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Megatrends
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eBook576 Seiten5 Stunden

Megatrends

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Über dieses E-Book

Soziale Ungleichheit, Globalisierung und die demographische Entwicklung - allein diese drei globalen Trends eröffnen Perspektiven für eine Fülle von Themen. Wie lässt sich das Zusammenspiel kultureller, ethnischer und religiöser Vielfalt regeln? Wie kann Bildung chancengerecht gestaltet werden? Wie verändert sich das Leben der Menschen in den Städten und auf dem Land?

Der vorliegende E-Book-Reader ergänzt die Schwerpunktausgabe "Megatrends" unseres Magazins change im März 2015. Die Beiträge beleuchten den Wandel von Integrationsdebatten, zeigen aktuelle Entwicklungen zu den Themen Bildung und Teilhabe und stellen Gestaltungsmöglichkeiten für zukunftsfähigere Gesellschaften vor. Bei den Texten handelt es sich um Auszüge aus Büchern des Verlags Bertelsmann Stiftung.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum10. März 2015
ISBN9783867936736
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    Buchvorschau

    Megatrends - Verlag Bertelsmann Stiftung

    Stiftung

    Eine demographische Reise durch Deutschland (Leseprobe)

    Auszug aus:

    Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)

    Eine demographische Reise durch Deutschland

    Trends und Perspektiven

    Gütersloh 2014

    ISBN 978-3-86793-507-4 (PDF)

    ISBN 978-3-86793-610-1 (EPUB)

    © Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh

    Vorwort

    Es sind vier große Trends, die unser Leben zukünftig in Deutschland und auch weltweit bestimmen werden: die Globalisierung, die Digitalisierung, eine zunehmende soziale Ungleichheit und die wachsenden Herausforderungen durch den demographischen Wandel. Gerade Letzterer fordert die Kommunen auf vielfältige Weise in Deutschland heraus, gemeinsam zu handeln.

    Wer Zukunft gestalten will, braucht verlässliche Fakten, eine solide Informationsbasis, um die Veränderungsprozesse zu gestalten und zu begleiten, und eine weitsichtige politische Steuerungskompetenz auf allen Ebenen.

    Schwierige Entscheidungen müssen vor Ort angesprochen, bewältigt und umgesetzt werden. Die entscheidenden Fakten dafür liefert der Wegweiser Kommune mit mehr als 300 Indikatoren. Sie bilden die analytische Basis für die Erfassung und Beschreibung der demographischen und sozioökonomischen Situation aller Kommunen.

    In die Zukunft weisende Handlungsempfehlungen und gute Beispiele aus der kommunalen Praxis sollen helfen, mit den Herausforderungen in der Demographie und Integration, der Bildung, den kommunalen Finanzen, der sozialen Lage in den Städten und Regionen umzugehen.

    Manches muss man sehen, um die Dimension von Herausforderungen und die Tragweite der Entscheidungen nachvollziehen zu können. Diesen Eindruck erhält nur, wer mit den Menschen redet, sie trifft und sieht, wie sie sich in einer verändernden Umgebung und Welt organisieren – ob in alternativen Wohnprojekten, mit dem Ausbau des Gesundheitstourismus oder als Händler und Seelentröster in rollenden Supermärkten.

    Vor diesem Hintergrund ist das E-Book »Eine demographische Reise durch Deutschland« entstanden. Die Reise ist eine Chance, Menschen in ihrem Kontext und mit ihren Anliegen zu verstehen und Zukunft für die Regionen und Kommunen zu gestalten. Wir wünschen Ihnen viele neue Impressionen durch die Lektüre dieses Buches und freuen uns über ein Feedback.

    Dr. Brigitte Mohn

    Vorstand

    Bertelsmann Stiftung

    Dr. Kirsten Witte

    Programmleiterin LebensWerte Kommune

    Bertelsmann Stiftung

    Megatrend demographischer Wandel

    Wer sich mit dem demographischen Wandel beschäftigt, kann mittlerweile schnell mal den Überblick verlieren. Zahlreiche Studien haben in den vergangenen Jahren das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven aufgegriffen. Umfangreiche Datensammlungen spiegeln mit Zeitreihen die bisherigen Entwicklungen oder bieten mit Bevölkerungsvorausberechnungen einen Blick in die Zukunft. Auch die Bertelsmann Stiftung hat diverse Publikationen zum Thema veröffentlicht und stellt eine Menge an Daten in ihrem Informationsportal »Wegweiser Kommune«¹ zur Verfügung. Daten und Fakten sind unzweifelhaft ein wichtiges Fundament für alle kommunalen Planungen.

    Ebenso wichtig ist es aber, sich ein Bild davon zu machen, was diese Daten und Fakten ganz konkret für die Menschen in den Städten und Gemeinden heute schon bedeuten. Beispielsweise für das Leben einer Familie in einer wachsenden Metropolregion wie Hamburg: Wie leicht ist es dort, eine ausreichend große und bezahlbare Wohnung zu finden? Wie sieht es mit Kita-Plätzen oder Einkaufsmöglichkeiten aus? Wie anders gestaltet sich dagegen das Leben der Einwohner² in schrumpfenden, ländlichen Regionen: Können gerade ältere Menschen noch gut selbstständig leben, und gibt es eine ausreichende ärztliche Versorgung? Wie leicht finden kleinere und mittlere Unternehmen in solchen Regionen qualifizierte Arbeitskräfte?

