl, dass mir auch mein Verteidiger nicht so recht glaubte.

    Aber was hieß hier überhaupt Verteidiger! – Wir waren als Kinder und Heranwachsende eng befreundet gewesen. Fritz hatte irgendwie zu der Bande gehört, die aus Alex und mir bestanden hatte. Er war, wie Alex, ohne Vater aufgewachsen, ein Lediger. Seine Mutter war Handarbeitslehrerin in Lend gewesen. Fritz hatte keine Ahnung, wer sein Vater war, aber schon früh hatte er sich in Andeutungen gefallen, dass es sich dabei um einen Baron oder einen Grafen handle. Wir hatten diese Mutmaßungen nicht als abwegig erachtet, denn an Geld hatte es seiner Mama offenbar nie gemangelt. Es schien immer erheblich mehr davon vorhanden zu sein, als mit Strick- und Kochunterricht an einer Hauptschule zu verdienen war. Auch lebten die beiden allein in einem stattlichen, von einem großen, verwilderten Obstgarten umgebenen Haus, das auf mich immer seltsam leer, regelrecht verlassen gewirkt hatte. Fritz verfügte darin über ein randvoll mit den herrlichsten Spielsachen angefülltes Kinderzimmer, in dem er sich jedoch nur selten aufhielt – ganz und gar unbegreiflich für uns Gassenbuben, die jede Minute des Aufenthaltes in diesem Kinderparadies genossen. Doch wie oft hatten wir unseren Freund vergeblich zu überreden versucht, mit uns in seinem Zimmer zu spielen.

    Wie faszinierte uns allein die elektrische Eisenbahn, deren Geleise sich in vielen Windungen auf einer großen Holzfaserplatte über den ganzen Zimmerboden schlängelten, an Schranken und naturgetreu nachgebauten Bahnhöfen vorbei, um gleich darauf im Tunnel eines Pappmaché-Berges zu verschwinden.

    Leider fand Fritz stets neue Ausflüchte, unser Drängen abzuwehren. Er zog es vor, mit uns an einem Bach im Schlamm zu wühlen, im mit Steinen und Dreck gestauten Wasser selbstgebaute Schiffe auszusetzen und Lagerfeuer zu entfachen; oder auf dem Boden unserer engen, muffigen, aus alten Brettern zusammengenagelten, mit Dachpapperesten gedeckten Hütte auf Obstkisten zu hocken und die hier versteckten und längst feucht gewordenen Zigaretten zu rauchen.

    Alex und ich hingen oft der Vorstellung nach, dass Fritz’ Vater, der Herr Baron oder der Herr Graf, eines Tages in Lend auftauchen und auch uns beide reichlich beschenken würde, als engste Freunde seines Sohnes. Fritz selbst schien seinen Vater überhaupt hoch zu Ross zu erwarten. Er zeichnete seit der Volksschule mit Vorliebe Reiter in prächtigen Phantasieuniformen, die an Kavalleristen aus der Zeit der Monarchie erinnerten. Kostümierungen waren die große Leidenschaft unseres Freundes gewesen. Und wenn ich ihn jetzt in seiner Tracht vor mir sitzen sah, durfte ich annehmen, dass sich daran nichts geändert hatte.

    Fritz’ hartnäckig wiederholte Behauptungen seiner adeligen Abstammung schienen uns Buben jedenfalls nicht aus der Luft gegriffen. Denn sogar als Kind hatte ich den Eindruck gehabt, als gehe Fritz’ Mutter ihrem Beruf nur zum Zeitvertreib nach. Die mädchenhafte Frau wirkte auf mich im Schulhaus wie eine Besucherin. Lachend und gelöst schwebte sie in ihren in hellen, fröhlichen Farben gehaltenen Kleidern durch die Gänge, als schaue sie auf einen Sprung für ein Tässchen Kaffee und einen kleinen Plausch mit einer Freundin im Konferenzzimmer vorbei. Und wenn wir uns im Schulhaus begegneten, winkte sie mir zu, als sei auch ich zum reinen Vergnügen hier.

    Nichts war bei ihr zu entdecken von der verkrampften Ernsthaftigkeit des überwiegenden Teils der übrigen Lehrkräfte in Lend, die wichtigtuerisch mit ihren riesigen Gefängniswärter-Schlüsselbünden durchs Schulgebäude streiften und die vor lauter Verantwortung ständig die Stirnen in Falten gelegt hatten, als wären sie fleischgewordene Ermahnungen an die Kinder, so sauertöpfisch zu werden wie sie selbst.

