Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Bewegende Zeit: Eine Familie erlebt den Wandel in Südafrika
Bewegende Zeit: Eine Familie erlebt den Wandel in Südafrika
Bewegende Zeit: Eine Familie erlebt den Wandel in Südafrika
eBook344 Seiten3 Stunden

Bewegende Zeit: Eine Familie erlebt den Wandel in Südafrika

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Von 1990 bis 1997 lebt und arbeitet der Autor in Südafrika (Kapstadt) und erlebt - parallel zu der Wiedervereingung Deutschlands - den Wandel in Südafrika. Die weiße Regierung der Apartheid weicht einem demokratisch verfassten Staat unter Nelson Mandela.
Das reich bebilderte Buch besteht aus einer Collage von Rundbriefen und Tagebucheintragungen und liefert einen sehr persönlichen Blick auf die Entwicklung der Deutsche Schule in Kapstadt und die politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in Südafrika, die im Wesentlichen heute noch bestehen.
Der Anhang enthält einen geschichtlicher Überblick bis 2014.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum15. Mai 2015
ISBN9783738674019
Bewegende Zeit: Eine Familie erlebt den Wandel in Südafrika
Autor

Peter Erichsen

Peter Erichsen war Lehrer an verschiedenen Realschulen in Schleswig-Holstein mit den studierten Fächern Deutsch und Biologie. 1983 bis 1985 lebte er mit seiner Frau und drei Kindern in Namibia (damals Südwestafrika), wo er als Auslandslehrer an der deutschen Privatschule Karibib (PSK) unterrichtete. Von 1990 bis 1997 wurde er vom Bundesverwaltungsamt in Köln an die Deutsche Schule Kapstadt vermittelt, und zwar als Leiter der Neuen Sekundarstufe (früher: Fremdsprachenzweig), und erlebte dort das offizielle Ende der Apartheid. Erichsen lebt heute im Ruhestand mit seiner Frau in Büdelsdorf bei Rendsburg. Schreiben ist eine seiner Neigungen. 1988 erschien sein erstes Buch über die Erfahrungen und Erlebnisse in Namibia („Hoffnung auf Regen“), das jetzt aktualisiert neu aufgelegt wurde. Erichsen ist ehrenamtlich in der Opferhilfsorganisation „Weißer Ring“ (www.weisser-ring.de) und im lokalen Jazzclub (www.storyville-jazzclub.de) tätig.

Ähnlich wie Bewegende Zeit

Ähnliche E-Books

Essays & Reiseberichte für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Bewegende Zeit

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Bewegende Zeit - Peter Erichsen

    Literatur

    DAS JAHR 1990

    Wie sich die Familie Erichsen in Kapstadts Vorort Camps Bay niederlässt und versucht sich einzuleben. / Die überraschende Freilassung Nelson Mandelas. / Ein Freiheitskämpfer wird beerdigt. / Wie ein Freund der Deutschen Schule Kapstadt (DSK) zum Feind wird. / Das Wiedersehen mit Namibia nach der Unabhängigkeit. / Was ist eigentlich ein „Fremdsprachenzweig? / Wie sieht der Alltag des F-Zweig-Leiters aus? / Wie die Schülereltern der DSK in der Vergangenheit gefangen sind. / Die Erichsens müssen zum ersten Mal umziehen.

    Angekommen

    Rundbrief

    Hallo, ihr Lieben!

    Sicherlich wartet ihr schon auf ein längeres Zeichen von uns. Nun sind ja auch schon drei Monate vergangen und wir haben einiges zu berichten. Peter sagt zwar, dass meine Schrift kein Mensch lesen kann, aber ich werde mich bemühen, einigermaßen lesbar zu schreiben.

    Der Flug war diesmal ganz angenehm. Man merkt, dass die Kinder größer geworden sind. Dank der guten Speditionsfirma in Kapstadt waren die großen Möbel, Betten usw. schon eingeräumt und wir konnten, doch ziemlich erschöpft von der Reise, abends in unserem Bett einschlafen. Bis dann aber so alles seinen Platz hatte, vergingen nochmals 10 Tage – aber ganz in Ruhe, ohne Stress.