    In diesem E-Book entwickeln wir Bilder zum demographischen Wandel, die über Daten und Fakten hinausreichen. Ein sozial-ökologisches Wohnprojekt, Mehrgenerationentourismus oder rollende Supermärkte – in kurzen Reportagen entsteht ein »demographisches Patchwork« zum Leben und Arbeiten der Menschen. Wir sind vom Norden über den Osten nach Süden und über den Westen zurück in den Norden Deutschlands gereist und haben mit Frauen und Männern in großen Städten und kleinen Dörfern gesprochen. Entstanden sind diese Reportagen zwischen dem Frühjahr 2012 und dem Herbst 2013. Thomas Orthmann hat sie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung recherchiert, er hat Interviews vor Ort geführt und zu Papier gebracht.

    Menschen erzählen hier aus dem privaten oder beruflichen Leben in ihrer Kommune. Die einzelnen Geschichten sind authentische Fälle. Mit Rücksicht auf die Situation vor allem im ländlichen Raum, wo »jeder jeden kennt«, wurden einige Namen und Örtlichkeiten verändert. So persönlich die Geschichten manchmal auch sind, stehen sie doch für Entwicklungen, wie sie hierzulande überall zu finden sind. Sie stehen außerdem für Entwicklungen, die uns weiterhin stark beschäftigen werden – und für Herausforderungen, die wir meistern müssen. Ideen und Ansätze dazu sind in diesen Geschichten enthalten oder wurden ergänzt um gute Beispiele aus der kommunalen Praxis, die wir ebenfalls zu unterschiedlichen Themen rund um den demographischen Wandel unter www.wegweiser-kommune.de veröffentlichen.

    Zukunft durch Bildung

    Sachsen ist ein Transitland. Zumindest aus der Perspektive gut ausgebildeter Fachkräfte aus Ländern wie Polen, Tschechien, Ungarn oder Lettland. Seitdem unsere osteuropäischen Nachbarn ohne Beschränkungen in Deutschland arbeiten dürfen, ist ihr Anteil in vielen Bundesländern gestiegen. Allein in Bayern gab es 2011 mit +31.800 Arbeitskräften einen Zuwachs von über 80 Prozent unter den neuen »Gastarbeitern«. In Sachsen dagegen waren es im gleichen Jahr gerade mal 7.500 Ost-Arbeitskräfte, die hier insgesamt sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Nur wenige Osteuropäer setzten auf der A15 oder A72 den Blinker, um abzufahren und im Freistaat zu arbeiten. Die meisten rauschten einfach durch.

    Sachsen ist ein Auswanderungsland. Zumindest aus der Perspektive von über 133.000 Berufspendlern, die den Freistaat täglich oder wöchentlich verlassen, um in anderen Bundesländern zu arbeiten. Zwar gibt es auch mehr als 90.000 Menschen, die nach Sachsen einpendeln, doch das Pendlersaldo ist negativ. So negativ, dass die Chemnitzer Wirtschaftsförderungs- und Entwicklungsgesellschaft versucht, Pendler auf jede erdenkliche Weise wieder zur Heimkehr zu bewegen – mit Radiospots, Infomaterial in Kneipen oder persönlichen Gesprächen am Bahnhof.

    Die Sache mit dem Auswanderungsland stimmt so natürlich nicht ganz. Schließlich wohnen und leben die sächsischen Berufspendler immer noch im Freistaat. Abends oder am Wochenende kehren sie dorthin zurück. Die Bevölkerungszahl liegt bei knapp über vier Millionen. Und auch wenn es in naher Zukunft nicht mehr zu großen Wanderungsverlusten kommen wird, geht die Zahl der Sachsen stetig zurück – bis zum Jahr 2030 auf voraussichtlich 3,7 Millionen Menschen.

    Der Einwohnerschwund von –10,4 Prozent (zwischen 2009 und 2030) liegt um das fast Dreifache höher als der Bundesdurchschnitt (–3,7 %). Ein Grund dafür ist, dass Sachsens Elterngeneration um mehr als ein Viertel zurückgeht. Gleichzeitig wird die Bevölkerung immer älter: 2030 ist jeder zehnte Sachse über 80 Jahre alt. Und Sachsen verliert von 2010 bis 2030 mehr als 524.000 Personen dadurch, dass mehr Menschen sterben als geboren werden.

    Die Frage, die sich Kreise und Kommunen überall in der Republik stellen, lautet: Wie bekomme ich wieder mehr Menschen in meine Region? Wie kann ich Neubürger gewinnen und wie halte ich die, die noch da sind? Gerade über die Zu- und Abwanderung darf man sich hier nichts vormachen. Viele Regionen werden künftig kein Plus mehr auf ihrem Haben-Konto verbuchen können. Anders ginge die demographische Gleichung nämlich nicht auf. Menschen, die irgendwo hinziehen, müssen irgendwo herkommen – der Überschuss der einen ist das Defizit der anderen.

