Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

AGUA: Kriminalroman
AGUA: Kriminalroman
AGUA: Kriminalroman
eBook399 Seiten5 Stunden

AGUA: Kriminalroman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Zwei vollständig unterschiedliche Länder, zwei verschiedene Personen, ein Schicksal, das sie zusammenführt.

Die völlig ahnungslose Unternehmersgattin Sonia Holm wird in die kriminellen Machenschaften ihres Mannes verwickelt. Ein Netz aus Intrigen, Lügen und Erpressung umspannt sie und zieht sie immer tiefer in den Sog des Verbrechens. Wo ist Harry, ihr Mann? Die Antwort scheint in Spanien zu liegen.
Comisario Jorge Ramón Ramirez, Chef des Dezernates für Wirtschaftskriminalität, genießt die beschauliche Ruhe der brennend heißen andalusischen Stadt Sevilla.Durch puren Zufall wird er in eine Mordermittlung verwickelt und so nimmt das Geschehen seinen Lauf.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum30. Juni 2015
ISBN9783739254265
AGUA: Kriminalroman
Autor

Sigrid Wolfinger

Sigrid Wolfinger wurde 1966 in Leoben/Österreich geboren und wuchs in der Steiermark und in Oberösterreich auf. Sie studierte Englisch, Spanisch und Tourismusmanagement und arbeitet als selbständige Sprachentrainerin in der Erwachsenenbildung. Zahlreiche langjährige Auslandsaufenthalte führten sie vor allem in Länder Zentral- und Südamerikas, nach Spanien aber auch in viele andere Regionen der Welt. Das Thema Wasser begleitete sie zeitlebens und inspirierte sie zu diesem Roman. Aufgewachsen in einem Land, das Wasser im Überfluss hat, wurde sie bei ihren Auslandsaufenthalten mit dem Problem der Dritten Welt Staaten und des wasserarmen Südens konfrontiert. Sie musste am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, keinen Zugang zu sauberen Trinkwasser zu haben. Dies ist ihr Debütroman.

Ähnlich wie AGUA

Ähnliche E-Books

Mystery für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für AGUA

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    AGUA - Sigrid Wolfinger

    Sigrid Wolfinger wurde 1966 in Leoben/Österreich geboren und wuchs in der Steiermark und in Oberösterreich auf. Sie studierte Englisch, Spanisch und Tourismusmanagement und arbeitet als selbständige Sprachentrainerin in der Erwachsenenbildung. Zahlreiche langjährige Auslandsaufenthalte führten sie vor allem in Länder Zentral - und Südamerikas, nach Spanien aber auch in viele andere Regionen der Welt.

    Das Thema Wasser begleitete sie zeitlebens und inspirierte sie zu diesem Roman. Aufgewachsen in einem Land, das Wasser im Überfluss hat, wurde sie bei ihren Auslandsaufenthalten mit dem Problem der Dritten Welt Staaten und des wasserarmen Südens konfrontiert. Sie musste am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, keinen Zugang zu sauberen Trinkwasser zu haben.

    Dies ist ihr Debütroman.

