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Spectators Story Suicide Letters: Geschichte, Geschichten und Gedichte sowie Briefe 1998 bis 1999 der Spectators of Suicide / Band II/4
Spectators Story Suicide Letters: Geschichte, Geschichten und Gedichte sowie Briefe 1998 bis 1999 der Spectators of Suicide / Band II/4
Spectators Story Suicide Letters: Geschichte, Geschichten und Gedichte sowie Briefe 1998 bis 1999 der Spectators of Suicide / Band II/4
eBook375 Seiten4 Stunden

Spectators Story Suicide Letters: Geschichte, Geschichten und Gedichte sowie Briefe 1998 bis 1999 der Spectators of Suicide / Band II/4

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Über dieses E-Book

Die Band Spectators of Suicide entstand Mitte der 80er Jahre aus Mitgliedern der Gruppen "Marx-Lovers" und "Null?Nie!Wo?". Das vorliegende Werk ist nicht nur Zeugnis der Geschichte dieser Ausnahme-Band, sondern auch der Gedanken einer in der DDR erzogenen Generation zu Macht, Politik und den Umwälzungen in der Welt der digitalen Medien zur Zeit der Jahrtausendwende.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum23. Okt. 2015
ISBN9783739293318
Spectators Story Suicide Letters: Geschichte, Geschichten und Gedichte sowie Briefe 1998 bis 1999 der Spectators of Suicide / Band II/4

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    Buchvorschau

    Spectators Story Suicide Letters - Books on Demand

    Inhaltsverzeichnis

    Editorische Notiz

    Der Herausgeber

    Erster Teil: T

    Zweiter Teil: B

    Dritter Teil: Brazil

    Gedichte

    Die Nektarine im Pfirsichspelz

    Sommer

    Briefe 1998 bis 1999

    Editorische Notiz

    Der Briefwechsel zwischen den Musikern W und D wird hier unverändert wiedergegeben. Tippfehler und sonstige Irrungen wurden bewusst nicht korrigiert, um die Texte in ihrer Einzigartigkeit nicht zu verfälschen.

    Der Herausgeber

    Estevão Ribeiro do Espinho wurde 1973 in Rathenow geboren. Weil er es von jeher liebt, einsam seinen Blick über weite Landschaften schweifen zu lassen, wollte er immer schon Lokomotivführer werden. Dieser Berufswunsch wurde ab einem gewissen Alter von seinem Umfeld nicht mehr ernstgenommen. Notgedrungen promovierte er zum Dr. phil und veröffentlicht nun Texte.

    Erster Teil: T

    K, W und D saßen vor ihrer frisch angemieteten Probe-Garage um den Grill herum, der ihnen gerade ihr Abendessen geliefert hatte. Es wurde langsam frisch, denn es war Mitte Oktober und die Klimaerwärmung noch nicht so fortgeschritten wie heutzutage. Das Licht und die weithin ausstrahlende Wärme der Glut lockten allerlei Insekten an.

    D legte einige Äste in den Grill und schüttete etwas Benzin aus einem Kanister dazu, den der Vormieter der Garage hier zurückgelassen hatte. So entstand ein gemütliches Lagerfeuer. Motten, Käfer und anderes Getier zogen ihre Kreise und stürzten sich letztlich in die Flammen, wo sie knisternd verglühten, noch bevor der Winter ihnen den Garaus machen konnte. Wisst ihr eigentlich, wie wir hier sitzen?, fragte K. Der Bandname, nach dem sie seit ein paar Tagen suchten, war gefunden.

    Als W in Mülheim an der Ruhr erkrankte, öffnete er versehentlich den Doppelboden seines Koffers. Seit Jahren hatte er keinen Blick mehr hineingeworfen, die Zeit der illegalen Geschäfte lag lang zurück. Sein neues Standbein als freiberuflicher Amputeur entwickelte sich mit jeder Gesundheitsreform zu einer tieferen Goldgrube. So konnte W sich nun diesen kleinen Urlaub in Mülheim leisten.

    Einst wurde in dem Koffer indiziertes Musikmaterial durch die düstere Welt des Telekommunikationsmonopols geschmuggelt. K, D & W waren oft gerührt beim Anblick der dankbaren Augen der wenigen Menschen, denen sie ein Exemplar davon überreichen konnten. Dann ging ihnen jemand an die Börse und das Geschäft zerbrach... Kurz gesagt: Der Koffer war nicht leer, einige Kassetten waren in die Ritzen gerutscht und wurden nun nach Jahren wiederentdeckt.