    Silvester verbrachten wir mit Freunden aus Windhoek, die hier Urlaub machten. Da der Mann Pastor und sehr an dem Unabhängigkeitsprozess in Namibia beteiligt ist, führten wir sehr interessante Gespräche und machten Ausflüge mit ihnen. Ja, und dann begann auch schon der erste Ärger.

    Wir hatten aus Deutschland einem Kollegen (der uns betreute und das Haus besorgt hatte) 10 000 DM für einen Gebrauchtwagen geschickt, nachdem er uns vorher gesagt hatte, dass Autos sehr teuer und Gebrauchtwagen sehr rar seien (stimmt nicht). Er habe aber einen Freund, der eine Nissan-Werkstatt hätte usw.. Als wir ankamen, war der Wagen noch in der Werkstatt, weil die Wasserpumpe kaputt war. Ja, und dann kam am nächsten Tag dieser Golf angepoltert. Entweder war er den Felsen herunter gerollt oder aus mehreren anderen Golfs zusammengeschweißt: Notdürftig gespritzt, 213 000 Kilometer gefahren, sämtliche Kabel hingen lose im Auto, die Beifahrertür ging nur auf, wenn man einen Fuß dagegen stemmte, beim Türen schließen flogen die Gummis (ich meine die Gummiumrandung) aus den Fensterrahmen usw. Das Auto machte mir Angst, und ich habe mich geweigert, damit zu fahren.

    Am nächsten Tag brachten wir das Auto zurück und fragten, ob das ein Witz sein sollte. Der Verkäufer (der Freund war kein Nissanhändler, sondern Autoverkäufer und war inzwischen bei Ford gelandet) erklärte in einem kaum zu verstehenden Buren-Englisch, dass das Auto gekauft worden sei und er nicht daran dächte, es wieder zurückzunehmen. Wir ließen es stehen und mieteten uns einen Leihwagen und warteten auf die Rückkehr des Kollegen.

    Nach der Fahrt von Camps Bay über den Sattel („Nek") zwischen Tafelberg und Löwenkopf: Unter uns die Stadt mit der Tafelbucht, nach links zur Schule

    Wir bekamen dann noch heraus, dass das Auto nicht über die Geschäftspapiere gelaufen war. Nach all diesem Ärger entschlossen wir uns dann, zwei neue Autos (zwei brauchten wir eh) zu kaufen. Dafür mussten wir allerdings ziemlich bluten. Bis das eine Auto vom Fordhändler dann wirklich vor der Tür stand, bedurfte es noch eines Gangs zum Anwalt. Inzwischen sitzen zwei Manager dieser Fordfirma im Gefängnis, und unserem Golffreund wird der Prozess wegen Autoschiebereien gemacht. Wir wieder mit unseren Autos…! Damals in Namibia war es auch sehr dramatisch!

    Warum gleich zwei? Peter hat fast immer einen Zehn-Stunden-Tag und kommt völlig unregelmäßig nach Hause. Die Schule liegt etwa sechs Kilometer von Camps Bay entfernt und ist nur mit Privat-PKW zu erreichen (steile Berghänge, kein Fahrradweg, kein Linienbus). Ole muss immer um 8 Uhr da sein, Finn und Lena zweimal 7:15 Uhr und dreimal 8:00 Uhr. Ole kommt immer 12:05 und Finn und Lena 14:00. Dabei hat Finn noch zweimal AG und kommt dann um 15:40 aus. Finn und Lena essen in der Schule Mittag. Ihr seht also, ich muss sehr oft die Kinder hin- und herfahren. Es gibt aber einen „Liftclub", d.h. mehrere Mütter tun sich zusammen, und so fährt man weniger – aber mit mehreren Kindern, die man verschieden absetzen muss.

    Ole und Lena machen Karate, Ole spielt Tennis, Lena Klavier und macht Ballett. Finn spielt Volleyball und Tennis, geht in die Werk-AG, und Lena und Finn müssen zweimal Englisch-Nachhilfe besuchen.