    Inhaltsverzeichnis

    1—Gmunden — Traunsee/Österreich

    2—Traunsee — Westufer

    3—Gmunden/Österreich

    4—Sevilla/Spanien

    5—Gmunden/Österreich

    6—Sevilla/Spanien

    7—Gmunden/Österreich

    8—Sevilla/Spanien

    9—Gmunden/Österreich

    10—Sevilla/Spanien

    11—Gmunden/Österreich

    12—Sevilla/Spanien

    13—Gmunden/Österreich

    14—Sevilla/Spanien

    15—Gmunden/Österreich

    16—Provinz Huelva/Spanien

    17—Gmunden/Österreich

    18—Spanien

    19—Gmunden/Österreich

    20—Sevilla/Spanien

    21—Gmunden/Österreich

    22—Spanien/Sevilla

    23—Salzburg/Österreich

    24—Sevilla/Spanien

    25—Salzburg/Österreich

    26—Sevilla/Spanien

    27—Salzburg/Österreich

    28—

    29—Salzburg/Österreich

    30—Sevilla/Spanien

    31—Salzburg/Österreich

    32—Salzburg — Mirabellplatz/Österreich

    33—Salzburg/Österreich

    34—

    35—Sevilla/Spanien

    36—Sevilla/Spanien

    37—Sevilla/Spanien

    38—Gmunden/Österreich

    39—Sevilla/Spanien

    40—Provinz Huelva/Spanien

    41—Provinz Huelva/Spanien

    42—Sevilla/Spanien

    43—

    44—

    45—Sevilla/Kathedrale

    46—Sevilla/Kathedrale

    47—Sevilla/Hospital la Merced

    48—Sevilla

    49—Sevilla/Busbahnhof

    50—Sevilla/Hospital la Merced

    51—Sevilla/Sonias Hotel

    52—Sevilla/Sonias Hotel

    53—Sevilla/irgendein Hotelzimmer

    54—Cadiz/Frachthafen

    55—Sevilla/Sonias Hotel

    56—Sevilla/Barrio Santa Cruz

    57—Sevilla/Jorge Ramón Ramirez Wohnung

    58—Sevilla/irgendein Hotelzimmer

    59—

    60—Sevilla/Innenstadt

    61—

    62—Sevilla

    63—Sevilla/Polizeigebäude

    64—Polizeigebäude

    65—

    66—Sevilla/vor dem Polizeigebäude

    66—Irgendwo da draußen auf hoher See

    Danksagung & Sonstiges

    1—

    Gmunden — Traunsee/Österreich

    Leise Modellflugzeuggeräusche hingen in der klaren Luft. Ein Hund kläffte sich die Seele aus dem Leib. Überall Fischer – ihre Angeln steil aufgerichtet auf dem Dreispitz, mindestens zwei Stück, während ihre Besitzer bewegungslos wartend auf grünen Klappstühlen ausharrten. Tarngrüne Kuppelzelte spendeten Schatten und eisgekühlte Getränke in großen, bunten Kühltaschen standen bereit. Ein kleiner Kahn schipperte vorbei und schnitt eine Schneise von Wellen und weißen Schaumkronen in den See.

    Sonia Holm lag am Ufer, die letzten abendlichen Sonnenstrahlen wärmten ihren Körper. Die aufgewühlten Seewellen schlugen klatschend an die Steine der Bucht. Erst eine kleine, dann zwei, drei größere, bis sich die Oberfläche wieder glättete. Das Rollen und Klatschen der Wellen verebbte und der See plätscherte wieder ganz leise vor sich hin. Es war noch immer warm, obwohl die Maisonne schon beinahe hinter den Bergen verschwunden war. Ein Schwarm Mücken tanzte knapp über der Wasseroberfläche und ab und zu schoss ein Fisch aus der Tiefe und schnappte nach ihnen. Trotzdem es noch gar nicht richtig Sommer war, gab es heuer schon viele heiße und sonnige Tage. Sonia Holm genoss die Ruhe am Ufer des Sees; sie hatte den heutigen Tag ganz für sich alleine. Ihre beiden Kinder waren auf Schulausflug und auch ihr Mann war wieder einmal – wie so oft – auf Geschäftsreise. Der Wetterbericht meldete herrlichen Sonnenschein und sommerliche Temperaturen und so bot sich dieser Tag zum Nichtstun am See an.

    Die Berggipfel, die das Ostufer säumten, waren zum Teil noch schneebedeckt. Das Schmelzwasser toste in Sturzbächen zu Tale und die kleinen Bächlein, die den See speisten, hatten sich in wilde Wasserfluten verwandelt. Sonia betrachtete das üppige Grün der Vegetation am Fuße der Berge. Buchenwälder, Haselnussstauden und gelb blühende Wiesen, darüber der graue Fels des Traunsteins, mit seinen steil in den See fallenden Wänden.

    Zweimal war sie schon am Gipfel gewesen, das erste Mal mit ihren Eltern, als sie noch ein Teenager war. Sie ging damals noch zur Schule und hatte eigentlich keine Lust den Berg zu besteigen, aber ihre Eltern waren begeisterte Bergsteiger und nahmen sie und ihren Bruder Bernhard immer mit auf ihre Touren. Anfangs war es leicht, dem Pfad zu folgen, aber je höher sie stiegen, desto schwieriger wurde das Gelände und Bernhard mit seinen 9 Jahren war oft heillos überfordert. Die Kinder wurden zur Sicherheit angeseilt, aber an Aufgeben war nicht zu denken. Sonias Vater war in dieser Beziehung sehr ehrgeizig, er war schon viele Male auf dem Gipfel gewesen und seine Kinder sollten dieses Gefühl auch kennen lernen. Zu guter Letzt langten sie alle beim Gipfelkreuz an, müde, abgespannt aber stolz auf ihre Leistung.

    Damit war es aber mit Sonias Bergsteigerkarriere auch schon zu Ende – viele andere Dinge waren ihr von nun ab wichtiger, ihr erster Freund, Discobesuche und anderes. Erst ihr Mann, am Beginn ihrer Ehe, konnte sie davon überzeugen, noch einmal den mühsamen Weg zum Gipfel zu bestreiten. Sie erinnerte sich an die schier endlos steil bergan führenden Pfade, nur für trittsichere Personen hieß es, aber Sonia hatte mit ihrem Mann den Berg bezwungen. Vom Gipfelkreuz hatte man einen unglaublich beeindruckenden Blick auf den See.