    Und jetzt war Fritz, das magere Bürschchen von damals, dessen Rippen sich unter dem Turnleibchen abgezeichnet hatten wie jene der meisten anderen Kinder in Lend, die während der Sommerferien von der Krankenkasse zum Aufpäppeln nach Italien verschickt wurden, jetzt also war dieses untergewichtige Kerlchen, das dennoch nie sonderlich viel von der Leichtfüßigkeit und offenkundigen Leichtlebigkeit seiner Mutter gehabt hatte, zu diesem behäbigen, gelegentlich verschmitzt schmunzelnden Mann geworden, der den Großteil seiner Zeit mit der Zucht von Rennpferden und auf Pferderennplätzen verbrachte und sich während seiner Anwesenheit in diesem schrecklich kahlen Raum, in dem wir von einem ungerührt geradeaus schauenden Justizwachebeamten beaufsichtigt wurden, immer wieder mit seinem großen, altmodischen Stofftaschentuch, in das mit rotem Zwirn übertrieben verschnörkelt seine Initialen eingestickt waren, den Schweiß von der Stirn tupfte.

    Seinen Jägerhut mit dem enormen Gamsbart hatte er bei seiner Ankunft auf die Resopalplatte des Tisches gelegt, wo er sich ausnahm wie eine fremdartige Skulptur. Das Wesen eines Gamsbartes, das wurde mir schlagartig klar, liegt in seiner grotesken Übertriebenheit – eine hilfreiche Erkenntnis für einen des Mordes Verdächtigten! Aber in mir arbeitete weiter das Gehirn eines Schriftstellers und nicht das eines Gewaltverbrechers.

    Neben dem Hut hatte Fritz den Schnellhefter mit den Unterlagen zu meinem Fall abgelegt, in die er während unseres ganzen Gesprächs keinen einzigen Blick warf. Dass er sich auch keine Notizen machte, schien mir die schiere Unglaubwürdigkeit meiner hilflosen Unschuldsbeteuerungen noch zu unterstreichen.

    2

    Eine massive silberne Uhrkette spannte sich in mattem Schimmer über seinen Wanst, und der Trachtenanzug meines Freundes ließ mich denken, dass Fritz wohl sein Leben lang dem Adels-Thema verpflichtet bleiben würde; auch wenn er vermutlich längst herausgefunden hatte, dass sein Vater keineswegs ein auf weitläufigen Besitzungen feudal residierender Baron oder Graf war, sondern ein verschwitzter, alkoholisierter Tanzpartner seiner Mutter, eine Zufallsbekanntschaft, die das lebenslustige, angesäuselte Mädchen auf dem Heimweg nach einem Sommerfest im Lärchenwald umgelegt und geschwängert hatte und danach für die Frau, die womöglich nicht einmal seinen wahren Vornamen kannte, nicht mehr auffindbar gewesen war. Oder es war nach einer Kirchenchorprobe passiert. Allein ich kannte eine ganze Menge Kinder von katholischen Landpfarrern, bei denen die Mütter sich ihr Lebtag lang standhaft weigerten, Auskünfte über die Vaterschaft zu erteilen; und das, obwohl den verhärmten Frauen, die so viel Zeit in kalten, düsteren Kirchen zubrachten und sich dort rheumatische Erkrankungen holten, das quälende Schuldbewusstsein über ihr Leben in der Schande kilometerweit anzusehen war; nicht zuletzt deshalb, weil die Kollegen der Väter ihrer Kinder von den Kanzeln gnadenlos wider die Unkeuschheit wetterten, ledige Kinder verteufelten und den Sünderinnen schlimmste Folgen für die unendlich lange Zeit im Jenseits verhießen.

    Jede seiner wenigen Bewegungen zeigte sich unmittelbar in Fritz’ Gesicht, das sich schon unter der geringsten Anstrengung merklich verzerrte. Mir schien einerseits, als hätte er mir erneut signalisiert, dass ich meine Unschuld nicht länger zu beteuern bräuchte, da er nach Lage der Dinge ohnehin von meiner Täterschaft überzeugt sein müsse, andererseits hatte ich den Eindruck, als würde er mir überhaupt nicht zuhören, da die Gefühle unserer Kindheit sein Inneres so sehr in Aufruhr versetzten, dass rationale Überlegungen wenig Aussicht hatten, sich gegen diese mächtige Aufwallung durchzusetzen.

    In meiner Verwirrung hatte ich Fritz’ Namen genannt, als es darum gegangen war, einen Rechtsbeistand, einen Verteidiger, namhaft zu machen. Er selbst oder irgendjemand in seiner Kanzlei war daraufhin unverzüglich telefonisch über meinen Fall informiert worden.

    Ich hatte mich zu dem Zeitpunkt längst in jenem tranceartigen Zustand befunden, aus dem ich lange nicht wieder herausfinden sollte. Völlig überwältigt von den Vorgängen rund um meine ganz und gar unerwartete Festnahme und Einlieferung, verstört von der Einvernahme durch die Kriminalbeamten, der erkennungsdienstlichen Behandlung samt Speichelabstrich und erst recht betäubt von der niederschmetternden Vorführung beim Untersuchungsrichter, der mir in sachlichem Ton ein Indiz nach dem anderen präsentiert hatte und dem ich so gar nichts Überzeugendes zu meiner Entlastung entgegensetzen konnte!