    Die Zukunftsfähigkeit vieler Kommunen steht auf dem Spiel. Städte und Gemeinden sind allerdings so unterschiedlich aufgestellt, dass es keine universellen Antworten auf die vielen offenen Zukunftsfragen gibt. Da ist kein Hebel, den es umzulegen gälte, und die Welt wäre wieder in Ordnung. Wohl aber gibt es da einen Schlüssel, der wie kein zweiter über die zukünftige Entwicklung von Regionen entscheidet. Dieser Schlüssel heißt Bildung. Auch wenn dieser Satz häufig bemüht und auch überstrapaziert wird: Es liegt darin viel Wahres.

    Bildung als Standortfaktor

    Bildung ist ein zunehmend wichtiger Standortfaktor für Mensch und Unternehmen. Familien lassen sich dort nieder, wo die Eltern eine Arbeit finden, sich kulturell oder beruflich weiterentwickeln können, wo die Kleinsten ohne Probleme einen Kita-Platz bekommen und ältere Kinder in Schulen gehen, in denen sie nicht nur ganztags qualifiziert betreut werden, sondern die ihnen auch einen guten Übergang auf weiterführende Schulen ermöglichen, um von dort später mit wirklicher Perspektive in eine Ausbildung und einen Beruf starten zu können.

    Viele Unternehmen sind noch nicht ganz so weit. Faktoren wie niedrige Steuerbelastungen, günstige Gewerbeimmobilien oder die Nähe zu Zulieferern und Märkten wiegen schwer bei der Standortwahl. Je stärker aber der Druck durch unbesetzte Arbeitsplätze oder alternde Belegschaften wird, desto personalsensibler müssen sich Firmen und Betriebe ausrichten. Desto mehr spielt es eine Rolle, an Orten zu sein, in denen es überhaupt qualifizierte Arbeitskräfte gibt, wo junge Menschen nach Abschluss ihrer Schulzeit auch »ausbildungsreif« sind und die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Möglichkeiten vorfinden, sich in jedem Alter weiterzubilden und zu qualifizieren.

    Bildung hat grundsätzlich das Potenzial, Menschen in Lohn und Brot zu bringen, Transferleistungen des Staates zu verringern, Unternehmen gut ausgebildete Arbeitskräfte zu sichern, die wirtschaftliche Innovationsfähigkeit zu entwickeln, Regionen ökonomisch zu stärken, Familien zu fördern und das Leben in den Kommunen für alle lebenswerter zu machen. Ob Bildung aber tatsächlich zum entscheidenden Schlüssel für die Zukunft unserer Regionen wird, hängt davon ab, was wir unter Bildung verstehen und wie wir sie als Ganzes regional entwickeln.

    Bildung: mehr als Schule

    Zunächst müssen wir den Bildungsbegriff erweitern. Bildung ist mehr als das kleine Einmaleins, die mittlere Reife oder das Abitur. Soll heißen: Bildung ist mehr als Schule. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben eines Menschen. So schauen wir bereits heute darauf, dass wir im Rahmen der frühkindlichen Bildung die Interessen der Jüngsten wecken, ihre individuellen Potenziale erkennen und Begabungen fördern. Mehr und mehr haben wir auch ein Auge darauf, dass die Übergänge zur Grundschule sowie weiterführenden Schule funktionieren und Kinder an dem Punkt abgeholt werden, an dem sie in ihrer individuellen Entwicklung stehen.

    Der Bildungsweg setzt sich fort mit einer frühzeitigen Berufsorientierung, der Suche nach einem geeigneten Ausbildungs- oder Studienplatz und endet noch lange nicht mit dem ersten Job. Denn wir haben die Fähigkeit und Chance, lebenslang zu lernen. Fort- und Weiterbildung im Beruf qualifizieren uns für neue Aufgaben und neue Herausforderungen. Sie machen uns stärker, flexibler und persönlich unabhängiger. Selbst wenn wir aus dem Beruf ausscheiden, bieten sich uns zahlreiche Möglichkeiten zur Weiterentwicklung.

    Damit lebenslanges Lernen funktioniert, muss es allerdings in den Kommunen auch Unterstützung und Ankerpunkte geben. Und damit sind nicht ausschließlich kommunale Einrichtungen gemeint wie Schulen, Volkshochschulen oder die städtische Bildungsberatung. Bildung ist eine Gemeinschaftsaufgabe, hat aber noch viel zu wenig Beteiligte und Partner. Das lässt sich ändern. Ein Blick nach Leipzig zeigt, welchen zentralen Ansatz es dafür gibt. Er zeigt, wie Städte und Gemeinden im demographischen Wandel sich besser aufstellen können, indem sie ein integriertes kommunales Bildungsmanagement betreiben.