    Jetzt lag sie hier am Seeufer, nahm ihre Sonnenbrille ab und ließ noch einmal den Blick über den See schweifen. Die Sonne spiegelte sich an der Wasseroberfläche, an einer Stelle fingen sich die Sonnenstrahlen an einem dahin treibenden weißen Gegenstand. Sonia Holm zwinkerte und versuchte zu erkennen, was hier an der Oberfläche trieb.

    «Ein Schuh», dachte sie, «…was die Leute so alles achtlos in den See werfen».

    Sie schloss wieder ihre Augen und ließ die letzten Sonnenstrahlen auf sich einwirken.

    «Es wird Zeit nach Hause zu gehen», murmelte sie leise vor sich hin.

    Sie warf einen schnellen Blick auf das Handydisplay: 17.00h, noch kein Anruf von Harry. Wenn ihr Mann auf Geschäftsreise war, rief er sie täglich zweimal an, erkundigte sich nach den Kindern und dem Alltag zu Hause.

    «Heute noch kein Anruf», dachte sie, «wird wohl wieder einmal ein stressiger Tag für Harry sein.»

    Sie stand auf, rollte ihre rot karierte Decke zusammen und stopfte sie in ihre Tasche. Ein Blick noch auf den See, der noch immer in der untergehenden Abendsonne schimmerte. «Ein friedlicher Anblick», dachte sie. Der weiße Schuh trieb nun näher ans Ufer und Sonia musste unwillkürlich darauf starren. Es war nicht nur dieser Schuh, der sie an etwas erinnerte, irgendetwas schien noch in diesem Schuh zu stecken. Sonia schirmte mit der Hand die letzten Sonnenstrahlen ab und versuchte sich auf den weißen, dahin treibenden Schuh zu konzentrieren. Leise schaukelte er auf den Wellen auf und ab, mal sah man die weiß-blaue Sohle, dann verschwand diese hinter einer kleinen Welle und dann blitzte ganz kurz etwas Weißes aus dem Wasser.

    Ein Gedankenblitz durch fuhr Sonia: «Eine Socke, ja es muss eine Socke sein – eine von diesen weißen, billigen Tennissocken, wie es sie überall zu kaufen gab. Na klar, das war es… hatte doch auch Harry derartige Socken.»

    Wie oft hatte sie ihrem Mann schon gesagt, dass diese Art von weißen Tennissocken zu so gut wie keiner Hose, geschweige einem Anzug passte. Immer und immer wieder hatte Harry sie aus dem hintersten Winkel der Schublade gekramt und in der Früh angezogen.

    «Ich mag sie, Schatz, die sind so bequem», waren seine sich immer wiederholenden Worte, «und außerdem sieht im Büro niemand meine Socken.»

    Der weiße Schuh im See verschwand nun vollends hinter einem aufgewühlten Wellenberg eines in der Ferne vorbeifahrenden Motorbootes, nur um gleich darauf wieder umso höher aus dem Wasser zu ragen. Trotzdem sich Sonia von diesem banalen Anblick losreißen wollte, konnte sie es nicht und stand noch immer am Ufer des Sees, die Hand über den Augen und konzentrierte sich auf den schaukelnden Schuh. Die Sonne war nun endgültig hinter dem Bergmassiv verschwunden und der See lag wie eine dunkle Masse vor ihr.

    Warum konnte diese Socke in einem dahin treibenden Schuh stecken?

    Warum schwamm sie nicht davon, saugte sich mit Wasser voll und war schon längst untergegangen?

    Sonia warf wieder einen kurzen Blick auf ihr Handydisplay: 17.30h. Kein Anruf. Zeit nach Hause zu gehen. «Ein weißer Turnschuh und eine weiße Socke.. der „Aufhänger" des Tages», schmunzelte sie vor sich hin.

    Wie recht sie doch behalten würde.