    Wieder in meine Einzelzelle zurückgebracht, war ich auch schon erschöpft eingedöst und hatte im Halbschlaf plötzlich die Überzeugung gewonnen, von einem Spiel zu träumen, dessen Regeln ich mit der Nennung eines Anwalts zwar noch nachgekommen war, an dem ich meine Teilnahme allerdings so schnell wie möglich ein für alle Mal beenden musste. Wie auch immer: Als real hatte ich das, was mit mir geschah, keinesfalls empfunden. Ganz und gar nicht.

    Fritz war mir eingefallen, weil ich seine Kanzlei in der Stadt Salzburg gelegen wusste. Erst später, allein in der Zelle, als ich Fritz bereits nominiert hatte – Hilfe aus einer abenteuerlich-unbeschwerten Kindheit? –, entsann ich mich meiner letzten Begegnung mit Richard Moser.

    Wie war das nur möglich, dass ich nicht sofort an die erst vor wenigen Tagen erfolgte Unterredung mit Richard gedacht hatte? Hatte es sich dabei doch um ein Gespräch gehandelt, welches mit dem, was mich nun in diese Lage gebracht hatte, auf das Engste in Verbindung stand!

    Erst als ich mit geschlossenen Augen auf der Pritsche gelegen war, hatte ich plötzlich wieder Richards bärtiges Gesicht vor mir gehabt, aus dem mich am Ende unserer Aussprache seine in kaum zu vergessender Eindringlichkeit gesprochenen Worte erreicht hatten: »Damit haben Sie etwas gut bei mir, Herr Burger. Denken Sie daran, wenn Sie einmal Hilfe brauchen.«

    Wie konnte es sein, dass mir dieses Angebot nicht augenblicklich eingefallen war, wo ich doch nichts dringender bedurfte als der sachkundigen Hilfe eines versierten Juristen wie Richard Moser? Weil ich mir meiner aussichtslosen Lage keineswegs bewusst gewesen war? Weil der Tatverdacht, die Indizien, die Festnahme für mich alptraumhafte Züge hatten und unendlich weit entfernt waren von jedem nachvollziehbaren Zusammenhang mit meiner Person?

    All meinen Anstrengungen zum Trotz gelang es mir nicht, eine auch nur halbwegs plausible Erklärung für diese Gedächtnisschwäche zu finden. Sie hinge doch nicht damit zusammen, dass mir in einem fort ein Satz durch den Kopf ging: »Eine Tat sucht sich ihren Täter – und findet mich?« Dass ich also, anstatt sämtliche Kräfte zu bündeln und auf meine tatsächliche Situation bezogen zu denken, auf das Unfassbare der Verdächtigung, Barbara Lochner ermordet zu haben, geradezu reflexartig und durchaus spielerisch mit Literatur reagierte? Auf Vorgänge mit Poesie antwortete, die meine reale bürgerliche Existenz vernichten konnten!

    Ist jemand, der alles, auch die massivste Bedrohung, unverzüglich in Kunst verwandelt, im banalen Alltag überhaupt lebensfähig? Sollte Eva womöglich Recht haben, wenn sie sich gelegentlich weniger als Ehefrau, denn als meine Lebensretterin verstand? – Immerhin: Kaum war sie für zwei Wochen verreist, landete ich auch schon unter dringendem Mordverdacht hinter Gittern.

    3

    Natürlich hatte ich meine für mich nicht im Mindesten vorhersehbare, weil in meinen Augen völlig grundlos erfolgte Festnahme nach dem ersten Schock nicht ernst zu nehmen vermocht.

    Gegen neun Uhr saß ich immer noch beim Frühstück und versuchte mich durch Zeitungslektüre von meiner erneut aufkeimenden Wut auf diese verfluchte Lochner abzulenken, obwohl dieses Kapitel nun ein für alle Mal beendet war und ich endlich wieder zu meiner Arbeit zurückkehren konnte. Doch es wollte mir nicht gelingen, meines Zornes auf die Kulturbeamtin, die Tochter eines früheren Landeshauptmannes von Salzburg, Herr zu werden, von der ich mich am Vortag zum Narren halten, mich bei spätherbstlichem Sauwetter kurzfristig von St. Johann auf eine mehr als siebzig Kilometer entfernt gelegene Baustelle am nördlichen Stadtrand von Salzburg locken – und prompt versetzen hatte lassen.

    Und wie groß war vor allem die Wut auf mich selbst! Wie konnte ich nur dermaßen naiv sein und auf so blamable Weise auf die Frau hereinfallen, mit der ich persönlich ausreichend negative Erfahrungen gemacht hatte, um ein für alle Mal gewarnt zu sein! Ganz zu schweigen von dem, was mir gerade in den letzten Tagen im Zuge meiner aufreibenden Nachforschungen von anderen über die Lochner erzählt worden war.