    D's Anlage besaß noch ein Deck zur Wiedergabe von Bandmaterial, das wusste W. Ein letzter Spaziergang an den Ufern der Ruhr, von diesem Wasser würde er nie mehr trinken. Ihm ging's besser, also zurück nach Berlin. Er besuchte D, legte sie ein und drückte auf die Pfeiltaste. In der Kassette mit der Aufschrift ORWO AUDIO Cr Extra II_HiFi setzte sich das Band in Bewegung.

    Die ersten Töne erklangen. Das waren sie! D und W probierten alle vier Kassetten durch, viermal Spectators of Suicide. Mit ihrem NEWREVOLUTIONARY-BASTARD-DEATH-ART-SOUND schrieben sie Geschichte und kreierten eine Musikrichtung, der keine damalige wie heutige Beatcombo gewachsen war.

    15. November 1991: Nein, R hatte die Schnauze voll, er wollte nicht mehr, keine Radumdrehung, es ging nicht mehr weiter. Was blieb ihnen also an diesem Abend nach dem Genuss von The Fate, The Tone Dogs, Die Art & Sandow anderes übrig, als die restliche Nacht im Auto am Stadtrand von Brandenburg zu verbringen? Eine weise Entscheidung! Piep - technische Versuchssendung auf dem Sender der T... ertönte aus dem Radio.

    T... wurde geboren. Das zentrale Werk der Spectators of Suicide, ein musikalisches Manifest, seiner Zeit weit voraus, für das neue Jahrtausend geschaffen. Lange haben die Spectators diese Songs unter Verschluss gehalten. In eurem Gedächtnis sollten sie leben und nur dort. Jetzt werden die Schatztruhen geöffnet.

    Wir schreiben den 7. Mai 1992, den ersten Tag der legendären Bikerclub-Tour der Spectators of Suicide. Die Bandmitglieder K, W und D wachen am späten Vormittag in ihrer Probegarage auf, die sie in letzter Zeit auch immer häufiger zum Übernachten benutzen. Die Nacht war kalt und der Betonboden, auf dem sie ihre Schlafsäcke ausgebreitet hatten ist hart. Die Stimmung könnte besser sein.

    E kommt vorbei und will sie vor ihrem ersten Auftritt etwas aufmuntern. D muss das Auto, mit dem sie zum Auftritt aufbrechen werden, von einem Bekannten holen, einen weißen Trabant 601 mit lindgrünem Dach. K und W sind genervt von den frühmorgendlichen Aufmunterungsversuchen E's und gehen spontan mit, angeblich weil sie unterwegs noch Kippen holen wollen. Als sie zurück zur Garage kommen, sehen sie, wie E gerade mit einer Sprühdose ihr Schlagzeug bearbeitet. So konntet ihr einfach nicht auf Tour gehen, ruft er, als er in die entsetzten Gesichter der Spectators sieht.

    E bearbeitet weiter fröhlich das Schlagzeug der Spectators und der goldene Siebzigerjahreglitter der Trommeln verschwindet unter schwarzer Sprühfarbe. Sie hatten die Schießbude einer abgewrackten Schlagercombo abgekauft und sie klang genauso dumpf, wie sie es haben wollten. Jetzt laden sie die klebrigen Trommeln in den Trabant, nur die Ständer passen in den Kofferraum, der Rest muss auf die Rückbank, auf der K mitfährt und ganz high wird von den Lösungsmitteldämpfen. Sie macht sich ein Bier auf, um das Gift aus ihrem Körper zu spülen.

    Die Tour beginnt in Rathenow Nord. Dort gibt es einen Bikerclub, der Sound’s heißt und dessen Obermacker die Tourkontakte vermittelt hatte. Er ist ein bärtiger Typ, etwa Zweimeterzehn groß und spricht wie ein Jugendlicher, obwohl er sicher über Vierzig ist. Die Spectators gehen erst mal an die Bar, bevor sie ihren Kram aufbauen.