    Aus dem Tagebuch – Kindermund

    Ole: Mach das Pflaster nochmal auf!

    - Peter: Warum?

    - Ole: Weil ich sehen will, wie viel Blut ich verbraucht habe.

    Die Kinder sind ziemlich ausgelastet, fühlen sich aber wohl. Lena sagt ab und zu, dass sie nicht mehr so viel Zeit hat, alleine richtig zu spielen. Peter ist mehr als ausgelastet, fühlt sich aber auch bis auf Ausnahmen sehr wohl. Über seine Arbeit muss er schon selbst einmal berichten, aber wann? Er hat so wenig Zeit, auch was uns angeht. Aber das wusste ich ja, er macht keine halben Sachen. Wir trinken meistens gegen 17:00 Uhr Kaffee/Tee, vorher kommt er selten aus der Schule. Dann sitzt er am Telefon oder am Schreibtisch, gemeinsames Abendbrot, wieder Schreibtisch oder irgendeine Vorstandssitzung, und gegen 22:00 Uhr plauschen wir dann noch etwas. Und so gehen auch manche Wochenenden dahin. Bald sind Ferien.

    Was mache ich? Also, ich fühle mich erst einmal sehr wohl. Von unserem Haus in der Houghton-Road sehe ich fast aus jedem Zimmer aufs Meer. Allein das schon ist Öl auf mein Inneres. Ich habe immer noch das Gefühl, im Urlaub zu sein.

    Also, nachdem die Kinder in die Schule gegangen sind, wende ich mich dem Pool zu. Nein, vorher gehe ich 40 Minuten zur Aerobic in Camps Bay. Hier wird Sport sehr groß geschrieben. Alles joggt, spielt Tennis (auch in der größten Hitze), die Fitness-Studios beginnen 6:00 in der Früh. Viele (Weiße) gehen noch vor dem Dienst schnell mal zum Antörnen, zum Fitnesstraining – oder noch nach Dienstschluss.

    Dann muss ich den Pool reinigen. So ein Ding ist ja ganz schön, macht aber auch viel Arbeit. In den ersten drei Monaten hat es jeden dritten Tag gestürmt, und sämtliche Blätter, auch die vom Nachbarn, gaben sich ein Stelldichein im Pool. Dazu noch mehrere Prisen Sand. Bis das alles wieder herausgefischt ist, vergehen oft zwei bis drei Stunden. Wir haben zwar einen elektrischen Sauger, der auch an den Wänden entlang krabbeln soll, aber der ist mehr kaputt als heil. Es bedarf mehrerer Wasch- und „Back-Wash"-Vorgänge, um alles sauber zu halten und keine Algen aufkommen zu lassen. Was für ein Wasser dabei flöten geht, könnt ihr euch nicht vorstellen. Zweimal ist uns der Pool umgekippt, d.h. er wurde über Nacht grün. Schnell musste Algenkiller gekauft werden, und mit dem Einsatz der gesamten Familie war der Pool dann nach drei Tagen wieder klar.

    Also neben Einkaufen, Kochen, Chauffeurdiensten, Pool reinigen spiele ich zweimal in der Woche Tennis, gehe, wenn ich Lust habe, zur Aerobic und einmal zum Volkstanz – da kann ich mein Englisch aufbessern, und Spaß macht es auch (habe schon in zwei Altersheimen vorgeführt). Da es in Kapstadt direkt nur Judo und Karate gibt, bin ich leider noch nicht zum Jiu Jitsu gekommen, möchte aber da gerne weitermachen. Wie ich höre, gibt es den Sport an der Uni, mal sehn, ob es für mich eine Möglichkeit gibt. Oft wird man auch morgens zum Kaffee eingeladen, da gibt es bei mir schon fast Terminschwierigkeiten.