    Als ich mir erneut mit einem Schwall heftiger Selbstvorwürfe zuzusetzen begann, kamen zwei Männer die hölzerne Außentreppe herauf und klopften an die Wohnungstür. Sie wiesen sich als Beamte der Kriminalabteilung Salzburg aus und eröffneten mir ohne Umschweife und in unaufgeregtem Ton, dass sie mich zur Befragung auf den St. Johanner Polizeiposten mitnehmen müssten, da ich dringend des Mordes an Frau Barbara Lochner verdächtigt werde.

    Die Frau, vernahm ich benommen, als sei mein Kopf von Watte umhüllt, sei gestern gegen 18 Uhr 30 vom provisorisch gesicherten Balkon ihrer im Rohbau befindlichen, im fünften Stockwerk gelegenen künftigen Wohnung in den Tod gestoßen worden.

    In Anbetracht der Indizien, die für meine Täterschaft sprächen, solle ich besser gleich Unterwäsche und Toiletteartikel einpacken, da ich anschließend an die erste Einvernahme in Untersuchungshaft genommen werden würde.

    Ich spürte, wie mir die Hitze in den Kopf stieg. Gleich darauf hatte ich den Eindruck, als werde mir ein heißes Bügeleisen gegen Wangen und Stirn gepresst. Im Magen machte mir ein flaues Rumoren zu schaffen, das in alle Richtungen auszustrahlen schien und meinen Beinen die Festigkeit entzog, so dass ich mich unverzüglich setzen musste.

    Während ich in unserer morgendlich-düsteren Wohnküche fassungslos auf einem Stuhl kauerte, redete einer der beiden Herren auf mich ein. Er belehrte mich offenbar über meine Rechte und machte mich auf verschiedene Einzelheiten der bisherigen Ermittlungsergebnisse aufmerksam. Doch nur Satzteile und einzelne Wörter des Gesprochenen konnten sich gegen den dröhnend lauten Pulsschlag, der in meinen Schläfen hämmerte, behaupten und drangen durch die Benommenheit bis in meine Ohren vor: Hausdurchsuchung angeordnet … welche Schuhgröße … gestern getragene Schuhe … Kleidung … Textilfasern überprüfen … Autoreifen … Spuren … Aussage des Zeugen …

    Beim Einpacken der Toilettesachen zitterten meine Hände so stark, dass ich große Mühe hatte, den Reißverschluss des Täschchens auf- und zuzuziehen – und dieses Zittern breitete sich bis in die Oberarme aus, nachdem ich beim Abklingen des ersten Schwächeanfalls gehofft hatte, mich wieder halbwegs gefangen zu haben. Gleich darauf schwankte ich zwischen Lach- und Weinkrampf, wie ich da hilflos im Badezimmer hantierte, während ich mich von den Ermittlern durch die halb offene Tür beobachtet wusste. Geschirr und Frühstücksreste ließ ich auf dem Tisch stehen. Einer der Kripobeamten riet mir, die Warmhalteplatte der Kaffeemaschine auszuschalten und die Butter in den Kühlschrank zu legen. Und trotz meiner Benommenheit registrierte ich, dass er noch einen raschen Blick zum Herd warf, bevor wir die Wohnung verließen.

    War es dieses Zeichen der Fürsorglichkeit, aus dem ich plötzlich schloss, dass das Ganze nichts weiter war als ein inszenierter Witz? Denn als ich zwischen den beiden Männern, von denen der eine ein Sakko und der andere ein dunkelgrün gefärbtes Raulederblouson trug, auf einen unauffälligen Mittelklassewagen zuging, war ich davon überzeugt, soeben zum Opfer der Sendung Versteckte Kamera zu werden. – Dass mir das nicht gleich eingefallen war!

    Immerhin hatten meine heftigen Auseinandersetzungen mit dem Hofrat Krenn und Barbara Lochner vor noch nicht allzu langer Zeit in der Öffentlichkeit hohe Wellen geschlagen. Der Mordverdacht – lachhaft! Evas USA-Reise mit unserem Schwager Gernotti – sie wäre also ebenfalls nur Teil dieser Inszenierung! Eva, sagte ich mir, habe irgendwann in den letzten zwei Tagen während meiner Abwesenheit die Fernsehleute zur Vorbereitung in unsere Wohnung gelassen, damit ich heute versteckt gefilmt werden konnte. Auch erschien es mir jetzt völlig logisch, dass Barbara Lochner gestern nicht zu unserem Treffen auf die Baustelle gekommen war. Ihr Fernbleiben war die notwendige Voraussetzung der heutigen Inszenierung. Deshalb hatte sie unserer Aussprache auch sofort zugestimmt! Ich dachte in diesen Momenten nicht daran, dass ich es war, der um die Begegnung gebeten hatte. Und vor allem, dass dieser Bitte die Geschichte mit dem Magister Lang vorausgegangen war, ohne die ich ein Gespräch mit der Lochner nie und nimmer gesucht hätte. Wie doch auch das bedrückende Schicksal von Erwin Lang letztlich Richard Moser auf den Plan gerufen und zu seinem Versprechen geführt hatte, mir bei Bedarf beizustehen, nachdem ich ihm in der heiklen Angelegenheit entgegengekommen war, die eine stattliche Anzahl von Honoratioren der jungen Stadt St. Johann in den Abgrund zu reißen drohte, falls auch nur ein Bruchteil dessen publik würde, was mir herauszufinden gelungen war …

    An all das dachte ich nicht, weil ich nur noch davon erfüllt war, einer geschickt eingefädelten und sorgfältig vorbereiteten Sache auf den Leim gegangen zu sein.

