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Erinnerungen Peter Hahn: Teil 2
Erinnerungen Peter Hahn: Teil 2
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eBook739 Seiten3 Stunden

Erinnerungen Peter Hahn: Teil 2

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Über dieses E-Book

Mein ursprünglicher Anlass für diese „Erinnerungen“ war, die vielen alten Bilder, die in Kartons und Alben aufbewahrt wurden, zu scannen und mit erklärenden Worten zusammenzufassen. Dazu kam eine große Menge an neueren Kleinbild- und 6x6-Negativen/Diapositiven, ferner Briefe, Dokumente, Tagebuchnotizen, Zeitungsausschnitte und anderes für mich Erinnernswertes. Doch welchen Wert würden diese Dinge haben, wenn ich diese Welt verlasse, und meine Frau und mein Sohn und Enkel dann mit diesem ungeordneten, vielfältigen „Kram“ belastet werden?
Also beschloss ich, den gesamten Nachlass zu scannen und zu allem etwas zu schreiben. So entstanden diese „Erinnerungen“, die enden, als mein Sohn 11 Jahre als wurde, weil er von diesem Zeitpunkt an seine eigenen Erinnerungen hat.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum15. Juni 2015
ISBN9783739272634
Erinnerungen Peter Hahn: Teil 2
Autor

Peter Hahn

Geboren am 1935 in Berlin. Nach vielen kriegsbedingten Schulwechseln Abitur Herbst 1956. 1957-1960 Studium der Elektrotechnik an der TU-Berlin. 1960 Studienwechsel zu Mathematik. Studium finanziert mit verschiedenen Nebentätigkeiten, unter anderem als Bademeister auf Sylt. 1967 Heirat. 1968 Geburt des Sohnes. 1970 Diplom-Prüfung. Ab Mai 1970 Angestellter in der EDV-Abteilung in einem Krankenhausbetriebs. Ab 1972 Lehrbeauftragter an der Techn. Fachhochschule Berlin (TFH). Ab 1976 Leiter der EDV im Klinikum Steglitz. 1977 Scheidung. 1978 Berufung zum Professor an der TFH. 1982 erneute Heirat. 1997 Eintritt in den Ruhestand.

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    Buchvorschau

    Erinnerungen Peter Hahn - Peter Hahn

    Fidji-Inseln

    Peter von Sichart erkrankt auf Sylt

    Peter von Sichart verlebte 1959 fast den gesamten Sommer auf Sylt, weil meine Mutter und er nicht mehr gut miteinander auskommen. Er wohnte im Haus Karl Otto neben Lödiges, das damals am Rande Wenningstedts lag, in Richtung Westerland gesehen. Peter zog es vor, am Kampener-FKK-Strand zu baden, weil er dort Freunde gefunden hatte. Peter berichtete von seinem Schnorcheln, erzählte auch die Geschichte von Wolfgang Neuß, der mit dem schnorchelnden, einarmig kraulenden Peter im Wasser zusammenstieß, sich offenbar erschrecken ließ und etwas albern rief: „Huch, ein Seeungeheuer!"

    Peter war unnatürlich braun, schon fast schwarz gebrannt, die Haut an seinen Schultern sah ledern aus. Er traf in Kampen die eigenartigsten Leute und ernährte sich nicht richtig. Er trank gerne Wein, was meine Mutter aber immer in Grenzen halten konnte. Hier ohne Kontrolle trank Peter mehr als ihm gut tat und aß viel zu wenig.