    Lernen vor Ort

    Leipzig zählt zu den bundesweit 35 Städten und Kreisen im Bundesprogramm »Lernen vor Ort«, kurz LvO, eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Initiative, die auch von der Bertelsmann Stiftung als eine von vielen Stiftungen unterstützt wird. Seit 2009 entwickeln die beteiligten Kommunen regionale Strukturen, in denen sich alle, die von Bildung profitieren, auch an Bildung beteiligen. Unternehmen vor Ort, die qualifizierte Arbeitskräfte benötigen, kooperieren zum Beispiel mit Schulen und bieten als außerschulische Partner Praktika für Jugendliche in der Berufsorientierungsphase. Dadurch tragen sie dazu bei, die Ausbildungsreife der jungen Menschen zu verbessern, die ihnen später auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Unternehmen haben aber auch Bildungsverantwortung gegenüber den eigenen Beschäftigten. Vor dem Hintergrund zunehmend alternder Belegschaften sind sie gefordert, Mitarbeiter durch Fortbildungsmaßnahmen weiterzuqualifizieren.

    Hochschulen und Forschungseinrichtungen können sich ähnlich wie Unternehmen engagieren und die eigenen Tore zum Beispiel schon früh für Schülerinnen und Schüler öffnen. Sachsen hat vier Universitäten, fünf Kunsthochschulen, fünf Fachhochschulen sowie zahlreiche Forschungslabore und Institute. Ihr potenzieller Nachwuchs sitzt in den Schulen und wartet darauf, abgeholt zu werden. Damit Schüler und angehende Studierende wissen, welche Möglichkeiten ihnen beispielsweise die naturwissenschaftlichen Fächer bieten, hat »LvO Leipzig« einen Katalog mit Bildungsangeboten speziell aus dem MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) erstellt.

    Die Angebote außerschulischer Partner müssen allerdings auch passen. Schulen bzw. Lehrkräfte müssen darauf achten, dass sich Inhalte und Formate der externen Angebote auch in den Unterricht integrieren lassen. Dafür gibt es in Leipzig ebenfalls Hilfe durch »Lernen vor Ort«. So wurde für alle weiterführenden Schulformen ein Katalog erstellt, der lehrplanbezogene Angebote zur Umweltbildung beinhaltet. Er dient den Lehrkräften als Planungshilfe für den projekt- und fächerverbindenden Unterricht.

    Regionale Bildungslandschaften

    Die Initiative »Lernen vor Ort« greift das Modell der regionalen Bildungslandschaften auf, die in einigen Bundesländern wie Baden-Württemberg oder Niedersachsen bereits früh entwickelt wurden. Ihr Kern ist die gemeinsame Verantwortung von Bildungspartnern innerhalb einer Region. Der besondere Anspruch besteht darin, Menschen, Institutionen und Einrichtungen zusammenzuführen, um Bildung gemeinschaftlich zu entwickeln. Bei der Frage nach Bildung als Standortfaktor liegt genau darin die zentrale Herausforderung: Gelingt es, dass Bildungspartner aus völlig unterschiedlichen Systemen an gemeinsamen Zielen arbeiten?

    Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich sitzen nicht alle an einem großen Konferenztisch mit dem Ziel, über jedes Thema zusammen entscheiden zu wollen. Regionale Bildungsarbeit ist vielmehr nach Themen und Partnern aufgeteilt. Vertreter aus Wirtschafts- und Schulbehörde sitzen zusammen mit Schulen, DIHK und Ausbildungsunternehmen in einer gemeinsamen Steuergruppe, die an der Verbesserung des Übergangs von der Schule in den Beruf arbeitet. Vertreterinnen und Vertreter aus den Kitas, Grundschulen und der Bildungsbehörde bilden eine Lenkungsgruppe für den verbesserten Übergang zwischen Elementar- und Primarstufe.

    Für viele Verwaltungen bedeutet es schon eine Herausforderung, sich behörden- oder fachbereichsübergreifend neu zu formieren und das Thema Bildung integriert anzugehen. Wie soll es da erst sein, wenn außerschulische Partner – Museen, Labore oder Unternehmen – auf Schule und Behörde treffen? Eine solche Zusammenarbeit muss strategisch geplant und entwickelt werden. Das gelingt nur schwer aus den Reihen der einzelnen Bildungspartner selbst heraus. Ein integriertes kommunales Bildungsmanagement braucht eine unabhängige Taskforce bzw. Koordinationsstelle wie eben »Lernen vor Ort«.

    Keine leichte Aufgabe: Netzwerkarbeit initiieren und moderieren, öffentlich-private Partnerschaften anregen, informelle Lernorte entdecken und aktivieren, Inhalte mitentwickeln, bürgerschaftliches Engagement wecken und den Blick aufs Ganze behalten. Bildungspartner oder Bildungsbeteiligte, die im eigenen Tagesgeschäft stecken, können das schwerlich zusätzlich leisten.