    Zwei vom Fernsehen engagierte Kleindarsteller konfrontierten mich drehbuchgemäß mit Mordverdacht – und schon fiel ich beinahe in Ohnmacht, obwohl ich mir keiner Schuld bewusst war. TV-Klamauk! Also versuchte ich, ein lässiges, überlegenes Grinsen aufzusetzen, um den Eindruck etwas zu korrigieren, in Panik geraten zu sein. Gleichzeitig sah ich mich heimlich nach dem Urheber der Inszenierung um.

    Ich rechnete nämlich fest damit, dass sogleich hinter dem Kleinbus, der mit irgendeiner tarnenden Firmenaufschrift versehen und so vor unserem Haus abgestellt war, dass ideal gefilmt werden konnte, einer dieser übervergnügten, toll frisierten Fernseh-Knallfrösche hervorspringen und mich mit herzlichem Dank für meine grandiose Mitwirkung wissen lassen würde, dass alles nur Spaß gewesen sei. Doch nichts von alldem, worauf ich innerlich jetzt vorbereitet war, geschah. Vorerst, wie ich dachte. Ich grinste in Richtung des Kleinbusses, als mir bewusst wurde, dass diese Sequenz als Hinweis, dass ich alles längst durchschaut hätte, ohnehin geschnitten werden müsste. Also tat ich, was von mir verlangt wurde, und nahm im Fond des Wagens neben einem der Beamten-Darsteller Platz, während sich der andere ans Steuer setzte. Als wir losfuhren, flüchtete ich mich in die Vorstellung, dass man die Geschichte natürlich weiter treiben würde, um ausreichend sendetaugliches Material zu sammeln.

    Auf der Polizeistation, dem vormaligen Gendarmerieposten, irritierten mich die betretenen Gesichter der Uniformierten, die nicht gespielt wirkten und mit denen die Männer irgendwelche Papiere zusammenrafften und bei unserem Auftauchen sogleich das Weite suchten. Wenn hier versteckt gefilmt werden musste, hätten die doch etwas mitgekriegt. Oder war alles einzig über den Chef der Dienststelle gelaufen?

    Den Beamten jedenfalls war anzusehen, dass sie peinlich berührt waren von dem, was mit mir geschah. Immerhin hatte ich vor gar nicht allzu langer Zeit selbst hier gedreht. Für eine Fernsehdokumentation hatte ich in zahllosen Anläufen eine Aussage des Bezirkskommandanten zum Problem Alkohol im Straßenverkehr aufgenommen und später bei der Nachbearbeitung der Bänder mit meinem Bildmeister viel Zeit und Energie aufgewendet, um in das Gestammel des Mannes einen halbwegs nachvollziehbaren Rhythmus hineinzuzaubern und künstlich etwas herzustellen, das für die Dauer dieses 15-Sekunden-Sagers verdammt nahe an eine flüssige Rede herankam, und wofür mir der Beamte eigentlich auf ewige Zeiten Dankbarkeit schuldete, da er dem Fernsehpublikum mit einer Eloquenz in Erinnerung bleiben würde, die er nie in seinem Leben besessen hatte. Zweimal war die im Funkhaus gefürchtete cholerische Veranlagung meines Cutters mit ihm durchgegangen und der Mann mit seinen Zigaretten und dem Feuerzeug in der Hand fluchend in die Studiokantine gerannt, wo ich ihn jedes Mal aufs Neue dazu überreden musste weiterzumachen, während er mich beschwor, diesen verfluchten O-T einfach wegzulassen und mir mit einem simplen Sprechertext zu behelfen, auch wenn ich ihm noch so oft sagen möge, dass mir dieser dann die gesamte ausgeklügelte Komposition meines nur aus Originaltönen montierten Filmes ruinieren würde.

    Bis zum Beginn der Einvernahme war ich also davon ausgegangen, dass man mich zum späteren Gaudium der Fernsehzuseher zum Narren hielt. Erst als mir einer der beiden Kriminalbeamten diese schrecklichen Fotos vorlegte, wurde mir schlagartig klar, dass ich mich in einem sehr realen Alptraum befinden musste. Keine Unterhaltungsredaktion ginge so weit, solche Bilder nachzustellen!