    2—

    Traunsee — Westufer

    Zur gleichen Zeit drängte eine Gruppe japanischer Touristen aus dem Bus, sammelte sich um einen in der Mitte stehenden Reiseleiter mit rotem Schirm. Die Menschentraube bewegte sich in Richtung Schloss Ort, brav folgte sie dem Reiseleiter, der allen voran ging. Die schmale Holzbrücke, die zum Schloss im See führte, wurde von zig blitzenden Kameras abgelichtet, ebenso die romantische Traunstein Bergkulisse im Hintergrund und das kleine Schlösschen davor. Das Seeschloss Ort, im 10. Jahrhundert auf einer kleinen Insel im Traunsee erbaut und somit eines der ältesten Gebäude des Salzkammergutes, bot schon immer die perfekte Kulisse für Foto - und Filmaufnahmen. Zwei junge Japanerinnen fotografierten sich gegenseitig in unzähligen Posen vor dem romantischen Schloss, eine der beiden beugte sich über die Holzbrücke, um mit ihrer Kamera auch die Idylle der vorbeischwimmenden Enten festzuhalten. Sie fokussierte und drückte ab – klick – und noch einmal - klick – immer und immer wieder wurde das perfekte Bild von einem größeren, im Wasser treibenden Gegenstand gestört. Die junge Japanerin rief ihre Freundin und beide blickten nun konzentriert in Richtung Seeoberfläche. Man konnte entsetzte Gesichter erblicken und hysterische Laute vernehmen, die ganze Gruppe japanischer Touristen hing nun an einer Seite der Holzbrückenbrüstung und sah und zeigte auf den See in Richtung Ufer. Die lauten Stimmen wurden nur von unzähligen Kameraklicks unterbrochen – der Aufruhr wurde immer größer. Einer der Touristen lief zum Schlossrestaurant und kurz darauf sah man die Angestellten nach draußen treten und ebenfalls in Richtung Seeufer blicken. Ein Kellner fingerte in seiner Jacke umher und beförderte ein Handy ans Tageslicht und schien aufgeregt mit jemanden zu telefonieren. Japanische Mädchen hielten sich die Hände vor das Gesicht und schüttelten entsetzt den Kopf. Der Kellner beendete seinen Telefonanruf und beugte sich nun auch weit über das Holzgeländer, um einen besseren Blick auf den im See treibenden Gegenstand zu ergattern. In der Ferne konnte man die Folgetonhörner verschiedener Einsatzfahrzeuge hören, das Heulen der Sirenen schien immer näher zu kommen. Feuerwehr, Polizei, Rettung – man konnte sie kaum unterscheiden.

    Die Männer der freiwilligen Feuerwehr waren die Ersten am Einsatzort. Sie liefen zum Seeufer, berieten sich kurz, verschwanden und kamen dann mit einem kleinen Boot hinter ihrem Fahrzeug hervor. Drei Männer ließen das Boot ins Wasser und ruderten ein Stück Richtung Holzsteg. Mittlerweilen war nun auch die Polizei sowie die Rettung am Seeufer neben dem Übergang zu Schloss Ort eingetroffen. Zwei Einsatzkräfte versuchten die beunruhigten Japaner zu besänftigen und sie hinter eine imaginäre Linie zurück zu drängen. So bewegte sich die Menschenmasse auf dem Holzsteg langsam rückwärts in den Hof des Schlosses, obwohl noch immer alle versuchten, einen Blick auf den Bergeeinsatz zu erhaschen. Zwei weitere Polizisten standen am Traunseeufer und verfolgten mit höchster Aufmerksamkeit, wie die Feuerwehrleute im Boot mit einer langen Stange nach dem im See treibenden Gegenstand fischten, abglitten, es noch einmal versuchten, wieder abglitten und wie das kleine Boot nun schon Schwindel erregend schaukelte und dann doch die lange Stange mit ihrem Hakenende den Gegenstand zu fassen bekam. Sie ruderten zurück in den geschützten Uferbereich und Polizei und Feuerwehr begutachteten den gefischten Gegenstand, der nun im Gras am Rand des Sees lag: ein weißer Turnschuh einer bekannten Sportmarke, darin eine weiße Tennissocke und darin… ein menschliches Bein.

    3—

    Gmunden/Österreich

    18.00h – kein neuer Anruf auf ihrem Handy.

    Sonia Holm öffnete die Garagentüre und stellte ihr Fahrrad im hinteren Bereich neben ihrem roten VW Golf ab. Sie war den ganzen Weg vom See hinauf zu ihrem Haus geradelt und war nun ein bisschen außer Atem. Sie versuchte so oft wie möglich ihr Auto abzustellen und kürzere Wege, sofern es das Wetter zuließ, mit dem Rad zurückzulegen. Früher hatten Harry und sie in der Stadt Gmunden gewohnt, weit oben in der Nähe des Bahnhofes. Sie hatten sich als junges Ehepaar eine kleine Wohnung gemietet, nur 50m²: ein Wohn-Ess-Schlafzimmer, eine kleine Kochnische und ein winziges Bad, genug jedoch für ihre Bedürfnisse. Da sie beide schon sehr zeitig in der Früh die Wohnung verließen, um in die Arbeit zu fahren und erst spätabends wieder heimkehrten, verbrachten sie nicht viel Zeit in ihrer kleinen Wohnung. Das änderte sich jedoch schlagartig, als Sonja schwanger wurde und ihre Zwillingsmädchen geboren wurden. Die Wohnung platzte nun aus allen Nähten, plötzlich waren hier vier Personen und es fehlte an Räumen. Harry Holm bekam damals das Angebot seines Lebens; er konnte in eine Firma wechseln und wurde über Nacht zur rechten Hand des Unternehmensleiters berufen. Sonia konnte sich noch genau an diesen Tag erinnern: Harry kam spätabends nach Hause, die Zwillinge schliefen schon in ihren Betten, er setzte sich zu Sonja auf das Sofa und eröffnete ihr die Tatsache:

    «Ich werde morgen meinen jetzigen Job aufgeben und in die Unternehmensleitung der Firma AguaTEC wechseln.»

    Sonia wusste zuerst nicht, wie ihr geschah, was Harry sich hier einfallen hatte lassen.

    Sie hatte ihn damals vor sechs Jahren nur perplex angesehen und wollte die Hintergründe wissen. Harry war nicht sehr gesprächig, er murmelte nur etwas von viel Geld und endlosen Möglichkeiten und einem Mentor.

    Damals begann der kometenhafte Aufstieg des Harry Holm und das Geld begann zu fließen.

    Schon bald wechselten sie die Wohnung, eine weitaus Größere am Seeufer war nun ihr neues Domizil – gleichzeitig wurde jedoch die Villa mit Seeblick in Auftrag gegeben und nach einigen Monaten Bauzeit, zogen Sonia und Harry Holm mit ihren Zwillingsmädchen Sarah und Sabina hierher. Harry kaufte sich ein repräsentatives Auto, eine schwarze Mercedes Limousine, und Sonia erhielt ihren damals nagelneuen, roten VW Golf. Plötzlich lebten sie das Leben der Reichen und Schönen, sie wurden zu Firmenparties geladen, speisten mit den internationalen Gästen von AguaTEC und besuchten im Winter Bälle, wo alles was Rang und Namen hatte vertreten war. Doch schon bald zeigten sich auch die negativen Seiten dieses Lebens: Harry Holm war kaum mehr zu Hause. Sonia und die Mädchen verbrachten Tage, oft sogar Wochen alleine in ihrem Luxushaus, Harry war auf Geschäftsreise – hieß es. Harry Holm war nur mehr telefonisch zu erreichen oder meldete sich bei seiner Familie, ein bis zwei Mal täglich von seinen unzähligen Geschäftsreisen. In der Ehe begann es zu kriseln, Sonia und Harry entfremdeten sich zusehend, ihre Kommunikation beschränkte sich auf diese Telefonate.

    Auch heute – wie so oft – wartete Sonia Holm wieder einmal auf einen Anruf ihres Ehemannes. Sie hatte einen schönen, ruhigen Tag am See verbracht und eigentlich hatte sie gar keine Lust mit Harry zu telefonieren, sich in seine hektische Welt ziehen zu lassen, aber die Macht der Gewohnheit trieb Sonia dazu, immer und immer wieder einen Blick auf ihr Handydisplay zu werfen. Harry hatte noch nicht angerufen.

    4—

    Sevilla/Spanien

    Comisario Jorge Ramón Ramirez überquerte die Plaza vor der Giralda und setzte sich an einen kleinen Tisch der unzähligen Cafés rund um die Kathedrale und Giralda. Er rief den Kellner und bestellte sich einen café cortado und eine kleine Flasche Wasser. Während er wartete, dass sich das heiße Getränke etwas abkühlte, beobachtete er die vielen Touristen, die mit ihren geöffneten Reiseführern vor der Kathedrale standen und in den Seiten schmökerten, um dann mit Blicken die Fassade abzusuchen. Die Kathedrale von Sevilla war gigantisch, eine der größten gotischen Kathedralen der Welt und ihr Turm - die Giralda - auf den Resten einer ehemaligen Moschee erbaut, ragte rund 82m über die Dächer Sevillas und fungierte als Wahrzeichen der Stadt. Manche Touristen saßen rund um den Springbrunnen mitten auf der Plaza, dessen Wasser unaufhörlich aus den muschelförmigen Steinschalen plätscherte, manche standen in der prallen Mittagssonne auf dem Platz mit riesigen Sonnenhüten und Sonnenbrillen. Vor dem Kathedraleneingang hatte sich eine lange Schlange wartender Touristen gebildet, die alle unaufhörlich Richtung Tor drängten. Die sich vorwärts bewegende Masse wurde nach und nach vom schwarzen Schlund des überdimensionalen Kathedraleneingangs verschluckt.