    Kommunale Kooperation

    Was sich in Leipzig auf Stadtebene entwickelt, gelingt in vielen Kreisen nur durch kommunale Kooperation. Dort, wo die Schülerzahlen zurückgehen und gleich mehrere Schulstandorte zur Disposition stehen, kann es nur gemeinsame Wege geben. Viele sächsische Kommunen haben mit dieser Entwicklung bereits einschneidende Erfahrungen gemacht. Zwischen 1993 und 2010 sind die Schülerzahlen im Freistaat um mehr als die Hälfte gesunken. Die künftige Entwicklung verläuft regional sehr unterschiedlich. Während zum Beispiel der Erzgebirgskreis bis 2030 über ein weiteres Drittel seiner Grundschüler verliert, steigt ihre Zahl in Dresden um 30,5 Prozent an. Entscheidungen, die in diesem Zusammenhang anstehen, sind nicht nur eine Frage der Kosten oder der Entwicklung kommunaler Infrastruktur. Es sind Entscheidungen, die Bildung betreffen – und damit die Zukunft und Zukunftsfähigkeit von Bürgern, Gemeinden und Städten.

    Solange diese Zukunft noch nicht da ist, reguliert der Freistaat Sachsen den Anteil (aus)gebildeter Bürgerinnen und Bürger mitunter auf recht pragmatische Weise. Über die Website www.sachsekommzurueck.de versucht er, verlorenen Schäfchen das heimische Gras wieder schmackhaft zu machen. Mit Broschüren wie »Klugen Köpfen Türen öffnen – Qualifizierte Zuwanderung für Sachsen« wirbt er für mehr Offenheit gegenüber Zuwanderern.

    Diese Offenheit ist durchaus angebracht. Ausbilden, Nachqualifizieren und Weiterbilden stehen zwar ganz oben auf der Dringlichkeitsliste, aber bis Sachsen seinen Fachkräftebedarf in dieser Form aus den eigenen Reihen decken kann, vergehen noch ein paar Jahre. Zuwanderer dagegen sind schnell verfügbar und vor allem gut qualifiziert. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass 43 Prozent der Zuwanderer zwischen 15 und 65 Jahren einen Meister, Hochschul- oder Technikabschluss haben. Bei Deutschen ohne Migrationshintergrund sind es gerade mal 26 Prozent.

    Sag mir, wo die Frauen sind …

    In Bezug auf die heimische Bevölkerung sollte Sachsen ein Augenmerk darauf haben, wer wohin unterwegs ist. Interessant wird es nämlich beim geschlechtsspezifischen Wanderungsverhalten. So sind es mehr junge Frauen als Männer, die aus dem ländlichen Raum in Richtung der urbanen Zentren ziehen – ein Trend, der sich auch in anderen Bundesländern zeigt. Langsam, aber stetig gehen vielen Dörfern die Frauen aus. Eine ähnliche geschlechtsgebundene Entwicklung lässt sich bei Sachsens akademischem Nachwuchs beobachten. Unter den Studierenden, die ihre Zugangsberechtigung für die Hochschule in Sachsen erworben haben, sind es deutlich mehr Frauen als Männer, die zum Studium in andere Bundesländer wechseln. Welche demographischen und wirtschaftlichen Folgen die Abwanderung studierter Frauen für ein Land hat, liegt auf der Hand.

    An welchem Ort sich Menschen oder Unternehmen niederlassen, ist immer eine individuelle Entscheidung, die von mehreren Faktoren abhängt. Lineare Abhängigkeiten gibt es wenige. Für die Bürgerinnen und Bürger unserer Kommunen lässt sich höchstens sagen, dass es in erster Linie familiäre und berufliche Gründe sind, die zu einem Ortswechsel führen. Bei Unternehmen ist die Sache noch etwas komplexer. Zu unterschiedlich sind die Ansprüche einzelner Betriebe und Branchen. Generell gelte aber, dass demographische Unterschiede noch keine wesentlichen Determinanten von unternehmerischen Standortentscheidungen seien, heißt es aus der Forschungsgruppe »Alternde Erwerbsbevölkerung« an der Uni Rostock. Das könne sich allerdings ändern, wenn die Unterschiede zunehmen. Auch der Standortfaktor Bildung fällt damit noch nicht wirklich ins Gewicht. Es ist unwahrscheinlich, dass Unternehmensentscheider schon heute sagen, wir lassen uns in einer Region nieder, weil es dort um die Bildung so gut bestellt ist. Grundstückspreise, Gewerbesteuer und Löhne spielen hier die entscheidendere Rolle. Doch auch das könnte sich irgendwann ändern.

    Demographieprofil Sachsen

    Bevölkerungsentwicklung 2009 bis 2030 in Landkreisen und kreisfreien Städten (in Prozent)

    Mit 136 Pferdestärken unterwegs

    Das oft romantisierte Leben auf dem Dorf wird mehr und mehr zu einem Überleben in der Provinz. Die Einwohner schwinden, und mit ihnen verschwinden auch Postfilialen, Banken, Bäckereien und alteingesessene Lebensmittelläden. Die Nahversorgung im ländlichen Raum ist nicht nur bedroht – sie existiert vielerorts schon gar nicht mehr. Dass es in Gemeinden mit nur wenigen Hundert Menschen überhaupt noch frisches Brot und Waren des täglichen Bedarfs gibt, verdanken sie unter anderem dem mobilen Handel – den sogenannten rollenden Supermärkten.