    Ihr merkt, auch ohne Arbeit fühle ich mich sehr wohl. In die Stadt fahre ich sehr selten, auch ein gutes Zeichen. Diese innere Unruhe, von der ich oft geplagt werde – mal in die Stadt zu fahren, in Blusen zu wühlen, unbedingt etwas kaufen zu müssen - verspüre ich hier nicht. In Camps Bay gibt es einen guten Supermarkt, der fast alles hat, einen guten Bäcker, auch ein paar Boutiquen. Manchmal fahre ich ins Garden-Center, da gibt es einen sehr guten Schlachter. Das ist fünf Minuten von der Schule entfernt.

    In die Innenstadt fahre ich nur 15 Minuten. Es gibt dort wie in jeder größeren Stadt Parkprobleme, und nur wenn ich etwas Besonderes kaufen will, führt mich mein Weg dorthin. Kapstadt kann in Bezug auf Mode durchaus mit Kiel und Lübeck mithalten. Im Sommer gibt es auch hier verrückte Fancy-Sachen. Die Leute gehen im Bikini einkaufen und haben irre Hüte auf dem Kopf. Im Vergleich zu unserem ersten Besuch in Kapstadt 1983 ist alles viel lockerer geworden. An einigen Stränden laufen die Leute oben ohne. Vor fünf Jahren wäre man dafür noch eingelocht worden. Im Dezember-Januar ist Kapstadt voller Touristen. Alles hat Ferien, es ist Hauptsaison.

    Jetzt um die Osterzeit ist es noch herrlich warm und wir gehen gerne ab 17 Uhr an den Strand. Selbst Peter merkt, wie schön es ist. Gerade haben die Ferien angefangen. Sie gehen vom 26. März bis zum 3. April. Ostern selbst gibt es nur drei Tage frei - das Schuljahr ist in vier Quartale eingeteilt, und so kommt es zu diesen Ferien. Wir wollen mit einer Gruppe den Oranjefluss, der Namibia von Südafrika trennt, entlang paddeln. Das wird sicherlich ein tolles Erlebnis – mal sehen.

    Fortsetzung:

    Heute ist der 22. Mai und ich schreibe weiter an meinem Brief. Eigentlich wollte ich ihn schon längst abgeschickt haben. Aber, ich bitte um Entschuldigung, leider war ich bis heute dazu innerlich nicht in der Lage. Gott weiß warum, ich konnte mich nicht zusammenreißen. Morgen gibt es die nächsten Ferien, nämlich unsere Winterferien. Drei Wochen wollen wir nach Namibia, mal sehen, wie es da jetzt aussieht.

    Aber ich habe ja noch nicht vom Oranje erzählt: Erst einmal fuhren wir 7 Stunden mit dem Auto bis zur Grenze, kamen bei Dunkelheit an, legten uns unter den Sternenhimmel in unseren Schlafsack und träumten von Abenteuern. Am nächsten Morgen wurden in drei Schlauchbooten alle Sachen verstaut, die wir so brauchten. Es war nicht viel, was wir mitnehmen konnten: Schlafsack, Kissen, zwei Badeanzüge, Jogginganzug, zwei T-Shirts, zwei Unterhosen, Waschzeug – Ende. Jeder bekam eine Schwimmweste. Jedes Boot musste Essen für vier Tage mitnehmen, und los ging’s.

    Es war toll, das Wasser war noch sehr warm, wir badeten und paddelten 60 Kilometer. Neben toller Landschaft mussten wir viele Stromschnellen meistern, und oft blieb unser Boot inmitten der Stromschnelle auf einem Stein hängen. Gegen Abend, wenn die Arme schon recht müde waren, suchten wir einen schönen Schlafplatz, bereiteten gemeinsam das Essen an einem Lagerfeuer und schliefen unterm freien Himmel. Es war auch für die Kinder schön. In diesem Alter kann man mit ihnen schon sehr viel unternehmen, und sie werden sich später daran erinnern können.

    Aus dem Tagebuch

    Finn überredet mich, noch so lange im Office zu bleiben, bis Ole und Lena mit Karate fertig sind (3 pm). Wieder nicht daran gedacht, Imme telefonisch Bescheid zu geben, dass sie nicht fahren muss. Jetzt ist sie sauer.