    Es handelte sich um Farbfotos vom Tatort. Bei Dunkelheit aufgenommen, bildeten die Schneeflocken irritierend unscharfe, fast schmetterlingsgroße weiße Flecken. Umstellt von den Täfelchen der Spurensicherung, sah ich einen offenkundig leblosen Körper im Dreck jener Baustelle liegen, vor der ich am Vortag mit zunehmender Wut herumgestapft war. Und es handelte sich tatsächlich um Barbara Lochner, die da so entsetzlich hilflos auf dem Bauch im Bauschlick lag. Bei einem Fuß, der unnatürlich verdreht war, fehlte der Schuh. Die Strumpfhose der Frau war an mehreren Stellen zerrissen. Der über die Knie gerutschte Rock verdreckt. Der Kopf lag so neben einem Bottich, als habe sich eine Verdurstende mit allerletzter Kraft dorthin geschleppt, bevor sie kurz vor ihrem Ziel doch das Bewusstsein verloren hatte.

    Der vernehmende Beamte schob mir noch weitere Fotos über den Tisch, während mich sein Blick fixierte, damit ihm nichts von meiner Reaktion auf das Gesehene entging. Diese Bilder zeigten genau ausgeleuchtete Fußspuren, von denen er annehme, wie er mich wissen ließ, dass sie von meinen Schuhen herrührten. Die Größe stimme überein. Auch das Muster der Sohlen, das er in meiner Wohnung kurz in Augenschein genommen habe. Gewiss rühre der Schmutz auf ihnen ebenfalls von der Baustelle her. Und dass sich unter den Reifenspuren, die im Nahbereich des Rohbaus sichergestellt worden waren, die meines Autos befinden würden, davon gehe er nach Lage der Dinge aus.

    Abschließend konfrontierte er mich noch mit einem Bild jenes Mannes, der mich gestern mit der Frage nach Top 16 dieser Wohnanlage angeschnauzt hatte und meiner Vorstellung von einem NS-Blockwart sehr nahekam. Dieser Herr, von den zukünftigen Bewohnern zum Vertrauensmann gewählt, habe die Leiche gefunden, als er gegen 18 Uhr 40 noch einmal zur Baustelle zurückgekehrt sei, um nachzusehen, ob ich noch dort wäre. Ich sei ihm bekannt vorgekommen und das habe ihm keine Ruhe gelassen. »Er war sich sicher, Ihr Gesicht schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Es gelang ihm jedoch nicht, es zuzuordnen. – Im Übrigen geht der Zeuge davon aus, dass Sie, Herr Burger, in dem Auto gesessen sind, das ihn geblendet hat und dann mit hoher Geschwindigkeit abgefahren ist, obwohl er Zeichen gegeben hat, stehen zu bleiben. Bei Ihrem Zusammentreffen mit dem Zeugen war weit und breit niemand anderer auf der Baustelle. Nur Sie beide waren da. Oder wollen Sie etwas anderes behaupten?«

    Ich schüttelte nur den Kopf.

    Heute früh habe man im Zuge der Ermittlungen in Frau Lochners beruflichem Umfeld mit ihrem Vorgesetzten gesprochen. »Wie Ihnen bekannt ist, war Hofrat Krenn zufällig im Büro von Frau Lochner, als Sie angerufen haben. Er hat mitbekommen, wie Sie das Treffen auf der Baustelle ausgemacht haben.«

    Es nütze mir gar nichts, ständig darauf zu beharren, dass wir uns für 17 Uhr 30 verabredet hätten.

    »Auf dem Kalender steht eindeutig 18 Uhr 30! Warum wohl, bitte schön, sollte 18 Uhr 30 vermerkt sein, wenn 17 Uhr 30 ausgemacht worden sei? Ein Schreibfehler vielleicht? – Ich bitte Sie! Diese Uhrzeit und B. für Burger ist der einzige Eintrag für den ganzen gestrigen Tag.«

    Sofort nach dem Gespräch mit Hofrat Krenn habe man dem Zeugen ein Foto von mir vorgelegt. »Er hat Sie eindeutig identifiziert. Jeder Zweifel ausgeschlossen. Diese Aussage ist wasserdicht! Sie, Herr Burger, sind der Mann, den er um 18 Uhr am Tatort angesprochen hat. Circa 18 Uhr 30, wie gesagt, wurde als Todeszeitpunkt von Frau Lochner festgestellt. Deshalb sind wir hier. Und müssen Sie jetzt auf Grund der vorliegenden Indizien und Ihrer Aussagen wegen dringenden Verdachts, Frau Barbara Lochner getötet zu haben, zum Antritt Ihrer Untersuchungshaft nach Salzburg bringen.«

    »Noch einmal: Ich habe keine Sekunde lang bestritten, vor der Baustelle gewesen zu sein. Vor der Baustelle, wohlgemerkt. Aber ich habe den Rohbau nicht betreten. Die Lochner hat mich versetzt! Wie oft soll ich das denn noch …«

    Mein Versuch eines Einwandes erstarb in kleinlauter Resignation. Als schämte ich mich bereits für meine dürftige Ausrede, um halb sechs verabredet gewesen zu sein, bis sechs etwa vergeblich gewartet und mich zur Tatzeit schon auf dem Heimweg befunden zu haben. Allein in meinem Auto. Irgendwo auf der Autobahn von Salzburg nach St. Johann unterwegs. Des schlechten Wetters wegen entsprechend langsam.