    Frau Graf winkt aus ihrer Haustür heraus und ruft quer über die Straße. Die vier Stufen hinunter zum Bürgersteig sind heute nicht zu schaffen. Neue Hüfte links, neues Knie rechts. Damit ist an der Treppe Endstation. Die 76-Jährige reicht ihr Portemonnaie über das Geländer, zusammen mit dem Wunsch nach einem Pfund Trauben. Den zu erfüllen, ist Dietmar Meyer extra aus Göttingen ins 20 Kilometer entfernte thüringische Hohengandern (570 Einwohner) gefahren.

    Frau Graf ist nur eine von etwa 100 Kundinnen und Kunden, die Meyer heute mit seinem Verkaufsmobil ansteuert. Und gekauft wird in der Regel auch mehr als ein Pfund Trauben: vom Laib Brot und frischer Milch bis hin zum gemischten Warenkorb für 60 bis 70 Euro. Wo der Supermarkt direkt vor der Haustür hält, wird auch gern zu den Angeboten gegriffen, zum Beispiel griechischer Spargel für 1,79 Euro das Pfund. Dietmar Meyers Arbeitsplatz ist der Verkaufswagen Nr. 6 von »Lemke’s rollendem Supermarkt«, ein Vierzylinder Mercedes-Benz 814 D mit Spezialaufbau. Der 7,5-Tonner hat einen begehbaren Verkaufsraum, 30 Quadratmeter Regalfläche auf fünf Etagen, einen Abrechnungstresen mit Ausziehtisch und ein Speicherkühlregal mit Rollladen. Kurzum: Der Wagen ist ein vollwertiger Supermarkt – nur mit 136 PS.

    Und diese Pferdestärken treiben ihn in Regionen, in die es ansonsten kaum noch jemanden von außerhalb treibt. Orte im thüringischen Landkreis Eichsfeld, mit teils weniger als 200 Einwohnern, Tendenz abnehmend. Hier, am Dreiländereck von Niedersachsen, Hessen und Thüringen, zeigt die Bevölkerungsentwicklung seit der Wende nur noch in eine Richtung: nach unten. Die Einwohnerzahlen im Landkreis sind um 14 Prozent zurückgegangen, so wie im übrigen Bundesland auch. Dass im Freistaat Thüringen heute 350.000 Menschen weniger leben als noch vor 20 Jahren, hat vor allem zwei Gründe: Ein Teil des Rückgangs erklärt sich aus niedrigen Geburtenzahlen und hohen Sterbefällen, ein Teil mit höheren Abwanderungszahlen als Zuwanderungszahlen. Die Daten zur demographischen Entwicklung zeigen, dass sich daran auch nicht viel ändern wird. Im Gegenteil: Nach Vorausberechnungen der Bertelsmann Stiftung verliert Thüringen bis zum Jahr 2030 nochmals fast 344.000 Einwohner.

    Immer weniger Erwerbstätige

    Im Verkaufswagen duftet es nach frischen Brötchen. Nächster Halt ist Kirchgandern, 600 Einwohner. Dietmar Meyer betätigt die Klingel und signalisiert damit, dass 2.300 Artikel nun für zehn Minuten auf ihre Käuferinnen und Käufer warten. Auf dem Gehweg vor der alten Meierei warten Gertrud Wagner mit Rollator und Lisbeth Roth am Gehstock. Über 90 Prozent der Kundschaft sind weiblich und älter als 75 Jahre. Suppenfleisch, Teewurst in der Dose, zwei Kilo neue Kartoffeln und ein Pfund Kaffee sind es heute für Frau Wagner. Frau Roth kauft gleich auch für ihre Nachbarin ein. Die alte Dame sitzt nämlich beim Zahnarzt.

    Meyer wirft einen kurzen Blick auf die Einkaufsliste. Da fehle aber was, klärt er auf. Donnerstags kaufe ihre Nachbarin auch immer ein Hubertusbrot. Hat sie wohl vergessen. Sie war ja so aufgeregt wegen des Zahnarzttermins. Gut, dass Meyer weiß, was seine Kundschaft wünscht. Und wenn jemand mal was Ausgefallenes will, hat er es spätestens beim nächsten Mal mit an Bord. Schließlich kommt Lemke’s rollender Supermarkt dreimal die Woche: dienstags, donnerstags und samstags.

    Dietmar Meyer sieht seine Kunden häufiger, als es deren eigene Kinder oder Enkel tun. Diese leben nämlich in der Regel woanders. Nicht nur in einem anderen Ort, sondern oft auch in einem anderen Bundesland. So wie die Enkeltöchter von Martha Epps aus Lenterode, 308 Einwohner. »Meine Enkelinnen sind Anfang zwanzig. Die haben hier keine Arbeit gefunden. In Eichsfeld nicht und auch nicht anderswo. Jetzt lebt die eine in Hannover und die andere in Bremen«, sagt Frau Epps. Dann gibt es noch die Pendler. Jeder sechste Erwerbstätige im Freistaat verdient sein Geld in einem anderen Bundesland. Das sind 130.000 Menschen. Eine spezielle Landesagentur für Fachkräftegewinnung (THAFF) versucht dieses Potenzial wieder zurückzugewinnen. Doch einfach ist das nicht. Seit der Wiedervereinigung zählt Thüringen zu den Ländern mit dem niedrigsten Lohnniveau.