    – Ich hab den Kopf so voll, dass ich einfach an sowas nicht denke.

    Ja, dann kam das nächste Quartal. Peter hat immer noch viel zu tun, kann sich aber jetzt die Arbeit besser einteilen. Wir haben schon mal Zeit, abends am Strand spazieren zu gehen, und wir unternehmen am Wochenende so einiges. Zweimal hatten wir farbige Schüler aus Peters Klasse am Wochenende zu Besuch. Sie gehen zwar auf eine „weiße Schule", haben aber in ihrer Freizeit kaum Kontakt zu Weißen. Wir wollen mit gutem Beispiel vorangehen. Vielleicht kommen auch andere Eltern auf die Idee.

    Gebrochene Nase (Tagebuch)

    Craig, Chezlin, Reynold und Oliver (aus der F-Zweig-Klasse 9) über Nacht zu Besuch bei uns in der Houghton Road, Baseball und Soccer am Strand, „Kuhhandel" zu Hause, Film aus Deutschland, in Hout Bay geschliffene Halbedelsteine gesammelt (Schleiferei). Beim Baden hat der unvorsichtige Reynold dem Oliver die Nase gebrochen! Die Heimfahrt war unendlich: Mitchells Plain, Ottery, Belhaar, Belville, mehr als 100 Kilometer! Craigs Vater zeigt mir den Weg zurück zur N1 (Fernstraße nach Johannesburg), bleibe ohne Benzin liegen, mit Kanister zur nächsten Tankstelle. Viel zu spät zu Hause, soll noch zu Anitas Geburtstag …

    Vor drei Wochen bekamen wir alle nacheinander einen grippalen Infekt. Es wird nämlich so langsam Winter. Ab und zu regnet es, und wir haben so 8 bis 12 Grad, im Haus ist es kalt. Selbst die fünf Radiatoren schaffen es nicht. Unsere Wohnzimmerdecke ist dreieinhalb Meter hoch. Das Holz für den Kamin ist ziemlich feucht. Manchmal machen wir ihn an, aber dann stinkt das ganze Haus nach Lagerfeuer, und die Augen tränen, obwohl der Kamin zieht. Wir haben ja auch einen Kaminofen mitgebracht, der immer noch rostig in unserer Garage steht. Bis jetzt hat Peter noch keine Zeit gehabt, das Entrostungsproblem zu lösen, und so frieren wir ab und zu. Scheint aber die Sonne, so ist es angenehm warm, und so manch einer greift dann wieder zum T-Shirt – wie auch unsere Kinder. Folge: Lena liegt seit einer Woche mit einer Mandelentzündung im Bett, die guten Hausmittel schlagen nicht mehr an. Nun bekommt sie Antibiotika und hat Dünnschiss. Morgen wollen wir packen und in zwei Tagen los – wird das wieder ein schönes Chaos!

    Seit einer Woche streiken hier die Müllmänner, im Moment sind die Straßen voller Papier und Dreck – einerseits sehr müllig, andererseits merkt man schon politische Veränderungen. Die Gewerkschaften werden hier stärker, es tut sich etwas.

    So, damit es nicht langweilig wird, höre ich auf. Wir fühlen uns auch nach 6 Monaten sehr wohl und grüßen euch alle. Da so viele auf einen Brief warten (bis jetzt waren es nur Karten), werde ich den Brief an alle schicken. Alles Liebe, viele Grüße und Verzeihung Eure 5 Erichsens

    P.S. Die Kollegen sind recht nett, und Freunde haben wir auch ganz nette.