    Soundcheck. W schließt seinen Bass an, spielt drei Töne und ist zufrieden. D fummelt noch eine Weile am Effektgerät seiner Gitarre herum, ist nicht zufrieden, geht aber trotzdem zurück an die Bar. K stellt wütend fest, dass sie in der Hektik um das frischgestrichene Schlagzeug vergessen hatten, die Fußmaschine mitzunehmen. Der Raum füllt sich langsam mit schmerbäuchigen älteren Herren, die versuchen böse auszusehen.

    Der Obermacker gibt Zeichen, dass die Show beginnen solle, aber die Spectators haben Zeit. Gegenüber des Clubs befindet sich eine russische Kaserne. Die Mauer ist weiß gestrichen und einige Soldaten fegen mit Reisigbesen den Bürgersteig. Der Truppenabzug wird zwangsläufig kommen. Bald werden sie ihre Uniformen und Ausrüstung für ein paar Flaschen Wodka verhökern, für Bares auch die Waffen. Auch die Spectators werden zuschlagen.

    K wird unruhig wegen der fehlenden Fußmaschine und will Gras rauchen, aber W und D haben Angst, dass sie dann einpennt und nehmen ihr die Tüte aus der Hand, worauf sie noch wütender verschwindet und die beiden gemütlich aufrauchen können. Als K nach einer Stunde noch nicht wieder da ist, wird das Publikum langsam unruhig. W und D beginnen einfach zu spielen. Der Club besteht aus einer aus großen Spanplatten zusammengenagelten Hütte, die bei jedem von W's Bassanschlägen mitvibrieren.

    Ihm gefällt das und er sucht die richtige Frequenz, um die Vibration so groß wie möglich werden zu lassen. Dazu singt und brüllt er Versuchssender der T… ins Mikrofon. D schrammelt dazu auf der Gitarre und unterbricht seine Akkorde immer wieder durch schrille hohe Töne, um die biersaufenden Biker aufzuschrecken. Die ersten der Biker verlassen den Raum, als K wieder hereinkommt, sich ans Schlagzeug setzt und drauflostrommelt.

    Wegen der fehlenden Fußmaschine tritt K einfach mit der Stahlkappe ihrer grünen Doc-Martens-Stiefel gegen das Fell der Basstrommel, bis es reißt und ihr Bein stecken bleibt. Sie zieht es heraus steht auf und trommelt sich mit den Sticks in Ekstase. Der Obermacker kommt auf die Bühne aus Gabestaplerpaletten, drückt D die Gage in die Hand und will die Band einfach durch die Hintertür hinausschieben. Zum Weiterspielen hatten sie ohnehin keine Lust mehr, das ist ihnen egal, Hauptsache die Kohle ist da.

    Aber es war abgemacht, dass sie sich ohne zu bezahlen am Buffet bedienen konnten und das Freibier fließen würde. Darauf wollen sie nicht verzichten. Sie kommen durch den Haupteingang wieder rein und stellen sich an die Bar, nachdem sie sich ihre Teller mit dem klumpigen Nudelsalat vollgeladen hatten. Das Zeug schmeckt so widerlich, dass D unter die Theke kotzen muss, weil er es sowieso nicht mehr zum Klo geschafft hätte, das sich hinten auf dem Hof befand.

    Wahrscheinlich hatte der Obermacker den Scheißfraß selbst zusammengerührt. Frauen schienen diese Biker nicht zu haben, denn es war kein weibliches Wesen zu sehen, obwohl diese normalerweise eigentlich bei solchen Partys dabeiwaren, auch wenn sie sich im Hintergrund zu halten hatten. Es wird unruhig im Raum, Rangeleien entstehen, wieder versucht man die Spectators herauszudrängen.

    D verliert den Boden unter den Füßen, der Obermacker hat ihn hochgehoben und ihn sich auf den Rücken geworfen, kurz danach schmeißt er ihn in das verwahrloste Blumenbeet vor der Hütte, das noch aus der Zeit stammt, als sich hier ein Getränkestützpunkt befand. Den beiden anderen geht es genauso und sie werfen noch ein paar Scheiben des Sound’s ein, als sie mit ihrem Trabant davonfahren. D sitzt am Steuer und hat das Gefühl, die Biker würden sie verfolgen. Er hat schon einige Bier getrunken und den Orientierungssinn verloren.