    Wie verlogen hörte sich die Wahrheit inzwischen schon in meinen eigenen Ohren an. Vor allem: Wie einfallslos schlecht konstruiert! Unwürdig eines Menschen, der nicht zuletzt davon lebte, möglichst raffinierte Geschichten zu erfinden.

    Während der schweigend verlaufenden Autofahrt nach Salzburg, bis zu meiner Einlieferung in das landesgerichtliche Gefangenenhaus in der Schanzlgasse, dachte ich zwanghaft an die Bilder von der hilflos im Bauschlick liegenden Barbara Lochner. Und ich hatte das rektale Fiebermessen vor Augen, von dem mir mein Freund Alex erzählt hatte, nachdem er als junger Notarzt erstmals miterlebt hatte, wie bei einem Mordopfer die Körpertemperatur festgestellt und unter Einbeziehung der Außentemperatur eine ungefähre Todeszeit errechnet wurde.

    Natürlich hatte der vernehmende Beamte sofort bemerkt, dass mir diese Bilder an die Nieren gingen, und mir ausgemalt, wie sehr mich ein Geständnis erleichtern würde. »Herr Burger! Sie sind doch kein abgebrühter Mörder, der das einfach wegstecken kann …« Wenn ich das glaubte, würde ich die Bürde so einer Tat gewaltig unterschätzen

    Fritz stützte die Hände auf seine weit geöffneten, wuchtigen Oberschenkel und atmete bei vorgeneigtem Oberkörper schwer durch den Mund. An seinen Schuhen klebte Pferdemist; mein Anwalt roch nach Stall. Er sah mich an, als wären wir Zehnjährige, die sich einer gerade abgemachten Verschwörung vergewisserten – ehe sie zum Mittagessen heimlaufen würden.

    Überhaupt hatte ich das Gefühl, als ginge es zwischen uns jetzt nur um das, was einmal war! Ich spürte, dass das Gewesene unser erstes Wiedersehen nach langen Jahren dominierte, auch wenn es mit keinem Wort direkt angesprochen wurde. Als finde bei so viel Vergangenheit die Gegenwart kaum Platz! Wo doch gerade das Schreckliche meiner momentanen Lage jeden Millimeter Platz für sich und seine Aussichtslosigkeit okkupiert zu haben schien.

    Verzagt fragte ich: »Fritz, was könnten wir denn tun?«

    Mein Freund sah mich lange betrübt an, ohne zu antworten.

    »Wie könnten wir nachweisen, dass ich auf der Heimfahrt war? Ich war auf der Heimfahrt, verstehst du!«

    »Du bist doch Autobahn gefahren, Werner?«

    »Ja. – Glaubst du, dass jemand aufzutreiben wäre, der mich gesehen, sich an mein Auto erinnern …«

    »Nein, das nicht. Aber vielleicht … vielleicht gibt es eine andere … eine kleine Hoffnung …« Ein Kartellbruder von der Straßenerhaltungsgesellschaft habe ihm einmal erzählt, dass sich an den Tunnelportalen der Tauernautobahn Kameras befänden.

    »Ja?!«

    »Das lasse ich sofort prüfen, Werner«, hörte ich Fritz in einem Ton sagen, als befürchte er, damit nur auf einen weiteren Beweis meiner Schuld zu stoßen.

    4

    Als ich mit Fritz zum letzten Mal zusammengetroffen war, hatte er in der Stadt Salzburg gerade eine eigene mickrige Kanzlei eröffnet – ein enger Schluff, in dem früher einmal eine Fritten- und Bosnabude mit Gassenverkauf untergebracht gewesen war. Zwei winzige Räume, in denen ich bei einem unserer zufälligen Begegnung auf der Staatsbrücke folgenden Besuch noch immer den Geruch stark gewürzter Bosnas und alten Frittenfettes wahrzunehmen glaubte.

    Im Vorzimmer hatte er ein vergrämt blickendes altes Mädchen als Sekretärin sitzen gehabt, das den Eindruck erweckte, als sei er ihm mindestens drei Monate Gehalt schuldig. Eine Frau in mittleren Jahren, deren Gesicht vom Kummer gezeichnet war; dem Kummer vieler Frauen mit erwachsen gewordenen Kindern, deren Ehemänner sich gerade in Begleitung jüngerer Gespielinnen aus dem Staub machen. Frauen, die dadurch zu starken Raucherinnen wurden und nicht selten bereits am Vormittag so nebenher mit dem Trinken anfingen.