    Nelson Mandela ist frei

    Bericht im ARGUS am nächsten Tag

    Alle wollen Mandela sehen

    Rundbrief

    Eine Gesellschaft im Umbruch. Das geordnete Nebeneinander (Suum cuique¹²) zerbricht, Rassengrenzen bröckeln, soziale Grenzen werden unscharf (es gibt auch zahlreiche weiße Eltern, die Schulgeldermäßigung bekommen!), die einen haben Angst und haben die wilde Hoffnung, dass die Überlegenheit des „weißen Mannes" ewig dauern könnte, die anderen haben die unrealistische Hoffnung auf eine schnelle Veränderung ihrer Lebensverhältnisse und nutzen den entstandenen politischen Spielraum, den sie ganz richtig auch als Machtvakuum sehen, zum Ausleben ihrer langjährigen Frustrationen und ihrer bisherigen Perspektivlosigkeit.

    Denn real hat sich bisher so gut wie nichts geändert: Das Schulsystem der Schwarzen ist katastrophal wie eh und je, entsprechend die Berufsaussichten, und wer in den Slums von Khayelithsha geboren wird, wird dort auch an Leberzirrhose sterben - überspitzt gesagt.

    Mandela ist frei (Tagebuch, 10. Februar)

    Abends in der Deutschen Welle von der morgigen Freilassung Mandelas gehört. Von anderen Informationen abgeschnitten, da immer noch kein Fernsehen, Rundfunkantenne fehlt.

    Tagebuch 11. Februar: Mittags Start mit Familie nach Paarl (Mbekweni), um Vuijani Mtini (schwarzer Baptistenpfarrer, den wir in unserer Heimatstadt als Besucher unseres Kirchenkreises kennen gelernt hatten) zu besuchen und anschließend im Baineskloof Pass zu baden. Sehen aber auf der Hinfahrt um 1.30 pm an der „Parade" (zentraler Platz vor dem Kapstädter Rathaus) tanzende Massen, Schwarze strömen von allen Seiten auf den Platz, Hupkonzerte, vollgestopfte Taxis und Autos.

    Gegen Oles wütenden Protest Änderung des Plans: Film geholt, Imme bringt mich um 3 pm zur Parade, Plakate kündigen Mandelas Rede um 3 pm an, warte bis 7.50 pm, einstürzendes Dach, Schießerei, Ohnmachten, Ambulanzen, stürzendes Metallgerüst, Hinsetzen klappt nicht, Jesse Jackson (ehemaliger farbiger Präsident schaftskandidat der USA) taucht auf, Hubschrauber, plötzlich auseinander stiebende Menge (Messerstecher?), der Weiße hilft dem Schwarzen auf den Fenstersims des Rathauses, im Dunkeln zu Fuß und per Taxi zurück nach Camps Bay.

    Dennoch: Das Jahr 1990 war in Südafrika, genau wie in Deutschland und weltweit, ein überwältigendes Jahr (in Deutschland begann dieses Jahr genau genommen etwas früher, nämlich im November 89) in unserem politischen Bewusstsein, ein Jahr, das vermutlich einmalig in unserem Leben bleiben dürfte. Es begann mit Präsident De Klerks Rede zur Parlamentseröffnung am 2. Februar in Kapstadt und der anschließenden Freilassung Nelson Mandelas am 11. Februar und der Ankündigung zur Aufhebung zahlreicher Restriktionen (Ausnahmezustand, Pressezensur, Verbot politischer Organisationen). Im kommenden Februar beginnt die nächste Sitzungsperiode des Parlaments hier in Kapstadt, und es wird mit weiteren richtungsweisenden Ankündigungen gerechnet (Aufhebung des Group Areas Act, das uns die getrennten Wohngebiete beschert hat), so dass am Ende nur noch das Gesetz über die Registrierung der Rassenzugehörigkeit übrig bleiben wird (das letzte, aber eines der schlimmsten).

    Rede De Klerk (Tagebuch, 7. Juni))

    Im Parlament mit 7a, 7b und Kollegen (Mielck, Dr. Hermann, Frau Du Plessis), 2.15 pm historische Rede von De Klerk: Lifting of State of Emergency. Taktik:

    Mandela beginnt zur gleichen Zeit seine Europareise in Paris und hat es immer schwerer, die Aufrechterhaltung von Sanktionen zu fordern.