    Ende Juli machte Peter einen geistig verwirrten Eindruck. Meine Freunde und ich, die Peter inzwischen recht gut kannten, hatten Schwierigkeiten, ihn zu verstehen. Er schien verfolgt zu werden. Peter erklärte uns, dass er sich durch irgendein törichtes Verhalten und ein paar dumme Worte die Schwulen am Kampener FKK-Strand zum Feind gemacht habe, und die ihn nun daraufhin verfolgen würden. Das schien uns durchaus plausibel. Peter hielt sich darum zu seinem Schutz nun öfter in der Nähe unseres Schwimmerwagens auf. Er zeigte uns Leute, die ihm etwas antun wollten. Und wenn sie nähr kamen, sprang er furchtsam in unseren Wagen. So von uns beobachtet blickten die Leute auch zu uns, und wir glaubten, sie suchten nach Peter. Wenn wir nicht um ihn herum waren, fasste sich Peter auch den Mut – vielleicht den der Verzweiflung – und sprach die vermeintlichen Bösewichte an. In der Folge beschwerten sich Kurgäste in der Kurverwaltung, sie seien von einem Spinner belästigt worden. Wir wussten nicht, was wir davon halten sollten. Wenn wir abends in der Kurhausstrandhalle feierten, miteinander klönten und mit unseren Mädchen tanzten, dann kam Peter gerne dazu, weil er dann wegen seiner Verfolger, die er auch in der Strandhalle zu entdecken glaubte, gerne von uns nach Hause gebracht werden wollte. So marschierten wir dann nach der Veranstaltung zu viert oder noch mit noch mehreren von uns mit Peter in der Mitte, heute würde man sagen: wie Bodyguards, zu seiner Bleibe, Haus Karl-Otto.

    Eines Tages weist Peter am Strand furchtsam auf einen Mann, der humpelnd sich auf einen knorrigen Stock stützend aus Richtung Kampen kommt. „Wenn dieser Mann seinen Stock vor dem Schwimmerwagen in den Sand stellt, erklärt uns Peter, „dann ist das das Zeichen, dass die Entscheidung über mein Schicksal noch offen ist. Wir warten gespannt, was der Mann tun wird. Er kommt auf den Wagen zu – Peter hatte sich wieder in unseren Wagen geflüchtet – und stellt den Stock genau vor unseren Wagen in den Sand. „Aha! denken wir, „die Entscheidung ist also noch offen. Nur welche Entscheidung? Etwas später ist der Stock dann weg. Als der Mann an einem anderen Tag wieder mit seinen Stock kommt und ihn auch wieder und vor uns, und damit auch vor Peter abstellt, da beobachten wir den Mann genauer. Er geht humpelnd zum Wasser und badet dort unter unserer Aufsicht. Wenig später kommt der Mann aus dem Wasser heraus, nimmt sich seinen Stock und geht weg. Als wir die Sache dann in Peters Abwesenheit nochmals durchsprechen, haben wir Zweifel, ob dieser Stock wirklich ein Signal sein sollte. Denn was sollte ein Behinderter anderes tun, als zur Sicherheit bei uns baden, und wo lässt man dann seinen Stock stehen, damit er nicht abhanden kommt? Man stellt ihn in den Sand, am besten dort, wo die Leute ohnehin aufpassen, also vor unseren Wagen. Und als dann ein Paar Tage später Peter uns erklärt, die gelbe Badekappen auf den Köpfen der Frauen in unserem bewachten Abschnitt seien auch ein Zeichen für irgendetwas, was man ihm mitteilen wolle, da wird uns langsam endlich klar, dass Peter verwirrt ist und Unsinn redet, denn zu jener Zeit trugen viele weibliche Wesen im Wasser Badekappen und unter 20 oder 30 weiblichen Badekappen sind immer auch gelbe. Das konnte also nicht wahr sein.

    Hans Haider und Peter von Sichart

    Jens Jacobsen, selbst Rettungsschwimmer an der Nordseeklinik vor Westerland, und Uwe erzählen uns, dass sie eines späten Abends, als sie in der Heide hinter Uwes Haus mit Hilfe von Autoscheinwerfern Hasen jagen wollten, plötzlich von Peter nahezu überfallen wurden. Peter, dessen Unterkunft, Haus Karl Otto, neben Uwes Elternhaus lag, hatte die Scheinwerfer in sein Fenster leuchten sehen und geglaubt, seine Verfolger kämen nun. Er hatte sich eine seiner großen schwarzen Schwimmflossen gegriffen, war hinaus auf die Heide gerannt und wollte Jens und Uwe damit erschlagen. Für die beiden war das natürlich eine äußerst komische Situation, denn die Schwimmflossen waren bestimmt kein taugliches Mittel, um jemanden zu bedrohen oder gar zu verletzen. Sie lachten nur, als sie ihn sahen.