    Er biegt in eine Seitenstraße ein und sie landen in einem bereits geräumten Teil der russischen Kaserne. Dort gibt es kein Licht, es ist inzwischen dunkel und D hat vergessen, die Scheinwerfer einzuschalten. Als er nach dem Schalter sucht, fahren sie gegen eine Mauer, deren oberer Teil abfällt und die Motorhaube des Plastikautos unter sich begräbt. Als sie entfernte Stimmen in russischer Sprache hören, flüchten sie zu Fuß in ein gegenüberliegendes Waldstück, wo sie in einer Mulde ein paar Stunden geräuschlos liegen bleiben. Sie brauchen neue Instrumente und ein Auto. Morgen stehen die Hells Angels auf dem Programm.

    Marina war immer wie eine Mutter für die Spectators. Wenn die drei im Bei Marina auftauchten, drückte sie sie alle gleichzeitig so fest an ihren riesigen Busen, dass ihnen fast die Luft wegblieb. Sie tranken hier fast jeden Abend das billige Flaschenbier und wenn der Geldbeutel es hergab, bestellten sie Bauernfrühstück und Marina schlug zwei Dutzend Eier zu dem braungebratenen Speck in die Pfanne, quirlte Kartoffeln darunter und servierte es ohne Umzufüllen auf dem Ecktisch, an dem die Spectators immer saßen.

    Oft verbrannten sie sich die Hände am heißen Pfannenrand und nahmen das zum Anlass, am nächsten Tag nicht zu proben und gleich nachmittags wieder bei Marina einzukehren. Außer den Spectators besuchten meist nur Erwin und Adolf die Lokalität, beide etwa sechzig Jahre alt und schwere Alkoholiker. Jeden Tag schütteten sie mengenweise Schnaps zum Bier hinunter, Adolf immer Klaren, Erwin den Braunen, eine Art Weinbrand billigster Kategorie.

    Zuerst tranken Adolf und Erwin immer voll konzentriert und ohne etwas zu sagen, aber wenn sie den nötigen Alkoholpegel erreicht hatten, fingen sie an, sich gegenseitig herunterzumachen. So wie sie da saßen, mit ihren unter der Tischkante eingeklemmten Bierbäuchen, inspirierten sie die Spectators zu einer ganzen Reihe neuer Songs. Eines Tages kamen die Bandmitglieder auf die Idee, zu Marinas Geburtstag ein Überraschungskonzert in ihrer Kneipe zu geben. Es sollte eine Veranstaltung im kleinen Kreis werden, aber am Tag zuvor erzählten sie es doch irgendwo herum und es tauchten etliche der berüchtigten Spectators-Fans in der Kneipe auf.

    Marina freute sich zunächst über den unerwarteten Umsatz. Die Spectators wollten gerade zu spielen beginnen, nachdem sie eine mit Kunstblut gefüllte Geburtstagstorte mittels Feuerwerkskörpern in die Luft gesprengt hatten, als Erwin und Adolf sich mit einigen der neuen Gäste anzulegen begannen. Marina war noch dermaßen von der Idee mit der Torte gerührt, dass sie gar nichts davon mitbekam.

    Bald trudelte auch schon Adolf mit seinen 180 Kilo Lebendgewicht auf die Theke zu und riss sie aus der Verankerung. Das Fassbier sprudelte aus den abgerissenen Leitungen und einige Vandalen hingen sich sofort mit dem Mund daran, bis ihnen der Schaum aus Nase und Ohren spritzte. Die Spectators spielten einfach weiter, um die Situation nicht unnötig eskalieren zu lassen, aber es war zu spät.

    Erwin wurde bereits herumgeschubst und zerstörte bei jedem Anecken ein weiteres Stück des fragilen Inventars. Marina warf einen nach dem anderen der Unruhestifter hinaus, aber sie konnte es nicht mehr verhindern. Der Laden war total im Eimer. Die Spectators packten lieber schnell ihre Sachen zusammen und gingen noch woanders was trinken. Aber so schön wie im Bei Marina wurde es nie wieder.

    Spectators-Winter-Cocktail

    Zutaten:

    40 ml Himbeergeist

    3 Esslöffel Waldhonig

    60 ml Schwarzer Johannisbeersaft

    Zubereitung:

    1. Gießen Sie den Johannisbeersaft in einen Wasserkocher und schalten Sie ein.

    2. Vermischen Sie den Himbeergeist in einem Trinkglas mit dem Waldhonig.

    3. Geben Sie den nicht mehr kochenden Johannisbeersaft hinzu.

    Tipps:

    Im Sommer einfach den Waldhonig durch braunen Zucker ersetzen!