    Treibt schon der Arbeitsmarkt viele Beschäftigte aus dem Land, tut der demographische Wandel sein Übriges. Bis 2030 wird die Zahl der Erwerbstätigen zwischen 25 und 44 Jahren in ganz Thüringen um fast ein Drittel abnehmen. Die Zahl der über 45-jährigen Erwerbstätigen sinkt um fast ein Viertel. Statistisch werden deshalb im Jahr 2030 etwa 1,4 Beschäftigte für die Rente eines über 65-Jährigen aufkommen müssen.

    Hausgemachte Versorgungslücke

    Lenterode, 308 Einwohner. Dietmar Meyer rangiert seinen 7,5-Tonner rückwärts den Kirchberg hoch. Zwischen Pfarrhaus und Katharinenkirche kommt er zum Stehen, rutscht vom Fahrersitz und klingelt bei Pfarrer Hoffmann. Der ist schon seit Langem pensioniert und wenn Lemke’s rollender Supermarkt vor der Tür hält, auch immer zu Hause. Sollte er mal nicht öffnen, dann stimmt was nicht. Dann ruft Meyer die ehemalige Köchin des Pfarrers in Rustenfelde (508 Einwohner) an, und die schaut dann vorbei. »Bei dem Durchschnittsalter meiner Kunden weiß man ja nie«, sagt Dietmar Meyer. »Wenn da mal einer Zucker hat oder Kreislauf…« Alles schon dagewesen, alles schon passiert.

    Dietmar Meyer versorgt seine Kundschaft mit mehr als nur Frischwaren und Dingen des täglichen Bedarfs. Meyer hört zu, gibt Ratschläge und schenkt Aufmerksamkeit. Das kurze Gespräch zwischen Kühlregal und Haushaltswaren ist Pflicht. Es gehört zum Verkaufs- und Erfolgskonzept des mobilen Handels. Es gehört zum Bedürfnis der Menschen vor Ort. Meyer und seine Kollegen sind die modernen Postillions des 21. Jahrhunderts. Sie kennen Familien- und Dorfgeschichten, berichten davon, was im Nachbarort passiert, und müssen schweigen können, wenn allzu Privates die Seiten des Verkaufstresens wechselt. »Der Erfolg unserer Wagen steht und fällt mit den Fahrern«, sagt Meyer.

    Die Lücke, die die rollenden Supermärkte auf dem Land zu schließen versuchen, ist zum Teil hausgemacht. Viele Bäckereien, Fleischer und Dorfläden mussten schließen, weil der Discounter nach der Arbeit auf dem Weg lag, die Auswahl dort größer und die Preise niedriger waren. Wenn Familien und Berufstätige nur noch auf der grünen Wiese kaufen, geht dem Einzelhandel zu Hause irgendwann die Luft aus. Allein zwischen 2005 und 2010 mussten bundesweit von 11.000 Supermärkten unter 400 Quadratmetern Verkaufsfläche 4.000 Läden schließen. Zwar gibt es vielerorts das Bemühen, Dorfläden nach Tante-Emma-Manier wiederzubeleben. Doch gelingt das häufig nur durch Quersubventionierung, bürgerschaftliches Ehrenamt und gesponserte Räumlichkeiten. In vielen Fällen reichen Kaufkraft und Engagement vor Ort nicht aus, um den Laden über die ersten ein bis zwei Jahre zu bringen.

    Mobile Vielfalt

    Meyer ist auf dem Weg nach Uder, 2.532 Einwohner und das zweitgrößte Dorf im Landkreis Eichsfeld. Obwohl gleich drei Supermärkte um die Einkaufsgunst ihrer Kundschaft buhlen, macht der rollende Supermarkt auch hier Zwischenstopp und Kasse. »Wenn ich Umsatz mache, dann halte ich«, erklärt Dietmar Meyer. »Völlig egal, ob dort ein Supermarkt steht oder nur 60 Menschen leben.« Fahrtrouten und Haltestellen sind flexibel. Expansion ist nur möglich, wenn der Bedarf auch angemeldet wird. »Immer dann, wenn irgendwo auf dem Dorf ein Laden schließt, klingelt bei meinem Chef das Telefon«, sagt Meyer.