    Peter litt sichtlich unter seinen Wahnvorstellungen. Er tat mir sehr leid. Alle meine Freunde bemühten sich um Peter. Aber was konnten wir anderes tun, als ihn davon zu überzeugen, dass es keine Verfolger gibt? Einmal bat er mich weinend, ich möchte doch die Filme herausgeben, die ich am Strand verknipst hatte, denn die Verfolger seien auf den Bildern. Ein anderes Mal wollte er „den Leuten" gelbe Nelken kaufen, damit er sie versöhne.

    Am Ende fährt Peter Hals über Kopf, ohne mir oder meinen Freunden ein Wort zu sagen, und ohne dass wir es bemerken, mit dem Zug nach Hamburg, kommt ohne Jackett und ohne Gepäck bei meiner Mutter an und redete völlig verwirrtes Zeug. Meine Mutter war äußerst verzweifelt. Aber davon erfahre ich erst später, als mir meine Mutter einen Hilferuf-Brief schreibt, und ich sie am gleichen Abend anrufe.

    Lieber Peter

    ich weiß nicht mehr ein noch aus! Peter kam vollkommen zerstört von Wenningstedt hier an. Er redete so furchtbar und so grauenhaft und benahm sich so schlimm, dass ich in der Nacht einen Arzt kommen lassen musste. – Er hat Verfolgungswahn und der Arzt ordnete Langehorn-Nervenklinik an. Jetzt will er nicht gehen. Er raucht nur und isst kaum und schläft so gut wie nicht.

    Was war oben mit ihm los?

    Bitte Peter schreibe sofort, oder rufe mich an. Morgens bis 8⁰⁰ und abends nach 8⁰⁰. Am besten aber schreibst Du per Eilboten Frau Renate Peters, Hbg. 13, Brahmsallee 19, ich hole mir dann den Brief.

    Viele Grüße auch an Papi.

    Deine traurige

    verzweifelte

    Mutti

    P.S.

    Ich schließe mich immer im Schlafzimmer ein. Ich habe Angst.

    Wenn Papi hier wäre, er wüsste einen Rat.

    Ich bin sehr besorgt um meine Mutter. Hier auf Sylt war Peters zwar verwirrt und er litt offensichtlich unter Verfolgungswahn. Jedoch hatten wir seinen Zustand nicht als bedrohlich angesehen, eher als einen Spleen, der sich schon mit der Zeit geben würde, wenn er wieder mehr Ruhe habe, weswegen wir alle auch immer wieder auf ihn einredeten, sich nur noch bei uns am Strand aufzuhalten und sich nicht mehr in Kampen bei den Leuten, mit denen er sich aus welchen Gründen auch immer angelegt hatte, blicken zu lassen. Ich hatte somit nicht geglaubt, dass Peters seelischer Zustand so schlecht ist. Ich rufe sie noch am selben Abend an und erzähle ihr, was wir mit Peter erlebt haben. Sie ist auch am Telephon noch sehr verzweifelt. Aber wie kann ich ihr helfen? Ich verspreche Ihr, meinem Vater alles zu erzählen und ihn zu bitten, zu ihr nach Hamburg zu fahren. Das tue ich auch noch am selben Abend und mein Vater erklärt sich von selbst bereit, am nächsten Morgen zu den beiden zu fahren, um zu helfen. Es war für ihn eine Selbstverständlichkeit, seiner ehemaligen Frau und meiner Mutter, die er immer noch liebte, beizustehen.

