Wie man die Radioaktivität überlebt: Siebenunddreißig mikroskopische Erzählungen in drei Büchern
Von Le Tschen
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Über dieses E-Book
„Ein berührend poetischer Text. Impulshaft kurze Geschichten, mit epischer Tiefe erzählt und zu einem intensiven Erzählfluss zusammengefügt. Ein außergewöhnliches Leseerlebniss, durchzogen mit hintergründig subtilem Humor, entführt in eine faszinierend fremde Welt.“
„Vorsichtige Versuche der Beschreibung einer verschwundenen Wirklichkeit. Hintergründig und fein komponiert für merhfaches und langes Lesen. Eine intensive Auseindersetzung mit den großen Fragen des Lebens.“
„Eine tastende Annährung an den Optimismus. Sensibel begleitete Zukunftsschritte nach einer großen Verletzung. “
Le Tschen
Le Tschen wurde 1919 in Saku, Japan, geboren. Sie hat Physik und Mathematik an den Universitäten Tokio und Osaka studiert. Nach der Promotion arbeitete sie für verschiedene nationale Institute und für die Industrie. Le Tschen begann 1983 mit dem Schreiben von Gedichten und Kurzgeschichten. Im Jahr 1985 folgten zwei Gedichtbände, die die Eindrücke ihrer ersten längeren Europareise widerspiegelten. Die Texte der hier vorliegenden drei in einem Band vereinten Bücher sind in den Jahren 2003 bis 2005 während ihrer jeweils mehrmonatigen Deutschlandaufenthalte entstanden.
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Buchvorschau
Wie man die Radioaktivität überlebt - Le Tschen
Inhalt
Buch I
Introduktion
Geschichte
Achtsamkeit
Die Löwen von Saigon
Hinter dem Spiegel
Gespenstergeschichte
Wasserburgen
Wiesen
Früher.Oder: Schon sehr lange her
Trio mit zwei Turnrädern
Keine Chance
Photographieren
Rollstuhfahrer
Traurig
Durchgezogene Linien
Morgenstrand
Engelsturz
Dorf
Braune Butter
Anhang
Nachwort
Buch II
Leben
Rekonstruktion
Auszeichnung
Stufen
Perlen
Ort
Video
Sprung
Anweisung
Anhang
Nachwort
Buch III
Hause
Speisung
Sommernacht
Mondscheibe
Engel
Arioso
Plateau
Sommer
Jetzt
Anhang
Nachwort
Anmerkungen zur Gesamtausgabe
Trilogie in einem Band
EditionHIC<
Buch I
Trauriges Märchen
19 Bilder vom Ende der Welt
für My Weng und Zu Teng
Introduktion
Die Verbindung mit der Welt war hergestellt, noch nicht ganz, aber zumindest so, dass ein Kontakt möglich war. Die Leitung stand und einige Informationspakete waren auch schon ausgetauscht worden, noch keine die eine Bedeutung hatten, beziehungsweise genaugenommen hatten die bereits ausgetauschten Informationspakete schon eine Bedeutung, aber nur die, dass sie die Möglichkeit des Austausches bestätigten. Ich bin da und ich kann senden und ich kann auch empfangen. Das war natürlich nur ein Bild für das was da stattfand, in Wirklichkeit waren es ein paar elektrische Impulse die da hin und her gingen. Aber das war doch auch schon etwas.
Und so wie diese Impulse da zwischen den kleinen Kästchen auf dem Beistelltisch und irgendwelchen anderen Kisten, Schränken und sonstigem Mobiliar in großen Räumen, verbunden von Kupferdrähten, Glasfaserleitungen, Lichtwellen und all diesem anderen physikalischen Zeug, hin und her gingen, so konnten auch Impulse, die ihre Gedanken waren, in dieses Netz hineingehen, zu einem Empfänger, der sie aufnahm, so wie man ein Wort aufnahm, das gesprochen wurde oder das man schrieb. Man schrieb ja mit diesen Maschinen. Eigentlich schrieb sie den ganzen Tag. War sie deshalb? Nur, oder auch, deshalb, oder dadurch?
Sie schrieb auf der Arbeit und zuhause angekommen schrieb sie auch, ja selbst beim Einkaufen und Essen schrieb sie und wenn sie lachte oder Traurigkeit sie durchzog, alles war geschrieben, in ihr, schrieb sich aus ihr heraus. Sie war im Schreiben, im Geschriebenen. Eigentlich war sie nur wenn sie schrieb. War sie auch anderswie?
Geschichte
Letztes Kapitel. Eine Geschichte fängt mit dem letzten Kapitel an, auch wenn sie da aufhört, ganz am Anfang schon. Das sollte auch bei dieser Geschichte so sein, unbedingt, wo sie doch die letzte war. Sie war sich da sicher. Nur wer hinten steht, kann auf das, was vor ihm liegt blicken. So einen Satz sollte man aufschreiben. Ein guter Gedanke.
Sie hatte ihren Schmerz in eine Geschichte gelegt, ihn erzählbar gemacht. Die in ihr eingegrabenen Furchen und bitteren Risse, das tief in den Knochen stechende Blitzgewitter der genadelten Schmerzen hatte sie, für einen Moment, erzählbar gemacht. Die ungeglaubte Angst, die hochkeimt vom Magenraum, unter den Rippen bis zum erstickten Kehlkopf, in der würgenden Halsröhre, sie war da und mit der Geschichte hatte sie sie sprechbar gemacht. Mit den tastenden Fingern auf dem Buchstabenbrett, knapp am zitternden Versagen vorbeigeschickt in die Wirklichkeit der Zeichenwelt. Der Schmerz brach sich in den Zeichen hervor, durchbrach das Erzählbare, durchbrach sie. Lange hatte sie es mit Bündeln von stählernen Spangen umklammert, hatte die sich auftuenden Risse und die berstenden Fugen immer wieder zusammengepresst, hatte versucht sie zu zu halten. Jetzt ließ sie es hervorbrechen, mit der ganzen Gewalt, die darin lag, ließ es durchbrechen, die Presshülle um sie herum; ließ es sie umfließen, von ihr abfließen, fortfließen.
Der Schmerz ist zu einer Geschichte geworden. Er ist Geschichte. Er lebt nur noch in der Geschichte. „Er muss nicht mehr in mir sein", ging es ihr durch den Kopf. Sie wünschte es sich.
„Das wäre eine schöne Lösung, hörte sie sich sagen, in der Stille, die entstand, als sie nicht mehr schrieb. „Fast ist es eine Lösung
, schrieb sie und vermisste die Stille die das Schreiben durchbrach. Und vielleicht, so wünschte sie sich, würde es schon bald die Lösung sein. Auch eine andere von den vielen? Auch ihre? Und nicht eine Vergebliche? Sie schrieb noch eine Weile, dann war der Akku leer.
Achtsamkeit
Der Mann hinter dem Steuer war nur einen kleinen Moment unaufmerksam gewesen, einen kleinen Moment nur. Er hatte sich