    Es war heiß auf der Plaza vor der Giralda, die sengende andalusische Sonne brannte auch schon im Mai auf die Stadt, die große Hitze der Sommermonate stand jedoch noch bevor. Viele Spanier verließen dann die Stadt, verbrachten die unerträglich heißen Tage am Strand oder sie blieben in ihren Stadthäusern und genossen die Stunden in ihren unzähligen kühlen, schattigen Patios.

    Comisario Jorge Ramón Ramirez schlürfte seinen Kaffee, rauchte die zweite Zigarette des heutigen Tages und ließ seine Gedanken über die Plaza und darüber hinaus schweifen.

    Es gab nicht viel zu tun, die Tage verliefen ruhig und ohne besondere Vorkommnisse – er war auch nur der Vorsteher einer kleinen Polizeikommission in Sevilla. Sein Dezernat beschäftigte sich hauptsächlich mit Wirtschaftskriminalität, kleineren Fällen von Steuerhinterziehung und illegalem Handel. Jorge Ramón Ramirez wollte schon als kleiner Junge Polizist werden, ein Bubentraum wie ihn alle jungen Buben einmal hatten, er hatte jedoch seine Karriere konsequent verfolgt. Grundschule in Madrid, Polizeischule, zweijährige Ausbildung in Deutschland, lange Jahre Verkehrspolizist der Guardia Civil in der Hauptstadt und dann vor zwei Jahren Vorstand dieser kleinen Wirtschaftskriminalitätseinheit in Sevilla. Nun mit 45 Jahren hatte sich sein Traum erfüllt, er war dort angelangt, wo er immer hinwollte. Nun, die wirklich großen Fälle gab es hier im Süden Spaniens nicht. Mit seinem karrieremäßigen Aufstieg und dem damit verbundenen Umzug nach Andalusien, musste er sich nach seinem hektischen, madrilenischen Stadtleben erst einmal an ein ziemlich überschaubares Ausmaß an Arbeit und an ruhige und heiße Tage hier in Sevilla gewöhnen. Nach seiner Scheidung von seiner zweiten Ehefrau kam ihm das Angebot nach Sevilla zu übersiedeln sehr gelegen, sein neuer Lebensabschnitt sollte mit einem vollkommen neuen Leben im Süden Spaniens beginnen. Er hatte sich eine kleine Stadtwohnung im Barrio Santa Cruz gemietet, zwei Zimmer im obersten Stock mit einer kleinen weiß getünchten Dachterrasse, von der er einen wunderbaren Blick über die Dächer der angrenzenden Häuser hatte. Er liebte es, die lauen Frühlingsabende auf seiner Terrasse zu verbringen und den Tag bei Sonnenuntergang und einem guten Glas Rotwein ausklingen zu lassen. Seine gesellschaftlichen Kontakte beschränkten sich in der ersten Zeit auf seine Dienstkollegen und sein berufliches Umfeld, doch vor einem Monate hatte er Maria Elena kennen gelernt und obwohl er noch nicht bereit war, eine neue Beziehung einzugehen, traf er sich immer öfters mit ihr. Sie verbrachten ihre Freizeit in Cafés oder fuhren an den Wochenenden ans nahe gelegene Meer, machten ausgedehnte Spaziergänge, plauderten, lachten und aßen in kleinen, feinen Strandrestaurants. Maria Elena war unkompliziert und er fühlte sich in ihrer Gesellschaft frei und ungezwungen. Es war noch zu früh über eine ernsthafte Beziehung nachzudenken, Jorge Ramón Ramirez wollte sich darüber auch noch keine Gedanken machen.

    Gedankenverloren rührte er in seinem Kaffee.

    «Vielleicht sollte ich Maria Elena heute Abend zu mir einladen, etwas Feines kochen…», dachte er.

    Die Sonne glühte weiterhin auf die Plaza vor der Giralda und das leise Plätschern des Brunnenwassers hatte sich in ein Rauschen verwandelt. Die Touristen bildeten nun einen kleinen Kreis um den Brunnen und schienen etwas verwirrt auf die Steine zu blicken. Jorge Ramón Ramirez beobachtete interessiert das Treiben, irgendetwas schien auch ihn zu irritieren, die Szenerie vor der Kathedrale hatte sich - kaum merklich – geändert, das ruhige, beschauliche Bild wurde durch etwas gestört.

    Er trank seinen Kaffee aus, legte ein paar Münzen für den Kellner auf den kleinen Tisch und verließ seinen Platz. Zügig überschritt er den Platz, um einen Blick auf den Brunnen zu erhaschen, der nun offensichtlich im Interesse der Menschen lag. Vor dem Brunnen hatte sich eine große Wasserpfütze gebildet, Wasser strömte aus seinem Inneren über die Steinbrüstung und rann unaufhörlich über die Stufen auf die Plaza. Die Pfütze war im Begriff sich zu einem See zu entwickeln und die Menschen rückten nach und nach weiter zurück. Jorge Ramón Ramirez watete durch die Wasseransammlung, warf einen Blick in den Brunnen, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches erkennen.