    Ist dieser Prozess bereits unumkehrbar, wie es der ANC²⁸ als Bedingung für die Aufhebung von ausländischen Sanktionen fordert? Von mir dazu ein klares Ja. Diese Entwicklung stoppen, hieße, sich für Mord und Totschlag zu entscheiden. Sollten die keimenden Hoffnungen zerstört werden, hätten die Schwarzen nun wirklich nichts mehr zu verlieren. Mord und Totschlag gibt es auch jetzt, aber das sind meistens die Verbrechen perspektiv- und haltlos gewordener Menschen, die, in keine Wertordnung mehr eingebunden, im Morden und Zerstören einen Sinn gebenden Unterhaltungswert sehen - kurz: Es macht ihnen Spaß. Oder welchen Sinn hat es, wenn in Khayelithsha urplötzlich ein Lastwagen überfallen und mit Benzin in Brand gesteckt wird? Der Fahrer verbrennt in seinem Gefährt, ohne dass gegen ihn oder den Unternehmer politisch etwas vorläge, einfach nur so, obwohl dadurch das spärlich wachsende Kleingewerbe der eigenen Leute vor dem Hintergrund einer gewaltigen Arbeitslosigkeit zerstört wird?

    Aber ich kann den ANC gut verstehen, wenn er diese Entwicklung noch nicht so positiv sehen kann und will. Immer noch sind die meisten politischen Häftlinge nicht freigelassen, immer noch können einige Exilpolitiker nicht zurückkehren oder werden sogar nach ihrer Rückkehr verhaftet, ohne dass die hiesigen Zeitungen dafür vernünftige Gründe angeben können, immer noch sind Polizei und Armee von konservativen Kräften durchsetzt und stehen im Verdacht, durch Gewalt und Intrigen die Politik der Regierung zu konterkarieren, immer noch ist der bewaffnete Kampf der radikalen „Rightwingers" eine reale Gefahr. So gesehen ist der Prozess erst dann unumkehrbar, wenn alle Menschen ihr verfassungsmäßig garantiertes Stimmrecht haben. Außerdem: Sanktionen sind, trotz gegenteiliger Propaganda, immer schmerzhaft und wirkungsvoll gewesen, auf sie vorzeitig verzichten, hieße, auf einen wichtigen Trumpf, auf ein wichtiges Druckmittel verzichten. Außerdem müssen Leute wie Mandela ein breites politisches Spektrum repräsentieren und eine Abwanderung zu radikaleren Konkurrenten verhindern (PAC, AZAPO).

    Unsere Angestellte Cynthia Mshumpela: Mr. Mandela ist ein alter Mann.

    Denn es gibt nicht nur den ANC, und Mr. Mandela ist vielleicht nur ein alter Mann, wie unsere Hausangestellte Mrs. Mshumpela meint, der die drängende Jugend nicht mehr versteht. Die politischen Parteien müssen sich andererseits von ihrer Identität als exiler Befreiungsorganisation lösen und eine neue Identität als realpolitischer Faktor im demokratischen Wettbewerb finden. Das ist nicht einfach, das Gerangel ist in vollem Gange. Ob es noch zur Bildung einer Art nationaler Front kommt, um gegenüber der Regierung mit einer Stimme sprechen zu können, ist fraglich. Man kann nur hoffen, dass es irgendwann in nächster Zukunft zu Gesprächen am runden Tisch kommen wird, so dass alle politischen Kräfte des Landes an der Vorbereitung einer neuen Verfassung beteiligt sind. Vor dem Hintergrund der politischen Umwälzungen müsste eigentlich der Widerstand gegen die Öffnung der Schule (F-Zweig) allmählich dahin schmelzen, und nachdem Mr. De Klerk einen publikumswirksamen Township-Besuch gemacht hat, hoffe ich, dass es auch für unsere Schulgemeinschaft kein Tabu mehr ist, sich anzusehen, wo und wie die Bevölkerungsmehrheit dieses Landes lebt.

    Noch allerdings sind die Widerstände groß, und sie werden aus hässlichen Vorurteilen genährt, wie das Beispiel eines Oberstufenschülers zeigt.

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1