    Verwenden Sie nur Wasserkocher, die mindestens ein Jahr lang nicht entkalkt worden sind! Die in den Johannisbeersaft übergehenden Kalkmoleküle stellen eine wichtige Geschmackskomponente dar.

    Der Spectators-Winter-Cocktail entstand in der Frühphase der Band Spectators of Suicide, deren Mitglieder damals häufig in kreativen Phasen in ihrem Proberaum übernachteten, der nicht beheizbar war. Wie alle genial einfachen Ideen entstand auch dieser Cocktail aus einer Notlage heraus, da es kalt war und einfach keine außer den oben genannten Zutaten für ein Heißgetränk im Proberaum vorhanden waren.

    Später schenkte die Band den Cocktail auch bei Ihren Konzerten aus (einfach die im Rezept genannten Mengenangaben mit einer beliebigen Potenz von 10 multiplizieren). Besonders in der Gothik-Szene wurde er zum Kultgetränk und auch von einer Cateringfirma angeboten, die ihn aufgrund seiner dunklen Farbe Black Shadow nannte. Für uns wird er immer der Spectators-Cocktail bleiben.

    Zweiter Teil: B

    Der Song SCHÄDELKNOCHEN stellt eine philosophisch-musikalische Interpretation des Verhältnisses von Können und Macht dar. Die Entstehungsgeschichte ist schnell erzählt: Während der 96er Tour liegen die drei Spectators in einem ihrer Hotelzimmer auf dem Doppelbett. Sie haben alle ein eigenes Zimmer, bevorzugen es aber, die Nachmittage gemeinsam zu verbringen, um die Zeit totzuschlagen, von der sie auf ihren Touren viel zu viel haben.

    Die Vorbereitungen überlassen sie vollkommen ihrem Tourmanagement. Meist erscheinen sie nicht einmal zum Soundcheck. Sie wollen ihre Musik nicht zu stark professionalisieren, wo wir auch schon wieder beim Thema wären. Im Fernsehen läuft eine Dokumentation, in der ein Forscherteam berichtet, wie bei der Untersuchung altägyptischer Mumien festgestellt wurde, dass man bereits 2000 vor dem Beginn der sogenannten christlichen Zeitrechnung am Nil in der Lage war, Gehirntumore zu entfernen, indem man zunächst ein faustgroßes Loch in die Schädeldecke des Patienten schabte.

    Durch das Loch schnitt man den Krebs heraus und nähte wieder zu. Dabei wurden die betroffenen Stellen zunächst nur mit der Haut bedeckt, was aber wahrscheinlich zu Unannehmlichkeiten beim Patienten führte, weshalb man später Metallplatten zum Schutz der verbliebenen Gehirnmasse einsetzte. Diese technische Schilderung, die auch mit Bildern von Medizinmännern afrikanischer Völker unterlegt wurde, die diese Techniken immer noch anwenden, löste bei den Spectators tiefe Abscheu aus.

    Der Ekel war aber nicht vom Anblick wabbeliger Gehirnmasse ausgelöst worden, sondern von der entstehenden Abhängigkeitssituation, die eine solche Operation unweigerlich schuf. Eine heiße Diskussion entbrannte, die schließlich im Song SCHÄDELKNOCHEN lyrisch und musikalisch auf den Punkt gebracht und bereits beim abendlichen Konzert das erste Mal aufgeführt wurde. Mit der Schulweisheit, dass Wissen und Können von den Pharaonen zur Machtausübung benutzt wurden, hielten sich die Spectators nicht lange auf.

    Nicht umsonst hatten Macht und Können im lateinischen den selben Wortstamm: Potenz war es, die alles lenkte. War es in der Steinzeit körperliche Potenz gewesen, die die Machtstrukturen bestimmte, so war es nun zunehmend geistige Potenz, aber auch darauf aufbauend angeeignetes Wissen und Können. Ihre geistig-künstlerische Potenz konnten die Spectators nicht verleugnen, auch wenn sie sie nie in den Vordergrund stellten.