    «Es muss der Wasserablauf sein», dachte er.

    Er nahm sein Mobiltelefon und wählte die Nummer seines Kommissariats. Am anderen Ende der Leitung meldete sich Corrado Sanchez, sein Kollege, der heute Telefondienst hatte.

    «Hola Jorge, was gibt’s?»

    «Corrado, gut dass ich dich erreiche. Such mir bitte die Nummer der städtischen Wasserwerke heraus und schick sie mir auf mein Handy. Wir haben hier ein Problem auf der Plaza vor der Giralda.»

    «Si, Jefe.-sofort, dauert nur einen Moment, was ist los?»

    Jorge Ramón Ramirez hatte schon aufgelegt, er war kein Mann der großen Worte. Sein Auftrag war klar und damit basta.

    Das Wasser rann nun schon über den gesamten Platz, bildete kleine Rinnsale, die sich ihren Weg über die Steinplatten der Plaza suchten. Die Touristen liefen in großen Bögen um den See und drängten weiterhin zum Eingang der Kathedrale – niemand schien sich sonderlich um die riesige Wasserpfütze zu kümmern.

    Mit einem kurzem BING kündigte sich die SMS an, sie enthielt eine kurze Nachricht von Corrado: «Jefe, hier die gewünschte Nummer: 778743 / Chef der Wasserverwaltung Señor Cotineli»

    Jorge Ramón Ramirez wählte die Nummer und ließ sich mit Señor Cotineli verbinden.

    «Buenas tardes Señor Cotineli, hier ist Comisario Ramirez. Ich befinde mich gerade auf der Plaza vor der Giralda und wir haben hier ein Problem mit dem Brunnen. Der Abfluss scheint verstopft zu sein und das Brunnenwasser rinnt unaufhörlich über den Rand und auf den Platz. Sie sollten so schnell wie möglich einen Einsatztrupp hier vorbeischicken, der die Situation abklärt. Ich bleibe solange hier und warte. Danke, adios.»

    Señor Cotineli, der Chef der städtischen Wasserwerke schien sich nicht sonderlich für Jorge Ramón Ramirez Anruf zu interessieren, hatte ihm jedoch zugesagt, sich um die Angelegenheit zu kümmern.

    Das Brunnenwasser plätscherte unaufhörlich in den Brunnen, dessen steinerner Rand nun eine rinnende Wasserwand bildete, die ihren Inhalt stetig auf den Platz vor der Giralda ergoss. Die Rinnsale hatten sich in Sturzbäche verwandelt und drängten zu den umliegenden Kanaldeckeln, um dort in der Tiefe der Kanalisation zu verschwinden.

    Jorge Ramón Ramirez trat zur Seite und watete auf Zehenspitzen durch den See zurück zu dem kleinen Café. Er beschloss, sich einen weiteren Kaffee zu gönnen, während er auf den Einsatztrupp der Wasserwerke wartete. Er ließ sich an dem gleichen kleinen Tischchen nieder, an dem er schon vorhin seinen café cortado getrunken hatte. Als der Kellner ihm seinen zweiten Kaffee brachte, verwickelte er ihn in eine heftige Diskussion über die möglichen Ursachen einer derartigen Überschwemmung. Die Spanier an den Nebentischen beteiligten sich angeregt und in der Hektik des Gesprächs übersah man die herannahende Einsatztruppe der Wasserwerke, die mit ihrem Kleinbus mitten in den Wassersee fuhr und dort parkte. Mit hohen Gummistiefeln und ihrem Werkzeugkoffer stiegen die Männer über den Rand des Brunnens, hinein in die Fluten und machten sich am Abfluss zu schaffen.

    Als Jorge Ramón Ramirez die Männer nun doch entdeckte, sprang er von seinem Tisch auf, versuchte vorsichtig durch das Wasser zum Brunnen vorzudringen. Seine leichten Sommerschuhe hatten sich schon komplett mit Wasser gefüllt und er schritt laut fluchend zu den Arbeitern.

    «Wie sieht’s aus?», fragte er den großen Arbeiter im dunkelblauen Werkanzug, der offensichtlich den Trupp anführte.

    «Señor, gehen sie aus dem Weg, treten sie zur Seite, wir sind am Arbeiten», war die harsche Antwort.

    Jorge Ramón Ramirez war es nicht gewohnt, Befehle von anderen entgegen zu nehmen, doch er bemerkte erst jetzt, dass er sich nicht vorgestellt hatte.