    Mein Vater kommt nach ein paar Tagen aus Hamburg zurück und berichtet von Mutti und Peter. Es scheint nun festzustehen, dass Peter unter Schizophrenie leidet und der Verfolgungswahn eins der Symptome dieser Krankheit bei ihm ist. Obgleich die Ärzte meiner Mutter raten, Peter in eine Nervenheilanstalt einweisen zu lassen, zögert sie noch, weil sie befürchtet, dass er dort nicht mehr herauskomme. Sie schöpft stets wieder Mut, wenn Peter sich in seiner normalen Phase befindet, in der er sogar über den anderen, den verfolgten Peter, reden kann. Aber am Ende wird sein Zustand nicht besser, und sie ist nervlich so am Ende, dass sie Peter schließlich doch in eine Heilanstalt bringen lässt. Peter erhält einen Vormund, der meiner Mutter das Geld zuteilt, und mit dem sie sich in der Folgezeit ständig streitet. Nach etwa einem halben Jahr kehrt Peter nach Hause zurück. Man hat in zwar nicht heilen können, aber die akute Schizophrenie, ist zurückgedrängt. Man glaubt, er könne wieder bei seiner Ehefrau leben. Entmündigt bleibt er noch einige Jahre.

    Für meine Mutter war die psychische Krankheit Peters ein nahezu unerträglicher Zustand: Der trotz allem immer noch geliebte Partner ist unzurechnungsfähig, kein Gesprächspartner mehr. Sie veränderte sich zusehends. Sie wurde reizbar, hatte Probleme mit ihrem Magen, und sie stritt sich anscheinend grundlos auch mit mir.

    Eine der Folgen der Krankheit und ihrer veränderten Beziehung zueinander war, dass Peter und Mutti nun überhaupt keinen gemeinsamen Urlaub mehr miteinander verbringen. Peter fuhr in den nächsten Jahren öfter nach Italien. Er hat in Resina, bei Neapel dreimal gezeltet. Peter wollte gerne im warmen Meer schwimmen und interessierte sich für alte italienische Geschichte, die er dort in und um Neapel gut studieren konnte. Er verbesserte seine Italienischkenntnisse, die er auf den Reisen mit meiner Mutter Anfang der fünfziger Jahre in Finale Ligure hatte erwerben können. Später hat er sich sehr intensiv mit der Sprache der Etrusker beschäftigt, die bis heute nicht völlig entschlüsselt ist. Er war sich später sogar sicher, einige Wörter übersetzt zu haben.

    Meine Mutter begann, Urlaub mit wechselnden Freunden in Jugoslawien und anderswo zu machen. Sie kaufte sich dazu einen VW-Käfer, mit dem sie beinahe in ein Erdbeben bei Skopie geriet und später bei einem Totalschaden in einem holländischen Krankenhaus um ihr Leben rang.

    Der Selbstmord meiner Mutter, vielleicht durch den Streit mit mir unmittelbar ausgelöst, war letztlich die Folge des langen Zusammenlebens mit einem seelisch kranken Mann.

    Weiterhin Rosi

    Ende September sind Rosi und ich immer noch – äußerst harmlos, nicht einmal geküsst haben wir uns bisher – befreundet. Dennoch ist es eine innige Freundschaft, die man kaum beschreiben kann. Zusammen mit ihrer Freundin Heike Baggendorf und Bernhard fahren wir nach Westerland ins Kino. Wir sehen uns in der Kurbel in der Strandstraße „Manche mögen’s heiß" an. Ein bekanntlich sehr lustiger Film, so dass wir alle viel lachen müssen. Heike jedoch lacht so laut und so ulkig, dass wir und viele Kinobesucher nun unsererseits wieder über Heike lachen müssen. Uns schmerzt der Bauch, als wir das Kino verlassen. Wir müssen zu Fuß nach Hause, da Rosi ihren Wagen ihrem Bruder Klaus geliehen hat. Nach dem längeren Fußweg in Wenningstedt angekommen sind wir durstig geworden, und Bernhard und ich erinnern uns, dass im Keller der Kurverwaltung noch immer ein Rest vom Freibier von der 100- Jahr-Feier lagert. Wir schleichen uns in den weitläufigen Keller, verkriechen uns in die hinterste Ecke und trinken gewaltige Mengen an Bier und sind guter Dinge. Rosi – ordentlich und etwas spießig, wie sie ist – hört nicht auf, sich und uns Vorwürfe zu machen, dass sie mit uns in den Keller eingedrungen sei, weil das doch sicher verboten sei und sich nicht schicke. Wir haben Mühe, sie zu beruhigen. Heike kennt solche Skrupel nicht, sie trinkt ganz locker ein Bier nach dem anderen und lachte fortwährend.