    Ihr Können musste aber als Konsequenz dieser Erkenntnisse in engen Grenzen gehalten werden, wollten sie nicht von den Verlockungen der Macht korrumpiert werden, weshalb sie auch nie im klassischen Sinne probten. Eigentlich komponierten sie nur ständig neue Stücke. Musik war dabei für sie wie Sex, es musste ein bisschen wehtun.

    Der Titel I FALL DOWN wendet sich mithilfe von surrealen Visionsbildern gegen die weit verbreitete pseudo-objektive Auffassung, die uns bekannten Dinge seien ein Komplex von Sinnesempfindungen. Schließlich würde dies logisch und syntaktisch erweitert bedeuten, dass jeder Satz, der eine Dingbezeichnung enthält, den gleichen Gehalt hätte wie eine Klasse von Sätzen, in denen keine Dingbezeichnungen, sondern Bezeichnungen von Sinnesempfindungen vorkommen. Solche überholten vulgärpsychologischen Vorstellungen werden deshalb vom Text dieses und denen vieler anderer Spectators-Songs ad absurdum geführt.

    Am 04. Juli 1993 gaben die Spectators Of Suicide einen ihrer raren Medienauftritte. Sie erklärten sich bereit, eine Session für den Hallenser Piratensender Friedenstaube zu spielen. Dieser Radiosender, der zu Ehren der Spectators meist auf der Frequenz 101,3 MHz ausstrahlte, wurde von SAtA(n) einem alten Freund und treuen Fan der Künstler geleitet. SAtA(n) hatte es sich zur Aufgabe gemacht, einen starken marxistischen Jugendverband in der Stadt zu etablieren.

    Die Spectators wollte er als Zugpferd. K, D & W stimmten dem Auftritt nach kurzer Diskussion zu. Sie versprachen sich ein neues Gegengewicht zu den aktuellen Machthabern, eine neue Machtkonzentration die als weitere Kraft mit den existierenden Mächten konkurriert, somit das System destabilisiert und letztlich durch den entsprechenden Anstoß zum Einsturz bringt, gleich dem Kampf des Black Shadow mit unseren Gehirnen.

    Der Piratensender war in einem alten azurblauen Barkas untergebracht, der ständig in der Hallenser Innenstadt unterwegs war, um den Fahndern die Peilung zu erschweren. Eine wirkliche Verfolgung gab es jedoch zu jener Zeit gar nicht, die Hallorenpolizei war noch zu sehr mit den Umstrukturierungen der Wende beschäftigt und bekämpfte sich selbst. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, dachte sich SAtA(n). Die Spectators mussten um Punkt 13 Uhr aus dem Hausaufgang der Triftstraße 4 rennen.

    Der Barkas fuhr in diesem Moment mit verlangsamter Geschwindigkeit vorbei, die Seitentür sprang auf und die Spectators hinein. Die Tür wurde sofort wieder zugeschlagen, das kostete der langen blonden Mähne von D einige Haare. SAtA(n) fuhr das Fahrzeug in den Weinbergweg. In der Schwemme warteten bereits die Mitglieder des MJV Ortsgruppe H/Saale auf den Beginn ihrer ersten gemeinsam organisierten geschlossenen Kulturveranstaltung. Höhepunkt des Nachmittags waren die Spectators Of Suicide.

    Die drei Spectators mischten sich unter die Delegierten und sahen sich das Programm bis zu ihrem Auftritt an. Am interessantesten waren hier noch die mehrstimmig gesungenen Kapitalauszüge der Gruppe Amboss & Lineal. Um 16 Uhr waren die Spectators an der Reihe. Auf der Fahrt nach H entschieden sie, NICOTINE STAIN aufzuführen. Außerdem schrieben die Spectators im Zug noch das neue Stück LEAVE THE SUNNY SIDE. SAtA(n) schnitt die Stücke für Friedenstaube mit und war sehr gerührt als die Spectators ihren nagelneuen Song seinem Geburtstag widmeten.

    Als K, D & W sich anschließend das Band anhörten, mussten sie leider feststellen, dass die Aufnahmen übersteuert waren. Wut stieg in ihnen hoch und die Veranstaltung drohte zerstörerisch zu enden. SAtA(n) konnte die Gemüter mit dem Hinweis auf in der Triftstraße eingelagerten Himbeergeist, Schwarzen Johannisbeersaft und braunen Zucker noch einmal beruhigen. Auch T wurde noch gesungen.