    «Ich bin Comisario Jorge Ramón Ramirez, ich habe sie angerufen – als dieses Chaos hier begann! Ich fühle mich hier gewissermaßen als Einsatzleiter und möchte nun wissen, was sie vorhaben hier zu tun!»

    Der Vorarbeiter unterbrach kurz seine Arbeit und sah den Kommissar verdutzt an – schien sich aber schnell wieder seiner Wichtigkeit hier vor Ort bewusst zu werden und versuchte noch einmal in rauem Tone, den unerwünschten „Eindringling" los zu werden.

    «Señor, ich habe ihnen schon gesagt, dass sie zurücktreten sollen – es ist mir sch…egal wer sie sind – verschwinden sie, wir werden die Situation schon in den Griff bekommen!»

    Das war nun eindeutig zu viel für Jorge Ramón Ramirez. Eine derartige Frechheit musste und wollte er sich nicht bieten lassen, wo doch er derjenige war, der diese Sache erst ins Rollen gebracht hatte. Er stand nun knöcheltief im kalten Wasser, seine Schuhe waren randvoll gelaufen und seine Hose begann sich nun von unten her nass anzusaugen, was natürlich nicht zu seiner Stimmung beitrug.

    «Entweder sie sagen mir nun augenblicklich was hier geschieht oder die Angelegenheit wird noch unangenehm für sie verlaufen. Ich habe hier die Nummer ihres Chefs und bin im Begriff, diesen sofort an zu rufen und mich über sie zu beschweren.»

    Um der ganzen Drohung Nachdruck zu verleihen, hielt Jorge Ramón Ramirez dem Vorarbeiter sein Handy unter die Nase und begann die ersten Tasten der Vorwahl zu drücken.

    Dies schien nun offensichtlich Eindruck zu machen und der Vorarbeiter und seine beiden Kollegen stoppten ihre Arbeit.

    «Señor…- wie war doch gleich ihr Name?», gab einer der Arbeiter klein bei.

    «Comisario Jorge Ramón Ramirez!»

    «Señor Ramirez, wir haben den Abfluss des Brunnens geöffnet, aber das Problem scheint nicht im unmittelbaren Brunnenabfluss zu liegen. Irgendetwas verstopft das Wasserabflussrohr weiter unten. Ich fürchte wir müssen das Wasser komplett abdrehen lassen, was aber nur die Zentrale veranlassen kann.» «Na also, warum nicht gleich…», murmelte Jorge Ramón Ramirez mürrisch.

    Der Vorarbeiter der Wasserwerkstruppe telefonierte lautstark mit der Verwaltung, schrie und fluchte:

    «Zum x-ten Mal es liegt nicht an unserer Arbeit, das Problem liegt am Rohr, wir können hier nichts tun, ihr müsst das Wasser abdrehen, die ganze Plaza ist schon versaut…WAS??? 15 Minuten, na bitte wenn’s nicht schneller geht…»

    Fluchend beendete er seinen Anruf und befahl seinen Arbeitern den Brunnen zu verlassen und zum Auto zu gehen.

    «Wir müssen in die Kanalisation hinabsteigen, unter den Brunnen, und das Rohr inspizieren – Befehl von oben! Scheißtag, nichts als blöde Einsätze heute. Also Männer, ab in den Kanal.»

    Sichtlich schlecht gelaunt wandte er sich Jorge Ramón Ramirez zu, der nun schon völlig durchnässt, neben den Brunnenarbeitern stand.

    «Señor Comisario, wer auch immer sie sind, sie sehen ja, hier gibt’s nichts zu regeln für uns, aber wenn der feine Herr „Einsatzleiter" uns in die Kanalisation begleiten möchte – bitte, tun sie sich keinen Zwang an. Eines sage ich ihnen aber, wir haben weder Gummistiefel noch Arbeitsanzug für sie, sie müssen schon mit ihrer Kleidung vorlieb nehmen und da unten kann’s ganz schön ungemütlich werden!»

    Wütend blickte Jorge Ramón Ramirez den Vorarbeiter und seine Truppe an.

    Darauf war er nicht gefasst: in die Kanalisation hinabsteigen… keine gute Idee, er wollte an diesem beschaulichem Tag nur seinen Nachmittagskaffee genießen und nun war er unvorbereitet in eine längere Sache verwickelt. Er wollte dem Vorarbeiter jedoch keine Gelegenheit bieten, ihn in diesem Ton zurückzulassen und ihn als zu hochnäsig abzustempeln.

    «Ich bin schon völlig nass, schlimmer kann es kaum werden», dachte er. «Was soll’s, ich

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1