    Als ich Rosi dann allein nach Hause bringe, erzählt sie mir – durch den reichlichen Alkoholgenuss nur etwas lockerer geworden – nach meinem bohrenden Fragen, dass sie nicht wie ein Apfel erst angebissen und dann weggeworfen werden möchte. Das sei ihr dieses Jahr auf ihrem Geburtstag widerfahren. Dadurch sei sie so verletzt worden, dass sie jetzt lieber übervorsichtig sei. Ich verspreche ihr daraufhin, immer ehrlich zu ihr zu sein, und ihr rechtzeitig zu sagen, wenn ich nicht mehr genug für sie empfinde.

    Mit Rosi habe ich ein gutes Gefühl. Sie ist zwar sehr spröde, was körperliche Berührungen betrifft, aber sie ist ein zuverlässiger, treuer Mensch, mit dem man – wie man so sagt – Pferde stehlen kann. Und in Wenningstedt gab es zu dieser Zeit noch Pferde. Mir fällt dabei Plüschi ein: wie stehe ich zu ihr, was mache ich nur mit ihr?

    Die Saison neigt sich langsam dem Ende zu. Die Zahl der Gäste am Strand ist deutlich kleiner geworden. Das schöne Wetter, das so viele Wochen hindurch anhielt, ist vorbei. Wir müssen wieder richtig arbeiten. Bis heute ist es Dank der relativ ruhigen See noch zu keinem Einsatz gekommen, ich möchte auch nicht, dass Badegäste und damit wir noch in diesem Sommer in Gefahr kommen.

    Auf der morgendlichen Promenade vor der Kurhaus-Strandhalle warten die Strandkörbe auf ihren Abtransport, rechts das Haus des Friseurs Thorwald Wüstefeld

    Meine Leibschmerzen, die mich schon seit Wochen mal mehr, mal weniger plagen, könnten vom Blinddarm herrühren sagt Dr. Ahlborn, den ich deswegen befrage. Ich muss befürchten, meinen Sommerjob abbrechen zu müssen. Am Strand versuche ich, mich ruhig zu verhalten. Aber da ich zugleich noch den Strandkorbwärter Bruno vertreten muss, komme ich nicht umhin, auch Körbe nach oben tragen zu müssen, was besonders beschwerlich ist. Die morgendlichen Überstunden mit Strandkorbwaschen, die ich mir wie im Vorjahr auch noch aufgehalst hatte, lasse ich allerdings ausfallen.

    Uwe Rehse schreibt aus Berlin, er unterschreibt mit Guilhermo, seinem 2. Namen.

    „Uns Uwe" kehrt zu uns zurück

    Da Werner Kroll in der Wenningstedter Baufirma Holst einen festen Arbeitsplatz hat, und nur für begrenzte Zeit an die Kurverwaltung „ausgeliehen" worden war, verlässt uns Werner mitten in der Saison. Und da nun einmal keiner Uwe auf längere Zeit böse sein kann, und wir uns alle für Uwes Wiedereinsetzung als Rettungsschwimmer stark machen, kehrt nun Uwe zu uns, zum Schwimmerwagen 1 an den Hauptstrand zurück. Bernhard und Uwe kennen sich bereits, da Uwe sich in der Zwischenzeit öfter bei uns hat sehen lassen. Sie kommen gut miteinander aus. Uns sogleich geht es mit dem Spaß wieder los. Bina Neß, die auch wieder mit ihren Brüdern in Wenningstedt Urlaub macht, wird auch Ulk gerettet und in eine Plane aus Strandkorbstoff eingepackt.

    Werner Kroll, Uwe und befreundeter Gast

    Jetzt muss ich als der ältere allerdings öfter die Rolle einnehmen, die im vorigen Jahr Hans Jamke bei uns gespielt hat. Ich muss die Freunde ab und zu zur Ordnung ermahnen. Beide trinken gerne, und zwar mehr als verantwortlich ist, und unter den vielen weiblichen Ablenkungen leidet gelegentlich ihre Aufmerksamkeit für die Badenden.