    Wir schrieben das Jahr 2000. Die Spectators waren frustriert und verärgert, sie konnten sich nur schwer an die neue Jahreszahl gewöhnen und der Weltuntergang hatte ohne sie stattgefunden. Ihr Manager R hatte alle Hände voll zu tun, sie bei Laune zu halten, da kam ihm eine großartige Idee. Er schlug den Spectators vor sich in Vorbereitung auf die Produktion ihres neuen Albums vierzehn Tage lang völlig von der Außenwelt abzuschneiden und in den Sumpfgebieten vom Wolzensee zu zelten.

    In der Biographie der Spectators Of Suicide gilt diese Zeit als das Schwarze Loch. Niemand von ihnen hat bis heute auch nur ein Wort über diese vierzehn Tage verloren. Sicher ist, dass sie sich verändert hatten. Noch am Tag ihrer Rückkehr in die Zivilisation gaben K, D & W unter großer Anteilnahme die Auflösung der Spectators Of Suicide zum 31. 12. 2000 bekannt. Anschließend begannen sie die Albumproduktion. Akustische Fassungen einiger Spectators-Hits sollten aufgenommen werden.

    Die Spectators hatten immer ein Faible für die Wandergitarre. Ungewöhnlich bei der Produktion des neuen Albums war schon die Tatsache, dass die Spectators zwei Tage (29. & 30. 08.) zur Fertigstellung einplanten. Derart lange hatten sie sich noch nie in einem Studio aufgehalten. Die folgende Akustikfassung des Songs I FALL DOWN zeigt den totalen Persönlichkeitswandel der Spectators auf. Aalglatt und extrem lässig kamen sie plötzlich daher. Nun war für die Spectators eine ständige Veränderung ihres Sounds durchaus normal, ihre überraschenden Stilmittel machten einen Großteil ihrer Bekanntheit aus. In einem Punkt blieben sie sich jedoch treu, das Album SPECTATORS OF SUICIDE NAKED wurde nie veröffentlicht. Lediglich ein paar Kopien wurden an gute Freunde weitergeleitet.

    Die Spectators spielten in Berlin, der Metropole, in die sie früher immer zu den Konzerten ihrer Idole gereist waren. Jetzt waren sie für die wendegeschädigten DDR-Jugendlichen selbst zu Idolen geworden. Die tauschten die Spectators-Kassetten, die sie heimlich bei ihren Konzerten aufgenommen hatten und tranken den Black Shadow.

    Ein Freund der Spectators hatte gerade seine Lehre als Hotelfachwirt im Interhotel Neptun abgebrochen, nachdem er in seiner Stasi-Akte lesen musste, dass er offensichtlich der einzige Angestellte dieses Hotels gewesen war, der nicht zugleich für diesen Verein arbeitete. Auch ihm hatte man seinerzeit eine Verpflichtungserklärung angetragen, er hatte sich ein paar Tage Bedenkzeit ausgebeten und allen seinen Freunden von dem Angebot erzählt. Seitdem hatte der nette Offizier nie mehr von sich hören lassen.

    Jedenfalls bot der Freund nun den Spectators an, ihre Tour zu begleiten und dabei den Black Shadow auszuschenken, den er zwar als gelernter Barkeeper ekelhaft fände, aber warum sollte man nicht ein bisschen Geld damit verdienen? Gleich beim ersten Konzert war die Nachfrage so groß, dass der Himbeergeist ausging, weshalb die leeren Flaschen einfach mit Brennspiritus und Wasser aufgefüllt wurden. Keiner merkte etwas.

    Ein total besoffener Spectators-Fan stand an der Theke und bei der letzten Silbe seiner Bestellung – natürlich ein Black Shadow - kotzte er dem Freund der Spectators quer über den Tresen eine stinkende schwarze Suppe auf das T-Shirt. Der Freund sprang darauf über die Theke und schleifte den Besoffenen unter den Armen gepackt zum Ausgang. Dabei rief er immer wieder: Typ, Du kotzt mich an!. Bei den Spectators, die diese Szene von der Bühne aus beobachteten, sorgte das für große Belustigung und spontan improvisierten sie den Song Black Shadow.