    Röhrig, 249 Einwohner. Direkt hinter dem Verkaufsmobil hält ein Postwagen. In einer Hofeinfahrt auf der gegenüberliegenden Seite steht das Fahrzeug eines Pflegedienstes. »Das wird wohl in Zukunft öfter so sein«, sagt Dietmar Meyer und meint damit ein Szenario, das bereits heute befremdet. Wenn für den ländlichen Raum keine gemeinschaftlichen Versorgungskonzepte gefunden werden, geben sich die mobilen Dienste irgendwann die Türklinken ihrer Kunden in die Hand. Dann treffen sich auf den Dörfern die Menübringdienste des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der Johanniter, des Roten Kreuzes, der Caritas, des Arbeiter-Samariter-Bundes mit den Wagen des mobilen Handels, der Post- und Paketdienste sowie zahlloser Pflegeeinrichtungen. Landwirtschaftlicher Verkehr in Zeiten des demographischen Wandels.

    Obwohl er in der Supermarktbranche als Stiefkind abgetan wird, ist der mobile Handel ein Wachstumsmarkt. In nur einer Woche haben allein die 1.800 Verkaufswagen mit Vollsortiment über eine Million Kundenkontakte. Hans-Heinrich Lemke, Firmengründer und Inhaber von »Lemke’s rollendem Supermarkt«, weiß, dass gerade der demographische Wandel Dienstleister wie ihn nötig macht. Und das nicht mehr nur auf dem Land. Als Vorsitzender des Bundesfachverbandes »Mobile Verkaufsstellen« beobachtet er, dass zunehmend auch Stadtrandgebiete unterversorgt sind: »Im Grunde ist das ein Flächenbrand, der zwar nur langsam schwelt, aber sich ständig weiterfrisst. Nun verschwinden auch die Supermärkte an den Stadträndern.«

    Fehlendes politisches Bewusstsein

    Das Problem Nahversorgung wächst. An entscheidenden Stellen wird jedoch zu wenig dagegen getan. Gleich mehrere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Nahversorgung als politisches Handlungsfeld vernachlässigt und besonders auf Bundesebene zu wenig wahrgenommen wird. Bestes Beispiel dafür ist der Leitfaden »Regionalstrategie Daseinsvorsorge« des Bundesverkehrsministeriums aus dem Jahr 2011. Mit »Denkanstößen« will er zu einer »ausgewogenen räumlichen Entwicklung in Deutschland« beitragen. Dringlicher Handlungsbedarf drückt sich anders aus.

    Und oft fehlt die Vorstellungskraft für die Dimension des Ganzen. Es mögen zwar in vielen Orten auf dem Land nur wenige Hundert Menschen wohnen: Im gesamten ländlichen Raum leben oder arbeiten aber 40 Prozent der Deutschen. Wir sind das Land! Das gilt für Millionen von Bundesbürgern. Sie haben einen Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe und werden sicher nicht zusehen wollen, wie die im Grundgesetz verankerte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zunehmend in Schieflage kommt.

    Demographieprofil Thüringen

    Bevölkerungsentwicklung 2009 bis 2030 in Landkreisen und kreisfreien Städten (in Prozent)

    Das Dorf in der Stadt

    Bayern wächst. Sieht man einmal von den Stadtstaaten ab, so ist Bayern das einzige Bundesland, dessen Bevölkerung bis zum Jahr 2030 zunimmt. Etwa 0,8 Prozent Zuwachs sind es – das entspricht mit rund 104.000 Menschen immerhin ungefähr der Einwohnerzahl Erlangens. Der Wunsch vieler Verantwortlicher in den Kommunen nach steigenden Bevölkerungszahlen ist in Zeiten des demographischen Wandels verständlich – aber oft nicht sehr realistisch. Mehr als die Hälfte aller Landkreise und kreisfreien Städte Bayerns werden in den nächsten Jahren Einwohner verlieren.

    Im Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge wird das besonders deutlich. Dort verschwindet bis 2030 fast jeder fünfte Einwohner. Die Stadt München dagegen legt zu und wird noch vor 2025 die 1,5-Millionen-Einwohner-Grenze überschreiten. Die Unterschiede sind groß. Da stellt sich die Frage: Wie sieht die Zukunft der Menschen in den verschiedenen Regionen aus – auf dem Land, im Dunstkreis urbaner Zentren oder mitten in der Stadt? Wie leben und wohnen wir zusammen, wenn im Allgäu die Menschen immer älter und weniger werden, große Städte wie München dagegen aus allen Nähten platzen?

    Der demographische Wandel sorgt dafür, dass wir uns neu einrichten müssen. Kommunen – und auch die Bürgerinnen und Bürger, die dort leben – müssen Wege finden, wie sich ihr Dasein sozial, generationengerecht, nachhaltig und lebenswert gestalten lässt. Dafür gibt es weder eine universelle Strategie noch den Königsweg. Generationengerechtes Wohnen auf dem Land hängt allerdings von den gleichen Faktoren ab wie generationengerechtes Wohnen in der Stadt. Soziales Miteinander im Dorf funktioniert nach den gleichen Prinzipien wie soziales Miteinander im städtischen Quartier. Der gemeinsame Nenner in allen Regionen heißt Mensch. Wie sich vor diesem Hintergrund nicht nur Zukunft, sondern auch Leben heute schon aktiv gestalten lässt, zeigt das Beispiel des Nachbarschaftsquartiers Ackermannbogen in München.

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