    Bina Neß von mir, Bernhard und Uwe getragen

    Bernhard Ringer

    Bernhard, Onkel Balli, war zwar keine Konkurrenz für mich in Bezug auf Frauen, aber dennoch sehr erfolgreich bei seinen Eroberungen. Es waren durchweg Frauen, die mich nicht sonderlich interessierten. Aber die Art und Weise, wie Bernhard sie einfing, war schon beeindruckend. Ein Beispiel ist mir besonders im Gedächtnis hängen geblieben: Es herrscht kühles Wetter, leichter Regen fällt, kaum ein Gast am Strand. Bernhard und ich sitzen im Wagen. Es kommen zwei weibliche Wesen in Regenkleidung am Wasser entlang gelaufen. Bernhard drückt ein paar Mal kurz auf die Hupe, und als die Freuen zu uns herblicken, zeigt er auf mich. Das machte er eigentlich ziemlich oft, mir war es immer recht peinlich. Die Frauen kommen zum Wagen, weil wie wissen wollen, was ich von ihnen wolle. Bernhard öffnet das Fenster an der Leeseite und spricht die beiden Frauen an. Sie sind Mitte zwanzig, sehen aber nach erfahrenen Frauen aus und sind nicht mein Typ. Ein Wort gibt das andere, Bernhard spendiert einen Schnaps, der bei uns seit Hans Jamke nicht mehr bei uns wacht, immer reichlich vorhanden ist. Die Frauen stehen draußen, wo es ungemütlich zieht und harren bei Bernhard aus. Er redet noch eine Weile mit ihnen, dann verabredet er sich mit ihnen für den Abend. – Und am nächsten Tag berichtet er, dass er mit der einen nachts auf seiner Bude zusammen gewesen ist. Und ich bin mir sicher, dass Bernhard nicht geschwindelt hat. Wir hatten das uns gegenüber nicht nötig. Erstaunlich, von welchen Männern manche Frauen sich bestricken lassen. Mir schien Bernhard immer wie ein Kater auszusehen, insbesondere wenn er im Fenster des Schwimmerwagens saß.

    „Kater" Bernhard im Fenster des Schwimmerwagens

    Wie gut unsere Beziehung zueinander war, lässt sich an einem anderen kleinen, witzigen Ereignis zeigen. Bernhard verabredet sich vormittags am Strand mit einem recht attraktiven Mädchen zum Abend auf der Promenade. Als das Mädchen mittags Bernhard zulächelnd am Wagen vorbeigeht, erzählt er uns davon. Ich sehe mir das Mädchen an. Es gefällt mir gut, und ich könnte sie mir durchaus als meine Freundin vorstellen. Ich frage Bernhard, ob er etwas dagegen habe, dass auch ich versuche, mich mit diesem Mädchen zum Abend zu verabreden. Nein, das sei OK, wollen doch mal, sehen, wie sie sich verhält. Experimente interessieren ihn.

    So gehe ich am Nachmittag zu ihr in die Burg, rede eine Weile mit ihr und frage sie letztlich, ob sie nicht Lust habe, mit mir am Abend etwas zu unternehmen. Sie sagt ja, und wir vereinbaren, uns auf der Promenade zu treffen. Ich merke, dass ihr die Promenade als Treffpunkt nicht ganz recht ist, tue aber so, als ob ich das nicht spüre.

    Ich berichte Bernhard von dem Gespräch. Bernhard und ich beschließen, dieses Verhalten des Mädchens, ein Rendezvous mit einem Mann für einen anderen, der ihr besser gefällt, einfach sausen zu lassen, zu bestrafen.