    Ihren letzten Bandtag zelebrierten die Spectators mit einem Konzert auf der zentralen Ampelkreuzung ihrer Heimatstadt Rathenow. Die Stadt stellte ihnen als viel zu späte Anerkennung und Entschuldigung eine Rundbühne in der Mitte der Kreuzung zur Verfügung. Die Show startete um 18 Uhr, sie mussten sichergehen, vor Mitternacht zu verschwinden. Auf der über die Bühne gespannten Leinwand erstrahlten chronologisch geordnete Fotos der SOS-Ära.

    Die Spectators landeten inmitten der Fans und boxten sich zu ihren Instrumenten durch. Sie begannen den Abend mit AUS, während die Fotos auf der Leinwand verbrannten. Es folgten fünf Stunden Show mit spektakulären Tanzeinlagen. Nachdem mit T die letzte Zugabe beendet war, betrat R mit einer selbstgefertigten Kanone die Bühne. Er begann mit monotonem Schritt am Rand der Bühne entlang zu laufen. Mit der eigens für diesen Anlass konstruierten Waffe schoss er CDs ins Publikum. Die Tonträger mit der Aufschrift SPECTATORS OF SUICIDE - DIE STILLE RILLE gelten als erstes und letztes Spectators-Album.

    Die Spectators erfüllten sich damit den lang gehegten Wunsch, ihr Debüt-Album noch einmal als CD mit absoluter Stille zu veröffentlichen. Das einzige Stück dieses Albums DIE STILLE RILLE ist mit 79 Minuten und 23 Sekunden der längste Spectators-Song überhaupt, abgesehen von den Improvisationen anderer Stücke, die sich auf den Konzerten der Spectators schon einmal über mehr als zwei Stunden hinziehen konnten. Während R also das tobende Publikum mit nagelneuem Material verwöhnte, zogen die Spectators lange Leitern unter der Bühne hervor und begannen den Mast zu erklimmen.

    Nach und nach hängten sie dort alle ihre Instrumente an den Nagel. Die Spectators wurden ausgeflogen, das war’s. Jetzt brachen alle Dämme. Die Fans stürmten die Bühne und versuchten Teile der Instrumente zu erhaschen. R brachte sich in Sicherheit und ein riesiger Tumult brach aus. Läden wueden geplündert. Die Ordnungshüter griffen hart durch. In die Geschichte ging dieser Tag als Rathenower Silvesteraufstand ein.

    Den Spectators wurde unterstellt, sie hätten die Massen aufgewiegelt und versucht, die Stadt im Chaos zu versenken. Ein Untersuchungsausschuss stellte schnell die Unschuld der Musiker fest, das Ergebnis wurde der Öffentlichkeit allerdings vorenthalten. Die Stadt nutzte die Krawalle, um den geplanten Eintrag der drei ins Goldene Buch abzusagen. Bis heute wurden die Spectators nicht rehabilitiert und legen wohl auch keinen Wert darauf. Was aus den Mitgliedern der Band nach 2000 wurde, darüber ist wenig bekannt.

    Sicher ist nur, dass sie ihre 1996 in São Paulo gemeinsam gegründete Sambaschule noch bis 2004 weiter betrieben. Auf ihrer Brasilientour 1995 war ihnen aufgefallen, dass viele Brasilianer die zum Tanzen auf die Spectators-Stücke notwendige Hüftspannung vermissen ließen. K, D und W leiteten deshalb persönlich die entsprechenden Kurse. Sie machten aber immer deutlich, dass es sich bei der Schule nicht um ein Kunstprojekt handelte und sie somit nichts mit den Spectators Of Suicide zu tun hatte.

    Dritter Teil: Brazil

    Die Angebote kamen ungebeten. R hatte zentnerweise daumendicke Verträge für die Spectators durchgeackert und sagte nur: Alles Scheiße. Punkt. Und normalerweise war er ein ziemlich gesprächiger Zeitgenosse, eine regelrechte Quasselstrippe, wenn man es genau nahm. Die Spectators hatten ohnehin keinen Bock, sich der Musikindustrie anzubiedern, die sie knebeln, mit einigen Almosen abspeisen und sie letztlich zertreten würde wie einen räudigen Feuerkäfer.

    Immer hatten sie ihre Musik verschenkt, umsonst Konzerte gegeben und ihre Tapes zum Leerkassettenpreis weiterverkauft. Warum sollten sie es mit ihrer neuen DVD anders machen? Schnell ließen sie in Mazedonien die Spectators-Story auf importierte Markenrohlinge pressen und von 0001 bis 5101

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