    Ich verspürte eine tiefe Niedergeschlagenheit angesichts der Trostlosigkeit der Frau an dem altmodischen, wackeligen Maschinschreibtischchen; eine Ausweglosigkeit, in die sich dann auch ein unbestimmter Vorwurf zu mischen schien, mit dem ich mich bedacht fühlte, während sie mich warten ließ, bis sie es für angebracht erachtete, meinem Wunsch nachzukommen und ihrem Chef mein Eintreffen zu melden.

    Wie gesagt, Fritz’ Büro war eine winzige Angelegenheit, zwei hohe schlauchförmige Räume, in denen kein Platz mehr für einen Schirmständer war, doch mein Freund saß an jenem verregneten Nachmittag in dieser düsteren Besenkammer an seinem in die Ecke gequetschten Schreibtisch, als befehlige er ein Heer von Konzipienten, werde von einem Geschwader energiegeladener junger Sekretärinnen umschwirrt und sei mit den aufsehenerregendsten Fällen der Justizgeschichte befasst. Ganz so, als sitze nicht dieses im Schein einer zu schwachen Glühbirne verdrossen auf einer museumsreifen Kugelkopfschreibmaschine herumhackende alte Mädchen da draußen, sondern als strahle einem wie bei Richard Moser eine unmittelbar vor der Krönung stehende Miss Austria hinter einem Empfangspult entgegen, das mit jedem auf dem Kennedy- Airport mithalten konnte!

    Gut ein Jahr davor war ich mit meinem Freund aus Kindertagen an einem lauen Spätfrühlingsabend unter dem dichten Blättergewölk eines alten Kastanienbaums in einem Biergarten gesessen, und Fritz hatte mir erzählt, dass er sich mit dem Gedanken trage, Kampfhunde zu züchten. Mastinos. Killerhunde, die damals in Österreichs Unterweltkreisen gerade in Mode zu kommen begannen; scharfe vierbeinige Waffen, die muskelbepackte, solariumgebräunte, eindrucksvoll tätowierte und mit reichlich Gold behangene Zuhälter stolz an kurzer Leine durch die Innenstädte führten und deren Vorzüge als Bewacher ihrer Villen er seinen Brüdern aus dem Cartellverband schmackhaft zu machen beabsichtige. »Die Sache zahlt sich schon aus«, hatte mir Fritz anvertraut, »wenn sich auch nur ein Viertel der Villenbesitzer unter den Brüdern für ein, zwei solcher Hunde entscheidet. Ab da, Werner, ist das ein Bombengeschäft!«

    Seit meinem Besuch in dieser Doppelnische von Kanzlei hatten wir uns nicht mehr gesehen. Ich wusste nur, dass er inzwischen längst ein geräumiges Büro an einer respektablen Adresse bezogen und offenbar passable Geschäfte gemacht hatte. (Auch ohne Killerhunde.) Gleichfalls war mir bekannt, dass Fritz mit beachtlichem Erfolg in der Pferdezucht und im Pferderennsport mitmischte. Auf der Krieau in Wien war mein Freund zu einer anerkannten Größe aufgestiegen, eine Respektsperson geworden. Die Großstadtbazis mit ihren Schirmmützen und cremefarbenen Freizeitjacken hatten aufgehört, sich über seine Aufsehen erregende Trachtenkleidung lustig zu machen und suchten bei jeder Gelegenheit die Nähe des Erfolgreichen. Fritz soll es nicht ungern hören, wenn ihn einer dieser Wiener Strizzis im Spaß mit Herr Baron tituliert. – Sogar auf der Pferderennbahn stellte die Geschichte aus der Kindheit ihre beeindruckende Langlebigkeit unter Beweis.

    Irgendwo bei Mondsee befand sich sein Gestüt; auf einem, wie mir jemand erzählt hatte, herrschaftlichen Anwesen. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie mein Freund dort in Reitstiefeln herumstapfte und seinem kroatischen Rossknecht Anweisungen erteilte oder der ausnehmend gut aussehenden jungen Pferdepflegerin aus Polen, die eigentlich ausgebildete Grundschullehrerin war, auf den Hintern klatschte, wenn er stolz an eine der Boxen trat …

    Fritz wischte sich wieder mit seinem großen Stofftaschentuch die stark gerötete Stirn und reinigte damit auch seine Brille, die sich erneut beschlagen hatte, nachdem ihm der Dunst auf den dicken Gläsern schon bei seinem Eintreten die Sicht genommen hatte.

    Der Justizwachebeamte saß reglos auf seinem Stuhl und schien in Gedanken weiß Gott wo zu sein.

    Ich sah Fritz – und sah ihn wieder nicht. Wie ich mich in Untersuchungshaft zu befinden schien – und wieder nicht. War ich denn überhaupt noch bei Sinnen?

    Seit ich von Barbara Lochners Tod erfahren hatte, fühlte ich nicht nur überhaupt keine Genugtuung darüber, sondern sogar immer häufiger eine angesichts unserer Auseinandersetzungen vollkommen unbegreifliche, absurde Art von Verpflichtung, den Mord

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