    Als die vereinbarte Treffzeit herangekommen ist, geht Bernhard zu unserem auf der Promenade wartenden Mädchen und will mit ihr losziehen. Sie windet sich wie ein Aal und fragt Bernhard: „Habe ich nicht (zu unserem Treffen) vielleicht gesagt? Bernhard sagt: „OK, wenn Du nicht willst, dann ist es auch gut. Und er geht. Er kommt zu mir, der ich insgeheim das Treffen beobachtet habe und berichtet mir, was sie gesagt hat. Nun schlendere ich zu ihr. Sie freut sich, mich zu sehen, aber ich tue so, als ob ich gar nicht mit ihr verabredet wäre. Auf ihre Erinnerungen an unsere Gespräch am Nachmittag in der Burg antworte ich nur: „Habe ich nicht vielleicht gesagt?" Ich sehe mir noch das verblüffte Gesicht an, drehe mich um, gehe und lasse sie stehen.

    So haben wir uns stets kameradschaftlich verhalten. Kameradschaft und unbedingte Zuverlässigkeit waren für unseren Job am Strand äußerst wichtig. Allzuleicht konnte man in eine Lage kommen, wo man auf Gedeih und Verderb auf den anderen angewiesen ist. Und da zeigt sich dann, was eine Freundschaft wert ist. Übrigens gab es auch hier natürlich Unterschiede. Am zuverlässigsten war mir immer mein Freund Uwe Lödige.

    Da mir dieses Mädchen nach unserem Streich doch etwas Leid tat und obendrein durchaus mein Typ war, freunde ich mich dann doch noch mit ihr an. Sie heißt Anke Schuster und arbeitet halbtags im Haus Meeresblick, wo sie auch in einem kleinen Anbau mit eigenem Eingang wohnt. Dort besuche ich sie ein paar Mal nachts. Aber näher als an ihrem schönen Busen lässt sie mich nicht an sich heran.

    Anke ist etwas älter als meine bisherigen Freundinnen. Bei ihr glaubte ich daher eher, dass ich mit ihr schlafen könne, zumal sie Studentin war. Und die sind doch im Allgemeinen schon „etwas weiter" als meine kleinen Schülerinnen. Ein paar Monate später gibt Anke in einem Brief ein paar Erläuterungen dazu.

    Unser Job kann auch für uns recht beträchtliche negative Folgen haben, wenn man uns bei einem Badeunfall Fehler im Dienst nachweisen kann. Nach jedem Badeunfall mit tödlichem Ausgang irgendwo am Wenningstedter Strand trifft die Wasserschutzpolizei ein und führt eine mehr oder minder aufwendige Untersuchung durch. Dabei wird unser Verhalten äußerst genau geprüft und Zeugen befragt. Meines Wissens hat man zu meiner Zeit nie etwas an unserem Verhalten beanstanden können.

    Um das übermäßige Trinken von Alkohol zu verhindern, hatte ich, wie gesagt, bei meinem beiden Partnern, Uwe und Onkel Balli, meine liebe Not. Beliebtes Getränk, warum auch immer, war in diesen Sommern der ostfriesische Doornkaat, von dem wir immer mindestens eine Flasche im Wagen hatten. Kam nun bei nicht so gutem Wetter mit nur schwachem Badebetrieb ein Bekannter vorbei, dann verstanden Uwe oder Bernhard es ganz hervorragend, denjenigen zu einem Schnaps einzuladen, wobei sie natürlich mittranken. Oft genug veranlasste das den Eingeladenen zuzusichern, spätestens zum Abschied uns ein Flasche zu spendieren. Die wenigstens hielten ihr Versprechen, aber es reichte dennoch, um immer mindestens eine Flasche vorrätig zu haben. Bei jeder neu eintreffenden Flasche – keine war je gekauft – machte Uwe an der Holzdecke im Wagen einen Strich. Am Ende der Saison 1959 kamen 85 ½ Flaschen Doornkaat zusammen.

    Ein Spezialgetränk, das Uwe bei uns einführte – ob er es erfunden hat, weiß ich nicht, zuzutrauen wäre es ihm –, war das von Uwe so benannte „Sylter Feuer". Für seine Zubereitung legte Uwe ein Stück Würfelzucker in ein Schnapsglas, tränkte es satt mit Tabasco (essigsaure, scharfe Chilisauce) und füllte dann das Glas mit 80prozentigem österreichischem Strohrum auf. Solche

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